Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 1
Friedrich von Raumer

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Zweite Beilage.

Die Legende von der heiligen Lanze zu Antiochien.

Auf dem Zuge welchen die Christen unter Anführung des frommen Herzogs Gottfried von Bouillon, des Grafen von Toulouse und anderer Fürsten antraten, um das heilige Land und Jerusalem aus den Händen der Ungläubigen zu befreien, gelangten sie nach Antiochien und belagerten die Stadt. Nach sieben Monaten sah man jedoch noch keinen Erfolg: die Angriffe der Feinde, der Mangel an Lebensmitteln und ein furchtbares Erdbeben erzeugten große Noth im Lager der Christen.

Es war daselbst unter ihnen Petrus, ein Pilger, arm und geringer Herkunft, aber fromm. Er konnte weder lesen noch schreiben; doch das Vaterunser, den Glauben, das Gloria und das Benediktus betete er mit einfachem Sinne, wie man es ihm gelehrt hatte. Einsam ruhte dieser einst in seinem Zelte und rief in schlafloser Nacht, von großer Furcht bedrängt: »Herr hilf, Herr hilf!« – Da traten zwei Männer zu ihm mit leuchtenden Kleidern: der ältere hatte einen langen braunen Bart und schwarze durchdringende Augen; der jüngere war schlanker, man mochte sein Antlitz mit keiner anderen Bildung vergleichen. Jener aber hub an: »ich bin Andreas der Apostel, fürchte dich nicht, sondern folge mir nach.« Der Pilger stand vom Lager auf, jene beiden gingen voran zur Kirche des heiligen Petrus. 593 Zwei Lampen brannten nur in dem weiten Gewölbe, und doch war es so hell wie am Mittage. Der Apostel sprach: »warte ein wenig,« und ging hinweg. Petrus setzte sich an eine Säule auf die Stufen, welche vom Mittag her zum Hochaltare führten; der jüngere Begleiter stand in der Ferne, auch an den Stufen des Altars. Nach einer Weile kam der heilige Andreas aus der Tiefe hervor, trug eine Lanze in der Hand und sprach zu Petrus: »siehe, mit dieser Lanze ist die Seite geöffnet worden, aus welcher das Heil geflossen für alle Welt. Gieb Acht, wo ich sie verberge, damit du sie nach der Einnahme Antiochiens dem Grafen von Toulouse nachweisen könnest; zwölf Männer müssen graben, bis man sie findet. Jetzt aber verkünde dem Bischofe von Puy: er möge nicht ablassen von Ermahnung und Gebet, denn der Herr sey mit euch allen.« Als der Apostel so gesprochen, führte er mit seinem Begleiter den Pilger über die Mauern der Stadt zurück in sein Zelt. Dieser aber wagte nicht zu dem Bischofe zu gehen und das Geschehene zu erzählen; sondern zog nach Roja um Lebensmittel zu sammeln. Da erschien ihm um die Zeit wenn der Hahn zum ersten Male kräht, am ersten Tage der großen Fasten, wiederum der Apostel mit seinem Begleiter; ein heller Glanz füllte das Zimmer. Jener sprach: »Petrus, schläfst du?« Petrus antwortete: »nein, Herr, ich schlafe nicht.« – »Hast du gethan was ich dir befohlen?« fragte Andreas weiter. »Ich habe mich gefürchtet, (erwiederte der Pilger) »denn ich bin arm und gering, keiner wird meinen Worten glauben.« Da sprach der Apostel: »weißt du nicht, wie die Armen und Geringen das Reich Gottes erwerben, und hat euch nicht der Herr auserwählt zur Erlösung seines Heiligthumes? Siehe die Heiligen selbst möchten den Himmel verlassen und Theil nehmen an eurem Beginnen. Gehe hin und thue was ich dir geheißen!« – Petrus zögerte noch immer, er wollte gen Cypern segeln; ein Sturm warf ihn zum Lande zurück; er erkrankte. Während dessen war Antiochien eingenommen durch Hülfe 594 christlich gesinnter Bewohner: aber ein neues Heer der Türken belagerte nunmehr die Kreuzfahrer, und größere Noth entstand als je zuvor. Da erschienen jene zwei zum dritten Male dem Pilger, und der Apostel sprach: »Petrus, Petrus, du hast noch nicht verkündet was dir vertraut worden!« Dieser aber sagte: »o Herr, erwähle einen Weiseren, einen Reicheren, einen Edleren; ich bin unwürdig solcher Gnade.« – »Der (antwortete der Heilige) ist würdig, welchen der Herr erwählet; thue was dir befohlen ward, damit die Krankheit von dir weiche.« – Ernst war des Apostels Blick, mild aber und wie von himmlischem Lichte umflossen das Antlitz seines Begleiters. Da faßte Petrus Muth und sprach: »wer ist dein Begleiter, der noch nimmer gesprochen hat? zu dem mich aber Liebe hinzieht und Sehnsucht, der mein Inneres löset von jedem Zweifel, der meine Seele füllt mit Vertrauen und himmlischer Ruhe.« Der Apostel antwortete: »du magst ihm nahen und seine Füße küssen.« Petrus trat hinzu und kniete nieder; da sah er blutige Male an den Füßen, er fiel auf sein Angesicht und rief: »mein Herr und mein Gott!« – Es breitete Christus über ihn die Hände, und verschwand.

Der Pilger verkündete das Gesicht. Zwölf Männer gruben vom Morgen bis zum Abend, da zeigte sich die Lanze. Durch ihre Wunderkraft gestärkt siegten die Christen über alle Feinde, und die Erzählung ist aufbewahrt worden, damit ein kindlich Gemüth sich an dem erbaue, was den Verständigen dieser Erde verborgen ist.

 


 


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