Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 1
Friedrich von Raumer

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Zweites Buch.

Von der Empörung König Konrads gegen seinen Vater, Kaiser Heinrich IV, bis zum Kreuzzuge König Konrads III, des Hohenstaufen.

(Von 1093 bis 1147.)

 

Erstes Hauptstück.

{1093} Zwei Jahre vor dem Anfange des ersten Kreuzzuges empörte sich König KonradDonitzo II, 10.  Ganfr. Malat. IV, 23. Der Erzbischof Anselm von Mailand, krönte ihn zum König von Italien. Landulph. jun. 1. Siehe Buch I, Seite 35. gegen den Kaiser seinen Vater. Nur wenigen Vertrauten entdeckte er die geheimen Gründe dieses Abfalles, doch erzählte man sich im Reiche: das Gemüth des Sohnes sey dem Vater entfremdet wordenUrsperg. chron. Hildesh. ann. Alb. Stad.  Annal. Saxo zu 1099., weil dieser seine Mutter Adelheid verstoßen, über die Ächtheit seiner Geburt laute Zweifel geäußert und überhaupt eine ärgerliche Lebensweise geführt habeDodechin.. Diese Gründe, wenn sie anders wirklich vorhanden waren, entschieden aber gewiß um so weniger allein, da Konrad, selbst nach seinem Abfalle, nie den Anstand in den Äußerungen über seinen Vater verletzte, oder eine solche Verletzung von anderen duldete: vielmehr nannte er ihn nach wie vor seinen Herren und Kaiser, nahm dessen Diener gnädig auf, und zeigte sich überhaupt gemäßigt, milde und herablassend. Wahrscheinlich würde also das natürliche Gefühl von der 236 {1093} Verwerflichkeit jeder Empörung eines Kindes wider seinen Vater, über etwanige Gründe und den, keineswegs schon zu wilder Herrschsucht angewachsenen Ehrgeiz, obgesiegt haben und eine gütliche Aussöhnung eingetreten seyn; wenn ihn nicht Papst Urban II, Graf Roger von Sicilien und die Markgräfinn Mathilde von Tuscien, gleichmäßig zu rascheren und gewaltsameren Maaßregeln hingedrängt hätten.

Urban, mit Hülfe der Kreuzfahrer wieder Herr von RomAlberic. 184.  Otto Fris. chr. VII, 6.  Miraei op. dipl. III, Urk. 21, 22.  Hist. franc. fragm. ap. Duch. IV, 90.  Landulph jun. 28. Die Engelsburg gewann Urban erst im Jahre 1098 durch Bestechung. Sigon. hist. Ital. Chron. ex libr. Pantal. 21., mochte dem Jünglinge vorstellen, daß er bei längerer Theilnahme an der Feindschaft gegen die Kirche, aller Ansprüche auf das Kaiserthum verlustig gehe; {1095} Graf Roger reizte ihn durch die Vermählung mit seiner reich ausgestatteten TochterHeirat 1095 in Pisa. Tronci.; und der Markgräfinn endlich konnte nichts willkommener seyn, als des Kaisers erneute Macht auf eine ihm so empfindliche Weise zu brechen.

Der Markgraf Bonifaz von Tuscien, Mathildens Vater, hatte durch glückliche Fehden die Macht der benachbarten Großen verringert, und den Kaisern Konrad II und Heinrich III auf mehren Zügen, gegen Empfang nicht geringen Lohnes, treulich beigestanden. Nach seinem TodeErra memorie. (er starb 1052) stand seine Wittwe Beatrix vier und zwanzig Jahre lang mit Nachdruck den Geschäften vor, und fand an ihrer Tochter Mathilde eine Gehülfinn, welche bald noch größeres Geschick und noch größeren Ruhm erlangte. Aber nicht dem Kaiser und seinen Planen diente Mathilde; sondern, die Bahn ihres Vaters aufgebend, verfolgte sie mit der gläubigen Liebe eines Weibes, mit der Thätigkeit und dem Muthe eines Mannes als letzten und höchsten Zweck, – die Erhebung der Kirche und des Papstes. Kein 237 {1095} ungeziemendes Verhältniß zu Gregor VII, kein Eigennutz bestimmte die Markgräfinn zu diesem Verfahren: denn jener ersonnenen Beschuldigung widerspricht das ganze Leben der Angeklagten, und bei geringerer Treue gegen den Papst hätte Mathilde in manchem Augenblicke gewiß vom Kaiser mehr erlangt, als ihr jener bieten konnte. Ja Gregor war nicht der Darbietende, sondern der Empfangende; denn schon im Jahre 1077 überließ Mathilde auf den Fall ihres kinderlosen Todes der römischen Kirche ihr gesammtes EigenthumMiraei op. dipl. I, Urk. 36.  Dumont I, Urk. 103.. Dafür ward ihr allerdings nicht bloß die Achtung zu Theil, welche jede unwandelbare Lebensrichtung verdient und erwirbt; sondern auch der ruhmvolle Glanz, welcher damals auf jeden Vertheidiger der Kirche zurückstralte.

Bei einer Frau von solchem Muthe, daß sie selbst an der Spitze ihrer Mannen focht; von solchem Geschicke, daß sie sich aus den schwierigsten und verwickeltsten Verhältnissen herauszuziehen wußte; von so festem Willen, daß sie viele Jahre lang Schiedsrichterinn von Italien war und Gründerinn der neuen weltlichen Kirchenherrschaft wurde, traten die Geschlechtsverhältnisse als unbedeutend zurück: auch lebte sie mit ihrem ersten Manne, dem Herzoge Gottfried von LothringenMurat. antich. Est. I, 18.  Tiraboschi Moden. I, 132.  Ursp. chr. zu 1115., keineswegs in einer zärtlichen Ehe, und den zweiten, Herzog Welf von Baiern, scheint sie bloß geheirathet zu haben um ihn, einen Feind des Kaisers, noch fester für die kirchliche Ansicht zu gewinnen. Körperliche Mißverhältnisse und Verschiedenheit des AltersVillani 116.  Berthold. Const. zu 1095. Umständliche Untersuchungen bei Mansi 320, ob Mathilde zeitlebens Jungfrau geblieben sey. Die unanständige Erzählung in Cosmas Prag. 205, ist erfunden. Wer hätte wohl zugesehn oder dergleichen Dinge erzählt!, welche man hiebei anfangs nicht berücksichtigte, erschienen erst wichtig, als jeder Ehegatte den andern beherrschen, oder doch 238 {1095} unbekümmert seinen Weg gehen wollte; zum völligen Bruche kam es endlich, als Welf gewahrte, seine Hoffnung Mathilden zu beerben werde, ihrer Gesinnung und päpstlicher Einwirkung wegen, gewiß fehlschlagen. Dem ungeachtet blieb Mathilde mit ihrem Verbündeten, dem Papste, und ihrem Schützlinge dem Könige Konrad, in Italien so übermächtig, daß der Kaiser im Jahre 1097 dies Land verlassen und eine ungünstige Aufnahme in Deutschland befürchten mußte.

Allein durch den Ablauf der Zeit waren hier die Gemüther ruhiger, so wie die Aufmerksamkeit und Theilnahme auf die großen Pilgerzüge hingelenkt worden; und als nun Welf der ältere, aus Zorn über seine Schwiegertochter und des Papstes Benehmen, sich mit dem Kaiser aussöhnteDonitzo II, 13., so gewann dieser von neuem unerwartet großes Ansehn. Auf einem, am ersten December 1097 zu Mainz eröffneten Reichstage erhob er KlageVita Henr. IV. c. 8.  Dodechin, Ursp. chr., Ann. Saxo.: »gegen Kindes- und Unterthanen-Pflicht habe sich Konrad seinen Feinden zugesellt, ihm nach Krone und Leben getrachtet und alle Versuche einer Aussöhnung zurückgewiesen. Niemand möge dies aus persönlicher Abneigung gegen ihn, den Kaiser, gering achten; sondern jeder bedenken, wie kein Staat bestehen könne, sobald man dessen Herrschaft auf frevelhafte Weise erwerben dürfe. Aus diesen Gründen müsse er verlangen, daß Konrads Anrecht auf den Thron vernichtet, und sein jüngerer Sohn Heinrich zum König erwählt werde.« – Obgleich anfangs einige, unter ihnen Erzbischof Rothart von Mainz, aus Nebenrücksichten widersprachen, so vereinigten sich doch zuletzt alle für jenen Beschluß. Am sechsten Januar 1099 ward Heinrich der jüngere, der fünfte dieses Namens, in Achen zum deutschen König gekrönt, nachdem er vorher, – damit er seines Bruders Irrwege nicht beträte –, feierlich beschworen hatte: dem Kaiser, seinem Vater zu gehorsamen 239 {1099} und sich, so lange dieser lebe, auf keine Weise der Regierung anzumaaßen.

Währenddeß litt König Konrad bereits die Strafe seiner ungerechten und übereilten Unternehmung. Bei dem Mangel an eigener Kraft, erhielt er sich nur durch die Unterstützung seiner Verbündeten, und mußte deßhalb die Hand bieten und den Namen hergeben zu allem dem, was nicht sowohl ihm, als diesen bequem schien und Vortheil brachte. Ja, sobald Mathilde des Kaisers Macht für hinreichend geschwächt und Italiens Unabhängigkeit für gesichert hielt, so vernachlässigte sie den, wegen seines jugendlichen Muthes gefährlich scheinenden König; bis es zwischen ihnen zu so offener Uneinigkeit kam, daß man, als Konrad im Julius 1101 plötzlich starb, den, jedoch unerwiesenen Verdacht aussprach: Avienus, der Leibarzt Mathildens, habe ihn vorsätzlich vergiftetUrsp. zu 1101.  Colon. chr. 917.  Donitzo II, 13.  Sigeb. Gemblac.  Landulph. jun. 1.  Alberic. 190.  Pagi zu 1101, c. 3.  Mecatti I, 37.  Konrads Grabmahl ist nicht mehr in Florenz vorhanden. Camici zu 1101, S. 26.  Borghini IV, 326..

Schon zwei Jahre früher, am 29sten Julius 1099 war Papst Urban II gestorben, und an seine Stelle Paschalis II, ein geborner RömerDonitzo II, 10.  Halberst. chr. 130.  Alber. 185.  Order. Vital. 456.  Roger Hov. 467.  Simeon Dunelm. de reg. Angliae.  Über seine Ältern. Bonoli 51., erwählt worden. Sogleich erneute dieser den Bann wider den Kaiser und den Gegenpapst Klemens, welcher letzte aber, seiner schweren unruhigen Rolle ohnehin überdrüssig, im Jahre 1100 starb. Er war, nach unparteiischen ZeugnissenAnn. Saxo, Ursp. chr., Alb. Stad., Donitzo II, 10., ein Mann von großem Verstande, Beredsamkeit, Kenntnissen und äußerer Würde. Das, bei seinem Leben wo nicht feindlich, doch gleichgültig gegen ihn gesinnte Volk, erhob ihn itzt aufs höchste, und allgemein verbreitete sich der Ruf, daß an seinem Grabe mannigfache Wunder geschähen. Deßhalb ließ 240 {1100} Paschalis (dem dies gebühre dem ketzerischen Empörer) den Leichnam seines Gegners ausgraben und in die Tiber werfen. Nach heftigem, fruchtlosem Zorne, verlor sich die Theilnahme der Menge so schnell als sie entstanden war, und die Bemühungen einzelner neue Gegenpäpste aufzustellenDodechin zu 1099.  Concil. XII, 963.  Pagi zu 1100, c. 4., blieben um so mehr ohne erheblichen Erfolg, da mannigfache Geschäfte den Kaiser noch immer in Deutschland festhielten, und er durch weltliche Mittel nicht so viel Anhänger gewann, als Paschalis ihm auf der anderen Seite durch kirchliche Maaßregeln entzog.

Deßhalb söhnte sich Heinrich IV im Januar 1103 auf einer Reichsversammlung in Mainz völlig mit seinen alten Feinden, den Sachsen, aus und erklärte öffentlich: in dem Augenblicke, wo die Einigung zwischen Reich und Kirche zu Stande kommeChron. August.  Alberic. 192.  Dachery spic. III, 443.  Albert. Stadens., werde er das Kreuz nehmen und seinem Sohne die Regierung abtreten. So groß und allgemein war damals die Vorliebe für die Kreuzzüge, daß der Kaiser durch diese Erklärung plötzlich die Gemüther der Fürsten, der Geistlichen und des Volkes gewann; während der Papst sehr gut einsah, daß die Bedingung, von welcher Heinrich seinen morgenländischen Zug abhängig gemacht hatte, gegen ihn gerichtet war. Denn er mochte nun durch große Nachgiebigkeit die Aussöhnung herbeiführen, oder durch festes Beharren auf größeren Forderungen den Streit verlängern: immer war und blieb der Kaiser im ersten Fall der gewinnende, im zweiten der leicht entschuldigte, den Papst wegen Verhinderung eines heiligen Kreuzzuges anklagende Theil. In diesem bedenklichen Augenblicke fand aber Paschalis, – vielleicht nicht unerwartet und ohne mittelbare Einwirkung –, einen neuen mächtigen Verbündeten.

Am 12ten December 1104, als der Kaiser bei Fritzlar stand, um gegen einige Widerspenstige vorzurücken, erscholl 241 {1104} auf einmal des Morgens zu allgemeinem Erstaunen die KundeDie angeführten Quellen, und Vita Henr. IV, c. 9.: König Heinrich der jüngere sey mit mehren aus dem Lager entflohen, niemand wisse weshalb und wohin. Bald nachher erfuhr man indeß: er sey in Baiern angelangt, habe sich mit dem Markgrafen Theobald von Vohburg, dem Grafen von SulzbachDiese baierischen Großen zürnten dem Kaiser, weil er die, von seinem Heere einem ihrer Genossen angethane Gewalt, nicht zu strafen wagte. Das Nähere siehe in Menzel II, 852. und mehren andern zu offenbarem Aufstande vereint, und dem Papste, gegen Lösung vom Banne und anderweite Unterstützung seines Vorhabens, Gehorsam versprochen. Solche Strafe, sagte Paschalis, sendet der Herr Frevlern und Ketzern; er ließ durch Bischof Gebhard von Konstanz den König vom Banne lösen und von dem, seinem Vater geschwornen Eid lebenslänglichen Gehorsams entbinden. – Nach Empfang dieser übeln Nachrichten suchte auch der Kaiser sogleich neue und billige Unterhandlungen mit dem Papste anzuknüpfen, allein sein Gesandter, der Patriarch von Aquileja, fand kein Gehör; {1105} er schickte die Erzbischöfe von Köln und Trier, den Herzog Friedrich von Schwaben und den Kanzler Ertolf nach Baiern1105 nach heilige drei Könige. Hildesh. Ann., und ließ seinen Sohn erinnern an die Bande des Blutes, an den, die Kindespflichten noch verstärkenden Eid, an das Unheil bürgerlicher Streitigkeiten; – aber auf dieses und ähnliches gab Heinrich V nur kurz zur Antwort: sobald sein Vater sich vom Banne löse und mit der Kirche aussöhne, werde er ihm gehorsamen.

Durch Jagden und Vergnügungen anderer Art hatten leichtsinnige und böswillige Genossen den, itzt dreiundzwanzigjährigen König erst an sich gezogen, dann bemitleidet über die strenge Aufsicht seines Vaters und beklagt, daß dessen lange tadelnswerthe Regierung, die schönere Wirksamkeit seiner kräftigeren Jugend und seiner größern Anlagen ausschließe. »Es ist,« so fuhren jene in ihren 242 {1105} verführerischen Darstellungen fort, »das höchste Unrecht, sich hartnäckig von der beseligenden Gemeinschaft der Christen zu trennen, und dadurch das Verderben der Seelen von vielen tausend Gebannten auf sich zu laden; es ist die erste Pflicht, Gott und der Kirche überall zu gehorsamen, die höchste Thorheit, sich einzubilden, man könne wider den Willen des Papstes die Kaiserkrone erlangen oder behaupten.« – Nur zu gern gab Heinrichs V heftiges und ehrgeiziges Gemüth diesen Anreizungen Gehör: er zog, alle milden Auswege verschmähend, von mehren Edeln aus Baiern, Schwaben und Franken begleitet, nach Erfurt, ward hier von dem Erzbischofe Rothart von Mainz, einem alten Feinde des Kaisers, freudig empfangen und über Quedlinburg nach Goslar begleitet. Hier traten fast alle sächsischen Fürsten auf seine Seite, und fast alle sächsischen Städte kamen in seine Gewalt; Rothart von Mainz und Gebhard von Konstanz löseten ganz Sachsen vom Banne, und sprachen ihn von neuem aus über den Kaiser und dessen Anhänger.

Auf einem zweiten größeren ReichstageAußer den Obigen, Laurish. chr. 138.  Harzheim concil. III, 248.  Gemeiner Chronik 200.  Abhandl. der baier. Akademie II, 55.  Wir müssen der Kürze halber manches einzelne übergehen, was theils gegen den Kaiser, theils für ihn zeugt., welcher gegen Ende des Monats Mai 1105 in Nordhausen unter Rotharts Leitung gehalten wurde, benahm sich König Heinrich mit verstellter, aber dennoch wirksamer Bescheidenheit. Erst als die Bischöfe und Fürsten ihn beriefen, trat er, ärmlich gekleidet, in ihre Versammlung und ließ sich von der eingenommenen niederen Stelle, zu der höheren hinanführen. Noch mehr wirkte es, als er den Geistlichen alle Rechte bestätigte und Herstellung des Kirchenfriedens wiederholt als einzigen Grund seines Abfalles bezeichnete. – Die bedenkliche Frage über die Investitur ließ Heinrich gern unerörtert, da er der Geistlichen, wie des Papstes, noch zu sehr bedurfte; einige andere, ungeziemende Gesuche wies er 243 {1105} dagegen mit großer Festigkeit zurück, welche er äußerlich in Milde einzukleiden wußte.

Nach Beendigung des Reichstages zog Heinrich, um seinen Beschützer den Erzbischof Rothart wieder einzusetzen, mit Heeresmacht gen MainzAlberic. 193. Auch die Erzbischöfe von Trier und Köln, benahmen sich mehr als zweideutig.. Weil indeß viele Fürsten und Mannen, trotz der päpstlichen Eideslösung, wegen des, dem Kaiser und dem Könige geschwornen doppelten Eides, für das Heil ihrer Seelen besorgt und offenem Kriege abgeneigt waren, so kam es zu neuen Unterhandlungen, wobei sich Heinrich IV erbot, das Erbrecht seines Sohnes zu bestätigen und ihm das halbe Reich abzutreten. Diesen großmüthigen Vorschlag mußte der letzte ablehnen, weil sein ganzes Unternehmen sonst, alles scheinbaren Vorwandes ermangelnd, nur als nichtswürdige Empörung erschienen wäre; er mußte darauf bestehen, daß sich der Kaiser dem päpstlichen Stuhle unterwerfe.

Außer Stande den Übergang über den Rhein zu erzwingen, wandte sich Heinrich V nach Franken, vertrieb den kaiserlich gesinnten Bischof Erlong aus Würzburg, eroberte Nürnberg nach zweimonatlicher Belagerung und entließ endlich bei Regensburg sein Heer; theils weil die meisten nicht länger im Felde stehn wollten, theils weil man glaubte von dem, aller Macht beraubten Kaiser sey nichts zu befürchten. Unerwartet drang dieser indeß nach Franken vor, setzte Bischof Erlong wieder ein, verwüstete die Besitzungen der Anhänger seines Sohnes und erreichte RegensburgAnfang August. Hildesh. ann., dessen Bürger ihn mit Freuden aufnahmen. In dieser Bedrängniß, wo von neuem viele zweifelten ob die ganze Fehde mit Treue und Gerechtigkeit verträglich sey, führte König Heinrich sein, in Eile neu gesammeltes Heer angeblich aus Achtung vor seinem Vater über den Fluß Regen zurück, und erklärte wiederholt: er kämpfe nur für dessen 244 {1105} Wohl und Seelenheil, wolle aber keineswegs sein Mörder werden. – Mittlerweile gewann er durch große Versprechungen den Markgrafen Leopold von Österreich und den Herzog Boriwoi von BöhmenOtto Fris chr. VII, 9.  Vita Henr. c. 10.  Alber 196. Vergleiche jedoch Cosmas 2089 über die Böhmen. Heinrich V versprach seine Schwester Agnes an Leopold. Mellic chr. zu 1106., deren Mannen einen Hauptbestandtheil des kaiserlichen Heeres ausmachten; so daß Heinrich IV in dem Augenblicke wo er anzugreifen und zu siegen gedachte, durch die unerwartete und beharrliche Weigerung jener Fürsten, in die größte Verlegenheit gerieth. Um dieselbe Zeit ließ ihn der König, angeblich aus kindlicher Liebe warnen: er möge sein Leben wider die, in seinem eigenen Heere angezettelte Verschwörung sichern. Durch diese Botschaft, welche ihre Bestätigung in dem Benehmen jener Fürsten zu finden schien, noch mehr geängstet, entwich der Kaiser mit wenigen in der Nacht aus seinem Lager und erreichte auf großen Umwegen den RheinNach den Ann. Hildesh. floh er durch Böhmen und Sachsen, was gegen die feindliche Stellung der Böhmen beweisen würde. – Marignola 187.. Dahin folgte ihm, alle Hindernisse besiegend, sein Sohn, und berief zu Weihnachten 1105 einen Reichstag nach Mainz. Weil jedoch der Kaiser, besonders mit Hülfe des Pfalzgrafen Siegfried, ein neues Heer bei Koblenz gesammelt hatte und die Besorgniß entstand er möge den Reichstag stören, oder gar dessen Herr werden: so bat ihn sein Sohn demüthig um eine Zusammenkunft, damit sie sich im Gespräch darüber einigen möchten, was für beide ehrbar und heilsam sey. Heinrich IV bewilligte dies Gesuch: als er aber seinen Sohn erblickte, ergriff ihn zugleich Schmerz und Liebe so gewaltig, daß er zu dessen Füßen niederstürzte und ihn bei Gott, bei seinem Glauben, bei dem Heile seiner Seele beschwur, sich nicht mit unverantwortlichen Gewaltthaten zu beflecken. Denn wenn auch seine, des Kaisers Sünden, die 245 {1105} Strafe des Himmels verdient haben möchten, so widerspreche es doch göttlichen und menschlichen Gesetzen, daß der Sohn an dem Vater Rache üben wolle. – Scheinbar gerührt und erweicht umfaßte der König hierauf seines Vaters Knie, bereute alles, was er zeither gegen ihn unternommen, und versprach Gehorsam; nur möge der Kaiser sich mit dem päpstlichen Stuhle aussöhnen. Hiezu zeigte sich dieser nicht allein im allgemeinen geneigt, sondern erklärte auch: er sey bereit die Beschlüsse zu befolgen, welche die versammelten Fürsten über geistliche und weltliche Angelegenheiten fassen würden.

Nach dieser unerwarteten Einigung über den wesentlichsten Punkt, versprach Heinrich V seinen Vater ungefährdet nach Mainz zu führen, und die aufrichtigsten Bemühungen für die Beseitigung alles Streites anzuwenden. Innerlich aber ward er sehr bange, ob nicht viele Fürsten ihn alsdann verlassen und auf die Seite des Kaisers treten würden. Deßhalb ergriff er die, vielleicht auf seine Veranlassung eintreffende Nachricht, daß die Schwaben und Baiern Mainz besetzt hätten, und eilte dahin, angeblich um die Wahrheit jener Erzählung zu erforschen. Diesen Augenblick seiner Entfernung benutzten des Kaisers Anhänger, ängstlich geworden über die unerwartete Wendung der Dinge; sie warnten und baten ihn: er möge sich nicht allzu gutmüthig durch friedliche Versprechungen täuschen und ins Verderben locken lassen. – König Heinrich kehrte aber ganz unbefangen zurück, schwur nochmals, er sey bereit Leib und Seele für seinen Vater aufzuopfern, und beschwichtigte und beschämte dadurch jene Ankläger. So kam man bis in die Gegend von Bingen, wo sich, wider die ursprüngliche Abrede daß jeder Theil nur 300 Mannen mit sich nach Mainz nehmen solle, die Zahl der Begleiter des Königs auf besorgliche Weise mehrte. Da hub dieser endlich an: »Vater, der Erzbischof von Mainz will euch nicht in seine Stadt aufnehmen, so lange ihr im Banne seyd; ich wage es nicht euch unter eure Feinde zu führen. Bleibt 246 {1105} deshalb zurück und feiert hier das Weihnachtsfest, während ich nach allen Kräften für euch wirke.« – Der Kaiser antwortete: »Gott sey Zeuge und Richter zwischen mir und dir! Aber auch du weißt ja selbst, was ich gethan habe um dich zum Manne zu bilden, welche Mühe und Sorgen ich deinetwillen getragen, welche Feindschaften ich zu deinem Besten ausgefochten habe: möchtest du dich hiefür wahrhaft dankbar bezeigen!« – Zum dritten Male verpfändete der Sohn sein Haupt für den Vater und eilte nach Mainz; der Kaiser zog in Bingen ein. Kaum war er jedoch hier angelangt, so ward der Verrath plötzlich offenbar: man setzte ihn gefangen, verjagte alle seine Gefährten bis auf drei, und der Bischof Gebhard von Speier (ein geborner Graf von Urach)Würdtwein nova subsid. I, 134.  Gallia sacra VI, 724. welcher, alle früheren Wohlthaten des Kaisers vergessend, die Leitung des Ganzen übernommen hatte, ließ ihn aus eigener Härte oder nach erhaltener frevelhafter Weisung, so sehr an allem Mangel leiden, daß man ihm weder zum Baden Wasser bewilligte, noch erlaubte sich den Bart zu scheeren. Schrecklicher jedoch als dies und ähnliches, als Drohungen, Durst und Hunger, erschien es dem Kaiser, nach seinem eigenen Geständnisse: daß er, das Haupt der Christenheit, unter allen Christen allein verhindert ward, das tröstliche Fest der Geburt Jesu zu feiern!

Zu dem so Erschöpften, Niedergedrückten, sandte König Heinrich die Erzbischöfe von Mainz und Köln und den Bischof von WormsAlberic. 196.  Albert. Stad. zu 1106.. Sie sprachen: »gieb uns Krone, Ring und Purpur zurück, damit wir es deinem Sohne überbringen.« – Als der Kaiser nach den Gründen eines so unerhörten Beschlusses fragte, erwiederten sie: »du kennst sie am besten. Viele Jahre leidet die Kirche und das Reich durch deine Schuld, geistliche Stellen werden für Geld, nicht nach Verdienst besetzt, und Leiber und Seelen gehen zu Grunde. Deshalb ist es der Fürsten und des Papstes 247 {1105} einstimmiger Wille, dich Gebannten auch des Thrones zu entsetzen.« Da sprach der Kaiser: »Erzbischöfe von Mainz und Köln, was habe ich von euch, was von euch, Bischof von Worms, für eure Erhebung an Gaben empfangen?« – Beschämt antworteten sie: »nichts!« – »Und wahrlich,« fuhr jener fort, »eure Würden hätten meinem Schatze viel eintragen können. Wohl mir, daß ich hierin gerecht erfunden werde! Ihr aber, laßt euch rathen, befleckt eure Würde nicht durch Theilnahme am Unrecht, schändet die kaiserliche Würde (welche der Tod mir ohnedies bald nimmt) nicht durch so erniedrigenden Raub. Wenn euch aber weder Gründe der Klugheit, noch des Rechtes von jenem Vorhaben abbringen können, so verlange ich wenigstens eine Frist zur Untersuchung und will dann, sofern es einstimmiger Beschluß des Reichstages bleibt, meinem Sohne selbst die Krone aufsetzen.«

Die Gesandten beharrten unbeweglich auf ihrer ersten Forderung, und der Kaiser entfernte sich um mit den wenigen, ihm noch übrigen Getreuen zu rathschlagen; dann kehrte er im kaiserlichen Schmucke zurück, setzte sich auf den Thron und sprach: »ich muß Gott dem Herrn vertrauen, der mir die Krone gegeben hat, da eure Treue verschwunden ist! Wider äußere Feinde war ich gefaßt und gerüstet; aber der inneren, einheimischen, unerhörten Meuterei deutscher Fürsten und Bischöfe, habe ich nichts entgegenzustellen als die fruchtlose Erinnerung an ihren Eid und ihre Pflicht. Über meinen Sohn bleibt mir keine Macht, da die Ehrfurcht vor seinem Vater (unter guten Menschen das Heiligste und Bindendste) von ihm gewichen ist. Selbst Verbrechern wird sonst vom Kaiser Frist und Gehör bewilligt, itzt dem Kaiser nicht von Fürsten und Prälaten! Wenn euch das Andenken an eine höhere als die irdische Macht, wenn euch die Schaam vor Freveln nicht zurückhält; so nahet um mit unheiligen Händen euern Kaiser zu berauben.« – Eine solche Wendung der Dinge hatten die Prälaten nicht 248 {1105} erwartet, sie standen erschreckt und zaudertenIch glaube so, wie im Texte geschehen, die oben angeführten Quellen, Corner 640 und des Kaisers Brief bei Sigbert. Gemblac. zu 1106, vereinigen zu dürfen.. Da sprach Graf Wiprecht von Groitsch, der ihnen war zugesellt worden: »hat nicht unser neuer König gesagt, nur durch schnelle Einwilligung könne des Kaisers Leben gerettet werden?« – und der Erzbischof von Mainz fügte hinzu: »warum zögern wir den Auftrag der Fürsten zu vollziehen? Wenn wir den würdigsten auf den Thron erheben konnten, warum den unwürdigen nicht absetzen?« – Sie nahten, nahmen dem Kaiser die Krone vom Haupte, zogen ihm den Purpur aus und beraubten ihn aller Zeichen der irdischen Hoheit. Da rief Heinrich aus: »ich leide für die Sünden meiner Jugend, wie noch kein Fürst gelitten hat; aber eure That wird nicht gerechtfertigt durch meine frühere Schuld. Gott unser Herr wird euch strafen und euer Theil dem Theile dessen gleich seyn, der Christum verrathen hat.«

Die Bischöfe brachten die Kleinode nach Mainz zum Reichstage. Über funfzig Fürsten waren hier versammelt und zwei päpstliche Gesandten, die Bischöfe von Alba und von Konstanz, nahmen die Ansprüche der Kirche wahr. Diese hatten den Bann nochmals über den Kaiser ausgesprochen und verlangten, im Einverständnisse mit den heftigsten Fürsten und Prälaten, daß er sich persönlich stelle, Buße thue und freiwillig der Krone entsage. Mit unerwarteter Bereitwilligkeit ergriff der Kaiser diesen Vorschlag: denn er hoffte, in Mainz werde er seine Gesinnungen ohne Zwang äußern können, manche Fürsten zum Gefühle des Rechts bringen, ja vielleicht das Volk zu seinem Besten in Bewegung setzen. Aber alles was der Kaiser hoffte, fürchtete der König; und zwar um so mehr, da im Elsaß bereits Aufstände des Volkes begonnen hatten, deren Ursprung er kaiserlicher Einwirkung zuschriebAventini annal. V, 13., ob sie gleich ihren 249 {1105} nächsten Grund in der Willkür seiner eigenen Beamten hatten. Deshalb ließ er seinen Vater nicht nach Mainz, sondern nach Ingelheim bringen und glaubte, umgeben von Fürsten und Prälaten, von Geistlichen und von Kriegern, ihn hier durch Vorstellungen und Drohungen aller Art dahin zu bringen, daß er aus scheinbar freiem Entschlusse die Regierung niederlege. Der Kaiser, alt und leidenssatt und in seiner letzten Hoffnung getäuscht, zeigte sich dieser Forderung nicht durchaus abgeneigtVita Henrici IV, c. 11.  Hamersleb. monach. 710.  Udalscalci narrat. p. 11.  Concil. XII, 1122., und fügte nur die Frage hinzu: ob ihm nach Niederlegung der Krone wenigstens Friede und Sicherheit würde zu Theil werden. Der päpstliche Gesandte, Bischof Gebhard von Konstanz erwiederte: »nicht eher als wenn du eingestehst, Gregor VII widerrechtlich abgesetzt, Guibert widerrechtlich erhoben, und freventlich die Kirche und den apostolischen Stuhl verfolgt zu haben.« – Nach dieser unerwartet strengen Antwort bat der Kaiser von neuem: man möge ihm Ort, Zeit und Gericht bewilligen, damit er sich vor den Fürsten vertheidige und nach ihrem Spruche frei werde oder büße. Allein Bischof Gebhard, den Ausgang solcher Untersuchung fürchtend, gab zur Antwort: »du bleibst für immer gefangen, wenn du nicht auf der Stelle einen unbedingten Entschluß fassest.« – »Wird,« so fragte der Kaiser weiter, »nach unbedingtem Bekenntnisse sogleich die Lossprechung erfolgen?« – worauf der Bischof (überzeugt daß, sobald er den Kaiser vom Kirchenbanne löse, die meisten zu ihm übertreten würdenRegnum iterum ad eum transiret. Petershus. chron. 357.) erwiederte: »nein, dazu bin ich nicht befugt.« – »Wer den Beichtenden anzuhören wagt,« fuhr der Kaiser fort, »ist verbunden ihm die Lossprechung zu ertheilen.« – »Keineswegs,« entgegnete jener, »willst du vom Banne gelöset seyn, so mußt du nach Rom pilgern und dem apostolischen Stuhle in allem Genüge leisten.« – Als der Kaiser dies 250 {1105} hörte, fiel er in tiefster Zerknirschung seines Herzens auf die Knie nieder, bat um Gottes willen um Milde und Gerechtigkeit, und beschwur seinen Sohn, nicht das Unwürdigste an ihm zu vollbringen. Manchem Fürsten traten bei diesem Anblicke Thränen der Reue und Wehmuth in die Augen; aber die päpstlichen Bevollmächtigten beharrten auf ihrem Ausspruche, und der Sohn würdigte seinen Vater keiner Antwort, keines Blickes. Da stand dieser auf, versprach nochmals den Forderungen der Kirche zu genügen, empfahl (Christi Vorschrift eingedenk) seinen Sohn allen Gegenwärtigen und entsagte der Regierung.

Zum zweiten Male wählten und weihten die Fürsten und Prälaten Heinrich den fünften und am sechsten Januar 1106, am Tage der heiligen drei Könige, übergab ihm Erzbischof Rothart die Reichskleinode mit den WortenHildesh. ann.  Ursp. chr.  Otto Fris. chr. VII, 9-10.: »wärest du nicht gerecht und der Kirche Vertheidiger gewesen, so hätte dich das Schicksal des Kaisers, deines Vaters, getroffen.«

Ungeachtet aller Nachgiebigkeit erhielt dieser die Freiheit nicht wieder, und sagte deshalb zu Gebhard von SpeierCorner, l. c., Schiphover 138; zwar neuere, aber im wesentlichen mit den Annal. Hild. stimmende Quellen.: »Bischof, gieb mir eine Pfründe in deinem Stifte, noch kann ich zu Chore gehen; andere Hoffnung ist mir nicht geblieben.« – Allein auch diese Bitte schlug der Bischof ab und Heinrich sprach, indem er seufzend gen Himmel blickte: »schwer liegt die Hand des Herren auf mir.« – Doch ertrug er alles mit Geduld, bis ihm besorgliche Nachrichten hinterbracht wurden, daß man sogar seinem Leben nachstelle: da entschloß er sich zur Flucht und eilte, nach einem kurzen Aufenthalte in dem ihm befreundeten Köln, mit wenigen Begleitern gen Lüttich. Unterwegs hörten sie das Geräusch einer Jagd, und plötzlich stand Herzog Heinrich von Lothringen, welchen der Kaiser früher abgesetzt hatteBelg. chron. magn. 155.  Martene coll. ampliss. IV, 1022., 251 {1106} mit seinem Gefolge vor ihnen. »Wie ungerecht,« so redete der Herzog ihn an, »hast du mich behandelt!« Und der Kaiser erwiederte: »auch dafür leide ich in dieser Stunde.« Treuer jedoch als alle diejenigen, welche Heinrich IV begünstigt hatte, vergalt der Herzog Böses mit Gutem und schloß sich ihm mit seinen Kriegsleuten an. Auch bei anderen fand sich nach und nach Mäßigung und Gefühl des Rechts wieder ein, und insbesondere erklärten sich viele Städte (so Köln, Jülich, Bonn und andere) für den Kaiser; zum Theil weil sie nicht, wie die Fürsten, in der Hoffnung eigenes Gewinnes, die Unternehmungen des neuen Königs begünstigen konnten.

Sobald dieser von der Flucht seines Vaters und davon hörte, daß dessen Anhang sich bedeutend mehre; so suchte er ihn durch schmeichlerische Botschaften zu täuschen und zu beschwichtigen, machte aber zugleich bekannt: er werde das Osterfest in Lüttich, dem Aufenthaltsorte des Kaisers, feiern. Dieser antworteteVita Henr. IV, c. 12.  Radulph. a Diceto abbrev. chr. zu 1106.: er habe seit den gemachten Erfahrungen überall Nachstellung und Arglist fürchten müssen, und sich deshalb an die Gränzen des Reiches begeben, wo man ihm Ruhe, die er allein suche, verstatten möge. Auch könne er dem Könige um so weniger rathen, nach Lüttich zu kommen, als das dasige Volk sehr gegen ihn aufgebracht sey. – Weil nun der Kaiser nicht, wie seine Feinde gehofft hatten, feige floh oder sich überlisten ließ, so brach Heinrich V, ohne Rücksicht auf die erwähnte Warnung mit Heeresmacht gen Lüttich auf. Unterweges aber trafen ihn Boten des Bischofs dieser Stadt und des Herzogs von Lothringen, welche erklärten: niemand sey auf Rache, jeder nur auf Behauptung des Friedens bedacht; doch werde man Gewalt mit Gewalt vertreiben und nicht dulden, daß das heilige Osterfest zu Nachstellungen gemißbraucht werde. Unbekümmert um diese Einreden zog der König vorwärts bis zur Maas, fand aber das jenseitige Ufer mit kaiserlichen 252 {1106} Mannen gedeckt, bis endlich am grünen Donnerstage dieDachery spicil. II, 679, wie es schien aus Nachlässigkeit unbesetzte Brücke bei Viset, einen Übergang darbot. – »Laßt sie nur herüberkommen,« sprach Herzog Heinrich von Lothringen, der alle Mannschaft befehligte, »wir wollen den neuen König in unserem wohlgelegten Hinterhalt empfangen, wie er es verdient.« Da fiel ihm der Kaiser in die Rede und sagte: »schone meines Sohnes!« – worauf jener verwundert ausrief: »er hat euch vom Throne gestoßen, und ich soll seiner noch schonenIste de regno vos ejecit, et ego parcam illi? Anonym. Saxo 99.!« – In dem gleich hierauf beginnenden Gefechte, rettete der König zwar sein Leben, ward aber so aufs Haupt geschlagen, daß der Kaiser bis Köln vorrücken, die Stadt besetzen und befestigen, und ungestört nach Lüttich zurückkehren konnte.

Durch dieses Glück ermuthigt, forderten ihn seine Anhänger auf: er solle die kaiserliche Würde wieder übernehmen und frühere Versehen mit erneutem Eifer und erhöhter Einsicht wieder gut machen. Er gab aber zur Antwort: »das Reich, das ich im Besitze der Krone und aller Macht verloren habe, werde ich nach deren Verlust nicht wieder gewinnen; und ich will lieber Unrecht leiden und würdelos sterben, als zugeben, daß um meinetwillen noch viele ihren Untergang finden.« – Diese Ansichten tadelten jene unablässig, als aus falscher Milde hervorgehend; und lange erklärte sich der Kaiser, in Erwartung weiterer Ereignisse, weder bestimmt für, noch bestimmt gegen ihre erneuten Vorschläge. Endlich aber erließ er Schreiben an alle Fürsten, Bischöfe, Grafen und Stände des Reiches, worin er dem allmächtigen Gotte, der Jungfrau Maria seiner Herrinn, dem heiligen Petrus als erstem der Apostel und allen Hohen und Niederen vorstellte, welch Unrecht ihm widerfahren sey! Obgleich die KircheHenrici IV epist. 6, 7, 8.  Alberic. 204.  Chronogr. Saxo.  Annal. Saxo, sonst Quelle des Trostes, Heiles 253 {1106} und Friedens, ihm nur Verfolgung und Bann bereitet habe und in ihren Forderungen kein Maaß kenne; so sey er doch noch immer bereit, ihr Genugthuung zu leisten und sich mit dem Papste auszusöhnen. – mithin bleibe seinem Sohne durchaus kein Vorwand längerer Widersetzlichkeit, und nicht Religionseifer, sondern Herrschsucht sey die Triebfeder seiner Handlungen. Wenn es den Fürsten und Bischöfen an aller Rechtlichkeit fehle, oder ihre Verwendung ohne Erfolg bleibe; so berufe er sich selbst auf den Papst und die römische Kirche, damit diese alle Streitigkeiten untersuche und entscheide.

Gleichzeitig beschwerte sich König Heinrich der jüngere seinerseits aufs lebhafteste gegen die Fürsten: sie hätten ihn gewählt und eingesetzt, und nun treffe sie und das Reich nur Unglück und Schande. Er drang auf die Ächtung seiner Gegner, auf schnelle Rüstungen und legte den Fürsten den Entwurf eines Schreibens an den Kaiser vor, dem sie endlich beitraten. Es hieß darin: seit vierzig Jahren sey Deutschland durch geistliche und weltliche Spaltungen, durch Krieg, Mord, Brand und Meineid verödet, vom rechten Glauben entfremdet und fast dem Heidenthume wieder anheim gefallen. Zur Abstellung so ungeheurer Übel habe man das einzig genügende Mittel, die Absetzung des Kaisers, endlich ergreifen müssen und von seinem eigenen Stamme einen rechtgläubigen König erwählt. Der Kaiser thue Unrecht, wenn er nach Entsagung des Thrones, nach Aushändigung der Reichskleinode, nach Anempfehlung seines Sohnes, nach dem Versprechen, nicht weltlicher Größe, sondern nur seines Seelenheils zu gedenken, dennoch feindlich verfahre und dem Reiche in England, Frankreich, Dänemark, kurz überall, Feinde zu erwecken und es noch mehr zu zerstören suche. Indessen wolle sich der König, die ihm anhangenden Fürsten und das ganze rechtgläubige Heer nachgiebig zeigen, und an einem, von dem Kaiser auszuwählenden Orte, vor allen Großen und allem Volke Recht nehmen 254 {1106} und Recht gebenUrsperg. chr., als wenn über die Spaltungen, die Ursachen des Unheils, als wenn noch über gar nichts entschieden wäre. Nur dürfe der Kaiser die Feststellung gesetzlicher und genügender Verhältnisse im Reiche und in der Kirche, nicht nach seiner Weise lange hinausschieben, sondern sie müsse sogleich erfolgen.

Zu diesen mildern Vorschlägen trieben wohl zwei Gründe: einmal die innere Gesinnung einzelner Fürsten, dann die Schwierigkeit alle Überreste kaiserlicher Macht schnell zu besiegen. Das hochwichtige Köln, welches den Rhein beherrschte und an Vorräthen und Zufuhr keinen Mangel hatte, ward von Heinrich V mehre Wochen lang mit 20,000 Mann ohne den geringsten Erfolg belagert; bis Hunger, Krankheiten und Noth aller Art im Heere des Königs ausbrachen, und nicht wenige seiner muthigsten Anhänger umgekommen waren. Hievon wohl unterrichtet, behandelte der Kaiser die Gesandten seines Sohnes strenge, weil sie alle Gemeinschaft mit ihm, als mit einem Gebannten, zurückwiesen, und gab auf jenes Schreiben die Antwort: zu allererst müßten von beiden Seiten die Waffen niedergelegt, und dann ein Reichstag angesetzt werden. Heinrich V bot hierauf einen achttägigen Waffenstillstand, um binnen dieser Frist durch mündliche Verabredungen eine Aussöhnung zu Stande zu bringen; allein der Kaiser beharrte dabei, daß dies nicht angehe ohne allgemeinen Reichstag. Weit mehr als von seinem Sohne, erwartete er also noch immer von den FürstenHenrici IV epist. 9.!

Itzt hob der König, aus Furcht zwischen den Bürgern von Köln und den Kaiserlichen eingeschlossen zu werden, die Belagerung jener Stadt auf und wandte sich nach Lothringen, in großer Besorgniß über den endlichen Ausgang seines Unternehmens. Da traf unerwartet der, früher von Heinrich IV gefangene Bischof Burkard von Münster bei 255 {1106} ihm ein und sprach: »der Kaiser dem Vater sendet dir das Reichsschwert, welches er von allen Kleinoden allein noch besaß; er ist am Jahrestage der Schlacht bei der Unstrut, am siebenten August, in Lüttich gestorben und läßt um Verzeihung für seine Anhänger und um ein angemessenes Begräbniß bitten.«

Aber nur in jenen himmlischen Wohnungen fand der lebensmüde Pilger Ruhe und Frieden; hier traf der Haß, ohne Rücksicht auf jene letzte milde Bitte, auch seine irdische Hülle. Denn der Bischof von Lüttich, welcher sie feierlich in der Kirche des heiligen Lambert beisetzte, ward, nach dem Beschlusse der Fürsten und Bischöfe, gezwungen, sie wieder ausgraben zu lassen. An ungeweihter Stelle, ohne Seelenmessen, ohne alle Feierlichkeiten stand itzt des Gebannten Leiche auf einer einsamen Insel in der MaasAnnal. Hildesh.  Donitzo II, 15.  Dodechin zu 1106.  Martene coll. ampl. IV, 1080.. Nur ein einziger, aus Jerusalem herzukommender Mönch, betete hier und sang, ohne je den Todten zu verlassen, welcher erst geraume Zeit nachher mit Heinrichs V Bewilligung in einem steinernen Sarge nach Speier gebracht wurde. Schon wollte Erkenbald, der getreue Kämmerer, den Kaiser in der von ihm erbauten Marienkirche unter Begleitung des Volkes und der Geistlichkeit beisetzen lassen, als der Bischof alle hinaustrieb und den Gottesdienst untersagte. Unbegraben stand seitdem der Leichnam in einer abgelegenen ungeweihten Kapelle; aber das Volk dieser Gegend, welches den Kaiser ungemein geliebt hatte, wallfahrtete unter lautem Jammer zu jener Stätte. Erst nach fünf Jahren, nachdem sich viele Umstände geändert hatten, feierte Heinrich V in Speier das Begräbniß seines VatersGerken VIII, Urk. 6.  Würdtwein nov. subs. I, 162., und ertheilte der Stadt große Freiheiten von Zöllen und Abgaben, worüber eine goldne Inschrift an der Vorderseite der Hauptkirche das Nähere besagte.

256 {1106} Kaiser Heinrich IV hatte herrliche Anlagen und ein menschliches Gemüth; aber nicht immer die feste Haltung eines großen Charakters. Vernachlässigte Erziehung und eine üppige Jugend, hinderten die Vollkommenheit seiner Ausbildung: doch gestehen selbst seine Feinde (welche ihn Ketzer, Erzräuber u. s. w. schelten), daß Geist und mancherlei Kenntnisse, Beredsamkeit und Tapferkeit, Großmuth selbst gegen Feinde, daß endlich Schönheit und Gewandtheit des Leibes ihn vor unzähligen der Herrschaft würdig zeigten. Wer aber hätte in einem so großen Wendepunkte der Zeit, unter so widerstrebenden Ansichten und Ansprüchen nicht fehl gegriffen? Wer wäre im Stande gewesen, solche Bewegungen, bei solchen Gegnern, ganz seinem Willen zu unterwerfen?

Heinrich V unternahm es: – während die Fürsten glaubten, er, der seines eigenen Vaters nicht schonte, werde sich von ihnen immerdar beherrschen lassen, weil er ihnen geschmeichelt hatte, so lange er ihrer bedurfteSuger vita Ludov. VI, 288.  Wilh. Malmesb. 115.; – während Paschalis, welcher unedel die Empörung befördert hatte, sicher hoffte, er werde an dem Könige einen treugehorsamen Diener finden, weil ja dessen ganze Unternehmung nur das Beste der Kirche bezweckt habe! Alle fanden sich getäuscht, und alle ohne Ausnahme traf nach einander diejenige Strafe, welche jedes Unrecht verdient, aber nicht immer schon auf dieser Erde findet. 257

 


 


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