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{1099} Mit der Niederlage Korbogas vor Antiochien war bereits ein volles Jahr verflossen, ohne daß die seldschukischen Türken irgend etwas Erhebliches gegen die Christen unternommen hätten. Denn Sultan Borkeiarok warAbulfeda 1097-1099., nach seines Oheims Arslan Arguns Tode, kaum Herr von Chorasan geworden, so vereinten sich seine Brüder Muhamed und Sangar noch inniger als vorher, und bedrängten den, nur auf kurze Zeit übermächtigen von allen Seiten so sehr, daß er an seine eigene Rettung denken mußte und gegen die Kreuzfahrer nichts unternehmen konnte. Weit mehr als Borkeiarok, wurden aber die Fürsten Dokak von Damaskus und Rodvan von Aleppo durch die Christen bedroht; weshalb es ihnen weniger als den Beherrschern des inneren Asiens zu verzeihen ist, daß sie noch immer ihrer früheren Zwistigkeiten nicht vergaßen. Irrig wähnten sie, der Angriff sey nur gegen die ägyptischen Fatimiden gerichtet; und so wie in späterer Zeit Katholiken sich wohl eher mit den Türken, als mit den Protestanten einigten, so wünschten die sunnitischen Seldschuken den Pilgern Glück gegen die alidischen Fatimiden; sie wünschten daß die Christen, welche den Propheten und alle seine Anhänger verfluchten, über diejenigen siegen möchten, welche nur die Rechtmäßigkeit einiger Chalifen in Zweifel zogen! – Sultan Mosta 199 {1099} Abu-'l-Kasem von Ägypten hatte zur Zeit der Belagerung Antiochiens die Freundschaft der Kreuzfahrer gesucht, und die Schwächung der seldschukischen Herrscher benutzt, um durch seinen Vezier Afdal, Tyrus und einen Theil der früher verlornen Seeküste wieder zu gewinnen; ja er hatte, – in diesem Augenblicke das wichtigste, – Jerusalem erobert und die Ortokiden vertrieben, welche von den Seldschuken eingesetzt und bestätigt warenAbulfeda setzt diese Eroberung Jerusalems aufs Jahr 1096. Abulfar. 240 aufs Jahr 1098. Alb. Acq. 283, Ekkeh. 523, Wilh. Tyr. 743 aufs Jahr 1099.. Hiedurch änderte sich das Verhältniß Mostas zu den Christen gänzlich, und er hielt die, von Antiochien an ihn abgeschickten Bevollmächtigten, unter allerhand ehrenvollen Vorwänden so lange in Ägypten aufHist. belli sacri 151, 167, 206. Gilo 237. W. Tyr. 740., daß sie, von seinen Gesandten begleitet, erst bei Arka im Lager der Christen eintrafen. Mosta versprach itzt nicht, wie vorher, Hülfe und Beistand gegen die seldschukischen Herrscher, er klagte vielmehr über die feindliche Behandlung seiner Besitzungen in Syrien und verlangte: die Kreuzfahrer sollten nicht mit Heeresmacht gen Jerusalem ziehen, sondern nur in unbewaffneten Abtheilungen von zwei- bis dreihundert Pilgern zur Stadt kommen, nach verrichtetem Gebete aber sogleich zurückkehren. Die Fürsten erwiederten, ohne Rücksicht auf die reichen Geschenke Mostas: sie wären nicht nach Syrien gekommen, um den Befehlen eines Sultans von Ägypten zu gehorsamenAccolti IV, 283. Elmacin. 294. Michaud I, 357. Nach Otto Frising. chr. VII, 4,, waren die lateinischen Gesandten gegenwärtig, als die Ägypter Jerusalem eroberten, und bewirkten durch ihr Ansehn eine schnellere Übergabe (?)., sondern würden, mit Gottes Hülfe und unbekümmert um seine Einwendungen, das Ziel ihrer Wallfahrt erreichen. Hiedurch war also der Krieg erklärt, und die gewaltsame Eroberung Jerusalems nöthig geworden.
200 {1099} Jerusalem liegt auf vier BergenReland 850. Fretellus 437. Brocardi descr. bei Canis. IV, ps. 1, p. 17. Bernardo Amico p. 31. Pococke description Vol. II., zwei größeren, Zion und Akra; zwei kleineren, Moria und Bezetha. Zion bildet den höchsten südwestlichen Theil der StadtClarke I, 2, 549., und aus dem engen Thale Ben Hinnon erheben sich gegen Mittag und Abend schroffe, unzugängliche Felsen; wogegen die Senkung des Berges gen Nordosten so gering ist, daß sich hier Moria nur als ein niederer Theil unmittelbar an Zion anschließt. Tiefer und breiter erscheint das Thal zwischen Zion und dem nordwärts gelegenen Berge Akra. Bezetha, der kleinste und niedrigste unter den Bergen, liegt östlich von Akra und nördlich von Moria. Aber von hier aus senkt sich nun das Land immer mehr und mehr, und geht auf der Seite gegen Mitternacht fast in eine Ebene über. Morgenwärts von Jerusalem und längs dem Fuße der Berge Bezetha und Moria fließt der Bach Kidron von Mitternacht gen Mittag, durch das Thal JosaphatBinos Reise 238. Le Bruyn II, 187.. Dieses Thal ist etwa 2000 Schritte lang und in der Mitte 400 Schritte breit; jenseit desselben liegt das Dorf Gethsemane, und der leicht ersteigliche, aber eine sehr weite Aussicht darbietende ÖlbergMan sieht bis zum todten Meere (Maier Reise II, 178), und der Ölberg ist wohl noch einmal so hoch, als Zion. (Paulus Reisen II, 72.). Während des Sommers und Herbstes trocknet der unbedeutende Bach Kidron aus, und die am Fuße des Berges Moria entspringende Quelle Siloe, gibt nur sehr wenig und überdies salziges, unangenehm schmeckendes Wasser.
Jerusalem hatte nicht zu allen Zeiten gleich viele ThoreÜber die Zahl der Thore siehe Reland, Dapper, Binos 220, le Bruyn II, 264, Epit. bell. sacr. p. 437. Die Descript. terrae sanctae in Bern zählt acht Thore auf, darunter Porta aquarum bei Siloe., in der nachfolgenden Erzählung werden nur drei 201 {1099} erwähnt: das Stephansthor gegen Mitternacht, das Davidsthor gegen Abend und das Ölbergsthor gegen Morgen. – Nach der mittäglichen Seite, wo die steilen Felsen des Berges Zion die Stadt begränzten, fand kein Ausgang Statt. Doppelte Mauern umgaben alle diejenigen Theile JerusalemsWilh. Tyr. 746., welche nicht von Natur hinlänglich geschützt waren, und auf der westlichsten Spitze des Berges Zion lag der sogenannte Thurm DavidsDavid hatte ihn übrigens nicht erbaut. Phocas in Leon. Allat. Symmict. I, 20., eine Burg, zu deren Bau man die größten Werkstücke verwandt, und mit festem Kitt und gegossenem Blei unauflöslich verbunden hatte.
Der von dem Chalifen Omar aufgeführteVitriac. hist. Hier. 1079. Radziv. peregr. 75., durch Mervan weiter geschmückte Haupttempel, stand an der mittäglichen Seite des Berges Moria auf einem ebenenW. Tyr. 748. Dapper II, 389. Binos 222 seq. Chateaubr. II, 368., 500 Schritte langen, 400 Schritte breiten, rechtwinkligen Platze, welcher rings mit Mauern und bedeckten Gängen umgeben war. Vier gewölbte, etwa sechszehn Fuß hohe und sieben Fuß breite Thore, führten von den vier Weltgegenden zu diesem VorhofeDescr. itin. in terr. sanct. p. 1347. spricht von drei Thoren nach jeder Weltgegend; W. Tyr. hat überhaupt vier, davon zwei gegen Abend; gegen Mittag habe der königliche Palast daran gestoßen. Pez. thesaur. I, 3, 496.; und über den Thoren und in den Ecken der Mauern standen Thürme, von welchen die muhamedanischen Geistlichen das Volk zum Gebete beriefen. Innerhalb jenes Vorhofes erhob sich ein, um sechs Fuß erhöhter zweiter Platz, 200 Schritte lang und 150 breit. Seine Seiten liefen mit den äußeren Umfassungsmauern des größeren Hofes gleich und vier kleine Treppen, den vier äußern 202 {1099} Thoren gegenüber, führten auf die erhöhte, mit weißem Marmor belegte Fläche, welche niemand, es sey denn mit entblößten reinlichen Füßen, betreten durfte. In der Mitte dieser Erhöhung stand endlich der achteckige Tempel, welcher 256 Schritte im Umfange hielt und dessen Höhe bis zu dem Anfange des, fast ganz platten mit Blei gedeckten Daches, etwa sechszehn Klaftern betrug. So wie die Umfassungsmauern, hatte auch der Tempel vier, nach den vier Weltgegenden gerichtete Thore; jedes derselben ruhte auf sechs verzierten Pfeilern von Marmor oder Porphyr. Die äußeren und inneren Wände des Tempels waren mit weißem, der Boden mit buntem Marmor belegt. Vier und zwanzig Säulen aus grauem Marmor, welche in einem großen Kreise standen, trugen das platte DachSeit dem Jahre 1100 scheint sich wenig geändert zu haben. Nach Ali Beys Reise II, 392, hat der Tempel 159½ Fuß, die Kuppel 47 Fuß im Durchmesser, und jede Seite des Achtecks fünf Fenster.; sechszehn im engeren um drei Fuß erhöhten Kreise, die Kuppel, welche sich in kleinerem Maaßstabe achtseitig und dem Tempel ähnlich, bis zu einer gewissen Höhe erhub. Dann erst deckte ein rundes, gewölbtes Dach ihre Mitte. Die acht Seiten der Kuppel waren mit Fenstern und Thüren durchbrochen, aus welchen man leicht auf das Dach des Tempels hinaustreten konnteKönig Balduin I ließ später, in großer Geldnoth, das Blei vom Dache abnehmen und verkaufte es. Fulch. Carn. 397.. – Diese Nachrichten von Jerusalems Lage und den vornehmsten Gebäuden, werden die folgende Erzählung verständlicher machen.
Sobald Iftikhar Eddaulah, der Befehlshaber des ägyptischen Chalifen, von der Annäherung der Franken Nachricht erhielt, ließ er eiligst die Thürme und Mauern der Stadt ausbessern und verstärken, Lebensmittel, Waffen und Kriegsbedürfnisse aller Art aufhäufen und die, ohnedies unfruchtbare Gegend, auf mehre Meilen in die Runde so verwüsten, daß nur einzele Ölbäume und stachlige Sträucher, nirgends aber Lebensmittel für Menschen oder Thiere übrig 203 {1099} blieben. Alle Christen, deren Treue irgend zweifelhaft erschienW. Tyr. 743. Michaud I, 373. Order. Vital. 753., wurden aus Jerusalem vertrieben, und nur wenigen gegen Zahlung großer Summen der längere Aufenthalt gestattet. Einzele endlich, welche früher den muhamedanischen Glauben angenommen hatten, traten, im Vertrauen auf die nahende Hülfe, zum Christenthume zurück und eilten in das Lager der Pilger; so Hugo Buduellus, ein normannischer Ritter, der eines Mordes wegen aus seinem Vaterlande vertrieben und nach vielem Umherirren zu den Türken übergegangen war. Er bereute itzt seine doppelte Schuld und wurde den Pilgern, bei seiner Kenntniß von der Sprache und den Sitten der Türken und Araber, sehr nützlich.
Durch die Gefahren bedrängt und durch Belohnungen aufgemuntert, hatten sich die Bewohner der benachbarten Städte nach Jerusalem begeben; man zählte an 40,000 bewaffnete VertheidigerWilh. Tyr. 750 giebt diese Zahlen., wogegen sich im Heere der Kreuzfahrer nur etwa 20,000 rüstige Fußgänger und 1500 Ritter befanden: – obgleich mit Einschluß der Alten, Kranken, Genesenden und der Weiber, die Zahl der Belagerer und Belagerten gleich seyn mochte.
Am Tage nach der Ankunft, am siebenten Junius des Jahres 1099, umlagerten die Fürsten Jerusalem, auf der Seite gegen Mitternacht und gegen Abend. Der Herzog von Lothringen stand mit den seinen vor der Burg Davids, wo die heftigsten Angriffe zu besorgen waren; neben ihm zur linken Tankred und der Graf von Toulouse; dann der Graf von Flandern; nordwärts endlich, vor dem Stephansthore, Graf Robert von der Normandie. Uneingeschlossen blieb dagegen die Stadt von der Ost- und Süd-Seite, denn die höheren Berge und das Thal Josaphat erschwerten hier jeden AngriffDiese Stellungen bezeugen Balder. 131, Tudeb. 809, Order. Vit. 752, Radulph. Cad. 183, Alb. Acq. 274. - W. Tyr. dagegen läßt den Herzog von Lothringen vor dem Stephansthore lagern, dann Robert von Flandern, Robert von der Normandie, Tankred, Raimund von Toulouse. Diese Angabe bezieht sich indeß vielleicht auf die später veränderten Stellungen, wo, wie wir sehn werden, der Herzog wirklich vor dem Stephansthore lagerte., und erst später wurden Abtheilungen zur 204 {1099} Bewachung des Ölberges ausgesandt. – Um die Kirche der Mutter Gottes, im Süden der Stadt, besser schützen zu können, schlug Graf von Toulouse bald nachher eigenmächtig sein Lager näher am Berge Zion aufRaim. de Agol. 174., und wurde deshalb fast von allen seinen Rittern verlassen; da sie aber seiner Reichthümer nicht entbehren konnten, söhnten sie sich wieder mit ihm aus.
Am fünften Tage der Umlagerung Jerusalems, wagten die Pilger einen allgemeinen Sturm und eroberten, nach langem und hartnäckigem Kampfe, die äußere Mauer. Als sich aber die Belagerten nunmehr hinter die höhere, innere Mauer zurückzogen, blieben alle Angriffe vergeblich und die, welche zu kühn auf Leitern hinanstiegen, wurden in die Tiefe hinabgestürzt. Man sah ein, daß die Stadt ohne Belagerungswerkzeuge nicht zu erobern sey; aber große Sorge entstand, woher man das Holz zu diesen Werkzeugen nehmen sollte, denn weit und breit um Jerusalem zeigten sich durchaus keine tauglichen BäumeW. Tyr. 751. Sanut. 147. Alb. Acq. 275. Hist. belli sacri 217. Gilo 261.. Da führte endlich ein syrischer, der Gegend kundiger Christ, die Franken gen Neapolis, wo sie in einem Thale, wenige Meilen von Jerusalem, Stämme fanden zwar nicht so stark und hoch als sie gewünscht, aber doch besser als sie erwartet hatten. Auch Tankred entdeckte bei einem StreifzugeRad. Cadom. 185. Hist. belli sacri 118., in einer weiten Höhle mehre große Balken, die noch seit der Zeit der ägyptischen Belagerung Jerusalems daselbst aufbewahrt wurden. Mit großem Fleiße begannen nunmehr die 205 {1099} Sachkundigen den Bau des Kriegszeuges; allein so groß war die Armuth der Fürsten, daß die Kosten dieser Arbeiten lediglich aus den, von dem Volke dargebrachten milden Beiträgen bestritten werden mußten; und nur der Graf von Toulouse blieb im Stande, nicht allein seine Arbeiter selbst zu bezahlen, sondern auch vielen Rittern eine baare Unterstützung darzureichen. Alle aber, die vornehmsten, wie die geringsten, zeigten gleichmäßig die äußerste Thätigkeit, und wer nicht an dem Bau jener Belagerungswerkzeuge unmittelbar Theil nehmen konnte, half wenigstens den Boden ebenen, schaffte Gesträuch zu Schanzkörben herbei, oder suchte auf irgend eine andere Weise das große Unternehmen zu fördern. Dennoch hielten die Belagerten sich ruhig, und hofften den Untergang der Pilger von einem neuen Übel, das furchtbar über diese hereinbrach.
Die wasserarme Gegend war durch die höchste Hitze des Sommers noch mehr ausgedörrtRobert. Mon. 74. Balder. 132. Guib. 534. Guill. Tyr. cont. 587., der Bach Kidron versiegt, Siloe unschmackhaft, und alle andere benachbarte Quellen von den Saracenen verschüttet oder zerstört. In Schläuchen und auf Lastthieren mußten die Wallfahrer das Trinkwasser an sechs Meilen weit holen, und wurden dabei oft und gefährlich von den auflauernden Arabern beunruhigt. Niemals aber reichte das so herbeigeholte Wasser für den Bedarf des Heeres: man verkaufte es zu hohen Preisen, man stritt und schlug sich über den Besitz und über die Reihe des Schöpfens. Zuerst stürzten deshalb die Pferde und andere Lastthiere in großer Zahl verschmachtet zu Boden, und ein verpestender Gestank erfüllte die ganze Gegend; später erlagen auch die Menschen, weil sie nirgends Schatten gegen die stechende Sonne fanden, nirgends Schutz wider die glühenden Südwinde. Immer erzeugten leichte Wölkchen die Hoffnung des Regens, und immer wurde man getäuscht. Da suchten die Pilger sich in die kühlere Erde 206 {1099} einzugraben, und legten frische Erdschollen auf ihre Brust; aber bald hatte die Hitze auch jene durchdrungen. Sie tranken hierauf Blut und leckten den feuchten Niederschlag von den Steinen; allein diese widerliche Hülfe reizte und erhöhte fast noch das Bedürfniß. Schrecklicher erschien der Durst vor JerusalemGilo 262. Doch klagt der Verfasser der Gesta Franc. p. 27 auch über Brotmangel; nur war er nicht so drückend, als der Wassermangel., als der Hunger vor Antiochien! Deshalb eilten viele zum Jordan oder flohen gen Joppe; sie erlagen aber gewöhnlich den Nachstellungen der Türken. Andere, wehmüthig klagend, daß sie weder ihre Heimath wiedersehn noch, so nahe dem Ziele, Jerusalem betreten sollten, näherten sich den Mauern der heiligen Stadt um diese wenigstens zu küssenHist. belli sacri 219.; allein sie wurden nicht selten von den Steinen zerschmettert, welche die Saracenen auf sie hinabwarfen.
In dieser Zeit der äußersten Bedrängniß traf die erfreuliche Nachricht ein: daß in dem Hafen von Joppe eine genuesische, mit Lebensmitteln, Wein und anderen Gütern beladene Flotte gelandet sey, und die Mannschaft sich mit den Franken vereinigen wolle. Sogleich befahl man, daß Raimund Piletus, aus dem Heere des Grafen von Toulouse, mit etwa achtzig Reitern und einer verhältnißmäßigen Anzahl FußgängernRaim. Ag. 175. Robert. Mon. 75., die Neuangekommenen von Joppe abhole; Waldemar Karpinell aber mit dreißig Mann vorauseile, um die Richtung und die Sicherheit der Wege zu erforschen. Diese letzten wurden aber zwischen Lidda und Ramla von einer weit größeren Anzahl Saracenen angegriffen, und allen stand der Untergang unausbleiblich bevor, wenn nicht Raimund Piletus in diesem Augenblicke angelangt wäre, und die Feinde besiegt und zum Theil gefangen genommen hätte.
207 {1099} Einer unter diesen Gefangenen erweckte Ehrfurcht durch seine gewaltige Größe, sein hohes Alter und den langen weißen Bart, auch zeigte Benehmen und Sitte die innere Trefflichkeit des Greisen. Deshalb bemühten sich theilnehmend alle Pilger ihn zum Christenthum zu bewegen, und klagten, als alle Versuche vergeblich blieben, daß sie nun gezwungen wären, ihn rettungslos zu tödten!
Raimund Piletus erreichte mittlerweile Joppe, welche Stadt die Einwohner aus Furcht vor den Kreuzfahrern verlassen und zerstört hatten. Man besetzte deshalb nur die Burg, um den wichtigen Landungsplatz zu sichernW. Tyr. 752-754. Bei Joppe ist indeß kein sicherer Hafen, sondern nur eine offene Rhede. Paulus Reisen II, 96.. Während die Genueser hier mit Ausschiffung der Pilger beschäftigt waren, segelte die stärkere ägyptische Flotte von Askalon herbei, mit welcher eine Seeschlacht zu wagen, den schwächeren Christen so unräthlich erschien, daß sie, nachdem alle Güter in Sicherheit gebracht waren, lieber die leeren Schiffe den Feinden überließen; nur ein einziges entkam nach Laodicea. Ungehindert zogen die Pilger hierauf nach Jerusalem, und gesellten sich zu dem Heerhaufen des reichen Grafen von Toulouse. Nicht bloß um der Lebensmittel willenRaim. de Agil. 176., welche sie herbeiführten, war ihre Ankunft erwünscht; sondern auch, weil sie bessere Werkzeuge zum Baue des Geschützes mitbrachten und, bei größerer Kenntniß und Geschicklichkeit, die, vorher so langsam fortrückende Arbeit, schnell beendigten. – Bei der itzt wachsenden Gefahr, wurden aber die Belagerten ebenfalls thätiger. Sie übersahen aus der höher liegenden Stadt das christliche Lager, ahmten das Verfahren der Pilger beim Bau der Kriegswerkzeuge nach; und so hatten die ihrigen zuletzt immer den Vorzug, aus stärkeren und besseren Vorräthen errichtet zu seyn. An Arbeitern litten beide Theile keinen Mangel: denn so wie die, in der Stadt gebliebenen Christen, selbst Hand anlegen oder andere Arbeiter 208 {1099} bezahlen mußten: so wurden auch die saracenischen Gefangenen im christlichen Lager gezwungen die schwersten Geschäfte zu übernehmen.
Erst um diese Zeit besetzte man den Ölberg, weil die Feinde oft aus dem östlichen Thore durch das Thal Josaphat vordrangen, und vereinzelte Pilger gefangen nahmen oder erschlugen. Zwei ägyptische Boten, welche von dieser neuen Stellung der Christen keine Nachricht empfangen hatten und sorglos nahtenAlb. Acq. 278., wurden ergriffen, der eine in heftiger Eil getödtet, der zweite aber durch Drohungen zu dem Bekenntnisse gezwungen: daß nach vierzehn Tagen ein großes Heer zum Entsatze von Jerusalem erscheinen werde. Diese Aussage befreite jedoch den Armen keineswegs, wie er gehofft hatte, von einer harten Behandlung, sondern, an Händen und Füßen gebunden wollte man ihn in die Stadt schleudern; weil aber die Kraft des Wurfzeuges nicht hinreichte, fiel er nahe bei der Mauer auf spitzige Felsstücke nieder und starb eines kläglichen Todes.
Die Furcht vor der baldigen Ankunft der Ägypter erzwang itzt den Beschluß, Jerusalem sogleich entscheidend zu bestürmen, und zu diesem wichtigen Unternehmen wollte man den Beistand des Himmels erflehen. Deshalb versammelten und ordneten sich die Fürsten und die Pilger in ihrer besten Waffenrüstung, und die Bischöfe nebst anderen Geistlichen führten, weiß gekleidet und Kreuze tragend, den Zug unter feierlichem Gesange erst in die Kirche der heiligen Maria im Süden der Stadt, dann zum Ölberge. Die Saracenen, welche anfangs kaum wußten, was diese geordneten Bewegungen, dieses Singen und Lobpreisen bedeuten solle, verhöhnten die Christen und trieben mit dem Zeichen des Kreuzes beleidigenden Spott; ja sie verwundeten selbst einige Pilger, welche sich den Mauern zu sehr genähert hatten, mit Pfeilen. Aber durch dies alles ließen sich die Wallfahrer nicht irre machen in ihrem 209 {1099} BeginnenAccolt. IV, 342., und Peter der Einsiedler und Arnulf der Kapellan des Herzogs von der Normandie, sprachen auf dem Ölberge zu den Versammelten:
»Der Beistand Gottes unseres Herrn und seines Sohnes Jesu Christi, hat uns bisher errettet aus unzähligen Gefahren; wir nahen der letzten Anstrengung, dem Ziele unserer Wallfahrt, der Eroberung der heiligen Stadt. Auch hiezu wird uns jene höhere Hülfe nicht fehlen, wenn wir Liebe zu einander tragen und uns nicht gegenseitig verfolgen; wenn wir das Himmlische vor Augen behalten und nicht um Irdisches rechten, wenn wir nicht den höchsten Zweck aufgeben um kleiner Gründe willen. Abgeschnitten von der Christenheit, rings umgeben von grausamen Feinden, müssen wir siegen oder untergehen. Alles was wir bisher erkämpften, geht verloren, aller Ruhm den wir erwarben, verkehrt sich in Hohn und Tadel, – wenn nicht ein glücklicher Erfolg diese letzte Unternehmung krönt, wenn wir Jerusalem nicht aus den Händen der Ungläubigen erlösen. Seht hinab in die Stadt, seht wie die Ungläubigen alle heiligen Orte besudeln und Christum zum zweitenmale geißeln und kreuzigen! Aber nach wenig Stunden wird der König der Ehren seinen demüthig Glaubenden den Sieg verleihen, und den Stolz der Ungläubigen zu Schanden machen. Die vom Abend kommen, fürchten den Herrn, und die aus dem Morgenlande werden seinen Ruhm erfahren. Ihr aber, seyd einig: denn ein jegliches Reich, spricht unser Herr, so es mit sich selbst uneins wird, das wird wüsteEvang. Lucae c. XI, v. 17.; und wir, die wir noch kein Reich gestiftet haben, sollten nicht verderben, wenn wir unter einander hadern? Söhnet euch aus mit euren Feinden, bereuet eure Sünden, seyd rastlos thätig an der Stelle, die euch angewiesen wird zum Kampfe; nur dann möget ihr mit Recht dem Himmel vertrauen.«
210 {1099} So sprachen Arnulf und Peter, worauf Tankred und der Graf von Toulouse, – deren Zwist zeither den größten Anstoß gegeben hatte –, sogleich hervortraten und sich die Hände reichten. Diesem Beispiele folgten die geringeren, und unter Freudenthränen und Umarmungen verbreitete sich im ganzen Heere ein hoher Wille, entweder zu siegen oder zu sterben. Allein nicht minder eifrig flehten die Bekenner Muhameds in Gebeten: daß der Herr sein Haus und seine Stadt rein erhielte, von den Bekennern dreier Götter und anderer Menschensatzungen.
Gleich nach der Rückkunft von jener heiligen Wanderung, begannen die Christen nähere Vorbereitungen zum Angriffe. Der Herzog von Lothringen, Robert von Flandern und Robert von der Normandie bemerkten hiebei, daß die Stadt ihrem Lager gegenüber nicht allein durch die Mauern, sondern auch durch die stärkste Besatzung und das tüchtigste Kriegszeug, besser als an allen anderen Seiten gedeckt sey; deshalb veränderten sie klüglich ihre Stellung in der Nacht vor dem beschlossenen SturmeWilh. Tyr. 755. Hist. belli sacri 221., legten mit großer Mühe die Belagerungswerkzeuge auseinander, trugen sie morgenwärts, wo die Mauer niedriger und der Boden ebener war, und setzten dann alles mit großer Anstrengung wiederum zusammen. Ein viereckiger, ans Thal Josaphat stoßender Stadtthurm, befand sich itzt zu ihrer linken, das Stephansthor zu ihrer rechten Hand. Erstaunt sahen die Muhamedaner beim Anbruche des Tages, daß des Herzogs Lager verschwunden war, und wähnten er sey davon gezogen: bald nachher entdeckten sie ihn aber mit dem Belagerungszeuge an der gefährlicheren Stelle. Gleichzeitig hatte der Graf von Toulouse mit großem Kostenaufwande eine Vertiefung ausfüllen lassenOrderic. Vital. 754., welche sich zwischen den Mauern und dem von ihm errichteten Thurme hinzog, so daß dieser nunmehr ohne Mühe der Stadt genähert werden 211 {1099} konnte. Es waren aber die Thürme des Herzogs von Lothringen und des Grafen Raimund von gleicher Bauart, hoch, vierseitig und vorn mit einer doppelten Bedeckung von starken Brettern versehen. Die äußere Bedeckung konnte man oberwärts ablösen und, einer Fallbrücke gleich, auf die Mauern niederlassen; die innere, mit Häuten überzogene, schützte dann noch hinlänglich gegen Wurfgeschosse und Feuer.
Jetzo begann der Sturm. Zuerst schleuderten die Christen aus all ihrem Geschütz, Pfeile und große Steine gegen die Mauer; allein ihre Kraft ging an den Säcken voll Stroh und Spreu, an dem Flechtwerk und anderen weichen Gegenständen verloren, welche die Belagerten zum Schutze aufgehängt hatten. KühnerW. Tyr. 756., als könnte persönlicher Muth allein entscheiden, nahten hierauf die Pilger den Mauern; aber Steine und Balken schmetterten sie zu Boden, brennende Pfeile setzten ihr Kriegszeug in Brand, hinabgeworfene Gefäße, mit Schwefel und kochendem Öle angefüllt, vermehrten die Glut, und durch unaufhörliches Gießen von Wasser, durch Anstrengungen aller Art konnte man die Gefahren nicht besiegen, sondern kaum hemmen. So verging der erste Tag, ohne Entscheidung, und nur ein Umstand erhöhte den Muth der Christen: daß die Saracenen, ungeachtet aller Bemühungen, nicht im Stande waren ein heiliges Kreuz zu verletzen, welches man auf dem Thurme Gottfrieds von Bouillon errichtet hatteAlb. Acq. 279.. Die Nacht verfloß in gegenseitiger Furcht eines Überfalles, und die Wachen wurden verdoppelt; wenigen aber war es gegeben, sich nach solcher Anstrengung und in der nahen Aussicht auf größere Thaten, durch ruhigen Schlaf zu stärken.
Auch erneute sich mit der Morgenröthe der KampfWilh. Tyr. 557., heftiger noch als am vergangenen Tage: denn die Christen 212 {1099} waren erbittert, daß ihre früheren Hoffnungen getäuscht worden, und die Saracenen ahneten ihr Schicksal im Fall der Eroberung Jerusalems. Deshalb beschlugen die letzten einen ungeheuren Balken ringsum mit Nägeln und eisernen Haken, befestigten zwischen diesen Werg, Stroh und andere brennbare DingeRadulph. Cadom. 187., gossen Pech, Öl und Wachs darüber hin, steckten alles an mehren Stellen zugleich in Brand, und warfen dann den Balken mit ungeheurer Anstrengung zum Thurme des Herzogs von Lothringen. Schnell wollten ihn die Christen hinwegziehen, allein es mißlang, weil die Belagerten eine starke Kette um dessen Mitte geschlungen hatten und ihn fest hielten. Da hoffte man wenigstens die Flammen zu löschen, welche gewaltig um sich griffen und alle Werkzeuge der Pilger zu zerstören drohten; aber kein Wasser minderte die Glut, und erst durch den, glücklicherweise für solche Fälle herbeigeschafften Essig, wurde der Brand gehemmt. So dauerte das Gefecht schon sieben Stunden ohne Erfolg und viele Christen wichen ermüdet zurück. Der Herzog von der Normandie und der Graf von Flandern verzweifelten an einem glücklichen Ausgange und riethen zur Rastung bis auf den folgenden TagGuib. 575.; der Herzog von Lothringen hielt nur mit Mühe seine Mannschaft beisammen und die Belagerten freuten sich schon der Errettung; da winkte ein Ritter vom Ölberge her mit leuchtendem Schilde gegen die Stadt. »Seht ihr,« rief der Herzog, »seht ihr das himmlische Zeichen, gewahrt ihr den höheren Beistand?« Und alle drangen rastlos wieder vorwärts; selbst Kranke, selbst Weiber ergriffen die Waffen, um die heilbringenden Gefahren zu theilen. In demselben Augenblicke warf das Geschütz der Franken mit furchtbarer Gewalt die größten Steine über die Mauern, und weil alle andere Mittel fruchtlos blieben, so wollten die Belagerten durch Zauberei dagegen wirken; aber ein Stein tödtete die 213 {1099} beiden herzugerufenen Beschwörerinnen, nebst dreien Mädchen, welche sie begleitet hatten: und dies galt den Pilgern für ein zweites Zeichen des Himmels. Binnen einer Stunde war die äußere Mauer gebrochen, der Boden geebnet und des Herzogs Thurm der inneren Mauer genähert. Alle Säcke, Balken, Stroh, Flechtwerk oder was die Belagerten sonst zum Schutze der Mauer aufgehängt hatten, ward in Brand gesteckt; der Nordwind trieb mit Heftigkeit den Rauch und die Flammen gegen die Stadt, und geblendet und fast erstickt wichen alle Vertheidiger. In höchster Eil ließen die Pilger itzt jene Fallbrücke vom Thurme des Herzogs auf die Mauer nieder und stützten sie mit Balken: zwei Brüder aus Flandern, Ludolf und EngelbertSo erzählen Alb. Acq. 280, Gest. exp. Hier. 576, Radulph. Cad. 188. – Rob. Mon. 75 nennt zuerst Letold (Ludolph, Leutold), dann Guscher, dann den Herzog; Balder. 133 und Guib. 535 nennen Letold, dann den Herzog. Guibert. verschweigt die Namen der übrigen, weil er gehört: post reditum tautorum eos flagitiorum ac scelerum infamiam incurrisse. W. Tyr. sagt daß der Herzog zuerst die Mauern betreten habe, und übergeht dessen geringere Begleiter. Die Pisaner nannten ihren Landsmann Coscetto da Colle als den ersten. Tronci zu 1099., betraten aus dem mittleren Stockwerke des Thurmes zuerst die Mauern; ihnen folgten, aus dem oberen Stockwerke herbeieilend, Herzog Gottfried und Eustathius sein Bruder, dann viele Ritter und geringere Pilger. Man sprengte das Stephansthor, und mit dem Rufe: »Gott will es, Gott hilft uns!« stürzten die Christen unaufhaltsam in die StraßenGesta expugn. Hier. 577..
Unterdessen war der Graf von ToulouseW. Tyr. 759., an der anderen Seite der Stadt, auf das äußerste bedrängt und sein Thurm so beschädigt worden, daß ihn keiner mehr zu besteigen wagte. In diesem Augenblicke der höchsten Gefahr, erhielten aber die Türken Nachricht von dem Siege des Herzogs, und schnell versprachen sie dem Grafen die 214 {1099} Übergabe des Thurmes David gegen künftige Lösung und sicheres Geleit bis Askalon. Raimund bewilligte ihre ForderungenAlb. Acq. 282, Wilh. Malmesb. 142. Man sah nur Geiz in dem Verfahren des Grafen von Toulouse, der seinen Gefangenen verstattete sich zu lösen, statt sie umzubringen., erfuhr aber später wegen dieser löblichen Milde den ungerechten Tadel der Kreuzfahrer. Mit solcher Eil drangen nunmehr auch die Provenzalen in die Stadt, daß sechszehn von ihnen im Thore erdrückt wurden. Unkundig der Straßen, gelangte Tankred fechtend bis zur Kirche des heiligen Grabes, hörte erstaunt das »Herr, erbarme dich unser!« singenDas Miserere. Order. Vit. 756., fand hier die jerusalemischen Christen versammelt, und gab ihnen eine Wache zum Schutze gegen etwanige Anfälle der Saracenen. Aber schon retteten sich diese fliehend von den Straßen in die Häuser, vor allem an zehntausend in den Tempel und dessen von Mauern eingeschlossenen Bezirk. Auch dahin drangen die Christen. »Alle sind Frevler und Heiligthumsschänder, kein einziger werde verschont!« so riefen das Volk, die Fürsten und die Geistlichen; und man metzelte, bis das Blut die Treppen des Tempels hinabrieselte, bis der Dunst der Leichname selbst die Sieger betäubte und forttrieb. Doch bemächtigten sie sich vorher mit gieriger Hast der großen Tempelschätze, welche einen dauernden Reichthum hätten begründen könnenMan fand 400 silberne und 20 goldne Lampen, eine große Zahl anderer kostbarer Gefäße, eine metallene Bekleidung der Wände u. s. w. Tankred mußte manches dem Herzoge, als dessen Lehnsmann, abgeben, und nicht weniger auf den Grund der heftigen Beschwerden der Geistlichen, besonders Arnulfs. Alb. Acq. 281. Fulch. Carn. 399. Hist. belli sacri 224. Radulph. Cad. 190. Elmacin 293., wenn gewaltsamen Erwerbern das Geschick des Erhaltens nicht allemal, zur Strafe ihrer Frevel, versagt wäre.
Von dem Tempel eilte man zur Synagoge, wohin sich die Juden gerettet hatten; sie wurden verbrannt. Aufgehäuft lagen itzt die Leichen selbst in den abgelegensten 215 {1099} Straßen, schrecklich war das Geschrei der Verwundeten, furchtbar der Anblick der einzelen, zerstreut umhergeworfenen menschlichen Glieder; dennoch kehrte höhere Besinnung noch immer nicht zurück! Es war schon früher zur Mehrung der Grausamkeit und des Eigennutzes, der Grundsatz angenommen und vor der Eroberung Jerusalems nochmals ausdrücklich bestätigt wordenRaim. de Agil. 174. Guib. 536. Tornac. chron. zu 1099.: daß jeder eigenthümlich behalten sollte, was er in Besitz nähme. Deshalb theilten sich die Kreuzfahrer nach Auseinandersprengung der größeren Massen ihrer Feinde, in einzelne kleinere Raubhorden. Kein Haus blieb unerbrochen, Greise und Weiber, Hausgesinde und Kinder wurden nicht bloß getödtet, sondern mit wilder Grausamkeit verhöhnt oder gemartert. Man zwang einige von den Thürmen hinabzuspringen; man warf andere zu den Fenstern hinaus, daß sie mit gebrochenem Genick auf der Straße lagen; man riß die Kinder von den Brüsten der Mütter und schleuderte sie gegen die Wände oder Thürpfosten, daß das Gehirn umherspritzte; man verbrannte mehre an langsamem FeuerNichts ist übertrieben; von den einstimmig beweisenden Stellen nur folgende: mulieres mucrone perfoderunt, infantes adhuc sugentes per plantam pedis e sinu matris aut cunabulis arreptos, muris vel ostiorum liminibus allidentes, fractis cervicibus alios armis trucidarunt. Alb. Acq. 281. Alii illorum, quod levius erat, obtruncabantur capitibus, alii autem sagittati de turribus saltare cogebantur, alii vero diutissime torti et ignibus adusti flammeriebantur. Raim. 179. Siehe die anderen Beweisstellen bei Michaud, 411 und 544, und auch mein Handbuch S. 204–213.; man schnitt anderen mit wilder Gier den Leib auf, um zu sehen, ob sie nicht Gold oder andere Kostbarkeiten, der Rettung wegen, verschluckt hätten. Von 40,000, oder wie morgenländische Geschichtschreiber meldenAbulfeda III, 318, Abulfarag. 243, Marai 388., von 70,000 Saracenen, blieben nicht so viele am Leben als erforderlich waren ihre Glaubensgenossen zu beerdigen. Arme Christen mußten nachher bei diesem 216 {1099} Geschäfte Hülfe leisten, und viele Leichname wurden verbrannt, theils damit sich nicht bei längerer Zögerung ansteckende Krankheiten erzeugen möchten, theils weil man hoffte, selbst in der Asche noch Kostbarkeiten aufzufindenFulch. Carn. 398. Gesta exp. Hier. 577. W. Tyr. 760..
Endlich war nichts mehr zu morden und zu plündern; da reinigten sich die Pilger vom Blute, entblößten Haupt und Füße, und zogen unter Lobgesängen zur Leidens- und Auferstehungs-Kirche. Feierlich wurden sie hier von den Geistlichen empfangen, welche mit tiefer Rührung für die Lösung aus der Gewalt der Ungläubigen dankten, keinen aber mehr erhuben als Peter den Einsiedler, weil dieser ihnen vor fünf Jahren Hülfe zugesichert und sein Wort gehalten hatte. Alle Pilger weinten vor Freuden, konnten sich nicht satt sehen an den heiligen Stätten, wollten jegliches berühren, und beichteten ihre Sünden und gelobten Besserung mit lauter Stimme. So feurig war der Glaube, daß viele nachher beschwuren, sie hätten Gestalten der, in früheren Schlachten umgekommenen Brüder neben sich wandeln gesehn, ja der Bischof Ademar von Puy habe einem, erstaunt Fragenden geantwortet: »nicht er allein, sondern alle verstorbene Kreuzfahrer wären auferstanden, um an dem Kampfe und an den Freuden des Sieges Theil zu nehmenAlberic. 176..« Der Himmel sey allen erworben, Gott sey allen gnädig für das große Werk: das war die feste Überzeugung, die unwandelbare Hoffnung!
So ward Jerusalem erobert am neun und dreißigsten Tage der Umlagerung, am funfzehnten Julius des Jahres 1099. Des Tags darauf wurden, aller Gegenbemühungen Tankreds ungeachtet, diejenigen niedergehauenVitriac. Hist. Order. Vit. 756. Ann. Saxo und Abulf. zu 1099.. welche sich auf das Dach des Tempels geflüchtet hatten, und drei TageGest. Franc. 28. Balder. 134. Guib. 536. Rob. Mon. 76. Tudebods Abweichung (812) verdient keine Rücksicht. 217 {1099} nachher faßten die Pilger den einstimmigen Beschluß: alle noch geretteten Saracenen, – jährige Kinder nicht ausgenommen –, umzubringen, damit sie ihnen bei der Annäherung eines ägyptischen Heeres keine Gefahr bereiten möchtenAlb. Acq. 283. Hist. belli sacri 226., und die an den Heiligthümern begangenen Frevel vollständig gerächt würden!
Ohne Schwierigkeit lassen sich die vielfachen Absichten, die verschiedenen Gesinnungen bei Unternehmung der Kreuzzüge erklären, und alle rechtfertigen sich leicht für den GeschichtschreiberDie Griechen waren oft nicht minder grausam, so warfen sie kleine Türkenkinder in siedende Kessel. (Anna Comn. 333.) Die Grausamkeit der Franken war indessen die, eines rohen aber fortschreitenden, die der Griechen, eines verderbten, sich auflösenden Volkes.: wenn aber die ärgsten Gräuel sich unmittelbar neben tiefer Demuth und Himmelshoffnung stellen, so tritt der Zwiespalt des menschlichen Gemüthes auf eine furchtbar schreckende Weise heraus, und das Göttliche scheint vom Teuflischen, wo nicht überwunden, doch unauflöslich verstrickt zu seyn. Aber mit dem tiefen Gefühle der Nothwendigkeit einer Erlösung vom Bösen, stellen sich auch schon die Kräfte wieder ein, sie unter dem Beistande Gottes zu beginnen.
Bei der Übernahme des Gelübdes hatten die meisten, wo nicht alle, die Befreiung Jerusalems und des heiligen Grabes als Hauptzweck des ganzen Unternehmens betrachtet; deshalb konnte über die Art und Richtung des Zuges kein erheblicher Zweifel entstehn, und ohne höhere Kriegskunst genügte die allgemeine Einigkeit und Tapferkeit der einzelnen wie der Fürsten, um diesem Kreuzzuge unter Leitung mehrer einen glücklicheren Erfolg zu verschaffen, als bei veränderten Umständen den späteren Kreuzzügen unter der Leitung von Königen und Kaisern. Wenn aber die christliche Herrschaft im Morgenlande nicht eine bloß vorübergehende Erscheinung werden sollte, so mußte nunmehr eine 218 {1099} feste Verwaltung und bestimmtere Leitung der, sich zersplitternden Kräfte eintreten. Denn Jerusalem war noch rings von mächtigen Feinden umgeben, und das grausame Verfahren der Christen machte sie bei allen Bewohnern des Landes so verhaßt, daß diesen eine gleiche Unduldsamkeit gerechtfertigt erschien. Viele von den Pilgern dachten indeß schon an die Rückkehr, oder wollten eine unbegränzte Willkür nicht aufgeben, welche anfangs durch den Schein der Selbständigkeit täuscht, nach kurzer Zeit aber, – eine stete Folge der Vereinzelung –, mit dem Untergange des einzelnen und des Staates endigt.
Was früher, als ein unzeitiger VorschlagWährend der Belagerung Jerusalems, und wahrscheinlich schon oft früher. Raim. de Agil. 176. nicht zur Ausführung kam, das erschien den Fürsten nunmehr durchaus nöthig, nämlich die Wahl eines Oberhauptes; nur der Bischof von MateraW. Tyr. 765. schreibt Martura. in Kalabrien und ArnulfArnulfus de Zocris, Order. Vit. 757., der schon erwähnte Verächter der heiligen Lanze von Antiochien, waren diesem Plane schlechthin abgeneigt. – Nachdem man von Rom aus die allgemeine Unterwerfung der weltlichen Herrschaft unter die geistliche, nicht ohne Erfolg behauptet hatte; so erschien die Übertragung dieser Lehre auf den, im Morgenlande zu gründenden Staat, leicht und natürlich. Die ganze Unternehmung des Kreuzzuges hatte ja, laut der öffentlichen Erklärung, ein geistliches Ziel; – und es sollte nicht unwürdig seyn, wenn in Jerusalem, der Heimath Jesu Christi, weltliche Pracht und Herrschaft die Oberhand gewönne? nicht verwerflich, wenn in dem, allein hochheiligen Lande, keine heiligere Regierung als in anderen Ländern einträte? – Von diesen Gesinnungen durchdrungen ging ArnulfAlb. Acq. 285., an der Spitze der Geistlichen, zu den versammelten Fürsten und erklärte: »der Vorsatz dem Staate 219 {1099} ein weltliches Oberhaupt zu geben, erscheine allerdings löblich; da aber der Patriarch von Jerusalem während der Belagerung dieser Stadt in Cypern gestorben sey, so müsse eine neue Wahl desselben sogleich Statt finden, und ehe man nicht dieses nothwendigste, wichtigste und heiligste Geschäft vollzogen habe, würden sie die Beschlüsse über jene geringfügigern, weltlichen Angelegenheiten für nichtig achten.«
Die Fürsten nahmen aber keine Rücksicht auf diesen Einspruch: denn ihnen stände das Recht und die Gewalt zu, ohne Theilnahme der Geistlichen einen weltlichen Herrscher zu ernennen; keineswegs aber, – so kehrten sie die eigenen Waffen wider ihre GegnerFulch. Carnot. 399-400. –, dürften die Bischöfe, ohne des Papstes Bewilligung und Entscheidung, einen Patriarchen wählen. Außerdem gaben die Geistlichen durch ihren Wandel den Fürsten Veranlassung zu strengem Tadel, welchen sogar der größere Haufe als gerecht anerkannte. Nach dem Tode der Bischöfe von Puy und Orange war nämlich die Zucht von den meisten gewichen und Arnulf, wegen der, in jener Zeit seltenen Gelehrsamkeit und Kunst der Rede itzt der angesehenste unter ihnenGuib. 539, Rob. Mon. 77, Raim. 179, 180., hatte andererseits durch seine freien Sitten Spottlieder veranlaßt, die der Pöbel verhöhnend absang.
Bei der Königswahl sollten aber, nach dem Willen der Fürsten, nicht bloß diejenigen Eigenschaften den Ausschlag geben, welche als die glänzenderen auf dem langen gemeinsamen Zuge jedem bekannt geworden; sondern auch solche, welche zwar für die Wohlfahrt der Völker höchst wichtig sind, allein selten in dem öffentlichen Leben unmittelbar kund werden. Deshalb vernahm man eidlich die Diener und Hausgenossen aller Fürsten, über deren Sitten und häuslichen WandelAlb. Acq. 283. Guibert. 537.. Da erzählten des Grafen Raimund Diener manches Nachtheilige von ihm; doch wurde 220 {1099} behauptet daß sie, aus Furcht länger von der Heimath entfernt zu bleiben, wenn er König würde, arglistig die Beschuldigungen erfunden hätten. Der schon bejahrte Graf theilte indeß entweder ihre Gesinnungen, oder wollte sich nicht der Gefahr des Abweisens aussetzen, und erklärte deshalb öffentlich: er wolle nicht König werden in Jerusalem. Auch Robert von der Normandie trachtete keineswegs nach dieser Würde; ihm erschien sein Erbtheil wichtigerHist. belli sacri 228, Alberic. 187, Brompton 1002, Wilh. Malmesb. 153, Henric. Huntind. 337, Chronique de Norm bei Bouquet XIII, 247 sprechen davon, daß man Robert habe zum Könige erheben wollen, dennoch bleibt die ganze Erzählung sehr zweifelhaft., und er fürchtete Anstrengung und Gefahr.
Die Diener Herzog Gottfrieds von Lothringen sagten dagegen ausW. Tyr. l. c. tradunt quidam.: unter allen Handlungen ihres Herrn scheine ihnen nur eine unverständig: daß er nämlich selbst nach Beendigung des Gottesdienstes noch in der Kirche verweile, und die Kundigen über jedes Gemälde und jede heilige Geschichte so lange befrage, bis diese nicht minder als die Diener selbst, Überdruß und Ungeduld ergreife. Das zur bestimmten Stunde bereitete Essen, werde mittlerweile leider kalt und geschmacklos.
Zu diesem Tadel, der den Wählern als großes Lob erschien, gesellte sich die Erinnerung, daß Gottfried allein bei der Einnahme von Jerusalem weniger Theil genommen hatte an der wilden GrausamkeitAlb. Acq. 281; doch scheint Robert. Mon. 75 das Gegentheil zu behaupten und ihn nur vom Eigennutze frei zu sprechen.. Auch besaß keiner wie er das Geschick, Franzosen und Deutsche, die sich bald im Scherze bald im Ernste als Widersacher zeigten, zu gewinnen, auszusöhnen und zu lenken: denn an den Gränzen beider Reiche geboren und erzogenAlberic. 180., gehörte er gewissermaaßen beiden Völkern an, und kannte die Sprache beider. Aus solchen Gründen, um öffentlicher und häuslicher 221 {1099} Tugenden willenWahl den 18ten Julius. Oliv. Schol. hist. reg. 1358. Am achten Tage nach der Einnahme Jerusalems. Gilo 266. Den 22sten Julius Brompton 994., wählte man am 22sten Julius 1099 einstimmig den Herzog Gottfried von Lothringen zum Könige von Jerusalem. Lobgesänge wurden hierauf in der Kirche des heiligen Grabes angestimmt, aber eine feierliche Salbung und Krönung fand nicht Statt: denn der Herzog weigerte sich an dem Orte, welcher zur tiefsten Demuth verweise, wo man dem Könige der Ehren, dem Herrn des Himmels nur Dornen um die Schläfe gewunden habe, anmaaßlich Zeichen und Titel irdischer Größe anzunehmenW. Tyr. 767. Vitriac. hist. Hier. 1066. Malespini cap. 69. Aus einer Urkunde König Amalrichs bei Murat. ant. It. II, 907 geht hervor, daß man Gottfried nicht als König mitzählte.. Deshalb haben viele, nur das Zeichen würdigend, Gottfried nicht den Königen von Jerusalem beigezählt.
So wurde, ungeachtet der Widersprüche Arnulfs und seiner Partei, ein weltliches Oberhaupt erwählt; nunmehr aber gelang es jenen dem Volke auch die dringende Nothwendigkeit der Ernennung eines geistlichen Oberhauptes darzuthun, und die Fürsten hatten theils keine genügenden Gründe zum Widersprechen, theils unterstützten sogar einige, wie z. B. Robert von der Normandie, jene Plane Arnulfs. Deshalb ernannte man diesen, bis die Wahl eines Patriarchen einträte, zum Kanzler der jerusalemischen Kirche und zum Aufseher der Heiligthümer und ArmenanstaltenNach Alb. Acq. l. c. geschah dies am Anfange des Monats August.; später aber wußte er alle Rechte und Geschäfte des Patriarchen, und zuletzt auch diesen Titel zu gewinnenAlberic. 182, 188. Hist. Franc. fragm. 92.. – Übrigens wirkte Gottfried, seiner Eigenthümlichkeit gemäß, sehr thätig für geistliche Einrichtungen: Pfründen wurden gegründet, Stiftsherren erwählt und den Mönchen, welche 222 {1099} dem Kreuzzuge beigewohnt hatten, eine ansehnliche Niederlassung im Thale Josaphat bewilligt.
Noch größere und allgemeinere Freude verursachte die Auffindung eines Theiles vom heiligen KreuzeAlb. Acq. 285. Fulch. Carn. 399., welches ein christlicher Bewohner noch zur Zeit saracenischer Herrschaft in ein zweites vergoldetes Kreuz gefaßt und verborgen hatte. Beide wurden feierlich in der Kirche des heiligen Grabes aufgestellt.
Über diese geistlichen Einrichtungen vernachlässigte man keineswegs die Sorge für die äußere Sicherheit, sondern Wachen wurden nach allen Seiten ausgestellt und Gottfried verlangte vom Grafen Raimund die Übergabe des Thurmes David: weil es unschicklich sey, daß ein anderer als der König, die Burg in der Königsstadt besitze. Der Graf aber, welcher heimlich zürnte daß die Fürsten nicht, seiner Erwartung gemäß, mehr in ihn gedrungen hatten die Königswürde anzunehmen, oder ungeduldig war daß ein Befehl des neuen Herrschers so schnell auch an ihn ergehe, gab zur Antwort: mit dem Frühjahre verlasse er und die seinen das heilige Land, dann solle die Übergabe Statt finden. Gottfried beharrte dagegen mit solchem Eifer auf seiner Forderung, daß der Graf, von den übrigen Fürsten beredet, die Burg bis zu weiterer Entscheidung dem Bischofe von Albara in Gewahrsam übergab; allein bald nachher war sie dennoch ohne weitere Prüfung oder Entscheidung in den Händen des Königs, und der Bischof äußerte: niemand könne der Übermacht widerstehn! Graf Raimund verließ hierauf Jerusalem im Zorne, und pilgerte zum Jordan.
Die Eroberung der, auch den Muhamedanern heiligen Stadt, hatte unter diesen so allgemeinen Schrecken und so große Theilnahme veranlaßt, daß selbst viele sunnitische Türken zu dem Heere eilten, welches der ägyptische Chalif Mosta zur Wiedereroberung Palästinas sammelte. Erst als 223 {1099} dieses schon bis Askalon vorgedrungen warWilh. Tyr. 768., erhielt man hierüber bestimmte Nachrichten in Jerusalem. Da wandten sich die Fürsten und das Volk vor allem zu Gesang und Gebet: der Herr möge sie nicht überantworten in die Hände ungläubiger Feinde, und das Heiligthum nicht Spöttern und Verächtern übergeben. Hierauf eilten Gottfried und der Graf von Flandern gen Ramla, um nähere Kunde einzuziehen: weil manche Häupter noch immer wähnten, die Nachricht sey bloß erfunden um sie länger in Palästina zurückzuhalten, oder den Befehlen des neuen Herrschers geneigter zu machen. Als aber jene Nachrichten nicht allein von den Kundschaftern bestätigt, sondern auch noch dahin vermehrt wurden: daß auch eine, mit Lebensmitteln und Kriegsbedürfnissen versehene ägyptische Flotte herbeisegele, und Afdal der Vezier geschworen habe: er wolle die fränkische Macht vernichten oder sterben; – so brachen alle Christen, welche Waffen tragen konnten, auf, und zwar zogen die Grafen von der Normandie und Toulouse von Jerusalem, Tankred und Eustathius dagegen von Neapolis her, gen IbelimOrder. Vit. 757. Michaud I, 435.. Am ersten Tage ordneten die Christen ihr Lager zwischen Joppe und Askalon und versprachen feierlich, vor dem vollständigen Siege schlechterdings nicht zu plündern; am anderen Morgen sahen sie in der Ferne einen gewaltigen Staub aufsteigen, vermutheten die Ankunft der Feinde und stellten sich in Schlachtordnung. Bald aber zeigte sich daß unzählige Pferde, Ochsen und Kameele, welche von wenigen Hirten geführt und durch wenige Reiter beschützt waren, den Staub erregten. Sie fielen den Kreuzfahrern in die Hände, und nicht minder willkommen als diese Beute, waren die Aussagen der gefangenen Hirten und Reiter, über die Stellung, die Absichten und die Anzahl der Feinde. Diese betrug, nach den geringeren Angaben, 100,000 Reiter und 40,000 Fußgänger; wogegen 224 {1099} sich, nach der Angabe König GottfriedsMartene thesaur. I, 281., nur 5000 Reiter und 15,000 Fußgänger im christlichen Heere befanden. Aber ungeachtet dieses abschreckenden Mißverhältnisses der Zahl, zogen die Pilger am folgenden Tage in Schlachtordnung muthig vorwärts; Gottfried führte den linken, der Graf von Toulouse den rechten ans Meer gelehnten Flügel; in der Mitte standen die Grafen von der Normandie und von Flandern, Eustathius und Tankred.
Der ägyptische Feldherr hatte auf keine Weise glauben wollenGesta Franc. 29, Robert. Mon. 78, Oliv. Schol. hist. reg. 1359, Balderic. 137, Raim. 181, Alb. Acq. 287, Guib. 540., daß die Christen gegen seine Übermacht ein offenes Treffen wagen würden; daher überraschte ihn ihr heftiger Angriff, er überraschte alle Befehlshaber und alle seine, ohnedies nicht sehr muthigen Untergebenen. Denn ein ägyptisches Heer jener Zeit konnte sich in Hinsicht der Übung, Bewaffnung und des Muthes mit den Kreuzfahrern nicht vergleichen, welche überdies wußten, wieviel von dem Ausgange dieser Schlacht abhing. Mit unwiderstehlicher Gewalt drangen sie bis zum feindlichen Lager, überließen sich aber hier, des Verbotes uneingedenkAlb. Acq. 288, Gesta exp. Hier. 577, Accolti IV, 376, Wilh. Malm. 143., voreilig der Plünderung und wurden deshalb von den umkehrenden, die Verwirrung benutzenden Saracenen, zurückgeworfen und in die höchste Gefahr gebracht. Da rettete des Königs persönliche Tapferkeit, denn er focht herzueilend an der Spitze der muthigsten; es rettete seine Klugheit, denn man trieb auf seinen Befehl die, am vorigen Tage erbeuteten Heerden aus der Ferne herzu, und so wie der aufsteigende Staub die Christen getäuscht hatte, so erschreckte er itzt die Saracenen. Den Angriff eines zweiten zahlreicheren Pilgerheeres fürchtend, ergriffen alle die Flucht, und viele wurden ins Meer gesprengt, viele im Gedränge vor den Thoren 225 {1099} Askalons erschlagen; andere endlich, welche sich auf Bäumen zu verbergen suchten, wurden mit Pfeilen herabgeschossen. Der Graf von der Normandie erbeutete die Hauptfahne der Ägypter, und jeder von den übrigen Fürsten hatte bedeutenden Antheil am Siege; doch gestanden alle dem Könige den ersten Preis zu. Durch diese Schlacht bei Askalon, gewonnen am zwölften August des Jahres 1099Für diesen Tag stimmen Alb. Acq. l. c., Gesta Fr. 29 und Order. Vit. 758. Dagegen hat Tudebod. 815, den 14ten August; Sigeb. Gembl. den 29ten Julius., retteten die Christen ihr jugendliches Reich von der größten Gefahr: denn in dem Fall einer Niederlage wären unfehlbar von allen Seiten Feinde auf sie eingebrochen, zu Lande blieb ihnen kein Ausweg und die ägyptische Flotte beherrschte das Meer. Erst nach jener Schlacht kehrte diese, ohne weitere Unternehmung, in ihre Heimath zurück. So wie Korboga durch unbegreifliche Lässigkeit die Rettung Antiochiens versäumte, so Sultan Mosta bei lange kundbarer Gefahr, die Rettung Jerusalems. Nachdem diese beiden wichtigen Städte und so viele Mitstreiter gefallen waren, mußten die später gewagten Schlachten schon als halb verloren erscheinen.
Raimund von Toulouse, hochangesehn bei den Saracenen, weil er der Besatzung der Burg Davids ohne Mordlust freien Abzug bewilligt hatte, verhandelte itzt mit den Bewohnern AskalonsHist. belli sacri 230. Radulph. Cad. 197. Order. Vit. 759. Wilh. Malmesb. 152.; und als er eidlich versprach, die Stadt keinem anderen zu überantworten, wenn er nicht selber ihr Herr werden könne oder wolle, so waren sie zur Aufnahme seiner Mannschaft bereit. In diesem Augenblicke erschien aber Gottfried und verlangte den Besitz Askalons für das Reich Jerusalem; worauf Raimund an seine großen Aufopferungen und seine Verdienste um die Kreuzfahrer erinnerte, und darauf aufmerksam machte: daß man ihm, 226 {1099} weil er nicht wieder nach Europa zurückkehren wolle, nothwendig eine sichere Besitzung bewilligen müsse, von welcher er jedoch dem Könige den Lehnseid zu leisten bereit sey. Allein Gottfried, welcher durchaus keine schwächende Zerstückelung des neuen Reiches zugeben wollte, wies alle jene Gründe und vermittelnde Vorschläge der Fürsten mit großer Strenge ab; worauf Raimund die Askaloniten nicht bloß, seinem Versprechen gemäß, von ihrem Anerbieten entband, sondern auch zum hartnäckigen Widerstande gegen Gottfried ermuthigte, weil er nur wenige Mannschaft bei sich hätte, und die übrigen Fürsten sich bereits zur Rückkehr anschicktenAlb. Acq.. 289 sq.. Der König sah bald die Unmöglichkeit ein, Askalon bei diesen Verhältnissen mit Gewalt zu erobern, und folgte deshalb dem Grafen Raimund nach Assur; aber auch von hier entwich dieser mit den seinen, und hinterließ den Bewohnern einen gleichen Rath. Darüber zürnte ihm Gottfried aufs äußerste, und schon war alles zu innerem Kriege bereit, als die Fürsten durch angestrengte Bemühungen eine Aussöhnung beider bewirkten, welche indeß schwerlich lange gedauert hätte, wenn nicht Raimund nördlich gen Laodicea gezogen wäre.
Hiedurch wurde die christliche Macht in der Gegend von Jerusalem allerdings sehr geschwächt, und um so mehr geschwächt, weil Robert von Flandern und Robert von der Normandie, der Heimkehr gedenkend, den Grafen begleiteten. Doch schreckte Gottfried, selbst mit der geringen ihm gebliebenen Macht, die Bürger von Arsuf so sehr, daß sie ein Bündniß eingingen, Zins versprachen und Geißeln stellten; wogegen man ihnen, als Pfand der christlichen Versprechungen, Gerhard von Avennes, einen edlen Ritter, übergab. Bald nachher entwichen aber heimlich jene türkischen Geißeln, und nun verweigerten die Bewohner alle ausbedungenen Steuern; sie rüsteten sich zur Vertheidigung der Stadt, welche Gottfried sogleich mit 3000 Christen 227 {1099} umlagerte. Um diese neue Gefahr abzuwenden, banden die Bewohner von Arsuf Gerhard von Avennes an einen Mastbaum, und richteten diesen auf der Mauer in die Höhe. Schon wähnten die Pilger, ihr Mitbruder sey den Tod des Kreuzes gestorben, als seine Stimme flehend erscholl: Gottfried möge seines früheren Gehorsams gedenken und ihn nicht den Feinden überlassen zu schrecklichen Martern. Der König aber erwiederte: »Gerhard, ich kann mich deiner nicht erbarmen, und wärest du mein eigener Bruder; ich kann nicht alle von der Rache abhalten, welche sie der Stadt geschworen haben. Es ist besser, du stirbst allein den Tod der Märtyrer zu ewigem Leben, als daß durch die feindlichen Bewohner auf lange Zeit vielen Pilgern Verderben bereitet werde!«
Sobald Gerhard sah, welch Schicksal ihn unabänderlich erwarteAlb. Acq. 294-296., war er gefaßt und ruhig; denn nur das Ungewisse kann kraftvollen Menschen eine Zeit lang die Besonnenheit rauben. Er bat, man möge sein Pferd und seine Rüstung den Brüdern des heiligen Grabes übergeben, damit sie für seine Seele beten möchten; es ward versprochen. Viele Pfeile der Christen trafen nunmehr Gerharden beim heftigen Angriffe; die Bewohner aber, empört und geängstet über solche Härte, wurden desto rastloser in der Vertheidigung. Alle Stürme blieben vergeblich, alles Kriegszeug vermochte keine Öffnung in die Mauern zu brechen, die Zufuhr vom Meere her fand ungestört Statt und Gottfried sah sich endlich gezwungen, im December 1099, ohne Erfolg nach Jerusalem zurückzukehrenAccolti IV, 384.. Büßungen und Reinigungen wurden hier nach Arnulfs Befehlen angestellt, damit ein jeder sich von der Schuld an dem Tode Gerhards von Avennes löse.
{1100} Unerwartet und ohne eine neue Umlagerung, ergaben sich aber die Bewohner von Arsuf im nächsten Frühjahre, 228 {1100} weil sie außerhalb der Mauern vor Angriffen nicht sicher waren, und die Hülfe aus Ägypten zu entfernt und zu ungewiß erschien. Selbst Gerharden von Avennes, der nicht an seinen Wunden gestorben war, gaben sie die Freiheit wieder und er kehrte nach Jerusalem zurück, wo ihn das Volk mit Jubel aufnahm und der König mit reichen Geschenken belohnte.
Mittlerweile langte der Graf von Toulouse mit fast 20,000 rückkehrenden Pilgern bei Laodicea an, welche Stadt Boemund mit Hülfe neu angekommener Genueser und Pisaner belagerte. Heftig tadelte der Graf das Unternehmen des Fürsten von Antiochien und schalt dessen Behauptung: daß die griechischen Bewohner weder rechtgläubig noch den Kreuzfahrern günstig gesinnt wären, einen leeren Vorwand, um seine Habsucht damit zu verdecken. Auch der Erzbischof Daimbert von Pisa, welcher vom Papste Paschalis nach dem Tode des Bischofs von Puy zu seinem Bevollmächtigten ernannt, und auf der pisanischen Flotte angelangt warDer Consul Hildebrand Matti führte 120 pisanische Schiffe. Tronci zu 1098., erklärte sich nunmehr gegen die Unternehmung und hemmte hiedurch die Thätigkeit der Pisaner und Genueser. Da söhnte sich Boemund, wie immer klüglich den Umständen nachgebendChronogr. Saxo zu 1099. Dodechin zu 1100., mit Raimund aus und hinderte ihn, nach des Erzbischofs Vermittelung, nicht an der Besitznahme der Stadt. Hierauf unternahm er mit diesem und mit Balduin von Edessa, zur Lösung ihres Gelübdes, die Pilgerfahrt nach Jerusalem; und es begleiteten sie fast 26,000 Reiter und Fußgänger, von denen der größere Theil erst später aus Frankreich und Italien in diesen Gegenden angelangt warIm December 1099. W. Tyr. 771. Accolti l. c..
Nach einem, durch die ungünstige Jahreszeit und den Mangel an Lebensmitteln doppelt beschwerlichen Zuge, 229 {1100} erreichten die Fürsten Jerusalem und ernannten, im Einverständnisse mit dem Könige, den Erzbischof Daimbert zum Patriarchen; es sey nun, weil man ihn für den tauglichsten hieltAlb. Acq. 295. Fulch. Carnot. 400. Memor. d'illustri Pisani III, 1., oder weil er Balduin und Boemund durch Geschenke gewann, welche er als Gesandter in Spanien vom Könige Alfons für den Papst Urban angeblich erhalten, aber nicht abgeliefert hatte. Außerdem haßte man Arnulf seiner Herrschsucht und seiner Sitten wegen, und führte an: daß er früher nur die Stelle eines UnterhelfersSubdiaconus. Raim. de Agil. 180. in der Kirche bekleidet habe und der Sohn eines Priesters sey, was ihn, nach Gregors VII Bestimmungen, zu allen geistlichen Würden unfähig mache. Arnulf legte gezwungenHist. belli sacri 231. Rad. Cad. 198. Alber. 188., oder wie einige erzählen, um des Heils der Christenheit willen, freiwillig seine Würde nieder und man hoffte, es werde zwischen der weltlichen und geistlichen Macht in Jerusalem kein Streit wieder eintreten. Allein bald zeigte die Stellung des neuen Patriarchen gegen den König, daß sich mit der Übernahme einer Würde, eines Berufes, auch die dazu gehörigen Ansichten und Grundsätze ohne Rücksicht auf persönliche Eigenschaften in der Regel entwickeln, ja entwickeln sollen.
Im Jahre 1063 hatte der ägyptische Sultan Mostanser befohlenWilh. Tyr. 772., daß die Christen in einem bestimmten Viertel der Stadt Jerusalem wohnen, und für diesen Theil alle Arbeiten, Befestigungen, Wachen u. s. w. übernehmen sollten. Damals war der erste Geistliche auch der angesehenste Mann unter den Christen; und auf diese frühere Stellung und die allgemeinere kirchliche Ansicht gestützt, behauptete itzt der neue Patriarch: daß die Ausdehnung christlicher Macht in diesen Gegenden, nothwendig die Ausdehnung 230 {1100} der geistlichen Herrschaft mit sich führe, und die später entstandene weltliche Macht, derselben ohne Zweifel untergeordnet seyn müsse. Gottfried und Boemund, denen der Patriarch seine Erhebung verdankteBernard. Thesaur. 729., hatten sich von ihm das Königreich Jerusalem und das Fürstenthum Antiochien übertragen lassen, und dieser, aus geistlicher Gesinnung begangene Staatsfehler, schien die Ansprüche Daimberts auf Jerusalem zu bestärken und zu rechtfertigen. Deshalb verglich sich Gottfried, allen Hader hassend, mit ihm dahin: daß nach Vergrößerung des Reiches durch das Erobern mehrer Städte, oder nach seinem kinderlosen Absterben, Jerusalem mit allem Zubehör dem Patriarchen anheimfallen, der vierte Theil von Joppe ihm aber sogleich übergeben werden solle.
Nie erschien übrigens wechselseitiges Nachgeben und Verträglichkeit nöthiger als itzt, wo sich, einer Zählung zufolge, in Jerusalem nur 200 Ritter und 2000 dienstfähige Fußgänger befandenWilh. Tyr. 773. und diese wenigen sogar noch Mangel litten. Dennoch war der Ruhm des Königs und der Pilger so wohl begründet, daß mit den Befehlshabern von Ptolemais, Askalon, Cäsarea, ja mit dem Fürsten von Damaskus Verträge zu Stande kamen, wonach einige Zins versprachen und alle einen freien ungestörten Handel bewilligtenAlb. Acq. 298. Annal. Saxo zu 1099.. Ohne diese Handelsfreiheit würden die, rings von Feinden umgebenen Christen, nothwendig dem Mangel erlegen seyn. – Auch arabische Fürsten überbrachten ehrfurchtsvoll dem Könige Geschenke, bezeigten aber zugleich ihre Verwunderung, den Bezwinger so vieler Völker auf einem Strohsacke an der Erde sitzen zu sehn. Er antwortete ihnen: »warum soll die Erde, welche nach dem Tode die Ruhestätte aller ist, nicht auch dem lebendigen dazu dienenAlberic. 184.?« Da sprachen jene erstaunt: »wahrlich dieser 231 {1100} Mann ist geboren, auf daß er die Welt überwinde und alle Völker beherrsche!« Sie erkannten, wie die Kraft zu großen Thaten in dem Maaße wächst, als man den Sinn vom Geringen wegwendet und dem Unbedeutenden keinen Werth beilegt. – Um einem anderen arabischen Fürsten seine Kräfte zu zeigen, durchhieb Gottfried den Hals eines Kameeles mit dem Schwerte; als aber jener den Erfolg bloß aus der Schärfe des Stahles herzuleiten schien, erbat er sich dessen Schwert, und gleich glücklich war die Wiederholung des Streichs.
Von einem so kräftigen Manne versprach man sich eine lange und glückliche Regierung; allein der ungewohnte Himmelsstrich und die großen Anstrengungen untergruben seine Gesundheit, und als er nach Joppe eilte um den, mit einer Flotte angelangten Sohn des Dogen Micheli von Venedig zu bewillkommenAnnal. Saxo 1100. Marin III, 7, 16., ergriff ihn ein viertägiges Fieber. Zum letzten Male erfreute er sich seines Lebens, empfing große Geschenke, hörte wie das ganze Abendland seines Ruhmes voll sey und wurde dann, weil das Geräusch von der Flotte her und das Toben der Soldaten ihn zu sehr beunruhigte, nach Jerusalem zurückgebracht. Alles Flehen der Christen, aller Rath der Ärzte blieb aber auch hier ohne Frucht, und Gottfried starb am achtzehnten Julius des Jahres 1100Alb. Acq. 298. Alberic. 185. Ursperg. chr.; er ward beerdigt in der Kirche des heiligen Grabes und gleichmäßig beweint von Franken, Syrern und Griechen. Seine einfache Grabschrift lautetBinos Reise 263; le Bruyn II, 253.: »hier liegt Gottfried von Bouillon, welcher dies ganze Land dem Christenthume gewann; seine Seele ruhe in Christo!«