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{1096} So war das Schicksal der ersten Heere. Es deutete den nachfolgenden gleiches Unglück: denn Ungern, Bulgaren, Griechen und Türken waren den Pilgern itzt gleich abgeneigt, und alle gedachten mehr des Widerstandes, als der Unterstützung oder der Unterwerfung. Und dennoch läßt sich behaupten: das Verderben der Einen habe den Sieg der Andern begründet. Die Untauglichen, die Zügellosen, welche nur die Bessern verderbt und verführt hätten, waren aufgerieben, und man hatte durch schwere Erfahrungen die unentbehrliche Einsicht gewonnen: daß die Überzahl keine Übermacht gewährt, wenn Gehorsam und besonnene Einheit mangelt, und daß derjenige nur ein tauglicher Anführer ist, welcher die Willkür der Menge bezähmt und beschränkt. – Wenn aber itzt die größern Heere gleichzeitig aufgebrochen und eine Straße gezogen wären, so würde nothwendig Unordnung und Mangel an Lebensmitteln eingetreten seyn; deshalb beschloß man vorsichtig, daß der Herzog von Lothringen durch Ungern und der Graf von Toulouse durch Dalmatien ziehen, alle Übrigen aber den Weg nach Apulien einschlagen und dann zu Schiffe über das adriatische Meer setzen sollten.
Dem gemäß versammelte Gottfried von Bouillon sein Heer am Rheine, um die Mitte des Monats August 1096. Ihn begleiteten Balduin sein Bruder, Balduin von BurgViele andere Kreuzfahrer nennen: Wilh. Tyr. 654, Fulco 892, Alberic. 183., 76 {1096} die Grafen Garner von Greis, Reinhard von Toul, Heinrich und Gottfried von Ascha, Kuno von Montaigu, Hugo von St. Paul, und unzählige andere Ritter und EdleAnna Comn. 232, giebt sein Heer auf 10,000 Mann zu Pferde (ἱππεων) und 70,000 zu Fuß an; andere Schriftsteller schweigen über die Anzahl.. Bei der äußerst fruchtbaren Ärnte dieses JahresFulch. Carn. l. c. Ann. Saxo., konnte Gottfrieds Heer ungetheilt durch Deutschland ziehn, und erreichte am zwanzigsten September Tollenburg an der Leitha, die Grenzstadt des Reichs gegen Ungern. Von hier ging Graf Gottfried von Ascha mit zwölf Rittern voraus, zu dem von alter Zeit her ihm befreundeten König von Ungern, und sprach nach des Herzogs Weisung: »wir hörten daß viele Pilger in deinem Reiche den Tod fanden, und kommen ihre Niederlagen zu rächen, wenn sie ohne Schuld von dir angegriffen wurden; wir wollen dagegen keine Feindseligkeiten üben, wenn du beweisest daß ihre Bestrafung gerecht war.« – König Kalmany erzählte die Frevelthaten der Pilger und wünschte eine persönliche Zusammenkunft mit dem Herzoge, auf daß alle Zweifel gelöset und die nothwendigen Verträge abgeschlossen würden. Ob nun gleich des Königs Verfahren gegen die Pilger keineswegs über jeden Vorwurf erhaben war, so schien es doch weit räthlicher sich zu beruhigen, als mit Beiseitsetzung des Hauptzweckes, einen neuen gefährlichen Feind zu bekämpfenW. Tyr. 652.. Gottfried willigte deshalb in eine Unterredung, und ritt mit 300 Edeln nach dem Schlosse Liperon, wo ihm der König bis zur Brücke entgegen kamDen 11ten November, nach Fulco 896. und für seine, hier zurückbleibenden Begleiter Sorge trug. Binnen kurzer Zeit waren die Hauptbedingungen des feierlichen Vertrages, freier Handel und friedlicher Durchzug festgestellt, als ein unerwartetes Hinderniß in den Weg tratAlb. Acq. 199.. Balduin, Gottfrieds Bruder, welchen der König als Geißel verlangt hatte, wollte 77 {1096}sich nämlich auf keine Weise stellen: es sey nun, daß er es für unwürdig hielt, oder für gefährlich, oder für beides zugleich. Gottfried aber, dem überaus daran gelegen war, nicht durch Zögerung Argwohn und durch Argwohn Feindseligkeiten herbei zu führen, trat hervor und sprach: »so werde ich mich selbst als Geißel stellen, dem Worte des Königs und der guten Zucht der Pilger vertrauend.« – Hiedurch beschämt, willigte Balduin endlich ein, und begab sich mit seinem Weibe und seinen Begleitern zu Kalmany. Dieser ließ allen Ungern befehlen, die Pilger friedlich zu behandeln und ihnen nach rechtem Preise, Gewichte und Maaße, Lebensmittel zu verkaufen; Gottfried hingegen untersagte bei Todesstrafe Raub und Gewalt jeder Art: und so groß war des letzten Ansehn, so geordnet der Zug, daß nicht die geringste Klage entstand. Vielmehr dankte Kalmany, welcher mit seinen Mannen dem Heere vorsorglich zur Seite gezogen war, an der Gränze des Reiches persönlich dem Herzoge, gab die Geißeln zurück, und vertheilte ansehnliche Geschenke unter die Fürsten und die vornehmsten EdelnW. Tyr. 653.. Auch Kaiser Alexius ließ den Wallfahrern beim Eintritt in sein Reich eine freundliche Aufnahme und freien Handel versprechen, wenn sie auf Zucht und Ordnung halten wollten; und ohne daß irgend ein Theil zu Beschwerden Veranlassung gab, kam das Heer über Belgrad, Nizza und Sternitz nach Philippopolis. Hier aber erhielt der Herzog die NachrichtAlb. Acq. 200. Fulch. Carn. 384.: Graf Hugo von Vermandois, der Bruder des Königs von Frankreich, sey von den Griechen gefangen worden.
Mit zahlreicher Begleitung war Hugo nach Italien gezogen, und hatte in Lukka nicht allein Urbans geistlichen Segen, sondern auch eine heilige Fahne empfangen, als Schutz- und Befeuerungs-Mittel in den Kämpfen wider die Ungläubigen. Klemens hingegen, des Kaisers Papst, suchte den Pilgern in Rom, jedoch ohne Erfolg, Hindernisse zu bereiten; 78 {1096} denn niemand wird mit Erfolg einer allgemeinen Richtung des Zeitgeistes entgegen treten, der seinem Widerspruche nicht durch das Aufstellen eines andern größern und mehr begeisternden Zweckes, Haltung und Gewicht giebt. –
Schon früher hatte Hugo vier und zwanzig Ritter nach Griechenland geschickt und freundschaftliche Aufnahme in anmaaßlichem Tone verlangtSchwerlich aber hat Hugo an Alexius geschrieben: ὁ βασιλευς των βασιλεων, και ὁ μειζων των ὑπ' οὐρανον, wie Anna erzählt, S. 225, 226.; Alexius aber, – der an bloß geistliche Zwecke der Kreuzfahrer nicht mehr glaubte, seitdem er vernommen, daß sich Boemund der Normann ihnen zugesellt hatte, – ließ die Küste von Dyrrhachium von seinem Neffen Johann bewachen, und eine Flotte im adriatischen Meere kreuzen, damit keine Pilger unbemerkt anlangen möchten, oder ihre Absichten doch so früh als möglich erforscht würden. Hugos Abgesandte erhielten öffentlich eine freundliche Antwort, obgleich Alexius insgeheim befohlen hatte: »man möge den Grafen zwar ehrenvoll aufnehmen, aber sich wo möglich seiner Person zur Sicherung gegen feindliche Absichten bemächtigen, und sogleich vom Gelingen oder Mißlingen dieser Vorschriften, nach Konstantinopel Bericht erstatten.« Man fand indessen nicht die gefürchtete Schwierigkeit; denn nach einer, von Bari aus glücklich begonnenen Fahrt, ergriff und zerstreute und zertrümmerte ein furchtbarer Sturm des Grafen Schiffe, und fast hülflos rettete er sich mit weniger Mannschaft ans Land. Dennoch ward er von den griechischen Abgeordneten feierlich empfangen und eingeladen: er möge sogleich nach Dyrrhachium kommen, wo des Kaisers Neffe seiner mit Ungeduld warte. Der ermüdete Hugo verlangte ein Pferd, – er hatte keines gerettet, – und sogleich sprang einer der Gesandten von dem seinen herab und bot es dem Grafen dar. Johann beschäftigte ihn jetzt auf eine geschickte Weise so lange in Dyrrhachium, bis Eilboten aus Konstantinopel zurückkamen und den Befehl überbrachten: man solle den Grafen 79 {1096} von Vermandois nicht auf der Heerstraße, wo herumziehende Pilger ihn leicht befreien könnten, sondern unter sicherer Begleitung über Philippopolis zur Hauptstadt führen.
Alexius überzeugte sich, daß er die Pilger weder mit Gewalt zähmen, noch mit Güte lenken werde; glaubte aber eine heilsam vermittelnde Auskunft gefunden zu haben, wenn es ihm gelänge, eine Lehnsverbindung mit ihnen zu knüpfen. Theils wurden dadurch die alten, allgemeinen Ansprüche der byzantinischen Kaiser wiederholt ausgesprochen, theils eine Aussicht auf die künftigen Eroberungen der Pilger eröffnet; und selbst wenn die Abhängigkeit nur gering bleibe oder wieder verschwinde, so untergrabe und zerstöre man doch die feindlichen Absichten, welche wenigstens Boemund gewiß gegen das griechische Reich hege.
Durch Geschenke und gewandte Vorstellungen ließ sich Hugo auch wirklich zur Leistung des LehnseidesΤον τοις Λατινοις συνηϑη ὁρκον. Anna 229. bewegen, wurde aber gleichwohl von dem argwöhnischen Kaiser nicht außer Aufsicht gelassen. Eine solche, obgleich durch Vermeiden aller äußern Gewalt und durch höfliche Vorwände gemilderte BeschränkungΟὐκ ἐλευϑερως δε παντελως εἰχε. ib. 228. Nach Wilh. Tyr. war die Gefangenschaft nicht so zierlich versteckt., erschien dem freien Fürsten drückend, und es ist wahrscheinlich, daß er selbst sich an Gottfried mit der Bitte wandte: beim Kaiser Befreiung von offenbarem oder verstecktem Zwange auszuwirken. Dieser lehnte aber, wie des Herzogs zurückkehrende Gesandten berichteten, das Gesuch um die Lösung Hugos und seiner Begleiter ab, worauf man sich zu Zwangsmitteln berechtigt hielt und die Gegend von Adrianopel verheerte, bis nach acht Tagen zwei Franken aus Konstantinopel in Gottfrieds Lager anlangten und die Befreiung aller gefangenen Pilger verkündeten. Sogleich hörten die Gewaltthaten auf, und mit Zucht und Ordnung zog das Heer gen Konstantinopel.
Am 23sten December des Jahrs 1096 erreichten die 80 {1096} Pilger den PropontisGest. Franc. 2. und lagerten sich von der Brücke bei dem Kosmidium, bis zu der Kirche des heiligen Phokas. Graf Hugo, Wilhelm mit dem Beinamen der Zimmermann und mehre andere eilten zu Gottfried, freudig dankend für die erfolgreiche Verwendung und warnend vor der Arglist der Griechen. Gleichzeitig erschienen Gesandte des Kaisers und verlangten: daß Gottfried mit wenigen Begleitern vor Alexius erscheinenW. Tyr. 654., und schleunige Vorkehrungen zum Übersetzen des Heeres nach Asien treffen möchte. Jenes ward abgelehnt, dieses aber verweigert, weil das Heer Erholung bedürfe und man die Ankunft der übrigen Wallbrüder abwarten wolle.
{1097} Hierüber erzürnt, verbot Alexius allen Handel mit den Pilgern, woraus aber unter diesen ein so großer Mangel entstand, daß sie plünderten um ihr Leben zu fristen, und hiedurch vom Kaiser den Widerruf jenes verderblichen Befehls erzwangen. Zugleich bat dieser den Herzog, er möge das Heer in die Vorstadt Pera verlegen, und dieser Vorschlag ward unverzüglich ausgeführt, weil beide Theile dabei zu gewinnen glaubten: die Pilger nämlich, weil sie unter leichten Zelten weder den Regengüssen noch dem heftigen Froste widerstehen konnten, und sich lieber in die, längs des Meeres erbauten Prachtgebäude einlagern wollten; die Griechen, weil die Kreuzfahrer dann durch den Meerbusen und den, im Winter anschwellenden, Fluß Bathyssus beschränkt und weniger im Stande wären, umherschweifend und plündernd die Gegend zu verwüsten.
Hiemit wär also die Einigkeit wieder hergestellt, als aber Alexius (fürchtend, daß der Anschein gänzlicher Wehrlosigkeit den Übermuth der Franken noch erhöhen dürfte), eiligst türkische Söldner warb und Schiffe zur Deckung der Küsten sammelte; so sahen die Pilger hierin nur Argwohn und feindliche Gesinnung, und der Herzog ließ dem Kaiser durch den Grafen von Ascha sagenW. Tyr. 656.: »er könne um so weniger vor ihm 81 {1097} erscheinen, da vieles von seinem bösen Willen und seiner Abneigung gegen die Kreuzfahrer sey hinterbracht worden; auch rechtfertige die Behandlung Hugos des Großen jede Vorsicht.« Hiegegen versicherte Alexius aufs feierlichste: »er sey gegen alle durchaus günstig gesinnt, und wolle den Herzog und seine Freunde ehren und belohnenAlb. Acq. 201., wie seine eigenen Verwandten und Freunde.« Dennoch blieb Gottfried unbeweglich. und nur zu bald fanden sich Veranlassungen neuen Streites. Der Kaiser ließ nämlich Boten auffangen, welche von Gottfried an Boemund und von Boemund an Gottfried gesandt waren, erschrak über die, bei dieser Gelegenheit entdeckten feindseligen Absichten der Normannen, und hielt nunmehr ein feindliches Verfahren gegen die Pilger für vollkommen gerechtfertigt. Zunächst sollten wiederholte Beschränkungen des Handels, vor der Ankunft Boemunds, den Herzog zur Annahme der kaiserlichen Vorschläge bewegen; allein dieser, der sich keiner Mitschuld bewußt war, sah deshalb in Alexius nur einen Feind der Christen und ihrer frommen Unternehmungen, und ließ sogleich durch Gesandte die Aufhebung dieses erneuten Handelsverbotes fordern.
Unterdeß wollten die Pilger mit dem Anbruche des Tages, wie gewöhnlich, am Meere Lebensmittel einkaufen: allein Turkopulen, welche auf Schiffen herzueilten, vertrieben jene und nicht minder die griechischen Schleichhändler; ja sie erschossen sogar einige Franken, welche sich an den Fenstern der, längs des Ufers stehenden Gebäude sehen ließen. Eine so große Beleidigung setzte die Kreuzfahrer in den höchsten Zorn, und gleichzeitig verbreitete sich das Gerücht, ihre lang ausbleibenden Gesandten wären von den Griechen verhaftet wordenAnna Comn. 232. Ich habe ihre Erzählung mit der abweichenden abendländischen zu vereinigen gesucht, da beiden doch eine Thatsache zum Grunde liegt.. Nur durch einen raschen allgemeinen Angriff, glaubten sie der Einschließung und dem Untergange 82 {1097} entfliehen zu können; ehe sie sich aber in Schaaren ordneten, zündeten sie die herrlichen Paläste am silbernen See an, und tödteten die vereinzelten Bewohner welche ihnen, wie alle Griechen, als Feinde erschienen. Kaum hörte Alexius von diesem Aufstande, so schickte er schnell die lateinischen Gesandten zurück, betheuerte seine Unschuld und suchte um einen Waffenstillstand nach: denn unschicklich sey es für Christen, an dem heiligen Tage, wo Christus das Nachtmahl zu seinem Gedächtniß eingesetzt habe, unschicklich sey es in der Leidenswoche zu kriegen. Und gewiß hatte Alexius den Kampf jetzt nicht gewollt oder veranlaßt. Sechzehn Jahre1081 war Ostern den vierten, 1097 den fünften April, also traf der Wochentag, nicht der Jahrestag genau ein. Wie soll aber dies damit vereinigt werden, daß Gottfried schon im März (W. Tyr. 657.) nach Asien übersetzte und Boemund um Ostern bei Konstantinopel anlangte? Siehe was in der ersten Beilage über die Thronbesteigung des Alexius gesagt ist, und Wilken I, 114. zuvor, war nämlich an diesem Tage die Kaiserstadt auf seine Veranlassung durch Miethlinge eingenommen, und der Plünderung preisgegeben worden. Aber die Franken zogen, ohne Rücksicht auf seine friedlichen Anträge vorwärts, und das Volk in Konstantinopel fürchtete, nicht minder wie die Vornehmen, den Untergang des Kaisers als eine Strafe des Himmels. Schon hatte Balduin, Gottfrieds Bruder, die Brücke über den Bathyssus gewonnen, schon umlagerte das Heer die Stadt und hoffte im Vertrauen auf Tapferkeit und Überzahl, ohne Belagerungswerkzeuge die Mauern zu erstürmen. Während dieser, von Augenblick zu Augenblick steigenden Besorgniß der Griechen, behielt nur Alexius die Fassung. Er saß ohne Panzer und Waffen unter freiem Himmel auf seinem Throne, nicht erschreckt, als einer von seinen Begleitern neben ihm durch feindliches Geschoß niedergestreckt wurdeAnna 233.; und erst jetzt, nachdem alle Hoffnung eines friedlichen Vergleichs verschwunden war, ließ er die Mauern besetzen, die Angriffe zurücktreiben, 83 {1097} und seine Mannschaft gegen die Franken ausrücken. Bis zum Abend dauerte der Kampf, ohne Entscheidung: denn die Griechen kehrten in die Stadt zurück, und die Franken lagerten sich vor den Thoren. Doch trieben diese aus der, in ihrer Gewalt bleibenden Umgegend, nicht bloß Lebensmittel ohne Bezahlung bei, sondern nahmen alles, was ihnen irgend behagte.
Damit solch Unheil abgewendet und der Herzog endlich zur Eidesleistung bewogen werde, sandte Alexius den Grafen von Vermandois mit neuen Vorschlägen in das fränkische Lager; allein Gottfried gab ihm zur Antwort: »du bist einem Könige gleich an Macht und Reichthum ausgezogen, aber ein Knecht gewordenΔουλος. Wie kannst du mich zu einer That auffordern welche nicht rühmlich, sondern schmachvoll ist?« Hugo erwiederte: »bei solcher Gesinnung hätten wir in der Heimath bleiben und nicht nach fremder Herrschaft trachten sollen; jetzt, wo wir der Hülfe des Kaisers zur Ausführung unseres Vorhabens bedürfen, halte ich es für Thorheit, sich ihn zum Feinde zu machen.« – Gottfried beharrte dennoch auf seiner Weigerung, und Hugo kehrte nach Konstantinopel zurück.
Um diese Zeit liefen Schreiben von Boemund ein, des InhaltsW. Tyr. 657. Alb. Acq. 202.: im Frühjahre werde er anlangen und hoffe, mit dem Herzoge vereint, leicht das griechische Reich zu erobern; bis dahin möge Gottfried vertheidigungsweise verfahren. Dieser antwortete: »ob ich gleich die Tücke der Griechen kenne, so bin ich doch zum Frieden geneigt und werde keineswegs den Zweck des ganzen Unternehmens bei Seite setzen, oder durch Feindseligkeiten gegen Christen, die Kräfte meines Heeres vor der Besiegung der Ungläubigen erschöpfen.« Wir müssen den Herzog verehren, daß er den gefaßten Beschlüssen und der eigenen Ueberzeugung treu blieb, doch läßt sich die Frage aufwerfen: ob nicht die Vollführung der Plane des 84 {1097} herrschsüchtigern Boemund, den Kreuzfahrern und der ganzen Menschheit mehr Vortheil gebracht haben würde. Denn bei der inneren Unmöglichkeit einer dauernden Einigung zwischen den überbildeten und stolzen Griechen, und den einfachern aber gewaltigen Abendländern, blieb das byzantinische Kaiserthum allen Unternehmungen wider Asien hinderlich; und damals wäre den übermächtigen Franken leicht und auf lange Zeiten die Gründung eines Reiches gelungen, das hundert Jahre später, unter dem Namen des lateinischen Kaiserthumes, in diesen Gegenden zwar entstand, allein bei ungenügenden Kräften bald wieder zu Grunde ging. Vielleicht hätten auch jene herrlichen Länder alsdann die Wiedergeburt erfahren, deren sich der Süden des Abendlandes noch erfreut, vielleicht hätten Osmanen dann nimmer zerstörend gegen die Denkmale einer größern Zeit gewüthet: – ja noch jetzt können wir für jene Länder, nach 700 Jahren voll Schmach und Elend, kaum eine andere Hülfe entdecken, als durch die Kräfte des Abendlandes.
Der Kaiser Alexius, welchem die Nothwendigkeit einleuchtete, sich um jeden Preis mit Gottfried vor der Ankunft Boemunds zu versöhnen, schickte, neuer Unterhandlungen wegen, einige seiner vornehmsten Heerführer ins fränkische Lager; allein deren bewaffnete Begleitung war so zahlreich, daß die Kreuzfahrer sie nicht für Friedensboten hielten, sondern einen feindlichen Angriff befürchteten. Auch kam es zu einem Gefechte, und wenn gleich die Griechen nicht den größeren Verlust erlittenAnna 235 schreibt den Griechen den Sieg zu., so ward doch für den Augenblick ihre Absicht vereitelt. Bald nachher sandte deshalb Alexius seinen eigenen Sohn Johannes ins fränkische LagerAlberic. 151., und bei einer solchen Geißelstellung konnte endlich der Herzog nicht mehr an den aufrichtigen Gesinnungen des Kaisers zweifeln: er überließ seinem Bruder die Führung des Heeres und eilte, von den edelsten Franken begleitet, nach Konstantinopel. Hier wollte man durch die höchste Pracht und Feierlichkeit des 85 {1097} Empfanges die Achtung und Ehrfurcht der Franken gewinnen, welche sich indeß nach ihrer Weise nicht weniger geschmückt hatten, mit golddurchwirkten Mänteln und kostbarem Pelzwerke. Alexius, auf dem Throne sitzend und von seinen zahlreichen Dienern umgeben, sprach zu den Versammelten:
»Mit großer Freude vernahm ich, daß die abendländischen Völker nicht mehr das Verdienst des Kampfes gegen die Ungläubigen, den Griechen allein überlassen wollten; sondern eingesehn hätten, wie der gesammten Christenheit nur ein einiges Ziel vorgesteckt sey. Meine Hoffnungen mehrten sich sobald der Herzog von Lothringen, keinem vergleichbar an geistlichen und weltlichen Tugenden, die Leitung der Pilger übernahm; und ich ordnete hierauf alles Nöthige zu ihrer Unterstützung, ich erwartete sie als Freunde und kein Zwist schien unter uns gedenkbar. Als aber Boemund (ein Mann, dessen unbegränzter Ehrgeiz schon früher meinem Reiche gefährlich wardSiehe die erste Beilage. sich den Wallbrüdern zugesellte, als er in den Herzen der meisten Argwohn gegen mich erweckte, als er mit Zurücksetzung der frühern heiligen Plane, den Herzog zum Kriege gegen mich aufforderte; da mußte ich meinen Herrscherpflichten nachkommen, und auf die Sicherung meines Reiches bedacht seyn. Diese Vorsicht wurde mir mit Unrecht als Feindschaft ausgelegt. Doch jener Argwohn und jene Zweifel sind nunmehr beseitigt: ich weiß daß weder der Herzog noch die Edeln ihre heilige Unternehmung in eine unheilige verkehren wollen, ich weiß daß die Pilger, getreu ihrer ersten Absicht, keinen Feind, keine Gefahr, keine Noth scheuen, um des Herren Grabmal aus den Händen der Ungläubigen zu erlösen, daß sie aber jede Befehdung von Christen für gottlos halten. Nein, nicht irdische Begierde, sondern Sehnsucht nach himmlischem Gewinne hat die Blüthe des Abendlandes für einen Zweck verbunden; wo fände sich also ein innerer Grund zu Streitigkeiten zwischen den Kreuzfahrern und den Griechen? Indem jene, von diesen unterstützt, nach Palästina ziehen, erobern 86 {1097} sie Länder welche die Ungläubigen meinem Reiche entrissen haben. Diese Länder, auf die ich unbezweifelt allein ein Anrecht habe, deren Besitznahme keineswegs zum Zwecke der Wallfahrt gehört, deren Vorenthaltung nur als Frevel anzusehn wäre; diese Länder müssen die Pilger mir überlassen. Indem sie dies eidlich versprechen, indem sie geloben, mir treu, hold und gewärtig zu seyn, bestärken sie nicht nur was menschliches und göttliches Recht ihnen ohnehin auflegt, sondern sie erwerben sich auch die größten Ansprüche auf meine unbegränzte Dankbarkeit.«
Nachdem Alexius seine Rede geendigt hatte, nahte Gottfried und schwur in die Hände des Kaisers den verlangten Eid über die Lehnstreue und die Rückgabe der eroberten altrömischen Landschaften; seinem Beispiele folgten die übrigen Edlen. Große Geschenke an Gold, Silber, Maulthieren, reichen Kleidern u. s. w., wurden nunmehr, nach Verhältniß der Macht und der Würdigkeit, unter die Franken vertheilt, und so sehr wußte Alexius durch Gewandtheit, Herablassung und Freigebigkeit die meisten zu gewinnen, daß unter andern Graf Stephan von Blois seiner Frau lobpreisend schrieb: »ein solcher Mann wie Alexius, lebt nicht mehr auf Erden!«Talis vivens homo non est sub coelo. Steph. epist. p. 237. Der Herzog von Lothringen wurde aber außerdem, damit das Band zwischen ihnen unauflöslicher werde, vom Kaiser feierlich zum Sohne, oder Cäsar, angenommen und auf jede nur denkbare Weise geehrt. Hierauf kehrte er ins Lager, Johannes dagegen nach Konstantinopel zurück. Beide Theile befahlen itzt den ihrigen Freundschaft und zuvorkommendes Wesen im Umgange, Billigkeit und Uneigennützigkeit im Handel; und diese Befehle wurden nicht übertreten. Wöchentlich sandte Alexius den Franken, – vielleicht einem ausdrücklichen Versprechen gemäß, – große Summen Geldes10 modii nach Albert. Acq. l. c., welche Gottfried uneigennützig vertheilte, die aber den Griechen für den Ankauf von Lebensmitteln schnell wieder zuflossen.
87 Im Frühlinge des Jahres 1097, überzeugte Alexius den Herzog, daß es, für den Fall der Ankunft neuer Pilger, unmöglich sey so viele Menschen bei Konstantinopel zu ernähren, und sehr beschwerlich sie binnen kurzer Zeit nach Asien überzusetzenAnna 235.. Deshalb schifften sich Gottfrieds Mannen sogleich ein, landeten in Bithynien, und schlugen bei Pelekanum ihr Lager auf. Die freundschaftlichen Verhältnisse mit dem Kaiser dauerten fort, und gern half dieser den kleinen Beschwerden ab, welche etwa bei dem Verkehre mit seinen Unterthanen entstanden.
Während all dieser Ereignisse hatten sich auch die anderen Heere von Kreuzfahrern in Bewegung gesetzt, zunächst das Heer Boemunds des Normannen. Dieser sah nach dem Tode seines Vaters Robert Guiskard keineswegs die Hoffnungen erfüllt, welche er, als dessen siegreicher Gehülfe, über die Größe seiner künftigen Herrschaft gefaßt hatte. Nur Otranto, Gallipolis und Tarent fielen auf seinen Antheil, und dieses kleine Besitzthum konnte dem rastlos Thätigen, Unternehmenden, keineswegs genügend erscheinen. Er stand vor Amalfi und belagerte, mit seinem Oheim Roger, die aufrührische StadtGest. Fr. 3. Rob. Mon. 35. Cola Aniello bei Pelliccia Vol. I. Guib. 488. Hist. belli sacri 144. W. Tyr. 658. Order. Vit. 724. Ganfr. Malat. IV, 24. Wilh. Malm. 130., als Nachrichten eintrafen: die Pilgerungen nach Palästina würden nicht von Einzelnen mit Stab und Hirtentasche unternommen, sondern von vielen tausend Bewaffneten, nicht von Geringen, sondern von den edelsten Fürsten. Schon zogen viele französische Ritter voll Muth und Eifer mit dem Grafen von Vermandois durch das Land, da zweifelte Boemund nicht länger, wohin er seine Thätigkeit zu wenden habe, sondern die allgemeine Stimmung der Gemüther benutzend, rief auch er: »Gott will es!« ließ einen kostbaren Mantel herbeibringen, zerschneiden, und sich nebst seinen Begleitern das Kreuz aufheften. So viele folgten diesen Beispielen, daß 88 {1096} Roger von Sicilien unwillig klagte: man lasse ihm das menschenleere Land zurück. Mit Tankred seinem Neffen, der sich mehr aus innerer Neigung als um der erhaltenen Geschenke willen ihm zugesellteRadulph. Cad. 114., mit 10,000 Reitern und sehr zahlreichem FußvolkeAlb. Acq. II, 18. hat diese Zahlen., segelte Boemund im Jahre 1096, noch vor Einbruche des Winters, von Italien nach der illyrischen Küste, landete bei Kabalion unfern Bousa und hatte zur Zeit des Weihnachtsfestes Kastorea erreichtAnna 229.. Als die Bewohner hier den Verkauf von Lebensmitteln verweigerten, nahm man sich nicht allein das Unentbehrliche mit Gewalt, sondern raubte jenen auch andere Güter zur Strafe ihrer feindlichen Gesinnungen. Bald nachher erfuhren die Pilger: Pelagonia, ein benachbartes festes SchloßAlberic. 152., werde nur von Ketzern bewohnt, und hielten sich durch ihr Gelübde zur Bestrafung derselben verpflichtet; die Feste wurde eingenommen, geplündert und nur wenige Einwohner entgingen dem Tode. Um diese Zeit langten Gesandte des griechischen Kaisers an, und ersuchten Boemund: er möge Raub und Mord verhüten, weil er auch nur in diesem Falle vor ähnlichem Unglücke sicher sey. Lebensmittel habe man an der Landstraße zum Verkauf ausgestelltAnna 237., alle Behörden zu jeglicher Dienstleistung angewiesen und der Kaiser schätze sich glücklich, daß er einen solchen Fürsten bald in Konstantinopel als Freund sehn werde, und ihm seine Hochachtung bezeigen könne. Boemund antwortete gleich verbindlich. Beide waren indeß ihren Worten nicht getreu: denn dieser forderte gleichzeitig den Herzog von Lothringen auf, er möge das griechische Reich zerstören; und jener sammelte ein Heer, um den Fürsten von Tarent wo möglich vor seiner Ankunft in Konstantinopel zu vertilgenHist. belli sacri 135. Rad. Cad. 115.. Hiezu bot 89 {1097} sich bald eine anscheinend günstige Gelegenheit: am sechzehnten Februar 1097Gesta Franc. 3., als das Heer der Pilger über den Fluß Wardari gehn sollte, besetzten die Griechen schnell und heimlich die ganze Gegend. Sobald nun etwa die Hälfte der Wallbrüder das jenseitige Ufer erreicht hatte, wurden die, unter dem Grafen von RoussillonW. Tyr. 659. Rossignolo. zurückgebliebenen, von den Griechen heftig angegriffen und erlagen schon der Überzahl, als Tankred, sich in den Fluß stürzend, zu Hülfe eilte, 2000 Reiter seinem Beispiele folgten und nun die Feinde ohne Mühe in die Flucht schlugen. Gefangene sagten zwar aus, der Angriff sey auf Befehl des Kaisers geschehn; allein Boemund verbarg seinen Unwillen, weil er nicht wußte welche Partei der Herzog von Lothringen erwählt habe.
Sobald Alexius von dem Mißlingen dieser Unternehmung benachrichtigt ward, ließ er durch eine zweite Gesandtschaft versichern: fremde Söldner hätten eigenmächtig die Feindseligkeiten begonnen, das Heer möge sich der Leitung seiner Bevollmächtigten anvertrauen und keinen ähnlichen Unfall befürchten. So gelangten die Pilger über Serra nach RusaRob. Monach. 37 schreibt Susa., wurden aber nicht in die Städte eingelassen, sondern mußten vor den Thoren unter Zelten lagern. Dieses neue Zeichen des Mißtrauens, woraus auch Mangel an Lebensmitteln entstand, setzte Tankred in Zorn; er wollte Unrecht und Gewalt mit Gewalt vertreiben, und ließ sich nur ungern von Boemund zurückhaltenOrderic. Vital. 727., dessen Plane eine ganz veränderte Richtung genommen hatten. Die Masse der Pilger war nämlich nicht geneigt gegen die Griechen, als Mitchristen, zu fechten, und der Herzog von Lothringen langte unerwartet im normannischen Lager an, und erklärte: »er sey nicht allein jeder Feindseligkeit gegen Alexius durchaus abgeneigt, sondern habe diesem auch den Lehnseid geleistet und müsse Boemund auffordern daß er, 90 {1097} für das allgemeine Beste, ungesäumt das Gleiche thue.« Nunmehr kam es darauf an: durch Ordnung, friedliches und zuvorkommendes Betragen, das Vertrauen des Kaisers zu gewinnen, damit er in Güte dasjenige bewillige, was sich keineswegs durch feindselige Maaßregeln erlangen ließ. Boemund eilte deshalb seinem Heere voraus nach Konstantinopel: denn dieses Heer war, obgleich auch beträchtlich, doch dem des Herzogs von Lothringen nicht gleich, und der verschlagene Normann besorgte, daß Alexius, von der früheren Furcht befreit, ihm wegen seiner geringeren Macht auch nur geringere Begünstigungen zugestehen würde. Der Kaiser aber, wohl wissend daß oft Eines Mannes Kraft und Sinn mehr werth ist, als ein ganzes Heer, empfing den gefürchteten Gast mit höchster Auszeichnung; und Boemund, nicht nachstehend an Gewandtheit, erwähnte der früheren Kriege bei Dyrrhachium und Larissa nur auf eine schmeichelhafte Weise, und fügte verbindlich hinzu: »er komme weiser geworden, nicht mehr als Feind, sondern als Freund.«Anna 239.. Den Lehnseid leistete er ohne WeigerungΦυσει ἐπιορκος und wenig bekümmert ums Halten der Eide, meint Anna l. c. und bezog eine, ihm eingeräumte prächtige Wohnung. Dahin ließ Alexius sowohl zubereitete als auch rohe Speisen tragen, mit dem Bemerken, der Fürst möge die letzten nach Landessitte zurichten lassen, wenn ihm die griechische Kochkunst nicht behage. Der Angabe nach traf man diesen Ausweg nicht bloß aus Höflichkeit, sondern auch um jeden Argwohn feindlicher Nachstellung zu vertilgen, und Boemund zog nun zwar die heimische Bereitung vor, zeigte aber durch das Vertheilen der andern Speisen unter seine FreundeAnnas Behauptung, Boemund habe die Speisen unter seine Freunde vertheilt, weil er sie für vergiftet gehalten habe, ist unglaublich. Das wäre in der That ein sonderbarer Freundschaftsdienst!, daß er keineswegs eine Vergiftung derselben befürchtete.
Hierauf ward, nach des Kaisers Befehl, ein Zimmer ganz mit Gold, Silber, reichen Kleidern und andern 91 {10997} Kostbarkeiten angefüllt, und Boemund dahin geführt. Anfangs staunte dieser, dann aber, – wie jeder tüchtige Mann über den bloßen Besitz hinaus, an Anwendung und Zweck desselben denkend, – rief er laut: »wahrlich, besäße ich solche Schätze, längst wäre ich Herr vieler Länder geworden!«Anna 240.
Die Führer verkündeten dem Fürsten daß der Kaiser ihm alles schenke, was in diesem Zimmer aufbewahrt werde, und um der künftigen Anwendung willen nahm Boemund das Dargebotene dankbar an. Nachdem aber die Schätze in seine Wohnung gebracht waren, dünkte es ihm daß er entweder seine Freude zu unverholen gezeigt habe, oder die Annahme eines freien Fürsten nicht würdig sey und übermäßige Verbindlichkeiten auflege: er sandte deshalb alles dem Kaiser zurück. Sobald dieser jedoch äußerte: nur das schlecht und unwürdig Befundene kehre zum Geber zurück, sobald er, dem Fürsten vielleicht nicht unerwartet, das Anerbieten erneute, ließ sich dieser nicht nur bereden jene Geschenke zu behalten, sondern bat, kühner geworden, auch um die Statthalterschaft über die zu erobernden asiatischen LandschaftenAnna 241.. Alexius, fürchtend daß Boemund dadurch überwiegenden Einfluß auf die andern Lateiner gewinnen und auch gegen ihn selbst anmaaßend werden möchte, suchte AusflüchteΠρος Κρητα κρητιζων ibid., benahm ihm jedoch nicht alle Hoffnungen, indem er vorher nur noch Beweise seiner Thätigkeit und seines guten Willens verlangte. Dazu schien er um so mehr berechtigt, weil Tankred das Heer zwar mit Ordnung gen Konstantinopel geführtUm Ostern (fünften April) 1097. Rad. Cadom. 119-120. Vergleiche indessen S. 82, Note 1., dann aber ohne sich beim Kaiser zu melden, oder auf dessen Einladungen Rücksicht zu nehmen, nach Bithynien übergesetzt hatte. Boemund versprach indeß zur Beruhigung des Kaisers, daß er seinen Neffen anhalten wolle, den Lehnseid künftig zu schwörenNach den lateinischen Schriftstellern (Gest. Fr. 4, Hist. belli sacri 149, Tudebod. 780, Balder. 93, Guibert. 490) überließ Alexius schon itzt Antiochien an Boemund mit einem Gebiete von vierzehn Tagereisen in der Länge und acht in der Breite; allein es ist unwahrscheinlich, daß man damals schon künftige Eroberungen vertheilte, oder Boemund seine Absichten auf Antiochien oder irgend eine eigene Herrschaft bestimmt geäußert habe. Auch widerspricht Anna Comn. 252, ganz ausdrücklich jenen Behauptungen und nennt Boemund eidbrüchig, daß er Antiochien dem Kaiser habe vorenthalten wollen..
92 {1097} Wenig später als Boemund, jedoch mit einem geringeren Heere, langte Graf Robert von Flandern auf demselben Wege bei Konstantinopel an, leistete den Eid, ward beschenkt, und führte dann seine Begleiter über die Meerenge nach Chalcedon, zu den Heeren Gottfrieds und Boemunds. – Das vierte Heer des Grafen Raimund von Toulouse und des Bischofs Ademar von Puy brach im Spätherbste des Jahres 1096 aufW. Tyr. 660., und zog durch die Provence und Lombardei über Aquileja nach Dalmatien. Nur an den Küsten dieses Landes wohnten Griechen oder lateinische Christen; des Innern hatten sich slavische Stämme bemächtigt, welche aber, aus Furcht vor den Pilgern, in unzugängliche Bergschluchten oder dichte Wälder geflohen waren. Wenige Lebensmittel fand man in den verlassenen Wohnungen, dichte naßkalte Winternebel umhüllten das bergige und flußreiche Land, und wo nur irgend Pilger, um dem Mangel zu steuern, sich vom Heere entfernten und etwa verirrten, wo nur ein Ermüdeter oder Kranker zurückblieb, da brachen die Slaven aus ihrem Hinterhalte hervor, und plünderten und mordeten ohne BarmherzigkeitAnna 231 erzählt zum sechsten December, daß Raimund auf einem großen Schiffe nach Dyrrhachium gesegelt und mit einer Abtheilung der griechischen Flotte in Kampf gerathen sey. Die Landung erfolgte erst nach geschlossenem Waffenstillstande. Hiervon schweigen alle abendländischen Geschichtschreiber und es ist unwahrscheinlich, daß Raimund sich vom Heere getrennt habe.. Die Bemühungen Raimunds das Heer zu sichern, genügten auf keine Weise: denn alle Angriffe geschahen 93 {1097} unerwartet, bald aus den Büschen, bald aus den gekrümmten Bergschluchten; und so schnell retteten sich die Feinde, so schnell waren sie den, des Landes Unkundigen, im Nebel verschwunden, daß an keine Verfolgung gedacht werden konnte. Erst als Raimund bei einem Gefechte, welches ihm selbst Gefahr brachteRaimund. Agil. 139., tapfer streitend einige Gefangene machte und diese unter schrecklichen Martern hinrichten ließ, milderten sich die Gewaltthätigkeiten. Nach drei mühseligen Wochen erreichte man das feste SkodraSkodra liegt zwischen den Flüssen Clausula und Barbana. Mannert VII, 354. und schloß mit dem, durch Geschenke gewonnenen Fürsten der Slaven Bodinus, einen FreundschaftsvertragOrder Vit. 724.. Das Wort eines solchen Fürsten hemmte jedoch die Willkür seiner Unterthanen nicht, und zwanzig, den frühern gleich beschwerliche Tagereisen, brachten erst an die griechische Gränze. Aber auch hier wurden die Versicherungen der Freundschaft von Seiten der Griechen, das Versprechen eines durchaus geordneten Zuges von Seiten der Pilger, keineswegs gehalten: denn als der Bischof von Puy sich in der Gegend von Pelagonia, wahrscheinlich um mangelnde Lebensmittel zu erbeuten, mit nur geringer Begleitung vom Lager entfernt hatte, überfielen ihn Petschenegen und hätten ihn getödtet, wenn nicht einer der ihrigen, in der Hoffnung größeren Lohnes, bis zur Ankunft der Christen als sein Vertheidiger aufgetreten wäre. Die Lateiner bemitleideten sehr den Unfall des Bischofs; wogegen die Griechen, denen die Kriegslust der abendländischen Geistlichen ein Gräuel war, darin nur die gerechte Strafe des Himmels sahenΜη ϑιξης, μη γρυξης, μη ἁψη, ἱερωμενος γαρ εἰ. Anna 231..
Als Raimund beim Schlosse Bucinat ankam, wollten ihm die Petschenegen den Durchzug durch ein enges Bergthal verwehren, allein sie wurden zurückgeworfen. In Thessalonich geschahen keine Gewaltthaten, wogegen Russa (Rugia) 94 {1097} erobert und geplündert wurde, weil die Gesinnung der Bewohner feindlich erschien; bei Rodestol (Rhaedestus) endlich, besiegte man die, zur Rache herbeieilenden Griechen. Es ist schwer zu entscheiden, ob des Kaisers Befehl oder die eigenmächtige Willkür seiner Söldner diese Angriffe veranlaßtAnna schweigt über diese Begebenheiten., oder ob am allermeisten wilde Habsucht der Pilger, die Einwohner zur Nothwehr gezwungen habe.
Um diese Zeit kehrten Gesandte des Grafen Raimund aus Konstantinopel mit der Einladung zurück: daß er zum Kaiser kommen möge, um so günstig als Gottfried und Boemund empfangen zu werden. Der Graf traute ihren Worten, obgleich manche die Freundschaft und Großmuth der Griechen bezweifelten und jene günstigen Berichte der Gesandten, als eine Folge erhaltener Geschenke betrachteten. Der Herzog von Lothringen, sein Bruder Balduin, Boemund und andere der angesehensten Edeln wurden von Pelekanum nach Konstantinopel berufenDies geschah öfter zur Erhöhung der Feierlichkeiten, also gewiß auch diesmal. Anna erzählt einiges von dem hier in den Text Aufgenommenen bei Gelegenheit (S. 237, 238) einer Audienz nach Gottfrieds Eidesleistung und vor Boemunds Ankunft. Weil indeß damals wenig bedeutende Pilger eingetroffen seyn können, Boemund ohne Weigerung den Eid schwur und eine zerstreute Anführung der Vorfälle kein deutliches Bild giebt, so habe ich alles Einzelne hier zusammengefaßt. Raimunds beharrliche Weigerung machte diese Audienz gewiß zu der unruhigsten., damit der Empfang Raimunds und seiner Begleiter desto prachtvoller und feierlicher werde. Allein der Graf von Toulouse verweigerte die Eidesleistung so beharrlich, daß selbst unter den fränkischen Baronen, welche nachgiebiger gewesen waren, ein mißbilligendes Gemurmel entstand; da sprach Raimund zu seiner und der seinigen Rechtfertigung: »ich habe bei diesem Zuge Gott geschworen, und kann keinem Menschen den Eid leisten. Ja es ist sogar Unrecht zweien irdischen Herren zu huldigen; denn leicht entsteht ein Widerstreit der Pflichten und von dem abendländischen Lehnsherrn kann 95 {1097} die Annahme eines morgenländischen, als Lehnsfrevel angesehn und bestraft werden.« Dies kühnere Wort machte auch manche der Übrigen dreister: so trat ein Ritter zum Kaiser, machte ihm Vorwürfe und verlangte mannigfache AuskunftAnna 344.; und ehe dieser noch antworten konnte, drängte sich schon ein zweiter, ein dritter herzu und brachte mit gleichem Geräusche, mit gleicher Umständlichkeit seine Worte vor. Anfangs blieb Alexius gefaßt und geduldig, endlich aber stand er auf und ging hinweg zu den Fürsten welche ihm bereits geschworen hatten. Da nahte Ritter Robert von Paris ungeschickt neugierig dem ThroneDu Fresnes Note zu Anna 233. und setzte sich breit auf des Kaisers Sessel; nicht nur zu großem Mißfallen der erstaunten Griechen, sondern auch heftig getadelt von den Lateinern. Denn Balduin ging auf ihn zu und führte ihn mit der Erinnerung hinweg: daß derjenige allemal ungesittet ist, welcher gegen die Sitte eines Landes wissentlich verstößt. Jener antwortete aber erzürnt: »soll denn der grobe Mensch allein sitzen während solche Fürsten um ihn stehn?«Anna 233. Der Kaiser saß allein. Albert. Acq. II, 16. Alexius, dem diese Worte hinterbracht wurden, fragte, wer und woher er sey, und jener sprach: »ich bin nichts als ein Franke aus edlem Geschlechte, und will dem Kaiser nur dies erzählen: in meinem Vaterlande steht auf einem Kreuzwege eine uralte Kapelle, in welche jeder der einen Zweikampf wagen will, hinein geht um zu beten und den Gegner zu erwarten; allein so oft ich auch betete und so lang ich wartete, fand sich dennoch keiner, der den Kampf mit mir gewagt hätte.« Der Kaiser entgegnete: »du wirst nun glücklicher seyn, wenn du wirklich Gelegenheit suchest deinen Muth zu zeigen. Weder im Vorderzuge noch im Nachzuge werden dich die Türken warten lassen, kaum in der Mitte dürftest du die frühere Sicherheit finden.«
Bald nach diesen Ereignissen ward Raimunds Heer in der Nacht angegriffen: manche Pilger kamen um, andere 96 {1097} verloren ihre Güter, und so vieler Leiden des Zuges eingedenk, über so ungünstige Aufnahme erzürntW. Tyr. 662., beschlossen fast alle die Rückkehr in ihre Heimath. Nur mit Mühe konnten die Ermahnungen der Geistlichen sie zurückhalten. Alexius, benachrichtigt daß man ihn als Urheber dieser feindseligen Behandlung in Verdacht hätte, erbot sich seine Unschuld eidlich zu erhärten, und behauptete seinerseits: durch Raub und Gewalt müßten die Pilger selbst den Unfall veranlaßt haben. Diese Versicherungen beruhigten indeß den Grafen Raimund auf keine Weise, weshalb ihm endlich Herzog Gottfried vorstellte: vereinzelt müsse er den Griechen unterliegen, und Hülfsmannschaft könne man beim Mangel von Schiffen unmöglich aus Asien herbeiführenRaim. 141. Guib. VI, 15. Accolt. I, 101. Alberic. 155. Tudebod. 781.. Eben so wenig dürfe man weiter ziehen und die Griechen als Feinde im Rücken lassen, oder alle eroberten Städte mit Besatzungen versehen; endlich bringe ihm die Eidesleistung keinen Schaden, allen Übrigen aber Nutzen. Als der Graf ungeachtet dieser Vorstellungen noch immer zweifelte und zögerte, so erklärte Boemund: er werde dem Kaiser gegen jeden Angriff beistehn; und über diese neue Beleidigung von einem Genossen des Kreuzzuges doppelt erzürnt, ließ Raimund gegen Alexius die Worte fallenAnna 241.: »jenem Normann ist Arglist und Meineid gleichsam als Erbtheil beschieden, darum erscheint ihm das Schwören so leicht, aber das Halten unmöglich.« Diese Aeußerungen änderten des Kaisers Plane, und er war zufrieden, daß der Graf nicht den Lehnseid leisteRaim. l. c. Guibert. 490. Hist. belli sacri 148. Orderic. Vital. 728. Ueber diese Eidesleistungen siehe noch: Alb. Acq. II, 16, 28. Wilh. Malmesb. 4. Fulch. Carn. I, 4. Anna 236., sondern nur beschwöre: er wolle gegen sein Leben und gegen seine Ehre nie etwas Feindseliges unternehmen oder befördern. Hierauf 97 {1097} erhielt Raimund nicht nur die gewöhnlichen Geschenke, sondern aus dem gemeinsamen Hasse gegen Boemund, entstand zwischen ihm und dem Kaiser eine so aufrichtige Einigkeit, daß der Graf seitdem von den Griechen weit über alle Lateiner erhoben wurdeAnna 241. Orderic. Vital. 724.. Und in der That, von allen abendländischen Pilgern, blieb er und seine Familie allein den Griechen hold und gewärtig.
Ehe noch die Provenzalen nach Chalcedon übergesetzt waren, folgte die letzte Abtheilung der Pilger unter Nobert von der Normandie, Stephan von Blois, Stephan von Albemarle und anderen EdelnW. Tyr. 664. Fulch. Carn. 385. Order. Vit. 765. Waverl. ann. zu 1096.. Sie waren erst im September des Jahrs 1096 aufgebrochen, begrüßten den Papst Urban in Lukka, überwinterten in Apulien und segelten am fünften April 1097 von Brundusium nach Dyrrhachium. Auf dem Wege welchen Boemunds Heer eingeschlagen hatte, erreichten sie Konstantinopel, schwuren nach mancher Zögerung den Eid und wurden nach Asien hinübergeschifftJedoch erst, als schon die Belagerung von Nicäa angegangen war..
Die itzt versammelten Fürsten ersuchten den Kaiser, er möge seine Mannschaft nunmehr mit den Pilgerschaaren vereinigen, und zur Beseitigung alles Argwohns und Zwistes den Oberbefehl der Heere übernehmen; Alexius lehnte aber beides ab, weil Bulgaren, Kumaner und Petschenegen sein Reich zu sehr bedrohten, als daß er sich entfernen dürfe. Doch versprach er eidlich in Pelekanum, – wohin er sich begeben hatte um mehres anzuordnen und um doch einigermaßen thätig zu erscheinen: – er werde in günstiger Zeit mit einem Hülfsheere nachfolgen, auf alle Weise für die Herbeischaffung von Lebensmitteln Sorge tragen und keinem Kreuzfahrer das Geringste in den Weg legenGest. Franc. 4. Hist. belli sacti l. c.. Zum Führer und 98 {1097} Begleiter überließ er den Pilgern Tatikios, einen Mann, welcher zum Sprechen und zum Handeln gleich geschickt, im Felde und in Staatsgeschäften viel gebraucht und bewährt warAnna 88 und 203..
Außer jenen öffentlich angegebenen Gründen, bestimmten den Kaiser noch andere geheimere, eine unmittelbare Theilnahme an dem Kreuzzuge abzulehnen: die griechische Macht erschien zu gering gegen die lateinische, man fürchtete den Spott, die Anmaaßung und die Unbeständigkeit der Pilger, und freute sich über ihre Entfernung. Von der überlästigen unendlichen Redseligkeit der FrankenΦυσει γενος λαλον τε και μακρηγορητατον. Anna 233. – γλωσσᾳ ἀσυμμετροι 344., von täglichen und nächtlichen Beschwerden und Unruhen befreit zu werden, war zunächst für den Kaiser ein großer Gewinn; noch weit bedeutender erscheint aber der Vortheil für das Ganze: denn was auch abendländische Geschichtschreiber anführen mögen, so ist doch nur zu gewiß, daß selbst ein geordneter Durchzug solcher Heere die Einwohner erschöpft, und jene Begier nach Geschenken (welche die Griechen so heftig tadeln und die Lateiner eingestehnAnna 247.), mußte die, ohnehin nicht reichen Staatskassen gänzlich ausleeren.
Als Raimund von Toulouse mit den seinen nach Chalcedon übersetzte, war das größere Heer bereits gen Nikomedien vorgerückt, und fand hier Peter den Einsiedler mit dem sehr geringen Überreste seiner GefährtenW. Tyr. l. c. Bern. Thesaur. 689.. Er erzählte betrübt, wie ihre eigene Schuld sie ins Verderben gestürzt habe; doch mußte die Freude über den unermeßlichen Fortgang seines Unternehmens, bei ihm jenen Schmerz überwiegen: denn eine Zählung ergab, daß an den Küsten des Bosporus, mit Inbegriff der Weiber, der Kinder und der Geistlichen, an 600,000 Menschen versammelt warenDiese Zahlen hat Alber. 154; sie sind die geringsten, aber unwahrscheinlich bleibt es doch, daß 200,000 Weiber, Kinder, Geistliche und andre nicht Kämpfende dabei gewesen seyn sollen. W. Tyr. hat 600,000 Fußgänger aller Art und 100,000 Geharnischte; und andre fügen hinzu, daß hierunter nicht Weiber und Kinder &c. begriffen wären. So gewiß alle einzelnen Zahlen übertrieben sind, so wenig dürfte es übertrieben seyn, die Zahl aller welche zum ersten Zuge das Kreuz genommen haben, auf eine Million anzusetzen.. Darunter befanden 99 {1097} sich 300.000 zum Kampfe fähige Fußgänger und 100.000 geharnischte Ritter. Niemals hat ein freier Entschluß Völker von so verschiedenen Sitten und Sprachen, in solcher Zahl zu einem Zwecke vereinigt. Des Xerxes Zug gegen Griechenland erscheint zwar noch ungeheurer, und die Zusammensetzung seines Heeres noch mannigfaltiger; allein gewaltige Willkür zwang dort jeden Widerstrebenden zur TheilnahmeSiehe darüber bei Herodot. VII, 38 die Geschichte des Lydiers Pythios., wogegen alle Pilger zur Annahme des Kreuzes nur durch freien Entschluß bestimmt wurdenSo beruhten auch die jüdischen Pilgerungen nach Jerusalem und die muhamedanischen nach Mekka, nur auf Befehl und Gesetz. Augusti Alterth. IV, 364.. Auch läßt sich, bei aller Verschiedenheit der Richtung, des Zwecks und des Erfolgs beider Unternehmungen, dennoch behaupten und beweisen, daß weit eher Europa als Asien von ihnen Nutzen und Vortheil gehabt hatDie asiatischen Küstengriechen rechnen wir zu den Europäern.. 100