François Rabelais
Gargantua und Pantagruel
François Rabelais

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Viertes Kapitel

Wie die Vögel der Glockeninsel lauter Zugvögel waren

»Aber«, sprach Pantagruel, »da Ihr uns nun erläutert habt, wie Papling aus Kardinling, Kardinling aus Bischling, Bischling aus Priesterling und Priesterling aus Pfäffling wird, möcht' ich wohl wissen, woher diese Pfäfflinge kommen.« – »Es sind«, antwortete der Ädituus, »lauter Zugvögel, und sie kommen aus der andern Welt; ein Teil aus einem mächtig großen Gau, der heißt Hungerau; der andre Teil kommt aus Ihrerzuviel. Aus diesen beiden Gauen kommen alljährlich diese Pfäfflinge schubweis zu uns, verlassen Vater und Mutter, Freunde und Verwandtschaft. Wenn nämlich in einem edeln Hause dieses zuletztgenannten Gaues zuviel Kinder sind, gleichviel ob Knaben oder Mägdlein, so daß durch so viele Erbteile das Haus zersplittert werden würde, so nehmen ihre Eltern Gelegenheit, sich ihrer hier auf diese Insel Buckelhart zu entledigen.« – »Die Insel Bouchard bei Chinon, wollt Ihr sagen«, sprach Panurg. – »Ich sage Buckelhart«, antwortete der Ädituus; »denn meistens sind sie bucklig, lahm, einäugig, einarmig, mißgeschaffen, podagrisch, krüppelhaft, verhext und überhaupt unnütze Erdenbürden.

Noch mehr aber kommen aus Hungerau zu uns, denn welche dort der Hungerschuh druckt, die nichts zu beißen haben, nichts gelernt noch schaffen mögen, kein Gewerb und ehrliche Hantierung treiben, oder einer guten Herrschaft treulich dienen; ferner die, welche ihrer Schätzlein nicht habhaft werden, die verzweifeln, weil ihnen ihre Pläne mißraten; grobe Missetäter, die man um arger Frevel willen verfolgt, um sie mit Schimpf vom Leben zum Tod zu bringen – das kommt alles hieher geflogen, findet hier Verköstigung und wird in kurzem speckratzenfett, wenn's noch so hundsdürr herkam, lebt hier sicher, vollkommen frei und ungekränkt.

Jetzt aber«, sprach der Ädituus, »ist genug geschwätzt; jetzt auf zum Glas.« – »Nicht auch zum Fraß?« frug ihn Panurg. – »Ei wohl«, antwortete Ädituus, »zu Glas und Fraß nach Herzenslust! Nichts ist so teuer und edel als die Zeit; laßt uns die Zeit zu guten Werken nutzen.« – Zuerst wollte er uns erst noch in die schönen, wunderherrlichen Kardinlingsbäder führen und uns nach dem Bad mit köstlichem Balsam salben lassen.

Pantagruel aber bedeutete ihm, daß er auch ohne dies zum Trinken wohl aufgelegt war. So brachte er uns in ein großes, prächtiges Refektorium und sprach zu uns: »Der Klausner Hosian hat euch vier Tage lang fasten lassen; hier sollt ihr nunmehr vier Tage lang ohne Absatz essen und trinken.« – »Nicht auch schlafen dazwischen?« frug Panurg. – »Ganz nach Gefallen«, antwortete Ädituus, »denn wer schläft, wird auch satt.« – Ei heiliger Gott, wie wir da schlemmten. Ein Vivat dem braven Biedermann!


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