François Rabelais
Gargantua und Pantagruel
François Rabelais

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Einundreissigstes Kapitel

Wie Gänszaum die Gründe angibt, warum er die Prozesse erst durchsähe, die er durchs Los der Würfel entschied

»Ganz gut, mein Freund«, frug Breitmaul weiter; »wenn Ihr nun aber nach Los und Würfeln Eure Urteile macht, warum würfelt Ihr nicht gleich ohne weiteren Verzug am Tag und Termin, wenn die Parteien vor Euch erscheinen? Wozu braucht Ihr erst diese Schriften und all den Aktenwust?« – »Wozu ihr andern Herrn«, antwortete Gänszaum, »sie gleichfalls braucht, zu drei besondern, trefflichen Dingen. Erstens zur Form, in deren Ermangelung nichts gültig ist, was man getan hat (Spec. 1 tit. de instr. edit.). Zudem wißt ihr selbst am besten, wie oft in Prozessualibus Formalia die Materialien und Substanz umwerfen (Forma mutata mutatur substantia).

Zweitens, just wie euch andern Herrn, dient mir's zu einer heilsamen und wohlanständigen Leibesbewegung.

Zum Beispiel: als ich einstmals Anno 1489 bei den Herrn Schössern auf dem Rentamt ein Geldsache hatte und durch ein größeres Trinkgeld an den Türsteher hineingelangte, fand ich sie all beim Muckenspiel, das sie zu heilsamer Leibesbewegung vor oder nach Tisch trieben. Denn nota bene das Muckenspiel ist ein wohlanständiges, gesundes, altes und rechtliches Spiel (a Musco inventore). Die es spielen, sind vor Gericht entschuldigt (l. 1. C. de excus. artif. lib. 10.). Doch um mich zusammenzufassen, behaupt' ich mit euch andern Herrn, es gibt in unsrer ganzen Ratswelt kein so erlesenes Spiel als Akten kramen, Zettel heften, Seiten paginieren, Aktenständer räumen und Prozesse visieren (ex Bart. et Joan. de Pra. in l. falsa).

Drittens erwäg' ich, wie ihr andern, daß die Zeit alle Dinge zur Reife bringt, alles durch Zeit ans Licht kommen muß, die Zeit der Wahrheit Mutter ist (gloss. in l. 1. C. de servit, authent. de restit.). Deshalb, wie auch ihr andern Herrn, verschieb', verspät' und vertag' ich das Urteil, daß der Prozeß, fein durchgeklaubt und klein geschrotet, im Lauf der Zeit zur Reife gedeihe. Denn wollt' man gleich auf frischer Tat so roh und grün den Spruch drauf setzen, so könnte leicht der Nachteil draus entstehn, der nach der Erfahrung der Ärzte eintritt, wenn man ein Geschwür vor der Zeit aufstechen und die bösen Säfte, ehe sie noch recht gar geworden sind, aus dem Leib abzapfen wollte (Authent. haec constit. in Innoc. de constit. princ.). Zudem lehrt die Natur uns, das Obst zu brechen und zu essen, wann es reif ist (Inst. de rer. div. § is ad quem), und die Töchter zu verehelichen, wann sie reif sind (ff. de donat. inter. vir. et. uxor. l. cum hic status).«


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