François Rabelais
Gargantua und Pantagruel
François Rabelais

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Drittes Kapitel

Wie Pantagruel von seinem Vater Gargantua einen Brief erthielt, und auf welch sonderbare Art man aus fremden und entlegenen Ländern in kurzem Nachricht haben kann

Während Pantagruel mit dem Einkauf der fremden Tiere beschäftigt war, vernahm man vom Molo her zehn Böllerschüsse und fröhlichen, lauten Zuruf von allen Schiffen. Pantagruel wandte sich nach dem Hafen und sah, daß einer von den Schnellseglern seines Vaters Gargantua angekommen war, namens Schwalbe, weil an dem Hinterteil desselben eine Meerschwalbe aus korinthischem Erz angebracht war. Dies ist ein Fisch, so groß als ein Loire-Salm, ganz fleischig, ohne Schuppen, hat knorplige Flügel nach Art der Fledermäuse, sehr lang und breit, damit ich ihn öfters klafterhoch über dem Wasser über einen Bogenschuß weit hab' fliegen sehen. So war dann auch dies Schiff so flink wie eine Schwalbe, und auf demselben war Malicorn, Marschall des Gargantua, von ihm ausdrücklich abgesandt, nach dem Befinden und Wohlergehn des guten Pantagruel, seines Sohnes, sich zu erkundigen und ihm Botschaft zu bringen.

Pantagruel umarmte ihn freundlich und frug, eh er noch den Brief eröffnete, den Malicorn: »Ist Gosal mit Euch, der himmlische Bote?« – »Ja«, antwortete er, »hier unterm Tuch ist er, im Körblein.« Dies war eine Taube, aus dem Taubenschlag des Gargantua entnommen, wo sie zur Zeit der Abfahrt der Schwalbe über ihren Eiern saß. Wär dem Pantagruel nun ein Unglück zugestoßen, so hätt' er ihr eine schwarze Schnur an den Fuß gebunden; weil ihm aber alles ganz wohl und nach Wunsch ergangen war, band er ihr, nachdem er sie aus dem Tuch genommen, ein Bändlein von weißem Taft an den Fuß und ließ sie ohne weitern Verzug sogleich frei in die Luft entfliegen. Die Taube griff alsbald aus und flog mit unglaublicher Schnelligkeit dahin, so daß sie in noch nicht zwei Stunden den langen Weg durch die Luft zurücklegte, zu dem die Schwalbe mit Rudern und Segeln und steifem Wind drei Tag und drei Nächte gebraucht hatte. Wie nun der biedre Gargantua hörte, daß sie das weiße Bändlein trage, ward er fröhlich und getrost ob seines Sohnes Wohlergehen.

Als der Gosal aufgeflogen war, las Pantagruel seines Vaters Gargantua Schreiben, dessen Inhalt dieser war:

Vielgeliebter Sohn!

Die Neigung, die ein Vater von Natur zu seinem teuern Sohn hegt, ist bei mir so hoch gestiegen, in Anbetracht und Wertschätzung der Dir nach Gottes freier Wahl verliehenen besondern Gnaden, daß sie seit Deinem Abschied mich mehr denn einmal aller andern Gedanken beraubt und mir im Herzen einige bange Furcht hinterlassen hat, es möcht' Dir etwa bei Deiner Einschiffung ein Unstern oder Trübsal begegnet sein – wie Du denn weißt, daß treuer und aufrichtiger Liebe Gefährtin allzeit die Furcht ist. Und weil nach Hesiods Ausspruch eines jeden Dinges Anfang schon die Hälfte des Ganzen ist und das Brot, wie man zu sagen pflegt, darnach gerät, wie man's in den Ofen schiebt, hab' ich sofort, um mein Gemüt von solchen Sorgen zu befreien, den Malicorn expreß gesandt, daß ich durch ihn von Deinem Befinden während der ersten Tage Deiner Reise unterrichtet würde. Denn wenn sie glücklich und nach meinen Wünschen verlief, werd' ich das Weitre dann leicht voraussehen können. Der Friede des Höchsten sei mit Dir. Grüße Panurg, Bruder Jahn, Epistemon, Xenomanes, Gymnasten und Deine andern Treuen, meine guten lieben Freunde. In Deinem väterlichen Haus, am 13. Juni.

Dein

Vater und Freund
Gargantua


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