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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Von dem, was mir in Sevilla begegnete, bis ich mich nach Indien einschiffte.

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Ich vollbrachte die Reise von Toledo nach Sevilla glücklich; denn ich hatte schon die Grundregeln eines Gauners inne. Ich führte Würfel, die mit Blei mehr oder weniger gefüttert waren, und meine rechte Hand hatte ich schon zur Hehlerin eines Würfels eingerichtet; denn ob sie gleich mit vieren schwanger ging, gebar sie doch nur dreie. Ich hatte auch einen Vorrat Karten bei mir, schmale und breite, um den Voltenschlag und Doppelgriff zu machen, und so entwischte mir kein Geldstückchen.

Ich unterlasse es, viele andre Blumen der Gaunerei zu malen; denn wenn ich sie alle erwähnen wollte, würde man mich mehr für einen Blumenstrauß als für einen Menschen halten, und auch deshalb, weil es eher scheinen möchte, als berichte ich Laster zur Nachahmung, als deshalb, damit sie die Menschen fliehn sollen. Aber vielleicht, indem ich einige Kniffe und Redensarten erkläre, werden die Unwissenden mehr gewarnt sein, und die, die mein Buch lesen, bloß durch ihre Schuld betrogen werden.

Traue, Spieler, niemandem, wenn du auch die Karte gibst; denn man kann sie dir austauschen, während man ein Licht putzt. Verhüte es auch, daß man die Karte unterm Angreifen bekratze oder glätte, Mittel, durch die man die Asse erkennt. Und bist du, Leser, ein Schelm, so bemerke, daß man in Küchen und Ställen die Asse mit einer Nadel durchsticht oder sie umbiegt, um sie an dem Bruch zu erkennen. Wenn du mit vornehmen Leuten umgehst, so hüte dich vor den Karten, die schon vom Druckerstock an in Sünden empfangen sind und die dadurch, daß das Papier in die Quere genommen ist, verraten, was kommt. Traue nicht den reinlichen Karten; denn dem, der genau acht hat und aufmerkt, ist selbst das reinste schmutzig. Gib acht, daß der, der die Karten gibt, die Figuren nicht mehr umbiege, als die übrigen Karten, die Könige ausgenommen; denn ein solches Umbiegen ist für dein Geld ein Grab. Sieh zu, daß man die Karten, die der, der gibt, wegwirft, nicht oben auflege, und sorge dafür, daß man nicht Karten fordre, weder mit den Fingern in dem Spiel, noch mit den ersten Buchstaben von Worten. Über mehr Dinge will ich dir keinen Aufschluß geben. Diese genügen, um zu wissen, daß du auf deiner Hut sein mußt, da es gewiß ist, daß es der Kniffe noch unzählige gibt, die ich dir verschweige.

Einen Toten liefern nennen sie, einem das Geld abnehmen, und dies sehr passend; einen Versteck heißen sie eine Finte gegen einen Freund, der sie nicht bemerkt, weil sie so versteckt ist. Zweifältige sind die, die Einfältige zuführen, damit ihnen diese Beutelschinder die Haut abziehn; weiß nennen sie den, der von Verschmitztheit rein und untadelhaft wie Brot ist, und schwarz den, der ihre Verrichtungen weiß brennt.

Vertraut mit dieser Sprache und diesen Kniffen kam ich nach Sevilla. Mit dem Geld meiner Spielgesellen gewann ich die Miete für den Maulesel, die Beköstigung und die Bezahlung für die Wirte und Wirtshäuser. Ich stieg sogleich in dem Gasthof zum Mohren ab, wo ich einen Mitschüler von Alcala traf, der Mata hieß und sich jetzt, da ihm der Name nicht rauschend genug schien, Matorral nannte. Er trieb Handel mit Menschenleben und war ein Krämer mit Messerstichen, und es ging ihm nicht übel. Er trug die Muster davon in seinem Gesicht, und wegen der, die man ihm gegeben hatte, sagte er: »Es gibt keinen bessern Meister als den, der brav zerhaun ist.« Und er hatte recht; denn sein Gesicht war ein Fell und er selbst ein lederner Koller. Er sagte zu mir, ich solle mit ihm gehn, um bei ihm zu Abend zu essen, nebst andern Kameraden, und sie würden mich dann zum Gasthof zurückbringen.

Ich ging mit. Wir kamen in seine Wohnung, und er sagte: »Auf! tut den Mantel herunter, damit Ihr einem Manne gleicht; denn Ihr werdet diese Nacht alle braven Burschen von Sevilla sehn. Und damit sie Euch nicht für eine Memme halten, schlagt die Halskrause nieder, zieht die Schultern ein, den Mantel herunter, denn immer gehn wir mit heruntergeschlagnem Mantel, und die Schnauze krumm gezogen. Schneidet Gebärden auf die eine und die andre Seite, und macht aus dem l ein n und aus dem n ein l. Sagt mit mir: Vernetzung, Mauntier, Dulst, Edenklabe, beletzen, windes Schweil, Weilfnasche.«

Ich behielt es im Gedächtnis. Er lieh mir einen Dolch, der der Breite nach ein Säbel war und der Länge nach den Namen eines Degens verdiente und sogar wirklich war. »Trinkt«, sagte er zu mir, »dieses halbe Maß Wein; denn wenn Ihr es nicht, ohne Atem zu holen, könnt, seid Ihr kein braver Kerl.«

Währenddessen und indem ich vom Trunke ganz betäubt war, traten vier Burschen herein, mit Gesichtern vier Podagristenschuhen ähnlich, mit wankendem Gang, die Mäntel um die Lenden gewickelt, die Hüte über der Stirn aufgekrempt, mit einem sehr breiten Vorderrand, so daß sie Diademen ähnlich waren. Die Garnierung von Dolchen und Degen glich einem Paar völliger Schmiedewerkstätten; die Augen niedergeschlagen, der Blick streng; der Knebelbart in eine gekrümmte Spitze ausgehend, die Bärte auf türkische Manier, wie die der Reiterei.

Sie machten uns eine Bewegung mit dem Mund und sagten darauf zu meinem Freund mit grämlicher Stimme, indem sie die Worte halb bestahlen: »Sevideur, He Gevatter!« Mein Hofmeister erwiderte es. Sie setzten sich, und um zu fragen, wer ich wäre, sprachen sie kein Wort, sondern der eine sah den Matorrales an, und indem er den Mund öffnete und die Unterlippe gegen mich zog, deutete er auf mich; worauf mein Novizenlehrer ihn befriedigte, indem er seinen Bart anfaßte und niederblickte. Darauf erhoben sich alle mit vieler Freude und umarmten mich und machten mir viele Liebkosungen, und ich ihnen auf dieselbe Weise, was dasselbe war, als ob ich vier verschiedne Weine kostete.

Es kam die Stunde zu Abend zu speisen, und es traten, um bei Tisch aufzuwarten, einige großen Schelme herein, die die Braven Muskedonner nennen. Wir setzten uns alle zusammen an den Tisch. Es erschien sogleich eine Kapernbrühe, und dabei fingen sie an, zum Willkomm auf meine Ehre zu trinken, von der ich, bis ich sie trinken sah, nimmermehr geglaubt hätte so viel zu haben. Es kamen Fische und Fleisch, und alles zugerichtet, um Appetit zum Durst zu machen. Auf dem Boden stand eine Truhe voll Wein. Der, der Bescheid tun wollte, legte sich mit dem Mund darüber her. Mir gefiel das bequeme Trinkgefäß. Auf zweimal Trinken gab es niemanden mehr, der den andern kannte. Sie fingen Kriegsgespräche an; es regnete Schwüre, und es starben von Gesundheit zu Gesundheit zwanzig bis dreißig ohne Beichte. Dem Stadtrichter verordnete man tausend Dolchstiche. Man sprach vom seligen Andenken des Domingo Tiznado und Gayon; man vergoß Wein in Menge für die Seele des Escamilla. Die, denen sich die ihrigen mit Traurigkeit füllten, weinten bitterlich über den unglücklichen Alonso Alvarez. Alles das sind Namen von Banditen und Straßenräubern, die zur damaligen Zeit allgemein bekannt waren.

Bei diesen Dingen verrückte sich meinem Kameraden die Uhr des Kopfes, und er sagte etwas heiser, indem er mit beiden Händen ein Brot nahm und das Licht dazu anblickte: »Bei diesem, das das Antlitz Gottes ist, und bei diesem Lichte, das aus dem Mund des Engels hervorging, wenn Euer Gnaden wollen, müssen wir diese Nacht dem Häscher etwas geben, der den armen Einäugigen Auch ein Bandit. verfolgte.«

Es erhob sich unter ihnen ein fürchterliches Geschrei, und indem sie die Dolche zogen, schwuren sie es feierlichst, wobei ein jeder die Hände auf den Rand der Truhe legte. Und indem sie die Schnauzen drüber reckten, riefen sie: »So wie wir diesen Wein trinken, wollen wir das Blut eines jeden Spions trinken.«

»Wer ist dieser Alonso Alvarez,« fragte ich, »daß man seinen Tod so sehr bedauert?« – »Ein junger, tapfrer Schläger,« sagte einer von ihnen, »ein handfester Bursche und guter Gesell. Laßt uns gehn; denn schon treiben mich die Teufel.«

Damit gingen wir aus dem Haus auf die Häscherjagd. Da ich eingenommen vom Wein war und in seiner Gewalt meinen Sinnen entsagt hatte, beachtete ich die Gefahr nicht, in die ich mich begab. Wir kamen in die Seestraße, wo die Runde mit uns zusammenstieß. Kaum wurden sie sie gewahr, als sie die Degen zogen und sie anfielen. Ich tat dasselbe, und wir reinigten zwei Leiber der Häscher von ihren schlechten Seelen, gleich beim ersten Angriff. Der Alguazil suchte die Gerechtigkeit in seinen Füßen und rief mit lautem Geschrei die Straße hinunter um Hilfe. Wir konnten ihm nicht folgen, weil er einen Vorsprung hatte. Zuletzt zogen wir uns in die Hauptkirche zurück, wo wir sicher waren vor der Strenge der Gerechtigkeit, und schliefen notdürftig, um den Wein auszudampfen, der in unsern Köpfen siedete. Als wir wieder zu Verstand gekommen waren, entsetzte ich mich, zu sehn, daß die Gerechtigkeit zwei Häscher verloren hatte und der Alguazil vor Weinschläuchen geflohen war, die wir damals waren.

Wir befanden uns herrlich in der Kirche; denn bei dem Gerüchte, daß Flüchtlinge daselbst wären, kamen Nymphen, die sich entkleideten, um uns zu bekleiden. Die Grajales gewann mich lieb und kleidete mich neu in ihre Farben. Diese Lebensart schmeckte mir wohl und besser als alle andern, und so beschloß ich mit der Grajales in Freud und Leid auszuhalten bis in den Tod. Ich studierte die Spitzbubensprache, und in wenigen Tagen war ich der Rabbi der andern Gauner.

Die Justiz verabsäumte nicht, uns zu suchen; sie umstellte die Tür; aber bei alledem strichen wir um Mitternacht verkleidet umher. Da ich sah, daß dieser Handel lange dauerte und noch länger das Schicksal, mich zu verfolgen, so beschloß ich, nicht als ein durch Erfahrung Kluggewordner, denn so verständig bin ich noch immer nicht, sondern aus Ermüdung, als ein hartnäckiger Sünder, nachdem ich es vorher mit der Grajales beraten hatte, mit ihr nach Indien zu gehn, um zu sehen, ob, wenn ich Welt und Land wechselte, mein Schicksal sich verbessern würde. Aber es verschlimmerte sich; denn nie verbessert der seinen Zustand, der bloß den Ort ändert und nicht auch sein Leben und seine Sitten.

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Im Verlag von Hermann Seemann Nachfolger, Berlin und Leipzig ist erschienen:

Der Schelmenroman vom Lazarillo
herausgegeben von Geh. Hofrat Dr. Wilhelm Lauser. Preis brosch. M. 1. –, geb. M. 2. –. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes.


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