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Fünftes Kapitel.

Vom Einzug in Alcala. Willkomm und Possen, die man mir als Neuling spielte.

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Ehe es Nacht wurde, gingen wir aus dem Gasthof in das für uns gemietete Haus, das vor dem St. Jakobstor lag, einen Studentenhof, wo viele zusammen wohnen, wiewohl dies nur drei verschiedne Bewohner hatte, nicht mehr. Der Herr und Wirt war einer von denen, die an Gott glauben aus Höflichkeit oder zum Schein: Morisken nennt man sie im gemeinen Leben; denn noch gibt es eine sehr große Nachlese dieser Leute und auch derer, die übermäßige Nasen haben, die ihnen bloß fehlen, um Speck zu riechen. Ich sage dies, indem ich jedoch den vielen Adel anerkenne, den es unter den Leuten von Stand gibt, der gewiß bedeutend ist. Der Wirt also empfing mich mit einem schlimmern Gesicht, als wenn ich ein Pfarrer gewesen wäre und ihm den Beichtzettel zu fordern gekommen wäre. Ich weiß nicht, ob er es tat, damit wir gleich anfingen Ehrfurcht gegen ihn zu haben, oder weil es dieser Leute angeborne Weise ist; denn es ist kein Wunder, daß der böse Eigenschaften besitzt, der kein gutes Gesetz hat. Wir legten unser Gepäck ab, ordneten die Betten und das übrige und schliefen dieselbige Nacht. Es wurde Tag, und siehe, da erschienen alle Studenten aus dem Haus im Hemde, um von meinem Herrn den Willkomm zu fordern. Er, der nicht wußte, was das war, fragte mich, was sie wollten, und ich, wegen des, was geschehn könnte, zog mich indessen zwischen zwei Matratzen zurück und steckte nur den halben Kopf hervor, so daß ich einer Schildkröte glich. Sie forderten zwei Dutzend Realen, man gab sie ihnen, und sie fingen an zu singen und ein Teufelsgeschrei zu erheben, indem sie riefen: »Vivat der Kamerad! er sei aufgenommen in unsre Freundschaft! Er genieße der Vorrechte eines Alten! Es sei ihm erlaubt, die Krätze zu haben, schmutzig zu gehn und Hunger zu leiden wie alle!« – Und damit (bedenken Euer Gnaden, welche Privilegien!) flogen sie die Treppe hinab, und wir kleideten uns augenblicks an und nahmen den Weg nach dem Kollegium.

Meinen Herrn nahmen einige Studenten, Bekannte seines Vaters, in Schutz, und er ging in seinen Lehrsaal; aber ich, der ich in einen andern verschiednen gehn mußte und allein war, fing an zu zittern. Ich trat in den Hof, und ich hatte noch nicht den Fuß recht hineingesetzt, als sie mir ins Gesicht sahn und zu schrein anfingen: »Ein Fuchs!« Ich, um mich zu verstellen, lachte, als ob es mich nicht anginge, aber das half nichts; denn achte bis neune traten zu mir und fingen an zu lachen. Ich wurde rot (hätte es doch Gott nie geschehn lassen!), und augenblicks legte einer, der an meiner Seite stand, seine Hände an die Nase und rief, indem er auf die Seite trat: »Eben ersteht dieser Lazarus vom Tod, so stinkt er!« – Und damit zogen sich alle zurück und hielten sich die Nasen zu. Ich, der ich zu entwischen glaubte, hielt sie ebenfalls mit den Händen zu und sagte: »Sie haben recht, meine Herrn, es riecht sehr übel.« – Dies gab ihnen viel zu lachen, sie machten Platz, und es waren ihrer schon an hundert zusammen. Sie fingen nun an sich zu räuspern und Lärm zu sagen, und an dem Husten und Auf- und Zumachen der Mäuler sah ich, daß sie mir eine Speisalve zubereiteten. Indem gab mir ein Grobian, der den Katarrh hatte, eine fürchterliche Ladung, indem er sagte: »Das von mir!« – Ich, der ich mich verloren sah, rief: »Ich schwöre zu Gott, daß mir die …« ich wollte mehr sagen, aber dermaßen war die Batterie und der Regen, der auf mich herabfiel, daß ich die Rede nicht vollenden konnte. Ich stand, das Gesicht bedeckt mit dem Mantel, als ein Ziel da, nach dem alle schossen, und es war wirklich sehenswert, wie gut sie die Richtung nahmen. Ich war schon schneeweiß vom Kopf bis zu den Füßen; aber ein Schurke, da er mich bedeckt sah, und daß ich nichts im Gesichte hatte, sprang zu mir hin, indem er mit großem Zorn rief: »Genug! bringt ihn nicht um!« – Nach dem wie sie mir mitgespielt hatten, glaubte ich, daß sie es tun würden, deckte mich auf, um zu sehen, was es wäre, und in demselben Augenblick heftete mir der, der gerufen hatte, eine Schleimladung zwischen beide Augen.

Jetzt möge man sich meine Angst denken! Die teuflische Brut erhob ein Geschrei, daß sie mich betäubten, und nach dem, was sie aus ihren Mägen über mich ergossen hatten, glaubte ich, daß sie, Ärzte und Apotheken zu ersparen, Ankömmlinge erwarteten, um sich zu purgieren. Sie wollten mir nach diesem Fauststöße versetzen; aber es gab keinen Ort, wohin, ohne die Hälfte von der Salbung meines schwarzen, jetzt um meiner Sünden willen weißen Mantels, in die Hände zu bekommen. Sie ließen mich, und ich war zum Spucknapf gemacht durch lauter Speichel. Ich ging nach unserm Haus (kaum wagte ich einzutreten), und ein Glück war es, daß es noch früh war; denn ich stieß nur auf zwei bis drei Jungen, die sehr gutartig sein mußten, weil sie nicht mehr als vier bis sechs alte Hadern nach mir warfen und sogleich fortgingen. Ich trat in das Haus, und der Moriske, als er mich sah, fing an zurückzuweichen und zu tun, als wolle er mich anspucken. Ich, der ich fürchtete, er möchte es tun, rief: »Halt, Wirt! ich bin kein Ecce Homo!« – Hätte ich es doch nimmer gesagt! denn er gab mir zwei Pfund Stöße auf die Schultern mit den Gewichten, die er eben in Händen hielt. Mit dieser Beisteuer stieg ich halbgelähmt hinauf, und mit dem Suchen, wo ich den Rock und Mantel anfassen sollte, verstrich eine gute Zeit. Endlich zog ich sie aus und warf mich aufs Bett, nachdem ich sie auf einem Altan aufgehangen hatte.

Mein Herr kam, und da er mich schlafend fand und das ekelhafte Abenteuer nicht wußte, ward er bös und fing an mich mit solchem Ungestüm bei den Haaren zu zausen, daß ich, mit noch einem paar solcher Haarraufe mehr, als ein Kahlkopf würde aufgewacht sein. Ich stand auf, schreiend und klagend, und er sagte mit noch größerm Zorn: »Ist das eine gute Art zu dienen, Paul? Jetzt gilt es ein andres Leben!« – Da ich ein andres Leben nennen hörte, meinte ich, ich sei schon tot und sagte: »Euer Gnaden ermuntern mich schön in meinen Drangsalen! Sehn Sie, wie dieser Rock und Mantel aussieht, die den größten Nasen, die jemals zur Zeit der Karwochen In der Karwoche herrschen die stärksten Schnupfen und Katarrhe. gesehn worden sind, zu Schnupftüchern gedient haben« – und damit fing ich zu weinen an. Als er mein Weinen sah, glaubte er es, und nachdem er den Rock gefunden und betrachtet hatte, bemitleidete er mich und sagte: »Paul, öffne die Augen, es wird Fleisch gebraten! Sorge für dich; denn hier hast du weder Vater noch Mutter!« – Ich erzählte ihm alles, was vorgefallen war, und er befahl mir, mich zu entkleiden und in meine Kammer zu gehn, in der noch vier Bedienten der Hausgenossen schliefen. Ich legte mich nieder und schlief; und so befand ich mich nachts, nachdem ich gut zu Mittag und zu Abend gegessen hatte, schon wieder stark, als ob mir nichts widerfahren wäre.

Wenn aber das Unglück bei einem anfängt, so scheint es, als ob es nie enden werde; kettenweise hängt es aneinander, und eins zieht das andre nach. Die andern Bedienten kamen, sich schlafen zu legen, und nachdem mich alle gegrüßt hatten, fragten sie, ob ich mich unwohl befände, und warum ich im Bett läge. Ich erzählte ihnen den Vorfall, und alsobald, gleich als wäre in ihnen nichts Böses, fingen sie an sich zu kreuzen, indem sie sagten: dergleichen würde nicht unter Lutheranern geschehn! O über die Bosheit! – Ein andrer sagte: »Der Rektor hat die Schuld, weil er keine Vorkehrungen trifft. Kennt Ihr die, die es waren?« – Ich antwortete: »Nein,« und dankte ihnen für den guten Willen, den sie mir zeigten. Währenddes zogen sie sich vollends aus, legten sich nieder, löschten das Licht aus, und ich schlief ein; denn es schien mir, als befände ich mich bei meinem Vater und meinen Brüdern.

Es mochte um zwölf sein, als einer von ihnen mich durch lautes Schrein weckte, indem er rief: »Ach, man bringt mich um! Räuber!« – Es ertönten in seinem Bett Wehklagen und Peitschenhiebe. Ich richtete den Kopf in die Höh und sagte: »Was gibt es denn?« Und kaum deckte ich mich auf, als man mir mit einem Strick eine Tracht Hiebe auf beide Schultern gab. Ich fing an zu klagen und wollte aufstehn; der andre klagte ebenfalls, und mir allein gab man die Peitsche. Ich begann zu rufen: »Um Gottes Gerechtigkeit willen!« – aber es regneten die Hiebe so dicht auf mich herab, daß mir kein Mittel übrig blieb (weil sie mir die Decke heruntergerissen hatten), als mich unter das Bett zu stecken. Ich tat es, und sogleich fingen die andern, die schliefen, ebenfalls an ein Zetergeschrei zu erheben, und da auch Peitschenhiebe schallten, glaubte ich, daß irgend ein Fremder sie uns allen gäbe. Indessen stieg jener Schurke, der sich zunächst neben mir befand, in mein Bett, machte hinein und deckte es wieder zu. Er begab sich darauf in seins, die Hiebe hörten auf, und alle viere erhoben sich mit großem Geschrei und sagten: »Es ist doch ein rechter Schurkenstreich und soll nicht so hingehn.« – Ich stak noch immer unter dem Bett, winselnd wie ein zwischen Türen eingeklemmter Hund, so eingekrümmt, daß ich einem Windhund glich, der den Krampf hat. Die andern taten als verschlössen sie die Tür, und nun kroch ich aus meinem Schlupfwinkel hervor und stieg in mein Bett. Ich fragte, ob man ihnen etwa gar ein Leid zugefügt hätte, und alle beklagten sich zum Sterben. Ich legte mich nieder, deckte mich zu und schlief wieder ein, und da ich mich im Schlafe herumwarf, fand ich mich, als ich erwachte, besudelt bis an die Haare.

Alle standen auf, und ich nahm die Schläge zum Vorwand, mich nicht anzukleiden; kein Teufel hätte mich von der Stelle gebracht. Ich war bestürzt, indem ich überlegte, ob ich vielleicht aus Furcht und Angst, ohne es zu fühlen, diese Unfläterei begangen, oder ob im Schlafe. Kurz, ich fand mich unschuldig und schuldig, und wußte mich nicht zu entschuldigen. Die Kameraden kamen, sich beklagend, zu mir, und fragten mich mit vieler Verstellung, wie ich mich befände. Ich sagte ihnen, sehr schlecht, denn man habe mir viele Hiebe gegeben. Ich fragte sie, wer es wohl könnte gewesen sein, und sie sagten: »Gewiß, er entwischt uns nicht! Der Wahrsager soll es uns sagen! Aber lassen wir das, und sehen wir zu, ob Ihr verwundet seid, denn Ihr wehklagtet sehr.« – Und indem sie dies sagten, kamen sie, die Decke aufzuheben, in der Absicht, mich zu beschimpfen.

Indem trat mein Herr herein und sagte: »Ist's nicht möglich, Paul, daß ich mit dir weiter komme? Es ist schon acht, und du bist noch im Bette? Steh auf, in Henkers Namen!« – Die andern, um mich sicher zu machen, erzählten Don Diego den ganzen Vorfall und baten ihn, mich schlafen zu lassen. Es sagte einer: »Wenn Euer Gnaden es nicht glauben, so steh auf, Freund!« – und packte die Decke an. Ich hielt sie fest mit den Zähnen, um die Bescherung nicht zu zeigen, und als sie sahn, daß es kein Mittel gab auf diesem Weg, sagte einer: »Zum Kuckuck, wie es stinkt!« – Don Diego sagte dasselbe, weil es die Wahrheit war, und sogleich nach ihm fingen alle an nachzusehn, ob in der Kammer etwa ein Nachtstuhl sei. Sie sagten, daß man hier nicht bleiben könne. Einer bemerkte: »Nun, das ist was Gutes, um hier zu studieren!« – Sie durchsuchten die Betten, rückten sie ab, um darunter zu sehn, und sagten: »Ohne Zweifel ist unter Pauls Bett etwas; tragen wir ihn in eins von den unsrigen und sehen wir darunter.«

Da ich nun keine Rettung sah bei dem Handel, und sie schon die Klauen an mich legten, stellte ich mich, als hätte ich einen Anfall von der Fallsucht bekommen. Ich klammerte mich an die Bettpfosten und schnitt Gesichter. Sie, die das Geheimnis wußten, packten mich an und sagten: »Das ist doch ein Jammer!« Don Diego faßte mich beim Herzfinger, und endlich hoben mich ihrer fünfe auf. Beim Aufdecken der Bettücher war das Gelächter aller so groß, als sie die frischen, nicht Ferkelchen, sondern großen Ferkel sahen, daß das Zimmer einzustürzen drohte. »Der Arme!« sagten die Erzschurken; und ich machte den Ohnmächtigen. »Ziehn ihn Euer Gnaden nur tüchtig an dem Herzfinger!« – und mein Herr, in der Meinung, mir wohlzutun, zog so derb, daß er mir ihn ausrenkte. Die andern machten zugleich Anstalt, mir an den Schenkeln den Knebel anzulegen, Ein Mittel gegen Ohnmachten. und sagten: »Der arme Schelm besudelte sich ohne Zweifel, als ihn das böse Wesen überfiel.«

Wer könnte wohl sagen, was in mir vorging? Einesteils erfüllt von Scham und einen Finger ausgerenkt, andernteils in Gefahr, daß sie mir den Knebel geben möchten. Zuletzt, aus Furcht, sie möchten mir ihn geben (denn schon hatten sie mir die Stricke um die Schenkel gelegt), tat ich als wäre ich zur mir gekommen; aber so geschwind ich es auch tat, so hatten sie mich doch, da die Schurken auf Bosheit ausgingen, mit zwei Finger breiten Striemen an jedem Schenkel gezeichnet. Sie ließen mich und sagten: »Jesus! wie matt Ihr seid!« – Ich weinte vor Verdruß, und sie sagten verstellterweise: »Mehr liegt an Eurer Gesundheit als daran, daß Ihr Euch beschmutzt habt. Seid nur still!« – Und damit legten sie mich ins Bett, nachdem sie mich gewaschen hatten, und gingen fort.

Ich tat, als ich allein war, nichts, als Nachdenken, wie das, was mir in Alcala an einem Tag widerfahren war, beinah mehr war als alles, was ich bei Ziege erfahren hatte. Um Mittag kleidete ich mich an, reinigte den Rock so gut ich konnte, indem ich ihn wie eine Pferdedecke wusch, und erwartete meinen Herrn, der, als er kam, mich fragte, wie ich mich befände. Alle aus dem Hause aßen und auch ich, wiewohl nur wenig und mit schlechtem Appetit; und als wir hernach auf der Galerie zusammenkamen, um zu plaudern, offenbarten die andern Bedienten, indem sie meiner spotteten, den Possen. Alle belachten ihn, mein Schimpf verdoppelte sich, und ich sagte bei mir selbst: vorgesehn, Paul! aufgepaßt! – Ich beschloß ein neues Leben zu führen; und damit wurden wir Freunde, lebten von nun an alle im Hause wie Brüder, und in den Hörsälen und Höfen beunruhigte mich niemand mehr.


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