Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundzwanzigstes Kapitel.

Von meiner Genesung und andern seltsamen Vorfällen.

—————

Gleich am Morgen erschien an meinem Kopfkissen die Hauswirtin, eine brave Alte, im gesegneten Alter von fünfundfünfzig, mit einem großen Rosenkranz; ihr Gesicht glich einer getrockneten Pfirsichschnitte oder einer Nußschale, so war es durchpflügt. Sie hatte einen guten Ruf im Ort und ging sorglos mit ihm zu Bette, sowie auch mit allen, die es verlangten. Sie stillte Leidenschaften und glich Gelüste gegeneinander aus. Sie nannte sich Guia, d. i. Führerin oder Wegweiserin. vermietete ihr Haus und machte die Unterhändlerin, andre zu vermieten. Das ganze Jahr wurde ihre Wohnung nicht leer von Leuten. Es war sehenswert, wie sie ein Mädchen unterrichtete, sich zu verschleiern, indem sie ihr vorher zeigte, welche Teile des Gesichts sie entblößen müsse. Die mit schönen Zähnen unterwies sie, immer zu lachen, selbst bei Beileidsbezeugungen; denen mit hübschen Händen lehrte sie, sie zu bewegen; den Blonden, die Haare zu kräuseln und eine Locke aus dem Mantel und der Haube hervorblicken zu lassen; denen mit schönen Augen, liebliche Tänze mit den Augäpfeln zu machen, und denen mit blinzelnden, sie zu schließen, sie zu erheben und in die Höhe zu sehn. Sodann im Betreff der Schminke, kamen oft Rabenschwarze herein, und sie verbesserte ihnen die Gesichter dergestalt, daß sie beim Nachhausekommen selbst ihre Männer nicht kannten, so weiß waren sie. Aber worin sie sich am meisten hervortat, war im Ausflicken der Jungfernschaften und im Ausbessern der Mädchen. In den acht Tagen, die ich nur im Hause war, sah ich sie dies alles vornehmen. Und zur Vollendung dessen, was sie war, zeigte sie den Weibern einen zu rupfen, und lehrte ihnen Sprichwörter, die sie anbringen sollten. Auch sagte sie ihnen, wie sie einen Edelstein herauslocken müßten, die Mädchen als Gunst, die Jungfraun als Schuld und die Alten als Ehrerbietung und Verbindlichkeit. Sie zeigte ihnen, wie sie bloßes Geld und wie sie Ketten und Ringe begehren müßten. Sie zitierte die Vidaña, ihre Nebenbuhlerin in Alcala, und die Planosa in Burgos, Weiber in allen Betrügerein erfahren.

Ich habe dies erzählt, damit man Mitleid mit mir haben und sehn möge, in was für Hände ich gefallen war, und damit man die Worte besser erwäge, die sie zu mir sprach. Sie fing folgendermaßen an, denn immer sprach sie in Sprichwörtern: »Wo man wegnimmt und nicht zulegt, Sohn Don Philipp, kommt man bald auf den Grund; wie der Staub, so der Kot; wie die Hochzeit, so der Kuchen. Ich versteh dich nicht, und kenne deine Lebensart nicht; jung bist du, und ich verwundre mich nicht, daß du manche Streiche verübst, ohne zu bedenken, daß wir schlafend zum Grabe wandern. Ich, als ein Erdenklos, kann dir es sagen. Was ist das, das man mir erzählt, du hättest vieles Vermögen verschwendet, ohne zu wissen wie, und daß man dich hier schon gesehn hat, bald als Student, bald als Gauner, bald als Kavalier; und alles durch deine Gesellschaften? Sag mir, mit wem du umgehst, Sohn, und ich will dir sagen, wer du bist! Jedes Schaf geht mit seinesgleichen. Wisse, Sohn, daß von der Hand zum Mund die Suppe verschüttet wird. Geh, Närrchen! Wenn dich nach Weibern gelüstet, so weißt du ja wohl, daß ich in diesem Land der beständige Beschauer dieser Ware bin, und daß ich mich von der Taxe ernähre, und daß ich so bediene, wie ich diese bestimme. Und wir bleiben mit ihnen im Hause. Aber du mußt nicht mit diesem Schurken und jenem Schurken diesem Zieraffen oder jenem verschmitzten Nickel nachlaufen, die ihre Röcke abnutzen mit jedem, der ihren Beutel füllt. Ich schwöre dir, du hättest viele Dukaten erspart, wenn du dich mir anvertraut hättest; denn ich bin keine Freundin von Geld. Und bei meinen Vorvordern und Verstorbnen, und so gewiß ich ein seliges Ende erlange, nicht einmal das, was du mir für die Wohnung schuldig bist, würde ich dir jetzt abfordern, wenn ich es nicht nötig hätte zu einigen Kerzen und Kräutern.« – Denn sie hatte mit Büchsen zu tun, ohne eine Apothekerin zu sein, und wenn man ihr die Hände schmierte, so schmierte sie sich und fuhr des Nachts durch den Rauchfang.

Als ich sah, daß sie ihre Rede und Predigt damit geendigt hatte, mich zu mahnen (denn da dies ihr Thema war, so schloß sie damit und fing nicht damit an, wie es alle andern machen), so wunderte ich mich nicht über ihren Besuch; denn sie hatte mir sonst noch keinen gemacht, seit ich ihr Mietmann war, außer eines Tags, als sie kam, sich zu rechtfertigen, weil sie gehört hatte, daß man mir, ich weiß nicht was, von Hexereien gesagt, und daß sie, als man sie habe gefangen nehmen wollen, die Gasse und das Haus unsichtbar gemacht hätte. Sie kam darauf, mir den Irrtum zu benehmen und mir zu sagen, daß dies eine andre Guia wäre. Und es ist nicht zu verwundern, daß wir mit solchen Guias (Führerinnen) alle auf Abwege geraten.

Ich zählte ihr ihr Geld hin, und indem ich es ihr gab, fügte es das Unglück, das mich nie vergißt, und der Teufel, der unablässig meiner gedenkt, daß man kam, sie aufzuheben als Beischläferin, und man wußte auch, daß der Buhler im Haus wäre. Sie traten in mein Zimmer, und da sie mich im Bett fanden, und sie bei mir, ergriffen sie mich und sie gaben mir vier bis sechs derbe Stöße und rissen mich aus dem Bett. Zwei andre hatten sie gepackt und behandelten sie als Kupplerin und Hexe. Wer sollte das glauben von einem Weib, das das beschriebne Leben führte?

Bei dem Geschrei, das der Alguazil erhob, und bei meinen lauten Wehklagen, machte sich der Buhler, der ein Obsthändler war und in der Hinterstube wohnte, auf die Beine und davon. Jene, die es gewahr wurden, und die durch das, was ein andrer Mietmann des Hauses aussagte, erfuhren, daß ich es nicht wäre, stürzten hinter dem Schelm her. Sie ergriffen ihn und ließen mich zerzaust und zerbläut los. Aber bei aller meiner Drangsal lachte ich doch über das, was die Spitzbuben der Alten sagten; denn einer betrachtete sie und sagte: »Wie wohl wird Euch eine Bischofmütze stehn, Mutter; und wie werde ich mich freun, Euch zu Euerm Dienst dreitausend Rüben weihn zu sehn.« Ein andrer: »Schon haben die Herren Alkalden Federn ausgewählt, mit denen Ihr prächtig aufgeputzt erscheinen werdet.« S. Note zu S. 10. – Endlich brachten sie den Schelm und banden beide. Sie baten mich um Verzeihung und ließen mich allein.

Ich war einigermaßen getröstet, meine gute Wirtin in dem Zustand zu sehn, in dem sich ihre Angelegenheiten befanden, und so blieb mir keine andre Sorge als die, bei Zeiten aufzustehn, um meine Pommeranze nach ihr zu werfen, wiewohl ich nach den Dingen, die mir eine Magd erzählte, die im Hause blieb, wegen ihrer Gefangennehmung alle Hoffnung aufgab; denn sie sagte mir, ich weiß nicht was, von auffliegen, und andre Dinge, die mir nicht gut klangen.

Ich blieb acht Tage im Hause, mich heilen zu lassen, und ich konnte da kaum ausgehn. Man hatte mir zwölf Nähte im Gesicht gemacht, und ich mußte mir Krücken zulegen. Ich befand mich ohne Geld; denn die hundert Realen gingen auf für das Bett, Essen und die Wohnung. Und so, um nicht noch mehr Aufwand zu machen, wozu ich kein Geld hatte, beschloß ich, mit zwei Krücken aus dem Hause zu gehn und meinen Rock, meine Halskrausen und Wämser zu verkaufen, was alles noch in gutem Zustand war. Ich tat es und kaufte mit dem, was man mir dafür gab, ein altes Kollet von Korduan und ein herrliches Wams von hanfnem Tuch, einen ausgeflickten langen Bettlermantel, Gamaschen und große Schuhe. Die Kappe des Mantels nahm ich über den Kopf, ein messingnes Kruzifix hatte ich am Halse hängen und dazu einen Rosenkranz. In dem Ton und den kläglichen Redensarten des Bettelns unterrichtete mich ein Bettler, der seine Kunst wohl verstand. Und so fing ich sogleich an, sie in den Gassen auszuüben. Ich nähte mir sechzig Realen, die mir übrig geblieben waren, in das Wams, und damit ward ich ein Bettler, indem ich auf meine gute Prosa mein Vertraun setzte.

Acht Tage lang ging ich durch die Straßen, indem ich mit kläglicher Stimme und unter Einmischung von Gebeten folgendermaßen heulte: »Gebt, guter Christ, Diener des Herrn, einem gebrechlichen und verwundeten Armen etwas, der seine Leiden schwer trägt.« – Dies sagte ich an den Werkeltagen; aber an Festtagen fing ich mit veränderter Stimme an und sprach: »Getreue Christen und Andächtige im Herrn, bei der so hohen Prinzessin, die die Königin der Engel ist, die Mutter Gottes, gebt Almosen einem Armen, gelähmt und geschlagen von der Hand des Herrn!« – Hier hielt ich ein wenig inne, was von großer Wichtigkeit ist, und setzte dann sogleich hinzu: »Eine böse Luft lähmte mir zur unglücklichen Stunde, als ich in einem Weinberg arbeitete, meine Glieder; denn ich war gesund und wohl wie Ihr seid und sein mögt, gelobt sei Gott!« –

Damit kamen die Ochaven herabgeregnet, und ich gewann viel Geld und würde noch mehr gewonnen haben, wenn mir nicht ein derber Bursche in die Quere gekommen wäre, mit einem häßlichen Gesicht, ohne Arme und nur mit einem Bein, der auf einer Karre mit mir dieselben Straßen durchzog und mehr Almosen einnahm, weil er es auf eine grobe Weise forderte. Er sagte mit einer heisern Stimme, die in ein Kreischen überging: »Gedenkt, ihr Diener Jesu Christi, der Züchtigung des Herrn für meine Sünden; gebt dem Armen das, was Gott als empfangen annehmen wird!« – Und er fügte noch hinzu: »Um des guten Jesu willen!« – und gewann, daß es zum Erstaunen war. Ich merkte auf und sagte nicht mehr Jesus, sondern nahm ihm das s, und bewegte dadurch zu mehr Andacht.

Kurz, ich änderte meine Sprüchlein und erwischte so wunderviele Moneten. Ich hatte beide Beine in einen ledernen Sack gesteckt und umwickelt, und meine zwei Krücken. Ich schlief unter der Tür eines Wundarztes mit einem Eckenbettler, einem der größten Schurken, die Gott erschuf. Er war sehr reich und gleichsam unser Rektor und gewann mehr als alle. Er hatte einen sehr großen Bruch, und schnürte sich mit einem Strick den Arm oben zusammen, so daß es schien, als hätte er eine geschwollne und lahme Hand, und ein Fieber obendrein. Er legte sich an seinen Platz mit dem Gesicht nach oben, ließ den Bruch heraushängen, der so groß war wie eine Kugel auf einer Brücke und rief: »Seht das Kreuz und Leiden, womit der Herr den Christen heimsucht!« – Wenn eine Frau vorbeiging, sagte er: »Schöne Dame, Gott sei mit Ihrer Seele!« – und die meisten gaben ihm, weil er sie so nannte, Almosen, und gingen daselbst vorbei, auch wenn es nicht ihr Weg und ihre Straße war. Wenn ein Soldätchen vorüberging, rief er: »Ach, Herr Kapitän!« – und wenn irgend ein andrer Mensch: »Ach, Herr Ritter!« – Kam einer in einer Kutsche, so nannte er ihn gleich: »Ihro Herrlichkeit;« und wenn ein Geistlicher auf einem Maulesel: »Herr Archidiakonus.« Kurz, er schmeichelte entsetzlich. An den Festtagen der Heiligen hatte er wieder eine andre Art zu betteln. Ich kam mit ihm in solch eine große Freundschaft, daß er mir ein Geheimnis entdeckte, durch das wir in zwei Tagen reich werden könnten, und es bestand darin, daß dieser Arme drei kleine Knaben hielt, die Almosen in den Straßen sammelten und stahlen, was sie konnten. Sie legten ihm Rechnung ab, und er nahm alles in Verwahrung. Er ging auch zu gleichen Teilen mit zwei Knaben des Armenstocks, bei den Aderlässen, die sie an dem Armenstock machten.

Mit dem Rate eines so guten Lehrmeisters und mit den Lektionen, die er mir gab, bediente ich mich derselben Hilfsmittel und gängelte die Leutchen nach Belieben. Ich hatte in weniger als einem Monat mehr als zweihundert bare Realen zusammen. Zuletzt entdeckte er mir, in der Absicht, daß wir beieinander verbleiben möchten, das größte Geheimnis und den höchsten Kunstgriff, der für einen Bettler zu erfassen möglich war und den wir beide ausführten. Er bestand darin, daß wir beide jeden Tag vier bis fünf Kinder stahlen. Man rief sie aus, und wir gingen hin, die Zeichen zu erfragen und sagten: »Wahrhaftig, Señor, ich traf es zu der und der Stunde, und wenn ich nicht gekommen wäre, würde es ein Wagen erdrückt haben. Es ist bei mir zu Hause.« – Man gab uns den Finderlohn, und wir bereicherten uns dergestalt, daß ich fünfzig Scudos zusammengebracht hatte. Meine Beine waren schon heil, obwohl ich sie noch eingewickelt trug. Ich beschloß, die Residenz zu verlassen und meinen Weg nach Toledo zu nehmen, wo weder ich jemand kannte, noch jemand mich. Kurz, ich entschloß mich, kaufte einen grauen Rock, eine Halskrause und einen Degen, nahm Abschied von Valcazar (dies war der Bettler, von dem ich sprach) und suchte in den Wirtshäusern eine Gelegenheit, mit der ich nach Toledo gehn könnte.


 << zurück weiter >>