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Unterwegs. Geschüttelt im Zug. Mein Herz flattert wie ein Vogel gegen die Rippen, drängt hinaus. Atmen kann ich nicht. Die Worte durch den Draht knistern mir im Hirn. Meine Mutter lebt noch. Ich sehe die gelähmten Züge. Ich muß ihr sagen, daß ich sie liebe. Ich muß es ihr sagen. Beide haben wir stets geschwiegen, ein Leben lang; Stolz verschlug das Wort. Scheu. Zu ähnlich waren wir, haben uns zu genau begriffen, rangen stumm. Ich muß es ihr sagen. Blutsverwandte kennen sich nie. Eine Mauer von Kampf ist zwischen ihnen, Haßliebe ballt sich zwischen sie, Scham – Sich-Verbergen. Aber Witterung ist zwischen ihnen. Erhebt sich Todesnot und -nähe, ruft das Blut. Sendet das Bild aus, das vor mir aufbleicht im Zwielicht zwischen Leben und Sterben. Die schlaffen, gelähmten Wangen, die Augen ganz in der Tiefe – meine Augen. Die Mutter lebt noch. Ich gleite ihr entgegen, lahm auf Schienen. Ich will – will sie sehen.
Ich fürchte mich. Vor der Toten? Vor der Lebenden? Schweigen. Vorwärts. Grenze. Ruth tritt neben mich. Unsere Hände finden sich stumm. Sie sieht elend aus. Mein Gesicht ist fleckig. Die Berliner Begegnung mit Kolja deute ich mit halben Worten an.
Ruth: «Er liebt dich, er hat stets dich mehr geliebt als mich. Was er tat, tat er, um dich zu quälen. Er wollte dir zeigen, daß er Sieger sein kann, dich verführen. Er spürt Mariquita in deinem Blut. Er ist eifersüchtig.»
Polder, Windmühlen, Vieh drunten in den Weidegründen, Schleppkähne und Segel über den Hausdächern. Wassergraben und Kanal. Violette Ziegelhauszeilen; blinkendes Kupfer.
Unsichtbare Drohung umkreist uns. Über die Sterbende wagen wir kein Wort. Zu leicht entlädt sich der Funke. Wir schweigen. Betäuben uns mit Ungewißheit. Schon ein Gedanke kann zünden. Die Welt ist Gewissen. Magie sein Kern. Gedanke Wandlung. Jede Regung Entscheid. Leben Todesgefahr. Im Wunsch schon liegt Segen und Fluch, keimt das Verbrechen. Unmöglich wird es, die Heuchelei aufzubringen, als vollzöge sich Schicksal ohne dich, an den Quellen deines Willens vorbei.
Du Müßiggänger, der vor morschem Hause wartet, bis es einstürzt. Nicht helfen, nicht bereit sein, keine Brücken schlagen, wo du Abgrund spürst, wo jeder deiner Schritte dich mit niederkollernden Steinen warnt, Schwäche – nicht nur Schwäche. Neidische Lust der Vernichtung – mag etwas zerfallen; weniger soll sein, absterben soll etwas, daß mehr Raum sei für dich. Nicht helfen, wegsehn, sich hegen im eigenen Bezirk ist Verbrechen. Ich ohne Opfer ruchlos.
Der Zug donnert über die Maas. Eingesackt unter verklebtem Schweiß lehnen wir im Polster. Das Eisengitter vor meinen Augen siebt Strom und Insel. Wir halten, tappen durch laue Wolken hinaus, stehn ratlos vor der Sperre. Ich möchte sprechen. Meine Zunge lallt. Ich wage mich nicht nach Hause. So unvorbereitet. Mit dem Gift im Gehirn. Nicht anrufen, die jähe Nachricht, daß ich komme, könnte sie . . . Ein Freund unseres Hauses fällt mir ein, ein Beamter. Er wohnt bei meiner Mutter, er muß Bescheid wissen. Hier über dem Platz ist sein Bureau. Nachfragen im vierten. Mit zitternden Fingern drücke ich auf den Liftknopf. Oben. Schreibmaschinen knattern mir entgegen. Ein fragendes Profil. «Ist Mynheer Huizinga . . .» Fragende Augen. «Mynheer hat sich heute früh telephonisch entschuldigt. Ein Todesfall.»
Ich halte mich am Bureautisch. Ein Morgenblatt schiebt sich mir über die Platte entgegen. Im Trauerrand der Name meiner Mutter. Meine Stirn schlägt auf das Papier.
Es heißt: weiterleben. Droschke.
Meine Verwandten in Schwarz. Das Zimmer, wo die Tote liegt. Einsam. Still. Hört sie mein Herz nicht schlagen? Hört sie meine Worte nicht, die aus der Seele aufquellen, wahr und unhörbar? Kein Gegengruß zum Abschied. Trennung ohne Wort. Aber ein Vergessen ist nicht. Sie hört mich, sie muß mich hören. Nur ihre Sinne sind ihr genommen. Nach den langen Entbehrungen der Mutterschaft – glücklich die Zeit, wo man Last tragen darf; aber dann beginnt der Schmerz, weggeben, verlieren, immer tiefer verlieren – nach der langen Einsamkeit eines Lebens hat sie ihren Leib verlassen, diesen Leib, der uns so viel mehr trennt als eint, ist eingetreten in eine rätselhafte Zwischenschicht. Unfaßbar ist sie noch nicht, unerreichbar ist sie noch nicht. Sie steht um mich wie im dampfenden Schöpfungsatem einer neuen Wirklichkeit; Mitteilung, Stimme schlägt herüber zu mir.
Forderung weckend, hinüberzuwachsen, Dargebotenes zu ergreifen, neuen Sinn aufsprießen zu lassen. Unter der Schwelle regt es sich, stößt. Mein Weg ist aufgebrochen, am Horizont über Nebel und Licht dünne Kontur von neuem Land. Schwankende Gestalt, aber gewiß im Wechsel. Kein bloßer Trost des Untragbaren. Andeutung neuer Form. Ihre Sprache ist mein inneres Vernehmen. «Alexander», mein Name kommt von ihr. Umgeschaffen. Er lebt noch in ihr. Aber sie wächst von mir fort, hinauf. Ich muß mich spannen, um Schritt zu halten. Dann verlösche ich. Friere neben der Toten. Niemand. Hinaus.
Die Tage sind schartig wie zersprungenes Glas. Jede Berührung ritzt Wunden. Bluten. Geschäftigkeit betäubt. Wir bestatten sie im Feuer. Gräßlich leise entgleitet der Sarg. Orgel. Meine eigenen Worte vom Pfarrer gesprochen. Reihe der Händeschüttelnden an der Türe, ich blind an Ruths Arm. Auf den Wagengeleisen Frühlingslicht. In den Nächten schnupfe ich das Gift.
Bald setzen wir die Urne bei. Unter Tuja, in meines Vaters und meiner Brüder Grab. Schwankend schleppt sie der Gärtner herbei, ich nehme sie ihm ab; kaltes Blei. Der Mann reißt das Moos weg, schaufelt ein zylindrisches Loch. Wir versenken sie unter Blumen. Gehen endlich. Auch ihre Briefe übergeben wir dem Feuer. Einen Brief meines Vaters aus der Bräutigamszeit hebe ich auf. Wie einfach diese Liebe war. Erfüllung eines Lebens. Wie klar. Sternklar. Kraft.
Alltag wetzt. Auflösen. Teilen. Ruth steht mir wie ein Freund zur Seite. Menschlich. Gut. Aber Unrast ist in mir erwacht. Zähflüssig tropft die Zeit. Mariquita schreibt. Beklagt mich. Über den Zeilen die Feuersäule: wann? Sie wartet auf mich. Wollte ich nicht von Berlin über Prag zu ihr eilen? Und nun? Vierzehn Tage – Ewigkeiten. Sie wartet, verzehrt sich. Kann nicht mehr. Ihre Briefe verblassen. Wozu stets dasselbe Wort. Wann? Ich lasse Ruth im Stich. Zwischen Koffern und Kasten, zwischen Aufräumen und Fron. «So schnell?» Die Stunden der Erschütterung dunkeln noch in ihren Augen. Verrat. Leben. In vierzehn Tagen bin ich zurück, ordne alles.
Weite stürzt aus mir; ich reise. Tag und Nacht. Ebenen, Waldberge. Ich erwache am Strom. Schleudere mich hinter meinem Herzen drein, Leidenschaft. Wucht. Nur das Eine fühlen, nur das . . . «über Leichen» – das Wort springt in mein Hirn. Leben. Mit Gewalt? Ja, mit Gewalt. Ausgefüllt. Überdrängend. So hast du Furcht? Wovor? Nicht ganz zu leben, Mariquita nicht ganz zu lieben. Lächerlich.
In morsche Häuserwürfel donnert der Zug. Rechts schuttig steigende Straßenfront, darüber jäh am Horizont – die Gloriette, Schönbrunn. Kahl, noch unbelaubt. Blaufetziger Himmel aus molkigem Wolkendunst. Park und Schloß. Dann wütendes Getöse im Kohlenqualmkessel des Westbahnhofs. Mariquita erwartet mich nicht. Sie trifft mich im Atelier. Ihren knisternden Eilbrief in der Hand dränge ich durch die Sperre, verstaue das Handgepäck, taumle aus dem Bahnhof in die Stadt.
Noch ist mir aus früherer Zeit der Weg zur Burg haften geblieben, das Vorstadtpflaster der Mariahilferstraße, die hundert Kellerlokale und Winkel, die schäbige Größe dieses langen Steinstroms. Zwischen verbeulten Straßenbahnen, Krämern und Strichmädchen, dann und wann einmal ein Feschak; spärliche Herren aus Modejournalen; hager, blaß, brüchig; ätzender Staub, stickiger Atem überalterter Häuser mit modriger Toreinfahrt. Patina aus Schmutz und Heiterkeit, drüber quirlender Goldstrudel von Licht. Wien! Sentimentale Melodien fallen mir ein, wie ich vorwärts schlendere, übernächtig, hungrig. Warum fahre ich nicht? Ich wage keine Straßenbahn zu besteigen und kein Auto. Wegführen könnten sie mich von meinem Ziel, verirren könnte ich mich. Sicherer führt der Trieb.
Die Schatten zeigen Mittag. Noch sind sie blank und kühl, als kälte sie Schnee. Wie werd ich Mariquita wiederfinden? Wie ist sie? Haben wir uns je gekannt? Das Aquarium betäubte mich. Mein Wissen fällt von mir ab. Würgen. Angst. War es nicht ein Tag, ein kurzer Sonntag? Dreiviertel Jahre haben mich seither überschwemmt. Gifträusche entrückten mich. Meine Mutter starb. Zu Mariquita. Hingeschleudert. Nichts hat Macht als dieses. Gebar sich dieser Trieb nicht aus dem Schrecken, der mich ins Leben stieß, als ich gewahrte, was Tod ist? Hat er seine Wucht nicht von jenem Stein, als er wider ihn prallend hinausschlug: Flucht nach vorwärts, aus letzter Grenze wachsend Kraft: «Zu mir gehe ich», schreit meine Stimme in den Straßenlärm, «zu Mariquita, zu mir!» – Plötzliches Ausströmen der Spannung.
Der Ring. Mein Schritt flüssiger, freier; brausende Breite, erstes Grün stotzig vor Stuckklötzen; Frühlingshüte, lässige Damen, Welt. Bei der Oper überquere ich den Fahrdamm. Auf der linken Seite flitzende Wagen treiben zu Sprüngen. Kärntnerstraße: Masse gestockt in der Kreuzung. Lauernd gehe ich weiter. Bleibe stehn, entfalte das Blatt. «Himmelpfortgasse» steht da – gemalt. Das M groß wie ein Portikus. Triumphierend: «mein Reich». Das Himmelreich. Das Paradies. Eine dunkle Haarflamme schlägt vor dem inneren Auge hoch. Wollust überfällt mich, Gier. Mariquita steht in der Tür. Ihr Kimono gleitet: erste Nacht! Himmelpfortgasse. Darunter: ich erwarte dich um zwei Uhr. Vorher kann ich nicht von zu Hause fort. Wie diese Worte glühen, aufschreiend stürzt sich mir die Unterschrift entgegen: «Mariquita». Betreten vor Glück schwanke ich auf die andere Seite. Eine Tafel: Himmelpfortgasse. Die Tür zum Himmel ist eng. Die Tür zum Paradies muß eng sein. Wie eine Furche, wie eine Ritze, wie diese Gasse, wo der Atem stockt, spärliche Lichtflecken ölig herabtropfen. Es ist ein Uhr. Ruhig Blut. Hübsch langsam gehn, Zeit vertrödeln, sonst tötet dich der Rausch. Also der Coiffeurladen da. Vorzüglich. Hier kaufen die g'schwinden Maderln von der Kärntnerstraße Puder und Rotstift. Alles hier ist billiger als am Graben, denk ich mir. Das Houbigantfläschchen beiläufig 98 000 Kronen. Auch Dauerwellen und Maniküre sind preiswert. Eine Wachshand mit himbeerrot lackierten Nägeln. Das hält acht Tage, nachher schiefert es ab und sieht dann freilich nicht zum besten aus.
Durch den Gasseneinschnitt, durch die Kellerluft, über das glitschige katzbucklige Pflaster, das immer aussieht wie bespuckt (übrigens ist es zum Draufspucken, im Vorübergehen spuckt auch jeder drauf – ekelhaft, das ist ein Zwang), humpeln und hatschen die Kraftdroschken. Gott, wie lahm diese Schnauferl doch sind; ihr Eingeweide hängt fast bis zum Boden. Wie Hausmeister schlurfen sie durch diesen Hausgang von einer Gasse, schmatzend reißt sich der Gummi bei jeder Speichendrehung aus dem Schleim, so quatschen sie die Gasse hinunter nach dem Ronacher oder vor das Finanzministerium.
Aber wozu so weit schauen? Viertel schlägt es irgendwo. Was für eine Gruft! Am hellichten Mittag möchte man mit einer Wachskerze über die Gasse laufen, daß einen die Leut nicht umrennen und daß man e'bisserl unter die Hüt' zünden kann – denn da surren allerlei Nachtfalter in den Ecken, fahren gegen die halbblinden Scheiben am kleinen Kaffeehaus direkt neben dem Friseurladen. Hier kann man sich von Dauerwellen und Maniküre ausruhn. Eine geschminkte Person sitzt im Fenster und kritzelt einen Brief. Die bloßen Arme dick wie Oberschenkel. Vor sich die Tasse mit Schlagobers. Ob Mariquita hier einkehrt? Ich glotze ins Glas. Eine Dachkante zeichnet sich drin ab. Ein aufgesetztes Fenster – plötzlich weiß ich: das ist Mariquitas Dachstube. Der Rahmen ist verschlossen, sein Glas blind, flaschengrün im Spiegel. Zwei Augen schwimmen dahinter, gehn mich in einem schlaffen Bogen an, schwammig, versoffen: die Person von drinnen. Sie stemmt die Pfötchen auf die Tischkante (die Feder ist ihr weggerollt); das Weib starrt mich mit trübem Hundeblick an. Mechanisch mache ich kehrt und stürme auf Mariquitas Haustor zu. Keiner sieht mich hineingehen, Gummisohlen dämpfen den Schritt, aber das Treppenhaus, gewölbt wie ein Kloster, knarrt mit Holzstufen. Ich schleiche, stoppe, wenn der Boden knarrt; weiter in großen, tastenden Sprüngen. Halt. Ein Wasserkran tropft. Eine Türe knallt über mir. Ob sie nicht schon wartet? Ist sie nicht ebenso ungeduldig wie ich? Lauert droben, und ich trödle hier . . . Im Sturm nehme ich die letzte Treppe. Dachboden. Holzgitter. Ihr Briefkasten, ihr Klingelzug. Eine eiserne Türe. Ihre Schelle klöppelt einen schäbigen Blechton. Nichts. Nichts regt sich drinnen. Von der Turmuhr zwei schläfrige Töne. Müd bin ich. Nicht zu sagen. Kaure auf der letzten Stufe neben der Luke. Alte Dächer. Hundertjährig – wie in Dinkelsbühl. Nur die Storchennester fehlen. Dösiger Himmel blau und weiß, blau und weiß . . .
Röcke rauschen, überstürzte Schritte strudeln herauf: weißes Gesicht, die blutige Lippenscharte . . .
Du! Es wirft mich die Stufen hinab. Sie hält sich am Holzgeländer fest, preßt die Linke aufs Herz.
Die Eisentür dumpft hinter uns ins Schloß. Mariquita fällt mich an, stumm, krallt sich fest. Ich hebe sie auf, schleppe sie zum Diwan, fege mit einem Ellenbogenstoß Blätter weg – die Spangenschuhe schleudert sie von sich. Olivgelb schimmern die Kniee.
Gegen Abend erwache ich aus dem Taumel. Ölgeruch und Puder stockt im Raum. Tuben, Pinsel kollern über den Tisch. Zeichnungsblätter liegen verstreut wie gefallenes Laub bis in den Kohlenkasten. Der Eisenofen uns zu Häupten wackelt. Von der Wand herab bleckt das Vorstadtbacchanal, schlimme Brüder, halbnackte Weiber auf dem Schoß. Grüne Buddeln und dicke Gläser auf der überschnittenen Tischebene. Ungerahmt. Noch feucht. Die Farben klecksen aus dem Grau. Weggeschleudert, als wäre ein Zyklon in sie gefahren, da und dort die Kleider. Mariquitas Röckchen als stumpfe Pyramide. Ihre Strümpfe zusammengeknüllt. Schlangen aus Menschenhaut. Mariquita gleitet von mir weg vor den schmalen Spiegel. Ihr Haar bauscht sich elektrisiert unter den magnetischen Strichen des Kamms. Arm- und Rückenmuskeln spielen wie junge Tiere unter dem wallenden Wald. Die Bürste knistert. Bernsteingolden pflügt sie über die blauschwarzen Wellen. Ein trunkenes Siegerschiff. Jetzt bückt sie sich, schüttet Wasser aus dem Krug in das Blechbecken, wendet sich mir zu. Ihre bräunlichen Brustknospen blättern wie junge Kletterrosen. Das Wasser weckt mich auf. Ich tauche den Kopf in die Schale, die ihre Hände halten, ihr Leib wellt sich dicht vor meiner Stirn. Er atmet wie im Schlaf, wie die Erde, wie ein Feld im Frühling, bräunlich, noch glatt, aber schon mit unsichtbaren Schöpferströmen geladen. Ich presse mein Gesicht hinein, vergehe aufs neue, während ihre bebenden Hände das Wasserbecken halten.
Wir sitzen nebeneinander (die Elfenbeindose zittert in unsern Fingern). Lecken aus den Windungen des Deckels die letzten Stäubchen. Sie holt eine Schachtel aus dem Schrank. Sie kauft es vom Händler im Café an der Wiedener Hauptstraße. Auch ein Assistenzarzt hat ihr einmal gegeben. Sie nimmt es nur, wenn sie allein ist – bei ihren Bildern, sperrt die äußere Tür ab, läßt die Leute schellen, soviel sie wollen. Nach ein paar Prisen ist sie dann bei mir. Spürt mich. Weiß sich nicht zu helfen vor Sehnsucht. Ich berichte. Die Frage nach Ruth wird mit zögernder Phrase übergangen. Von meinem Töchterchen ist sie entzückt. Ich zeige ihr ein Bild. «Ein Kind.» Schweigen.
Die Dämmerung rußt in die Gasse, als wir zur Autostation gehn. Sie muß heim. Sie hat sich verspätet. Der Boden schwankt. Schwindel im Hirn. Das Taxi schleift uns fort. Mariquita erzählt. Immer die gleiche Quälerei zu Hause. Der Vater mißtraut ihr. Er wittert etwas . . . Nicht dies, Früheres. Der Maler? Kopfschütteln. Der bulgarische Student? Nein. Lallen unserer ersten Nacht steigt herauf. Ein Wort: Klinik. Ich muß wissen. Durst, sie zu quälen, mich zu quälen vielleicht. Erfahren. Ich spiele den Wissenden. Nehme aus meiner Brusttasche ein neues Gramm. Wir schnupfen. Das Gift hilft. Drei Worte zum Chauffeur geflüstert, zufahren soll er, irgendwohin. Trinkgeld. Sein Grinsen.
«Also der Vater hat das mit der Klinik erfahren?»
«Nicht direkt. Sein Kollege –»
«Der Frauenarzt?» unterbreche ich.
«Ja, habe ich dir das –?»
«So halb.»
«Wieso?» Sie errötet unversehens. «In München?»
Ich nicke. «Aber nur so, nicht genau. Erzähl'!» Eine neue Prise.
«Gewisses hat mein Vater nicht erfahren können. Ich war im Spital. Drei Tage. Bei meiner Freundin – glaubten sie daheim. Später rief mein Vater mich an seinen Schreibtisch. Sperrte hinter mir die Tür zu. Riß eine Schublade auf, nahm den Revolver heraus (den, den ich im Muff zu Kyrill nahm, weißt du). Seine Stimme war plötzlich ganz belegt. ‹Bist du noch . . . (er suchte das Wort. Wollte sagen 'jungfräulich'. Wurde plötzlich rot, verschluckte sich. Endlich:) unberührt?› Ich mußte ihm in die Augen schauen. Sein Blick zwang mich, ihm gerade ins Gesicht zu sehn. Sein Bart bebte am Kinn. Ich stockte: ‹Vater› . . . ‹Ja oder nein?›, zeterte er plötzlich. Ich log: ‹Ja.› Hielt seinem Blick stand. Er wurde unsicher. Spielte mit der Waffe. Seufzte. ‹Sonst hätte ich dich . . .› er schmiß den Revolver in die Schublade zurück.»
«Wie konntest du so unvorsichtig sein», sagte ich nach einer Pause, so obenhin.
«Ich war unerfahren.»
«Trotz Kyrill?»
«Trotz Kyrill.»
Mariquita bricht los:
Eleganter Mensch. Sehr reich. Oder er lebte flott. Beim Tennis lernten wir uns kennen. – Er versteht die Frauen. Ist weich gegen sie. Familiär, distanzlos. Sehr aufmerksam. Hält viel auf Geist, weil er ‹nur› Kaufmann ist, strengt sich gesellschaftlich an, nicht wie ein Studierter. Gut manikürte blasse Pfötchen, Brillantring, die Nägel rosa poliert. Wir unterhielten uns gleich sehr gut. Nahm mich als Künstlerin. Kunst imponiert ihm. Romantische Existenzen. Abenteuer halb süß, halb gefährlich.
‹Darf ich gnädiges Fräulein in ihrem Atelier aufsuchen? Bei den Bildern?›
Ich erlaubte. Er kam am nächsten Tag, brachte herrliche Orchideen. Bewunderte. War ganz Respekt. Leichter Unterton. Na, wir verstehn uns in der Kulisse. Aber Dekor wird gewahrt. Äußerte scheinbar verlegen den Wunsch, ein Bild zu erwerben. Ich lenkte ab. Abends führte er mich aus. Kasino. Dann Weihburggasse, Sekt. Um elf Uhr brachte er mich mit seinem Wagen heim. Ein Bugatti mit dem herrlich tiefen Ton der Rennmotoren.
Er war ein ausgezeichneter Tangotänzer. Sein Knie ging zwischen meinen Schenkeln, sein Fuß streifte mich. In meinem Nacken brannte seine Hand. Er verwöhnte mich. Blumen, Pralinés, reizende Maroquinbände. Die Liaisons dangereuses des Choderlos de Laclos. Er bestach mich. Kaufte sich mit Geschenken in meine Gunst. Ich begriff, zögerte, ließ mich bestechen. Für alles war Geld, es war so bequem. Ich war müde, angeekelt von Früherem. Einsamkeit. Das ewige Entbehren, das ewige Sparen.
So glitt ich hinein. Mit offenen Augen, aber träg. Ließ es herankommen. Er war rücksichtsvoll, sanft, unterwürfig und intim, Sklave. Seine Königin ich. Meiner Eitelkeit verstand er zu schmeicheln.
Die Eltern sahen diese Bekanntschaft nicht ungern, mochten auf Heirat hoffen. Das Seidenhaus seines Vaters ist bekannt. Er schenkte mir Stoffe, Atlas, Brokat. Nach dem Tanzen gingen wir jetzt öfter in seine Junggesellenwohnung am Ring. Er braute Mokka. Zeigte mir Schmuck. Lief wie ein Diener durch die Räume. Wände und Fußboden waren mit Teppichen ausgepolstert. Ich lag auf dem Kelim des Diwans. Knieend reichte er mir den Kaffee. Sein schwarzer Scheitel glänzte unter der Ampel. Dann strich er sich an mich heran, nicht geradezu. Kein Überfall. Wie einer, der den Mauern entlang streunt. Seine Hände liefen mir wie satte Krabben über die Beine. Ich sträubte mich nur schwach; alles war mir so gleichgültig. Verliebt in ihn war ich nie. Spannung kam nie auf. Er war zu nah, zu intim. Wie ein unartiger Bruder. Eine schlechte Gewohnheit. Nicht mehr. Wie man Zigaretten raucht. Er hielt mich wie eine Odaliske. Ich brauchte nicht mehr zu wollen. Jeder Wunsch erfüllte sich von selbst. Die Zeit war wie Öl. Glatt und träg. Heute ohne hernach.
Man hielt uns für verlobt. Wir widersprachen nicht. Vielleicht glaubte ich es selbst ein wenig. Er war so bequem. Wir machten schöne Ausflüge im Wagen. Dinierten beim Kobenzl mit dem Blick auf die Stadt, einmal. Es waren ihm zuviel Bekannte dort. Meistens fuhren wir in den Wiener Wald, sausten stundenlang durch Hügel und Schlucht. Nachtmahlten irgendwo am Bach in einer Bauernwirtschaft. Abends um elf Uhr war ich immer pünktlich zu Hause. Wir waren wie Jungverheiratete, die sich schon ein wenig langweilen.
Plötzlich war etwas mit mir los. Es klappte nicht. Wahnsinnig vor Angst lief ich zu ihm. Er beschwichtigte. Unsinn. Wurde mit einemmal heiser. Ich wartete auf ein Wort, er kaute an den Nägeln, schwieg, sprang auf, ging hin und her, weich, elastisch, wie beim Tennis. Schwieg. Dann fragte er mich aus, rechnete. ‹Na, unmöglich ist es nicht, Pech.› Ich wartete auf das Wort. ‹Laß dich untersuchen›, schlug er vor. Ich starrte: Nein. ‹Mariquita, sei vernünftig.› Er blätterte im Notizbuch. ‹Da hab' ich eine Adresse, geh zu dem. Ich melde dich an auf morgen.› Mir wurde plötzlich schlecht. ‹Es muß sein, auf alle Fälle. Wenn's nix ist, um so besser.› ‹So möchtest du nicht . . .› ‹Dank schön für die Bescherung, bitte. Aber geh', mach kei Geschicht, das bildest du dir bloß ein.›
Ich erbrach mich. Er lief nach einer Schüssel, stützte mich auf, dann hob er den Hörer ab, sagte eine Nummer in den Apparat. Man antwortete.
‹Du wirst doch nicht . . .› Er meldete mich an. Morgen um elf Uhr. Mit falschem Namen. Frau soundso.
‹Ich geh' nicht hin, lieber in den Kanal.› ‹Sei nicht blöd. Wissen müssen wir's doch. Ich hol dich ab, dann besprechen wir das Weitere.› Er strich mir übers Haar. Ich schüttelte ihn ab; er nahm meine Hand und steckte seinen Brillantring dran. ‹Soll das ein Versprechen sein?› überwand ich mich. Er tat erstaunt. ‹Wieso?› Ich schluchzte. ‹Reg dich halt nicht auf. So was passiert doch mal. Und überhaupt, ob nicht alles ein Schmarren ist. Also morgen beim Doktor. Ich wart' an der Ecke, mit dem Wagen.› Mit einem Blick auf die Uhr: ‹Ja Herrgott, gleich elf.›
Schweigend im Auto nebeneinander. ‹Versprichst mir hinzugehn?› Etwas ist umgestürzt in meinem Schädel drin. Ich bin mürb, eingesackt, wie ohne Knochen. ‹Gelt, du gehst hin?› Ich nicke zu. Er stoppt, bleibt sitzen, nestelt nervös in der Brusttasche, knüllt ein Bündel großer Scheine in meine Hand. ‹Auf alle Fälle; vielleicht wirst du gleich zahlen müssen.› Er reißt die Wagentür auf, bleibt am Steuer. ‹Grüß Gott.›
Der Anlasser brummt. Ich wate wie durch Nebel vor das Haustor, suche lange im Handtäschchen, den Schlüssel zwischen den Fingern. Die Noten knittern in der Linken. Was wollte ich doch? Alles hab' ich vergessen. Wozu das viele Geld?
Ich stopfe es unters Taschentuch. Meine Rechte sperrt das Schloß auf. Wie leicht das beiläufig geht! Alles ist ja so leicht, wenn man Geld in der Tasche hat. Nur Geld gehört zum Leben, viel Geld. Ist doch alles gar nicht so schwer. Man muß halt nur Geld haben und ausschlafen dürfen. –
Jähes Erwachen. Schreck. Noch Zeit. Ich mache mich sorgfältig zurecht. Meine Füße sind unsicher auf der Treppe, ich stolpre ein paar Stufen hinunter, aber hingefallen bin ich nicht, hielt mich am Geländer fest. ‹Schade›, hörte ich mich halblaut sagen. An der Ecke nahm ich ein Auto. Die Adresse weit weg, fast am Südbahnhof. Im Wagen war das Futter geplatzt, es roch nach feuchtem Roßhaar. Das Pflaster stieß abscheulich. Ich lehnte zurück, sonst könnten mich Vorübergehende sehn. ‹Wie hieß ich denn heute?› Ich hatte meinen Namen vergessen. Er hatte mich angemeldet: Frau? – Blödsinnig war ich ja vor Angst. Ja, was sag ich denn? Der Spruch kommt mir auf die Lippen: Wie sag ich's meinem Kinde? Wie hat er am Telephon gesagt? Frau? Er wird mich wegweisen, oder er wird mich spöttisch . . . Nein, ich muß Gewißheit haben, er muß mir helfen für das Geld, für das viele Geld. Meine Eltern. Wenn's so ist, heiratet er mich doch. Nur nicht überlegen. Er ist doch ein . . .
‹Hier, bitt schön.›. Ich schenke dem Chauffeur 50 000.
Heiraten, nicht heiraten, zähl ich die Stufen auf der Treppe. Dann seh ich die Klingel und vergesse zu zählen. Läuten kann ich nicht, lieber klopfen.
Der Doktor macht gleich auf, als hätte er hinter der Türe gewartet. Sein Spitzbart wippt, ein gelber Blick durch den Kneifer. ‹Frau Galewsky?› Ich nicke. ‹Ich möcht' . . .› ‹Herr Gemahl hat heut in der Früh schon angerufen, ich bin orientiert.› Er faßt nach meinem Cape. Metzgerhände. Die Haut schiefrig weggeätzt.
Wir gehn durchs leere Vorzimmer, abgegriffene Zeitschriften, Wackelstühle.
Hinein, wachstuchüberzogener Schrägen. ‹Legen Sie sich ganz bequem. Nur nachschaun, meine Gnädigste. So. So?› Gummihandschuhe. Greuel. Er bückt sich, sein Kopf wird rot vor Anstrengung. Er richtet sich auf, legt mir den Hörer an den Rücken, horcht. Ich darf wieder aufstehn. Seine Stirn steht über mir wie Weltgericht. Meine Augen fragen.
‹Ja, meine Gnädigste. Ist schon so.› ‹Unmöglich.› Ist: das Wort liegt über meinem Herzen. Frißt sich ein. Ist. – Ich begreife. Ganz wach plötzlich. Handeln. Eingreifen. ‹Unbedingt wegnehmen, oder ich gehe ins Wasser.›
Der Doktor schaut mich an, ein Funken läuft hinter seinen Gläsern. ‹Gnädige Frau sind kränklich, ich habe schon vorhin die Dämpfung gehört am linken Unterlappen.› Er drückt auf die Klingel. Pause. Es klopft. ‹Herein!› Ein Arzt in weißer Schürze schiebt sich durch die Tür. ‹Mein Kollege Guttmann.› ‹Bitte, gnädige Frau, legen Sie sich nochmal hin. So. Die Lunge.› Der andere bohrt mir das Stethoskop in die Brust, klopft, legt mir das Ohr an die Schulter. Nickt. Geht zum Bureau, schreibt. Seine Feder spritzt nervös. ‹Sie können sich ankleiden. Darf ich Ihnen behilflich sein? Kommen Sie morgen um neun Uhr ins Spital. Das ist die Adresse›, sagt mein erster Peiniger zu mir – trocken.
‹Ja, soll ich . . .› ich verschlucke den Rest. ‹Für wie lange?› zittert meine Stimme. ‹Drei Tage genügen.› Er geleitet mich hinaus. ‹Kleinigkeit, meine Gnädigste.›
Endlich unten. Die Gasse ist leer. Ein Mann passiert, ein paar Rüden an der Koppel. Kein Wagen an der Ecke. Léon ist nicht gekommen. Ich warte, gehe auf und ab.
Morgen also. Für zu Hause bin ich bei meiner Freundin in Aussee. Das wird gehn. Ich fahre oft zu ihr hinaus, das ist nichts Besonderes. Mit dem Frühzug verreise ich, da kommt keiner an die Bahn. Auch Schwester Irene merkt nix. – Kein Auto. Léon verspätet sich sonst nie. Und jetzt. Wenn ich ins Spital gehe, braucht er mich nicht . . . Ich gehe nicht. Aber heiraten mag ich auch nicht. Feig ist er, feig und weich. Qualle. Ein Hupen. Ein Mietwagen in der Kurve. Vorüber. Ich will nicht verstehn. Das ist Zufall. Qualle. ‹Pech›, sagt er, ‹na, i dank schön, bitte.› Ein Lakai. Ich will keinen Lakaien.
Zur Sprechstation. Der Apparat stinkt scheußlich. Wie im Spital. ‹Hallo.› Die Firma meldet sich. ‹Léon.› ‹Mariquita.› ‹Na, und?› ‹Es ist schon so.› Pause. ‹Ja, entschuldige, daß ich dich nicht abgeholt habe. Mein Vater ist heut im Bureau. Da kann ich halt nicht . . . Keine Angst, Haserl. Kleinigkeit. Ich richt dir alles.› ‹Zu kulanten Bedingungen›, höhnt es aus mir. Ich laß den Hörer fallen, nehm ihn wieder auf. ‹Hallo-oo›, unsicher: Störung. Ich warte. ‹Bist du heut Abend . . .?› Ja, das geht leider unmöglich. Familienfest. Ich besuch dich im Spital, aber ganz gewiß . . .› ‹Schwein›, schreie ich, hake den Hörer ein. Schluß.
Alles ging glatt, wie man so sagt. Ich lag zwei Tage. Léon schickte Blumen, Geschenke, Schmuck. Ich wies alles ab. Am dritten Tag wollte der Spitzbärtige zärtlich zu mir werden. Ich fuhr heim.»
«War's schön in Aussee?» «Etwas anstrengend, aber halt herrlich am Dachstein.»
Mariquita schreckt auf. Wo sind wir hingefahren? Ich rufe dem Chauffeur ihre Hausnummer zu. «Hast du mich noch lieb?» Schweigend schließe ich sie in die Arme. Wir sind am Haus. Unvorsichtig. «Auf morgen um zwei.» Sie gleitet hinein. «Westbahnhof.» Gepäck auslösen. «Zum Klomser in der Herrengasse.» Schlafe wie tot.
Der Morgen ist seltsam. Alles ist unwirklich, leicht wie Flaum. Ich schwebe leiblos; das Schwergewicht fehlt mir. Bei jedem Laut fahre ich zusammen. Etwas Schreckhaftes ist in der Luft. Unsicherheit. Als wate ich auf Daunen. Im Zentral beim Café beginnt das Herz zu rasen. Filmband der Neuigkeiten aus dem Morgenblatt. Skandale. Politische Morde. Messerstechereien im Prater. Okkultismus. Die Börse flau. Wohnungslose, Erwerbslose ertränken sich. Krupp übernimmt ein Aktienpaket der Poldihütte. Erdrutsch bei Heiligenblut. Kaleidoskop, leere Farbtropfen verspritzend. Später schlendre ich durch die Altstadt. Gefaßtes Barock, Palast neben Palast. Gebieterisch, streng noch in der Wollust ausladender Voluten. Als gingen sie nach dem Sündigen zur Beichte.
Gefrorenes Selbstgefühl. Voll heimlichen Gewissens, aber mit Drohung geladen – trotz der ausgebrochenen Hauer. Hier hausten polnische, deutsche, ungarische Barone wie Eber, Wildgeruch über der Puderwolke ihrer Courtoisie. Kraftstrotzend. Jetzt allgemein tabes dorsalis. Weich, gemütvoll und falsch. Ohne Mark. Wie Quallen. Pech, bitte, Unglück. Nein, vielleicht nur Pech. Mariquita. Ich bleibe stehn. «Qualle.» Halt so eine Liebelei. Nur ohne Abschiedssouper. Telephonisch erledigt. Aber doch unsachlich. Ausgewichen. Beiläufig, wie alle Hauptsachen. Nur keine Knochen. Schlimm. Sonnenschirm. Fühlfäden, drunter nix. Brackiges Salzwasser. Also: diese schöne, vollkommen gedrechselte, lodernde Mariquita kann sich so verlieren. Gallert, bitte. Da is nix! – nur Widerspiel. Der Kräftige verliert, der Aufrichtige verliert. Man ist enttäuscht, entspannt sich, schläft auf dem Faulbett ein, der Rest kommt von selber. Im Schlaf übertölpelt. In der Eitelkeit, im Behagen beschmust. – Wie wahr sie ist! Schonungslos gegen sich. So wenig Lüge. Wahrheit macht reiner als Tugend. Hier ist Opfer: Vertrauen.
Herrliches Lederzeug in den Auslagen. So seine Koffer packen und fort, dahin, wo einen keiner mehr findet, in den Süden, ans Meer. Weg aus dem Sumpf. Vergessen. Leben wie ein Tier. Ohne gestern. Das Haupt in den Gräsern. Wiederkäuend unter der Sonne.
Diese Stadt ist leer. Leute leiblos hingewischt wie Schatten. Ihr Schatten lebendiger als sie. Kerniger. Hat sie Léon nicht doch geliebt? Verkleidet sich nicht gekränkte Leidenschaft so in sachlichen Bericht? Hat sie nicht die kalte Schmeichelei für Zärtlichkeit genossen? Nur nachher verleugnet, beschämt von Intimitäten ohne Herz. Wenn der Magen verdorben ist, hat man Süßigkeiten nie gemocht.
Ich halte eine Schachtel Pralinés unter dem Arm. Wie gern sie das futtert! Heut nachmittag. Dann kaufe ich eine Gloxinie. Hautige Blätter, ein Kelch, der sich unbeholfen öffnet vor Trunkenheit. Gestreift wie Damenwäsche. Etwas filzig. Eigentlich Biedermeier. Aber doch nicht ganz harmlos. Irgendwie an eine fleischfressende, kaffeekannenförmige brasilianische Orchidee erinnernd.
Finanzministerium. Der Portier am Prellstein kraut sich in den Koteletten. Salutiert. Ja. Irrtum, mein Lieber. Ich bin nicht gekommen, um die Valuta zu retten. Ich verschwinde im gegenüberliegenden Haustor. Türen knallen. Ein Wasserhahn braust wütend in einen Blecheimer. Oben zu früh. Sie ist da. Ich spüre es, klopfe: im Dirndlkleidchen sperrt sie das Gitter auf. Wie bleich sie ist. Ich wühle mich in den enttäuschten Mund. Stockende Worte. Wir liebkosen uns befangen. Etwas Weißes streift über ihren Leib. Sie ruht auf den linken Arm gestützt. Vollkommen. Eine Javanerin. Unschuldig, aus Rehaugen staunend, zwischen exzentrischen Rasereien. Die Brust blättert bräunlich. Quer über den Leib zieht sich ein blasser Strich. Wie eine Göttin im Lotos lächelt sie. Kaum, daß sie ihren Sklaven bemerkt. – Eingehüllt in eine Wolke selbstsatter Trunkenheit. Keiner hat sie berührt. Liebe gibt Jungfräulichkeit der Vordämmerung. Vergangenheit lügt. Erneuert sich nicht Fleisch und Blut? Kein Atom ist hier, das ein anderer sah – besaß. In meinem Feuer gerann das Erz. Chaos vorher. Wogendes Nichts. Ohne Schöpfungslust.
Mein Augenblick gebiert sie. Vorhin ein huschender Schatten noch unter der Tür. Vergrämt. Arm. Lebendige Gestalt jetzt, strahlend aus Wolken der Anbetung. Habe ich Liebe gekannt, Genuß? Absturz rasend in der Betörung süßer Unendlichkeit? Frost klirrte über meinen Poren, aber jetzt tragen mich Wellen hinaus, gemeinsame Woge, sie, ihr Reich. Unser Reich. Unter raschelnden Palmbüscheln bunter Teppich der Lust. Kleopatra schaukelnd auf dem Rücken des Gottstroms. Dann lassen wir die Leiber hinter uns, steigen in der kristallinischen Schimmerwolke des Gifts. Wie Fremdlinge umarmen wir uns, Hierodule und Gast im Astartetempel, vor dem Blick das Wunder fremder Meere. Lagen wir uns nicht immer in den Armen. Kein Morgen trennte uns. Jene erste Nacht ist wieder da, nur wissender, befreiter, ohne den erstickten Hilferuf. Entrückung ohne Qual. – Die Ewigkeit zerbröckelt spät.
Vor dem Fenster ein Mond von rußigem Flaschengrün. Wir finden uns schwer in den Raum zurück. Unsre Körper bewegen sich nach fremden schwankenden Gesetzen. Das Haustor ist von innen versperrt. Wie seltsam, daß man Schlüssel braucht. Durchdringen wir nicht Welten und brauchen doch einen Schlüssel, um durch eine Holzwand zu treten. Die Dreidimensionalität ist ein Aberwitz. Ihrer Aufdringlichkeit räumen wir Rechte ein, ihre Sturheit beherrscht uns. Der Raum blufft, und wir beugen uns seiner Suggestion.
Aus der Loge schielt das Hexenprofil der Hausmeisterin herüber, hinter Glas in der Dämmerung wie in Spiritus schwimmend. Ein unangenehmer Foetus. Endlich weicht die Tür, läßt uns auf die Straße fallen. Blutige Lichtpfützen unter den Laternen. Schmutziges Dunkel dazwischen. Mädchen schwirren schon. Hunger überfällt uns. «Gehn wir in den grünen Anker», sagt Mariquita.
Leere Autos verstopfen das Gäßchen. Wir treten durch die Nebentüre ein. Geschirr klirrt. Gabeln picken auf Porzellan. «Ein Separé, Herr Baron?»
Holzverschalte Wände. Ein schütterer Eisenofen. Halbvoll auf dem Bord eine Sherryflasche. Diwan. Zwei Kerzen auf dem Tisch. Muffiger Kitsch. Ungelüftete Brunst. Ananas mit Cumberlandsauce als Vorspeise. Scharfe Suppe. Das Fleisch mürb. Champagner und Früchte. Von fernher Musik. Kichern und Rascheln durch die Portiere. Wolken aus Puder, Speisengeruch, Staub. Frack und Gesicht des Kellners verschlissen – in Diskretion wegschmelzend. «Franzl, laß.» Verstummen. Ereignisvolle Spannung durch Zwischenwände strahlend. Witterung rings. Erwartetes in Nebenräumen, Mutmaßungen sich gegenseitig aufstachelnd. Ohr nach Bestätigungen lüstern; halbe Voyeure, nur halb bei dem eigenen Abenteuer, aushorchend, schlürfend und schürfend in der Runde, von Möglichkeiten überfallen, selbst nicht zurückstehn! Stachel der gemeinsamen, unsichtbaren Orgie. Es ist zum Ersticken. Gewalt aller Neugier und Gier geigt über die Nerven. Wir küssen uns, ich stehle eine Kirsche von ihren Lippen. Wir horchen aneinandergelehnt, tauschen halbe Worte, verstummen vor jedem Geräusch.
Wut packt mich. Kolja spüre ich neben mir. Er sieht mir zu. Wartet.
«Nein», sage ich laut. «Ich will nicht teilen. Zahlen!» Hinaus in die Nacht. Sie: «Morgen nicht.» «Warum?» «Es fällt auf. Vater ist mißtrauisch. – Hast du nicht eine Bekannte?» «Gaby?» «Besuch sie doch.» «Bitte kommen.» «Ja.» «Ja. Gut Nacht.» Schon mit einem Fuß auf dem Trittbrett der Straßenbahn. «Nicht mehr schnupfen heut abend, gelt!»
Morgen. Ich kann nicht mehr allein sein. Der Zeiger der Wanduhr steht still. Der Bronzeschäfer hält stumm die Doppelflöte; gallbitter schmeckt der Kaffee. Ich wäge das Elfenbeindöschen in der Hand. Soll ich? Krame Gabys Adresse hervor. Zwei Jahre ist's her, daß ich sie zum letztenmal sah. War sie nicht ein halbes Kind, schön und stolz, mit den rehzarten Beinen der göttlichen Jägerin. Virago, spöttisch vor Männern, haßliebend ihrem Vater verfallen, dem ironischen Bändiger der Weiblichkeit? Sie verteidigt die Mutter gegen den Vater und liebt den Vater: keinen Mann, nur den ruchlosen Vaterfeind. Jetzt soll sie Filmschauspielerin sein. Was will ich bei ihr? Sie – Unsinn. Kameradschaft. Zerstreuendes Gespräch für tote Stunden. Ich nehme zwei Prisen. Aufbruch.
Die Schatten quellen schon wie im Mai. Beim Schottentor steure ich über den Ring. An der Währingerstraße pfeifen die Straßenbahnwagen über die Kurve. Neunter Bezirk. Der Park ist voller schwarzäugiger Gören. Ausgemergelte Lungerer hocken dazwischen, auf die Bänke halb herabgleitend, und lassen sich die Sonne in die geplatzten Schuhnähte scheinen. Träg schielen sie nach den Mädels. Lahme Wünsche bleiben ihnen klebrig in den Augen stecken. Die Kleinen laufen mit affigen Bewegungen herum, wittern die Atmosphäre. Gruselig geschmeichelt. Im Restaurant am Eck klirren die ersten Teller. Es wird zu Mittag gedeckt. Weiter. Ob sie zu Hause ist? Spitalmauer. Fader Formalingestank. Scharf unter den Gitterfenstern liegen die Leichen für die Anatomie. Sehn kann ich sie nicht gradezu, aber zu spüren sind sie durch die Wand. Ausgeweidet, aber den Schnitt am Brustbein schön vernäht. Andere schon halb zerstückelt. Fleiß schnitzt daran vor dem Mittagbrot.
Ein Leihamt. Die vorletzte Stufe. Erst die Sachen, dann der eigene Kadaver.
Drüben an der Mauer sechsmal hingeknallt: Gisela Werbezirk! Das Theater ist mein Merkzeichen. Ich biege ein, steige auf der schiefen Ebene die rutschbahnartige Sackgasse hinauf; Nummer elf im vierten. Den Mezzanin nicht zu vergessen. Bei der Portierfrau kaufe ich Marken für den Lift. «Fräulein Gaby ist zu Hause?» «Bemühn sich hinauf, i bitt schön. Im vierten.» Im surrenden Kasten. Die Türen knacken vorüber. Ein Stoß stoppt. Hier. Die Klingel stürmt. Die Tür wird aufgerissen.
Gaby, den Bademantel zusammenhaltend, die kräftigen braunen Beine in den Teppich gepflanzt: «Grüß Gott, Alexander.» Ihr Kuß knallt auf meiner Backe – sportlich. Im Atelier wilde Unordnung. Katzen rasen durch den Raum. Sie klatscht den Bettdiwan zurecht. «Was gibt's Neues?» Ich berichte. Deute mit halben Worten den Grund meiner Anwesenheit in Wien an. «So, und Ruth? Wollt ihr scheiden?» Ich zucke die Achseln. «Na, ausschaun tust du. Koks? Gib her.» «Und du?» «Mies.»
Sie kommt ins Erzählen. Keine Anstellung, Dalles. Dies und das schwebt. «Wird doch nichts, denke ich.» Sie sprudelt los. «Ob ich's nicht weiß? Ganz Wien zerreißt sich ja das Maul. Er ist ein verheirateter Mann mit Kindern. Im Alter wie ihr Vater. Seine Frau will sich nicht scheiden lassen. Lang war sie mit ihm zusammen am Land. Jetzt hapert's. Er kommt von seiner Familie nicht los. Die Sache verleidet ihr allmählich. Er ist so schwerfällig, ein Bauer. Schließlich zermürbt einen der Widerstand. Sie hat das Leben satt. Ein kräftiger Ausdruck. Summe: auf dem Hund. Wozu noch aufstehn. Schlafen.»
«Gehn wir zu Tisch irgendwohin?» Im Nebenzimmer kleidet sie sich an. Wie geräumig das Atelier doch ist. Sie stäubt sich eine Puderwolke um die Nase. Ich lehne in der Schlafzimmertür. «Ich will ein Zimmer vermieten.» Die Katzen kobolzen. «Gibst du's mir? In vierzehn Tagen bin ich wieder in Wien.» Wie ein Blitz ist dieser Entschluß aus mir herausgefahren. «Bestimmt?» «Bestimmt.»
Wir sitzen in einem Kellerlokal. Gaby ißt mit Heißhunger. «Wenn ich allein bin, mag ich mir nicht kochen. S'ist halt kein Geld da. Nur Schulden. Miete. Steuer.» Wir trinken einen roten süffigen Wein. Plötzlich reißt es mich hoch. «Schon fast zwei. Grüß Gott.»
Mein Taxi hetzt über den Graben, durch die Kärntnerstraße. Wie es in die Himmelpfortgasse einbiegt, streift der linke Kotflügel Mariquita fast. Sie hält im Gehen inne, blickt hin, steigt ein. Wir brausen los. – «Prater.»
«Ja, heut war's sehr schwer loszukommen. Die Mutter hat gefragt, warum ich nicht das Dirndlkleid anziehe wie sonst, wenn ich malen gehe? Irene sagt nix, aber sie spürt, daß jemand bei mir ist. Sie hat Angst um mich. Ich muß bald wieder heim.»
In der großen Allee steigen wir aus, lassen die Equipagen an uns vorbeitraben. Auf den Rasenflächen liegen Arbeitslose oder streunen mit ihren Mädchen zwischen den Büschen. Derb und verwahrlost. Ein Beisl an irgendeinem Wasserarm. Bootsverleih – Rudern!
Ich lege aus, nach ein paar Schlägen treiben wir unter Weiden. Mariquitas Gesicht mir hell gegenüber aus dem grünen Licht, oval, ein Madonnenantlitz. Ganz fraulich. Meine Ruder senken sich. Ich weiß, was sie denkt. Endlich kommt das Wort: «Ein Kind möcht ich von dir.»
Aus dem bunten Himmel unserer Verzückungen sackt dieser eine Wunsch wie ein Bleiklumpen herab. Ich nicke. Entgegne nichts. Blendung beizt die Augen. Ich schließe die Lider. – Leeres Halbdunkel. Gewölbe wie im Treppenhaus an der Himmelpfortgasse. Ein Kranen zischt. Türen schlagen irgendwo. Vor der trüben Gangscheibe schwebt die Muttergottes, hölzern steif, rotbackig. Im Arm das Kind. Die Luft im Raum ist grün wie Flaschenglas. –
Etwas reißt mir die Augen auf. Vorgebeugt sitzt mir Mariquita gegenüber, bewegt die Lippen, als lese sie mühselig von meinem Gesicht ab. Wieder nicke ich und versuche ein Lächeln. Aber ich fühle, wie es erstarrt, mitten im Sonnenschein gerinnt. Die Mundwinkel bleiben bitter.
Die Riemen knirschen in den Dollen. Wir fahren zurück.
Die nächsten Tage flattern erregt. Trennung ist in der Luft. Am Samstag muß ich nach München zurück. Ich will nicht mehr dort bleiben – meinen Haushalt aufgeben. Packen. Auflösen. Frei sein. Jeder Augenblick ist wie beschädigt durch das Vorgefühl des Abschieds. Die Entscheidung mit Ruth steht bevor. Kampf. Ich weiß um keine Lösung. Gehorche dem Trieb. Lasse mich vorwärts schleudern, verflochten, emporgerissen im Rade des Schicksals. Ich kann nicht entscheiden. Es muß über mich kommen, es muß. Drang der Not. Ohne Freiheit. Übergewicht in die Waage stürzend – Unbestimmtes. Grauen. Wir betäuben uns. Ekstase hingezögert unter dem Gift. Lange Dämmerungen im künstlichen Paradies des kahlen Dachraums.
Einmal abends zu Ronacher. Paillettenknistern über mürbem Fleisch; Puder, Pomade und Schweißdunst über tierstirnigen Balkanelegants. Kranz nackter Weiberbeine bravourös herausgeschleudert unter Tschindaratata der Deutschmeisterkapelle. «Wien, Wien, nur du allein!»
Kitsch greift an die Kehle wie ein Würgkrampf. Geile Erregung zittert durch die Glieder, ist kaum abzustreifen. Alles zu weich, die Girls mit Schlagobers anstatt mit Beefsteaks gefüttert, der compère fesch in Schwarz. Strohhut, Stock, Damenhüften. Seine Partnerin aus dem Mond gestiegen, Pailletten über dem zu rundlichen Leib, eine Nockerl-Astarte von der Rücksicht des Publikums lebend, das nicht recht hinschaut. Andauernd in Gstanzeln ihre Reize beteuernd, möchte sie den Eindruck erwecken, als betöre sie den Ober auf der Bühne. Eine arme, dickliche, alternde Frau, mit ihrer Vergangenheit wie mit einem Pfauenfächer die häßliche Wirklichkeit verdeckend. Salondame mit Lady Windermeres Fächer. Plüschkitsch. Die Männer im Saal mit Fettwarzen auf den Kahlköpfen, Backenbärten und Gamaschen mögen zwischen zwei Brunnenkuren hier sein, die weißlichen Kinnsäcke und Handrücken spielen ins Violette. Krebs frißt in ihrem Leib, oder ihre Adern sind verkalkt. Innen spüren sie das Leben wegrieseln und schnappen mit den Augen nach einem Stück Fleisch – mit hungrigen Hundeaugen.
Schwermut überfällt uns. Fort. Wäre nicht Selbstmord erfrischend nach dieser Leichenschau! Besser malen. Den Ekel herausdrücken wie Ölfarbe aus der Tube.
Mariquita steht vor der Staffelei. Fetzt die Varieté-Aura hin. Ich lehne an der Wand, nage am Gesehenen. Morgen ist unser letzter Tag. Meine Dose ist leer. Mit der Zunge suche ich mir die Kristallsplitter zusammen. Ich kann ein leises Schnalzen nicht unterdrücken.
Sie legt den Pinsel weg und kramt aus dem Schrank eine Schachtel hervor. Die Notration. Sie hat es sich von dem Assistenzarzt verschafft. Schweigend sitzen wir nebeneinander, lauschen gegenseitig auf unsere Gedanken, tauschen nach langen Zeiträumen des Schweigens ein halbes Wort, das die stumm zurückgelegte Strecke bestätigt. Ebenso bleibt es am Tage der Trennung. Unsere Leiber sind wie weggeschmolzen, von der Flamme stummen Verstehns. Wir sind eine Glutsäule, steil aufbrennend, dann und wann schwankend unter dem Anhauch plötzlicher Angst.
«In zehn Tagen bin ich zurück, spätestens», tröste ich. «Dann bleibst du bei mir.» «Dann bleibe ich.»
Für immer. Ich wage das Wort nicht. Der Wellenkamm ist über mir, schmettert mich hinab, ich ringe nach Luft. Entscheidungen fallen. Man fällt sie nicht. Sie fällen dich. «Mut ist Versuch, Geist zu setzen gegen Übermacht», kommt es mir über die Lippen.
Mariquita betrachtet mich unsicher. In den Augen Tränen. In ihrer Tiefe, furchtgescheucht, kauert das Tier. Schöpferisches stockt, wagt aufblühende Entfaltung nicht. Wortlos am Bahnsteig. Stetes Schwanken. Immer Abschied. Allen Dolchstößen preisgegeben. Unsicher zerbröckelt der Raum. Tote Umarmung. Langsam aufglimmend aus Asche ihr Leib. Dann helle Flamme übers Gesicht – durch einen Pfiff auseinandergerissen. Gefangen hinter der schnappenden Tür . . . Mit zuckenden Schultern wegschrumpfend, klein wie im Giftrausch, ihre wehrlose Gestalt.