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Sechstes Kapitel.
Die Tischnachbarn

Das war denn nun also eine ziemlich gereizte, fast feindselige Unterhaltung gewesen. Dennoch, als die beiden Herren bei der Tafel wieder zusammentrafen, war ihnen nichts mehr davon anzumerken. Besonders der Justizrath war in der muntersten Laune. Angelica hatte sich entschuldigen lassen; sie war unwohl. Der wahre Grund ihres Ausbleibens indessen war ein ganz anderer; sie konnte nach Allem, was sie seit dem gestrigen Abend erlebt und namentlich nachdem sie den Justizrath vorhin in scheinbar so traulicher Unterhaltung mit Herrn Wolston gesehen hatte, nicht mehr zweifeln, daß auch der Justizrath auf die Seite ihrer Gegner übergetreten, und fühlte sie sich unter diesen Umständen nicht stark genug, den Anblick des bisher so aufrichtig verehrten Mannes zu ertragen. Auch Julian war auf seinem Zimmer geblieben.

Um so ungenirter konnte der alte Herr seiner muthwilligen Laune den Zügel schießen lassen; er erging sich in so viel spaßhaften Erinnerungen von ehedem, erzählte so viel kleine komische Geschichten und trug auch das Derbe und Verfängliche mit so viel gutem Humor und so viel liebenswürdiger Schalkheit vor, daß jede andere Frau als die Baronin Nachsicht mit ihm gehabt haben würde. Bei dieser jedoch war es, so zu sagen, ein gesellschaftliches Princip, sich bei ersten Bekanntschaften allemal möglichst streng und spröde zu zeigen. Auch saß ihr Herr Waller gegenüber, eine doppelte Veranlassung für sie, die Histörchen des Justizraths recht abgeschmackt und unschicklich zu finden und diese ihre Meinung ziemlich unverhohlen an den Tag zu legen. Aber auch das erschütterte die übermüthige Laune des Justizraths nicht im mindesten; je zurückhaltender und einsylbiger die Baronin wurde, je lauter und lustiger wurde er, je strengere Blicke sie auf ihn richtete, je munterer hinwieder blitzte er sie mit seinen klaren feurigen Augen an.

Besonders viele Noth machte ihm Herr Florus, der mit Gewalt aus ihm herauspressen wollte, wie es mit der politischen Stimmung der Hauptstadt stände, und ob in der That, wie das Gerücht behaupte, für die nächste Zeit irgend eine Störung der öffentlichen Ruhe zu fürchten sei. Woher dies politische Interesse des Poeten stammte, wissen wir längst; er war wirklich in den letzten Wochen mit seinem Roman einigermaßen vorgerückt und zitterte nun bei dem Gedanken, das Erscheinen seines Buchs könne mit irgend einer politischen Katastrophe zusammenfallen und ihm dadurch der gehoffte Effect beeinträchtigt werden.

Der Justizrath war eben im Begriff, ein Glas alten Rheinwein hinunterzuschlürfen. Er setzte das Glas vom Munde, ließ es gegen das Licht scheinen, führte es dann wieder bedächtig an die Nase, den Duft zu prüfen.

Ein vortreffliches Weinchen, nicht wahr? fragte er Herrn Florus.

Herr Florus, der in Allem, was Keller und Küche betraf, nicht blos für einen ausgezeichneten Kenner galt, sondern es auch wirklich war, beeiferte sich sogleich mit großer Ernsthaftigkeit, die Geberden des Justizraths nachzuahmen. Vortreffliches Weinchen, wiederholte er bekräftigend, indem er das flüssige Gold langsam hinuntergleiten ließ.

Auch der Justizrath hatte sein Glas geleert; er setzte es so hart auf, daß Teller und Flaschen klirrten und die Frau vom Hause aus den peinigenden Gedanken, die sie mitten unter den Freuden der Tafel beschlichen hatten, bestürzt in die Höhe fuhr.

Nun so soll Sie doch das Wetter regieren, brach der Justizrath in komischem Zorne los, Sie Verwünschtester aller Versemacher, daß Sie mir solch ein gottgesegnetes Weinchen mit Ihrer vertrackten Politik verderben wollen! Der beste Wein wird ja zu Essig, Geschmack, Blume, Alles ist weg, so wie nur Einer das leidige Wort Politik in den Mund nimmt. Politik, ei ja doch! unsere heutige Politik! Was fragen Sie mich denn danach? Da, den Schwarzrock da drüben, den fragen Sie (indem er auf Herrn Waller deutete), das sind die wahren Politiker heutzutage, die rühren den Brei – ich hoffe zu Gott, sie sollen ihn auch ausessen, gelt, mein Herr Pastor?

Herr Waller, wie er sich so unvermuthet in die Unterhaltung gezogen sah, hatte unwillkürlich mit einem kurzen, flammenden Blick in die Höhe gesehen. Sogleich indessen, wie der Justizrath ihn unmittelbar anredete, schlug er das Auge wieder nieder und begnügte sich, mit einem feinen höflichen Lächeln zu erkennen zu geben, wie allerliebst er den Scherz des alten Herrn finde und wie sehr er der Mann sei, auf dergleichen einzugehen.

Der Justizrath aber, der nun einmal im Zuge war, fuhr fort:

Die ganze Politik jetzt ist Spitzbüberei, und nicht einmal resolute, ehrliche Spitzbüberei, sondern da behängen sie sich noch mit frommen Redensarten, und indem sie uns die Taschen leeren und die Rippen zerbrechen, stellen sie sich noch, als wollten sie unser Seelenheil retten. Mein Seelenheil! O ihr Hallunken! In diesem Glase Wein ist ja mehr Seelenheil und mehr wahres Christenthum als in eurer ganzen frommen Politik oder politischen Frömmigkeit, es kommt auf eins heraus. Wenn wir gute Freunde bleiben sollen, mein bester Herr Florus, fragen Sie mich nie wieder ein Wort von Politik; von Falschmünzern, Mordbrennern und Straßenräubern wollen wir uns erzählen, heillose Geschichten, sage ich Ihnen, Geschichten, daß man blaß davon werden kann bei hellem Tage – aber nur nichts von unserer jetzigen Politik! Es kommen da zu Hause auch so ab und zu Menschen zu mir, neundrähtige, gleißnerische Schelme, die wollen mich aushorchen und schwatzen mir allerhand Dinge vor, von einer Partei bei Hofe, die der andern Partei bei Hofe in den Haaren liegt, Serenissimus contra Erbprinz, Erbprinz contra Serenissimus, Pfaffen gegen Bureaukraten, Bureaukraten gegen Pfaffen – ich behandle diese Gesellen, den einen wie den andern, jedesmal mit solcher unchristlichen Grobheit, daß sie sich eiligst davon machen, weil ich nun ein für allemal mit dieser ganzen miserablen Geschichte nichts zu thun haben will. Partei! ja freilich! wenn ich Richter zwischen diesen Parteien wäre, auf mein Wort, ich würde sie nicht nur alle beide abweisen, sondern alle beide ließe ich sie – –

Herr Florus, dem, wie uns bekannt ist, die gesellschaftlichen Dehors über Alles gingen, saß wie auf Nadeln; das Antlitz der Baronin war während der letzten Aeußerungen des Justizraths immer ernster, immer vornehmer geworden. Mit wahrer Verzweiflung blickte der geängstigte Poet im Kreise umher, ob sich denn Niemand erbarmen und das verhängnißvolle Gespräch, zu dem er so unschuldigerweise Veranlassung gegeben, auf einen minder verfänglichen Gegenstand lenken würde. Aber Herr Waller, den Kopf sittig vornübergeneigt, schien nur mit seinem Teller beschäftigt: während Herr Wolston, breit hintenübergelehnt, die Zähne stochernd, sichtlich das größte Behagen an dem Zorn seiner Gemahlin wie an der Verlegenheit des Poeten hatte.

Endlich faßte sich Herr Florus ein Herz. Die Cousine Seiner Excellenz des Herrn Ministers, sagte er dem Justizrath ins Ohr, doch laut genug, daß Alle es hören konnten, indem er voll Ehrfurcht auf die Baronin hinwies.

Nun versteht sich, die Cousine des Ministers, erwiderte der Justizrath unerschüttert mit ganz lauter, derber Stimme: wem sagen Sie das, Männchen? Als ob wir uns nicht kennten, gnädige Frau? Ei ja doch, Sie Versifex, die gnädige Frau und ich haben uns gekannt, noch lange bevor Sie sich die Finger an Ihren ersten Versen beklecksten. Stoßen wir an, gnädige Frau: die Vergangenheit soll leben!

Mit süßsaurer Miene erhob Madame Wolston ihr Glas. Der Justizrath dagegen, als wäre nicht das mindeste Anstößige oder Bedenkliche vorgefallen, fuhr fort, sie nach seiner Weise zu unterhalten.

Wissen Sie, sagte er, daß ich außer dem Vergnügen, Sie und Ihren Herrn Gemahl zu begrüßen, auch noch einen geschäftlichen Zweck bei dieser Reise habe? Das heißt nur eine Art von Geschäft; viel eintragen wird es mir allerdings nicht …

Die Baronin horchte hoch auf, und selbst Herr Wolston konnte eine gewisse Spannung nicht verbergen.

Es sind einige zwanzig Jahre her, vielleicht fünfundzwanzig, erläuterte der Justizrath, daß ich eine Vormundschaft zu führen hatte über einen jungen Mann, den Sohn eines alten Universitätsfreundes, eines Predigers; der Junge hatte ebenfalls Theologie studirt und war dazumal, wenn ich mich recht besinne, Hauslehrer bei Ihrer seligen Frau Tante, meine Gnädigste, in deren Hause Sie damals lebten; ist's nicht so?

Es wären viele Hauslehrer bei ihrer Tante gewesen, entgegnete die Commerzienräthin, sie könne sich auf die einzelnen Persönlichkeiten unmöglich mehr besinnen, zumal da es nicht ihr Lehrer gewesen.

Aber auf diesen besinnen Sie sich doch, rief der Justizrath, ganz gewiß besinnen Sie sich! Es war ein bildschöner Mensch und auch gescheidt, nur leider zu gescheidt für einen Theologen; der arme Tropf konnte das pfäffische Leben nicht aushalten, wurde liederlich, verlor endlich den Verstand …

Herr Wolston schien ungemeines Interesse an der Erzählung des Justizraths zu nehmen; er horchte mit großer Aufmerksamkeit zu, und seine Miene, je länger er zuhörte, wurde je ernsthafter.

Bei Madame Wolston schien gerade das Gegentheil der Fall zu sein; sie spielte mit Brotkrümchen, gab halbe oder verkehrte Antworten und fing endlich quer über den Tisch eine ganz abweichende Unterhaltung mit Herrn Waller an.

Aber so hören Sie doch, Madame! rief Herr Wolston mit strenger Miene dazwischen.

Ich bin sogleich zu Ende, versicherte der Justizrath. Der arme Teufel wurde, wie gesagt, toll, soll auch übrigens allerhand halb dumme, halb schlechte Streiche gemacht haben, und ist mir endlich, wie das in der Welt so geht, völlig aus den Augen gekommen. Jetzt nun, einer gewissen Angelegenheit halber –

Erbschaftsangelegenheit? schaltete Herr Wolston ein, indem er mit seltsamen Blicken bald den Justizrath, bald seine Gemahlin maß.

Nichts von Erbschaftsangelegenheit, erwiderte der Justizrath ruhig: aber doch immerhin eine Angelegenheit, die mir wichtig genug ist, um Nachforschungen nach dem Verschollenen anzustellen; ich dachte, die Frau Baronin könnte mir vielleicht dabei behülflich sein, setzte er gutmüthig hinzu.

Oh, rief Herr Florus, indem er vor Freude in die Hände schlug, das trifft sich ja prächtig, das kann ja gar kein Anderer sein als der sogenannte tolle Heiner hier im Dorf …

Sie sind wohl selbst nicht recht bei Sinnen, Herr Florus, sagte die Baronin, indem sie rasch die Tafel aufhob: ich kenne den Menschen nicht, dessen widerwärtigen Namen Sie in unsere Unterhaltung mischen, mit mehr poetischer Licenz, als ich von Ihnen erwartet hätte: aber daß das Subject, von dem Sie sprechen, niemals in dem Hause meiner seligen Tante gewesen ist, das weiß ich, und bedaure ich daher auch, dem Herrn Justizrath keine Auskunft geben zu können, wie schmeichelhaft mir sein Vertrauen übrigens auch ist; die Polizei oder der Irrenvorstand wird wohl eine geeignetere Stelle sein …

Stolz rauschte sie von dannen. Herr Wolston, mit finsterm Gesicht, zog sich ebenfalls zurück. Herr Waller, der wieder von dem Ganzen nichts bemerkt hatte, setzte sich an den Flügel und fing an zu phantasiren.

Herr Florus, in schmerzlicher Verlegenheit, rückte die Brille bald rechts, bald links.

Aber um des Himmels willen, bester Justizrath, flüsterte er dem Alten zu, was bringen Sie auch für vertrackte Gespräche aufs Tapet, und was habe ich selbst nur gemacht, daß die Frau Commerzienräthin mich auf einmal vor aller Welt so hart anläßt? So was ist mir ja nicht passirt, seit ich sie kenne!

Der Justizrath schlug ein Gelächter auf, daß die Wände hallten. Seit Sie sie kennen! rief er, das ist der Punkt, Männchen, da liegt es! Ich, Sie haben es heute schon einmal gehört, kenne sie länger – und sie selbst weiß, daß ich sie kenne.

Damit ließ er den verdutzten Poeten stehen und eilte mit einer Behendigkeit, die man seinen Jahren nicht zugetraut hätte, in den andern Flügel des Schlosses, um jetzt endlich dem Engelchen seinen Besuch zu machen.


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