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Fünftes Kapitel.
Unterhandlungen

Einige Tage später traf der Justizrath denn auch wirklich ein. Derselbe war damals bereits ein hoher Sechziger, sein Kopf eisgrau, das Gesicht von tiefen Runzeln durchfurcht. Aber dieser Kopf selbst stand noch so fest im Nacken, die Augen in diesem Antlitz funkelten so keck, die ganze Gestalt, trotz ihrer ungewöhnlichen Größe und Hagerkeit, trat noch so straff, so sicher daher, daß man ihn kaum für einen Fünfziger hätte halten mögen. Er glich überhaupt mehr einem Soldaten als einem Rechtsgelehrten; nicht nur seine Haltung, sondern auch seine barsche Stimme und diese kurze polternde Art, mit der er seine Sätze hervorzustoßen pflegte, hatten etwas Militärisches. Seine Collegen in der Hauptstadt nannten ihn auch nicht anders als den alten Husaren – hinter seinem Rücken natürlich; denn dem alten Herrn dergleichen ins Gesicht zu sagen, hätte Niemand den Muth gehabt.

Doch war der Beiname wirklich nicht übel gewählt, nicht nur was sein Aeußeres betraf, sondern namentlich auch in Anbetracht seines übrigen Verhaltens. Im Gegensatz zu der Mehrzahl seiner Amtsgenossen war der Justizrath ein abgesagter Feind aller Förmlichkeiten und Weitläufigkeiten; er ging gern gerade auf die Sache los, die herkömmlichen Advocatenkniffe, behauptete er, seien längst verbraucht, und der sei jetzt der Schlaueste, der der Ehrlichste sei.

Ob das nun freilich wirklich und vollständig seine Meinung war, müssen wir dahingestellt sein lassen; Leute, die ihn seit Jahren kannten, wollten wissen, daß diese Geradheit und dies biedermännisch rauhe Wesen, in welchem der Justizrath sich gefiel, eben auch nur eine andere Art von Schlauheit sei.

Allein auch unter Denen, welche dieser Meinung anhingen, war doch Niemand, der die Güte seines Herzens und die Zuverlässigkeit und Tüchtigkeit seines Charakters in Zweifel gezogen hätte.

Auch im Hause des Commerzienraths befolgte er die gewohnte husarenmäßige Taktik. Angelica hatte sich nicht anders vorstellen können, als daß er sich natürlich zuerst mit ihr besprechen werde; wie viel hatte sie ihm nicht mitzutheilen! wie viel mehr noch von ihm zu erfragen! Ja auch einen ganzen Vorrath freundschaftlicher Vorwürfe und Anklagen hatte sie sich für ihn zurechtgelegt, die sie, trotz seines Augenblitzens und trotz seiner polternden Stimme, bei erster Gelegenheit an den Mann zu bringen gedachte.

Aber es kam vollkommen anders. Ein flüchtiges: Courage, mein Schatz! das er ihr unter den ersten geräuschvollen Begrüßungen zuraunte, war Alles, was sie am Abend seiner Ankunft in Betreff ihrer Angelegenheiten von ihm zu hören bekam. Auch am folgenden Morgen wartete sie vergeblich auf seinen Besuch. Der Justizrath wohnte, als Gast des Herrn Wolston, im Schlosse; es war eine unsäglich peinvolle Lage für das junge Mädchen, den Mann, auf den allein jetzt noch ihre ganze Hoffnung gerichtet war und der ihr Schicksal gleichsam in Händen trug, so nahe zu wissen, unter demselben Dach mit ihr, und dabei doch in derselben Ungewißheit verharren zu müssen, die nun schon seit Monaten mit entsetzlicher Schwere auf ihr lastete. Endlich, im Lauf des Vormittags, schickte sie zu ihm herüber, ihn um eine Unterredung zu ersuchen. Allein ihr Kammermädchen kam unverrichteter Sache wieder: der Herr Justizrath sei bei Herrn Wolston im Cabinet …

Die beiden Männer hatten anfangs von gleichgiltigen Dingen gesprochen; Herr Wolston, als hätte er keine Ahnung von der eigentlichen Absicht seines Gastes, war die Zuvorkommenheit und Aufmerksamkeit selbst. Aber plötzlich hatte der Justizrath den Gegenstand verändert.

Sind wir doch, sagte er, mit Ihrer Erlaubniß, Herr Commerzienrath, ein paar Narren, daß wir uns stellen, Einer gegen den Andern, als wüßten wir nicht, was wir von einander wollen, und verbringen die schöne Zeit mit unnützem Geschwätz. Nun ja doch, Sie sollen den Triumph haben, Sie sind der Schlaueste von uns Beiden und der Zurückhaltendste, es ist, wie Sie sich denken: ich komme wegen der kleinen Person da, wegen des Engelchen …

Auch jetzt noch begnügte der Commerzienrath sich, seinen Gast mit höflicher Verwunderung anzusehen.

Hören Sie denn nicht, zum Wetter? Wegen des Engelchen! wiederholte der Justizrath, indem er vor Ungeduld vom Sessel aufsprang.

Herr Wolston erhob sich ebenfalls. Ich bin ganz Ohr, sagte er mit verbindlichem Lächeln, wennschon ich nicht begreife …

Der Justizrath hatte mit langen, dröhnenden Schritten das Cabinet durchmessen; dann, dicht vor dem Commerzienrath stehen bleibend und ohne viel Umstände ihm seine Hand auf die Schulter legend:

Herr Wolston, sagte er, Sie sind ein gescheiter Mann, ich weiß das, ein verwünscht gescheiter Mann …

Herr Wolston verneigte sich ein wenig, anscheinend um sich für das Compliment zu bedanken. In der That jedoch benutzte er dies Manoeuvre nur, sich von der allzu vertraulichen Annäherung frei zu machen; er trat zwei Schritte zurück, dicht ans Fenster, und die Hände auf dem Rücken, sich leicht an das Gesims anlehnend, sah er dem Justizrath mit unerschütterlicher Ruhe fest in die funkelnden Augen hinein.

Sie sind ein gescheiter Mann, Herr Wolston, wiederholte der Justizrath, und ich, Dank den fünfzig Jahren, die ich im Dienst der Themis zugebracht, bin auch nicht gerade auf den Kopf gefallen; es schickt sich nicht für ein paar Männer, wie wir sind, Versteckens mit einander zu spielen und Einer dem Andern die Schwäche abzulauern. Ohne Umschweif also, ich bin hier, um mich mit Ihnen wegen Ihrer Tochter zu verständigen …

Herr Wolston zuckte leicht mit den Achseln. Wegen meiner Tochter? sagte er zweifelnd.

Also wegen Ihrer Stieftochter, erwiderte der Justizrath, wenn Sie das lieber hören: oder eigentlich auch nicht einmal ihretwegen, sondern blos wegen des dummen Dings da, des Testaments. Ist das wirklich Ihr Ernst, bester Mann, dies Testament aufrecht zu erhalten? Das Ding ist ja so dumm, so dumm …

Der Justizrath konnte sichtlich keinen Ausdruck finden, der ihm genügt hätte, die Verkehrtheit des Testaments zu bezeichnen.

Herr Wolston verneigte sich sehr artig. Einem Manne gegenüber, wie Sie, Herr Justizrath, sagte er, wäre es allerdings Vermessenheit von mir, wollte ich mich über das Verständige oder Unverständige in dem Testament meiner verstorbenen Frau in einen Disput einlassen. Auch muß ich gestehen, daß ich wirklich noch niemals über diese Seite des Gegenstandes nachgegrübelt habe; ein Testament, das Testament einer Frau, einer Mutter, schien mir in meinem unjuristischen Sinne etwas so Ehrwürdiges, so über jede Kritik Erhabenes, daß ich noch niemals darauf gekommen bin, es nach dem Maßstabe der Klugheit oder Thorheit zu prüfen – vorausgesetzt, fügte er hinzu, daß das Testament in juristischer Hinsicht giltig und zulässig ist, und darüber natürlicherweise muß ich denn Ihnen wiederum wenn nicht das alleinige, doch das erste Urtheil zugestehen. Ist das Testament ungiltig, ich meine, ist die Clausel, welche meine verstorbene Frau gestellt hat, gesetzlich unzulässig – fragen Sie, Herr Justizrath, die junge Dame, welche Sie meine Tochter zu nennen belieben, selbst, ob ich nicht der Erste gewesen bin, der ihr für diesen Fall zugeredet hat, das Testament aus dem Wege des Protestes anzugreifen. Wie ich zu merken anfange, ist Fräulein Angelica meinem Rathe gefolgt; und ich kann, indem ich das Weitere abwarte, ihr vorläufig nur noch Glück wünschen, daß ihre Sache in so vortreffliche Hände gekommen ist, wie diejenigen meines verehrten Freundes.

Proceß! rief der Justizrath, ei ja doch, Proceß! Wem sagen Sie das, Bester? einem Advocaten, der seit funfzig Jahren processirt? Nehmen Sie sich in Acht, Mann: diese Geschichte ist gerade so angethan, einen Proceß daraus zu drehen, einen Proceß, Mann, dessen Ende ich nicht erlebe, das weiß ich, aber Sie auch nicht! ja keiner von Allen, die jetzt eine Feder dazu ansetzen würden! Proceß! ei seht doch, Proceß! rief der Justizrath und stampfte eifrig in der Stube auf und nieder: das käme mir eben recht! für so etwas bin ich der Mann, es mir sagen zu lassen! Oho, mein Herr Commerzienrath, denken Sie nur ja nicht, daß unsere Sache schlecht steht, weil ich Ihnen zuerst die Hand so freundlich darreichte! Wir sind auch nicht müssig gewesen die Zeit über, keineswegs – nehmen Sie sich in Acht, mein Bester, einen Proceß zu provociren, den Sie jetzt noch vermeiden können! Wir haben unsere Zeugen, sag' ich Ihnen, Zeugen und Dokumente …

Der Commerzienrath hatte sich, wie des Gesprächs überdrüssig, halb von dem Justizrath abgewendet und trommelte leise, mit festen Fingern, an die Fensterscheibe; wie das Wort Zeugen und Dokumente sein Ohr berührte, hielt er plötzlich inne –

Ich glaube, sagte er, das Frühstück erwartet uns im Salon; Sie haben sich warm geredet, mein Theuerster …

Ich will mich warm reden, entgegnete der Justizrath mit wachsender Heftigkeit: und Sie sollen auch warm werden, das sollen Sie. Nichts da jetzt von Frühstück! und heraus, Mann, aus diesen Mauslöchern und Fuchsgängen, in denen Sie sich verbergen! Es ist kein junger Grünschnabel, der mit Ihnen spricht, kein armes Federfuchserchen, das einen famosen Proceß braucht, um sich selbst in Ruf zu bringen; Sie können mich also ruhig anhören und ruhig mit mir verhandeln, wie ein verständiger Mann, ohne daß Sie sich gleich beim ersten Wort bis an die Zähne verschanzen. Wäre es mir oder meiner Clientin um den Proceß zu thun, ich wäre doch wahrhaftig nicht in Person gekommen; ich hätte Ihnen meine Actenstückchen geschickt, Actenstückchen, bester Mann, ich bin Ihnen gut dafür, im ersten halben Jahr hätten sie Ihnen sollen bis an die Decke da oben reichen! Aber glauben Sie einem Manne, der leider alt und grau geworden ist bei diesem elenden Handwerk: das Processiren ist überhaupt ein miserables Ding; ich thue mir Schaden damit, ich weiß es, aber ein gewonnener Proceß macht mir selbst nicht halb die Freude als ein verständiger Vergleich. Sie müssen sich vergleichen mit dem jungen Mädchen. Sie sind ein reicher Mann – nein, machen Sie nicht solch zweifelhaftes Gesicht, ein alter Praktikus, wie ich, versteht das zu taxiren – ein sehr reicher, dem es auf ein paar Tausende mehr oder weniger nicht ankommt. Verzichten Sie freiwillig auf das Recht, das das Testament, giltig oder ungiltig, Ihnen beilegt; lassen Sie den kleinen Grasaffen heirathen, in acht Tagen oder in acht Jahren, wann und wen sie will – es ist überhaupt ein verkehrtes Geschlecht, die Weiber, und nun gar erst, wenn sie heirathen sollen, oder wollen; ich gratulire Jedem, der sich mit Heirathsgeschichten junger Mädchen nicht zu befassen braucht. Also frisch zu, wälzen Sie die Last von sich ab, da Sie es können! Erklären Sie Angelica Ihrer väterlichen Gewalt entlassen und setzen Sie ihr ein Vermögen aus, das sie selbständig macht und im Verhältniß steht zu der Meinung, die man von Ihrem Reichthum hegt, so wie zu den Ansprüchen, zu denen Angelica durch Erziehung und Gewohnheit berechtigt ist. Ich rathe Ihnen nicht als Advocat, wahrhaftig nicht, ich rathe Ihnen als Freund. Sie taugen überhaupt nicht zusammen, Sie und das junge Mädchen. Ja und wenn Sie sich noch zehn Mal von mir kehren, ich sehe Ihnen doch ins Herz hinein und sag' es Ihnen dennoch: es wird eine Wohlthat sein für Sie selbst, wenn Sie meinem Rathe folgen. Das junge Mädchen ist Ihnen zuwider, Sie hassen sie …

Hassen? wiederholte der Commerzienrath, indem er mehr verächtlich als mitleidig die Achseln zuckte: weshalb sollte ich sie hassen? Sie hat mir ja nichts gethan bis jetzt …

Der Justizrath stand hinter Herr Wolston in der Fensternische; Beide sahen vor sich herunter in den Garten. Gerade wie der Commerzienrath diese letzten Worte hinwarf, welche scheinbar so günstig für Angelica lauteten, in der That aber durch den unsäglich geringschätzigen Ton, mit dem sie ausgesprochen wurden, die ganze tiefe Abneigung enthüllten, welche der Commerzienrath gegen seine Stieftochter empfand – kam diese selbst, Julian am Arme führend, den Baumgang, gerade auf die Fenster des Commerzienraths zu, herabgeschritten. Die außerordentlich milde und heitere Witterung, welche auf die letzten Regentage gefolgt war, hatte den Kranken ins Freie gelockt: und Angelica, wiewohl von innerer Unruhe gemartert, hatte auch heute nicht gewagt, ihm die gewohnte Begleitung zu versagen. Sie trug das edle Antlitz frei, nur von dem schwarzen Schleier umsäumt, den sie um die Locken geknüpft hatte. Die Aufregung des Gemüths, vielleicht auch die Anstrengung, mit welcher sie Julian unterstützte, hatte ihre Wangen noch rosiger gefärbt als sonst; ihr Auge schwamm in feuchtem Glanz; die verhaltene Wehmuth, die sich in ihrem Antlitz spiegelte, verbunden mit diesem Ausdrucke von mütterlicher Sorgfalt, womit sie den kranken Bruder unterstützte, gab ihrer Schönheit etwas Unwiderstehliches.

Oder war es vielleicht auch der Gegensatz in der Erscheinung ihres Bruders, was ihre Schönheit gerade heute so strahlend hervorhob? Das bleiche müde Haupt vornüber gesenkt, die großen matten Augen halb beschattet von den lang herabhängenden dünnen Haaren, wurde er von Angelica mehr getragen als geführt, so dicht lehnte er an ihrer Schulter, so fest hielt er ihren Arm umklammert. Wie sie langsam dahergeschritten kamen, in leisem, traulichem Gespräch, so nahe bei einander und ach, dennoch schon durch solche tiefe, schauerliche Kluft getrennt, das frische blühende Leben Arm in Arm mit dem bleichen düstern Tod, zwischen diesen nackten Bäumen hindurch, auf diesem verwelkten, farblosen Rasen, unter dem bleichen Strahl dieser Sonne, die wohl leuchtete, aber nicht wärmte – es war ein Anblick, der jedes Herz aufs Tiefste erschüttern mußte!

Auch der Blick der beiden Männer blieb unwillkürlich daran haften; zugleich, wie auf Verabredung, verstummte ihr Gespräch. Nicht einmal das Auge zu dem Justizrath in die Höhe zu schlagen, wagte Herr Wolston. Dennoch fühlte er, wie der Blick desselben sich langsam, schmerzlich auf ihn wendete.

Mein Sohn, sagte er endlich mit gepreßter Stimme und noch immer ohne in die Höhe zu sehen, indem er mit der Hand nach der Richtung deutete, in welcher das Paar so eben verschwunden war.

Es lag in dem Ausdruck, mit dem Herr Wolston dies sagte, so viel Verlegenheit und zugleich so viel schmerzliche, bebende Angst, daß der Justizrath seine Heftigkeit (nämlich wenn er bisher wirklich heftig gewesen war) entwaffnet fühlte. Er drückte dem Commerzienrath die Hand mit mehr Wärme, als man nach seiner sonstigen barschen Art, so wie bei der mislichen Verhandlung, welche zwischen den beiden Männern schwebte, hätte erwarten sollen.

Ah, sagte er nach einer Pause, jetzt begreife ich es, warum Sie die Angelica hassen: sie hat Ihnen genug gethan, bei Gott! Ein so blühendes Stiefkind, wenn der eigene Sohn –

Wie von einem Blitzstrahl gerührt, fuhr Herr Wolston aus seiner schmerzlichen Versunkenheit in die Höhe; noch Niemand hatte so tief auf den Grund seiner Seele geblickt, Niemand das qualvollste Geheimniß seines Herzens so ruhig, mit so kurzen, nüchternen Worten ausgesprochen. Er starrte den Justizrath lange und forschend an, seine Hand erhob sich, als wollte er den Händedruck des Andern erwidern, seine Lippe zuckte …

Der Justizrath, der diese Bewegung entweder wirklich misverstand, oder vielleicht auch nur seine Gründe hatte, sich so zu stellen, als ob er sie misverstände, fiel ihm ins Wort.

Machen Sie sich übrigens, sagte er, um den jungen Menschen keine Angst. Wie ich in seinem Alter war und noch ein paar Jahre später, habe ich gerade eben so ausgesehen, und nun schauen Sie einmal her (indem er sich straff hinstellte und mit dem noch immer muskulösen Arm durch die Luft focht, daß es sauste), was für ein alter grauer Sünder ich noch geworden bin. Sie müssen den Jungen an die See bringen, die Gebirgsluft taugt nicht für ihn; ich habe dies Alles, wie gesagt, eben so durchgemacht in meiner Jugend.

Man konnte Herrn Wolston sehr böse sein, und hätte sich doch nicht des Mitleids erwehren können bei diesem Gemisch von Furcht und Hoffnung, Leichtgläubigkeit und Zweifel, mit dem er an der Lippe des Justizraths hing.

Ich danke Ihnen, Herr Justizrath, sagte er nach einer längern Pause, ich danke Ihnen ernstlich; o wer die Angst wüßte, die ich um meinen Sohn ausstehe! Und Sie meinen wirklich, daß die Seeluft ihm zuträglich sein würde?

Einer so aufrichtigen Besorgniß gegenüber konnte der Justizrath es nicht über sich gewinnen, mit den herkömmlichen, nichtssagenden Redensarten zu antworten; er that daher, als habe er die letzte Frage überhört und sagte:

Aber der Vergleich, mein Theuerster, lassen Sie uns auf den Vergleich zurückkommen …

In dem Gesicht des Herrn Wolston ging eine abstoßende Umwandlung vor sich; seine Augen, so eben noch von tiefem, aufrichtigem Schmerz umschleiert, funkelten wiederum von dem alten, kalten, verächtlichen Haß – er fuhr mit der Hand über die Stirn:

Sie nennen einen Vergleich, sagte er, was doch in der That für mich nicht schlimmer kommen könnte, wenn ich den Proceß, mit dem Ihre Güte mich verschonen will, wirklich bereits verloren hätte. Aber auch noch in anderer Beziehung kommt, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten wollen, Ihr Vorschlag ein wenig zu früh; ich darf ihn noch gar nicht annehmen, selbst wenn ich wollte, und zwar nicht um meinetwillen, sondern in dem eignen Interesse Ihrer Clientin. Wir haben ja doch noch erst abzuwarten, ob sie die Bedingung des mütterlichen Testaments nicht erfüllt; es ist ja doch immerhin möglich, daß noch bis zum Weihnachtsabend Bewerber um ihre Hand auftreten, denen ich, als verständiger Mann und ohne die geringste persönliche Leidenschaft für oder gegen die junge Dame, wie ich bin, die Hand derselben nicht verweigern könnte, noch würde. Durch einen Vergleich, und wenn er für den Augenblick noch so vortheilhaft für sie wäre, würde meine Stieftochter natürlich jedem Anspruch auf die Zukunft entsagen – und nicht wahr? wenn mein Julian (hier bebte die Stimme des sonst so festen, so gelassenen Mannes, wiewohl es schwer zu entscheiden gewesen wäre, ob vor Schmerz oder vor Groll) – wenn mein Julian etwa vor mir stürbe, so hätte Fräulein Angelica ja doch wohl den meisten, ja nach dem Tode meiner Gemahlin den einzigen Anspruch auf mein Erbe, nicht wahr? Und das soll sie nicht! das soll sie nicht!! rief er in einem plötzlichen Ausbruch wilder Wuth, indem er die Arme wie abwehrend ausbreitete und ein entsetzlicher Fluch sich zwischen seinen bebenden Lippen hervorrang …

Der Justizrath blickte ihn voll Ueberraschung an. Was soll sie nicht? fragte er.

Herr Wolston hatte sich sogleich wieder gefaßt. Ich meine, sagte er, daß Fräulein Angelica nicht auf ein Recht verzichten soll, das ihr möglicherweise zusteht; die Geschichte mit diesem Testament ist mir selbst verdrießlich genug, Sie können es mir glauben, und so sehr ich auch übrigens das Geschwätz der Menschen verachte, so will ich doch nicht, daß auch nur der geringste Verdacht auf mir hafte, als ob ich einen persönlichen Vortheil davon hätte oder suchte. Nehmen Sie denn meinen Dank für Ihre freundschaftliche Bemühung, mein Theuerster! aber lassen Sie den Dingen den Lauf, den sie nun einmal nehmen; Sie werden ja, wie ich hoffe, das Weihnachtsfest noch mit uns verleben, und werden wir ja also im Stande sein, uns jeden Augenblick, wo es Noth thun sollte, Ihren Rath und Ihre Vermittelung zu erbitten.

Der Justizrath war in Nachdenken versunken. Endlich hub er an:

Und die junge Dame, meinen Sie, hat also wirklich Bewerber?

Sie fragen mich zu viel, mein Verehrungswürdiger, erwiderte der Commerzienrath mit seinem kühlsten Lächeln. Meine Frau liebt die Geselligkeit, ich selbst, ohne Eitelkeit zu vermelden, bin nicht eifersüchtig; so finden sich denn wohl von Zeit zu Zeit einige Freunde, die den Damen über die Langeweile dieses Aufenthalts hinweghelfen. Allein ob darunter Jemand ist, mit dem Fräulein Angelica in zarter Verbindung steht – oder auch umgekehrt, wenn Sie wollen, setzte er mit rohem Gelächter hinzu – darüber kann ich Ihnen beim besten Willen keine Auskunft geben; ich habe, Gott Lob! noch immer Besseres zu thun gehabt, als auf dergleichen Dinge zu achten.

Jetzt brach der Justizrath mit einem Fluch heraus, der nicht minder kräftig war als vorhin der Fluch des Commerzienraths.

Aber Sie sollen darauf achten, rief er, es ist Ihre teufelsmäßige Schuldigkeit, daß Sie darauf achten! Das Kind ist in Ihrem Hause, Mann, in Ihrer väterlichen Gewalt, durch das Testament der verstorbenen Madame Wolston der Entscheidung Ihres Willens unterworfen, wie nur je ein Kind seinem leiblichen Vater unterworfen gewesen ist, und Sie wollen nicht darauf achten? Fünf Tage vor dem Termin, wo das Testament zur Anwendung kommt, und nicht darauf achten, was?! Aber es ist auch gar nicht so, wie Sie sagen, setzte er etwas beruhigter hinzu, es ist ja gar nicht möglich, daß ein Mann mit offenen Augen und von der Menschenkenntniß wie Sie, nicht wissen sollte, was sich, wie ich auf der Herreise erfahren habe, die ganze Nachbarschaft erzählt, und was zum Theil sogar bis zu uns in die Hauptstadt gedrungen ist …

Und was ist bis zu Ihnen in die Hauptstadt gedrungen, mein Theuerster? fragte der Commerzienrath, indem er einen leichten Anflug von Gähnen unterdrückte.

Aber gerade diese so zur Schau getragene Gleichgiltigkeit war für den Justizrath, dem bei aller scheinbaren Heftigkeit in der That nicht die leiseste Bewegung seines Gegners entging, Veranlassung genug, die eingeschlagene Spur noch weiter zu verfolgen.

Nun, sagte er in etwas brüskem Tone, daß Sie selbst in Ihrem Hause mehr als einen Bewerber um die Hand Ihrer Stieftochter heranziehen, Sie und Ihre Frau Gemahlin –

Ich? Bewerber? In meinem Hause? lachte der Commerzienrath, und diesmal wirklich aus voller Seele.

Ich dächte doch, ich spräche deutlich genug, polterte der Alte: Bewerber, sage ich, um die Hand Ihrer Stieftochter; soll ich sie Ihnen einzeln aufzählen? Da ist erstlich Ihr Prediger, der Herr Waller, der schon als Candidat den Frauenzimmern in der Residenz den Kopf zu verdrehen anfing – und dann zweitens ein junger Künstler, ein Herr Schmidt, dächte ich, sagte man mir, ein Maler, oder so dergleichen … Und der Dritte vermuthlich, schaltete Herr Wolston mit Lachen ein, ist der dicke Poet, der Herr Florus, nicht wahr? So kann ich mir jetzt auf einmal erklären, warum der mit seinem Roman niemals fertig wird. Aber in Ernst zu sprechen, mein theuerster Justizrath, so müssen Sie doch gestehen, daß ich der galanteste Stiefvater bin, den es jemals gegeben hat, da ich Fräulein Angelica selbst eine solche Auswahl von Bewerbern zuführe; nehmen Sie sich nur in Acht, daß Sie nicht am Ende selbst noch als Vierter auf die Liste kommen, Ihre Reise in dieser Jahreszeit ist höchst verdächtig, höchst verdächtig, mein Vortrefflichster, und ich fange jetzt selbst an …

Sie sagen in Ernst, brummte der Justizrath, und treiben doch Ihre Possen mit mir. Lassen Sie denn einmal mich in Ernst sprechen! Wenn nun der Herr Waller oder der fremde Maler, der Herr Schmidt, oder meinetwegen – denn gerechter Gott, die Liebe ist blind, und ich bin's ja nicht, der ihn heirathen soll – der Herr Florus käme und um die Hand Ihrer Tochter anhielte, würden Sie in einem dieser Herren einen zulässigen Bewerber erkennen?

Sie sprechen von Dingen, entgegnete Herr Wolston, die nach meiner Kenntniß der Verhältnisse unmöglich und undenkbar sind; entschuldigen Sie also, wenn ich Sie ohne Antwort lasse auf eine Frage, deren Zulässigkeit ich überhaupt nicht anerkennen kann.

Aber warum nicht anerkennen, rief der Justizrath, da es doch, potz Stern und Wetter, alle Drei zum mindesten Mannspersonen sind?! Heraus aus dem Mauseloch, sage ich noch ein Mal, und geben Sie auf meine runde Frage eine runde Antwort: würden Sie einem der drei Herren die Hand Ihrer Stieftochter geben, oder wissen Sie selbst Jemand zu bezeichnen, der Ihnen als Schwiegersohn genehm wäre?

Der Commerzienrath war auf einmal wieder völlig ernsthaft geworden. Sie haben da vorhin, sagte er, den Maler Schmidt genannt. Besinne ich mich recht, so hat sich allerdings ein Maler dieses Namens einige Zeit lang hier aufgehalten, und auch im Salon meiner Frau, wenn ich nicht irre, hat er Zutritt gehabt; kennen Sie den jungen Mann vielleicht näher?

Wie soll ich dazu kommen, Ihre Gäste zu kennen, Mann? rief der Justizrath. Ich habe mich mit dem Künstlervolk nie viel befaßt, und Schmidt, wie Sie selbst wissen, ist ja auch gar kein Name mehr …

Der Justizrath sagte dies mit einem solchen Ausdrucke von Treuherzigkeit, und auch den prüfenden Blick, den Herr Wolston während dessen auf ihn richtete, ertrug er mit so viel Unbefangenheit, daß derselbe nicht umhin konnte, ihm Glauben zu schenken.

Nehmen wir, sagte er, indem er sich mit höflicher Entschuldigung erhob, das Gespräch ein andermal wieder auf. Die Frühstückszeit haben wir verplaudert, und jetzt wird meine Frau uns bald zur Mittagstafel laden lassen; ich muß zuvor noch einen Augenblick hinübersehen nach der neuen Fabrik, sie soll Julianshütte heißen, setzte er wohlgefällig hinzu, nach meinem Sohne Julian; wir werden sie am Weihnachtsabend einweihen, und ich freue mich im voraus, Sie, mein werthester Herr Justizrath, dabei als Ehrengast zu begrüßen. Wenn Sie inzwischen mit Ihrer Clientin über die bewußte Angelegenheit sprechen, so können Sie – Sie sehen, mein Theurer, wie bereitwillig ich mich Ihren Rathschlägen und Wünschen füge – ihr immerhin die Möglichkeit – Sie wollen meine Worte beachten: die Möglichkeit, sage ich, nicht mehr – eines Vergleichs, oder wie Sie es sonst nennen wollen, in Aussicht stellen. Aber auch dies freilich nur auf einige Bedingungen hin, von denen ich selbst beinahe zweifle, ob sie dem Fräulein genehm sein werden: nämlich erstlich, wenn sie das Testament ihrer Mutter ausdrücklich, durch schriftliche Erklärung, als giltig und verbindlich, den sogenannten Vergleich aber als Dasjenige anerkennt, was er in Wahrheit ist, einen Act meiner väterlichen Güte, ja fast darf ich sagen meines Mitleids; wenn sie ferner allen weitern künftigen Ansprüchen, sowohl für sich selbst, wie für ihre etwanige künftige Descendenz, ohne alle Ausnahme, in rechtsgültiger Form entsagt – und wenn sie sich endlich verpflichtet, so wenig mein Haus, wie überhaupt diese ganze Gegend, jemals wieder zu betreten, und auch namentlich jeden Verkehr mit meinem Sohne, ihrem Bruder, abzubrechen. Auf diese Bedingungen wäre es möglich (möglich, ich wiederhole es), daß ich von der stricten Erfüllung des Testaments absähe und das kleine Capital, das ihr aus dem mütterlichen Nachlasse etwa noch zufällt und das, genau genommen, auch jetzt schon ein bloßes Geschenk meines Mitleids ist, sogar verdoppelte.

Der Justizrath, der den Vorschlägen des Herrn Wolston mit großer Aufmerksamkeit gelauscht hatte, sah ihn ingrimmig an.

Ich muß Ihnen noch einmal Ihre eigenen Worte zurückgeben, versetzte er sodann: auch der Vergleich, den Sie proponiren, ist von der Art, daß meine Clientin nicht schlimmer wegkommen könnte, selbst wenn sie den Proceß durch alle Instanzen verloren hätte …

Charmant denn, erwiderte Herr Wolston mit dem behaglichsten Lächeln, indem er die Hand des Justizraths vertraulich zwischen den seinen klopfte: charmant denn, mein Theurer, so processiren wir …


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