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XI.
Die Verfehmten.


Ueber das Vorgehen des Bundestags und der preußischen Regierung wider die jungdeutschen Schriftsteller gingen in jener traurigen Zeit geistiger Bedrückung die Urtheile weit aus einander und die Mehrzahl zeigte sich von dem Feuerjoh! Menzels irregeführt. Heute aber ist die Meinung der Gebildeten darüber im Allgemeinen eine im gleichen Maße verurtheilende. Nur dem Gerechtigkeitseifer des Historikers Heinrich von Treitschke war es vorbehalten, noch im Jahre 1890 die Parole auszugeben, daß die Zensur und die Bücherpolizei dem »Jungen Deutschland« gegenüber zu lässig verfahren sei. »Da und dort,« ruft er in seiner ›Deutschen Geschichte‹, »schritt man ein wider einzelne Bücher der Jungdeutschen; in Preußen wurde sogar der gesammte Verlag der Hamburger Firma Hofmann ( sic) und Campe verboten. Aber die Ausführung der Verbote geschah überall sehr saumselig und unterblieb endlich ganz … Von einer ernsten Verfolgung war keine Rede; die jungdeutschen Literaten kamen ungleich glimpflicher davon als die Herausgeber der unterdrückten politischen Zeitungen … Nur Gutzkow mußte etwas schwerer büßen, er wurde von dem Mannheimer Hofgerichte zu kurzer Haft verurtheilt, weil seine Wally unbestreitbar eine verächtliche Darstellung der christlichen Religion enthielt.«

Wirklich? Ein volles Vierteljahr hat Gutzkow im Mannheimer Stadtgefängniß zubringen müssen, nachdem er in dasselbe ohne vorhergegangene Verurtheilung unvorbereitet aus dem ersten Untersuchungsverhör abgeführt worden war. Nach zweimonatlicher Untersuchungshaft fand dann das Karlsruher Hofgericht, trotz der Staatsanwaltschaft, die auf ein Jahr Zuchthaus erkannt wissen wollte, daß der Gefangene der ihm nachgesagten Verbrechen der Blasphemie und unsittlichen Aufreizung nicht geziehen werden könne und überhaupt nur einen Monat Gefängniß verwirkt habe. Dieser Monat ward ihm aber nicht von der Untersuchungshaft abgezogen, sondern derselben zugefügt. Und solch Verfahren nennt von Treitschke glimpflich – zwölf Wochen Kerker eine kurze Haft! Ich denke, es war ein gut Stück besten Jugendlebens … Und war denn Gutzkow wirklich der einzige? Hat Heinrich Laube nach der beinahe einjährigen überstrengen Untersuchungshaft vom Sommer 1834 zum Sommer 1835 in der Berliner Haus- und Stadtvogtei, in die ihn die Anklage auf literarische Staatsverbrechen gebracht hatte, nach der darauffolgenden Konfinirung in einer unliterarischen Kleinstadt wie Naumburg nicht noch ein volles Jahr weiterer Haft erlitten, weil er vier Jahre vorher in seiner Darstellung der polnischen Revolution – anderes nach den Gesetzen Strafbares ließ sich trotz aller Mühen nicht nachweisen – den Kaiser von Rußland, Preußens Verbündeten, beleidigt habe? Und hat nicht Wienbarg, nachdem ihn der Frankfurter Senat ausgewiesen, etappenweise dies gleiche Schicksal in Mainz, Kassel, Braunschweig ertragen müssen, ehe er in seiner Vaterstadt Altona wohl ein Asyl, aber keine Stellung fand, die ihm dann Hamburg nur als Namenlosen, als ungenannten Redakteur an der »Börsenhalle« gewährte?

Was aber waren überhaupt diese Strafen gegen die Seelenqualen, die allen vier Autoren das gleich dem Schwert des Damokles über sie verhängte Verfolgungsgeheiß bereitete? Auf der Höhe seiner Laufbahn brach Gutzkow, der es mit seinen Idealen allezeit am ernstesten genommen, unter dem Ausbruch grauenvollen Verfolgungswahns zusammen, dessen Keime damals geweckt wurden. Vorher aber war es ihm vergönnt gewesen, die ganze Bedeutung seines ihm so sehr erschwerten Jugendstrebens und der Kämpfe, aus denen trotz alledem sein starker Geist als Sieger hervorging, auszuleben und darzustellen in bedeutenden Dichterwerken, deren eins, sein »Uriel Acosta«, Kern und Wesen dieser Verfolgungszeit in sich aufgenommen. In diesem Lebensdrama ist das tragische Martyrium zu erschütternder Gestaltung gebracht, von dem damals alle die verfolgten, zur Demüthigung vor der Staatsgewalt genöthigten, von Reue über dieselbe gefolterten Sturm- und Dranggeister betroffen worden sind. Welche Einbuße an innerlicher Kraft, an Selbstvertrauen und Lebensfreude, an idealem Glauben und Zukunftszuversicht haben sie damit in der bedeutsamen Zeit, die den Jüngling zum Mann reift, erlitten! Waren sie doch sämmtlich tief erregte, reizbare Jünglingsnaturen, denen das Ueberschäumen von Geist und Gefühl ein natürliches Recht ist. Waren sie doch von der Ueberzeugung erfüllt, daß ihr Schriftstellerthum ihr innerster und ein heiliger hoher Beruf sei! Hatten sie nicht alle eine poetisch veranlagte Phantasie, die ihnen die Folgen des bundestägigen Vorgehens nach jeder Möglichkeit quälerisch ausmalte? Dazu waren Gutzkow und Laube im Begriff, auf ihre literarische Stellung hin sich einen eigenen Herd zu gründen; Wienbarg und Mundt aber wurden aus der akademischen Laufbahn geworfen, auf die beide von ihrer Begabung als das ihr zusagendste Feld gewiesen waren. Was aber Heine betrifft, der, als er den Ernst der Verfolgung merkte, von der Verantwortung für die erst so stolz beanspruchte Führerschaft sehr bald nichts mehr wissen wollte, so läßt sich aus seinen Briefen vom Jahre 1836 genau nachweisen, daß erst die Folgen des Bundestagsbeschlusses, die ihm dadurch bereitete Nothlage, die Drangsalirung seines Geistes und Talentes jene Erbitterung gegen Deutschland und Hinneigung zu Frankreich zur Entfaltung brachten, die seinen Gegnern in Deutschland die Verkleinerung seines Charakters so bequem gemacht haben. Und wenn er statt in seinen geistvollen Darstellungen und Prophetien der modernen Geistes- und Kulturentwickelung fortzufahren, jetzt wieder ins Gebiet pikanter Unterhaltung zynischer Satire abschweifte, die Florentinischen Nächte und das frechgeniale »Tannhäuserlied« schrieb, so war das Inquisitionsverfahren der deutschen Regierungen daran ebenso Schuld, wie an der Entmuthigung Laube's, Wienbargs und Mundts, noch fernerhin auf dem Gebiete einer idealen Sozialreform und der realistischen Schilderung des zeitgenössischen Lebens mit fortschrittlicher Tendenz sich dichterische Wirkungen zu ertrotzen, von der sich nur Laube und Mundt in späterer Zeit erholten.

Aber »von einer ernsten Verfolgung war keine Rede«, sagt Herr von Treitschke. Noch im Jahre 1838 – dies sei gleich hier konstatirt – schrieb Minister von Nagler an Kelchner aus Berlin in Bezug auf Gutzkows Beitrag zum rheinischen Kirchenstreit, die Schrift »Die rothe Mütze und die Kapuze«: »Sie ist allerdings wie alles Jungdeutsche verboten.« Und Cotta mußte nicht nur den bereits im November 1835 angenommenen Roman »Seraphine«, der erst 1837 bei Campe in Hamburg erscheinen konnte, in Folge des Bundesbeschlusses zurückweisen, sondern noch Anfang 1837 unter Ausdruck seines großen Leidwesens einen Beitrag Gutzkows für die »Allgemeine Zeitung« zurücksenden, »weil der Zensor der Allg. Ztg. Alles streichen wird, was Ihre Feder verräth oder Ihre Unterschrift trägt.« Wenn Campe von 1837 an doch eine Reihe von Gutzkows Schriften druckte, so trotzte er eben damit dem Verbot seines Verlags im Bundesgebiet, im Genusse der größeren Freiheit, die ihm jetzt der Senat der Freien Stadt Hamburg wieder gewährte. Der Kurator der Universität Bonn, von Rehfues, dessen sympathische Aufmerksamkeit Gutzkow durch jene sehr verständnißreiche Besprechung seines anonym erschienenen Romans »Scipio Cicala« im Cotta'schen Literaturblatt schon 1833 erregt hatte und der sich jetzt in der Zeit der Bedrängniß nach Möglichkeit seiner annahm, hat in seinen Briefen an ihn wiederholt mit Bedauern hervorgehoben, daß vor Ablauf von fünf Jahren an keine Rehabilitation Gutzkows in Preußen zu denken sei. Die beim Thronwechsel im Juli 1840 erfolgende Amnestie hat diesen Termin nur um ein halbes Jahr verkürzt. Offiziell aufgehoben wurde der Bundesbeschluß erst 1842, und wenn auch fast alle Regierungen schon früher von seiner Durchführung absahen, er blieb lange Zeit ein Kautschukgesetz, das man nach Belieben anwenden oder ignoriren konnte, mit dessen Existenz aber die Verleger den Autoren gegenüber immer rechnen mußten. Welche Lage für Männer, welche von der Natur zu Schriftstellern bestimmt und in ihrer bürgerlichen Existenz auf den Ertrag ihrer Feder angewiesen waren. Und wer hat das Recht, sie zu schmähen, weil sie unter diesen Umständen sich auf ein literarisches Wirken beschränkten, das dem Konflikt mit der für sie errichteten Sonderzensur vorsichtig aus dem Wege ging, wie dies Mundt mit seiner »Kunst der Prosa«, Laube mit seiner »Literaturgeschichte« &c. that? Nur wer selber Proben größeren Geistesmuths abgelegt, hat ein Recht dazu, hier »mit Steinen zu werfen«.

Nur Gutzkow blieb in seiner geistigen Energie, in dem Drange seines Genius nach Darstellung seiner persönlichen Ideen und Empfindungen, seines Verhältnisses zu den großen Fragen des Fortschritts ungebrochen genug, um gerade unter dem Hochdruck der Verfolgung, ja noch im Gefängniß, die Kraft zu Geisteswerken zu finden, deren Inhalt da anknüpfte, wo das Frankfurter Edikt seine idealen Bestrebungen gewaltsam durchschnitten hatte. In den beiden Schriften » Zur Philosophie der Geschichte« und » Goethe im Wendepunkt zweier Jahrhunderte« bot er nicht nur zwei Proben rein philosophischer und rein literarischer Kritik und Beweise, in wie festem Boden reicher Geschichts- und Literaturkenntniß seine eigenen religionsphilosophischen Anschauungen und literaturreformatorischen Pläne wurzelten, sondern auch klare, übersichtliche, festumrissene Darstellungen dieser letzteren und ihres Zusammenhanges mit den besten Lehren der Philosophie eines Kant und der Poesie eines Goethe. Sein ernstes Suchen nach Wahrheit in Erfassung des großen Gedankens, daß weder die Natur noch die Geschichte Stillstand kennt, sondern ihr eigentliches Wesen in fortschreitender Entwickelung besteht, stellte er in beiden Arbeiten dem Zerrbild entgegen, das Menzel von ihm entworfen. Und ebenfalls noch im Gefängniß vollendete er in der » Seraphine« den ersten Roman, der von ihm erlebte Zustände modernsten Lebens in rein poetischer Form, ohne romantische Ironie, ohne versteckte Tendenz und ohne didaktische Einschiebsel zur Darstellung brachte. War dieser Roman als ein Erzeugniß von Seelenstimmungen, welche die Tyrannei des Zweifels über ein junges, liebebedürftiges und hoffnungsreiches Gemüth gebracht, und als Spiegelbild der unerquicklichen Berliner Gesellschaftszustände, denen er einst entflohen war, kaum weniger herb und düster als »Wally«, war die Abhandlung »Zur Philosophie der Geschichte«, die später den Titel »Philosophie der That und des Ereignisses« erhielt, in ihren Resultaten nicht klar genug, um die Fülle selbständiger bahnbrechender Ideen, deren Andeutung sie enthielt, auch zu voller Wirkung gelangen zu lassen, so muß das heiße Ringen nach Wahrheit, das eisenfeste Streben, die Vorgänge seines Geistes und Gemüthes in möglichst klarer Sprache abzuschildern, das beiden Werken zu Grunde liegt, die tiefste Achtung einflößen. Rein erfreulich, bedeutend nach Plan und Ausführung, unendlich fruchtbar in seinen Resultaten und die Offenbarung eines wunderbar feinfühligen Tastsinns für das Wesentliche in Goethe's Genie und Erscheinung, war aber das dritte Buch, das Gutzkow in der Gefangenschaft in Angriff genommen: »Goethe im Wendepunkt zweier Jahrhunderte«. Hier ist Gedankengold gefördert, das später hundertfach von Anderen ausgemünzt worden ist. Dieses Buch ließ die Bedeutung des immer noch blutjungen Geistes nicht mehr nur ahnen, sondern offenbarte sie klar und bestimmt. Denkt man sich dazu den Druck einer in ihrer Ausdehnung noch unbestimmten, mit einer Fortsetzung im Zuchthaus bedrohten Gefängnißhaft, die Aufregung eines Prozesses, dessen Anklage alle Freiheit des Denkens und Bekennens in Frage stellte, so muß man die Zähigkeit und unüberwindliche Fruchtbarkeit dieses jungen Geistes staunend bewundern, der – noch immer nicht fünfundzwanzigjährig – mitten im heißen Kampf um die Selbsterhaltung zu solcher Selbstbeherrschung, Selbsterkenntniß und Selbstklärung reifte. Von der Unruhe seines Seelenzustandes, die ihn ergriff, als er im Gefängniß den Bundesbeschluß vernahm, der seine ganze Zukunft in Frage stellte, und die ihn, wie wir zeigen werden, zu mancher Uebereilung trieb, suchte er sich in diesen tiefgreifenden Arbeiten objektiven Denkens zu befreien. Und wenn er in der Vorrede zur »Philosophie der Geschichte« die Unruhe seiner Schreibart noch zu beklagen hatte und eingestand, er werde noch lange kämpfen müssen, ehe er der dem Schönheitsgefühle so sanft sich einschmeichelnden Rundung des Stils Meister sein würde, welche das Lesen seiner Bücher zu einer Erholung machen könnte, so hat er sich bereits in seinem »Goethe« in dieser Meisterschaft vielfach bewährt.

Aber nicht nur aus diesem Grunde haben wir das Schicksal Gutzkows in diesem Kapitel in den Vordergrund zu stellen. Der Prozeß, den ihm die badischen Gerichte wegen der »Wally« bereiteten, stellt sich dar als der Mittelpunkt der hochgradigen Aufregung, in welche das gesammte literarische und geistige Leben Deutschlands eine Weile wegen der wahren und vermeintlichen Tendenzen des »jungen Deutschlands« versetzt wurde. Beinah zwei Dutzend Streitschriften sind von dieser Erregung ins Leben gerufen worden, und in den meisten ist für oder wider Gutzkow und sein Buch Partei ergriffen worden unter Bezugnahme aus den Wally-Prozeß. Trotzdem in Preußen die bloße Nennung des Namens Gutzkow den Blättern verboten war und die Mehrzahl dieser Streitschriften sofort nach Erscheinen unterdrückt wurde, war doch das Echo, welches dieser Kampf für oder gegen das Recht der freien Kritik in Deutschland fand, ein allgemeiner. Der Einsichtige, welcher die »Wally« wirklich gelesen – wie viele kamen davon auf die Tausende, die sich jetzt vor derselben bekreuzten! – konnte sich dem Eindrucke kaum entziehen, daß einige Stellen in dem Buch in der Besprechung theologischer Fragen allerdings übertrieben und taktlos, daß aber eine Verfolgung solcher Schriften als Verbrechen gar leicht die ganze Freiheit wissenschaftlicher Forschung in Frage stellen müsse. Was Grillparzer im Capua der Geister damals in sein Tagebuch schrieb, ist von anderen nicht minder bedeutenden Männern öffentlich zur Geltung gebracht worden. Grillparzer, der seinem ganzen durchaus künstlerischen, aber auch weltscheuen Wesen nach eine innere Abneigung gegen die überhastete, unausgereifte Art des Vortrags von noch gährenden Ideen haben mußte, erklärte diese junge Literatur zwar für einen »Unsinn«, aber einen, der sich als natürliche Reaktion aus »die faselnd-mittelalterliche, selbsttäuschend-religiöse, gestaltlos-nebelnde, Tieckisch und Menzelisch-unfähige Periode« darstelle. Ganz abgesehen von dem Verwerflichen jedes solchen Bücherverbots, sei das Verfahren gegen die »junge Literatur« auch darum in literarisch-menschlicher Hinsicht ein Fehler und ein Schaden. Ein neues Schlechte sei schon deshalb immer besser als das alte Schlechte, weil wenigstens die Verjährungszeit des letzteren durch den Einspruch unterbrochen werde. Ließen die Menschen nur erst die Natur in ihren Gegensätzen ungestört auswirken, die Uebel fänden bald ihre Heilung in sich selbst. Es ist sehr wahrscheinlich, daß das Absprechende in diesem Urtheil sich nur auf Berichte über die Werke des jungen Deutschlands, wie die Menzels, und nicht auf eigene Lektüre derselben stützte. Wie hätten diese auch am Regierungssitz des Fürsten Metternich in die Hände eines so vorsichtig zurückhaltenden Beamten wie Grillparzer gelangen können! So wirft er ihnen Irreligiosität vor, während doch ein Blick wie der seine sofort hätte erkennen müssen, wie die Freigeistereien Mundts, Wienbargs und Gutzkows gerade einem tiefen religiösen Bedürfniß nach Erkenntniß der Wahrheit Gottes entsprungen sind. Andererseits rühmt er der Bewegung einen großen Vorzug nach: sie sei gerade und ehrlich, wo doch die ganze Religion der Zeit Selbsttäuschung und Heuchelei sei; »sie sagt, was sie denkt, indeß man in Deutschland häufig nichts denkt bei dem, was man sagt.«

Gerade in Bezug auf die auch vom Untersuchungsrichter und Staatsanwalt aufrecht erhaltene Anklage Menzels, daß die »Wally« zur Irreligiosität verführe, kam dem Angeklagten Hülfe von der sachverständigsten Seite. Der streitbare Patriarch der jetzt von Strauß und F. Ch. Baur bereits überholten Rationalistenschule, Kirchenrath Paulus in Heidelberg, der edle Verwalter des Herder'schen Erbes in Weimar, Oberkonsistorialrath Peucer, und etwas später der junge Kirchenhistoriker Karl Hase in Jena, der 13 Jahre zuvor gleichzeitig mit G. Kolb wegen seiner Theilnahme an der Burschenschaft auf dem Hohen Asperg hatte sitzen müssen, führten in der Oeffentlichkeit – letzterer nicht ohne Reserve – seine Vertheidigung. Gingen doch Cäsars Geständnisse in ihrem polemischen Inhalt kaum über Lessings verzweifelten Klageruf hinaus: was er mit einer Offenbarung machen solle, die achtzehn Jahrhunderte lang mißverstanden sei; richtete sich doch die Polemik gegen das »aus traditionellen, historischen und biblischen Ursachen unerhört überladene Kirchenthum«, während der Verfasser das Christenthum seinem echten Wesen nach »als unsichtbare Wahrheit, als Idee der stillwirkenden und schaffenden Gottheit« verehrte. War nicht andererseits die »barocke« Form der übertriebenen Ausfälle durch Cäsars Charakter erklärt? Ueberhaupt ist es eine erfreuliche Thatsache, daß gerade die bedeutenderen, früher oder später zu Ruhm gelangten Männer, unter denen, die in dem Streite die Stimme erhoben, für die Verfolgten eintraten, während die Parteigänger Menzels sich zum größeren Theil aus Verlegern und jüngeren Schriftstellern rekrutirten, die z. B. bei Gelegenheit der schnellen Jagd Gutzkows auf einen Verleger für die Deutsche Revue, oder durch die Gründung des Löwenthal'schen Verlags in Mannheim, oder durch die Kritiken Gutzkows im »Phönix« sich irgendwie beleidigt fühlten, so die Buchhändler Liesching in Stuttgart und Hoff in Mannheim, die Schriftsteller Bacherer und Rohmer in Stuttgart, W. Carové in Frankfurt, wie schon früher die Victor Aimé Huber in Rostock, Grabau-Stephani und Wurm in Hamburg ihre Polemik gegen das junge Deutschland in Vertretung eigener Interessen geführt hatten. Für Gutzkow oder wenigstens gegen Menzel traten, außer den Genannten, Heine und Börne auf: F. Kottenkamp, Berthold Auerbach, G. Kolb, Hormaner, Carus, O. Marbach, Friedr. Daumer, K. Rosenkranz, K. Riedel, A. Jung, G. Rießer, L. Schücking. Einige der betreffenden Streitschriften, so auch Auerbachs »Das Judenthum und die neueste Literatur«, hatte Menzels Giftwort, daß das junge Deutschland eigentlich das »junge Palästina« heißen müsse, herausgefordert (s. S. 119). Im Anhang von Holzmanns »Börne« zählt ein Verzeichniß dieser Broschüren 19 Titel auf; wir könnten dasselbe noch um mehrere Nummern vermehren.

Die größte Wirkung übte aber der alte Gegner Menzels, der weithin hochangesehene Kirchenrath Paulus, Vertreter Heidelbergs im badischen Landtag, auf die öffentliche Meinung aus. Nachdem er sich schon vorher Gutzkows in einem »Sendschreiben« angenommen, das noch vor der Verhandlung erschien, faßte er nach derselben das Ergebniß des Prozesses in der Schrift zusammen: » Des Großherzoglich Badischen Hofgerichts zu Mannheim vollständig motivirtes Urtheil über die in dem Roman ›Wally‹, die Zweiflerin, angeklagten Preßvergehen nebst zwei rechtfertigenden Beilagen und dem Epilog des Herausgebers.« Paulus sprach in beiden Schriften es unumwunden aus, daß Menzels Kritik als wissentliche Injurie und Verleumdung weit eher gerichtliche Verfolgung verdiene, als das vielgeschmähte Buch. Die Behauptung, daß dasselbe zur Unzucht und zur Irreligiosität verführe, sei zwiefach als gerichtlich strafbar aufzufassen. Freilich war zu bedenken, daß, als nach Jahns, des Turnvaters, Einkerkerung und Verfolgung als Demagog dessen Frau seiner Zeit gegen den Minister von Kamptz eine Verleumdungsklage beim Berliner Kammergericht anhängig gemacht hatte, auf Kabinetsbefehl der Bescheid erfolgt war, die Klage sei unstatthaft. Und die Paulus'sche Anklage hat denn auch im Jahre 1836 keinen Staatsanwalt im Großherzogthum Baden gefunden.

Gutzkow selber sah jedenfalls von solcher Rekrimination ab. Doch das Recht dazu hätte er allerdings, wie Paulus eingehend nachwies, auf seiner Seite gehabt.

»Ist in dem Buche,« argumentirte in dem »Sendschreiben an Dr. Gutzkow« der alte Rationalist, »wenn man, wie der Kritiker die Pflicht hat, die Schrift im Ganzen umfaßt, nicht nur nichts, was zu jenen beiden Irrwegen verführen sollte, zeigt vielmehr der planmäßige Verlauf, in welche höchst verderbliche Konsequenzen dergleichen Uebertreibungen der Zweifelsucht und des Ringens nach Vorurtheilsfreiheit auslaufen, so ist es nicht nur Unwahrheit, daß Ihr Roman solche Verführung enthalte, sondern auch dies ist Unwahrheit, wenn der Rezensent den Verfasser der Tendenz zu solcher Verführung auf das Bitterste und wiederholt vor aller Welt verurtheilen will. Diese doppelte Unwahrheit ist von der Art, daß der Rezensent nach seiner sonst bekannten Unterscheidungskunst zum voraus sie als unwahr wissen konnte und wissen mußte. Die doppelte Unwahrheit ist demnach eine doppelte Lüge. Sie ist eine wissentlich und öffentlich nicht auf das Aesthetische und auf Ihre Talente, sondern gegen Ihren Willenscharakter gerichtete, soviel möglich auch gegen Ihr bürgerliches Wohl und moralisches Ansehen berechnete Verleumdung. Ganz Deutschland also ist dabei interessirt, daß der argeswollende Sophist einer nach allen Rücksichten qualifizirten Injurie gerichtlich überwiesen, verurtheilt und durch Aktenabdruck vor dem Publikum in seiner wahren Gestalt warnend dargestellt werde. …

Wally soll verführerisch zur Wollust und Unzucht sein und das ganze junge und alte Deutschland mit der Ansteckung dazu bedrohen; und doch ist nicht einmal sie selbst wollüstig und ins Liederliche ausschweifend. Sie schildern ein Mädchen, wie sie jetzt nur allzuleicht nach der oberflächlichen Bildungssüchtigkeit der Geldaristokratie aus so manchen nur zur Schöngeisterei und zum Schimmern in der Schmetterlingswelt verziehenden Instituten hervorgehen müssen. Sie ist durch Reichthum rücksichtenlos, und weiß, da sie etwas trübsinnig zu einigem Grübeln und Wissenwollen aufgereizt ist, sich nicht anders zu zerstreuen, als daß sie ihre Schönheit von allen, die es wollen, wie von Frühlingsfliegen umflattern läßt und so die Zeit genießend, sich amüsirt. Kaum kann man sie kokett nennen … Der einzige Cäsar imponirt ihr, weil er gegen ihre Flatterhaftigkeit den Kontrast bildet, weil seine abgekälteten und starr gewordenen Raffinements ihr bißchen Denkkraft überflügeln und weil sein Schein von System neben ihrer immer einen Halt suchenden Volubilität wie etwas Solides erscheinen konnte.

Eingehaucht ist ihr von jener modischen Verziehungskunst her, daß sie, weil die Gebildeten auch vom schönen Geschlecht jetzt nicht mehr empfindsam, dagegen aber über allen Verstand hinaus geistreich sein müssen, schlechterdings frei von Vorurtheilen und bei so schwach entwickelter Kraft doch eine Selbstdenkerin sein mochte. Daher das sehr vorübergehende Hingeben an Cäsars Ueberredungskunst; daher selbst die so sykophantisch-lüstern gemißdeutete und doch so gar nicht zur Wollüstigkeit führende geheime Scenerie, in der sie, eine Pygmalions-Statue vorstellend, nur ein gemeines Vorurtheil abgestreift zu haben wähnt. Das Schicksal dieser sublimen Vergeistigung ist, daß Beide etwas Halbwahres treffen, aber vom Beigemisch nicht zu scheiden wissen.

Auch dem Gesandten vermählt sie sich nur, um auf einem größeren Weltschauplatz in ihrer Zerstreuungslust zu glänzen. Aber für Sinnlichkeit ist sie immerfort weder Mittel noch Zweck. Empört vielmehr darüber, daß sie in Beziehung auf den rasend verliebten Italiener auch nur unwissend mit dem Schein davon befleckt hätte werden können, entflieht sie in die Einsamkeit. Und schon ist sie, durch Erfahrungen schnell überreif, nach ihrer Anlage zu Grübeleien durch alles Andere mit Cäsar eher als durch Wollust und Ausschweifung verbunden.

Welcher halbverständige und nicht maliziöse Ausleger wird behaupten: die Durchführung dieses in der Irre täuschender Grundsätze sich selbst zerreißenden Charakters sei irgend zur Nachahmung verführerisch? Welches weit wollüstigere Mädchen würde sich in die Lagen der bei allen Mitteln zum Glück in Unzufriedenheit und Ueberdruß umhergetriebenen Wally hineinwünschen? …

Die verläumderische Injurie, daß Ihre Wally,« fährt weiter Paulus fort, »zur Wollust verführerisch sein wolle und könne, ist abscheuwerth, weil sie den sittlichen Charakter des Verfassers vor ganz Deutschland verächtlich und verabscheut machen wollte. Die damit in der hämischen Rezension verflochtene zweite Verleumdung aber, wie wenn der fast blos skizzirte Roman durch das, was einzelne Personagen ihrem Gesichtspunkt gemäß aussprechen, aller Religion spotte und die Irreligiosität auf den Thron zu setzen beabsichtige, ist noch strafbarer, weil sie den Verfasser sogar der uralten nothpeinlichen Halsgerichtsordnung preisgeben würde und in Wahrheit nur, um denselben mitsammt der von dem Menzel'schen Literaturblatt wohl gefürchteten, vielseitigeren und lebensfrischeren Revue vom deutschen Boden zu verbannen, das gefundenste Mittel wäre.

Der zweiten Verleumdung mußte von Menzels verkehrt angewendeter Spürkraft etwas mehr Schein gegeben werden.

Hang zur Verführungslust ist an Wally offenbar nirgends zu zeigen. Sie ist das Opfer von schiefen, aber über sinnliche Lüsternheit erhabenen, weit mehr ins Geistreiche verfeinerten Scheingrundsätzen, welche so, wie sie sich von den oberen in die mittleren Bildungsstufen der Gesellschaft gegenwärtig einschleichen, ans Tageslicht hervorzuziehen und durch ihre anschaulichen Folgen poetisch zu bestrafen waren. Die Zweifelsucht, welche aus dem sich so leicht übereilenden Streben nach Vorurtheilsfreiheit entsteht, und bald an metaphysischen Klippen strandet, bald wegen historischer Entstellungen und anderem Mißverstehen religiöser Erscheinungen die Religion selbst und auch ihre Begeisterte mißkennt, mußte tief aufgefaßt und veranschaulicht werden. Der Verfasser mußte sie vieles, was ihr anstößig erscheint, kurz und schroff aussprechen, ja über manches sie nach ihrer Aufreizung laut und wild aufschreien lassen. Die Dichtung soll und will zusammendrängen, was gerade jetzt in der Wirklichkeit, zerstreut, aber unleugbar, da ist. Die Aufgabe war, die Zweifelsucht der Falschgebildeten so reden zu lassen, daß ihre Fehlbegriffe, besonders die Uebertreibungen sich, wenn die Leser weder stumpf noch böswillig voreingenommen sind, bald selbst destruiren müssen, bald auf Berichtigungen hinlenken konnten …

Ein Roman kann nicht wie ein Lehrbuch beweisen oder widerlegen. Wenn die Personen so gezeichnet sind, daß der Leser ihnen nicht ähnlich sein möchte, wenn ihr Betragen als unstät, schwankend, sogar für sich selbst unbefriedigend und verderblich entwickelt wird, wenn aus dem, womit sie sich umtreiben, folgerichtig immer Schlimmeres und endlich das Schlimmste geflissentlich abgeleitet wird, wer kann ihnen nachahmen zu wollen gereizt sein? wer dem Verfasser andichten, daß er dahin zu verführen beabsichtige?

Fast mehr, als es die Wahrscheinlichkeit zuläßt, ist Wally durchaus oberflächlich und im Denken ungeübt, von flüchtigen Eindrücken abhängig …

Zu solchen weiblichen Extremen, bald trübsinniger Denkvermessenheit, bald des herzlosesten Koketterietaumels darf dann nur noch ein theilnahmloser egoistischer Dialektiker, ein witzelnder Equilibrist, wie Cäsar kommen, mit der sophistischen Balancierstange, auf welcher das Steigen und Fallen der Begriffe einerlei, und ein wahrheitsleeres bloßes Spielzeug ist; und das allmählich sich verwirklichende Bild der Irreleitung ist vollkommen! Aber gerade so durchgeführt kann eben diese Irreleitung verführerisch weder sein noch sein wollen. Der, welcher sie schildert, und mit den grellsten Farben ausstellt, hat sich zum voraus dagegen gerechtfertigt …

Sogleich im Eingang hat der Verfasser diesen Cäsar als einen in der Thatlosigkeit sich selbst überlästigen Unzufriedenen, als eine ›der wissensmatten Seelen charakterisirt, die nur lächeln, seufzen, spotten und die Frauen unglücklich machen können, der mit Begriffsschatten rechnete &c.‹ Ist denn durch diese Charakteristik nicht auch die einfältigste Lesende – wenn je eine solche es aushält, in dem dritten Buche fortzulesen – nicht wider all das, worin dieser Cäsar gegen die rathlose Wally in Worttäuschungen triumphirt, genug gewarnt? Und der verdrehende Kritiker wagt dennoch die Verleumdung dem Verfasser unterzuschieben, was er durch den Mund, den er es aussprechen läßt, für alle Hörenden als das, worin Irrthum und Unsinn erst vom Wahren geschieden werden muß, hinreichend bezeichnet hat!« – –

Erreichte Paulus mit diesem Appell auch nicht den einen Zweck, den schlimmen Menzel in einen Injurienprozeß zu verwickeln, so doch den anderen, seinem jungen Klienten in dessen Nothlage entschiedene Hülfe zu leisten. Seine Vertheidigung war um so wirksamer, als ihre Einleitung nicht mit ernsten Vorhaltungen zurückhielt, gerichtet an den »Hochüberhinfliegenden«, der in so ernsten Fragen, wie die in »Wally« berührten, mit Jugendübermuth sich nur gar zu bereit zeige, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Er verwies dabei nicht auf die Dichtung »Wally«, wohl aber auf Gutzkows Vertheidigungsschriften gegen Menzel und das »überstürzte« Vorwort zu den Lucinde-Briefen mit seiner paradoxen Schlußfrage: ob die Welt nicht ohne Glauben an Gott glücklicher geworden wäre. »Blasphem ist die Frage als Frage noch nicht. Aber wie leicht müßte sie es werden, wenn sie in die Antwort überzuleiten schiene: ohne allen Glauben an Gott, auch ohne den wahren und vernünftigen, würde die Menschenwelt besser und glücklicher sein können.« So flocht er auch in seine Vertheidigung in Bezug auf Cäsars Ausspruch, daß Religion das Produkt der Verzweiflung sei, die Anmerkung ein, daß sie vielmehr in dem Wunsche der Menschen ihren Ursprung habe, »mit den unsichtbaren Mächten, welche man als Ursächer sonst unerklärter Erfolge ahnete, in Harmonie zu stehen.« Gerade durch solche Einschränkungen steigerte er die Ueberzeugungskraft seiner Vertheidigung.

*

Minder glücklich war Gutzkow selbst, als er am 30. November sich vor dem Amtmann Gockel im badischen Stadtamt zu Mannheim erstmals zu verantworten hatte. Gleichzeitig mit der »Wally« war auch seine »Vertheidigung gegen Menzel und Berichtigung einiger Urtheile im Publikum« und sein »letztes Wort« gegen Menzel, die »Appelation an den gefunden Menschenverstand« beim Belastungsmaterial. In dieser hatte er sich, nur die Anklage Menzels im Auge, zu Verschiedenem bekannt, was ihm jetzt hinderlich war. Der Untersuchungsrichter vertrat den Standpunkt Menzels, daß der Verfasser für den Wortlaut einzelner aus dem Zusammenhang gerissener Stellen seines Romans den Paragraphen des Strafgesetzes gegenüber verantwortlich sei. Die Vertretung seines entgegengesetzten Standpunkts, wonach die betreffenden Aeußerungen den einzelnen Figuren des Romans lediglich für die dialektische Entwickelung der ganzen Idee in den Mund gelegt seien, wurde Gutzkow erschwert durch das Bewußtsein, daß die »Geständnisse« Cäsars bis zu einem gewissen Grade ursprünglich eigene Geständnisse gewesen waren, die er freilich für die Zwecke des Romans und dem Charakter Cäsars entsprechend umgearbeitet hatte. Ueber die Grundidee des Romans machte er folgende Angabe.

»Ich wollte ein psychologisches Phänomen schildern, welches dasselbe Recht auf poetische Darstellung hat, wie die Eifersucht, die Liebe, oder irgend eine andere Leidenschaft des menschlichen Herzens. Ich wählte zu diesem Zwecke den Zweifel, nicht um meine Leser dazu zu veranlassen, sondern um die Verirrungen zu schildern, auf welche man stößt, wenn man den religiösen Haltpunkt seines Lebens verliert. Mit dieser rein poetischen Absicht verband ich eine zweite, nämlich, einen Konflikt im menschlichen Gemüthe zu schildern; ich wählte eine Repräsentation meiner Idee, wo ich mir von dem Gegensatze, daß sie, nur zunächst eine unbefangene, kokette, durch die Gesellschaft rauschende Erscheinung dennoch ein Gemüthsleben in sich hatte, was Niemand, der sie beobachtete, und selbst der kalte Egoist Cäsar nicht, bemerkte, eine poetische Wirkung versprach. – Jede einzelne Ausführung in Meinungen, Ansichten und Situationen kömmt auf Rechnung dieser meiner ursprünglichen Absicht

Frage: Die Geständnisse über Religion im 3. Buch des Romans beginnen mit dem Satze: Ich will über den Glauben sprechen. Hier erscheint keine Person des Romans, sondern der Verfasser selbst als redend, indem der Zusammenhang oder vielmehr die Abgerissenheit des ganzen Kapitels einer andern Auslegung nicht Raum giebt.

Antwort: Ich hatte für den Roman einen Wendepunkt, oder eine Katastrophe nöthig, um hier wie im Drama die Schlußscene oder den 5. Akt zu motiviren und einzuleiten. Hier muß sich der bisher im Roman blos angedeutete oder skizzirte Charakter des zweiten Helden, Cäsar, zusammenfassen; weil seine bisherigen Bemerkungen über Religion nur beiläufig und wie durch augenblickliche Stimmung erzeugt von ihm ausgesprochen wurden. In den Geständnissen wird sich keine Stelle finden, welche nicht ein Beleg zu dem einmal von mir gewählten Charakter dieses Mannes wäre, er bleibt in ihnen derselbe kalte Anatom, der in allen höheren Dingen immer nur auf den zufälligen Ursprung derselben zurückgeht und nicht im Stande ist, sich auf die Höhe des Christenthums als einer welthistorischen Erscheinung zu schwingen, sondern überall ganz in der Weise der alten materialistischen französischen Philosophie das Zufällige und Anekdotenartige am Christenthume hervorhebt. Ich selbst habe in anderen Schriften solche Ansichten über Religion und Christenthum niedergelegt, daß mir um so weniger die hier vorkommenden Aeußerungen persönlich imputirt werden können.

Frage: Während der den ganzen Roman durchdringende Ton und die spottweise Form, in welcher Sie sich schon in dem historischen Theil über Gegenstände der christlichen Religion äußern, den Beweis geben, daß eine andere als die eben ausgesprochene Absicht der Herausgabe Ihrer Druckschrift zu Grunde lag, sind Sie nicht im Stande, durch Ihre Aeußerungen über die Tendenz des Buches die Meinung zu beseitigen, daß Sie geflissentlich dem Publikum die Moral und Religiosität durch Ihre Schrift verächtlich machen wollten.

Antwort: Die Meinung, daß in dem Roman im Allgemeinen ein frivoler Ton herrsche, eine Meinung, welche im Publikum überall aufgenommen wurde, ist zunächst damit zu rechtfertigen, daß ich einen Kontrast schildern wollte, ein Wesen, welches uns wegen ihrer leichten Art, sich in den gesellschaftlichen Formen zu bewegen, erschrecken macht, und doch zu gleicher Zeit ein inneres Seelenleben hat und ein Bedürfniß, das Rechte zu finden, welches Niemand ahnte. Sodann werden alle die Stellen, welche besonders leicht und dissolut scheinen, nur entweder mit einer Rede, oder mit einer Situation der handelnden Personen zusammenhängen. Ja um zu beweisen, daß der Verfasser selbst eine heilige Scheu vor religiösem Gefühl hat, verweise ich

I. 1) auf bestimmte, nur mir angehörende Stellen, z. B. S. 20 und 21, 2) auf jene Stelle, wo ich sage, daß ein Leben ohne Religion keinen Trost gewähren kann, S. 305, 3) und zuletzt die in christlichen Ausdrücken und mit innerer Zerknirschung abgefaßten letzten Gebete der Heldin;

II. auf die poetische Gerechtigkeit, welche ich, wohl eingedenk, was man dem Heiligsten der Menschheit schuldig ist, am Schlusse meines Buches eintreten lasse.

Frage: Sie haben S. 35 der »Vertheidigung gegen Menzel« geäußert, daß Sie dem Anruf »wohinaus!« Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem Sie einen Zweck für Ihre schroffe Art der Darstellung nicht anzugeben wagen. Finden Sie es nicht angemessen, hier zu erklären, weshalb Sie nicht wagen, diesen Zweck anzugeben?

Antwort: Ich antworte hierauf durch eine Erklärung des ganzen Verhältnisses dieser Vertheidigung zu meinem Buche. Die Vertheidigung wurde geschrieben in einem Augenblicke, wo ich mir die Möglichkeit, für die Erfindung meines Romans selbst verantwortlich zu sein, gar nicht vorstellen konnte und wo ich bei der aufgeregten Meinung des Publikums nicht wußte, wie ich mir bei einer scheinbar eingetretenen Verwirrung aller literarischen Begriffe helfen sollte. Ich nahm in meiner Vertheidigung nicht die Meinungen, sondern nur die Stimmung der Charaktere in Schutz, sagte sogar, daß ich selbst Verwandtschaft mit Cäsar hätte, aber nur, um die Möglichkeit eines Charakters, nicht um die Einseitigkeiten einer Meinung zu rechtfertigen. Daß mir bei jenem »Wohinaus?« nur die ästhetische Stimmung meines Romans vorschwebte, folgt daraus, daß ich einige Zeilen darauf nur von meiner poetischen Absicht sprach, und daß ich, wenn ich um meinen Zweck gefragt worden wäre, warum ich als Autor so abfällig über die Religion geurtheilt hätte, nicht wüßte, was ich auf einen so wahnsinnigen Zweck erwidern sollte. Demnach beruht voranstellende Frage auf einer gänzlichen Entstellung meiner Worte.

Frage: Der Ausdruck »wagen« lasse doch auf das Bewußtsein der Sträflichkeit schließen.

Antwort: Der Ausdruck sollte hier nicht mehr bedeuten als »unternehmen«.

Frage: Durch die Frage auf S. 36 der »Vertheidigung gegen Menzel«: »Wird man nicht zugestehen, daß die eingewebten Geständnisse über Religion und Christenthum eine künstlerische Stellung haben?« ist beurkundet, daß Sie selbst vermutheten, es würde dieser Theil der Druckschrift dem Verfasser zum Vorwurf gereichen und ihm nach seinem Inhalt persönlich zur Last gelegt werden?

Antwort: Diese Ungewißheit und Vermuthung war bei mir nicht vor der Herausgabe des Buches eingetreten, sondern erst da, als es erschienen war und eine Beurtheilung erfuhr, von der ich früher keine Ahnung gehabt hatte.

Frage: Sie wußten bei Herausgabe des Buches offenbar, daß jener Bestandtheil mit der Natur eines Romans durchaus nichts gemein hat, weshalb anzunehmen ist, der Roman sei nur als Mittel zum Zweck der Verbreitung der im besagten Kapitel über die Religion enthaltenen Aeußerungen gebraucht worden.

Antwort: Diese Annahme, daß ich um das Supponirte gewußt hätte, ist willkürlich, indem keine Stelle meiner Vertheidigungsschrift darauf hinweist und es namentlich bei deutschen Schriftstellern gewöhnlich ist, Abhandlungen dem Roman einzuverleiben. Goethe war kein Pietist, aber er schrieb in seinem Wilhelm Meister die Bekenntnisse einer schönen Seele. Ich bin kein Neolog und schrieb dennoch von meinem dichterischen Indifferenz-Standpunkte aus jene Geständnisse über Religion und Christenthum. Die Form des Romans ist ferner wohl am wenigsten geeignet, die mir inkriminirten Ansichten unter die Masse zu bringen. Mein Stil und meine Darstellung ist nur für Eingeweihte und Gebildete berechnet, und ich hätte, um mein Ziel zu erreichen, direkt ein Buch schreiben müssen, wo ich mich als Redner auf irgend einer Bühne gedacht hätte.

Frage: Die Geständnisse über Religion &c. sind in einem Tone gehalten, der nichts mit einer wissenschaftlichen Behandlung des Gegenstandes gemein hat, sondern lediglich dahin strebt, die besprochenen Gegenstände verächtlich zu machen und die bei den betreffenden Religionsparteien darüber bestehenden Meinungen umzustürzen oder zu verhöhnen.

Antwort: Es war nicht meine Absicht, eine wissenschaftliche Abhandlung zu schreiben, indem solche nicht hierher gehört hätte, und indem es auch ein Verbrechen gewesen wäre, wenn ich durch einen besonderen Aufwand von Gelehrsamkeit und philosophischem Scharfsinn eine Meinung hätte unterstützen wollen, wie sie sich in den Geständnissen ausspricht. Gerade durch diese nachlässige Haltung des Aufsatzes machte ich, daß sich der Verfasser desselben, Cäsar, selbst verurtheilte. Ich konnte nicht glauben, daß so planlos hingeworfene aphoristische Bemerkungen irgend Jemanden in seinem Glauben an Gott und das Christenthum wankend machen würden.

Frage: Sie sprechen hier von Cäsar als dem Verfasser der Geständnisse; das ist wohl nur bildlich genommen, da es sich mit Ihrer Aeußerung S. 37 der »Vertheidigung gegen Menzel« wörtlich nicht vertrüge (»daß ich dasjenige auszusprechen verpflichtet bin, was ihr durch Zerstreuungen in euch begrabt.«)?

Antwort: Jene Stelle ist nicht in Bezug auf den Inhalt der Geständnisse über Religion, welche der Roman »Wally« Cäsar ablegen läßt, zu verstehen, sondern nur als Erklärung zu nehmen über eine literarische Parteistellung, welche mir durch meine Gegner aufgedrungen ist, wo ich ohne Scheu und Hehl bekenne, daß ich der philosophischen und poetischen Wahrheit ohne Rücksicht auf fremde Interessen nachstrebe. Diese Partei ist übrigens nur ein Hirngespinnst und löst sich in einzelne Männer auf, welche unabhängig von einander zur Ehre der Nation ihr Leben der Erforschung der Wahrheit gewidmet haben.

Frage: In dem Roman »Wally«, der in den Hauptpunkten durch die »Vertheidigung gegen Menzel« von ihnen zu rechtfertigen gesucht wird, sind nicht nur viele Stellen enthalten, welche als Schmähungen der Religion überhaupt, sondern namentlich auch als Blasphemien und Schmähreden in Bezug auf das Christenthum erscheinen. Können Sie diesen Satz widerlegen?

Antwort: Alles Uebrige, was ich im Vorangehenden gesagt habe, um mich wegen der Angriffe auf die Religion zu vertheidigen, geht, da mir Religion und Christenthum identisch ist, auch auf die weitere Anfrage wegen meiner Angriffe auf das Christenthum; sie gehören zu meiner Erfindung und bilden die dialektischen Motive derselben.

Frage: Können Sie behaupten, daß das Gefährliche dieser die Religion herabwürdigenden Aeußerungen bei ihrer Verbreitung unter das Publikum dadurch außer Ihrer Zurechnung fallen muß, weil nur Figuren Ihres Romans und nicht Sie selbst jene Aeußerungen gemacht haben?

Antwort: Ich will keine Vertheidigung, sondern nur eine Entschuldigung geben. Ich habe nicht gewußt, wie sehr man mich mißverstehen würde und billige es, daß, wenn mein Buch Unheil anrichten könnte, die Behörden es außer den Verkehr setzen; ich sage, daß es sogar von ästhetischer Seite sich angreifen läßt, weil man niemals einen Roman schreiben soll, wo die Motive von größerem Interesse sind, als die Fabel selbst, und wo die Motive einen speziellen Beigeschmack haben. Aber ich glaube frei zu sein von dem Vorwurfe einer böswilligen Absicht. Wenn ich einen Irrthum begangen habe, so ist es ein ästhetischer und nur die literarischen Gerichtshöfe sind befugt, mich deshalb zu verurtheilen.

Frage: Für die Aeußerungen der in einem Roman figurirenden Personen haftet, wie natürlich, der Verfasser (Pr.Ges, § 25.1). Sind sie von der Beschaffenheit, daß sie unter ein Strafgesetz fallen, so muß ihn, sofern er sich nicht dagegen zu schützen vermag, als gesetzliche Folge der Handlung, die Strafe treffen. Es ist wohl kaum möglich, zu leugnen, daß eine große Zahl der im Roman »Wally« enthaltenen Stellen unter den Rechtsbegriff von Gotteslästerung überhaupt oder unter den Begriff von Blasphemie, oder auch in die Kategorie der Beleidigung christlicher Staatsparteien gehören. – Wodurch vermögen Sie als Verfasser der »Wally« Ihre Strafbarkeit in Abrede zu ziehen?

Antwort: Wenn der obige Grundsatz, daß der Verfasser eines Romans verantwortlich ist für seine Gestalten, gelten soll, so darf man in der Poesie keine Verbrechen und keine Laster mehr schildern, dann muß die Oper Zampa, wo ein Bösewicht ausruft: »Es giebt keinen Gott!« nirgends aufgeführt werden dürfen. (»Zampa« war damals gerade das Zugstück der Frankfurter Oper.) Dann mußte man auch Schiller vor vielen Jahren hier in Mannheim den Prozeß machen, weil er in seinen Räubern einen Bösewicht schildert, dem er den Mantel eines großen Mannes, eines Genies giebt, und noch dazu in einem poetischen Kunstwerke, wo nicht einmal das kriminal Strafbare in der Ausmalung eines Straßenräubers durch das Gegenüber einer tugendhaften und reinen Individualität gemildert wurde. Die Kunst kennt nur Extreme, sie darf nichts halb schildern, sondern sie muß mit den stärksten Farben auftragen. In meinem Romane fehlt die poetische Gerechtigkeit nicht. Ich habe ein psychologisches Problem schildern wollen und habe es auf eine Weise gelöst, die Allem, was der Menschheit heilig ist, den Sieg läßt.

Frage: Während diese Antwort auf den Theil des Romans, in welchem Sie sich, wie schon bemerkt, selbst redend eingeführt haben (»Geständnisse«), nicht paßt, werden Sie aus § 18, 21 und 22 des Preßgesetzes und § 39 des Strafedikts hingewiesen, worin bestimmt ist, was man Ihnen hier eröffnet.

Antwort: In dem ganzen bisher erfolgten Verfahren erinnere ich mich nicht zugegeben zu haben, daß die »Geständnisse« meine eigene Meinung vertreten und kann ich also für ein nothwendiges Requisit meiner einmal gefaßten poetischen Idee nicht bestraft werden.«

Ich habe das Hauptsächliche dieses ersten Verhörs nach dem im Generalarchiv zu Karlsruhe befindlichen Akten hier wörtlich mitgetheilt, nicht nur weil es auf's deutlichste den Gewissenskampf und die Verwickelung Gutzkows veranschaulicht, in welche dieser hier mit seinem Wahrheitsdrange gerieth, sondern auch, weil sie die angezweifelte Frage klarstellen, ob und bis zu welchem Grade der Dichter damals einem peinlichen Inquisitorium unterworfen wurde. Die Hartnäckigkeit, mit welcher Amtmann Gockel als Untersuchungsrichter bei seiner irrthümlichen Meinung verharrte, in den »Geständnissen« trete der Autor selbst redend auf und dieser sei für die Aeußerungen seiner Gestalten voll verantwortlich, erinnerte in der That an jenes inquisitorische Verfahren, mit welchem einst auch ein Galilei zur Verzweiflung gebracht wurde. Daß das Verfahren des Hofgerichts selbst dann ein viel billigeres und einsichtsvolleres war, konnte der überrumpelte Inquisit nicht vorhersehen, der mit dem Glauben an schnelle Erledigung seines Falls nach Mannheim gekommen war und gleich im ersten Verhör auf kühle Ablehnung seiner Entlastungsargumente stieß. Seine Verzweiflung stieg, als er bei eingetretener Mittagszeit zwar die Erlaubniß erhielt, in den »Badischen Hof«, wo er abgestiegen, zum Essen zurückzukehren, aber eine polizeiliche Bedeckung mit auf den Weg bekam, als bei Wiederausnahme des Verhörs am Nachmittag ihm kurzer Hand eröffnet wurde, daß über ihn Untersuchungshaft verhängt sei und er – ungeachtet seiner Proteste – in das Stadtamtsgefängniß abgeführt wurde. Als der Dichter später mit behaglicher Laune in dem Erinnerungsbild »Zwei Gefangene« (»Die schöneren Stunden«, Stuttgart 1869) jene lustige Episode schilderte, welche dadurch erzeugt ward, daß der jugendlich-heitere Schauspieler Theodor Döring, der nachmalige bedeutende Charakterspieler des Berliner Hoftheaters, wegen einer Schuld an die Theaterkasse auf einen Tag seine Haft theilte, hat er seine eigene Stimmung als eine resignirt-gefaßte geschildert. In den ersten Tagen seiner Haft, als ihm klar wurde, daß die Anklage auf Blasphemie nicht nach dem liberalen Preßgesetz vom 1. März 1832, sondern nach der Reichspolizey-Ordnung vom Jahre 1577 abgeurtheilt werden würde, als er erfuhr, daß der Staatsanwalt ein Jahr Zuchthaus beantragen werde und die Nachricht vom Edikt des Bundestags, von dem Verbot auch seiner zukünftigen Schriften in Preußen, ohne nähere Auskunft in seinen Kerker drang, und er sich die Wirkung all dieser Schreckensnachrichten auf seine Braut, auf deren Angehörige ausmalte, da war doch auch er fassungslos und sein ganzes Denken war nur der einen Frage zugewandt: wie kannst du wenigstens deine Zukunft retten?

*

Vor allem sorgte er dafür, daß das frohherzige, an seinen Genius treuselig glaubende Kind, das er für seinen allzusteilen Lebenspfad sich an die Seite gekettet, seine »Wally« gar nicht zu lesen bekam und in ihrer Zuversicht nicht wankend würde. Er that auch Schritte in Berlin, welche seine Rechtfertigung bei den Behörden, deren Verfolgung ihn traf, zum Ziel hatten. Die Zurücknahme des Verbots aller weiteren Schriftstellerei suchte er zu erwirken, indem er versprach, nichts ohne preußische Zensur hinfort drucken lassen zu wollen. Ob er seines früheren Gönners von Kamptz' Hülfe angesprochen und vielleicht durch seinen Vater auf den Bruder des Generals von Schöler zu wirken versucht hat? Gewiß ist nur, daß er aus dem Gefängniß an den badischen Minister Winter schrieb: »Herr Minister Mühler (damals Justizminister Preußens) hat mich angewiesen, mir durch die Karlsruher Gesandtschaft eine fernere Paßbewilligung zu erbitten und an die preußische Regierung direkt ›über meine Meinungen, Schicksale und Plane‹ mich zu erklären. Herr von Schöler in Frankfurt ist durch seinen Bruder, eine hohe, mich besonders begünstigende Militärperson in Berlin bestimmt worden, desgleichen Erklärungen über meine zukünftigen Vorhaben geneigtest entgegennehmen zu wollen.« Zwei Briefe Mundts an Kühne spiegeln die gleiche Stimmung wieder: »Ich kenne Gutzkows Persönlichkeit als eine eiserne, und doch wird mir jetzt von guter Hand geschrieben, daß er im Gefängniß äußerst niedergeschlagen und schon vorher in Frankfurt sehr konsternirt gewesen sein soll. Dies hätte ich auch nie von ihm gedacht. So war es auch mit Laube.« Und: »Gutzkow hat mir aus dem Kerker geschrieben! Er hat nicht ganz Recht daran gethan, aber sein Brief, in dem er mich um Verzeihung bittet, ist merkwürdig, und kann mir eben nicht schaden. Es ist auf ein Jahr Zuchthausstrafe beantragt, und Appellation wird die Strafe schwerlich mildern, da man gegen die Leute, die man einmal herausgegriffen hat, zu dem Aeußersten entschlossen ist.« Sicher ist andererseits, daß Gutzkow noch im Dezember in sein »Tagebuch« schrieb: »Daß meine Vergangenheit ausgelöscht wird, ertrag' ich wohl; aber daß man mir die Zukunft nehmen will, ist schmerzlich! Den Funken, der in mir brennt, darf ich nicht verglimmen lassen. Wer so weit, wie ich, aus den Fugen der Gesellschaft gerissen ist, kann nicht mehr zurück und der Vorsprung, den er hat, das ist der rechte, um seiner Nation zu nützen … Strafbar ist es vielleicht, seine Gemüthsumwälzungen öffentlich in Szene zu setzen; strafe man mich. Aber meine Zukunft mache mir Niemand unmöglich! … Das Bestehende werd' ich nicht lehren; denn dies müßte selbst die beleidigen, die es schützen und die da wüßten, daß dem Positiven ängstlich aus dem Wege gehen nicht heißt, das Positive billigen. Fühlen werd' ich minder hart, minder dornig. Denken aber und forschen, nach wie vor … Nein, ich protestire nicht.« Die letztere Wendung war gegen Laube's öffentliche Protestation gerichtet, er sei fälschlich dem jungen Deutschland zugerechnet worden.

Die beste Hülfe leistete ihm damals die »Allgemeine Zeitung«. Kolb wurde sein Vertheidiger gegen Menzel; Cotta hielt ihm die Zeitung für seine Beiträge – freilich ohne Namensnennung – offen, so lange es irgend ging. Durch das Verbot der »Deutschen Revue« war sein erster Beitrag in diese frei geworden: eine stimmungsvolle Charakteristik Bernadotte's. Er hatte sie der »Allgemeinen« zur Verfügung gestellt und eines seiner ersten Schreiben an Cotta aus dem Gefängniß, vom 2. Dezember, war die Bitte an diesen um baldige Aufnahme. »Ich bin krank und unglücklich und grolle mit Allem, was sich meiner nicht annimmt. Sie haben mir immer Theilnahme bewiesen; entziehen Sie sie mir jetzt nicht …; denn dasjenige, was mich retten kann, ist Achtung vor meinem geringen Talente.« Zu den literarischen Freunden, die er sich in Frankfurt gewonnen, gehörte der junge Redakteur der Didaskalia, W. Wagner. An diesen schrieb er am 11. Dezember einen Brief, der als konfiszirt zu den Akten kam. »Ich höre,« schrieb er, »daß Du meinen Bernadotte aus der ›Allgemeinen Zeitung‹ abdruckst! Thu' mir die Gefälligkeit und setze meinen vollständigen Namen darunter, nicht des Publikums oder meinetwegen, sondern aus Antheil für meine armen Frankfurter Verbindungen, für meine Braut und Schwiegereltern, welche ich durch mein Schicksal so namenlos betrübe. Du wirst wissen, daß ich in Haft bin. – Einst wird mir die Luft der Freiheit wieder zuströmen und wie dankbar werd' ich seyn gegen Alle, die mich in meiner Noth nicht verlassen haben! Nimm Dich meines Rufes an und schütze mich vor den Eseln, welche todten Löwen gerne ihren Fußtritt geben! Löwen! Noch immer stolz! Du wirst lächeln, guter Wagner! – Benutze dies als Notiz: Ich arbeite an einem spekulativen Werke über die Philosophie der Geschichte und werde mich von der Tagesliteratur in Zukunft gänzlich zurückziehen. Meine zerstreuten kritischen Arbeiten erscheinen, durchgeglättet und gefeilt und durch ein Gemälde der jetzigen Literatur eingeleitet, zu Ostern in zwei Bänden. – Behalte lieb Deinen Gutzkow. Versöhne Heller (dies war der andere Redakteur der Didaskalia) und ich meint' es nicht bös' mit ihm.«

Von dem bereits hier erwähnten »spekulativen Werk« erschienen schon in den ersten drei Nummern des neuen Jahrgangs der »Allgemeinen Zeitung« einzelne Abschnitte. Ein jüngerer Historiker vom Fach hat der Arbeit neuerdings eine besondere Betrachtung gewidmet (R. Fester, in der schon angezogenen Schrift: »Eine vergessene Geschichtsphilosophie«), nachdem früher schon der Sozialphilosoph Engels das gleiche gethan. Auch Fester hat unter gewissenhafter Beachtung des ihm zugänglichen Materials den Werth des Buchs für die Biographie des Dichters hervorgehoben. Wenn er aber in der Abschätzung dieses Werthes aus dem Buche eine Abwendung von der »Richtung des jungen Deutschlands« herausliest, so liegt dies daran, daß auch er diese »Richtung«, soweit sie in Gutzkow vorhanden, in Anlehnung an Menzel und nicht nach der Totalität von des Dichters bisheriger Wirksamkeit beurtheilt. Gutzkow war, wie wir sahen, nie Saint-Simonianer, nie hatte er den Zweck des Lebens im bloßen Genuß gesucht. Fester findet das prinzipiell Neue im Buch, daß jetzt im Gegensatz zu früher der Verfasser sage: »Leben ist kein Genuß, Leben ist eine Aufgabe.« Das hatte er schon als Student gesagt und vielleicht hat kein Student des Jahrhunderts diesen Satz so tiefernst erfaßt wie gerade er. Seine Maxime war stets: daß gerade die freie Erfüllung der Aufgaben des Lebens der größte Lebensgenuß sei. Thatsächlich hat das Buch eine ganz andere Bedeutung als die eines Widerrufs; es ist eine wissenschaftliche Darlegung seiner Ueberzeugungen in Bezug auf die großen Probleme des Zusammenhangs von Welt und Gott; es ist ein mannhaftes Einstehen für das Recht des Denkers, über diese Fragen zu grübeln und seine Resultate zu bekennen, gegenüber den Verdächtigungen, die ihn ins Gefängniß gebracht. Und wo er vor innerer Unruhe bisher unklar gewesen war, ringt er nach Klarheit und Unzweideutigkeit, jene Schwäche seiner bisherigen Arbeiten offen bekennend. »Woher sollte (auch) diese Ruhe kommen. Der Pegasus der Literatur von 1830 lernt jetzt erst Manege reiten.« … Wenn irgend etwas seinen guten Willen darthun könne, dem Vaterlande nützlich, wenigstens erfreulich zu sein, so sei es dieser Versuch. »Ich gebe hier meine Grundsätze zwar nicht in einer einfachen Beichte, aber doch in einer deutlich genug sprechenden Anwendung auf erläuternde Beispiele. Irr' ich mich nicht, so muß Wahrheitsliebe der erste Eindruck sein, den die Lektüre macht.« Und wahrhaftig! Diese »Philosophie der That und des Ereignisses« ist die muthige That eines Denkers, widrigen Ereignissen zum Trotz, die dem Leben abgerungene Erkenntniß muthig wie vorher, nur maßvoller, sachlicher zu behaupten. Seine alte Lieblingsidee, daß analog der rastlosen Vorwärtsentwickelung alles Seins, mithin auch unserer Erkenntniß, auch die Vorstellung von Gott sich entwickeln und verändern müsse, daß kein Religionssystem den Glauben an Gott und das Wissen von Gott in unveränderliche Dogmen bannen kann, ist hier in Einklang gebracht mit einer Anschauung, welche den Gott in der Geschichte nicht in dem Muß eines vorausbestimmten Plans, sondern in der Fülle der individuellen Kräfte und deren Freiheit sucht, ihren Willen der natürlichen Beanlagung wie dem göttlichen Ideal einer Harmonie von Schönheit und Tugend gemäß zu bethätigen. Dies Ideal selbst sei Gott. Die Aufgabe der Geschichte, jedes Zeitalters, jedes Menschen sei, sein Wesen zur Erscheinung zu bringen. Nicht Gott in Bildern, in uns selbst ihn darzustellen, ist höchste Kunst des Lebens. Den Gott, der in uns wohnt, aus dem ungewissen Nebel unserer Sinnennatur und dem unklaren Bewußtsein eines in die Materie gebannten Geistes zu befreien, so daß er immer strahlender und deutlicher in seinen Zügen hervortrete, dies sei der höhere Zweck des Lebens der Völker wie der Individuen. Dazu sei allen die Freiheit geworden, die sie innerhalb des ihm von der Natur und ihren Gesetzen gezogenen Kreises entfalten könnten. Er bekämpft darum die philosophischen Geschichtssysteme, welche alle Geschichte nur auf die Nothwendigkeit gründen. Die Philosophie der Geschichte habe mit der That wie mit den Ereignissen zu rechnen. Die That zeige den handelnden, das Ereigniß den leidenden Menschen, beide aber den Menschen in der Autonomie seiner Freiheit. »Die Geschichte hat nur einen Zweck: das ist das Leben. Leben ist kein Genuß, Leben ist eine Aufgabe. Ob wir durch unsere Thaten etwas bewirken, liegt immer auf einem unsicheren Brette. Das Ewige ist nur dies, ob wir recht thaten und Niemand scheuten … Der Zusammenhang, welcher in den objektiven Begebenheiten, die von der Chronik verzeichnet werden, liegt, ist ein relativer; ein Zusammenhang, der unter der Nothwendigkeit der menschlichen Freiheit steht. Die Freiheit ist der große Faktor der Geschichte. Was die Geschichte bringt, ist die gute oder böse Saat unsrer Handlungen. Gott aber schwebt nicht über der That und dem Ereigniß, er lebt in ihnen. Er ist der Trieb zur Harmonie, zur Vervollkommung, er offenbart sich in jedem Fortschritt. Das Christenthum in seiner ursprünglichen Reinheit fordere die Freiheit und den Fortschritt durchaus. Christenthum ist die vollendetste Anregung für Alle zur Tugend, für eine freie Entwickelung unserer Individualität. Freilich nur das Christenthum, das die Bibel an unverdächtigen Stellen lehrt, in jenem Jesus, der höchstens eine Sekte und keine Kirche im Auge hatte, in jenem Mittler, der deshalb den Kreuzestod litt, daß Jeder sich selber Prophet würde.«

Daß er nun selbst die Wahrheit böte, daß er keine Irrthümer und vagen Gleichnisse begehe, fällt ihm nicht ein zu behaupten. Er ist durchdrungen davon, daß nur das Streben nach Wahrheit, nicht die Wahrheit selbst den Menschen in diesen großen Fragen gegönnt ist. Hier haben wir vor allem den Entschluß zu seinem Versuch festzustellen, die Versöhnung mit den gegen ihn aufgeregten weltlichen Gewalten nur auf dem Boden eines offenen Bekenntnisses seiner Ueberzeugung zu suchen. Aus einem Brief an Cotta vom 7. Februar 1836 erfahren wir, daß er diese Arbeit als Manuskript einer Behörde in Berlin unterbreitete. In diesem Entschluß offenbarte er das Heldenhafte seines Charakters. Wie heißt's in seinem »Uriel Acosta«: »Den Priestern widerruf' ich nicht!« Aus den inneren Kämpfen, denen diese Bekenntnißschrift entwuchs, stammt auch dies heldische Wort des später zum tragischen Charakter ausgereiften Helden seiner Jugenddichtung »Der Sadducäer von Amsterdam«. Im Gefängniß zu Mannheim wurde das poetische Element der bedeutendsten seiner Dramendichtungen erlebt. Dem Uriel der Novelle fehlte – wir sahen es –, wie der Judith derselben, der heroische Zug. Dort giebt Vanderstratens Tochter den Zweifler auf, weil sie sich vor seinen Freigeistereien entsetzt, und dieser kennt nach der nutzlosen Schmach des Widerrufs nur den Selbstmord. Diese Gestaltung entsprach seinem eigenen Zustand. Hatte er aber in jener Judith darstellen wollen, daß selbst das edelste Mädchen, wenn es nicht eine bestimmte Höhe der Bildung erreicht habe, nicht im Stande sei, an der Seite eines geistigen Kämpfers als treue Kameradin auszuharren, so wurde er jetzt eines Bessern belehrt. Seine Braut in Frankfurt hielt bei ihm aus, wurde nicht irr an ihm über all den Lästerungen, die an ihr Ohr zischelten, über den Warnungen, die ihr gewiß auch von den Pflegeeltern zu Theil wurden. Als alle Welt ihn verschrie, als langjährige Freunde ihn verleugneten, als er als Sittenverderber und Gotteslästerer im Kerker saß, bewährte sich dieses Mädchens Glauben an ihn treu und fest. Die Frankfurterin Amalie Klönne bewährte in naiver Unbefangenheit die Größe des Charakters, die er an Rosalie so schmerzlich hatte entbehren müssen. Und dieses Verhalten gab ihm selbst auch Muth und Kraft, den Schritten, die er um der Geliebten willen zur Sicherung seiner Zukunft gethan, statt einem Widerruf eine neue bestimmte Aussprache seines Glaubensbekenntnisses folgen zu lassen. Aus dem Zwiespalt zwischen den Pflichten der Ueberzeugung und den Pflichten des Herzens, an welchem auch der Acosta der Tragödie zu Grunde geht, ging er jetzt nach beiden Seiten hin als Sieger hervor, er rettete seinem Herzen die Liebe und seinem Geiste den ungebrochenen Stolz der Ueberzeugungstreue. Im Gefängniß zu Mannheim wurde in dem Buche »Zur Philosophie der Geschichte« schöne That, was in dem weltberühmten Monolog Acostas – 3. Akt, 5. Scene – unvergänglich schönen Ausdruck gewonnen und zu einem Denkmal der eigenen Ueberzeugungstreue geworden ist.

»Ob mir die Wahrheit edler als die Liebe?
Wohl kenn' ich Tausende, die jeden Werth
Der Seele, Adel der Gesinnung, ja
Das Vaterland und ihren Glauben opfern,
Um fortzuräumen, was nur irgend zwischen
Dem ersten Kuß von einem Mund wie Judiths
Und allem läge, was sie selber ehrt.
Ich liebe Judith: doch ich müßte mich verachten,
Wenn wie ein blöder Schäfer aus der Fabel,
Wie ein bebänderter Amynt der Bühne
Ich schmachtete und so in Wachs zerflösse!
Erst glauben und dann widerrufen? Feige
Sich selber einen Meineid schwören? Nein!
Die Ueberzeugung ist des Mannes Ehre,
Ein golden Vließ, das keines Fürsten Hand
Und kein Kapitel um die Brust ihm hängt.
Die Ueberzeugung ist des Kriegers Fahne,
Mit der er – fallend – nie unrühmlich fällt.
Der Aermste selbst, verloren in der Masse,
Erwirbt durch Ueberzeugung sich den Adel,
Ein Wappen, das er selbst zerbricht und schändet,
Wenn er zum Lügner seiner Meinung wird.
Mag auch mir raunen eine Stimm' ins Ohr:
Das Herz ist dir gewisser als der Geist,
Die Liebe täuscht sich nicht wie der Gedanke –
Ich kann nicht anders! Ritterstolz ist das,
Was mir die Sporen in die Seite drückt
Und jede blasse Furcht zum Schweigen bringt.
Hab' ich geirrt, so irrt' ich nur der Wahrheit;
Den Priestern widerruf' ich nicht!«

Und damals, als Menzel im Ton eines althebräischen Propheten seinen Fluch über ihn aussprach, ihn als Abschaum des Lasters und der Frechheit brandmarkte, erlebte er auch die beseligende Wirkung, die er dann in die Worte Judiths bannte, die sie dem Fluch des Oberrabbinen de Santos:

»Nie giebt sich Dir ein liebend Herz des Weibes«
muthvollen Herzens entgegenjauchzt:

»Er wird geliebt! Glaubt besseren Propheten!«

Doch ehe er die künstlerische Freiheit zur Darstellung der poetischen Quintessenz jener kampfdurchschütterten Prüfungszeit gewann, hatte er noch eine lange Zeit mühseligen Ringens auch nach derselben zu durchmessen. Werke der Forschung statt solchen der Dichtung mußten einstweilen für ihn zeugen.

Der Roman » Seraphine«, den er vor der Katastrophe begonnen hatte und an dem er auch im Gefängniß arbeitete, war nicht dazu angethan; hier galt es früheres Erleben dichterisch zu überwinden; aber auch hier handelte es sich um Klärung, um Klärung seiner Ansichten über Liebe und Ehe, um Klärung seiner Ansichten über Zwecke und Ziele des Romans. Er vollzog hier eine Rückkehr zu jener unmittelbaren Schilderungsweise des wirklich Erlebten, wie er sie gleich bei seinen ersten Anläufen als Erzähler, z. B. in der Skizze aus dem Berliner Volksleben »Die Singekränzchen« angeschlagen hatte. Ja, wie wir in dem Kapitel von seinen Berliner Anfängen gezeigt haben, griff er auf dieselben Lebenseindrücke aus früher Studentenzeit zurück, die er in jener Skizze geschildert hatte. Seine neue Verlobung, in der er Frieden suchte und fand aus den Herzenswirren, die er in »Wally« wiedergespiegelt, hatte seinen Blick in ernster Selbstprüfung zurückgewendet auf die verhängnißvolle Unruhe seines Herzens, welches bisher in keiner Neigung ein dauerndes Genüge gefunden, weil der vorlaute Verstand den Gegenstand der Liebe auf seine Vorzüge und Fehler so lange zergliedert hatte, bis die frische Aufwallung des Gefühls der Reue gewichen war. Die Zweifelsucht im Lieben sollte das Motiv des neuen Romans bilden, wie die Zweifelsucht im Glauben das Motiv in »Wally« gewesen war. Seraphine sollte den Halt, den sie von dem Mann ihrer Liebe erwartet hatte, verlieren, weil dieser ihr die eigene Sucht, die Gefühle zu zergliedern, einimpfte und die in ihr selbst zu Tage tretende Skepsis doch als Mangel an Liebe auslegte. Seraphine ist die erste Skizze zu der Lucinde im »Zauberer von Rom«, wie Wally zu Melanie Schlurck in den »Rittern vom Geist«. Am 5. November, noch in Frankfurt, hatte er über das neue Thema an Cotta geschrieben: »Seit einiger Zeit arbeit' ich an dem versprochenen Romane: Seraphine, die Entsagende. Ich erinnere Sie daran, daß dieser Roman weder religiöse noch politische Fragen berührt, sondern ein psychologisches Gemälde ist, welches sich nur damit beschäftigt, die Geheimnisse des Herzens zu offenbaren. Weder eine Emanzipationsfrage, noch sonst etwas von den Theorien des sogenannten jungen Deutschland kommt darin zur Sprache. Nur die Empfindung soll angeregt werden. Vielleicht erregt das zweite Buch das meiste Aufsehen: es wird eine neue ars amandi aus dem Munde der Heldin enthalten, die rein die Mittheilungen eines Mädchens sind, die, nachdem sie den ersten Mann ihrer Meinung nach unglücklich gemacht hat, darüber reflektirt, wie sie ihn behandeln würde, wenn er jetzt zum zweiten Male um sie werben könnte.«

Arthur Stahl ist ein Geistesverwandter Cäsars. Auch er ist ein junger Diplomat, Hülfsarbeiter in einem Ministerium. Seine im vierten Kapitel erzählte Verlobung mit Seraphine, welche zurückgeht, weil sie zu Gunsten ihrer Schwester, die Stahl als die liebenswürdigere erkennt, entsagen will, ist in die Form einer Beichte gekleidet, die der inzwischen zu einem kühlen Skeptiker gereifte junge Regierungsrath der jungen Frau des altersschwachen Ministers von Magnus, zu deren Kurmachern er zählt, erstattet. Die schöne Frau liebt ihn und findet darum diese Beichte höchst langweilig. Den Anlaß zu derselben bot eine Begegnung mit Seraphine, die sie ahnungslos herbeigeführt. Sie ließ sich von Stahl in das Pensionat ihrer Tochter begleiten und in der von allen Mädchen angebeteten Lehrerin erkannte Stahl die frühere Geliebte. Eine eigenthümliche Laune läßt die Ministerin dieselbe in ihr Haus ziehen. Sie soll hier der Erziehung ihres Kindes sich widmen. Ein anderer der Courmacher der Frau Ministerin verliebt sich hier in Seraphine. Auch ihr gefällt derselbe. Und um diesmal sicherer zu gehen, giebt sie sich dem neuen Anbeter nicht so wie sie ist, sondern wie sie glaubt, daß sie den ersten Anbeter gefesselt haben würde. Da der letztere ihre Sentimentalität nicht mochte, unterdrückt sie künstlich ihre Gefühlsweichheit, giebt sie sich skeptischer, realistischer, praktischer als sie ist. Eduard aber hatte gerade sie um des sentimentalen Zuges willen geliebt. Ueber dem Irrthum, ihn nach dem ersten Manne ihrer Neigung zu beurtheilen, verliert sie auch den zweiten Verehrer. Sie wird nach dieser Erfahrung pietistisch und heirathet einen ungeliebten Dritten, unter der Bedingung, daß er, ein Katholik, evangelisch wird. Der Gedanke, sich dem Himmel als ein Opfer darzubringen und der Wahrheit einen neuen Bekenner durch ihren eigenen Schmerz zuzuführen, beseelt sie dabei. Aber er schützt sie nicht vor einer unglücklichen Ehe. Der Dichter läßt sie am Schluß als Friedensstifterin auftreten, da Arthur und Eduard gerade daran sind, sich wegen der Frau Ministerin zu duelliren, deren Mann inzwischen in Irrsinn verfallen ist in Folge der Verwirrung, welche der Zeitgeist in der Welt seiner politischen Begriffe anrichtet.

Auch dieser Roman, in den Gutzkow – als Cotta ihn wegen der auf dem Verfasser lastenden Acht schließlich ablehnen mußte – noch allerhand politische Aktualitäten verwob, z. B. den Typus Joel Jacoby, den Geheimagenten des Ministers Magnus, war – wie Wally – mehr an- und aufregend als erquickend. Der Autor unterlag auch hier wiederum dem Drange nach grellem Farbenauftrag und allzuscharfer Betonung der dialektischen Gegensätze. Das Buch enthält jedoch wahrhaft poetische Episoden und ist namentlich im Anfang mit echt epischer Anschaulichkeit vorgetragen. Die schlimme Eigenschaft von Wally theilte es aber durchaus, daß in ihm die Charakteristik der Personen konstruirt erschien, während sie doch ihre Vorbilder im wirklichen Leben hatten. Ein Rückzug aber aus der Richtung des psychologischen Realismus, der in »Wally« so falsch verstanden worden, war, und dies ist der entscheidende Gesichtspunkt für unsere Betrachtung, auch dieser neue Roman gewiß nicht.

Die reifste Frucht der heilsamen geistigen Sammlung, die Gutzkow im Gefängniß erlebte, war unzweifelhaft sein Buch über Goethe. Um dessen Bedeutung zu schätzen, muß man es freilich nicht vergleichen mit der bis ins Einzelnste lebensvollen Anschauung des Werdens und Wesens von Goethe, die uns das Beste der späteren Goetheliteratur vermittelt hat, sondern mit dem, was bis dahin in Erkenntniß des größten Dichteringeniums unserer Nation geleistet war, im Guten und Schlimmen, in Anerkennung und Tadel, verglichen mit den aphoristischen Bekenntnissen von Bettina und Rahel, Heine, Wienbarg und Laube, mit der Vertheidigung Goethe's durch Immermann gegen den Verfasser der »Falschen Wanderjahre«, mit den Urtheilen, in denen die Nicolai'sche Philistermoral in Gedike's und Biesters Berl. Monatsschrift lange Jahre umging und der patriotisch-moralischen Einseitigkeit eines Görres, Börne, Menzel, wie sie sich noch neuerdings in einem Aufsatz des Ersteren im Morgenblatt, in des zweiten Bettinakritik, in des dritten Rahelkritik in Menzels Literaturblatt ausgesprochen. Man muß sich vergegenwärtigen, daß das Beste in Varnhagens mit sorgsamer Hand zusammengestellter Sammlung »Goethe in den Zeugnissen der Mitlebenden«, eine Vertheidigung war und das Geistreichste, was bisher über Goethe geschrieben worden, eine Anklage. Man muß nachforschen, wie armselig und verständnißlos die ersten Sammlungen von Briefen von und an Goethe in der Presse der Zeit aufgenommen worden sind, wo sich doch der Briefwechsel mit Schiller darunter befand, um den Versuch Gutzkows recht zu würdigen, ein Totalbild des Charakters von Goethe's Genie und der Bedeutung seines Beispiels für alle Zukunft zu entwerfen, ein Bild von plastischer Gedrungenheit, das sich riesenhoch über den ästhetischen Dilettantismus der Franz Horn'schen Zuckerwasser-Aesthetik erhob und für die neue Zeit eine ähnliche That war, wie der Brüder Schlegel Goethekritik für die Zeit der romantischen Schule. Hier wurde zum ersten Male Goethe's poetischer Realismus im Zusammenhang dargestellt mit seinen individuellen Eigenschaften, sein Trieb, den Stoff der Dichtung aus dem eigenen Erleben, die Anregungen dazu aus der »Gelegenheit« zu schöpfen, im Zusammenhang mit dem starken Sinn für das Wirkliche, seiner Freude an der Erkenntniß der natürlichen Thatsachen, dem Verlangen seines Geistes, die Gesetze der Natur zu begreifen, das in seinem Faust dichterisch verherrlicht, in seiner Metamorphose der Pflanzen mit dem Genie des Entdeckers bethätigt worden war. Hier war die vom Gang des Jahrhunderts bestätigte Ueberzeugung mit Wärme verkündet: in dieser Richtung, in welcher die Wirklichkeit vom Genie durchgeistigt wird, liegen alle weiteren großen Dichter- und Denkerthaten des aufsteigenden Jahrhunderts. Und als habe er auch schon die naturalistischen Ausartungen des Realismus vorausgesehen, schöpft er die Lehre aus Goethe's Beispiel, daß die Hingabe des Künstlers an die Wirklichkeit der Natur nie zur sklavischen Nachahmung führen könne; das Genie sei und bleibe der höchste, der schöpferische Ausdruck des Individuellen; die individuelle Auffassung des poetisch Schönen darzustellen, sei und bleibe der erste und letzte Zweck der Dichtkunst; den Stoff biete die Wirklichkeit, die Natur: das geniale Individuum die Idee, das Ideal. Rahels Antheil an dieser Auffassung ist andrerseits nicht zu verkennen.

Das Buch war aus der schon in der Streitschrift gegen Menzel zu frischer Aussprache gelangten Empfindung entstanden, daß Goethe's Genius in diesem Streit auf seiner Seite stände. Wir haben gesehen, wie er sich in seinen Kampfartikeln im Phönix wieder und wieder auf Goethe berief. Jetzt faßte er, nachdem er früher nie über Goethe geschrieben, auch an dem Goethekultus des Zelter'schen und des Varnhagen-Rahel'schen Kreises in Berlin nicht theilgenommen, den Entschluß, was die von Wienbarg und den Frankfurter Eindrücken angeregte, intime Beschäftigung mit Goethe an Urtheilen und Vorstellungen in ihm aufgespeichert, in organischem Zusammenhang darzustellen. Eine äußere Veranlassung, das Erscheinen einer neuen Aufgabe von Goethe's Werken bei Cotta, bot ihm noch Aussicht aus Veröffentlichung der Arbeit in der Allgemeinen Zeitung. Am 2. Januar schrieb er aus dem Gefängniß an diesen: »Wollen Sie, daß ich für Ihre neue Aufgabe der Goethe'schen Werke einen großen und erschöpfenden Artikel über Goethe in die Allgemeine Zeitung schreibe? Mich verlangt's danach und ich weiß, daß ich einem Unternehmen nützen würde, das wenigstens in Süddeutschland durch den von Menzel geschürten Fanatismus mit mannigfachen Hindernissen wird kämpfen müssen. Schon der Titel ›Goethe und der Wendepunkt zweier Jahrhunderte‹ kann Ihnen ungefähr sagen, von welcher Seite ich mein Thema fassen würde … Es versteht sich von selbst, daß ich Goethe nicht als Parteiparole fassen werde, sondern das Wesentliche seiner Poesie, seine Weltanschauung, sein Verhältniß zur Zeit entwickeln, Oder soll ich unter dem obigen Titel die Abhandlung als Buch geben? Oder läßt sie sich für die Zeitung und den weiteren Verkehr zu gleicher Zeit benutzen? Ich bitte, recht schnell mir hierüber Ihre Meinung zu sagen. Die Idee regt mich ungemein auf.« Schon Mitte Januar war dann die erste Hälfte in Kolbs Händen; die a. o. Beilage der Allgem. Zeitung brachte sie in zwei Hälften in den Nummern 27-29 und 32-34. Entzückt schrieb Kolb am 17. Januar an seinen Chef: »Gutzkows Aufsatz über Goethe hat meine ganze Hochachtung vor seinem eminenten Talent erneuert. Sie werden Ihre Freude dran haben.«

Das Buch verfolgt den doppelten Zweck, den großen Dichter »gegen jene Ausstellungen zu vertheidigen, welche in neuerer Zeit aus verschiedenartigsten Interessen gegen ihn gemacht wurden; andern Theils die selbst unter den produktiven literarischen Befähigungen der Gegenwart schwankenden ästhetischen Begriffe zu regeln und eine gemeinsame Verständigung zu befördern«. Der Grundgedanke in beiden Abtheilungen ist, daß in der Zeit kurz vor und nach den Befreiungskriegen, in welcher patriotisch-politische Ideale die führenden wurden, in der Literatur eine Unterschätzung der Kunst bei einseitiger Bevorzugung der Gesinnung einriß, die zu einer künstlerischen Verwilderung geführt, aus welcher Goethe, der nachwirkende Genius Goethe's, zum Führer und Retter berufen sei. Goethe sei ein schöpferisches Genie gewesen, bei welchem in elementarster Weise Gesinnung und Talent in harmonischem Zusammenschluß ins Spiel traten. Daß nicht nationalpolitische, sondern kosmopolitische Ideale beider Bildung beeinflußt, habe dem Charakter der Zeit entsprochen, in der er groß ward. Schiller dagegen sei ein reflektirender Geist mit leicht erregbarem Talent gewesen, dem diese schöpferische Harmonie zwischen Geist und Kunst fehlte und daher die Poesie nicht durch die erste Hand des Geistes, sondern durch die zweite Hand der Gesinnung empfangen habe. Die Nachahmung Schillers und auch Jean Pauls habe dahin geführt, die Darstellung von Gesinnungen an die Stelle der Gestaltung des poetisch Erlebten zu setzen. »Es giebt viele Dichter, welche ihre Nation beglückt haben, wenn sie zur abstrakten Allgemeinheit einer löblichen Idee die positive und konkrete Unterlage eines Faktums suchten. Aber die Größten sind es nicht. Das Genie beginnt mit dem Faktum, und besitzt so viel Kunst und Natur, daß es dasselbe auf die günstigste Weise auch immer unter die Strahlenbrechung der Allgemeinheit bringen kann. Wäre unser Zeitalter nicht in der Nothwendigkeit, sehr viel auf den guten Willen, die Ehrlichkeit und die Tendenz geben zu müssen, und wäre die Bildung dieses Zeitalters weniger rhetorisch, so würde es für die Besonderheit denselben Instinkt haben, den es nur für die Allgemeinheit zu haben scheint; es wird allerdings die Dichtung Schillers heißer lieben dürfen, als die Goethe's, weil Schiller kühn, und Goethe nur weise war; aber es hätte doch niemals das Genie des Letztern gegen das Genie des Ersteren in Abrede stellen dürfen, da in der Literatur wenigstens das Besondere höher steht, als das Allgemeine.« Es ist tragisch zu nennen, wenn man überblickt, was bei Julian Schmidt u. A. von Gutzkows ästhetischem Standpunkt zu lesen ist, wenn man die irrige Nachrede mit diesen klaren Erkenntnißsätzen vergleicht. Auch er hatte, längst vor seinen späteren Gegnern, Goethe's Worte an Schiller über das Verhältniß beider Dichter zum Konkreten und Abstrakten begriffen und beherzigt. Er wiederholt hier diese Sätze und fährt fort: »Wir setzen hinzu: die Initiative der Schiller'schen Dichtung war das Interesse. Er suchte dann für seine Begriffe die persönlichen Spiegelbilder, und Dank seiner Bestimmung! daß er oft die trefflichsten fand. Von einem edlen, feurigen, aber inhaltlosen Instinkte ging er aus, seine glühende Einbildungskraft kam dem suchenden Verlangen zu Hülfe, und gaukelte ihm lange Züge von Gestalten vor, aus denen er wählte, was stark genug war, seine Stärke zu tragen. Je reifer die Anschauung, desto glücklicher die Wahl. So sind Karl Moor und Kabale und Liebe noch Schöpfungen, die, trotz ihrer dämonisch markirten Bestimmtheit, doch unsere Vorstellungen nur an Allgemeines überliefern. Immer mit dem Schluß dieser Dramen stürzt ihre Erfindung zusammen, und der uns packende Rest ist ein unbestimmtes, leeres, schauerliches Mißbehagen an der Gesellschaft, das, weil die Weltkopie in ihnen das Original doch wahrscheinlich nicht treu wiedergiebt, auch nicht einmal Entschlüsse in uns bewirken kann. Wie schnitt Schiller am Stoff des Fiesko herum! Wie schwer wird es ihm vom Mittelpunkte der Thatsache aus, die Thatsache zu sichten und zu ordnen! Posa ist vortrefflich, aber für das Hauptinteresse des Carlos, nur eine Zuthat aus der Allgemeinheit. Ebenso müssen in der Stuart und Jungfrau immer Repräsentationen von allgemeinen Begriffen auftreten. Liebhabereien und Empfindungen, welche das Ereigniß verrücken und die Thatsache nur zum Vehikel beliebiger Vorstellungen zu machen scheinen. Erst Wallenstein und Tell genügen; jener, weil er in der That individuell gehalten ist; dieser, weil in ihm das Allgemeine zufällig mit dem Besondern zusammenfällt. – Ueber Goethe's Dichtungen schwebt niemals der große Schiller'sche Horizont, sondern sie halten das Interesse streng an der Sache, und offenbaren sich mikrokosmisch. Goethe giebt, was das Allgemeine betrifft, immer nur Perspektiven und Fernsichten in sie. Unermeßliche zwar, aber in einem und demselben Kunstwerke oft nach den entgegengesetzten Richtungen hin. Aus der einzelnen Blüthe der Goethe'schen Besonderheit zeigen sich hier alle Gesetze der Pflanzenmetamorphose; an diesen dünnen Staubfädchen wird man dennoch in das innerste Heiligthum des Naturgeheimnisses gezogen; in diesen bunten, schimmernden Farben sprechen sich die himmelanziehenden Gesetze der großen Sonne aus. Ob uns Tasso eine Gefühlswelt, Carlos ein System der Lebensphilosophie, und die Hölle im Faust den ganzen Himmel erschließt, es geht von kleinen zufälligen Punkten aus. Am Schleppkleide der Gelegenheit, wie sie eine Zeitung, ein fliegend Blatt, ein altes Buch darbeut, zieht der Dichter den Triumph der ganzen Erde nach sich. Wenn Schiller einen größeren Umfang zu haben scheint als Goethe, so ist dies, wie Sterne von Nebelringen umgeben sind. Goethe hat diesen Nebelring nicht; dafür ist aber sein Kern strahlender und wirkt besser in der Finsterniß.«

Auch hier sehen wir den jungen Denker mit dem Ausdruck ringen, aber was er zu sagen strebt, dringt auf das Wesentlichste der poetischen Kunst. Der Schwerpunkt seiner Betrachtung ist jedoch seine Erkenntniß, daß die Entstehung des Kunstschönen wie der Genuß der Schönheit psychische Vorgänge sind. Seine Auffassung ist eine naturwissenschaftliche. »Nichts ist schön, das nicht anregt. Schönheit ist ein psychischer Moment, wo Wirkendes und Gewirktes zu einem seligen Genusse zusammenfallen und nichts in unserem Seyn ohne Erschütterung bleibt, selbst der sinnliche Theil nicht.« »Das Schöne ist nichts Absolutes, das nach eigenen Gesetzen konstruirt, regelrecht gefügt, kalt und stumm wie Narziß sich an seinen eigenen Reizen weidete, sondern Sehnsucht, die den Arm verlangend ausstreckt nach einem Auge, in dem sie sich spiegeln, einem Munde, aus dem sie sich selbst verstehen kann … Das Schöne ist Leben, Mittheilung, Aufforderung, es macht den Betrachtenden selbst zum Künstler … Dies Gebäude, Gemälde, Gedicht ist eine Täuschung; hier wetteifert die Kunst mit der Wirklichkeit, und sagen werden wir: das ist schön! wenn wir jenen Koinzidenzpunkt fassen können, wo das Mechanische plötzlich Organismus zu sein scheint, wo uns die Illusion wie lebendig ins Auge blickt und die fortwährende ästhetische Ueberraschung gleichsam macht, daß uns die Stifte des Kunstwerkes, die Theile einer Sache, die ja nur eine Vorstellung ist, zusammenzufallen scheinen und wir hinzuspringen, nachzubilden, nachzuschaffen und das zu suchen, was, Dank den Göttern! noch nicht verloren ist.« So wirke die Schönheit in Goethe's Werken. So werde er sich den Jahrhunderten erhalten. »Die Guten, Reifen und Gebildeten werden immerdar von seinen Zauberschöpfungen gezündet werden und durch sie den in jedes Menschen Brust schlummernden Poeten in sich wecken. Die Produktionen erhalten sich wie ein Saatkorn, das, auf hunderterlei Acker fallend, der Nachwelt blühende Gefilde und reiche Herbste sichert. Und leben in seinen Werken, sichert noch vor'm Tode nicht; aber in seinen Werken zeugen – das ist der Prüfstein.«

Der zweite Theil (Abschnitt III u. IV) des Werkes, die Beantwortung der Frage, was im besondern der literarischen Jugend der Zeit das Beispiel Goethe's lehre, geht von der Darlegung des Verhältnisses aus, in welchem der Dichter jeweils zu seiner eigenen Zeit, zur Nation, der Mitwelt stand. Er zeigt den starken Antheil Goethe's, den er an den Zuständen der Wirklichkeit genommen, als seine Kunst sich als Wirklichkeitspoesie glänzend entfaltete, und wie er, je mehr er sich den allgemeinen Interessen entfremdete, zum Eklektiker wurde, zum formalen Künstler, dem das Dichten nur noch ein Akt der Selbstgenüge war. Er zeigt aber auch, daß Goethe sich selbst in jener Blüthezeit nicht von den Tendenzen der Zeit, den Systemen der Philosophie beherrschen ließ, sondern, soweit das Lebendige daran ihn ansprach, sie beherrschte, indem er dieses als Stoff nahm, in voller Wahrung seiner individuellen Eigenart und seines künstlerischen Genies. Darin bestand seine Aneignungs- und seine Ablehnungssucht, die seine Gegner als Egoismus verschrieen haben, die aber nur natürliche Aeußerungen seines besonderen Genies waren. Um diesem die Freiheit zu retten, isolirte er sich mehr und mehr von der Nation, die ihn darum wieder der Untreue zieh. So gerieth er im Wendepunkt zweier Jahrhunderte in offenen Konflikt mit einer neuen Zeit, die von dem größten Dichter der Nation Aussprache und Verherrlichung ihrer Tendenzen und ihrer Ideale verlangte. »Wüßten wir nicht, daß das 19. Jahrhundert um so viel poetischer ist als das 18. prosaisch war, so würden wir nicht begreifen, wie in so kurzer Zeit sich alle Gesichtspunkte der Literatur umwerfen konnten. Früher hielt man es für genialisch, der Zeit auf den Fuß zu treten, ihr den Sand aus dem Stundenglase zu verschütten, sie zu ignoriren im gelindesten Falle; jetzt dagegen wird für die Weihe des Genius gehalten, die Freundschaft der Zeit besitzen, ihr Jünger, Vertrauter, ihr Herold und Apostel sein. Goethe hatte sowohl für seine Beurtheilung, wie für den ganzen Charakter seiner Poesie das Unglück, unter diesem Wendepunkte zu leben … Aus den historischen Widersprüchen, in welche aus jenem Wendepunkte die ausgezeichnetsten Befähigungen in der deutschen Geisteswelt verstrickt wurden, schreibt sich der unbehagliche Eindruck her, den noch heute die deutsche Literaturbetrachtung erzeugt, wie wir selbst an den glänzendsten Entfaltungen deutscher Wissenschaftsbestrebungen niemals eine recht lachende nationale Augenweide gehabt haben. Wenn uns noch immer die Zwiespältigkeit der Meinungen überall anfällt, wenn die Lust an dem Einen durch die gehässige Polemik des Andern vergällt wird und zuletzt die Nation von den Ideen selbst zwar sehr viel Ehre, aber sehr wenig Vortheil zieht, so ist es, weil sich unsere glorreichsten Bestrebungen gewöhnlich in dem Charakter der Zeit irrten und von einer Masse, die sie kalt von sich wies, eine mit den Umständen disharmonirende Hingebung verlangten. Jene schreiende Dissonanz, als die Kunst und die Geschichte so feindselig zusammentrafen, verwirrte zuerst die Kunst selbst, erzeugte jene Haarspaltungen der ästhetischen Tendenzen und künstlerischen Theoreme, welche besonders in Goethe's und Schillers Briefwechsel sich in einem fortwährenden Zirkel bewegen, lähmte darauf die schöpferische Produktivität unseres größten Dichters, der in einer so unruhigen Zeit, um nicht fortgerafft zu werden, sich entschließen mußte, sich in sich zurückzuziehen und in sich den Dichter nur zu einem Theile des Menschen zu machen. Noch immer hallt diese Dissonanz in unseren Zuständen fort und es wird lange währen, ehe wir aus diesen widersprechenden Thatsachen sowohl die richtigen Urtheile, wie die weiseren Entschlüsse gezogen haben.« In die Verwirrung Klarheit zu bringen, habe die Philosophie gesucht, aber sie habe dem geistigen Leben der Nation keine frischen Quellen geöffnet, sondern es vielmehr seit Kant und Fichte der Wirklichkeit und den wahren Lebensinteressen entfremdet. Das erste Drittel des neuen Jahrhunderts sei verronnen. Nie habe eine Zeit so viel Fragen aufgeworfen, ohne sie zu erledigen, wie die unsere. Die allgemeine Aufklärung habe die Theilnahme großer Volkskreise diesen Fragen zugeführt, aber auch die Begriffsverwirrung vermehrt. Die kriegerischen Ereignisse, welche die neuen Interessen und Ideen weckten, hätten auch in die geistigen Kämpfe eine kriegerische Spannung gebracht. Auch in die Literatur. Denn die Literatur sei die Zuflucht geworden für die Hoffnungen und Interessen, die eigentlich der Staat zu befriedigen habe. In Zeiten der Tyrannei suche man in der Poesie die Garantie seiner natürlichen Freiheit. Die Strahlungen der Ueberzeugung und des freien Gedankens fänden dann in der Literatur ein Medium, das ihr Licht in das milde Farbenspiel einer gebrochenen Reflexion leitet, welches eher Duldung findet. Aber die Klarheit über Wesen und Zwecke der Dichtkunst habe auch dies nicht vermehrt. Da sei Goethe mit seiner gesunden und klaren Weltbetrachtung der beste Helfer. Sein Beispiel und die Weisheit, die er verkündet, lehre: Befreiet euer Denken vom System und den dogmatischen Formen. Laßt auch den Irrthum sich ausleben, wenn er nur die Wahrheit des Individuums und die Schönheit der Form hat. Nur diejenige Wahrheit ist schön, welche eine individuelle ist. Die Tendenz ist lobenswerth; aber ihren Gedanken, blos als den Gedanken der Allgemeinheit, wird entweder die Wahrheit oder die Schönheit mangeln. Aus Goethe's Geist heraus ließe sich auch weiter sagen: die Tendenz ist kein Spiel, sie muß siegen oder besiegt werden, weil sie auf Interessen beruht, aber in diesem Jahrhundert entscheidet sich erst die eine Frage, ob die Literatur sich ans. den Interessen erheben und eine selbst bezweckte Stellung behaupten kann, oder ob sie fortfahren wird, mit den Interessen verwechselt, zu werden und mit einer ferneren Unmöglichkeit ihrer selbst enden wird? Ueber Goethe hinaus schreiten könne die Literatur nach einer Richtung. Während bei ihm die Poesie der Abschluß einer Stimmung war, die er durch ihre Gestaltung ausgab, gelte es jene andere innere Triebkraft auszubilden, »die den Menschen immer aus seinem Gleichgewichte herauszuheben sucht und ihn mit Aufopferung des genossenen Momentes auf immer höhere Stufen und Terrassen der Zukunft hebt.« Doch wie sich diese Frage auch lösen mag, die Freude und Genüge an dem unsterblichen Theile des Dichters dürfe sie nicht verkümmern. An seinen Werken solle sich die jüngere Generation schaffender Geister bilden; kein Mittel, das so völlig die Nebel des Augenblicks zertheilte, kein Fahrzeug, das so sicher über die wogenden Fluthen widersprechender Begriffe hinübersetzte! Die Zeit jener Tendenz könne beginnen – damit schließt er – wenn die Talente für sie erstarkt seien; dann könne man anfangen, wieder aus Schillers Beispiel zurückzugreifen.

Dies ästhetische Glaubensbekenntnis) des Gefangenen erschien als besonderes Buch noch im Mai in Berlin, Verlag der Plahn'schen Buchhandlung, nachdem es die vom König besonders eingesetzte Zensur für die Autoren des Jungen Deutschlands passirt hatte. Die Vorrede trägt die Angabe: Frankfurt, im April 1836.

*

Aus solchen Ideenkreisen heraus war der Verfasser am 12. Januar mit gehobenem Muthe aus seinem Kerker vor seine Richter getreten, um die Vertheidigung seiner Sache selbst zu führen. Die Rede, welche auf das Hofgericht einen sehr starken und günstigen Eindruck machte, ist uns nicht erhalten geblieben. Doch hat uns ein Augen- und Ohrenzeuge der Verhandlung, der Mitangeklagte Buchhändler Dr. Löwenthal-Löning mündlich darüber berichtet. Gutzkow sprach über eine Stunde. Lebhaft, pathetisch und doch natürlich. Er besprach seine Angelegenheit nach allgemeinen Gesichtspunkten im Sinne des Paulus'schen Sendschreibens, besprach die »Wally« im Zusammenhang mit seinem gesammten literarischen Streben. Verwies auf Wieland, Schiller, Lessing, in freier Rede wirksame Zitate gegen die Vergewaltigung des freien Worts zur Geltung bringend. Die meist bejahrten und einer konservativen Richtung huldigenden Hofgerichtsräthe waren ursprünglich sehr gegen ihn eingenommen. Menzel hatte in seinem Blatte wenig Tage vor der Verhandlung noch einen Artikel gegen ihn gebracht, um auf die Richter zu wirken. Die öffentliche Stimmung war sehr aufgeregt. Auch im Volke. Als die gutmüthige Frau des Gefängnißwärters eines Abends den Dr. Löwenthal nach einem Besuch desselben bei dem Freunde zum Thore geleitete, blieb sie kopfschüttelnd auf der Stiege stehen: »'s ist doch nicht zu glaube, wie die Leut von em rede, ist's denn wahr, daß er gesagt hat, unser Herrgott wär' ein Nebekind?« Nebenkind nennen die Pfälzer einen Bankert. Es war daher ein großer Erfolg, daß der Spruch des Gerichts so milde ausfiel. Das Urtheil, das sich bei den Akten und abgedruckt in der zweiten Schrift des Kirchenraths Paulus befindet, zeugt von peinlicher Gewissenhaftigkeit der Abwägung. Wir beschränken uns hier auf Wiedergabe des Schlusses:

»Aus diesen Gründen wird nach Vorlesung der Anklageschrift und Anhörung des Großh. Staatsanwaltes, sowie der Vertheidigung der Angeklagten und ihrer Anwälte hiermit zu Recht erkannt: daß die gegen Dr. Löwenthal wegen Verlegung des Romans ›Wally, die Zweiflerin‹ gerichtete Anklage gänzlich, und die Anklage gegen Dr. Carl Gutzkow wegen Gotteslästerung und wegen Darstellung unzüchtiger Gegenstände ebenfalls zu verwerfen, daß dagegen Dr. Gutzkow der durch die Presse begangenen verächtlichen Darstellung des Glaubens der christlichen Religionsgesellschaften für schuldig zu erklären und deswegen zu Erstehung einer Gefängnißstrafe von vier Wochen zu verurtheilen, auch die mit Beschlag belegten, gleich den in inländischen Buchhandlungen noch vorräthigen Exemplaren des Romans ›Wally‹ zu vernichten, endlich aber die Kosten zu ?tel der Großh. Staatskasse und zu ?tel dem Dr. Gutzkow zuzuscheiden seyen.

V. R. W.

So geschehen Mannheim, den 12ten Januar 1836.

Großherzoglich Badisches Hofgericht.

Freiherr von Stengel.           (L. S)           Brunner./Baumüller.«

Die ihm durch dieses maßvolle Urtheil weiter zudiktirten vier Wochen Gefängnißhaft verbrachte er in friedevoller Stimmung bei fruchtbarster Thätigkeit. Ganz im Gegensatz zu Paulus, der eine Appellation an die höchste Instanz wünschte, weil er sicher glaubte, daß sie eine völlige Freisprechung herbeiführen würde, war ihm selbst für den Preis dieser Hoffnung jede Fortsetzung des Prozesses ein peinigender Gedanke. Er hatte Arbeit die Fülle für diese vier Wochen und sehnte sich nur noch nach Ruhe, um sie zu vollenden und dann auf dem Boden des neu Geleisteten in die Freiheit zu treten. Als daher der Staatsanwalt Rekurs gegen das Urtheil des Hofgerichts erhob, wandte der Gefangene sich an den Minister Winter in einem Gesuch mit der dringenden Bitte, ihm eine Erneuerung der quälenden Verhöre zu ersparen. Es geschah dies in jenem bereits erwähnten Brief vom 15. Januar. Gegen die in Antrag gebrachte Zuchthausstrafe sei das Erkenntniß des Hofgerichts mild, gegen das aber, was als wirklich verbrecherisch ihm nachgewiesen worden, streng genug. Dennoch habe der Herr Staatsanwalt Rekurs erhoben und von der Entscheidung des Ministers sei jetzt abhängig, ob er noch einmal zum Spielball der juristischen Debatte werden müsse. »Ich habe die trübe Zeit, welche ich bis jetzt im Gefängniß zugebracht habe, mir für meine Zukunft redlichst zu Nutze gemacht, mich und meine Kräfte geprüft, in alten klassischen Werken Belehrung gesucht und zugleich Trost gefunden … Die weitere Strafe benutz' ich gern zur Fortsetzung mancherley begonnener Studien; ich bin heiter und zufrieden gestimmt; denn was mich ermuntert, ist, daß ich endlich einen Schluß dieser trüben Lage sehe und ich hoffen kann, meinen bekümmerten Angehörigen endlich wiedergegeben zu werden.« … Die Bitte, welche am Schluß an des Ministers Versprechen erinnerte, ihm, wo es möglich sei, Schutz gewähren zu wollen, erreichte ihr Ziel. Wenigstens gab Winter den Brief zu den Akten und der Staatsanwalt verzichtete danach aus den Rekurs, was dem Gefangenen am 4. Februar mitgetheilt wurde. Am 10. wurde er entlassen, nach der Anzeige des Amtschirurgen in krankem Zustand. Der Freigelassene erhielt die Weisung, sich, sobald es seine Gesundheitsumstände erlauben würden, von Mannheim weg und über die Grenze zu begeben.

Daß er trotz des angegriffenen Gesundheitszustands voll gehobener Stimmung und ohne Ahnung des ihn erwartenden Schicksals in die Freiheit zurückkehrte, zeigt uns u. A. jener Brief an Cotta, den er kurz vor Verlassen seines Kerkers schrieb. »Wenn man den Nachrichten der Zeitungen trauen kann, so mildern sich die Maßregeln gegen die Geächteten. Preußen sucht sich auf einen ehrenvollen Rückzug vorzubereiten. Die geheimen Motive dieser Aenderung decken sich gewiß bald auf; ich selbst habe einigen Antheil daran. Denn ein Manuskript von mir (dasselbe, aus welchem die Allgem. Zeitung Auszüge lieferte) zirkulirt zwischen Halle, Magdeburg und Berlin und scheint denn doch die Annahme zu unterstützen, daß eine gänzliche Abolition qua Autor und für alle Zukunft, ein – nicht einmal Justiz-, sondern Polizeimord ist.« Dies Manuskript – »Zur Philosophie der Geschichte«, in welchem er sich aufs neue offen als Demokraten und Gegner alles dogmatischen Kirchenthums bekannt hatte, fand aber durchaus nicht das Maß von Gnade in den Augen der maßgebenden Instanzen, das er für möglich hielt. Auch seine Darlegungen, daß die von ihm vertretene Literaturrichtung darauf ausgehe, die Dichtung über die Debatten der Tageskämpfe zu heben, fand keine Beachtung. In einer Zeit, wo das »Berliner politische Wochenblatt« schon die konstitutionelle Monarchie für einen »Rückfall in den Paganismus« erklärte, »dessen Prinzipien Betrug, Mord und Unzucht seien, wie das Attentat Fieschi's beweise,« verlangte man in Berlin ganz andere Bußbezeugung. Dazu verstand er sich aber auch jetzt, trotz aller Bedrängnisse nicht und doch empfand er es als heilige Verpflichtung, seiner zu gründenden Ehe so bald als möglich die Unterlage eines geregelten Einkommens zu gewinnen. Im Dienst der Journalistik durfte er hoffen, am schnellsten sein Ziel zu erreichen; doch die ehrenvollste Gelegenheit dazu, die Mitarbeiterschaft an der Allgem. Zeitung sah er sich plötzlich verlegt. Die Mission des Gesandten von Rochow in Stuttgart begann ihre Wirkung zu thun. Daß der Verfasser der »Wally« immer noch, wenn auch anonym Beiträge in das Augsburger Blatt lieferte, konnte diesem nicht entgangen sein. Die Abschnitte aus der »Philosophie der That« und dem Goethebuch verleugneten zu wenig diese Herkunft. Cotta und Kolb waren beim besten Willen nicht mehr im Stande, Gutzkow, selbst als ungenannten Mitarbeiter, zu halten. Das Ministerium Rochow, dessen Leitung an Stelle des erkrankten Chefs Geheimrath Tzschoppe ausübte, dachte an keinen Rückzug. »Seraphine« hatte keinen Verleger mehr. Nur mit Mühe war Campe zu bewegen, der »Geschichtsphilosophie« schon jetzt seinen Verlag zu öffnen. Vergeblich bemühte sich der geächtete Schriftsteller um die vakante Redakteurstelle am Frankfurter Konversationsblatt, die statt seiner ein gewisser Schuster, ein ultramontaner Preßagent, durch den Einfluß des Grafen Münch erhielt. Auf der einen Seite war ihm also der Weg von der Furcht der Verleger vor der Anrüchigkeit seiner Feder verlegt, auf der anderen, wo Regierungsfaktoren mit zu reden hatten, durch seine spröde Zurückhaltung in Zugeständnissen.

Doch – trotz alledem – fand er sein Lebensschiff bald wieder flott. Kolb in Augsburg ersuchte ihn im Einverständniß mit Cotta, statt seiner für dieses Jahr den größeren Theil des Historischen Taschenbuchs zu übernehmen, und er schrieb für dieses eine 20 Bogen starke Abhandlung über »das westliche Europa im Jahre 1834«; Lewald eröffnete ihm seine »Europa« für literarische Uebersichten; für eine Sammlung seiner bisherigen kritischen Aufsätze, soweit sie nicht bereits in den » Soireen« bei Sauerländer erschienen, aber freilich sofort verboten waren, fand er in dem Stuttgarter Balz einen Verleger und die » Beiträge zur Geschichte der neuesten Literatur« wurden ganz gut honorirt. Als ihm dann Frankfurter Freunde, darunter Wilh. Speyer und wohl auch der Pflegevater seiner Frau, die Mittel für ein eigenes Blatt verschafften, das vom 1. Juli 1836 an als Frankfurter Börsenzeitung erschien, da hatte er den Muth, auf dem schwanken Boden dieses Unternehmens die ersehnte Ehe zu begründen: um dieselbe Zeit feierte er seine Hochzeit. Die Trauung brachte ihm eine Demüthigung; der Pfarrer Meidinger in Rödelheim, ein Vetter seiner Frau, ließ sich die Gelegenheit zu einem Triumph der Kirche über einen ihrer Widersacher nicht entgehen. Sonst fehlte es dem Tage nicht an festlichem Glanz, an Segen der Freundschaft und dem stillen Glück echter Liebe, aber hinter dem jungen Paar zog düsteren Blicks Frau Sorge mit ein in den einfachen kleinen Haushalt am Wall, und während er noch vor anderthalb Jahren, um seiner Muse die Freiheit zu retten, die glänzende Stelle ausgeschlagen hatte, die ihm Cotta an der verbreitetsten und angesehensten Zeitung Deutschlands geboten, mußte er jetzt alle Mühseligkeiten der Herstellung eines unbemittelten Blattes, das über keine auswärtigen Mitarbeiter verfügte, in harter Frohnarbeit auf sich nehmen, um die Kosten des jungen Haushalts zu decken. Während er in seinen beiden Gefängnißbüchern es wiederholt ausgesprochen, das Heil der Literatur liege in einer zielbewußten Trennung der Journalistik von der Dichtkunst, der politischen Erörterung von der poetischen Gestaltung, sah er sich gezwungen, zunächst alles rein poetische Schaffen als ein Vorrecht der Bessergestellten aufzugeben und mit Beurmann zusammen der erschöpfenden Arbeit in der Redaktion der Börsenzeitung mit ihrem Beiblatte »T elegraph für Deutschland« Tag für Tag obzuliegen. Das wäre an sich kein Unglück gewesen bei seinem lebhaften Interesse für alle Tagesfragen, seiner journalistischen Befähigung und dem Bedürfniß, sich kritisch zu bethätigen, wenn er den hohen Beruf der öffentlichen Tageskritik hätte frei ausüben können. So aber mußte er unter dem Druck doppelter Zensur schreiben; auch Minister Nagler hielt sich das Blatt Zwecks geheimer Kontrole. Er empfand die Arbeit als Zwang und wurde ihrer nicht froh; das Gefühl davon trübte ihm auch das Glück der jungen Ehe, der es bei der jugendlichen Frische und heiteren Sinnesart seiner Frau, die ihm am 28. April den ersten Knaben gebar, an beglückenden Reizen nicht fehlte. Ein gelegentlicher Ausflug – wie der nach Mainz zum Gutenbergfest – war eine Ausspannung, die ihm den inneren Zwiespalt, aber auch sein häusliches Glück, klar zum Bewußtsein brachte. Ein Gutenbergfest in dem Mainz jener Tage, in dessen Kassematten jugendliche Märtyrer des Kampfes für freie Schrift und freie Rede schmachteten, unter Betheiligung von Schriftstellern und Dichtern, denen ein Wort zu Ehren der Preßfreiheit als Staatsverbrechen ausgelegt worden wäre – dreihundert Jahre nach dem Geburtstag des Mannes, der das Fortschrittswort Fiat lux! zum Wappenspruch der Buchdruckerkunst erhoben: mit welchen gespaltenen Empfindungen mußte dies Fest von Gutzkow und seinen Freunden, unter denen sich Heinr. König und G. Rießer befanden, begangen werden! Aus solchem Ausflug kam ihm dann wohl der Gedanke, ob er nicht als verfehmter Schriftsteller weit besser daran sein würde, wenn er, wie einst Heine und Börne, nach Paris oder nach England ginge, zumal nachdem ihm auch Cotta dazu gerathen und reiche lohnende Beschäftigung für seine Blätter in Aussicht gestellt hatte. Aber hierzu wieder konnte sich seine Frau nicht entschließen und allein? – das durfte er ihr nicht anthun.

Ein poetisches Tagebuchblatt hat uns solche Stimmung verewigt.

»So hab' ich einen kurzen Augenblick,
Mich aus dem Wirrwarr wieder selbst zurück!
Der Frühling will hervor; ich kann nicht weilen,
Muß seine Blüthen einzuholen eilen.

Und wie ein Vogel, dem von seiner Haft
Ein blindes Ungefähr Erlösung schafft,
Und der nicht weiß, darf er dem Dinge trauen
Und auf die Freiheit seiner Flügel bauen –

So blick' ich in die freie Welt hinaus,
Ließ Frau und Kind daheim im kleinen Haus,
Und sinne finster nach, wie jenen Bergen,
Ich möcht' entfliehn, die meiner Freiheit Schergen.

Vom Frankenlande weht ein Lüftchen her,
Des Rheines Welle eilt behend ins Meer, –
Die Hand rasch an die Brust, ein wildes Streiten
Tobt drinnen von den Geistern alter Zeiten!

Doch wie die Welle so vorüber rauscht,
Wie oben Wolke sich mit Wolke tauscht,
So fühl' ich wohl, daß ich im Banne liege,
Und nicht mehr weit von meinem Neste fliege.

Es ist ein Zauber, der mich wie Magnet,
Je mehr ich geh', je mehr im Kreise dreht,
So daß ich wohl – nach einer Urlaubswoche
An meines Käfigs Fenster wieder poche.«

Aber noch in anderer Beziehung war dieses Verwiesensein auf die Frohnarbeit neben dem Triebrad der Presse verhängnißvoll.

Die neue Gewöhnung brachte ihn, da sein poetisches Talent sich doch nicht ganz unterdrücken ließ, auch wieder zur Aufnahme jener Mischgattung, von welcher er sich bereits glücklich emanzipirt hatte. Der vor zwei Jahren von Liesching angeregte Plan der »Säkularbilder«, den er nach Verdrießlichkeiten, in die er mit Cotta darüber gekommen, dann über lockenderen Aufgaben hatte liegen lassen, nahm jetzt unter dem Drucke der Acht eine neue Gestalt an: er beschloß, nach dem von Bulwer in » England and the English« gegebenen Beispiel, seine Urtheile und Meinungen über die Hauptströmungen im Leben der Gegenwart in Schilderungen von typischen Persönlichkeiten zu verdichten und dieses Werk unter Bulwers Namen in die Welt zu senden. Bulwers Name war Mode; der seine verpönt; Bulwers Art konnte er in Aeußerlichkeiten nachahmen, ohne die seine aufzugeben. Er brauchte Geld. Die Börsenzeitung, deren Vertrieb der Buchhändler Streng übernommen, brachte nichts ein, sondern kostete nur noch Opfer. Das Hauptblatt ging mit Anfang 1837 ein; der » Telegraph« wurde jetzt zu einem selbständigen Blatte erhoben, das Anfangs W. Speyer, dann Beurmann als Redakteur zeichneten: Gutzkows Name durfte auch als Redakteur nicht genannt werden. Hierdurch gewann er Zeit, das neue Buch »Bulwers Zeitgenossen, ihre Tendenzen, ihre Schicksale, ihre großen Charaktere« rasch hintereinander zu schreiben. Es erschien im »Verlag der Klassiker« in Stuttgart und zwar nach englischer Manier zunächst in Lieferungen. Da aber sehr bald ruchbar ward, wer der Bulwer dieser »Zeitgenossen« war, hatte auch dieser Versuch, das Ohr des Publikums sich zu sichern, mit Verboten zu kämpfen. Eine Fülle von Talent und Wissen ward an das Buch verschwendet, das nicht zur entsprechenden und erhofften Wirkung gelangte, auch dann nicht, als es später unter dem Titel »Säkularbilder« als 8. Band der »Gesammelten Werke« erschien. So geistreich die allgemeinen Analysen der Zeitströmungen sind, mit denen jedes der 12 Kapitel: »Der Mensch des 19. Jahrhunderts«, »Die neue Welt«, »Die Mode und das Moderne«, »Das Leben im Staat«, »Die Erziehung«, »Sitte und Sitten«, »Religion und Christenthum«, »Kunst und Literatur« &c. eingeleitet wird, und so treffend und bezugreich einzelne der satirisch gezeichneten Typen sind, die von jenen eingeführt werden, so störend wirkt auf uns heute die Conglomerat-Mischform. Damals, als diese Mischung von Erörterung und Charakterzeichnung noch Mode war, schadete dem Buch, daß hier scheinbar weder der echte Bulwer, noch der echte Gutzkow zu finden war; heute fehlt dem Leser das rechte Verständniß für viele der feineren Bezüge der Satire und der unruhige Wechsel in der Stimmung und der Darstellungsweise widerstrebt dem Geschmacke. Dieselben Gründe, welche die satirischen Kapitel von Immermanns »Münchhausen« jetzt für so Viele unverdaulich machen, die von der einzig schönen Oberhof-Idylle in dem Roman aufs höchste entzückt sind, fallen auch hier in Betracht. Ein großer Unterschied besteht freilich, abgesehen davon, daß Gutzkows Buch eigentliche Poesie überhaupt nicht bot, zwischen Immermanns und seiner Zeitsatire. Bei Immermann wurzelt sie, wie in den »Epigonen«, in einer bitteren Verzweiflung an der Gegenwart; bei Gutzkow in einem unverwüstlichen Glauben an die Zukunft. Er schildert die Zeit als Epoche des Uebergangs, deren Aufgabe es ist, die Resultate der großen Revolutionen an der Wende einer neuen Zeit auf gesetzmäßige Weise zu sichern. Ihr Liberalismus wird aufgefaßt als die gesteigerte Philanthropie des vorigen Jahrhunderts unter politischen Gesichtspunkten. Alle Errungenschaften der modernen Zeit, die Eisenbahnen, der Industrialismus, das Zeitungswesen u. s. w. werden in ihrer Unzulänglichkeit zwar satirisch beleuchtet, aber doch auch dargestellt als Mittel des Fortschritts zu besseren Zuständen. So wird der Hinweis auf die Zukunft zur Mahnung, sich mit der Gegenwart zu versöhnen, sofern sie nur dem organischen Fortschritt sich zuneigt. Jedenfalls ist das Buch die umfassendste Kodifizirung von Gutzkows bisher errungener Welt- und Zeitanschauung und schon deshalb von bleibender Wichtigkeit. Hätte es die breite Wirkung damals ausgeübt, um derentwillen er es geschrieben, so würde es sehr wesentlich die Entwickelung unserer Geschichte in der Richtung gefördert haben, die sie thatsächlich genommen. Aber er war ja ein Geächteter, ein Verfehmter. Und die einzelnen bedeutenden Männer, die sich das Buch zu eigen machten und in Privatkreisen rühmten – öffentlich durfte es ja nicht besprochen werden – waren ja selber dem herrschenden System gegenüber machtlos. Daß solche Befruchtung stattgefunden, wie sie später auch der Historiker Oppermann, Verfasser der »Hundert Jahre«, bezeugt hat, dafür nur ein Beispiel, entnommen einem Briefe von Karl Rosenkranz, dem Königsberger Philosophen, von dessen Interesse für Gutzkow schon das vorige Kapitel erzählt hat. »Unserm Oberpräsidenten,« schrieb dieser im Oktober 1837, »Herrn v. Schön, habe ich die Zeitgenossen mitgetheilt und er verschlingt sie. Freilich muß man den höheren Staatsbeamten oft sagen, was sie lesen sollen, da die Geschäfte, das Repräsentiren, die Gesellschaften, so viel Zeit nehmen, daß für die Literatur blutwenig übrig bleibt. Doch ist Herr v. Schön, aus der alten Kant-Fichte'schen Zeit, gern bereit, Neues in sich aufzunehmen. Auch Ihre öffentlichen Charaktere hat er mit dem größten Antheil gelesen.« Wir haben im nächsten Kapitel daran zu erinnern, welche Mission dieser liberale Staatsmann dann im Jahre des preußischen Thronwechsels ausgeübt hat. Wie so vielfach auf Gutzkows Aufklärungswirken ist in besonderem auf diese »Zeitgenossen« der Ausspruch anwendbar, der sich in ihrem 4. Kapitel findet: »Was heute die Meinung Aller ist, war vor zehn Jahren die Philosophie einiger Wenigen.« Und in Bezug auf gar Vieles läßt sich der Satz dahin ergänzen, daß der Verfasser in jener Zeit der einzige war, der noch wagte, dergleichen Ueberzeugungen von Deutschlands Zukunft öffentlich auszusprechen.

Daß des rastlos vorwärtsstrebenden Autors Geist und Charakter, sein Wollen und sein Leisten aber doch im Geheimen gerade unter den Begabtesten und Besten der Nation stille Anerkennung fand, dafür wurde in diesen und den nächsten Jahren noch manch' anderer Brief ein Zeugniß, der dem Verfehmten zum Trost und Ansporn gereichte. Und mancher von ihnen hätte das Motto verdient, das der eben genannte Rosenkranz thatsächlich einem der seinen gab: » Nikodemus kam in der Nacht zum Herrn«, mit dem Hinweis auf das eigenthümliche Verhältniß eines vom Staat abhängigen Professors zu einem von demselben Staat verfolgten Dichter. Namentlich sein Goethebuch trug ihm viel solchen stillen Beifall ein und bewirkte, daß, als Anfang 1838 Hoffmann und Campe in Hamburg den Verlag des » Telegraph« übernahmen und nun die Zeitschrift in größerem Stile vertrieben wurde, eine Schaar der Besten unter Deutschlands Dichtern und Denkern, namentlich junge Talente, sich vertrauensvoll um seine Fahne schaarten. Und auf diese Fahne schrieb er aufs neue das gefährliche Wort »Das junge Deutschland«, dem jetzt die Weihe erduldeten Märtyrthums eine weite Kreise der deutschen Jugend bezaubernde Macht verlieh. Oeffentlichen Ausdruck hatte dieses Vertrauen, wenn auch ohne Nennung seines Namens, bereits vorher in einer besonderen Schrift gefunden, welche einen jüngeren Literaturforscher in Königsberg, Alexander Jung, zum Verfasser hatte und als » Briefe über die neueste Literatur« bei Hoffmann und Campe in Hamburg erschien. Der Hauptabschnitt des Buches hatte die Aufschrift »Fragmente über den Ungenannten«; in ihm wurde Gutzkows bisherige Entwickelung – freilich ohne ihn zu nennen – mit eben so viel Verständniß wie Sympathie besprochen. Seine Irrthümer, Uebertreibungen, Fehlgriffe wurden nicht verschwiegen, aber hinzugefügt, daß es Irrthümer, Uebereilungen gäbe, deren nur der tiefe, von Sehnsucht nach Wahrheit entflammte Mensch fähig sei. Sein jugendlicher Geist leide unter einem Ueberschuß an Temperament: daher dieses immer nur Skizzen entwerfende Darstellen, dieses nicht Zeit haben, dieses Zürnen, welches Haß erscheint, diese Ironie, welche Kälte vermuthen läßt. »Wally« wird ähnlich gewürdigt wie von Paulus. Hier habe sich die skizzenhafte, kühn nur das Wesentlichste herausarbeitende Produktion gerächt: er sei nicht verstanden, in folgenschwerster Weise mißverstanden worden. Wenn derjenige Schriftsteller der bedeutendste sei, welcher eigene Ideen habe und darstellen könne, so habe der Ungenannte Anwartschaft eine sehr hohe Staffel des Ruhms zu erklimmen. Sein Geist quelle von Ideen. Daher die Eigenthümlichkeit seiner Form, seines Stils. »Sie drängen ihn so, diese Ideen, daß die halbe Energie seiner feurigen Jugend dazu gehört, sich nicht zu überstürzen, sondern bei allem kühnen, schaffenden, auflodernden Hinausgreifen in die Zukunft, dennoch ein Maß, einen Rhythmus zu beobachten, der auch in dem gebildeten Stile dem Ohre vernehmbar wird.« Als Grundidee seines Wirkens erscheine ihm: von der Poesie aus, als einer höheren Wirklichkeit, der gemeinen den Krieg zu bieten, selber den Neubau zu beginnen und zu diesem Zweck auch im Kampf womöglich nur der Schönheit, des Witzes, als Mittels sich zu bedienen. Dennoch habe man ihm noch wenig Gerechtigkeit widerfahren lassen. Bedenkt, ruft der Verfasser, daß auch wir in dieser Hinsicht gut zu machen haben. Bedenkt, daß er die Nation viel geliebt hat, darum sei ihm auch viel verziehen! Und nun habe er in seiner Schrift über Goethe eine so überzeugende Klarstellung seiner Fähigkeiten und Absichten geboten, daß es nicht schwer sei, ihm selbst eine glänzende Zukunft zu prognostiziren. »Auch den Begabten freilich kann, wie gesagt, Unvorhergesehenes hemmen. Und ich lehne es auf das entschiedenste ab, Prophet sein zu wollen. Aber sonst bekenne ich, allerdings unsern Schriftsteller schon längst begrüßt zu haben als einen Glück-Bedeutenden, Hoffnung-Erregenden, der uns aufs neue glauben machen sollte an die unendlich ausgebärende Zeugungskraft unserer Literatur.«

Auch in der Schrift, welche der selbst noch jugendliche, später so berühmt gewordene Kirchenhistoriker Karl Hase in Jena der Bewegung widmete – »Das junge Deutschland, ein theologisches Votum«, äußerte sich der gute Wille, gegen Gutzkow gerecht zu sein, Freilich war diese, ursprünglich in lateinischer Sprache gehaltene Rede, die zu Ostern 1837 bei Hinstorff in Parchim erschien, ein Vermittelungsversuch, der sich von Menzels Ausführungen befangen zeigte, so entschieden er auch dagegen protestirte, den Kriminalrichter und den Gerichtsdiener in Sachen der Poesie und Wissenschaft als Hülfsinstanz anzurufen. Die Bücherzensur stamme von Papst Alexander VI., der sie erfand, um die Blutschande und Giftmischerei seines Hauses zu verhüllen. Er deutet auf die Vertheidigung hin, die dem jungen Deutschland durch zwei angesehene, auch von ihm verehrte Vertreter der Kirche, Peucer und Paulus, geworden. Auch er erkennt an, daß Gutzkows schönes Talent selbst in seinem Mißbrauch zu nicht geringen Hoffnungen berechtige. Wenn er Heine, Mundt und Gutzkow als Saint-Simons strikte Anhänger bezeichnet, so irrt er sich freilich, wie unsere Darstellung erwiesen. Indem er auf die Heine'sche Unterscheidung zwischen der asketischen und hellenischen Lebensansicht eingeht, giebt er zu, daß die asketische, welche viele Kirchenlehrer gepredigt, eine einseitige sei, die aber im Wesen des Christenthums gar nicht begründet sei. Die christliche Religion, obwohl bisher vorzugsweise einer asketischen Lebensart zugeneigt, sei doch keineswegs in ihrem Wesen asketisch, sondern so beschaffen, daß sie alle Entwickelungsmomente der Menschheit begleite, fördere und heilige. – Aehnliches hatte allerdings zwei Jahre vorher Gutzkow schon selbst, zur selben Zeit, da er die »Wally« schrieb, in einem Aufsatz des »Phönix« ausgesprochen.

Daß aber auch nicht alle Genossen der Sturm- und Drangzeit von ihm abfielen, wie es unter dem ersten Schrecken namentlich Laube gethan, deß sei ein heute noch erfrischend wirkender Zeuge der Brief eines Schriftstellers von weit leichterem Kaliber und doch nicht geringer Bedeutung. Adolf Glaßbrenner, der liebenswürdige Gesell, der den Berliner Gassenwitz literaturfähig gemacht und der Begründer jener politischen Satire ist, die 1848 im »Kladderadatsch« auflebte, schrieb unter dem Eindruck des Goethebuchs an den einstigen Schulkameraden:

»Lieber Bruder!

Hoffentlich hast Du, unter der Last des Lorbeers, den Dir die Polizei im Namen des Publikums gebracht, einen alten Jugendfreund nicht vergessen, und ich äußere mich deshalb ebenso herzlich wie früher. Seit Deinem letzten Briefe – welch einen Griff in die Weltgeschichte hast Du gethan, welche Nasenstüber hast Du dem kopfhängenden Deutschland gegeben, wie hast Du unsere soziale Kultur schamerröthen lassen?! Karl Gutzkow! Hast Du denn nie daran gedacht, was Blenz dazu sagen dürfte? Wie kann sich solch ein blöder stiller Junge aus dem kleinen Hause in der Mauerstraße, der mit mir zusammen Maikäber jebuddelt un Knippkieler jespielt hat, unterstehen, Deutschland und die umliegenden Gegenden zu erschüttern, allem Herkömmlichen eine furchtbare Maulschelle, und der Literatur eine neue Perspektive zu geben! ›Na warte, ick wer'n Dir anzeijen!‹ Gutzkow, ich liebe und bewundre Dich, und bitte dies nicht so klein zu achten, denn ich bin auch ein Anderer geworden.

Dein Goethe geht hier sehr gut; er ist trefflich geschrieben, der Stil gebildeter, als in irgend einem anderen Werke von Dir. Laube las mir vor, daß Du zu der Europa ein Literaturblatt schreiben willst; ich sorge soeben daß sie in Preußen frei wird. Du Glücklicher heirathest bald! Sei glücklich! Vielleicht besuche ich Dich gegen Ende des Septembers, wenn es die Mittel erlauben … Lebe wohl, recht wohl, und sei versichert, daß ich immer bleiben werde

Dein Ad. Glaßbrenner

Ein ungemein charakteristisches Urtheil schrieb in jener Zeit über ihn August Lewald aus Stuttgart in einem Versöhnungsschreiben, mit welchem er in Gutzkows wieder dargebotene Freundeshand einschlug. »Gutzkow, Sie sind mir stets die merkwürdigste Erscheinung der jüngsten Zeit gewesen. Sie gehören halb der jetzigen, halb der jüngst vergangenen Periode an. Ich möchte stark behaupten, Ihr besseres Theil gehört dieser. Welche Mischung! Naiv, sentimental, maliciös, witzig, ernst und tief, leicht und unbesonnen; zu gescheut und zu rasch … Was haben Sie nicht Alles dem Publikum übergeben? Wie vielen Geist haben Sie verschwendet. Sie haben für Andere geleuchtet und sich nicht genützt; Sie haben viel Pulver unnütz verschossen … Bei Ihnen kann freilich noch von keinem Abschluß die Rede sein, vielmehr von einer recht glorreichen Bahn, die Ihnen gewiß noch vorbehalten ist.«

Vom günstigsten Einfluß aus Gutzkows weitere Schicksalsgestaltung war aber das Fürwort dreier älterer Männer von Rang und Ansehen bei den maßgebenden Instanzen in Berlin. Die Theilnahme von Rosenkranz wurde von uns schon erwähnt, derselbe hatte auch u. A. eine Kritik über Wally für die Berliner Jahrbücher geschrieben, welche, nachdem sie von der Zensur zurückgewiesen worden, in die Hände Altensteins, des Ministers, gelangte, und auf diesen aufklärend wirkte. In gleichem Maße ließen es sich neben ihm der Kurator der Universität Bonn, J. P. v. Rehfues, und der gefeierte Komponist von »Robert der Teufel«, G.  Meyerbeer, angelegen sein, für eine richtige Würdigung seines Strebens in der geistigen Sphäre zu sorgen, auf welche auch das preußische Ministerium »des Innern und der Polizei« zu achten hatte. Alle drei Männer waren durch Leistungen kritischer Art, die sich auf Werke von ihnen bezogen, von Interesse für ihn erfüllt worden, und als er im Herbst 1837 daran dachte, seine Vaterstadt aufzusuchen, um über die Möglichkeit einer Rücknahme des Allgemeinverbots seiner Schriften zu sondiren, da traf seine Bitte um Förderung bei den Genannten das willigste Ohr. Meyerbeer empfahl von Baden-Baden aus ihn auf das Wärmste seinem Bruder Wilhelm, dem Astronomen, mit der Bitte, ihn mit Alexander von Humboldt, der immer noch beim König Kammerherrndienste leistete, und dem Geheimrath Johannes Schulze, dem Chef des Unterrichtswesens unter Altenstein, in nähere Berührung zu bringen. Rosenkranz, der mit der philosophischen Fakultät Berlins in intimsten Beziehungen stand und sich der Sympathie des Geheimraths Schulze erfreute, that Aehnliches, und Rehfues, der am besten Eingeweihte, schrieb unterm 30. September zwar zweifelnd, daß »vor Ablauf der fünf Jahre« sein literarischer Name kaum geduldet werden dürfte, aber doch durch warme Theilnahme ermuthigend: was er thun könne, sei geschehen. Im Uebrigen werde er bei seiner bevorstehenden Anwesenheit in Berlin mündlich das Möglichste wirken.

Rehfues, jetzt nahezu ein Sechziger, hatte selbst auf eine Jugend zurückzublicken, die manchen Anklang an die seines Schützlings aufwies. Hatte auch er doch das theologische Studium aufgegeben, um sich der Literatur zu widmen, und war – seinerseits aus Tübingen stammend – in Stuttgart Redakteur gewesen, ehe er zum Staatsdienst gelangte. Ihm war das Glück und die Zeit günstig gewesen. Seine patriotischen Schwärmereien (»Reden an das deutsche Volk« 1813) hatten ihn dem Freiherrn von Stein empfohlen und noch während des Befreiungskriegs war er Generalgouverneur von Coblenz geworden. In wenigen Jahren war er zu der einflußreichen Stellung eines Kurators der damals neugeschaffenen Universität Bonn emporgerückt. Aber aus der Amtsstube sehnte er sich doch zurück in seine literarische Jugend, die er zum Theil in Hofmeisterstellungen in den schönsten Orten Italiens hatte verbringen dürfen, und diese Sehnsucht wurde ihm zur Muse, welche ihm u. A. den historischen Roman »Scipio Cicala« eingab. Und wie den Menschen das eigene Schicksal gewöhnlich die Norm für guten Rath an andere liefert, so räth er jetzt dem jungen Freund, sein nächstes Leben doch ja so einzurichten, daß ihm nach Ablauf der fünf Jahre die Möglichkeit offen stehe, – etwa als Professor – in den Staatsdienst zu treten. Eine solche Wirksamkeit sei der Schriftstellerei äußerst förderlich. »Auch kommt mir vor, daß diese als ausschließliche Lebensbestimmung in unserem Vaterland nicht auf eine Weise getrieben werden könne, die dem Schriftsteller eine angesehene Stellung sichert. Ein Journal ins Besondere muß zu sehr auf das große Publikum Rücksicht nehmen, um nicht Vielem Raum zu gestatten, was die Meinung von dem Schriftsteller allmählich herabdrückt. Zudem hat die Schriftstellerei in Deutschland zu wenig Einfluß auf das öffentliche Leben, um ihm eine tiefer greifende Wirksamkeit möglich zu machen, wenn er nicht die materiellen Interessen zu seinem Hauptzweck macht.« Als Weg empfiehlt er ihm, ein systematisches oder historisch-kritisches Werk auszuarbeiten, das ihm den Zugang auf eine Universität zu öffnen vermöchte. Dann könnte er, wenn nicht in Preußen, so doch in Gießen oder Heidelberg auf Anstellung hoffen. Jetzt sei noch zu wenig Gras über die Vorrede zu den Schleiermacher'schen Briefen über »Lucinde« gewachsen, die ihm weit mehr geschadet hätte, als die »Wally«.

Aus diesem wohlmeinenden Briefe geht auch hervor, daß es sich bei Gutzkows Reise nach Berlin um die Frage handelte, ob er den Erscheinungsort seines »Telegraphen« dorthin verlegen könne. Der Versuch schlug fehl, wie sich denn auch im Uebrigen Rehfues' Vorhersage bestätigte. Aber der Telegraph wurde jetzt wenigstens in Preußen unter entsprechenden Zensurverpflichtungen zugelassen. Nun gelang es Gutzkow von Berlin aus, Campe in Hamburg für die Uebernahme des Blattes zu gewinnen, das in dessen Verlag dann schnell an Verbreitung zunahm. Hamburg wurde jetzt für die nächsten fünf Jahre die Stadt seines bleibenden Aufenthaltes; die Vortheile, welche die Privilegien der alten freien Hansastadt schon immer dem Campe'schen Verlage geboten, kamen nun auch seinem literarischen Wirken zu Gut. Von Campe, dem das Verlegen verbotener Bücher sehr gut bekommen war und der damals mit Heine in etwas gereiztem Verhältniß stand, sah er sich auch persönlich wohl aufgenommen. Assings mit ihren beiden jungen, für Kunst und Literatur, namentlich aber für die verfolgte, begeistert schwärmenden Töchtern Ludmilla und Ottilie, sorgten, daß der zunächst allein Gekommene gemüthliche Ansprache fand. Im Uebrigen hatte Lewald Recht mit seinen Zweifeln, wenn er schrieb: »Ich kann mir gar nicht denken, wie Sie in Hamburg leben. Wer nicht ein libertinisches Leben liebt, Austern, good eating und Peter Arhends oder sonstige Amouren, dem bietet Hamburg nichts.« Wienbarg sah nicht ohne Neid von dem jüngeren Schicksalsgenossen sich immer mehr überflügelt. Auch sonst erblickte das literarische Hamburg, das meist aus Theaterdichtern, wie Töpfer, oder Theaterkritikern von zum Theil sehr zweifelhaftem Charakter bestand, in ihm einen Eindringling. Doch er bedurfte ihrer auch nicht. Arbeit war sein Element, literarisches Wirken. Sein Telegraph blühte auf. Wie er selbst als Hauptmitarbeiter des Blattes es um diese Zeit verstanden, sein Urtheil zu vertiefen und im Ausdruck zu mäßigen, davon gab dem größeren Publikum die Auswahl von Aufsätzen einen Beweis, die er im folgenden Jahr unter dem Titel » Götter, Helden und Don Quixote« im Verlag von Hoffmann und Campe erscheinen ließ, der freilich auch jetzt noch in Preußen und Oesterreich verboten war, was aber die geheime Verbreitung der Werke auch in diesen Ländern nicht hinderte. Die »Götter« waren drei jung verstorbene, im Leben von der Ungunst der Zeiten verfolgte Dichter: Shelley, Büchner und Grabbe. Zwei der Aufsätze aus der Abtheilung »Don Quixote«, eine Abrechnung mit Steffens, der in dem Roman »Die Revolution« eine Apologie der Demagogenverfolgung geschrieben, und eine Abfertigung des Leipziger Professors Löffler, der ein dickes Buch verfaßt hatte, in dem er für eine bessere Systematik der Zensur und Literaturpolizei plaidirte, trugen ihm einerseits von Rosenkranz, andererseits von Rehfues den Wunsch ein, er möchte sie als Broschüren besonders drucken lassen, damit sie weiteste Verbreitung fänden. Sonst brachte das Buch kleinere, zum Theil polemische Aufsätze über W. Schadow, v. Raumer, Immermann, Rehfues, Varnhagen, Leo, Diesterweg, Heine, Mundt, Laube, Schlesier, Minckwitz und Joel Jacoby. Der Untertitel »Abstimmungen zur Beurtheilung der literarischen Epoche« wurde ergänzt durch die Vorrede, die als gemeinsamen Gegenstand aller Artikel die »Mißstellung der Literatur zu dem öffentlichen Leben« bezeichnete. Aber trotz dieser Mißstellung, die er so bitter empfand, vermochte er den Rath des Gönners in Bonn, sich auf eine Dozentenlaufbahn jetzt vorzubereiten, nicht zu befolgen; aus inneren und äußeren Gründen. Er hatte geheirathet und hatte die Verpflichtung, durch sein Arbeiten den Unterhalt für ein bürgerliches Familienleben zu bestreiten. Er hatte aber dann auch als inneren Beruf gerade die Bekämpfung des Zustands erkannt, den Rehfues mit den resignirten Worten bezeichnet, daß in Deutschland die Literatur zu wenig Einfluß auf das öffentliche Leben habe. Dahin zu wirken, daß es anders würde, darauf war seit Jahren all sein Streben gerichtet, und er war nicht gewillt, dies jetzt aufzugeben, nun er sich über schier unüberwindliche Hindernisse hinweg diesem Berufe – trotz Acht und Bann – gerettet hatte. Die Redaktion seines »Telegraphen« machte ihm viel Arbeit, zumal er jetzt auch für dasselbe eingehende Berichte über das Bühnenleben in Hamburg schrieb. Seine Hauptzeit aber gehörte einem Roman, seinem ersten größeren, der noch im Laufe desselben Jahres in drei Bänden erschien, der erste Versuch, Eindrücke seines Lebens und Stimmungen seines Innern in humoristischer Weise wiederzuspiegeln: » Blasedow und seine Söhne.«

Dieser Roman ist eine Satire auf die Phrase vom verfehlten Beruf. Die Anschauung, daß nicht derjenige Beruf, der uns anerzogen wird, der unbedingt richtige ist, sondern der, welcher der natürlichen Bestimmung entspricht, lag dem zu locker komponirten, an lebensvollen Genrebildern aber reichen Lebensgemälde zu Grunde. Schon im »Phönix« hatte er sich bei Besprechung von Herbarts »Pädagogischen Briefen« gegen das Zuvielerziehen ausgesprochen und den Grundsatz vertheidigt, daß es für die Charakterbildung und die Berufswahl des Einzelnen das Beste sei, wenn der Heranwachsende möglichst früh dem Leben als Erzieher ausgesetzt werde. Er selbst hatte dem Erziehungszwang zu trotzen gewagt, war der Stimme seines Innern gefolgt und hatte das zu werden gesucht, wozu er sich berufen fühlte; der Erfolg gab jetzt scheinbar zwar Denen recht, die achselzuckend beklagten: er habe seinen Beruf verfehlt. Aber er spottete ihrer. Seine Phantasie malte sich aus, was aus ihm geworden wäre, wenn er, wie so mancher seiner Jugendfreunde, wider seinen Willen ein vereinsamter Landpfarrer in der Mark geworden wäre, wenn er seine ganze nach Freiheit durstende Thatkraft an einen unfruchtbaren Kampf mit dem ihn schulmeisternden Konsistorium hätte vergeuden müssen. Seine jungen Vaterfreuden legten ihm andrerseits den Gedanken nahe, inwieweit aber doch die Erziehung im Stande sei, die eigenen Kinder durch direkte Beeinflussung vor dem Schicksal eines verfehlten Berufs zu bewahren. Aus dem Wunsch, dies zu können, und der Einsicht, daß es nicht möglich sei, entstand die humoristische Stimmung, welche die Figur des Landpastors Blasedow von Klein-Bethlehem im Fürstenthum Sayn-Sayn gebar, den Helden des neuen Romans. Dieser Pastor, eine energische, kampflustige Natur, hat seine Bestimmung verfehlt und will seine Kinder vor gleichem Schicksal bewahren. Er belauscht zu dem Zweck das Thun und Treiben seiner vier Söhne im frühesten Kindesalter und zieht aus zufälligen Beobachtungen den Schluß auf ihren Beruf. Danach bildet er den einen zum Schlachtenmaler heran, den zweiten zum Bildhauer, den dritten zum Volksdichter, den vierten zum satirischen Schriftsteller. Auf der breiten Basis der Romananlage läßt er sie unter dieser Erziehungsmethode zu höchst ungerathenen Bengeln heranwachsen, die mit einander allerhand Abenteuer bestehen und unter den Einflüssen des Lebens auf ganz andere Dinge gerathen, als der sorgliche Vater gehofft hat. Diese Abenteuer, die im Ton der alten Schelmenromane gehalten sind, setzen sich zu einer Satire auf allerhand Schwächen und Moden der Zeit zusammen, auf die Manie, neue Badeorte zu gründen, auf Kleinstaaterei und Duodezfürstenwesen, auf Schwindel und Lüge in Sitte und Brauch. Zum Schlusse läßt der Verfasser alle vier Söhne nach dem Orient auswandern: der Schlachtenmaler wird Professor am polytechnischen Institut in Kairo, der Bildhauer leitet die Kornmagazine des Vizekönigs, der Volksdichter soll die Funktionen eines Hofdolmetschs bekleiden und der satirische Schriftsteller lobt die Regierung Mehemet Alis in der »Augsburger Allgemeinen Zeitung«. Der alte Blasedow aber, der ihnen gefolgt ist, wandert oft in die Wüste und versucht sich unter den Pyramiden im Entziffern der Hieroglyphen. So ist Blasedow der Don-Quixote einer Erziehungsmanie, welche sich anmaßt, der Jugend einen nicht von dieser gewählten Beruf anerziehen zu können.

In einer Zeit, wo man noch Jean Paul mit Begeisterung las und der satirische Theil von Immermanns Münchhausen vielfach höher geschätzt ward als die Oberhof-Idylle, hatte man für die Vorzüge dieser Satire, für die Fülle von Bezügen und Anspielungen, wie für das Geistreiche des Gesammtplans bei weitem mehr Verständniß als heute. »Ihr Blasedow sticht hier den Münchhausen aus und auch besonders die Aerzte lesen ihn enthusiastisch,« schrieb Rosenkranz kurz nach Erscheinen des Werks, das er selber »verschlungen«. »Nachgerade bin ich so voll von Gedanken über Sie, daß ich beschlossen habe, sobald ich nur erst die Ausgabe Kants im Rücken habe, eine dornichte, undankbare Arbeit, ein Buch zu schreiben: › Karl Gutzkow geschildert von Karl Rosenkranz.‹ Ich werde darin ganz objektiv (abgesehen von allen Verhältnissen zu Menzel, Duller, Carové, Paulus, Mundt, Wienbarg, abgesehen von Staat und Kirche als ›öffentlichen Thatsachen‹) Ihre Werke organisch entwickeln. Auch für die Seraphine habe ich einen Mittelpunkt gefunden, sie als eine Natur zu betrachten, die von Haus aus zur Erzieherin bestimmt ist und daher auf Andere eingehen muß, sei dies ein Arthur oder Edmund, ein Philipp oder Ferdinand, Sannchen oder Hr. Magnus, aber nur bis so weit, als sie die Individualität zu fassen nöthig hat: dann stellt sie sich darüber und will ins Allgemeine bilden, was ihr dann die individuellen Subjekte sehr übel nehmen, die eine sehr individuelle Liebe erwartet hatten.« … In dem Brief heißt es weiter: »Warum machen Sie sich denn sichtbar so viel Noth mit Ihrer Anerkennung? Faktisch ist ja gar nicht mehr möglich und ich wenigstens kann Sie versichern, daß hier kein anderer das Zentrum der allgemeineren poetisch-kritischen Literatur ist.« Und in einem späteren Brief: »Ich bitte Sie, antworten Sie doch der Opposition gegen Sie gar nicht mehr. Daß Sie zehnmal witziger und tödtlicher antworten können, weiß man. Ihre positiven Leistungen vernichten durch sich selbst dieses Geschrei, das natürlich um so heftiger wird, da ›Blasedow‹ eine zu objektive Gewißheit Ihres Talentes gibt … Ich kann Sie versichern, daß … Sie ein großes Publikum haben, das mit ihren eigenen Worten sagen kann: ›Am Schönen erfreu' ich mich im Stillen; nur das Häßliche tadl' ich laut.‹« Solcher Zuspruch, solche Anerkennung konnten – wenn auch das Buch »Karl Gutzkow von Karl Rosenkranz« nie erschien – den neu auathmenden Dichter hinlänglich trösten über so manchen Angriff und so manche herabsetzende Kritik, wie sie leider gerade aus den Kreisen seiner früheren Freunde, seiner jetzigen Rivalen, auf ihn eindrangen.

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Am tiefsten von diesen hatte sich Laube unter das kaudinische Joch gebeugt. Traf ihn doch die Acht auch wider alles Erwarten und nachdem er bereits die Sünden, die man ihm anrechnete, an Freiheit und Gesundheit weit über jedes billige Maß gebüßt. Er hatte gerade mit der Mitternachts-Zeitung in Braunschweig, einer Müllner'schen Schöpfung, einen Vertrag gemacht, der ihn zum Redakteur derselben ernannte, und eine Petition an die preußische Regierung, seine Uebersiedelung nach Braunschweig zu gestatten, lag ihm im Sinne. Der Plan seiner Heirath hatte diese Aussicht zur Unterlage. Alle diese Aussichten vernichtete das Bundes-Edikt. Und seine angegriffene Gesundheit hatte doch eine Klärung seiner Lebenslage so nöthig. Eine Stimmung ergriff ihn, ähnlich der, welche die meisten Menschen bei gemeinsamen Unglücksfällen elementarer Art bethätigen: rette dich, wie nur immer es möglich! Er that, was ihm alle seine bisherigen Freunde, auch Heine, damals als Unrecht ausgelegt haben, er erließ gleich den Professoren Ulrici, Gans, Rosenkranz, welche die preußische Regierung dazu nöthigte, in der »Allgemeinen Zeitung« eine Erklärung, die gegen seine Zugehörigkeit zum jungen Deutschland protestirte. Das Datum »Naumburg, den 13. Dezember 1835« tragend, hatte sie folgenden Wortlaut: »Als ich Hrn. Dr. Gutzkow Beiträge zu der beabsichtigten ›Deutschen Revue‹ zusagte, da geschah dies keineswegs in der Art, daß etwaige Tendenzen des sogenannten ›jungen Deutschland‹, welche die bestehende Civilisation angreifen oder gar stören und bedrohen könnten, durch meine Beiträge gefördert werden sollten. Im Gegentheile erklärte ich unumwunden, wie ich mit jedwedem Ultraismus der Art nichts zu schaffen hätte, und eine eigentlich solidarische Theilnahme mir nicht zupaßte. – Diese Erklärung glaubte ich schuldig zu seyn, da ich mich mit jenem ›jungen Deutschland‹, dem ich nicht angehöre, solidarisch betroffen sehe.« … »Statt zu sagen: Es giebt kein junges Deutschland, sagt er: Ich gehöre nicht dazu«, schrieb Gutzkow in sein Tagebuch, als er im Mannheimer Kerker diese Erklärung las. Aber nicht nur von Gutzkow wurde ihm diese Erklärung verdacht, auch Heine tadelte dieselbe und Mundt und Wienbarg nannten ihn voll Indignation einen »Apostaten«.

Wir haben schon gezeigt, daß er keinen Gewinn von dieser Erklärung hatte. Wohl erlaubte ihm Tzschoppe stillschweigend in Berlin zu bleiben, aber sein Schriftstellername blieb wie der der anderen verfehmt. Durch die Dedikationen seiner kleinen Novellen »Liebesbriefe« und »Die Schauspielerin« an den Fürsten Pückler und Varnhagen von Ense, durch liebenswürdig auf ihre Persönlichkeit eingehende Aufsätze in den »modernen Charakteristiken« hatte er sich unter das Patronat dieser beiden liberalen Koryphäen der Berliner Geistesaristokratie gestellt; aber auch ihre Fürsprache vermochte ihm jetzt nicht zu helfen. Seine fertigen Manuskripte »Die Krieger« und »Die Bürger« mußten ungedruckt bleiben. Wie ganz anders würde sich das Urtheil über das junge Deutschland gestaltet haben, wenn jetzt neben Gutzkows Verherrlichung des poetischen Realismus in Goethe der Roman »Die Krieger« als eine Leistung moderner Realpoesie der erstrebten Richtung hätte hervortreten und das von Menzel geschürte Interesse frei und unbeirrt für sich in Anspruch hätte nehmen können. Aber so! Kein Verleger wollte sich für die Fortsetzung des Buchs mit dem anrüchigen Haupttitel »Das junge Europa« finden. Das nach Berlin mitgebrachte Geld reichte nicht lange, zumal er immer auf tadellose Toilette hielt. Er befand sich bald ökonomisch in der bedrängtesten Lage. Mundt mied ihn. Joel Jacoby, dessen Spionenmission er noch nicht durchschaut hatte, suchte ihn im Abfall von den Idealen seiner Jugend zu bestärken; der Umgang mit Glaßbrenner und dem grundehrlichen Demokraten A. Bernstein, dem späteren Redakteur der Dunckerschen »Volkszeitung«, dann und wann ein Besuch bei Varnhagen und im Salon des Fräulein Solmar, wo er Gans, Humboldt und andere Liberale von Einfluß begegnete, hielten ihn im Gleichgewicht. Dabei fühlte er sich »in den feineren Gängen geistiger Produktion« ziemlich verstopft, denn die Nachwehen der drückenden Gefangenschaft lasteten immer noch auf seinen Organen. Es war eine hoffnungsarme, trübselige Existenz dort in der Kronenstraße. Die erste Hülfe kam ihm von dem berühmten Eckhause der Französischen Straße, dem Duncker'schen, das schon in den Zeiten der Herrschaft Napoleons den Patrioten Zuflucht geboten hatte. Der älteste Sohn des alten Duncker, der Historiker Max, hatte als Burschenschafter eine längere Gefängnißhaft zu erleiden gehabt, der jüngere Franz gab später dem Verlag eine demokratische Richtung und wurde, als ein freierer Zug in die Preßverhältnisse kam, Gründer der schon genannten »Berliner Volkszeitung«. Für diesen Verlag schrieb jetzt Laube eine volksthümliche Darstellung der französischen Revolution, ein ähnliches Werk wie seine Geschichte Polens, die ohne Nennung des Autors unter dem Titel: » Die französische Revolution von 1789 bis 1836« erschien. Es war literarische Handwerksarbeit und oft beschlich ihn dabei der Gedanke, ob es nicht besser sei, noch ein wirkliches Handwerk zu ergreifen, etwa Maurer zu werden, wie es sein Vater, der Bau- und Maurermeister, gewünscht. Da kam wieder ein Hoffnungsschimmer aus Mannheim. Löwenthal hatte seinen Verlag an den dortigen Buchhändler Heinrich Hoff verkauft, der auch politisch einer liberalen Richtung huldigte. Laube's »Charakteristiken« waren gut gegangen und Hoff bat den Autor um eine Fortsetzung seiner » Reisenovellen«, deren erste Bände aus dem Verlag Otto Wigands ebenfalls in den seinen übergegangen waren. Diese Reisenovellen waren populär geworden und ihre Fortsetzung hatte Aussicht, nöthigen Falls auch ohne Nennung des Autors zu gehen. Der Antrag brachte Geld und eine Anregung, die dem verstockten Blut des Autors vor allem nöthig war, Anregung zum Reisen. Er sehnte sich an das Meer, das von Heine so hochgepriesene, sein Athem und seine Wellen sollten ihn zu neuer Frische beleben.

Ohne die Polizei um Erlaubniß zu fragen, reiste er über Stettin nach dem Ostseebad Swinemünde, wie er dies im fünften Band seiner Reisenovellen dann schilderte. Am Ausfluß der Oder, des Stromes, der seine Studienjugend in Glogau, in Breslau und den Landsitzen seiner Hauslehrerei begleitet hatte, suchte er sich zu erholen und zugleich zu einem Abschluß seiner Sturm- und Drangzeit zu kommen. »Man übernimmt zuviel,« sagte er sich, als er auf dem Steindamm am Haff gelagert seine Vergangenheit Revue passiren ließ, »wenn man in jungen Jahren Politik schreiben will. Dazu gehört ja doch eigentlich eine Kenntniß und Beherrschung aller Wissenschaften. Sie münden ja alle in den Staat, wie alle Wasser ins Meer.« Er gedachte seiner poetischen Anfänge, seines Ringens, die Formen der poetischen Kunst zu beherrschen; er vergegenwärtigte sich, wie seine kritischen und politischen Kämpfe als letztes Ziel gehabt hatten, dem eigenen Leben wie dem der Zeit poetischen Werth zu verleihen, die Forderungen der poetischen Kunst zu versöhnen mit den Forderungen des politischen und sozialen Fortschritts. Er sah seine Aufgabe in der Rückkehr zu seinen Anfängen. Der Leichtsinn, mit dem er ohne ausreichende Vorkenntnisse das große Wort geführt, erfüllte ihn mit Reue. Auf literarischem Gebiete wenigstens wollte er die Lücken seiner Bildung füllen. Es drängte ihn aber auch, seine Auffassung vom Wesen und Werden der deutschen Literatur, den Aufgaben der Poesie als bildender Kunst, im Zusammenhang darzustellen, ohne Abschweifungen in die Tendenzfragen des Tags. Die Idee, eine Geschichte der deutschen Literatur zu schreiben, die er in den nächsten zwei Jahren zur Ausführung brachte, gab seinen flatternden Gedanken wieder ein festes Ziel. Und je fester sich dasselbe als Aufgabe vor seinen Augen gestaltete, um so freier wurde es in seinem Innern. Doch blieb seine Stimmung eine melancholische. Da bewirkte, was selbst eine Ovation junger Burschenschafter, die auf einer Vergnügungsreise nach Rügen in Swinemünde seinen Aufenthalt hier erfahren hatten, und eine Reise mit diesen fröhlichen Schwärmern nach Rügen nicht vermocht hatte, dann ein Brief, den er bei seiner Rückkehr von dieser Ausfahrt, nachdem er nur mit knapper Noth einem Schiffbruch entgangen, in Swinemünde vorfand. Der Brief war von jener jungen Wittwe, um deren willen er von Naumburg aus heimlich in Leipzig gewesen, um deren Liebe er gerade geworben, als der Ukas gegen das »junge Deutschland« ihn aus dem rosigen Zukunftstraum schreckte. Seine elende Lage hatte ihm dann nicht gestattet, das Wort als Freier zu führen, aber die Beziehung war erhalten geblieben. Jetzt schrieb sie ihm, daß sie zu einer Sommersaison in dem Thüringer Soolbad Kösen angelangt sei, welches er ihr bei jenen Begegnungen in Leipzig so warm empfohlen, nachdem sein eigener Aufenthalt dort, von Naumburg aus, ihm so zugesagt hatte. Dieser Brief bewirkte eine völlige Umwandlung. Laube umging wiederum die Behörden und folgte muthig der Einladung, treu seiner Losung: Wer viel fragt, kriegt viel bericht't. »Ich ging nach Kösen,« heißt es in den Erinnerungen, »und wurde ein neuer Mensch. Nicht gerade durch die ›Salzsoole‹, welche ich andern Leuten überließ. Es giebt eben ein Etwas im Menschen, welches in letzter Instanz aller bürgerlichen Hindernisse spottet. Man nennt es Poesie und weiß nicht wie. Alles hört plötzlich auf in uns, was Tag und Nacht unser Leben beherrscht hat; wir haben's geradezu vergessen, was uns Tag und Nacht unüberwindlich erschienen. Es ist etwas Höheres über uns gekommen, und wenn uns der Nachbar, welcher unsere Pein mit angesehen, nach Ankunft dieses Höheren mit verblüfften Augen betrachtet, weil wir auf einmal fröhlich und guter Dinge sind, und wenn er uns erstaunt fragt: ›Ja sind denn die Hindernisse beseitigt?‹ – so antworten wir lachend: ›Nein! aber das Hinderniß in der armen Seele ist in die Luft geflogen, die arme Seele ist reich geworden und fragt den Teufel nach bürgerlichen Schulden. Die Welt ist mehr als der preußische Staat und der Herr von Tzschoppe und das verbotene junge Deutschland!‹«

In solcher Stimmung reiste der Verfehmte nach Kösen, verbrachte mit der glücklichen Braut eine herrliche Sommerzeit, schrieb in ruhigen Stunden an der Fortsetzung seiner Reisenovellen, denen jetzt nicht mehr lockere Liebesabenteuer, sondern historische Rückblicke und Jugenderinnerungen den Charakter verliehen, und am 10. November feierte er seine Hochzeit – glücklich trotz Tzschoppe und Bücherverbote! Da er die sächsische Grenze immer noch nicht überschreiten durfte, fand die Trauung in der kleinen Kirche zu Lützen statt, der Leipzig zunächst gelegenen preußischen Stadt, die für ihn – wir wissen es – einen besonderen poetischen Reiz hatte. Auf dem Schlachtfeld zu Lützen hatte er seine erste Schlacht als Dramatiker siegreich beendet. Und am 10. November waren Luther und Schiller geboren, die beiden Geistesheroen, die seinen frühsten dichterischen Anfängen die Bahn gewiesen; wahrlich, diese Hochzeit in Lützen am Luther- und Schillertag des Jahres 1836 hat eine symbolische Bedeutung gewonnen für die Anknüpfung seines späteren erneuten Aufschwungs als Dichter an die poetischen Anfänge seiner Jugend. Hatte doch dann sein bestes Drama Friedrich Schiller zum Helden, und sein bedeutendstes Erzählungswerk »Der Deutsche Krieg« die Reformationszeit zum Hintergrund.

Vorher war er noch in Berlin gewesen, denn es war sein Plan, den jungen Haushalt dort zu begründen. Er wollte erfahren, ob er dies unbehelligt thun könne. Eine Begegnung mit dem Preßagenten des Ministers von Rochow, Joel Jacoby, hatte ihm folgenden Bescheid eingetragen: »Sie scheinen uns ganz zu vergessen, ei, ei! Man schweigt, weil man Sie in Liebe weiß. Verliebte sind nicht staatsgefährlich. Aber übertreiben Sie Ihre Sorglosigkeit nicht, denn das System ist unverändert dasselbe, und man will unerbittlich aufräumen mit der liberalen Koterie.« Wenige Tage später war er zu Sr. Exzellenz dem Minister von Rochow beschieden worden. Voll banger Ahnungen stellte er sich zur bezeichneten Stunde im Ministerhotel ein. Und was geschah? Herr von Rochow schlug ihm ein Ziel für seine – Hochzeitsreise vor. Es handelte sich um eine politische Mission nach Straßburg. Prinz Louis Napoleon hatte in Straßburg seinen Putsch gewagt. Man wünschte in Berlin unbefangene Nachrichten über die Stimmung dort für oder gegen den Napoleoniden. Bei der Hochzeitsreise eines Demagogen werde sicherlich kein Mensch daran denken, daß die preußische Regierung beobachten lasse. – »Es ist also eine Aufgabe, welche mit dem Liberalismus oder Nichtliberalismus gar nichts zu schaffen hat?« – »Gar nichts,« habe der Minister geantwortet. »Sie sind ja doch ein Preuße und haben wohl noch in Ihrer frühen Jugend unsere entsetzliche Franzosenzeit erlebt, ermessen also, was die Frage bedeutet: ob ein Napoleonidenregiment in Frankreich wieder möglich sei.« Laube übernahm die Mission. Das Vertrauen seines Erzfeindes hatte er zu seiner Ueberraschung also gewonnen. Er durfte glauben, jetzt sei es für immer mit aller Gefahr vorbei.

Kaum aber hatte er nach der Rückkehr nach Berlin mit seiner Frau ein schmuckes Schriftstellerheim sich leidlich eingerichtet und von Varnhagen, Gans und Fräulein Solmar gefördert, einen angenehmen geselligen Verkehr sich gewonnen, da zeigte es sich, daß das Damoklesschwert noch immer über ihm schwebte. Gerade als er das Haupt wieder in alter Siegeszuversicht in die Höhe hob, fuhr jenes auf ihn herab. Der Winter 1836 auf 37 war in sorgloser, anregender Weise verflossen, die neuen Bände der Reisenovellen waren in Mannheim unbeanstandet erschienen, Laube's ungemein gewinnende persönliche Eigenschaften wie die heitere Liebenswürdigkeit seiner Frau hatten in der Fürstin Pückler-Muskau – der Fürst selbst machte in jener Zeit seine Semilassoreisen in Afrika – eine einflußreiche Gönnerin gewonnen. Der Himmel hing dem jungen Paar voller Geigen. Aber es hatte die Rechnung ohne die Akten des Untersuchungsprozesses in der Hausvogtei gemacht. Wenn Laube, sich des Glücks der Gegenwart freuend, seinem jungen Weibe das finstere Gebäude zeigte, da hatte er der Gefängnißqualen darin wie einer längst verwundenen Vergangenheit gedacht. Aber die Verhörsprotokolle hatten inzwischen noch unerledigt im Kammergericht gelegen. Jetzt waren sie endlich – das Verfahren gegen ihn nahm sich besonders viel Zeit – zur Urtheilssprechung gelangt. Das Urtheil lautete auf – sieben Jahre Festung. Sechs Jahre Festungshaft war seit der Thätigkeit der großen Mainzer Untersuchungskommission das übliche Strafmaß für die einfache Zugehörigkeit zur Burschenschaft. Die Begeisterung für die Einheit Deutschlands war grauenhaft kostspielig in jenen Zeiten. Das weitere Jahr wurde ihm wegen eines Preßvergehens zudiktirt, wir sagten es schon, wegen der Beleidigung des treuen Freundes der Deutschen, des Zaren Nikolaus, begangen in Laube's erstem Buch vom Jahre 1832, der Geschichte Polens. Seine Reklamation, deren Befürwortung die Fürstin Pückler übernahm, bewirkte aber eine bedeutende Ermäßigung. Weil Laube vor dem Jahre der Julirevolution seine Burschenschaftssünden begangen, also noch vor dem offenen Hervortreten revolutionärer Bestrebungen des Bundes, wurde er zu sechs Monaten begnadigt. Von dem Strafjahre zum Besten des Zaren jedoch wurde ihm nicht ein Tag erlassen.

Das waren trübe Tage im jungen Poetenheim!

Aber wie Laube's Glück sich so oft gerade, in Tagen der Heimsuchung besonders glänzend bewährt hat, so geschah es auch jetzt. Wie er später in dem Roman »Die Böhminger« mit geringer Veränderung erzählt hat, nahm sich die Einzige, die ihm jetzt helfen konnte, seiner auch weiter in erfolgreichster Weise an. Die Festungen Preußens waren in jener Zeit der Demagogenhetze überfüllt. Man hatte deshalb den Ausweg gut heißen müssen, die Staatsverbrecher in gewöhnlichen Städten gefänglich unterzubringen. Das alte Stammschloß der Pückler zu Muskau war nun gerade seit einiger Zeit zum Amts- und Polizeihaus eingerichtet worden. Ein ganzer Stock desselben war unbewohnt. Die Fürstin bot diese Räume dem Verurtheilten an; er solle ein Gesuch einreichen, daß man ihn dort zur Haft bringe. Laube schüttelte den Kopf. Der Mächtige, von dem die Entscheidung abhing, war Tzschoppe. Die Fürstin aber war hier die Mächtigere. Tzschoppe hatte seine ganze Existenz dem Fürsten Hardenberg, ihrem Vater, zu danken. Er konnte ihr die Bitte kaum abschlagen. Wenn wir einer Andeutung in dem genannten Roman folgen dürfen, so wußte sie auch um kompromittirende Dinge, deren Geheimniß sie als Trumpf gegen ihn ausspielen konnte. Genug, Exzellenz von Tzschoppe kam persönlich in das Hotel, wo Laubes bereits wohnten, um ihm, dem Demagogen, höflichst anzukündigen, daß der Präsident des Kammergerichts seine Befürwortung erhalten habe zu der Wahl von Muskau als dem Ort seiner Haft. Und so war das Gefängniß, das Laube nun auf achtzehn Monate bezog, immerhin ein ausnahmsweise angenehmes, zumal seine Gattin die Haft theilte, die ihm dort auch zu ihrem Söhnlein erster Ehe einen Knaben gebar. Aber achtzehn Monate sind eine lange Zeit, noch dazu, wenn zwölf davon sich auf zwei Winter vertheilen. Wohl hatte er Arbeit vollauf: er lieferte in die »Mitternachtszeitung« Beiträge, beendete »Die Bürger«, schrieb seine mehrbändige Literaturgeschichte; die neuen Reisenovellen brachte er in seiner Eremitage zu Muskau zu Ende; auch Spaziergänge in dem berühmten Park des Schlosses gewährte ihm sein gutgearteter Argus; aber Körper und Seele ermatteten unter dem seelischen Druck des bloßen Bewußtseins seiner Gefangenschaft. Ein Brief von ihm aus »Muskau in Schlesien, den 19. September 1837« an Georg von Cotta, der diesem die große Literaturgeschichte zum Verlag anbot, giebt ein lebendiges Bild des Sehnsuchtslebens in seiner Seele und ist uns zugleich ein Anhaltspunkt für die Schwierigkeiten, mit denen auch Laube als Verfehmter zu kämpfen hatte, um für seine Schriften einen Verleger zu finden: erst zwei Jahre später entschloß sich ein Anderer, Karl Hallberger, zum Verlag der vier Bände (1839-40). Der Brief ist voller Pläne und Entwürfe und zeigt ihn als eifrigen Zeitungsleser. »… Wenn ich mit meiner großen Arbeit fertig bin, möcht' ich Ihnen für die ›Allgemeine‹ größere literarische Artikel anbieten, welche den allgemeinen Entwickelungsgang der Nation in nicht bloß politischem Sinne, mehr in Bezug auf literarische Aeußerung, aber doch auf die thätige Nationalseele eingehend, schilderten. Es scheint nur, als beachtete Ihr Blatt dies Moment seit einiger Zeit zu wenig. – Ferner hab' ich größere Reisen vor, sobald mir die Hände frei sind, ich möcht' ein paar Jahre von der Bücherschreiberei scheiden und es läge mir daran zu wissen, ob man in irgend ein regelmäßiges Verhältniß zu Ihren Instituten treten könnte. Das liegt indessen nicht zu Heut und Morgen vor der Thür, und es fragt sich vorderhand nur im Allgemeinen, ob die Cotta'sche Handlung ein solch regelmäßiges Verhältniß einzugehen gedächte …« Dies geschah denn auch, als dem Ungeduldigen die Stunde der Freiheit schlug. Jetzt mit seiner unternehmungsfrischen Frau trat er aufs neue, wie als junger Kandidat, eine Reise nach Frankreich an, die dieses Mal wirklich ihr Ziel und nicht nur Paris, sondern auch die Häfen der Bretagne und Normandie, selbst Algier erreichte und über Jahresfrist währte. Und er machte diese Reise wie auch später eine zweite als feuilletonistischer Korrespondent der »Allgemeinen Zeitung«.

Jetzt aber – als halbfreier Gefangener zu Muskau – litt er an »Heimweh« nach solcher Reisefreiheit. Das Stubenhocken hatte ihm nie ja getaugt und die ihm aufgezwungene Lebensweise würde sich gewiß an seinen damaligen Arbeiten noch mehr gerächt haben, wenn ihm nicht der Rath und die Güte der Fürstin Pückler, die öfter auf längere Zeit im Schloß wohnte, ein neues Gebiet geistiger, aber auch körperlicher Bewähr erschlossen hätte: die Jagd. Der große Muskauer Park bot auch hierzu reiche Gelegenheit und der ihm vorgesetzte Beamte, Justizrath Paschke, sowie der Polizeimeister im Hause, ein gemüthlicher Alter, hatten mehr Respekt vor den Wünschen der Fürstin, als den Befehlen der Demagogenverfolger. Von da an war Laube ein leidenschaftlicher Jäger und der Poet in ihm erhielt einen neuen Stoff: die Reize der sogenannten todten und doch so bewegten und belebten Natur, während ihm bisher die Poesie nur am feurigen Kreisen des Menschenbluts zu haften geschienen hatte. Eine weitere Anregung bot ihm der Verkehr mit Leopold Schäfer, dem Dichter des »Laienbrevier«. Der lebte nahebei im Städtchen, wo er geboren, ein stilles Poetendasein, nachdem er Jahre lang die Oberverwaltung der Herrschaft Muskau mit seinen literarischen Neigungen zu vereinen gewußt hatte. Sein Laienbrevier, elegische Ergüsse edler pantheistischer Frömmigkeit, übte damals eine große Wirkung aus. Im Anschluß an diese Dichtung brachte Laube die Stimmungen und Erfahrungen, die seinem Geist und Herzen das einsame Jägerleben brachte, das Jägerleben eines Gefangenen, nicht ohne Humor und Satire seine scharfen Beobachtungen des Lebens der Thiere verwerthend, zur poetischen Aussprache in seinem » Jagdbrevier«, das auch erst 1840 erschien. Wie Gutzkow mit seinen lyrischen Beiträgen zum Telegraphen, protestirte damit auch er unbewußt gegen die jetzt durch Mundts Buch » Die Kunst der deutschen Prosa« aufgebrachte Legende, ihr literarisches Streben negire prinzipiell die Bedeutung der gebundenen Form. Aber während Gutzkows Lyrik wie seine Prosa den alten Drang bekundete, sich als Waffe im Kampf für Aufklärung und Fortschritt zu bewähren, wurde Laube's »Jagdbrevier« der stärkste poetische Ausdruck seiner damaligen Resignation und Abkehr von den allgemeinen öffentlichen Interessen. Nur in Anspielungen auf Aristokratie und Demokratie im Thierreich blitzte die alte Streitbarkeit gelegentlich wieder auf.

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Wir berühren hier einen der verhängnißvollen Irrthümer, welche durch den polemischen Zersetzungsprozeß des Jungen Deutschlands in die Literaturgeschichte gelangt sind, wo sie sich festgesetzt haben zum Nachtheil einer gerechten Würdigung dieser so hoffnungsreichen Epoche. Da heißt es: »Das junge Deutschland wollte die Poesie, wollte die metrisch gegliederte Kunstform ganz abschaffen und an deren Stelle die Prosa setzen.« Eine Stelle in Wienbargs Feldzügen, welche von der sich vollziehenden Uebergangszeit sagt, daß für die Aussprache ihrer gährenden Ideen die Prosa ein geeigneteres Gefäß sei als die durch Reim und Metrum in der Freiheit des Gedankenausdrucks gebundene Poesie, hat vielleicht dafür außerdem noch als Anhalt gedient. Gleichzeitig bot Wienbarg aber selbst Gedichte und eine begeisterungsvolle Lobrede auf das größte Genie der Epoche, Lord Byron, der doch nur in Versen gedichtet hatte. Und thatsächlich haben Gutzkow und Laube neben der Prosa stets die Formen der nach strengen Schönheitsgesetzen gegliederten poetischen Rede gepflegt, als Gymnasiasten schon, als Studenten, als literarische Anfänger, im Sturm und Drang der geschilderten Zeit, wie Gutzkows »Nero« und die von Laube in die Reisenovellen und die »Bürger« eingestreuten Gedichte erweisen, später in ihren formvollendetsten Dramen, in »Uriel Acosta« und »Graf Essex«. Dennoch hat sich das Märchen, sie seien barbarische Bilderstürmer der Poesie gewesen, erhalten; gestützt allein auf die Ausnahme Mundts, der aus der Beschränktheit seines eigenen Talents und aus jener von Wienbarg bezeichneten Thatsache in seinem Buch und zwar dem Kapitel »Verhältniß von Poesie und Prosa in der heutigen modernen Literatur« für einen einseitigen Kultus der Prosa zu weitgehende Folgerungen zog. Im Uebrigen ist dasselbe nichts weniger als eine im Geist der »Bewegungsliteratur« gehaltene und damit für die jungdeutsche Bewegung charakteristische Schrift. Es ist in der Hauptsache eine in klarem gefälligen Stil geschriebene Kompilation von Urtheilen über deutschen Stil und deutsche Prosa aus älterer und neuerer Zeit, welche von einer geschichtlichen Darstellung ihrer Entwickelung zusammengehalten wird. Ein harmloses Buch der Belehrung, bei dessen Lesung man nicht begreifen kann, wie auch dieses Erzeugniß Mundts Anlaß zu peinlichen Zensurplackereien hat geben können. Und doch war dies der Fall. Der Rothstift des Zensors muß arg gewüthet haben.

So lange Mundt in Berlin blieb und sich dort bemühte, statt des verbotenen »Zodiakus« eine neue Zeitschrift » Die Dioskuren« ins Leben zu rufen und über Wasser zu halten, hat er von allen Geächteten den meisten Zensurdruck erfahren, ohne Beziehungen zu auswärtigen Verlegern, die sich einer freieren Auffassung des Bundestagsedikts Seitens ihrer Regierungen erfreuten, war es ihm hier ganz unmöglich gemacht, irgend etwas nach oben Anstoßendes zu veröffentlichen; wurde doch sogar die von ihm mit Varnhagen veranstaltete Aufgabe des literarischen Nachlasses von Goethe's Freund Knebel verboten. Als auf Spezialbefehl des Königs eine besondere Zensurbehörde für die Schriftsteller des »Jungen Deutschlands« eingesetzt worden war, hatte Mundt darin anfangs einen Fortschritt begrüßt, »da höhere Beamte damit beauftragt sind, von deren Aengstlichkeit man weniger leidet, als wenn man mit den gewöhnlichen Zensoren, die selbst unter strengster Kontrole stehen, zu thun hat.« Der »höhere Beamte«, dem Mundt zugetheilt wurde, war der Geh. Hofrath John. Ueber diesen Mann findet sich in Varnhagens Tagebuch vom Jahre 36 folgende Notiz: »Ein Mensch, der die Büberei ausgeübt hat, nach Preußens Besitznahme von Sachsen eine Schmähschrift gegen Preußen zu verfertigen, heimlich drucken zu lassen, in der Provinz zu verbreiten und dann bei der preußischen Behörde die Personen polizeilich anzugeben, bei denen die Schrift sich fand.« Dies sei nicht nur erzählt, sondern gerichtlich erwiesen und der Anstifter mit namhafter Strafe belegt worden. Dennoch sei er Geh. Hofrath und Ritter des Rothen Adlers geworden. Dieser Zensor »höheren Grades« hatte natürlich für sein Amt echt Tzschoppe'schen Diensteifer. Eine Sammlung von Aufsätzen, die schon durchgängig das Imprimatur besaßen, mußte ihm nochmals unterbreitet werden. War doch auch eine neue Ordre gekommen, daß kein preußischer Regent, zu welcher Zeit er auch immer gelebt haben möge, in einer preußischen Druckschrift mehr getadelt werden dürfe. »Was mich betrifft,« heißt es in einem seiner Briefe an Kühne, »so plagt mich mein mir eigens beigegebener Zensor jetzt mit meiner ›Kunst der Prosa‹ bis aufs Blut. Wie jedes Gewächs seine bestimmte Gattung von Läusen hat, die es fressen, so ist mir dieser Zensor organisch beigeordnet worden und sitzt mir wie ein Eingeweidewurm im Leibe.« Etwas weiter heißt es in dem Briefe: »Mit meiner Beschwerde gegen den Zensor John bin ich vom Ministerium an das Oberpräsidium verwiesen worden und habe dort jetzt förmlich um die Erlaubniß nachsuchen müssen, daß ich nur unter preußischer Zensur schreiben dürfe! Mich soll wundern, was sie auf meine ungemein nachdrückliche und heftige Beschwerde erwidern werden. Die ›Societät‹, sowie Kritik, hat sich ihrerseits sehr nobel gezeigt und auf einen in letzter Sitzung gefaßten Beschluß ebenfalls eine Vorstellung an das Obere Präsidium gerichtet, worin sie gegen das Einschreiten des Zensors John in corpore protestirt. Gans hat erklärt, er würde von den Jahrbüchern austreten, wenn nicht mein Name wieder in das Mitarbeiterverzeichniß käme – in der ersten Gluth ist jeder Mensch schön! Varnhagen meint, man sollte die Jahrbücher gänzlich aufgeben; dies würde eine große Sensation in Deutschland erregen, wenn eine so geachtete Gesellschaft dadurch stillschweigend erklärte, mit der Literatur sei es unter gegenwärtigen Verhältnissen vorbei.«

Das erste Buch, was Mundt wieder herausbrachte, erschien 1837 in Wismar, die Sammlung: » Charaktere und Situationen. Vier Bücher Novellen, Skizzen, Wanderungen auf Reisen und durch die neueste Literatur.« Auf dem Titel waren nur die Initialen seines Namens angegeben. Der Inhalt spiegelte seinen Entwickelungsgang in zum Theil vorzüglich geschriebenen, noch heute lesenswerthen Zeit- und Charakterbildern. Da war nichts Staatsgefährliches, aber wohl das Lob der Rahel, der George Sand, ein Schwertgang mit Ludwig Tieck, dessen Vittoria Accorombona als viel unsittlicher bezeichnet wurde, als irgend eine Schrift der von ihm verketzerten Jugend, eine Vertheidigung des Nackten in der Kunst – Grund genug, daß die Sammlung in Preußen sofort verboten wurde. Die »Geschichte der deutschen Prosa« erschien in demselben Jahre in Leipzig. Die » Spaziergänge und Weltfahrten« (Altona 1838-40) nahmen das Thema der »Posthorn-Symphonie«, der Reiselust, wieder auf und boten ungefährliche Feuilletonistik in bunter Folge. Erst 1841, nach Friedrich Wilhelms IV. Thronbesteigung, als eine optimistische Beurtheilung des neuen Monarchen die Hoffnungen des liberalen Bürgerthums schwellte, trat er wieder mit einem Roman hervor, und zwar einem historischen, der voll reicher Bezüge auf die sozialen Kämpfe der Gegenwart und dessen Held bezeichnender Weise » Thomas Münzer« war. Er fand ein großes Publikum und erlebte drei Auflagen. Wie hier hat er sich auch in seinen späteren historischen, ästhetischen und unterhaltenden Schriften der Tendenz seines Jugendschwärmens als Anhänger demokratischer Prinzipien und sozialreformistischer Ideen treu erwiesen. 1842 durfte er wieder seine Vorlesungen an der Universität aufnehmen, erhielt aber erst 1848 den Professortitel. Vorher – 1838 – hatte er wie Gutzkow als Zeitschriftenherausgeber in Hamburg einen Freihafen gefunden und aus Dankbarkeit sein neues Organ » Der Freihafen« genannt. Und als er nach dem Scheitern auch dieses Unternehmens 1839 nach Berlin zurückgekehrt war, hatte er wenigstens den Glückshafen erreicht, den eine glückliche Ehe gewährt.

Die Sehnsucht nach diesem Glück hatte bei seiner Opposition gegen das »Bestehende« in Staat, Kirche, Gesellschaft immer eine große Rolle gespielt. Es war etwas Weiblich-Hingebendes in seinem Wesen, gegen das wiederum jener Impuls, sich als Mann und Held zu bewähren, gelegentlich revolutionirte, der ihn denn auch 1848 in dem großen Märzsturm auf die Berliner Barrikaden getrieben. In seinem Verhältniß zu Charlotte Stieglitz war nicht er, sondern sie die Heldin gewesen; aber die Anempfindungsseligkeit seines Gemüths hatte sich in ihm wie schon vorher in seiner Jugendfreundschaft mit Gustav Kühne als seine eigentliche Stärke offenbart. In dem Daseinselend, das ihm in dem Jahre nach dem Bundestagsedikt das Leben in Berlin zu einem Gefängniß gemacht, bewahrte dies Gemüth seine Glaubenskraft; all die Heimsuchung vermochte nicht, seine Zuversicht in den Beruf der Menschheit, durch Liebe auf Erden glücklich zu werden, seine Hoffnung, daß auch ihm selbst dies Glück noch beschieden sei, zu beugen und zu vernichten. Mitten durch seine Klagen bricht lebenswarm dies Bekenntniß. Der folgende Brief an Kühne spiegelt besser als alles, was er später geschrieben, dies eigentlichste Wesen seines Innern. »Berlin könnte etwas sein, aber es ist nichts! Die Zeit ist in diesem Augenblicke danach, daß wir jetzt alle nur so hinschlendern, ziemlich gleich, wo und wie. Man mache sich Pläsir, man beiße um sich, man juble, phantasire, dichte, denke, stelle sich und die Andern auf den Kopf: das halte ich noch für das Gescheiteste, aber man bilde sich nur nicht ein, aus dem Sauerteig, in dem Alles eingeknetet ist, genießbares Brot backen zu können. Das ist noch nicht für uns, und gewaltige, himmelschreiende, blutige, weltzermalmende Ereignisse – der Engel der Geschichte, wie er noch nie gedonnert und geblitzt hat – wird kommen müssen, um uns in unsere Rechte einzusetzen. Wer weiß, ob wir es bei lebendigem Leibe erleben, vernünftig zu werden. In den Adern der Staaten so viel unausrottbare Dummheit und Barbarei, in der Kirche ein Gott, der zur Formel geworden, und in den Herzen der Menschen eine so warme Quelle der Seligkeit, so viel Anlage zum Glück, höchsten Genuß und tiefsten Ergreifen jedes schönsten Existirenden – wo soll das hinauslaufen! Ja, das Herz der Menschen, ich kann mir nichts Herrlicheres denken! Ich bin ein unendlicher Menschenfreund, meine Religion liegt darin. Das Herz der Menschen – – ich möchte eine Theodicee des Menschenherzens schreiben, denn ich habe es studirt! Ich kenne es, ich weiß, welche Gaben und Fähigkeiten es hat, wie gesund und stark es ist, und daß es die heutige Epoche nicht verdient, die es mit Gewalt krank machen will, und ihm eiserne Ringe umschnürt, daß es ersticken möchte, wäre es nicht dennoch von Gott! Das alte Raisonnement hat die Phrase gang und gäbe gemacht: das Allgemeine sei immer das Vernünftige und Gute, und nur der einzelne Mensch das Irre, Verirrte, Böse. Ich denke gerade umgekehrt davon. In unserer Zeit ist die Individualität etwas Vollendetes geworden; wann war die Bildung je schöner entwickelt! Aber der allgemeine Zustand der Epoche, das Bestehende der Weltordnung, taugt nichts mehr und muß über den Haufen gestürzt werden, weil die Individualität so mächtig geworden ist. Wie soll man sich aber retten, alter Freund? Man kann, man muß sich retten vor seiner Epoche! Man muß lieben! Ja, Liebe ist Dir und mir die einzige Rettung! Thu Dein Tagewerk redlich, wie Du nicht anders kannst und darfst, aber liebe! Wirf Dich an eines Weibes Brust! Nicht mich liebe – wir gehören uns doch an! Das Weibliche – jenen edlen Theil der Schöpfung, dem an Kostbarkeit und Eigenthümlichkeit nur das Auge verglichen werden kann, muß man lieben, um sich an ihm wieder, an dem Urborn des unmittelbaren Daseins zu tränken. Eine echte Liebe ist in unserer verworrenen Zeit die einzige Rettung, um auf diesem Wege die Idee der persönlichen Freiheit und Schönheit wieder zu erlangen, die in der Allgemeinheit gebrochen und untergegangen ist. Man kann dann besser und kräftiger auf die Thorheiten des allgemeinen Zustandes, der für nichtswürdig anzusehen ist, zurückwirken, man hat etwas voraus und ist darum ein fördernder Kritiker. Laß die Nachtigallentriebe Deines Herzens ausschweifen und Musik machen! Fange Dir etwas ein, hänge Dein Herz an etwas, sonst wirst Du es am allerwenigsten dort aushalten können! Denn wer giebt heut noch auf literarische Erfolge; die können nicht trösten; es müßte denn die Arbeit selbst sein, und wer keine andere Liebe hat, für den muß die Arbeit allerdings zur Geliebten werden!«

Diese Stimmung gesteigert, bildet den Inhalt der späteren Briefe, die Mundt als glücklicher Bräutigam an den Freund in Leipzig schrieb. Er heirathete die als Romanschriftstellerin in den fünfziger und sechziger Jahren unter dem Namen Luise Mühlbach so bekannt gewordene Tochter eines mecklenburgischen Bürgermeisters, Klara Müller. Das reichbegabte Mädchen, das erst später ihr hübsches Fabulirtalent an die breiten Bettelsuppen jener historischen Sensationsromane verschwendete, die für Retkliffe-Goedsche und Meding-Samarow Vorbild wurden, hatte auf Grund seiner Schriften eine Phantasieliebe für den Biographen der Stieglitz gefaßt, noch ehe sie ihn persönlich kennen lernte. Am 5. Januar 1814 in Neubrandenburg geboren, war sie durch verwandtschaftliche Beziehungen nach Dresden und in den Lebenskreis Tiecks gekommen, der ein besonderes Interesse an dem aufgeweckten Kinde nahm, sie gern seine wilde Hummel nannte und ihre frühen Versuche, auf eigene Faust zu fabuliren, mit Gönnerworten förderte. Ihre Muster aber wurden, ihrem leidenschaftlichen Temperament entsprechend, die jungdeutschen Schriftsteller, und an Mundt, der ihr besonderes Vertrauen einflößte, wandte sie sich dann brieflich, indem sie einige ihrer Sachen ihm zur Beurtheilung sandte. Ein freundschaftlicher Briefwechsel zwischen beiden war die Folge; auf einer Durchreise besuchte sie in Berlin mit ihrem Vater den geliebten Dichter. Verlobung – Hochzeit folgten schnell auf einander. Sie war wie geschaffen, ihm alles zu geben, was ihm als Ideal einer glücklichen Häuslichkeit vorschwebte, ein frohes Liebeleben und einen Salon à la Rahel. Am Tage der Hochzeit schrieb er an Kühne: »In der Zeit der Dampfkräfte wirst Du Dich über meinen raschen Entschluß nicht wundern. Mir ist sehr glückselig zu Muthe. Klara ist ganz für mich geschaffen und lebt nur in mir und meinen Bestrebungen. Wir können es Beide mit einander wagen, die Schwankungen des flüchtigen Daseins Arm in Arm zu versuchen und in diesen wechselnden Stunden das Ewige in uns zu retten. Ich hoffe von dieser wohlthuenden und anregenden Genossenschaft für die Schwungkraft meines Geistes nur Gewinn, und durch die ganze Art dieses Umgangs bin ich vor verweichlichenden Elementen geschützt.«

So war auch dieser Dritte im Bunde Derer, von denen Menzel und Hengstenberg behauptet hatten, sie wollten zu Gunsten der freien Liebe die Ehe abschaffen, ein braver Ehemann geworden.

Und Wienbarg?

Es giebt von einem der hafisisch gestimmten Rhein- und Wein-Dichter Deutschlands, Friedrich Hornseck, ein Lied, in welchem die schwierige Lage eines Dichters erwogen wird, dem der Weg zur Schenke und der Weg zur Liebsten gleich weit erscheint. Wienbarg, schon auf der Burschenschaftskneipe zu Kiel geehrt als »trinkbarer« Mann, entschied sich unter dem Drucke der Verfolgung im Sinne von Hafis. Wohl hat auch er noch im Jahre 1839 geheirathet, aber für das Glück einer Häuslichkeit fand er sich nicht geschaffen. Im Innersten tief verstimmt über die verhältnißmäßig untergeordnete Stellung eines Mitredakteurs und Mitarbeiters an Hamburger Blättern, dessen Name nicht genannt werden durfte, konnte sich sein Geist von der Enttäuschung nicht erholen, die ihm der Zusammensturz der an die »Deutsche Revue« geknüpften Hoffnungen bereitete. Kühne hat uns in einem Aufsatz, den nach Gutzkows Tode Westermanns Monatshefte brachten, von einem Besuche erzählt, den er Wienbarg 1837 in der Redaktion der Hamburger Börsenhalle in Begleitung seines Freundes, des literarisch dilettirenden Fürsten Friedrich Schwarzenberg, abgestattet. Sie hätten den feinen, klaren, ätherischen Stil, in welchem er unter Verschweigung seines Namens in die Börsenhalle schrieb, die kluge, durchsichtige Behandlung der schwierigsten Stoffe und geheimsten Kabinetsfragen gerühmt. Da habe er geantwortet, was er jetzt schreibe, sei ein gezwungener Eiertanz, aber er werde auch unter zurückgedrängtem Herzklopfen Takt halten. »Man hat uns,« sagte er, »Alles verdächtigt und verpönt, Alles genommen, unsere heiligsten Ueberzeugungen, unseren sichersten Glauben, die rechtschaffensten Gedanken, unsere wärmsten patriotischen Wünsche – Eines können sie uns nicht verbieten, nicht nehmen: unseren Stil!« Wer ihn jetzt noch im kühnen Geistesmuth der ästhetischen Feldzüge reden hören wollte, der mußte ihn Abends aufsuchen an seinem Stammtisch im Alsterpavillon. Doch es war nur ein gelegentliches Aufflackern; daß er die Versprechen auf größere Dichterwerke nicht zu erfüllen vermochte, dies Bewußtsein lastete drückend auf ihm. Als Gutzkow Anfang 1838 mit seinem Telegraphen nach Hamburg kam, wurde er Mitarbeiter der Zeitschrift; aber es war nicht viel, was er hineinlieferte. Seine Abhandlung über Uhland als Dramatiker fand in ihr durch den jungen Hebbel anregende Besprechung. In seinen selbständigen Unternehmungen hatte er kein Glück: er veranstaltete Vortragszyklen, gründete eine Wochenschrift für die reifere männliche Jugend, 1842 mit Niebour die »Hamburger literarischen und kritischen Blätter«, doch sah er sich immer wieder auf die bestehenden größeren Zeitungen, wie die Hamburger Neuen Nachrichten verwiesen. Verstimmt, übelnehmisch, leicht gereizt, vereinsamte er mehr und mehr, theils aus Stolz, unter der Zuchtruthe der Zensur bis auf seinen Stil alle seine Gaben, sein Wissen und seine Grundsätze geächtet zu sehen, theils aus Groll, daß seine Arbeiten so wenig Anklang im Publikum fanden. Rein und edel, aber karg und unfruchtbar, hieß es 1862 in den »Männern der Zeit«, schien seine Natur dem Felsen der Insel Helgoland zu ähneln, auf den er sich mit Vorliebe zurückzog, um, wie er, langsam mit seiner einsamen Kraft zu zerbröckeln. Sein farbenfrisches, stimmungsvolles »Tagebuch von Helgoland«, das dort entstanden, war das erste Buch, das nach dem Bundestagsedikt (1838) wieder den Weg in die größere Oeffentlichkeit fand. Dem großen Hamburger Brand von 1842 widmete er eine besondere Schrift. Erst der Befreiungskampf seiner Landsgenossen gegen Dänemark in der 2. Hälfte der vierziger Jahre gab seinem Wesen einen neuen Aufschwung, so daß er sich zu Thaten aufraffte, zu schönen Thaten, die denselben Idealen dienten, wie einst seine ästhetischen Feldzüge. Jetzt nahm er am politischen Leben praktisch Theil, an wirklichen Feldzügen mit dem Schwert an der Seite und die Feder gleichzeitig wie ein Schwert führend. Mit seiner glänzenden Beredsamkeit durch literarische Propaganda die Befreiung Schleswig-Holsteins zu einer nationalen Angelegenheit gemacht zu haben, gehört zu Wienbargs bleibenden Verdiensten.

Wir haben schließlich noch Gustav Kühne's zu gedenken, der, seit 1. Juli 1835 in Leipzig als Binzers Nachfolger die »Zeitung für die elegante Welt« in der von Laube eingeschlagenen Richtung redigirte und bis Ende 1842 in dieser Stellung verblieb. In seinem doch den Gutzkow'schen Narrenbriefen und den »Modernen Lebenswirren« Mundts nachgebildeten Buche »Die Quarantäne im Irrenhause« hatte er seine durch Mundt erhaltene Kenntniß von den Schritten zur engeren Konstituirung eines Schriftstellerbunds »Das junge Deutschland« mißbraucht und gegen das »Junge Deutschland« polemisirt. Menzel hatte die Stelle einer seiner pathetischen Kapuzinaden gegen Gutzkow einverleibt und er war dadurch in eine schiefe Lage vor Mundt und seinem eigenen Publikum gekommen. Ein Brief von Börne, als dessen begeisterter Verehrer er sich schon wiederholt in seinem Blatt erwiesen, ermahnte ihn, sich der fünf Verfolgten kräftig anzunehmen. »Wir sind Alle dabei betheiligt, das ganze Deutschland, die gesammte deutsche Jugend wird in den Fünfen geschädigt, mißhandelt, gekreuzigt, darum sollen und müssen wir Alle, in denen noch ein Tropfen Jugendblut ist, uns ihnen anschließen, auf daß der Bund eines ›Jungen Deutschlands‹ immer weiter und weiter greife.« Kühne that dies auch, aber freilich auf seine Weise. Und diese Weise war eine selbstgefällig schulmeisterliche. Während die wirklichen Jungdeutschen mundtodt waren, hatte er zu ihrer Vertheidigung das Wort ergriffen; das war tapfer und schön und sei ihm voll anerkannt. Er hatte sich den Verfehmten sogar in vieler Beziehung als Gesinnungsgenosse angereiht; das war erst recht tapfer, und wenn er dafür von dem Ruhm der andern mitgenossen hat, so ist dies um jener That willen ihm zu gönnen. Er hat aber auch – während sie mundtodt waren – in der Rolle ihres Vertheidigers an ihnen herumgemäkelt und ihre literarische Bedeutung verkleinert. Er selber befand sich dabei in dem Wahne, der geplante Bund habe sich wirklich konstituirt gehabt und die Mitglieder hätten sich auf gemeinsame Prinzipien solidarisch verpflichtet. »Alle bedurften eines Korrektors,« hat er später zur Rechtfertigung seiner Haltung gesagt, »und war dies innerhalb einer Bundesgenossenschaft möglich, so geschah das zum Heil eines gedeihlichen Fortschritts in deutschen Zuständen.« Dies war ein großer Irrthum. Als Korrektor waltete bereits der Bundestag, die preußische Regierung, die Oberzensurbehörde, der Zensor John; von ihren Freunden bedurften sie in dieser Zeit nur Rechtfertigung, nur Hülfe, nur wirksame Vertheidigung. Die Folge war, daß er sich durch seine Stellungnahme zwar auch den Chikanen der Zensur aussetzte, sein Briefwechsel mit Mundt weiß davon zu erzählen; den Verfehmten aber mit derselben mehr schadete als nützte. Sie protestirten denn auch gegen seine Vertheidigung, sie sprachen ihm das Recht ab, ihr Märtyrerthum zu theilen und – wahrlich mit vollstem Recht – über ihre Gemeinsamkeiten in einem Tone zu schreiben, als sei er ein Eingeweihter. Dennoch ist bis an sein Ende die Zugehörigkeit zum »Jungen Deutschland« sein Hauptruhm geblieben: auch als ihm durch die Freundschaft der Schwiegertochter Goethe's in Weimar am dortigen Hofe Sympathien bereitet wurden, auch als er 1840 in dem Roman » Die Rebellen von Irland« sein lebensvollstes Werk bot, auch als aus dem »schneidigen« Redakteur der »Eleganten«, der »elegante« Redakteur der »Europa« geworden war, die er von Lewald 1846 übernahm, auch als er, der glückliche Gatte einer liebenswürdigen Nichte des Leipziger Großindustriellen Harkort, aus einer Villa bei Dresden ein Leben voll Beschaulichkeit führte und zu den wirklichen Männern vom »Jungen Deutschland« keine andere Beziehung mehr hatte, als die persönlicher Verfeindung.

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Kühne's Vertheidigung des »Jungen Deutschlands« und Laube's Protest dagegen, daß er zu einem solchen Bund gehöre, wurden zu Ausgangspunkten von gegenseitigen Befehdungen der unerquicklichsten Art. Statt daß ihre gemeinsame Kraft sich gegen Menzel und die anderen Ankläger gerichtet hätte, zersplitterte sich dieselbe in unfruchtbaren Abrechnungen mit einander. Zum Unglück verquickten sich diese Streitigkeiten mit dem bereits bestehenden Kampf zwischen Heine und Börne (s. S. 154). In der Parteinahme für oder gegen diese spiegelte sich die Animosität gegen einander. Gutzkow, der früher im Phönix Heine gegen Börne vertheidigt, nahm sich nach dessen Tod Börne's an gegen Heine; Laube trat, als er im Sommer 1839 nach Paris gekommen war, für Heine ins Feld. Kühne stellte die »Elegante« letzteren beiden zur Verfügung, während Mundt es mit keiner Partei ganz verderben wollte, es aber mit allen verdarb. Dieser Kampf hat nur ein Gutes gehabt: er hat in dem Buch » Heine über Börne« ein vorzügliches Dokument von Heine's witziger Schilderungskunst und geistvoller Zeitcharakteristik, die aber zugleich ein Denkmal seiner niedrigsten Eigenschaft, seiner maßlosen Rachsucht ist, in Gutzkows » Ludwig Börne's Leben« aber ein Monument der dankbaren Verehrung geschaffen, welche die deutschen Liberalen des vierten Jahrzehnts für Börne hegten und hegen mußten, das zugleich ein Denkmal ist der idealen Wirkungen, die Börne auf die heranwachsende deutsche Jugend ausgeübt. Wir entheben uns der unangenehmen Aufgabe, das traurige Schauspiel dieser Kämpfe im Einzelnen nachzuzeichnen. Für die geistige Bewegung, welche wir hier schildern, haben sie nur die Bedeutung von Episoden, die sie zwar störten, aber nicht aufhielten. Anders war die Wirkung auf Leben und Schicksal der Einzelnen, weshalb auch die Heinebiographie von Rob. Prölß und die Börnebiographie von M. Holzmann ihnen eingehende Besprechung widmen mußten. Was die Einzelfehden zwischen Gutzkow und Laube, Kühne und Gutzkow, Mundt und Laube, Laube und Kühne angeht, an denen sich auch andere jüngere Schriftsteller, Beurmann, Marggraff, Kottenkamp, Wiehl, Schirges betheiligten, so dürfen wir uns begnügen, festzustellen, daß jeder einzelne dieser Autoren schwer gekränkt und geschädigt worden ist durch diese nutzlosen Kämpfe, deren Nachhall später für viele die Verdienste Aller verdunkelt hat. Die Verfolgung durch die politischen Gewalten hat sie nicht nur geschädigt, sondern schließlich auch gefördert, als der Nimbus des Märtyrerthums sich geltend machte und Gutzkows glänzende Leistungen als Dramatiker und Romandichter noch diesen Nimbus überstrahlten: diese gegenseitigen Befehdungen haben ihnen nur geschadet. Vergeblich warnten ältere Freunde vor diesen Folgen; der Trieb der Verfehmten, sich zu verwahren, sich zu vertheidigen, war mächtiger, er war eine historische Konsequenz aus der Thatsache, daß Jeder glaubte, für die Ausschreitungen und Thorheiten des Anderen mitverantwortlich zu sein, nachdem der Bundestagsbeschluß aller Welt verkündigt hatte, daß sie einer Bundesgenossenschaft angehörten. Und Gutzkow hatte recht, als er in seinem Kerkertagebuch klagte: Nicht Bundesgenossen sind wir, wir sind Rivalen. Er selbst ist nicht freizusprechen davon, daß er als Jüngerer, der von Heine viel gelernt, gegen diesen einen unangemessenen Ton der Bevormundung anschlug, wozu seine Intimität mit Campe, sein Entschluß, Börne's Biograph zu werden, viel beigetragen; ihn hob das Bewußtsein, daß er von Allen jetzt der einzige war, der trotz der Unterdrückung den Ruf ihrer früheren Gemeinsamkeit als einer berechtigten Sache und einer Verheißung wahrte. Doch nicht Neid und Eifersucht waren die wesentlichsten Elemente, welche ihre Blicke für ihre gegenseitigen Schwächen schärfte und sie antrieb, wie Heine es gegen Gutzkow mit witziger Malice ausdrückte, sich gegenseitig auf den Splitter in ihrem Auge aufmerksam zu machen; es war dabei vor Allem das psychologische Gesetz im Spiel, das Emerson in den Satz gekleidet: Der Neuerer haßt immer Den, der noch Neueres will, und der, welcher dem Abtrünnigen abtrünnig wird, ist ihm mehr zuwider als der Papst selbst. Darum war z. B. Gutzkow jetzt blind für den bedeutenden künstlerischen Fortschritt, der in Laube's »Kriegern« hervortrat; die Resignation auf die früheren gemeinsamen Ideale, welche in dieser Fortsetzung des »Jungen Europa« vorherrschte bestimmte zu sehr den Eindruck, den er von ihr empfing. Darum war andererseits Laube unempfänglich für all das rege Wirken Gutzkows im Geist der früheren Gemeinsamkeit: er war zu sehr mit den Idealen seiner Jugend zerfallen. Und so persönlich die Art der Bekämpfung war: als Motive wirkten auch hier die großen Prinzipien, welche den Zwiespalt zwischen Heine und Börne, zwischen dem Politiker und dem Poeten der Freiheit bedingt hatten, ihr verschiedenes Verhalten in dem Rangstreit zwischen der politischen Gleichheit und der persönlichen Freiheit. Der Versuch, in der Poesie beide Prinzipien neben einander geltend zu machen, hatte eine Zeitlang die so verschiedenartigen Naturen zu der Gemeinschaft vereinigt, die mit vollem Recht den Namen »Junges Deutschland« erhielt. Sie hatten gleichzeitig in der Politik Veraltetes niederreißen, in der Poesie Neues aufbauen wollen und wurden in dem muthigen Ringen nach Harmonie zwischen diesen Antrieben, gerade als jeder einzelne im Begriff war, seine poetische Individualität zu Gunsten einer realistischen Poesie von dem Streben ins Allgemeine zu emanzipiren, von der Acht getroffen und in ihrer natürlichen Entwicklung gestört. Den ersten Versuch einer Darstellung dieses Prozesses machte Gutzkow in dem Aufsatz »Vergangenheit und Gegenwart 1830-38«, mit welchem er das »Jahrbuch der Literatur« (Hamburg 1839) eröffnete, das auch einen feinempfundenen Aufsatz »Rückblicke auf die schöne Literatur seit 1830« von Levin Schücking und Heine's »Schwabenspiegel« enthielt. Gerade die an letzterem vorgenommenen Zensurkürzungen, welche Heine zum Theil Campen und seinen Hintermännern Schuld gab, brachten die herrschende Spannung zum offenen Ausbruch. Die entsprechenden Kapitel in Laube's und Mundts Literaturgeschichten zeigen deutliche Spuren verhaltener Polemik gegen die Gutzkow'sche Auffassung. Aber so sehr sie in jenen kritischen Jahren gegen einander eiferten: daß sie geistig doch zu einander gehörten, bewies der Antheil, mit welchem sie alle Stellung zu den Ereignissen nahmen, die das nationale Bewußtsein in dieser Zeit politischer Windstille erschütterten. Als die Kunde vom Verfassungsbruch des Königs von Hannover durch die Lande ging, als die »Göttinger Sieben« unter Jakob Grimms und Dahlmanns Führung den Muth bewährten, lieber ihre Stellung aufzugeben, ehe sie ihrerseits dem auf die Verfassung gegebenen Eid untreu wurden, als in der Rheinprovinz, Bayern und Posen sich die Nachgiebigkeit gegen die Jesuiten zu rächen begann und die anmaßenden Machtansprüche der preußischen Erzbischöfe die Staatsregierung zu entschiedenen Schritten gegen sie nöthigten, da war jeder auf dem Posten als Anwalt seiner politischen Ideale, als Verfechter des protestantischen Prinzips der Glaubensfreiheit. In Laube's Literaturgeschichte, in Mundts »Kunst der Prosa« wie dann in seinem »Thomas Münzer«-Roman, in Kühne's »Klosternovellen« und »Deutschen Charakteren« äußerte sich dieser Geist ebenso wie in Gutzkows, Wienbargs, Mundts, Laube's und Kühne's publizistischem Wirken. Und wie sie hier unter einander einmüthig waren, so befanden sie sich in ihrem Kampf gegen das unter Görres' Führung entstehende Ultramontanerthum im Einklang mit der sie selbst verfolgenden heimischen Regierung. Der Gefangene von Muskau konnte seine Streitschrift » Görres und Atha nasius« freilich nur anonym ins Feld senden und seine heimliche Mitarbeit an Journalen mußte sich sehr in Zaum halten; in dem literarischen Freihafen Hamburgs hatten Gutzkow, Mundt und Wienbarg größere Freiheit und die Nähe Hannovers, Westfalens, der Rheinprovinz, welche den Hauptschauplatz jener Ereignisse bildeten, machte die Hamburger Presse zu einer Vorhut der freiheitlichen Interessen der Nation in diesen Kämpfen. Gutzkow trat auch hier wieder am weitesten hervor; mit demselben Feuereifer, mit dem er jetzt wie früher gegen die Reaktion in der protestantischen Kirche kämpfte, trat er dem Uebermuth des unter Metternichs Schutze neuerstarkten katholischen Klerikalismus entgegen. War doch auch hier im Spiel, was ihn zu jenen hitzigen Ausfällen veranlaßt hatte; handelte es sich doch auch bei den Ansprüchen der katholischen Kirche auf die Kinder aus gemischten Ehen, um die Einmischung der Kirche im Wohl und Wehe des ehelichen Lebens. Sah er doch vor allem auch durch diese Anmaßungen der Kirche die Erfüllung des Hauptideals seines Wirkens gefährdet: die Wiedergeburt der Nation in Freiheit und Einheit. Aber in der Form, in der Dialektik war er maßvoller geworden. Der erstarkte dichterische Trieb, fremden Zuständen, fremden Individualitäten gerecht zu werden, machte ihn jetzt zu einem objektiven Beobachter des kirchenpolitischen Streits, dem es Bedürfniß war, die Gegner auf ihrem eigenen Terrain aufzusuchen, und als solcher schrieb er nicht nur jetzt seine Streitschrift » Die rothe Mütze und die Kapuze«, sondern auch für den Telegraphen eine ganze Reihe von kirchenpolitischen Aufsätzen – über die Entsetzung des Erzbischofs von Köln und die Hermes'sche Lehre, gegen Droste-Vischering und zur Vertheidigung seines Vorgängers Graf Spiegel von Desenberg, für die deutsch-katholische Bewegung und gegen das Dunkelmännerthum der Kryptokatholiken Friedr. Hurter und Florencourt, gegen neue »Apostaten des Wissens und Neophyten des Glaubens«, und sammelte so die Eindrücke, welche ihm später zu Dokumenten wurden, als er daran ging im »Zauberer von Rom« ein kühn komponirtes Lebensbild und Zeitgemälde aus der deutschen katholischen Welt zu entwerfen. Unter dem Einfluß, den die Lektüre des »Telegraphen« damals auf alle Gesinnungsgenossen ausübte, schrieb am 22. März 1839 Ferdinand Freiligrath an Ignaz Hub in Hamburg: »Deiner freundschaftlichen Beziehungen zu den dortigen Literaten freu' ich mich herzlich. Grüß doch vor Allem Gutzkow von mir und versicher' ihn meiner ganzen Hochachtung. Seit ich mich mehr und mehr aus allen Koterien herausgerettet habe und auf eigenen Füßen stehe, wird mir Gutzkow von Tag zu Tag lieber, und ich verehre sein Streben und seinen enormen Geist von ganzem Herzen.« (Wilhelm Buchner, Ferdinand Freiligrath, ein Dichterleben in Briefen.)

Schon jetzt war er derjenige auch, der von den jungen Poeten allein es unternahm, das innere Erleben des zwischen Staat und Kirche entbrannten Kampfes, in einem rein künstlerischen Werke widerzuspiegeln. Wie er früher im »Nero« die Verbindung des Absolutismus mit der Romantik symbolisch dargestellt hatte, so griff jetzt sein Geist auf die Uranfänge zurück, welche die biblische Tradition dem obschwebenden Kampfe zwischen Priesterthum und Königthum als Analogie an die Seite zu setzen hatte. In dem Verhältniß von Samuel, dem Hohenpriester, und Saul, dem von diesem gesalbten König, fand er den Gegensatz wieder, der, nachdem er die deutsche Geschichte schon so oft unheilvoll beeinflußt hatte, auch jetzt wieder in den Kölner Wirren zu Tage trat. Samuel hatte den Sohn des Kis zum König gesalbt, damit die Verteidigung des jüdischen Priesterstaats gegen die Heiden einen starken Führer erhalte. Saul hatte nach Niederwerfung der Feinde, der Philister und Midianiter, sich bestrebt, dem Königthum selbständige Macht und Kraft zu geben, war aber von Samuel daran gehindert worden, der in dem gottbegeisterten Heldenjüngling David, dem Obsieger über den Philister-Heros Goliath, ein Werkzeug seiner Interessen heranzog. Die hochdramatischen Szenen, welche die Bibel in dem Kapitel enthält, die von Sauls Trübsinn, von Davids tröstendem Saitenspiel, von Sauls Wüthen gegen den jungen Rivalen seines Ruhmes, von Davids »Saul, was verfolgst du mich« erzählen, weckten in Gutzkow die Lust zur dramatischen Gestaltung des Stoffes. Es entstand das Trauerspiel » König Saul«. Er stellte David als einen Zögling der Priester dar, die ihn den Herrschaftsgelüsten Sauls gegenüber zu ihrem Werkzeug machen möchten, dessen heller Geist aber rechtzeitig erkennt, daß die Rathschläge der Priester nicht Gottes höchsten Willen offenbaren, sondern dem Eigennutz entstammen, und der nach seinem Sieg über Saul das Joch vollends abschüttelt, welches Samuel ihm aufgenöthigt. Er will als König nur der Offenbarung folgen, die aus dem eigenen Gemüthe als Gottes Stimme spricht. Saul aber sieht sterbend eine Zukunft, in der sich die Fürsten mit der Kirche verbinden werden, um das Volk mit vereinter Uebermacht zu bedrücken, statt für Frieden und Glück desselben zu sorgen. Als dramatischer Hebel der Handlung wirkten die Liebe Davids zu Sauls Tochter Michal, der ihm zugesprochenen Braut, und die dämonische Leidenschaft der Tochter des Philisterkönigs Zeruga für den jungen sangesgewaltigen Heldensohn des feindlichen Volks der Judäer. Dieser letzteren lieh Gutzkow Züge von Schillers Jungfrau von Orleans und der Judith der Bibel. Sie tödtet den ihr aufgedrungenen Bräutigam, den Philisterfürsten Astaroth, in der Brautnacht und führt dann dessen Heer in seiner Rüstung dem Geliebten ihres Herzens zu, der ihren Tod, ohne sie zu erkennen, herbeiführt. Das Ganze war in fünffüßigen Jamben gedichtet, untermischt mit Liedern, die David singt, ein nach klassischem Vorbild gestaltetes Drama, graziös im Ausbau, kein vollendetes Kunstwerk; ein historisches Drama ohne historisches Kolorit; die Sprache oft markig, nie geschwätzig, zwar mit modernen Ausdrücken und Begriffen durchsetzt, aber die Tendenz der Dichtung doch durch nichts anderes verrathend als durch den Geist, der Personen und Handlung durchdringt. Ein außerordentlicher Fortschritt in künstlerischer Beziehung verglichen mit Nero, aber doch dessen Grundfehler theilend, der aus dem Streben hervorging, die Darstellung historischer Charaktere und Situationen aus ferner Vergangenheit zum »Vehikel« moderner Zeit- und Streitgedanken zu machen. Der lyrisch-rhetorische Zug, der dadurch in das Stück kam, paßte jedoch gut zur Hauptgestalt des Dramas, dem jungen streitbaren Psalmensänger, und erhielt Lebenswärme durch das subjektive Gefühl, mit welchem Gutzkow sein eigenes Schicksal in dem seiner Helden widergespiegelt sah, den ja auch Staatsgewalt und Priesterschaft darum verfolgten, weil er seinen Genius in den Dienst der Wahrheit und Freiheit gestellt. In dem geächteten David feierte er das geächtete junge Deutschland, in dem Lied Davids »Warum verfolgst du mich« klagte das junge Deutschland seine Verfolger an, in Davids Triumph, der ihn trotz Acht und Bann doch zum Siege geleitet, triumphirte der Geiste den man in dem Dichter des »König Saul« vergeblich hatte ertödten wollen. Zur Aufführung gelangte das Drama nicht; wie Rehfues schrieb, hatte es wegen seiner politischen Tendenz dazu keine Aussicht. Aber der Dramatiker in Gutzkow war zum Leben erwacht, in reger Schaffenslust ließ er dem Saul ein neues Stück folgen, kein Epigonenwerk mehr, sondern ein Progonenwerk, bestimmt mit einem Schlage der jungdeutschen Geistesrichtung in der Literatur die deutsche Bühne in ihrem vollen Umfang zu erobern: den » Richard Savage«.

Und noch waren die »fünf Jahre« nicht herum, da hatte für das gebildete Deutschland der Fehmspruch des Bundestags seine Schrecken verloren, er wirkte nur noch als Brandmal für diesen, als Ehrenzeichen aber für die Verfolgten. Ein Nachwuchs junger Dichter und Denker blickte zu Gutzkow als Führer empor und stellte seine Kräfte in den Dienst seines Blattes. Der »Telegraph für Deutschland« wuchs sich immer mehr aus zu dem, was die Deutsche Revue hatte werden sollen, zu einem Organ des geistigen und sittlichen Fortschritts der Nation, zu einer »Festung in den Ideenkämpfen der Zeit« für das junge Deutschland, die deutsche Jugend, welche von dem Ideale der Wiedergeburt der Nation im Zeichen der Freiheit geleitet wurde. Der Kampf gegen die Rückschrittslehren der Romantik und des Hegelthums, für das Börne'sche Ideal einer fortschreitenden Wechselwirkung zwischen Denken, Dichten und Leben, für die freie Forschung, den freien Staat und die freie Kirche, war jetzt nicht mehr das Wagniß einiger weniger einsamen Sturmläufer. Beim Beginn des Jahrgangs 1840 konnte der Herausgeber des Telegraphen mit Recht sagen, daß sein Blatt nicht mehr ein verlorener Vorposten, sondern eine Schlachtlinie im mittelsten Treffen sei. Ueber vierzig Mitarbeiter konnten aufgezählt werden, darunter viele Namen, die damals neu klangen, später weltbekannt wurden. Von den für die Deutsche Revue einst Gewonnenen befanden sich freilich nur wenig darunter, sie waren zum Theil auseinandergesprengt, zum Theil eingeschüchtert durch die Verwarnungen und Bedrohungen. Heine, Laube, Mundt, Wienbarg fehlten in dem Verzeichniß, dafür aber war Immermann in ein Verhältniß der Waffenbrüderschaft zu Gutzkow getreten. Wir haben im Eingangskapitel einen Theil des Briefes mitgetheilt, in dem der Verfasser des »Münchhausen«, im Herbst 1838 die Annäherung vollzog; der großherzigen Erlaubniß, öffentlichen Gebrauch von dieser Erklärung zu machen, hatte Gutzkow in Nr. 169 des Telegraphen entsprochen; dem Briefe war jener dann selber gefolgt und hatte in intimem Verkehr mit dem jüngeren Genossen das Trennende und das Gemeinsame ihres Strebens in Unterredungen zur Aussprache gebracht, die zu inniger Verständigung führten; im neunten Bande von Gutzkows Gesammelten Werken findet sich der Aufsatz mitgetheilt, in welchem Gutzkow diesen Besuch nach des neugewonnenen Freundes nur zu früh erfolgten Tode geschildert hat. Von älteren Schriftstellern waren jetzt Heinrich König, der in seinen »Waldensern« die Form des historischen Romans in Walter Scotts Manier mit der liberalen Tendenz sehr glücklich vermählt hatte, Julius Mosen, A. Lewald, Theodor Mügge, O. L. B. Wolff, Troxler, Fr. Daumer, I. Braun, Karl Riedel, A. Peucer, E. Koloff Mitarbeiter des Telegraphen. Der eigentliche Zuzug war aber aus der poetischen Jugend: Georg Herwegh, der Schwabe, der Hesse Franz Dingelstedt, der Ungar Karl Beck, die Wiener Uffo Horn und Dräxler-Manfred, Friedrich Hebbel, der geniale Bauernsohn aus Wesselburen, W. von Chezy in München, H.  Marggraf und A.  Bürck in Leipzig, die beiden Freunde Moritz Carriere und Theodor Creizenach, die als vorgeschrittene Schüler von Dahlmann und Jakob Grimm die Ausweisung der Göttinger Sieben erlebt und in der Begeisterung für diese deutschen Männer den Ansporn zu ihrer ersten poetischen Veröffentlichung gefunden hatten, Berthold Auerbach, der nun bereits dem Plan seiner Schwarzwälder Dorfgeschichten nachhing, der Rheinländer Levin Schücking, der Königsberger Alex. Jung, G.  Kuranda aus Prag, der Begründer der Leipziger Grenzboten, die später aus seinen Händen in den Besitz von Gustav Freytag übergingen, der Oldenburger Starklof, Karl Gödeke und J. H. Detmold, die Hannoveraner, der Westphale K.  Grün u. s. w. Als dritter Schwabe, neben Herwegh und Auerbach, ist Siegmund Schott zu nennen, der Sohn des Mitbegründers der schwäbischen Volkspartei, in dessen Hause einst Gutzkow bei seinem ersten Aufenthalt in Stuttgart freundliche Ausnahme gefunden hatte. Der junge Justizreferendär Schott, der als Politiker der ruhmvollen Laufbahn seines Vaters folgte, hatte am 10. Mai 1839 seinen ersten Beitrag, einen sehr schön geschriebenen Artikel über das Stuttgarter Schillerfest dem Telegraphen geliefert, den er bei dieser Gelegenheit als das beste deutsche Journal begrüßte und als Organ erbat für sein Bestreben, Süddeutschland über den Norden und umgekehrt aufzuklären und freundliche Beziehungen einzuleiten. In diesem Bestreben, das von Beginn an dasjenige von Gutzkow gewesen und auch jetzt seiner Thätigkeit als Redakteur den Charakter gab, hat in jenen kritischen Zeiten der »Telegraph« eine Mission von weitwirkender Bedeutung erfüllt. Ein Brief von Ludwig Wiehl, Gutzkows literarischen Adjutanten in jenen Tagen, hat uns einen Reflex der freudigen Stimmung erhalten, welche dieser Freundschaftsgruß aus dem Süden in der Redaktion des »Telegraphen« erregte. Er rief in dessen Redakteur die Erinnerung wach an jene journalistischen Anfänge, in denen er die süddeutschen Liberalen über die Bedingungen einer Verfassung für Preußen aufgeklärt, da er für sein eigenes Wirken für die Wiedergeburt der Nation den Grundsatz aufgestellt: nicht über die Form des fernen Ziels ist jetzt zu streiten; die Wege gilt es offen zu halten für organische Vorwärtsentwicklung. Die Wege waren offen geblieben; als die Politiker mundtodt wurden, hatten die Poeten für sie ihres Amtes gewaltet; jetzt athmeten die Parlamentarier und Publizisten wieder auf und dankten den literarischen Wegbereitern den Dienst. Und als die Wahrer der Bewegung in schwerster Zeit haben die Verfehmten vom Jungen Deutschland alle zu gelten, in deren Namen Gutzkow jetzt das jüngere Geschlecht von Kampfgenossen in folgenden Strophen begrüßte:

»Glücklich seid ihr, jüng're Streiter,
Daß euch schwarze Warnungsblanken
Zeigen, wo einst Roß und Reiter
Vor euch in den Abgrund sanken!

Glücklich, denn so könnt ihr wissen,
Wo im dichterischen Schwärmen
Andern ihre Saiten rissen,
Saiten aus Philisterdärmen.

Eine Welt seht ihr in Trümmern,
Bauen dürft ihr, statt zerstören,
Tempel schon und Kuppeln zimmern,
Die dem Himmel angehören.

Glätter wird die Stirn der Musen –
Ihr könnt schon mit Amor kosen,
Könnt den Jungfrau'n an den Busen
Wieder stecken Liederrosen.

Von dem Speer die Eisenspitze
Dürft ihr stoßen in die Erde,
Daß er nach des Kampfes Hitze
Euch ein schattig Laubdach werde.«



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