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» Die Bücher sind eine neue Art Waffen«, schrieb Ulrich von Huttens Freund, der Ritter Eitelwolf vom Stein, in der Frühzeit des Reformationszeitalters. Eine Druckerpresse als Waffenschmiede stellte Hutten selbst zwischen den Wällen seiner alten Steckelburg auf und ließ von ihrer Höhe seine Klag- und Mahnschriften »an alle freyen Deutschen« wider die übermäßige Gewalt des Papstes und für die deutsche Freiheit in die Lande flattern mit der Flugkraft, die Gutenbergs Kunst ihnen verliehen. Und sie erreichten ihr Ziel und zündeten in den Herzen des Volks weit mächtiger, als die Zündgeschosse der Karthaunen in den Mauern seiner alten Ritterburg.
»Es ist die Zeit des Ideenkampfs und Journale sind unsere Festungen«, schrieb Heinrich Heine beim Beginn seiner Laufbahn als Publizist, und wie er nun selber, gleich Hutten, die Leier zur Seite stellte, um in dem Festungskriege der Geister die Explosionsgeschosse seines Witzes gegen die Bastionen der Feinde des politischen Fortschritts zu schleudern, so haben die jungen Schriftsteller, die seinem und Börne's noch mannhafterem Beispiele folgten, ihre frische Kraft in den Dienst gestellt der neuen Festungen des Ideenkampfs, der Journale. Die politische Tendenz des Zeitgeistes wies auch den heranwachsenden poetischen Talenten die Richtung an: sie beeinflußte Stil und Form, schuf neue Gattungen der poetischen Rede, gab den alten Formen neue Stoffe und neue Ideen. Das Gemeinwohl trat in den Vordergrund der Ideale, der Kampf für gemeinsame Interessen führte zu gemeinsamem Wirken; die Zeitungen und Zeitschriften, zu Organen der öffentlichen Meinung ausreifend, wurden auch Organe dieser Gemeinsamkeit.
Aber die Verfechter des Alten erkannten schnell die Gefahr des Beginnens. Auch sie suchten die neuen Kampfmittel sich zu eigen zu machen, auch sie bauten sich »Festungen« und suchten sie mit schlagfertigen Kämpen zu bemannen. Eifriger aber noch waren sie darauf bedacht, die wachsende Macht der Empörer durch altbewährte Machtmittel zu vernichten. Man legte Beschlag auf die »neue Art Waffen« – wie es auch in den Zeiten der Reformation geschehen –, man verfolgte ihre Verfertiger und Verbreiter, man jagte die Kühnen, die sich ihrer im Kampf gegen die bestehenden Mächte bedienten, zum Lande hinaus oder warf sie ins Gefängniß; man suchte die »Festungen« zu schleifen und, waren sie zu fest gegründet, wenigstens ihre Batterien mundtodt zu machen. Gleichzeitig mit den Zeitungen trat die Zensur in eine neue Aera; jene im Zeichen neuzeitlicher Ideale, diese im Dienst eines mit Geheimagenten, Geheimverfahren und »Lockspitzeln« arbeitenden Polizeisystems. Wie in den Zeiten, da Ulrich von Hutten als verfolgter Flüchtling auf Ufenau im Züricher See seine Ruh' nur im Grabe fand, da Jakob Rosius und Nikodemus Frischlin ihr freiheitliches Mahnen hinter Kerkermauern büßen mußten, da man die Verbreiter von »gefährlichen« Schriften in den Bock spannen und stäuben ließ und die Verfolgungssucht der sich bedroht fühlenden Staatsgewalt in dem unglücklichen Nürnberger Johann Herrgott einen Blutzeugen forderte, so traf die Schriftsteller und Redakteure, Buchführer und Drucker, welche in der Märzenzeit eines öffentlichen Lebens in Deutschland für die Verbreitung politischer Aufklärung wirkten, ganz abgesehen von der Unterdrückung und Beschlagnahme ihrer Bücher und Blätter, schwere Strafe an Acht und Bann, wenn sie nicht ausgezeichnete Strategen oder äußerst gewandte Schmuggler waren.
Denn was offen nicht erlaubt war, wurde heimlich mit um so größerem Eifer betrieben. Und ähnlich, wie die Buchführer der Reformationszeit, von denen uns ein liebenswürdiges Beispiel die Meisterhand Gustav Freytags im »Ahnen«-Roman »Markus König« gezeichnet, mußten es die deutschen Sortimenter in den Zeiten halten, da die Hamburger Verlagshandlung Hoffmann und Campe z. B. Börne's »Briefe aus Paris« unter dem irreführenden Titel »Zur Länder und Völkerkunde« und unter der fingirten Firma »L. Brünet« versandte, während andere verbotene Bücher dieses verpöntesten Verlags über die vielen deutschen Grenzen in Ballen geschmuggelt wurden, welche zwischen Schichten harmloser Grammatiken und unschuldiger Novellen die verbotene Frucht vom Baume der Erkenntniß deutschen Jammers verbargen. Und mit diesem Bücherschmuggel der Buchhändler ging der Ideenschmuggel der Schriftsteller Hand in Hand. Auch sie gaben ihren politischen Schriften harmlose irreführende Titel und versteckten ihre politischen Hintergedanken in poetische Darstellungen und ästhetische Erörterungen. Die Aufrechterhaltung der Zeitungen aber, die unter dem Druck der Metternich'schen Congreßpolitik, der Karlsbader Beschlüsse von 1819 und der drakonischen Erlasse des Bundestags gegen die Presse von 1830 und 1831 einen Verzweiflungskampf ums Dasein führen mußte, erforderte eine kunstreichere Strategie. Der Festungsdienst bedarf ohnehin nicht nur guter Batterien; er fordert heute kühne Ausfälle und dann wieder kaltblütige Zurückhaltung im Behaupten der Position, er heischt heimlichen Kundschafterdienst und kluges Parlamentiren. Hier nun waren oft nur ganz verdeckte Ausfälle bei scheinbarem Waffenstillstand geboten. Die Kriegslist des »Waldes von Dunsinan« mußte in mannichfacher Abänderung nachgeahmt werden. Aber die meisten der muthvollen Männer, die sich damals dem noch unentwickelten Zeitungsdienst gewidmet haben, waren alles eher – nur keine guten Strategen.
Wer heute gewohnt ist, dreimal täglich über die Vorgänge in der Welt mit einer Schnelligkeit unterrichtet zu werden, die dank der Ausbildung des telegraphischen Spezialdienstes oft an Gleichzeitigkeit grenzt, kann sich nur schwer von dem Zeitungswesen jener Tage einen Begriff bilden. Selbst der verbissenste Rückschrittsmann unserer Tage, der in seine Gebete alltäglich einen Fluch aus den »Giftbaum« der Presse einflicht, würde wohl – wenigstens für einen Moment – diesen Fluch in Segen verwandeln, wenn er sich zurückversetzt sähe in den Zustand von damals, als nicht nur die breite Masse des Volkes, sondern auch die durch Bildung und Besitz Bevorzugten selbst über die wichtigsten, folgenschwersten Ereignisse erst nach Verlauf von Tagen, ja Wochen nothdürftig unterrichtet wurden durch Zeitungen, deren Inhalt vor dem Druck noch einen zeitraubenden Umweg durch das Bureau des Zensors zu nehmen hatte. Noch gab es nur wenig Korrespondenten, welche die Kunst anschaulicher, schneller Berichterstattung auf Grund eigener Beobachtung als Beruf ausübten; meist war es nur ein durchgesickerter Niederschlag der Wahrheit, wie ihn dort ein auf Nebenverdienst bedachter Gesandtschaftssekretär, hier ein federkundiger Postbeamter, da ein auswärtiger Agent großer Geschäftshäuser der Schrift überantwortet hatte. Napoleon hatte den deutschen Fürsten ein übles Beispiel gegeben, wie man die öffentliche Meinung knebelt und durch den eignen Moniteur regiert. Wie hatten während der Befreiungskriege die deutschen Väter und Mütter in Bangen zu harren, bis sie nähere Berichte vom Kriegsschauplatze erhielten, um wenigstens zu erkennen, ob das Regiment, in dem der ferne Sohn diente, wieder im Feuer gestanden habe. Auch der verbissenste Rückschrittsmann würde nach Durchführung dieses Vergleichs die kühnen Männer des Fortschritts segnen, welche all die gewaltigen Veränderungen auf dem Gebiete der öffentlichen, freien Nachrichtenvermittlung und Zeitbesprechung tapferen Muthes durchgesetzt haben; er würde sogar – wenigstens für einen Moment – Bedenken tragen, das Walten der damaligen Zensur weiterhin für einen Vorzug zu halten, jener Zensur, welche aus überängstlicher Besorgniß vor zu schnellem Wachsthum der Volksbildung, die geschichtliche Wahrheit zu Gunsten gefärbter und gekürzter Berichte, wie sie den Wünschen der Regierung entsprachen, berufsmäßig entstellen mußte, die, meist von beschränkten Beamten niederen Grades geübt, mit leichtfertiger Eile über das Wohl und Wehe der Bücher und Schriften begabter und gemeinnütziger Schriftsteller entschied und alle Druckerzeugnisse, die nicht 20 Bogen stark waren, vernichten, entstellen, alles logischen Zusammenhanges berauben konnte, so daß sich wiederholt Schriftsteller ersten Ranges gezwungen sahen, für ihr Werk, wie es verstümmelt aus den Händen des Zensors hervorgegangen, jede Verantwortlichkeit abzulehnen. Er würde vielleicht auch – wenigstens für einen Moment – die Zensur für einen »Giftbaum« erklären, durch welchen das Gift der Lüge und das Gift des Hasses unserm nationalen Geistesleben in einer Weise eingeflößt wurde, die demselben zu großem nachhaltigen Schaden gereicht hat. Die Zensur hat in jenen Zeiten die besten und aufrichtigsten Patrioten zur Heimlichkeit, zu jesuitischem Gedankenversteckspiel gezwungen, sie hat Bestrebungen, die vom Zeitgeist gefordert waren, aus reformatorischen in revolutionäre verwandelt.
Die Politik gab dem Geistesleben der Zeit ihren Charakter, die Zensur hat sein gesundes Wachsthum verdorben.
Wenn Börne in seinen Bemerkungen über Sprache und Stil in ironisch-witziger Weise der Zensur nachgerühmt hat, daß sie auf den Stil der deutschen Schriftsteller günstig eingewirkt habe, weil die Wahrheit, die nicht offen, sondern nur verdeckt gesagt werden könne, den Schriftsteller zwinge, für alte Gedanken neue Ausdrücke zu finden, so ist dies aus tiefster Wehmuth über diesen Zustand geschehen. Wie Börne im Grunde seines Herzens von dem Einfluß der Zensur gedacht hat, das bezeugt uns schlagend der folgende Seufzer aus einem Briefe, der die Ausweisung Murhards, des Redakteurs der Cotta'schen »Annalen«, aus Frankfurt a. M. besprach: »Bald, fürchte ich, werden wir Journalisten nach Botani-Bai transportirt, daß wir dort Spitzbubenzeitungen schreiben lernen, und nachdem wir die gehörige Uebung darin erlangt, wird man uns dann zurückrufen.« Niemand hat im Jahrzehnt der siegreichen Restauration so beharrlich die Zensur bekämpft, bald mit den Waffen ironischen Spottes, bald mit dem Ernst sittlicher Entrüstung wie gerade er. Seine Ironie in dem Aufsatz über Sprache und Stil, seine Schilderungen in den Denkwürdigkeiten der Frankfurter Zensur, seine Beschwerden in den Vor- und Nachreden zu den Zeitschwingen, der Wage &c. geben zusammen ein anschauliches Bild von der entsetzlichen Geistesknechtung, die damals von den Gewalthabern gewagt werden durfte. Die Beschränktheit der Polizei- und Kanzleibeamten, welchen die Ueberwachung der Presse meist zuertheilt war, entsprach dem Mißverhältniß zwischen der Bildung von in Devotion ersterbenden Subalternbeamten, pensionirten Wachtmeistern &c. und der ihnen hier zugemutheten Aufgabe, die feinsten Köpfe der Nation in Bezug auf Staatsgefährlichkeit zu überwachen. Oder, war der Zensor ein Vertreter höherer Bildung, so gab doch auch ihm der Respekt, der jedem Beamten vor dem höchsten Willen seiner Regierung anerzogen war, den Maßstab für die Striche des Rothstifts. Man begnügte sich auch nicht nur mit dem Streichen ganzer Sätze, man knüpfte die unangenehmen Nachsätze von mildernden Vordersätzen ab und ließ diese für sich bestehen. »Die Regierung ist gut, aber schwach« hatte Börne einmal geschrieben; »die Regierung ist gut«, stand schlechthin nach der Arbeit des Zensors in dem Blatte zu lesen. Die Nennung von Namen der Fürsten, der Minister, ja sämmtlicher »Adligen« war zu Zeiten da und dort verpönt, »weil,« sagte der Zensor, »man doch nicht wissen könne, ob solcher Familie die bloße Nennung nicht mißfällig sei.«
Umsonst hatte auch Börne, als noch zu hoffen stand, der deutsche Bund könne eine zeitgemäße Reform der Preßgesetze im liberalen Sinne durchführen, im Jahre 1818 seine Stimme erhoben: »Es ist eine große Lehre der Regierungskunst: hoffnungslose Bürger sind gefährlich, denn sie sind auch furchtlos. Um die Fürsten und ihre Völker vor dem Verderben zu bewahren, das aus dem Geiste des Mißvergnügens und der Habsucht entspringt, muß in allen bürgerlichen Ständen bedeutenden Menschen die lang verschlossene Laufbahn wieder geöffnet werden, die Freiheit nämlich, ihre vorwaltende Geisteskraft zu gebrauchen und geltend zu machen. Dieses kann nur geschehen durch Gewährung der Redefreiheit, der mündlichen in volksvertretenden Versammlungen und der schriftlichen durch die Presse. Die öffentliche Meinung ist ein See, der, wenn man ihn dämmt und aushält, so lange steigt, bis er schäumend über seine Schranken stürzt, das Land überschwemmt und alles mit sich fortreißt. Wo ihm aber ein ungehinderter Lauf gegeben ist, da zertheilt er sich in tausend Bäche mannigfaltiger Rede und Schrift, die, friedlich durch das Land strömend, es bewässern und befruchten. Die Regierungen, welche die Freiheit der Rede unterdrücken, weil die Wahrheiten, die sie verbreitet, ihnen lästig sind, machen es wie die Kinder, welche die Augen zuschließen, um nicht gesehen zu werden. Fruchtloses Bemühen! Wo das lebendige Wort gefürchtet wird, da bringt auch dessen Tod der unruhigen Seele keinen Frieden. Die Geister der ermordeten Gedanken ängstigen den argwöhnischen Verfolger, der sie erschlug, nicht minder, als diese selbst im Leben es gethan. Der freie Strom der öffentlichen Meinung, dessen Wellen die Tagesschriften sind, ist der deutsche Rubicon, an welchem die Herrschsucht weilen und sinnen mag, ob sie ihn überschreiten und das theure Vaterland und mit ihm die Welt in blutige Verwirrung bringen oder ob sie sich selbst besiegen und abstehen soll. Cäsars Schatten zeigt warnend nach der Bildsäule des Pompejus.« …
Die Herrschsucht aber spottete der Warnung und achtete des heraufbeschworenen Cäsarenschattens nicht. Denn als derselbe sich bald darauf in die Gestalt des ermordeten Kotzebue verdichtete, der die dem Zaren Alexander als russischer Gesandter in Weimar geleisteten Spionendienste mit einem Ende büßen mußte, das in düstergrellem Gegensatz zu den Spaßmacherdiensten stand, die er als Lustspieldichter dem deutschen Volke geleistet, wirkte die Schwärmerthat des unglückseligen Sand, statt als Einschüchterung nur als Ansporn und Beschleunigung auf Metternichs Vorhaben, den nationalen Geist und Freiheitssinn des deutschen Volkes durch Unterdrückung seiner Organe, der Parlamente und der Presse, womöglich ganz zu ertödten. Das Attentat Sands ward ihm zur hochwillkommenen Handhabe, den bisherigen Widerstand am Berliner Hof gegen seine Pläne endgültig zu brechen, die liberalen Minister wurden entlassen, Jahn, Arndt, Görres, Schleiermacher in Untersuchung gezogen; dem Karlsbader Kongreß folgten die Wiener Konferenzen, und am 20. September 1819 ergingen die Bundestagsbeschlüsse, welche nicht nur die Burschenschaft unterdrückten und die ihr Angehörigen zu Staatsverbrechern stempelten, sondern selbst in den Staaten, wo wie in Weimar und Württemberg die Zeitungszensur durch die Verfassung beseitigt war, sämmtliche Zeitungen unter die strenge Aufsicht der Regierungen stellte und diesen die Unterdrückung aller selbständigen Zeitkritik in den Blättern zur Pflicht machte. War der »Rheinische Merkur« in Coblenz, der während des Befreiungskriegs unter Görres so mannhaft die Wacht am Rhein gehalten, schon Anfang 1816 einem besonderen Verbot erlegen, so begann jetzt eine Razzia großen Stils: all den Blättern, welche die patriotische Begeisterung ins Leben gerufen und, solange Napoleon noch gefürchtet wurde, von den deutschen Regierungen Forderung erfahren hatten, wurde der Garaus gemacht: den Kieler Blättern, in denen Welcker, Dahlmann und Twesten ihr Organ gehabt, das Weimarische Oppositionsblatt, in welchem Froriep, Bertuch und der junge Wieland den Geist der Burschenschaft vertreten, den Rheinischen Blättern des Staatsphilosophen Weitzel in Mainz, dem Westfälischen Moniteur Murhards, den Leipziger Deutschen Blättern, dem Deutschen Beobachter in Hamburg u. s. w. Nur wenigen Blättern gelang es, durch kluges Einlenken sich das Bestehen zu sichern: meist, indem sie zu belletristischen Unterhaltungsblättern und kritiklosen Neuigkeitsvermittlern herabsanken. In den einzelnen Hauptstädten entstanden dagegen jetzt offiziöse Regierungsorgane nach dem Muster des »Oesterreichischen Beobachters«, den Metternich schon vor dem Krieg in Wien gegründet hatte und in welchem die »Neophyten« Pilat, Gentz, Adam Müller ihren glänzenden Stil und ihre reaktionäre Gesinnung entfalteten. Das Offiziösenthum ist zwar Napoleons I. Erfindung, aber Metternich hat es den deutschen Verhältnissen mit virtuosem Geschick angepaßt. In Leipzig, Frankfurt und Berlin rief er Blätter ins Leben, die scheinbar unabhängig waren, thatsächlich aber nur brachten, was Metternichs Agenten für gut fanden. Die Gewinnung bedeutender journalistischer Begabungen aus dem Lager der Gegner durch direkte und indirekte Bestechung, durch die Nothlage, in die seine Ausnahmegesetzgebung sie gebracht, gehörte zu den Hauptmitteln seines Systems. Daneben ging die heimliche Arbeit der von ihm und anderen Lenkern der Reaktion gedungenen agents provocateurs.
Daß Metternich in Vertheidigung seines Systems den Nachdruck auf ein gemeinsames Vorgehen der verbündeten Staaten gegen die Presse legte, zeugt von der Intelligenz, die der schlaue Diplomat in seiner Weise besaß; denn diese war in der That die wirksamste Waffe des aufstrebenden Volksgeistes. Daß er aber in Verfolgung dieses Zieles zu den brutalsten und feigsten Mitteln der Gewalt griff, daß er dabei jedes feinere Rechtsgefühl, jeden höheren Bildungsrespekt, jede Empfindung für die natürlichen Bedürfnisse der Völker verleugnete, zeugt noch stärker von der dunkelmännischen Verblendung, in welche er als rücksichtsloser Bekämpfer jedes geistigen, politischen und sozialen Fortschritts, als letzter siegreicher Vertreter des absterbenden Absolutismus – trotz all seiner diplomatischen Gescheutheit – befangen war. Es war auch kein Kleines, die widerstrebenden Interessen der Einzeldynasten, die alle in deren eigener Selbstherrlichkeit gipfelten und daher heimlich oder offen einander bekämpften, zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bringen und Metternichs Mittel, daß er das Streben nach Einigung der Deutschen zu einem einigen Reich für ein Staatsverbrechen der Landesunterthanen von Preußen, Sachsen, Bayern, Württemberg, Hessen &c. erklärte, so empörend es uns erscheint, war wohl das einzige Mittel, die von ihm allein gewünschte deutsche Einheit, die der deutschen Höfe zum Zweck der Vernichtung jenes patriotischen Gemeingefühls, herzustellen. In jedem Staat, von den 38 Staaten Deutschlands, hatte bis dahin eine andere Zensur mit anderem Maßstab gewaltet. Was in dem einen erlaubt war, wurde in dem andern verboten. Die Verschiedenheit der Zensurgesetze in den Einzelstaaten, die Anläufe zu der Gewähr völliger Preßfreiheit in Württemberg, Sachsen und Baden, während die Mehrzahl der Fürsten auf völlige Unterdrückung sann, machte die Ungerechtigkeit erst recht auffällig und unerträglich. Sie enthüllte die Blöße jedes einzelnen Verfahrens, seine Schwäche und Prinzipienlosigkeit, was Metternich mit Erfolg als Argument bei seinen Bemühungen benützte, den »Bund« zu gemeinsamem Vorgehen zu bewegen. Da die Mehrheit der Gesandten am Bundestag für völlige Unterdrückung der selbständigen Presse war, bestand denn das gemeinsame Vorgehen aus entsprechenden Maßregeln. Wahrlich, wen der Geist in jenen Zeiten antrieb, sich dem neuartigen Ideenfestungsdienste zu widmen, ob ihn nun Haft und Verbannung traf oder nicht, zu einem geistigen Märtyrerthum war er unbedingt verurtheilt.
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Ein Glück, daß wenigstens Einer lebte, der gleich groß im Anlegen wie im Behaupten der »Festungen« war, der dem Ideenkampfe der Zeit festgegründete Bollwerke zu geben wußte, die durch seine überlegene Strategie, durch seine Kunst im Beharren und Parlamentiren Zentren blühender Provinzen des deutschen Geisteslebens wurden. Dieser Mann, an den auch der oben citirte Brief Börne's gerichtet war und welcher das Heine'sche Wort vom Beruf der Zeitungen, Festungen zu sein im Ideenkampfe der Zeit, veranlaßt hatte, war derselbe, der als Verleger von Schiller und Goethe als Organisator des volksthümlichen Vertriebs unserer kostbarsten Literaturschätze seinem Namen Weltruhm erworben, war der Stuttgarter Buchhändler Johann Friedrich Cotta.
Daß Johann Friedrich Cotta, der erst nach einem buntbewegten Bildungsgange durch zwei Fakultäten, einem längeren Aufenthalt in Paris und mannichfachen Reiseeindrücken die alte Tübinger Buchhandlung als Erbbesitz übernahm, welche er später nach Stuttgart verlegte, die beiden größten Dichter der Nation, nachdem sie bereits die Höhe ihrer Laufbahn erreicht, für seinen Verlag gewann, das hat ihn zum »Fürsten des deutschen Buchhandels« seiner Zeit gemacht, erschöpft aber seine geschichtliche Bedeutung keineswegs. Er hat nicht nur hervorragende literarische Werke Anderer verlegt und vertrieben; er hat selbst literarische Schöpfungen ins Leben gerufen von neuer Art und Form, die einem neuen werdenden Bedürfniß der Zeit entsprachen: als Bahnbrecher und schöpferisches Talent hat er gewirkt auf dem Gebiete des Zeitungswesens. Das nach dem Ausbruch der französischen Revolution auch in Deutschland erwachte politische Bewußtsein hatte ein entsprechendes Bildungsbedürfniß zur Folge, durch das dem Buchhandel und dem Unternehmungssinn der Drucker neue Aufgaben erwuchsen. Der Vertrieb des geistigen Schaffens mußte auf eine breitere, volksthümlichere Basis gestellt werden: Zeitungen und Zeitschriften waren dafür die entsprechenden Formen. Mit genialem Blick hat dies Cotta von allen Verlegern zuerst erkannt; fast allen Bildungsströmungen seiner Zeit hat er solche öffentliche Organe geschaffen. Auch seine Anknüpfung mit Schiller, die später erst diejenige mit Goethe zur Folge hatte, bezweckte zunächst, den Dichter des »Marquis Posa«, den Geschichtschreiber des niederländischen Befreiungskampfes zum Redakteur solch einer großen politischen Zeitung zu machen.
Seine außerordentliche umfassende Bildung, der weltmännische große Zug seines Wesens, die ihn hierzu befähigten, waren die Blüthe eines Bildungslebens, das sich in seiner Familie schon im 17. Jahrhundert entwickelt hatte. Am 27. April 1746 in Schwabens Universitätsstadt geboren, war er der Sohn eines an der Spitze einer alten Hofbuchdruckerei und Buchhandlung stehenden Mannes, der in seiner Jugend als Reiteroffizier in Oesterreichs Heeren gedient hatte. Seine Mutter Rosalie, geborene Pyrker-Rivard, war eine Ungarin von hohen geistigen Gaben, im besonderen von großem Verständniß für ökonomische Fragen; sie ward Mitarbeiterin an dem von ihrem Manne herausgegebenen »Oekonomischen Wochenblatt«. Sein Großoheim war aufgeklärter Theolog und Kanzler der Universität Tübingen. Sein ältester Bruder aber war jener wilde Christoph Friedrich Cotta, der den feurigen deutschen Geistern, die schon damals im alten Jahrhundert die Ideen der französischen Revolution verfochten, mit Georg Forster, Eulogius Schneider, zuzählt. Er war Lehrer des deutschen Staatsrechts an der Karlsschule und nebenbei Redakteur der »Stuttgarter Zeitung« und der »Teutschen Staatsliteratur« gewesen, bis seine Begeisterung für die Vorgänge in Frankreich ihn 1790 veranlaßten, nach Straßburg überzusiedeln, wo er das »Straßburger politische Journal für Aufklärung und Freiheit« herausgab. Die Schicksale, Verirrungen und Verdienste dieses Bruders, den ein abenteuerliches Leben gar weit in der Welt herumtrieb, wirkten erzieherisch auf Johann Friedrich, dem es gelang, die gleichen Neigungen und Triebe, die dem Bruder verhängnißvoll geworden, mit Maß und Besonnenheit zu entfalten und nur im Interesse des deutschen Vaterlandes. So war er wie prädestinirt zum Zeitungsunternehmer und noch ehe er sich entschließen konnte, die eben angetretene Advokaten-Laufbahn aufzugeben und die alte Buchhandlung der Familie zu übernehmen, hat er sich schon, angeregt durch die in Paris empfangenen Eindrücke, mit dem Plane getragen, den Deutschen eine ähnliche Tageszeitung zu schaffen, wie sie Frankreich im Journal des débats, England in der Times längst besaß: ein Blatt der Weltkunde, mit deutschem Gerechtigkeitssinn geschrieben, »mit etwas britischer Freimüthigkeit tingirt.« Schiller lehnte den ihn nicht wenig reizenden Antrag ab, im Hinblick auf seine Kränklichkeit und die Anforderungen einer solchen Stellung; machte ihm dagegen das Anerbieten einer schönwissenschaftlich-poetischen Monatsschrift, die auch in den »Horen« geschaffen ward. Mit der feinsten Witterung für die Wendungen und Bedürfnisse des Zeitgeistes begabt, die Wirkung der ersten großen Erfolge der französischen Revolution auf das deutsche Volksgemüth voll lebhafter Empfänglichkeit mitempfindend, stellte aber Cotta 1795 neben die »Horen« der Klassiker die » Europäischen Annalen« Posselts, ließ er das ästhetische Organ der Weimar'schen Dioskuren, dem die erwarteten Abonnenten ausblieben, eingehen, als er dann doch – 1798 – mit dem Unternehmen einer Tageszeitung großen Stiles hervortrat, die als ein Organ des politischen Fortschritts und der politischen Bildung geplant war und für deren Leitung und geistige Herstellung er neben dem badischen Historiker Posselt den Jugendfreund Schillers, Ludw. Ferd. Huber gewann, der gleich Jenem den liberalen Ideen bei kirchlichem Indifferentismus huldigte.
Und sehr bald hatte er Gelegenheit, seine Kunst als Stratege zu bewähren. Wohl hatten einzelne ältere Zeitungen Deutschlands beim Ausbruch der großen Revolution und schon vorher patriotisch-liberalen Grundsätzen und Stimmungen Ausdruck gegeben und gelegentlich für »Republick« und »Freyheit« geschwärmt, wie es unter »allerhöchstem Privilegio« der betreffenden Regierung erstaunlich genug war und nur durch deren Sicherheit in Bezug auf die eigene Herrschaft erklärlich ist. Hielt man sich damals ja auch an deutschen Höfen Grimm's Correspondance littéraire, die von allen Freigeistereien und politischen Ketzereien der Encyclopädisten und ihrer Freunde freimüthig genauen Bericht gab. Aber während Friedrich der Große den Grundsatz aussprach: »Gazetten sollen nicht genirt werden«, ließ Herzog Karl von Württemberg den Begründer der Deutschen Chronik, Christian Daniel Schubart, auf dem Hohenasperg einkerkern und die anderen deutschen Fürsten legten den Herausgebern der unter ihrem Schutz erscheinenden Zeitungen den Freimuth gar schnell, sobald sie merkten, daß er das eigene Land aufregte. In manchem Fall ward auch damals kurzer Prozeß gemacht und die Zeitung ganz unterdrückt. Vor solchem Schicksal konnte auch Cotta seine Zeitung nur dadurch retten, daß er wiederholt den Erscheinungsort verlegte und bald dieser und jener Regierung Zugeständnisse machte, damit sie ihm in Prinzipienfragen freieren Spielraum gewähre. Die » Neueste Weltkunde«, die nach ihrer bald erfolgenden Unterdrückung in der » Allgemeinen Zeitung« auf- und weiterlebte, blühend und wachsend bis in unsere Tage, ist der erste große Festungsbau im Felde des deutschen Geisteslebens, und für seine Ausführung, für seine Fortführung, Bemannung und Leitung waren ihm, wie für seinen Buchverlag, das beste Material und die besten Kräfte gerade gut genug. Und wie er die »Allgemeine Zeitung« mit ihren »außerordentlichen Beilagen« zu einem universellen Organ des politischen, geistigen und kulturellen Fortschritts auszugestalten strebte, so hat er (1807) der jüngeren Schriftsteller- und Dichtergeneration und dem Unterhaltungsbedürfniß des gebildeten Deutschland im »Morgenblatt«, später dem Kunstfortschreiten im »Kunstblatt«, der literarischen Kritik im »Literaturblatt«, der Philosophie in den »Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik«, der Länder- und Völkerkunde im »Ausland«, den Fortschritten der Technik im »Polytechnischen Journal« u. s. w. Organe von zeitgemäßer Richtung und weithinreichender Wirkung geboten, wie er ein solches der zeitgeschichtlichen Staatenkunde gleich im Beginn seiner buchhändlerischen Laufbahn in den »Europäischen Annalen« geschaffen hatte.
Den großartigen Zusammenhang der publizistischen Vielseitigkeit des Mannes hat Goethe schlecht gewürdigt, wenn er im Aerger über die ihm viel zu liberalen Grundsätze, welche Posselt in der ersten Nummer der »Weltkunde« entwickelt und im Hinblick auf die »Horen« verdrießlich an Schiller schrieb: »Cotta mag immer aus derselben Druckerpresse kalt und warm blasen.« Besser schon, wenn er nach näherer Bekanntschaft mit ihm die Vereinigung bewundert, die in diesem Mann von strebender Denkart und unternehmender Handlungsweise Klarheit und Beharrlichkeit mit sanfter Mäßigung und schneller Gefaßtheit gefunden. Cotta diente nicht einer vereinzelten Parteianschauung und Richtung; die »besten Köpfe der Nation« wollte er fruchtbar machen für seinen Verlag; er ließ Jeden denken und schreiben auf seine Weise, wenn sie nur im Geist des Fortschritts und der Aufklärung gehalten, tüchtig und klar war. Das Streben nach Wahrheit, dies hatte er früh erkannt, nimmt gar verschiedene Wege: war nur dieses im Spiel und dabei Wissen und Geist, so war ihm der Mitarbeiter willkommen. Er gab Jedem Raum zur Entfaltung seiner Individualität unter Wahrung der Grenzen, die ihm durch seinen protestantisch-liberalen Standpunkt, durch Zensur und Preßgesetze gezogen waren. So konnte er – der Verleger Goethe's – dem eifrigsten Gegner des Dichters, dem burschenschaftlichen Wolfgang Menzel, sein Literaturblatt anvertrauen, so konnte dieser unbeanstandet in diesem letztern gegen Goethe's Mangel an vaterländischer Gesinnung eifern. Cotta betrieb den Buchhandel und die Verwaltung seiner Zeitungsinstitute wie ein Staatsmann, der zum Vortheil seiner Absichten mit den verschiedenen Parteien verhandelt und paktirt. Gutzkow, der das Glück hatte, als kaum Zwanzigjähriger noch vom »alten, dem Klassiker-Cotta« Gunst und Förderung zu erfahren, hat in seinen »Rückblicken« diesen Vergleich zuerst angeregt. Der Begründer der »Allgemeinen Zeitung«, die in Folge der Zensurmaßregelungen, welche sie in ihren Anfängen trafen, wiederholt den Erscheinungsort hatte wechseln müssen, ehe sie ihr dauerndes Domizil in Augsburg erlangte, rettete in den Zeiten schärfster Preßverfolgung seinem Blatte den Bestand dadurch, daß er dessen Spalten gelegentlich auch diplomatischen Ausführungen öffnete, deren Inhalt aus den Ministerbureaux der Regierungen stammte, damit diese wiederum es zuließen, daß an gleicher Stelle auch die begabtesten Stimmführer der politischen Aufklärung weiterhin zu Wort gelangten.
Vestigiae terrent! Wilhelm Vollmer hat in seiner Einleitung zu der Ausgabe des Briefwechsels zwischen Schiller und Cotta berichtet, daß bei Schillers Besuch in der Heimath im Frühjahr 1794 Cotta einen gemeinsamen Ausflug in die schöne Umgebung Stuttgarts benutzt habe, ihn zur Uebernahme der Redaktion der zu gründenden Zeitung zu überreden. Auf dem heute vom Schloß Rosenstein gekrönten Hügel bei Cannstatt, damals der Kahlenstein geheißen, von welchem man eine weite Aussicht in die schöne schwäbische Landschaft genießt, fand die Aussprache zwischen beiden Männern statt. Wenn der für seine Idee begeisterte Verleger von den Eindrücken sprach, die er in Paris empfangen, von dem Wunsch, der deutschen Nation eine Zeitung zu schaffen, welche den positiven Errungenschaften der leider entarteten großen Revolution in Frankreich ein vermittelndes Organ sei, mußte sein Blick sich nach Westen wenden, von woher der Hauch der Freiheit über den Rhein gedrungen. Dort im Westen aber, unfern den Augen, erhob sich, ihre Blicke fesselnd, ein schroffer Berggipfel, der in solcher Stunde die Seele der Männer gar ernst stimmen mußte. Auf diesem hohen Asperg hatte vor wenigen Jahren Christian Daniel Schubart in strenger Haft gesessen, zehn lange Jahre, weil er den Zorn des stolzen Herzogs Karl herausgefordert als Zeitungsschreiber, als Herausgeber der Deutschen Chronik. Dort oben hatte ihn einst Schiller als gebeugten Mann gesehen, ihn, dessen »Fürstengruft«, dessen kühne Artikel gegen das Tyrannenthum der Privilegirten nicht wenig dazu beigetragen hatten, ihn zum Dichter der »Räuber« zu machen. Nach diesem Wahrzeichen der Gefahren, die einem Unternehmen wie dem von ihm geplanten noch immer drohten, mag Cotta – wie schon oft vorher – mit Besorgniß geblickt haben, dieselben in der Seele wägend. Sie schreckten ihn nicht. Aber als er – darin auch äußerlich den Spuren Schubart's folgend – für das anfänglich in Tübingen »zensurfrei« erscheinende Blatt, um das ergangene Verbot zu pariren, in Ulm, dann in Augsburg eine Herberge für Druck und Redaktion des Blattes suchen mußte (in beiden Städten hatte es auch Schubart mit seiner Chronik versucht, bis er im Januar 1777 von einem Beauftragten des Herzogs über die Grenze gelockt worden war, damit er auf dem Hohenasperg seine »Unverschämtheiten« büße), da wurden die Erinnerungen doch zur Mahnung, vorsichtiger zu sein – diese Wegspuren schreckten!
Aber sie machten ihn auch gelehrig, im Kampf mit Diplomaten mit – Diplomatenkunst sich zu behaupten. Nach dem 1804 fast gleichzeitig erfolgten Tode von Posselt und Huber, die den Ideen der Demokratie in gefahrbringender Weise gehuldigt hatten, fand er in Carl Jos. Stegmann, einem juristisch gebildeten Schlesier, der in Italien und der Schweiz längere Zeit gelebt und von da aus schon für die »Allgemeine Zeitung« korrespondirt hatte, sowie in Friedr. Lebret, dem Sohn des Tübinger Historikers, gewandte junge Kräfte, denen es gelang, patriotisch-fortschrittliche Tendenz und geschichtliche Objektivität in den Dienst einer Vorsicht zu stellen, wie sie die Zeiten erheischten. Die bedeutendsten Köpfe unter den verfolgten Politikern machte er zu seinen Mitarbeitern; dem Geist, den Metternich verfolgte, gab er Stimme und Wiederhall in seiner Zeitung; selbst Flüchtlingen und Gemaßregelten, wie Lindner, Mathy, Wirth, Schulz, Troxler, G. Kolb eine Unterkunft; die Mehrzahl seiner Redakteure waren »revolutionär« im Sinne Metternichs: und doch gelang es ihm, sein Hauptunternehmen wie sich selbst vor den ringsum drohenden Katastrophen nicht nur zu schützen, sondern sich den Fürsten, dem Bundestag und selbst Metternich gegenüber in Respekt zu setzen – Macht gegen Macht! So überlebte die »Allgemeine Zeitung« nicht nur die Patriotenblätter, welche, wie der auch Cotta gehörige, von Varnhagen beeinflußte »Deutsche Beobachter« in Hamburg, die durch die Befreiungskriege erregte Volksstimmung vertreten hatten, nicht nur die unvorsichtiger geleiteten Oppositionsblätter vom Schlage des »Weimar'schen«, die dem verhängnißvollen Bundestagsbeschluß vom 20. September 1819 zum Opfer fielen, auch als die neugegründeten Organe des deutschen Wiederhalls der Julirevolution im Jahre 1830, die süddeutschen Blätter von Wirth, Siebenpfeiffer, Eisenmann, Coremans, Strohmeyer, F. Kolb, E. Hoffmann, Rotteck und Welcker – die »Deutsche Tribüne«, der »Westbote«, das »Bayrische Volksblatt«, die »Freie Presse«, der »Wächter am Rhein«, die »Speierer Zeitung«, das in der Pfalz gedruckte »Hessische Volksblatt«, »Der Freisinnige« &c. kraft neuer Bundestagserlasse unterdrückt und ihre Herausgeber in Kriminalprozesse verwickelt wurden, überlebte sie diesen Sturm und blieb doch ein Organ der liberalen Ideen. Heinrich Laube, der sich in seinen »Erinnerungen«, Bd. 1, S. 149, sehr eingehend über die Bedeutung der »Allgemeinen Zeitung« als einziger literarisch-politischen Großmacht der Restaurationsperiode in Deutschland geäußert, hat im besondern für die bewunderungswürdige Strategie des alten Cotta sehr bezeichnende Worte der Anerkennung gefunden. »Dies System der Objektivität – der geschichtlichen Dialektik, möchte man sagen –, welches alle Stimmen vernehmen läßt, wird jetzt, da die Parteien scharf geschieden und gegliedert sind, tapfer verspottet. Es hatte aber doch einen großen Werth, als die Theile sich erst aus dem Chaos sonderten, und – hat ihn immer. Ueberheben wir uns nicht! Unsere Weisheit ist Stückwerk und stets der Ergänzung bedürftig. Eine Alles bringende, Alles prüfende Zeitung wird für gebildete Menschen stets ein Bedürfniß, stets eine Wohlthat sein, eine in diesem Sinne ›allgemeine Zeitung‹ ist ein unschätzbarer Quell für Germanen, welche über die ganze Erde ziehen, welche auch in entferntester Einöde den Entwickelungsprozeß des Staatslebens in allen Stadien mit durchmachen wollen, welche zweifeln und prüfen bis zum letzten Zug. Der schneller fertige Romane mag solchen Quell leichter entbehren, der Germane bedarf dieses Quelles. Ohne dieses System der allgemeinen Vertretung war denn auch die ›Allgemeine Zeitung‹ damals in Oesterreich absolut nicht zulässig, und in welche kymmerische Nacht wäre der österreichische Kaiserstaat versunken ohne die ›Allgemeine Zeitung‹! Sie hat ihm den Eintritt in die heutige Welt ermöglicht; denn sie allein hat ihm moderne Bildung zugeführt, als dieser Bildung alle Thüren verschlossen waren in Oesterreich.« Mit einem General, einem »alten braven Soldaten« hat Heine denn auch Cotta in dem bekannten Brief vom 26. März 1852 an dessen Sohn Georg verglichen: »so brav und ehrenhaft, so höflich, so hofmännisch höflich, so vorurtheilsfrei, so weitsichtig« und »bei seinen großen Verdiensten um die geistigen und materiellen Interessen des Vaterlands« so bescheiden. Er rühmt »den in Deutschland so seltenen praktischen Sinn«, den Cotta mit »der vielseitigsten deutschen Ausbildung« zu verbinden gewußt habe, und schließt mit dem Citat aus Goethe's Egmont: »Das war ein Mann, der hatte die Hand über der ganzen Welt!« …
Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß Johann Friedrich Cotta nicht nur den Verfassungskämpfen in Deutschland in der »Allgemeinen Zeitung« das einzige Organ schuf, das sich lange Zeit allein eines europäischen Einflusses – auch bei den Regierungen – erfreuen konnte, daß er als Landtagsabgeordneter den württembergischen Verfassungsvertrag von 1819 mit durchsetzte und mitunterzeichnete, daß er in ständischen Angelegenheiten als Gesandter in Paris, im Auftrag des deutschen Buchhandels als Anwalt gegen Nachdruck und Zensur aus dem Wiener Congreß gewirkt hat, daß seiner Initiative (1826) die schnelle Durchführung der Dampfschifffahrt auf dem gesammten Rhein zu danken war, wie er auch die Anfänge des Eisenbahnwesens mit höchstem Interesse gefördert und begleitet, daß er schließlich an der Einigung Deutschlands in Handelssachen erfolgreich mitgewirkt hat und, um den von ihm früher vermittelten Handelsverein zwischen Württemberg und Bayern auch auf Preußen auszudehnen, als Vertreter der beiden erstgenannten Staaten 1829 in Berlin war: erst wenn wir uns auch diese Seite seines Wirkens und deren Bedeutung für die Entwickelung Deutschlands zum Reich vergegenwärtigen, tritt das Treffende der rühmenden Worte Heine's voll in die Erscheinung. Cotta's Erhebung in den Adelsstand, welche in Erneuerung alter Familienrechte erfolgte, war nicht nur verdienter Dank für allgemeine Verdienste, sondern auch ein äußeres Zeichen inneren Verdienstadels.
Dieser schöpferische Unternehmungsgeist hat auch auf die Führer des »Jungen Deutschland« richtunggebend gewirkt. Es ist bekannt, daß Johann Friedrich Cotta nach einander Börne und Heine zu Mitarbeitern der »Politischen Annalen« geworben, daß er sie dafür gewann, von Paris aus für seine Journale, jener für das »Morgenblatt«, dieser für die »Allgemeine Zeitung«, eine regelmäßige Thätigkeit zu entfalten, daß die »Schilderungen aus Paris« des Einen, die »Französischen Zustände« des Anderen zuerst in den Cotta'schen Blättern erschienen sind, ehe Julius Campe in Hamburg den Buchverlag antrat. Es ist auch aus den Abrissen von Gutzkows Leben bekannt, daß gleich seinen ersten größeren Arbeiten die Spalten dieser Zeitschriften sich öffneten, daß sein erster Roman und sein erstes Drama im Cotta'schen Verlage erschienen sind. Ungewürdigt geblieben ist dagegen bisher, daß Börne und Heine erst durch diesen Klassiker-Cotta, durch seine Anregung und Einwirkung zu Publizisten großen Stils, zu Feuilletonisten im deutschesten Sinne dieses Fremdworts geworden sind und daß er ihren Beruf dazu früher erkannt hat, als sie selbst. Bisher unbekannt geblieben ist auch der Umfang der Bemühungen Cotta's, die er darauf verwandt hat, diese stärksten Talente lebendiger Zeitkritik für den strafferen Dienst der Journalistik zu diszipliniren. Und noch weniger ist bekannt, daß sein Sohn Georg, der Ende 1832 sein Nachfolger wurde, die vorhandenen Beziehungen des Geschäftes zu dem jungen Gutzkow in den nächsten Jahren mit der ausgesprochenen Absicht gepflegt hat, seine frische Kraft ganz für den journalistischen Beruf, für eine leitende Stelle an der »Allgemeinen Zeitung« zu gewinnen, wogegen dieser sich mit dem Plane trug, den Erben des Klassiker-Cotta zu bereden, als Zugeständniß an die werdende »junge Literatur«, dem »jungen Deutschland« für seine Ideenkämpfe auch eine »Festung« zu geben, ein eigenes Journal zu gründen. Aus den Briefen Gutzkows an den Frhrn. Georg v. Cotta, die sich im Archiv der J. G. Cotta'schen Buchhandlung befinden und deren Inhalt hier nun erstmalig zur Darstellung gelangen darf, sind uns höchst interessante Zeugnisse dieses Verkehrs bewahrt, die für die Geschichte dieser Literaturbewegung ganz neue Gesichtspunkte geben.
»Vielleicht,« heißt es in einem dieser Briefe vom 2. November 1833, »vielleicht wäre der Zeitpunkt, um einige junge Köpfe zu concentriren, bald erschienen. Die kleinen, zarten, grünen Keime zu einer jeune Allemagne sind da; ich habe davon so viel Zeichen und ein so festes Vertrauen, daß sie mich nicht trügen; ich lebe in dieser sicheren Hoffnung und sie ist für mich eine Aufmunterung, der ich nicht widerstehen kann … Wär' ich jetzt nicht so jung, könnt' ich die Schriften aufzeigen, welche ich in drei Jahren werde geschrieben haben, besäß' ich das Selbstvertrauen, welches ich durch günstige Stimmen, auf die ich rechne, in späterer Zeit ohne Anmaßung vielleicht erworben habe, so würd' ich Ihnen jetzt Namen nennen und mit Planen anrücken und Ihnen so viel Vorspiegelungen machen, daß Sie sich vor mir entsetzen und Ihr sonst geneigtes Ohr schließen sollten. Wie gut ist es also, daß ich noch kein berühmter Mann bin!«
Die Sehnsucht der »jungen Literatur«, nach dem Beispiel der Politik auch die literarischen Bestrebungen der neuen Generation zu organisiren und diszipliniren, spricht sich hier weit früher und bestimmter aus, als bisher angenommen werden durfte. Aus diesem Bestreben entwickelten sich jene Kampfe, welche die wohl dramatisch bewegteste Periode unsrer Literaturgeschichte ausfüllen, darum so bewegt, weil in ihnen mit Mitteln und mit einer Leidenschaft für literarische Prinzipienfragen gekämpft ward, die der politischen Kampfesweise entstammten, weil die betheiligten Schriftsteller selber in einem inneren Gährungsprozeß begriffen waren, den die Befruchtung ihrer poetischen Anlagen mit den politischen Zeitideen nothwendig zur Folge hatte. Auch in diesen Kämpfen wirkten Zeitungen – als Festungen. Einen wie mächtigen Antheil am Entstehen wie am Verfall der interessanten Bewegung die Institute und Leiter der Cotta'schen Buchhandlung gehabt haben, sind wir in der Lage an der Hand zahlreicher, bisher unbekannt gebliebener Aktenstücke darzustellen. Sie erst ermöglichen eine wirklich historische Würdigung der ganzen Bewegung, deren erste Periode von Börne Richtung und Charakter erhielt. War Cotta der beste Feldherr im Festungskriege der Geister, so war Börne der erfinderische Geniechef, der selbst in der Zeit erdrückender Belagerung neue Vertheidigungsmittel und neue Formen des Ausfalls ersann, durch die er den übermächtigen Gegnern schweren Schaden zufügte. Börne ward der Erfinder der Kunst, in den Formen der Unterhaltungsliteratur und der ästhetischen Kritik die Ideen des politischen Fortschritts gleichzeitig zu verhüllen und zu zündender Wirkung zu bringen. Dieselbe entsprang den innersten Impulsen seines Wesens und war die Reaktion auf die Unterdrückung des politischen Geistes in Deutschland, welche während der »Restauration« die politischen Blätter zwang, unbedeutende Theateraufführungen, aristokratischen Gesellschaftsklatsch, das Familienleben der geliebten Landesväter, Reibereien der Modebelletristen, Saphirs neueste Kalauer, alte Fabeln und Märchen, aufregende Gespenster- und Räubergeschichten, den Gesang der Henriette Sontag, die Fußspitzen und Tanzsprünge einer Taglioni und Fanny Elßler, die Intriguen Spontini's gegen Weber u. s. w. als die wichtigsten Angelegenheiten der deutschen Nation zu behandeln.
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Die 54 Briefe, welche das Archiv der J. G. Cotta'schen Buchhandlung von der Feder Ludwig Börne's enthält, sind von den Biographen des letzteren noch in keiner Weise benutzt worden. Börne's Laufbahn als Journalist tritt durch dieses Material in eine vielfach neue, jetzt erst richtige Beleuchtung. Die Trefflichkeit seines Charakters und dessen Eigentümlichkeit, wie seine öffentlichen Thaten, seine Werke, sie widerspiegeln, wird bestätigt durch die eigene Charakteristik, die er in diesen Briefen an sich in einer Weise geübt, wie sie in ihrer schlichten Bestimmtheit ebenso selten, wie anziehend ist. Da Börne außer an seine Freundin, die verständnißinnige Kameradin seines geistigen Lebens, Jeannette Wohl, sehr wenig Briefe geschrieben hat in den Jahren, die hier in Betracht kommen, er dieser aber lieber über seine Stimmungen als über seinen Charakter sich auszusprechen liebte, haben diese Bekenntnisse, welche so lange Zeit der öffentlichen Würdigung vorenthalten blieben, gleichfalls den Reiz der Neuheit.
Börne hat das Schicksal gehabt, daß seine ersten Biographen, Karl Gutzkow und Reinganum (1840 und 44), sein Leben und Wirken mit einer von den Interessen der Zeit diktirten Tendenz geschildert haben, wie sie im Guten oder Bösen ihn selber immer beherrscht hat, wenn er über Thaten und Schriften Anderer sich aufließ. Sie waren beide Apologeten gegenüber den von Gutzkow in der Absicht gekannten, von Reinganum in der Wirkung erlebten Angriffen Heine's auf den verstorbenen Schriftsteller, der in seiner Denkrede auf Jean Paul ein so schönes Vorbild für die Todtenfeier geliebter Helden gegeben. Auf Vollständigkeit und Genauigkeit der Angaben über Börne's Lebenslauf und seine Lebensbeziehungen kam es ihnen weniger an, als auf warme Würdigung seines Strebens und seiner Leistungen, sie boten Gelegenheitsschriften, ausführliche Nekrologe, in Gutzkows Fall durch die lebhafte zeitgeschichtliche Untermalung und glänzende Entfaltung des eigenen Geistes noch von besonderem Werth, aber nicht Werke streng wissenschaftlicher Forschung und geschichtlicher Darstellung. Auch Konrad Alberti's Biographie, die zum hundertjährigen Geburtstag Börne's erschien, trat nicht aus dem Rahmen einer Gelegenheitsschrift heraus. Dagegen gab sich Michael Holzmanns Werk (1888) ausdrücklich als Ergebniß historischer Quellenforschung: »Ludwig Börne … – nach den Quellen dargestellt« lautet sein Titel.
Wie in Vielem, widersprechen sich diese zwei letztgenannten Biographen sehr wesentlich in ihren Angaben über die Anknüpfung der für ihr Thema doch so wichtigen Beziehungen zwischen Börne und Cotta. Von dem ergebnißreichen, für Börne's Lebensgang so wichtigen Verlauf derselben haben beide kaum eine Ahnung. Ihre Andeutungen darüber sind von Irrthum durchsetzt. So schreibt Holzmann über die Anknüpfung: »Im Jahre 1815 hatte Börne auf einer Vergnügungsreise in Stuttgart Gelegenheit gehabt, den berühmten Buchhändler Cotta, der als Anhalt neuer Talente bekannt war, kennen zu lernen. Doch erfolgte damals keine nähere Verbindung. Umsonst bot ihm dieser allgewaltige Verleger die Spalten seiner Weltblätter, der Augsburger ›Allgemeinen Zeitung‹, sowie des ›Morgenblattes für gebildete Stände‹ an. Die Unentschlossenheit des angehenden Schriftstellers wurde noch durch die Gewissenhaftigkeit, mit der er arbeitete, vermehrt, zum Theil wohl auch durch den Mangel an Routine, der ihn bis an sein Ende nicht verließ.« Holzmann thut weiterhin des Verhältnisses zu Cotta erst wieder Erwähnung, als er S. 166 des Briefes vom 30. Oktober 1819, den Börne nach seiner Ankunft in Paris nach Frankfurt richtete, gedenkt, in welchem er mittheilt, er habe an Cotta geschrieben: da er ihn früher zur Theilnahme an seinen Werken habe einladen lassen, so biete er ihm jetzt seine Dienste an, um von Paris aus für ihn zu arbeiten. – In Conrad Alberti's Biographie, die sich nicht auf Quellen beruft, wird die Anknüpfung gar in das Jahr 1821 verlegt und dazu bemerkt: »Bei seinem Freunde, dem Dr. Stiebel, hatte er den damaligen Fürsten der deutschen Verleger, Cotta, kennen gelernt, der eifrig bemüht war, junge und kräftige Talente für seine journalistischen Unternehmungen heranzuziehen.« Der in Frankfurt lebende Sohn jenes »Dr. Stiebel«, der Börne's Freund war, ein Arzt wie sein Vater, hat mir auf die Anfrage, ob er von dieser Vermittlung etwas Näheres wisse, verneinend geantwortet mit dem Hinzufügen, er könne sich auch nicht denken, auf welche Weise seinem Vater die Gelegenheit dazu hätte werden können.
Mit so vagen Angaben sind zwei Biographen im Zeitalter der sonst leider auch in der Darstellung nur zu »aktenmäßig« gewordenen Geschichtsforschung über ein Ereigniß hinweggegangen, das für die Laufbahn ihres Helden wie kaum ein anderes von entscheidender, Richtung gebender Wirkung wurde.
Nicht durch Dr. Stiebel, den Arzt, in dessen Hause Börne ein gerngesehener, stets anregender Gast war, sondern durch Dr. Stiefel, den Redakteur, mit dem ihn die gemeinsame Thätigkeit für das »Frankfurter Journal« befreundet hatte, weder schon im Jahre 1815 wie Holzmann, noch erst 1821, wie Alberti meint, sondern 1817 ist das Verhältniß Börne's zu Cotta angeknüpft worden. Und, wie schon Gutzkow dies angedeutet, nicht auf Börne's erwünschte Mitarbeit an den bestehenden Cotta'schen Journalen, sondern auf die Gründung eines ganz neuen politischen Journals mit Börne als Redakteur bezog sich dieser erste Verkehr und auch der erste Brief, den er (damals noch Dr. Baruch) am »2. Merz« 1817 an Johann Friedrich Cotta geschrieben hat. Noch weniger bekannt und für die Darstellung des wirklichen Entwickelungsganges so neu wie wichtig ist die Thatsache, daß es sich dabei um eine Zeitung handelte, die von der preußischen Regierung gewünscht wurde, der aber einen liberalen Charakter zu geben ebenso die Absicht Cotta's, wie die Sorge des zum Redakteur ersehenen Schriftstellers war. Die flüchtige Andeutung, welche Gutzkow hiervon gegeben, ist ungenau und mißverständlich.
Der Sohn des Frankfurter Finanzagenten Baruch war über den Zurücksetzungen, die er als Schüler, Student und dann als Frankfurter Polizeiaktuar wegen seiner jüdischen Abkunft zu erdulden gehabt, ein Schriftsteller geworden, der für die Emanzipation der Juden schrieb; über den Erlebnissen seiner Jugendzeit, die vom Geist der patriotischen Erhebung warmen Anhauch empfing, war er aber auch ein deutscher Patriot geworden, der denselben Idealen anhing, wie die Freiwilligen der »Freiheitskriege«, und als solcher ward er ein Journalist, der bis an sein Ende für die freiheitlichen Interessen der deutschen Nation gekämpft hat mit einer Leidenschaft, die von einem tiefwurzelnden Haß gegen jede Art von Tyrannei ihr Feuer erhielt. In dem von Napoleon gegründeten Großherzogthum Frankfurt unter Dalberg hatte er als Jude städtischer Beamter werden können; als die Reichsstadt wieder eine »freie« wurde, kehrte für seine Glaubensgenossen die alte Unfreiheit zurück. Er verlor sein Amt und folgte dem lang unterdrückten Drange, an den Angelegenheiten des Vaterlandes als Schriftsteller Antheil zu nehmen. Daß der schriftstellerische Beruf der ihm natürlichste, hatte sein ganzer Bildungsgang vorher erwiesen. Sein Großvater, der als angesehener Finanzberather verschiedener Höfe in Bonn lebte, wie sein von diesem noch abhängiger Vater, hatten ihn, ohne seine Neigung zu befragen, für den Beruf des Arztes bestimmt. Es war dies auch das einzige Studium, das ihm als Juden mit Aussicht auf eine daraus sich gründende Stellung offen stand. Er wurde nach Berlin zu dem berühmten Arzte Marcus Herz geschickt, in dessen Hause er von 1800 bis 1804 lebte. Doch die Medizin stieß ihn ab; über der hoffnungslosen Liebe zu der jungen, auch von Schleiermacher verehrten Frau seines bejahrten Lehrers, der schönen Henriette Herz, wurde er in Briefen an sie und seinem Tagebuch ein Schriftsteller, der seiner aufwallenden Wertherstimmung in überschwänglicher jeanpaulisirender Redeweise Ausdruck lieh. Nach dem Tode von Herz kam er nach Halle zu Reil. Hier begeisterte er sich für die patriotischen Ideale der Burschenschaft, hörte bei Schleiermacher über das Wesen des Christenthums und machte die Staatswissenschaft zu seinem Fachstudium, von fieberhaftem Interesse für Politik angetrieben. Mit einer staatsökonomischen Abhandlung erwarb er sich dann in Gießen den Rang eines Doktors. Noch ehe er im Jahre 1811 die Polizeiaktuarstelle erhielt, um die er sich auf Betreiben seines Vaters beworben, schrieb er verschiedene Abhandlungen volkswirthschaftlicher Art, »über das Geld«, über Steuerfragen und, innerstem Drange folgend, jenen ersten grundlegenden Aufsatz » Das Leben und die Wissenschaft«, in welchem sich sein starker und freier Geist damals schon in seiner ganzen Eigenart nach Stil und Gedankengehalt voll reformatorischen Feuers offenbarte. Er erschien im Jahrgang 1808 von Archenholtz' »Minerva«. Seine Forderung, daß Leben und Wissenschaft einander durchdringen müßten, in ihrer Anwendung auf die Politik, war in der damaligen Zeit ein völlig neuer, revolutionärer Gedanke; er wurde Richtung gebend für all sein weiteres literarisches Wirken. Als dann die Lage der Juden in Frankfurt nach dem Wiener Kongreß wieder die frühere zu werden drohte, veranlaßte ihn sein Vater, für die Sache der Glaubensgenossen einzutreten; er that dies nach einander in drei Schriften, von denen jedoch die eine mit den herkömmlichen Schwächen der Ghettobewohner so scharf ins Gericht ging, daß sich der entsetzte Vater sofort beeilte, sie im vollen Umfang der Auflage zu vernichten.
Nicht der Zorn also über seine eigene persönliche Zurücksetzung, sondern innerstes Bedürfen und sein leidenschaftlicher Antheil für die allgemeinen Interessen machten ihn dann zum Journalisten. Seine Aktuarthätigkeit an der Frankfurter Stadtpolizei wäre sicher auch ohne diesen Zwischenfall nur eine Episode geblieben. Der damals gelesensten Zeitung der Stadt bot er seine Dienste an, dem alten »Frankfurter Journal«. Dies Blatt war jetzt noch ein Organ der patriotischen Begeisterung für den politischen Aufschwung der Gesammtnation. Ergriffen von derselben Bewegung, mit der so zukunftssichere Hoffnungen auf freie politische Zustände verknüpft waren, schrieb Börne in den Jahren 1814 bis 1816 gegen Napoleon Artikel voll Vaterlandsliebe und Vertrauen in die Zukunft, in denen die Liebe zur Freiheit sich in die sanften Farben der Hoffnung kleidete. Maßvoll und nüchtern schrieb er z. B. in »Was wir wollen«: »Wir wollen Deutsche sein, ernsten, ruhigen Sinnes, nicht in dumpfer Gefühllosigkeit aus dem Bauche kriechen, nicht mit wächsernen Flügeln in das Reich der Sonne steigen. Wir wollen stark sein, der Gebieter in seiner Macht, im Gehorchen der Bürger. Gleich; so daß Jedem gleich geschützt, was ihm gebührt, nicht daß Jedem Gleiches gebühre. Wo Jeder Alles hat, geht Alles am leichtesten verloren …« Als aber nach dem Frieden die Fürsten die Versprechungen nicht hielten, durch die sie ihre Völker zu den größten Opfern im Kampfe gegen den Korsen begeistert hatten, brach das Vertrauen, das ihm diese Worte eingegeben, zusammen. Er ward, wie er selbst sagt, »ein kleiner Hutten«, dem als höchste Patriotenpflicht der Kampf für die Freiheit erschien, zunächst für die Redefreiheit, die mündliche in volksvertretenden Versammlungen und die schriftliche durch die Presse. Doch die Zensur war über ihm, und das »Frankfurter Journal« entledigte sich des allzu stürmischen Mitarbeiters, als die Mahnungen dazu von Seiten der hochmächtigen österreichischen Bundestags-Gesandtschaft immer dringlicher wurden.
Die Biographen schlossen bisher an die Erwähnung jener patriotischen Journalartikel und den Umschwung in Börne's politischen Ansichten meist die Besprechung der »Wage«, dieser Herberge der Gerechtigkeit, die er 1818 als Organ seiner persönlichsten Ansichten in Politik, Literatur und Kritik ins Leben rief. Vor diesem Versuch, auf eigene Faust als Journalist zu wirken, trat jedoch die Versuchung an ihn heran, einem großen Organ der öffentlichen Meinung als Redakteur und Publizist seine Kräfte zu weihen. Und er folgte bedingungsweise der Einladung, obgleich sie ihm keineswegs völlige Unabhängigkeit garantirte. Die Einladung erging an ihn und seinen Kollegen vom »Frankfurter Journal«, Dr. Stiefel; sie ging von Cotta aus und der preußische Gesandte am Bundestag, damals noch Baron von Otterstedt, war ihr Vermittler. Dieser Situation läßt sich nur durch Erkenntniß des historischen Zusammenhangs gerecht werden. Am Anfang des Jahres 1817 galt die preußische Regierung mit Hardenberg an der Spitze noch als der Hort des deutschen Liberalismus. Noch hatten die Machinationen der Reaktionäre, der Einfluß Rußlands, die Politik Metternichs des preußischen Staatskanzlers Absicht und Hoffnung nicht gebrochen, noch waren liberale Minister, wie Humboldt und Boyen, aufgewachsen im Geiste der Stein-Hardenberg'schen Reformen, vorberathend dabei, dem Lande die von seinem König verheißene Verfassung zu geben. Noch hatte das erst am 18. Oktober 1817 stattfindende Wartburg-Fest und seine Folgen der Diplomatie Metternichs nicht den Vorwand für die Karlsbader Beschlüsse gegeben. Aber wohl war es dem Einfluß Oesterreichs und Rußlands bereits gelungen, den Deutschen Bundestag zu einem Organ der Verfolgung und Unterdrückung aller Volksfreiheiten, aller Anfänge eines Verfassungslebens zu machen und die in Frankfurt bestehenden Zeitungen waren auch diesem Einfluß anheimgefallen. Die Regierung Hardenbergs bedurfte eines Organs, um dem drohenden Verhängniß Widerpart zu halten. Ihr Vertreter am Bundestag gewann den Meister im Zeitungsgründen, gewann J. Fr. Cotta für die Idee. Er trat andrerseits mit den durch die neue Aera vom »Journal« verdrängten Schriftstellern Dr. Baruch und Dr. Stiefel in Verkehr, um sie für die Redaktion zu gewinnen. Ersterem fiel es zu, den Standpunkt, den er unter den gegebenen Bedingungen einzuhalten bereit sei, in einem Brief an den Frhrn. v. Cotta näher darzulegen. Dieser Brief, vom »2. Merz 1817«, hat folgenden Wortlaut:
»Ew. Wohlgebohren
Sind mit dem Hrn. v. Otterstedt und meinem Freunde dem Dr. Stiefel, in Unterhandlung wegen der Herausgabe und des Verlags einer neuen politischen Zeitschrift getreten. Dieses ist der Gegenstand, welcher mir Veranlassung giebt, mich im Einverständniß mit den Genannten, an Ew. Wohlgeb. zu wenden.
Hr. Dr. Stiefel und ich, wir hatten uns schon früher wegen der gemeinschaftlichen Bearbeitung eines Tagblattes besprochen, und als durch Hrn. v. Otterstedt eine Gelegenheit zur Ausführung unseres Vorhabens herbeigebracht worden, hatte derselbe unsre Verbindung in der bezeichneten Absicht gebilligt und zweckmäßig gefunden. Wir werden daher diese Woche nach Stuttgart reisen, um die Ehre zu haben mit Ew. Wohlgebohren diese Angelegenheit in Bedacht zu nehmen. Ich nehme mir die Freiheit Ew. Wohlgebohren hier beifolgend einige meiner gedruckten Aufsätze mitzutheilen, um Sie einstweilen in den Stand zu setzen, über das was ich meinen Kräften nach etwa möchte leisten können, mit einer von mir in Anspruch genommenen Billigkeit, gütigst ein Urtheil zu bilden.
Die Zeitung soll, nach einem vorausgegangenen allseitigen Einverständniß eine ministerielle seyn. Ew. Wohlgeb. haben hierüber in einem Schreiben an Hrn. Dr. Stiefel, die nicht zu widerlegende Ansicht ausgesprochen, daß um dem Lobe des Löblichen einer Regierung Eingang zu verschaffen, auch der Tadel des Tadelswerthen nicht unterdrückt werden dürfe. Daß im letzteren Falle die Ausdrücke der Mißbilligung mäßig und anständig sein müßten, ist eine um so unerläßlichere Forderung, als selbst die zu gebende Lehre hierdurch an Kraft gewinnt. Wie viel leichter ist es nicht oft, beredt durch Schweigen zu seyn, als durch Reden, und selbst von harthörigen Gemüthern erhält man leichter Verzeihung für zu leises als für zu überlautes Reden, das sie unbequem an ihre Taubheit erinnert! Ein ministerielles politisches Blatt soll nicht blos ein solches seyn, welches die Worte und Handlungen der Regierungen gegen die ungerechten Einreden und Widerstrebungen der Regierten in Schutz nimmt, sondern soll auch zeigen, wie selbst die zweckmäßigen und billigen Forderungen der Volksvertreter, nicht alle zugleich erfüllt werden können, weil die Verbindung gewisser verschiedenartiger Dinge, selbst wenn jedes Einzelne für sich gut wäre, dennoch unmöglich bleibt. Es soll darthun, daß eine Polykratie auch der herrlichsten politischen Maximen, zu einem blinden anarchistischen Verfahren führe, und daß eine monarchische Regierung sich nur einer monarchischen Idee unterwerfen könne. Wie erschreckend ist nicht der zur Sitte gewordene Gebrauch, das Volk nicht der Regierung gegenüber, sondern entgegenzustellen, und ihm einzureden, es könne nur in einer solchen politischen Temperatur sich wohl befinden, in welcher der Thermometer seiner Unterthanenpflichten aus dem Gefrierpunkte steht. Man sollte dem Volke vielmehr zeigen, wie nicht blos das Maximum, sondern auch das Minimum der Unterwürfigkeit zum Despotismus führe.
Auf welche Weise wir nun auch über den unserem Blatte einzuflößenden Geist uns verständigen dürften, so sind wir doch gewiß schon darüber einverstanden: daß die zu beachtende Einheit des Zweckes eine Einseitigkeit der Mittel weder erfordere noch zulasse. Weder antiministerielle Thatsachen dürfen verschwiegen, noch antiministeriellen Ansichten der Eintritt in unser Blatt verwehrt werden. Mir hat immer geschienen, daß die Ansichten und Meinungen über die Geschichten der Menschen die eigentliche Geschichte der Menschheit bildeten. Selten ist eine Begebenheit merkwürdiger, als die Verschiedenheit der Art, wie sie betrachtet wird. Darum soll eine Zeitung nicht allein die denkwürdigen Ereignisse, sondern auch die unter einander abweichenden denkwürdigen Darstellungen der Ereignisse sammeln. Nur der Gewöhnlichkeit bleibe unser Blatt verschlossen, weil es sonst an Raum gebräche; aber es giebt eine Virtuosität der Schlechtigkeit, der eine ehrenvolle Ausnahme gebührt, weil sie als eine negative Tugend- und Weisheitslehre von der größten Wirksamkeit ist.
Ich liebe die Vorstellung, daß unser Blatt sich auch zuweilen der Kunst und Wissenschaft öffnen, und dem gemüthlichen Leser vergönnen möge, sich an dem Menschen von dem Bürger zu erhohlen. Der deutsche Staatskörper leidet an Hypochondrie. Die einzelnen Glieder desselben sind überreizt und dadurch zu einem widernatürlichen Selbstbewußtseyn gekommen. Das Gemeingefühl ist zu erhöht. Zerstreuung möchte dem Kranken, der nur ein solcher ist, weil er sich dafür hält, besonders wohl thun. Wollen wir nicht darum unsre Zeitungsleser von der bestäubten Heerstraße der Politik in die freundlichen Gärten der Kunstblüthen und der Früchte des Wissens hinüberlocken?
Ich werde in wenigen Tagen mit meinem Freunde dem Hrn. Dr. St. Ew. Wohlgeb. persönlich aufwarten und bitte Sie indessen, die Ausdrücke meiner Ergebenheit zu genehmigen.
Dr. Baruch.«
Am 6. März waren die beiden Frankfurter Journalisten denn auch in Stuttgart und in lebhaftem persönlichen Verkehr mit Cotta über das geplante Unternehmen. Es kam zur Berechnung der Kosten für ein wöchentlich viermaliges oder tägliches Erscheinen des Blattes, Börne und Stiefel entwarfen eine Anzeige, die ihre Hauptideen zum Ausdruck brachte, aber das Unternehmen selbst zerschlug sich, es kam nicht zu Stande. Das geistige Ergebniß der Verhandlungen wird der Augsburger »Allgemeinen Zeitung« zugute gekommen sein.
Die Art, wie Börne in dem Briefe, der ein Programm war, dem Freisinn und der freien Diskussion Brücken baute in ein zu gründendes »ministerielles« Organ, entspricht in vielem dem Geiste, in dem er ein Jahr später die »Wage« gehandhabt hat. Man findet gleiche Redewendungen auch in den Ankündigungen des Unternehmens. Die Erzader der politischen Opposition verbirgt er auch hier gern unter Veilchen und Rosen. Stil und Gedankengang sind von staatsmännischer Ruhe und Reife. Die Zensur hatte ihn geschult. Dabei zeugen die Ausführungen über die Nothwendigkeit, daß die Zeitungen eine Uebersicht der sich bekämpfenden Meinungen geben müssen, von einem Tiefblick in den Beruf der Zeitungen großen Stils, der damals noch ungemein selten war und vielleicht nur von Cotta getheilt ward. In der Vorrede der »Wage« wiederholte er diesen Grundsatz; sie sollte jeder Ansicht willige Ausnahme gewähren, aber sie sollte auch auf Bekämpfung gefaßt sein: die Gegensätze sollten »gewogen« werden. Dagegen will er nichts mehr wissen von den »Schwächlingen, die jedes Wort, das nicht gelispelt wird, wie ein Donner erschreckt.« Er wahrt sich das Recht einer lauten kräftigen Sprache. So befremdlich es auf den ersten Blick erscheint, daß Börne ein Jahr vor Begründung der »Wage« sich um die Redaktion eines »ministeriellen« Blattes beworben hat, so organisch fügt sich diese neue Entdeckung der Entwickelung doch ein, die diesen kernfesten Charakter aus dem Patrioten vom Jahre 1814 zu dem demokratischen Stimmungspolitiker der »Wage« hat werden lassen. Es ging ihm ähnlich wie Görres, bis sich die gemeinsamen Wege trennten und dieser unter dem Einfluß Roms die rothe Jakobinermütze mit der »schwarzen Capuze« des Ultramontanen vertauschte, während Börne unter dem Einfluß der Pariser Juli-Revolution zum Republikaner wurde, der nur noch von einer Revolution das Heil des Vaterlandes erhoffte. Damals aber vertraute er noch dem Segen der angestrebten konstitutionellen Reformen und auch in der »Wage« äußert sich kein revolutionärer, sondern ein reformatorischer Geist, der das Volk anstachelt, die ihm gewährten oder gewährleisteten Rechte energisch zu handhaben und unermüdlich zu fordern. Noch in dem Aufsatz »Schüchterne Bemerkungen über Oesterreich und Preußen« spricht er sich hoffnungsvoll über die Erwartungen aus, deren Erfüllung Deutschland nur von Preußen erhalten werde. Börne war der erste nichtpreußische deutsche Publizist, der in der Bundestagszeit Preußen die Führung in Deutschland zuwies. »Deutschlands Geist,« heißt es in obigem Aufsatz, der 1827 dann auch in den »Gesammelten Schriften« erschien, »ist in Preußen, und der ist's, der den Körper regiert.« Um so bitterer war die Enttäuschung, als Börne entdeckte, daß es vielmehr der Geist des russischen Czaren und der Metternichs waren, die in Preußen jetzt zur Regierung gelangten. Aber seine historische Ueberzeugung ward dadurch nicht erschüttert. Im ersten Bande der »Wage« trat er ebenso bestimmt und offen für Deutschlands Einigung zu einem starken Staatswesen unter preußischer Führung ein. Dabei trieb es ihn, die nationalpolitische Forderung anzuknüpfen an die allgemeinen Rechte und Bedürfnisse der Menschen und sich, wie er es im Programm von 1817 ausgedrückt, »an dem Menschen von dem Bürger zu erholen.« Auch erfüllte er die an Cotta gestellte Forderung, die Zeitungsleser von der bestäubten Heerstraße der Politik »in die freundlichen Gärten der Kunstblüthen und der Früchte des Wissens zu locken.« Er folgte damit einem allgemeinen Zuge, der sowohl vom Ruhebedürfniß im Publikum wie vom Kampf der Zensur gegen die politische Journalistik beeinflußt war. Das Bildungsinteresse wandte sich wieder den belletristischen Zeitschriften zu, die wie das Stuttgarter Morgenblatt, der Berliner »Gesellschafter«, die Dresdner Abendzeitung, die Leipziger Zeitung für die elegante Welt, die Mitternachtszeitung in Braunschweig, die Bäuerle'sche Allgemeine Theater-Zeitung und die Saphir'schen Blätter, jetzt bedeutenden Aufschwung erlebten. Dem politischen Interesse wurde durch Aufsätze der Länder- und Völkerkunde Rechnung getragen. Umgekehrt mußte die politische Presse sich zu Kompromissen mit den ästhetischen Interessen der Leser verstehen. Dies hatte Börne am frühesten erkannt. Jetzt erkannte er weiter, daß die Herabminderung des Gemeingefühles nicht Zweck solcher Zerstreuung sein dürfe. Unter den Nachwirkungen des Krieges, den Enttäuschungen, welche die innere Politik brachte, erlahmte dasselbe von selbst, nur zu schnell, nur zu sehr! Und für Börne's Unterhaltungen über Kunst und Wissenschaft ward jetzt das Gegentheil zum eigentlichen Zweck, die Hebung und Anregung des Gemeingefühls. Die Kunstkritik machte er nun – unter Anwendung der Mittel geistvoller Ironie – zum Organe der Zeitkritik, der verdeckten politischen Opposition. Darin besteht der eigenthümlichste Zug der von Börne in der »Wage« verfolgten individualistischen Journalistik.
Auf Cotta hatte gewiß der Dr. Baruch, sein Brief wie sein Wort, einen tiefen Eindruck gemacht. Die Art, wie sich dessen geistiges Wesen nun so keck und selbständig in der »Wage« – das 1. Heft dieser »Zeitschrift für Bürgerleben, Wissenschaft und Kunst« erschien im Juli 1818 – entfaltete, mußte sein lebhaftes Interesse erregen. Sein Grundsatz war immer, das Zerstreute zu vereinigen, dem Bedeutenden eine Wirkung ins Große zu gewinnen. So ließ er denn, nachdem die »Wage« ein Jahr lang erschienen war, durch einen seiner Redakteure, den Dr. Lindner, an Börne schreiben und ihn zur Mitarbeit einladen an der »Allgemeinen Zeitung«, den »Annalen«, dem »Morgenblatt«. Börne, der damals noch neben der »Wage« auch die »Zeitschwingen« redigirte, mußte wegen Zeitmangels ablehnen. Doch wenige Monate später hatte er Zeit die Fülle und durfte auch aus finanziellen Gründen des Anerbietens froh sein. Im März des Jahres war Kotzebue, entlarvt als russischer Spion, von Sand ermordet worden. Die Karlsbader Beschlüsse ergingen und gelangten zur Ausführung. Wie fast alle Organe der politischen Opposition wurden auch Börne's Blätter, die »Wage« und die »Zeitschwingen«, verboten. Die bewährtesten Führer des geistigen Lebens, die einst die Begeisterung für den Befreiungskrieg geschürt, wurden für Feinde des Vaterlandes erklärt und als solche behandelt. Die Mainzer Untersuchungskommission begann ihre geheime Thätigkeit gegen die früheren Burschenschafter und alle patriotischen Schriftsteller, die sie jetzt für Demagogen erklärte. Der Boden in Frankfurt a. M. ward Börne zu heiß. Gegen seinen Freund Görres hatte man auf Grund seiner Schrift »Deutschland und die Revolution« einen Verhaftsbefehl erlassen. Wie dieser nach Straßburg, ging er nach Paris. Der Gedanke an Cotta, der seine Mitarbeit gesucht, begleitete ihn. Bald nach seiner Ankunft am 26. Oktober 1819 schrieb er an diesen und stellte ihm seine Zeit und Kraft im ganzen Umfang zur Verfügung, zu freier Mitarbeit an seinen Journalen. Auch machte er ihm den Antrag, den Verlag der sistirten »Wage« zu übernehmen.
»Ew. Hochwohlgebohren
hatten mir vor einigen Monaten, da ich noch in Frankfurt war, durch Herrn Lindner die Einladung zukommen lassen, an Ihren verschiedenen literarischen Instituten mitzuarbeiten. So angenehm mir eine Verbindung mit ihnen gewesen wäre, mußte ich sie damals dennoch ablehnen, da ich durch die Herausgabe zweier Zeitschriften der Wage und der Zeitschwingen, gefeßelt war. Durch die politischen Verhältniße namentlich durch die Unterdrückung meiner Blätter von Seiten der Regierung habe ich jene Beschäftigungen aufgeben müßen, und ich ging nach Paris um andere literarische Unternehmungen zu versuchen. Wenn Ew. Hochwohlgeb. noch die früheren Absichten hegen, so bitte ich Sie mich zu unterrichten, auf welche Weise ich von hier aus für Sie thätig seyn kann. Die Art und den Grad meiner Brauchbarkeit, können Sie aus meinen angeführten Journalen beurtheilen. Da ich mich nicht gern zerstreue, so wünschte ich sehr, daß Sie mich so viel verwenden möchten, daß ich nicht nöthig, hätte, zu meinem Unterhalt noch andere literarische Beschäftigungen zu übernehmen. Ich brauche hier jährlich 3000 Gulden, wenn Sie nun geneigt sind, mit mir in Verbindung zu treten, dann bestimmen Sie gefälligst, ob Sie mir für den Betrag dieser ganzen Summe, oder für welch einen Theil derselben, Arbeiten übertragen können. Ich würde mir in eintretendem Falle eine monatliche Bezahlung ausbitten.
Wäre es möglich, daß man in den jetzigen Verhältnissen die Wage fortsetzen könnte? In Ihrem Verlage würde das Journal gewiß in die Höhe kommen. Ich habe sie bisher auf meine eigenen Kosten herausgegeben, und ohngeachtet des schleichenden Betriebes derselben und ihrer seltenen Erscheinung ohngefähr 600 Abonnenten gehabt.
In der Folge, wenn die deutschen Verhältnisse sich gebessert haben werden, wie es gewiß, wenigstens in Württemberg zu erwarten ist, könnte ich vielleicht in Stuttgart selbst, Ihre liter. Arbeiten besorgen. Nach Frankfurt werde ich auf keine Weise zurückkehren. Bis zu jener Zeit aber, ließe sich von hier aus thätig seyn.
Wollten Ew. Hochwohlgeb. mich mit einer baldigen Antwort beehren, damit ich, in dem Falle Sie nicht geneigt wären, die bezeichnete Verbindung mit mir anzuknüpfen, ich auf eine andere Weise etwas versuchen könnte.
Vielleicht darf ich hoffen, daß wenn Ihnen meine Anträge willkommen sind, Sie Zutrauen genug zu mir hätten, mir eine gewisse Summe, etwa ein Quartal, des von Ihnen zu bestimmenden jährlichen Honorars voraus anzuweisen, weil ich, da mein literarischer Erwerb in Deutschland plötzlich unterbrochen worden, und ich großen Verlust erlitten habe, der oekonomischen Mittel zu meiner hiesigen Einrichtung sehr bedarf.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ew. Hochwohlgeb.
Ergebenster
Dr. Börne.
Paris, 26. Okt. 1819.
Rue du Narard, Hôtel des Etrangers, Nr. 5«
Aus Börne's Briefen an seine Freundin Jeannette Wohl, die in der Sammlung »Nachgelassene Schriften« (Mannheim 1844) erschienen, ist bekannt, daß Cotta dem Anerbieten sofort das weiteste Entgegenkommen zeigte. Am 9. November schrieb Ersterer vergnügt aus seinem freiwilligen Exil an die Freundin in Frankfurt: »Cotta hat mir geantwortet, und erwünscht, wie Sie sehen. Da das Literarische Wochenblatt (es ist das Weimarsche, von Kotzebue gegründete, nun von Müllner geleitete, gemeint) wahrscheinlich auch mit mir eingehen wird und Theilnahme an hiesigen Blättern mir früher oder später zufallen muß, so denke ich es bald auf 12000 Franken jährlich zu bringen. Das wäre nun hinreichend für ein Stückchen Brod, für ein Stückchen Fleisch und ein Gläschen Wein.« Ueber den Umfang dessen, was ihm Cotta an seinem Talent entsprechender Gelegenheit zu literarischer Arbeit bot, klärt uns die Antwort aus, die er, Paris, 9. Nov., nach Stuttgart richtete. Zugleich ersehen wir aus ihr den Eifer des leicht in unproduktives »Sinniren« gerathenden Mannes, sein Wort wahr zu machen, das er kurz vorher an Frau Wohl geschrieben: »Daß es nur des Gegengewichts einer Verpflichtung bedarf, um meine Trägheit zu überwiegen, das habe ich doch bei den Zeitschwingen gezeigt. Wenn ich hier eine solche Verpflichtung finde, was schon eingeleitet ist, so werde ich ihr ohne Anstrengung und Unterbrechung treu bleiben.«
Der Brief an Cotta lautet:
»Zur Erwiderung auf Ihre Zuschrift vom 2. Nov. bemerke ich folgendes. Soviel die allgemeine Zeitung betrifft, so sehe ich zwar ein, daß meine Theilnahme daran wenigstens kein Bedürfniß ist, da schon 3 Correspondenten dabei arbeiten, und ich, wenigstens für jetzt nicht in der Lage bin neue Quellen zu benutzen. Da es indessen in der hiesigen politischen Welt selten Cabinetsgeheimnisse gibt, und das Factische gewöhnlich Jedem zugänglich ist, der sich darum bemüht, so käme es meistentheils darauf an, die Thatsachen und herrschenden Meinungen aufzufassen, und ihnen die erforderliche Darstellung zu geben. In diesem Sinn könnte ich nun zuweilen (nicht regelmäßig, da ich nur gesonnen bin das Frappanteste zu besprechen) auch Artikel für die A. Z. mittheilen. Für die Beilagen wären kurze Uebersichten der politischen vorzüglich journalistischen Literatur zu gebrauchen, wenn Sie nicht dafür schon regelmäßige Mittheilungen erhalten, in welchem Falle ich mich davon zu unterrichten bitte.
An Stoff für das Morgenblatt wird es in dem von Ihnen beschriebenen Umkreise nicht fehlen, und ich denke in diesen Tagen damit den Anfang zu machen.
Die Europ. Annalen sind mir seit einigen Jahren aus dem Gesichte gekommen. Ich werde sie lesen und mich mit Form und Geist derselben bekannt machen. Wenn ich Aufsätze über politische Angelegenheiten des Tages verfertigen sollte, können Sie darauf rechnen, daß ich den erforderlichen Takt dabei nicht verletzen werde.
Wegen Uebersetzung neuer interessanter Schriften werde ich in eintretendem Falle bei Ihnen erst anfragen. So wird jetzt wahrscheinlich bald die Fortsetzung von Pradt's Congrès de Carlsbad erscheinen. Da er sich natürlich gegen die bekannten Beschlüsse äußern wird, könnte dennoch eine Uebersetzung des Werks, bei den jetzigen Verhältnissen in Umlauf gebracht werden? Etwa mit einigen besänftigenden Anmerkungen? Da das Werk wahrscheinlich von keinem großen Umfange sein wird, wäre, es vielleicht für die Europäischen Annalen passend. Wollen Sie sich ges. hierüber schon vorläufig äußern.
Ihnen für den mir zugesicherten Vorschuß dankend, verharre ich
hochachtungsvoll
Dr. Börne.«
Aus diese Abmachungen, welche das Maß an Arbeit in Börne's freies Belieben stellten, wogegen ihm Cotta ein festes Einkommen von 500 Frcs. monatlich zusicherte, gründete sich die Zeit der frischesten und mannichfaltigsten Fruchtbarkeit seines poetisch-kritischen, humoristisch-satirischen Talents. Von Paris aus entfaltete er es jetzt freilich nur eine kurze Zeit, denn bei diesem ersten Aufenthalt in der Seinestadt fühlte sich der kränkliche Mann so wenig behaglich, daß er von Heimweh getrieben im folgenden Frühjahr schon wieder heimkehrte. Aber die Abmachung verwies ihn auch nicht auf Paris. Und ohne die verpflichtende Wirkung dieses Vertrags, der erst auf ein Jahr, dann auf zwei geschlossen, dann für weitere drei – etwas modifizirt – verlängert ward, ohne die Mahnungen und Anregungen, an denen es Cotta nie fehlen ließ, würde ein Guttheil des Inhalts seiner »Gesammelten Schriften« – dies läßt sich mit Sicherheit sagen – nicht geschrieben sein. So verdanken die für das »Morgenblatt« im Sommer 1820 begonnenen Monatsbriefe aus Frankfurt – gleich den Schilderungen aus Paris tausendfach nachgeahmte Musterstücke zeitgemäßer »Feuilletonistik«, deren Typen hier Börne schuf – namentlich ihre Entstehung dem Bedürfniß, seiner moralischen Verpflichtung, Cotta gegenüber, gerecht zu werden. »Ich habe Verbindlichkeiten gegen die Cottaische Buchhandlung«, schrieb er am 5. Oktober 1820 an die Redaktion des »Morgenblatts« zur Begründung des Angebots, »die ich, nicht aus Ueberschäzung, aber aus Mißdeutung meines Talents zu voreilig übernommen hatte. Daß ich noch nicht Gelegenheit finden konnte, diese Schuld abzutragen, ist mir unaussprechlich zur Pein.« Gerade im Anfang des Verhältnisses ist er sehr fleißig: wie die Monatsübersichten aus Frankfurt, so regt er auch die Einrichtung einer Theaterrevue aus den bedeutenderen Städten Deutschlands an. Er nimmt daneben die »Wage« wieder auf und fährt fort, Cotta zu überreden, dieses, sein eigenes Organ, zu dem seinigen zu machen. Dagegen zeigt er sich jetzt weit zurückhaltender denn im Jahre 1817, als Cotta seinerseits Miene macht, mit ihm wegen der Redaktion eines von ihm neugeplanten »politischen Journals« zu verhandeln. Wie aus dem Folgenden hervorgeht, ist kaum zweifelhaft, daß es sich um den Plan der Reorganisation der »Annalen«, die im nächsten Jahre ausgeführt wurde, handelte. Auf die erste allgemein gefaßte Anfrage antwortet auch er nur allgemein, aber doch sogleich sehr bestimmt, soweit es die Wahrung seiner Selbständigkeit betrifft.
»Ich erwarte« – schreibt er, 16. Oktober 1820 – »wegen Inhalt und Form, und ob es von hier aus geleitet werden könne, Ihre weiteren Erklärungen. Wahrscheinlich wird eine Monatsschrift darunter verstanden. Nur eins muß ich dabei voraussetzen: daß ich, ausgenommen die etwa unvermeidliche Zensur, sonst keine Rücksicht zu nehmen, keine Convenienz zu beachten habe. Ich habe gar nicht das Talent, gegen meine Ansicht zu schreiben, nicht einmal das, meine Gesinnung nur halb mitzutheilen. Ich beziehe dieses aber nur auf solche Abhandlungen, die ich selbst verfasse; denn was die Aufsätze der übrigen Mitarbeiter betrifft, so werde ich als Redakteur nie fordern, daß sie meine Livrée tragen sollen – das ist der bezeichnende Ausdruck, denn ich habe die Forderung, daß denkende Leute Ihrer Ansicht entsagen sollen, um der Farbe eines Redakteurs zu huldigen, stets erniedrigend gefunden. Es muß Jeder seiner Gesinnung treu bleiben dürfen. – Uebrigens werden Ew. Hochwohlgeb. schon von selbst in Berechnung gebracht haben, wie schwierig jetzt der Gang eines politischen Journals ist. Der Ausweg, den man noch vor einigen Jahren hatte, ungestört zu politisiren, wenn man, bald die inneren Angelegenheiten des Staates, worin man schrieb, bald (wie es gefordert ward) die fremden Staaten schonte, ist jetzt versperrt. Ganz Europa ist solidarisch, Neapel liegt in Würtemberg und Berlin in Portugall. Ich begreife nicht, wie man fertig werden könne.« Die Antwort Cotta's muß nicht sehr hoffnungerweckend gelautet haben, denn am 25. Oktober schon bringt Börne die Verhandlung durch eine bündige Ablehnung zum Abschluß. »Ew. Hochwohlgebohren müßte ich schon wegen Ihres eigenem Besten abrathen, mir das politische Journal nach dem aufgestellten Plane zur Redaction zu überlassen. Ich hätte keine Freude an der Arbeit, also auch keine Tauglichkeit dazu. Ich lasse lieber andere Leute für mich sammeln, als daß ich diese Mühe für andere übernehme. Ich bin ein sehr schlechter Scribent, sobald ich nicht aus dem Herzen schreibe. Es müßte mir frei stehen, den Stoff zu bearbeiten, nichts als meine Meinung, und diese ganz auszusprechen. Die Freiheit, welche mir die Stuttgarter Zensur gewährte (und man kann sich in dieser Zeit der Noth damit begnügen), würde ich erschöpfen.« Doch will er als Mitarbeiter gern theil am Journal nehmen und zwar regelmäßig durch Lieferung von 1) Uebersetzung und Bearbeitung der Verhandlungen der französischen Kammern, 2) monatliche raisonnirende Uebersicht der politischen Ereignisse, 3) kurze Uebersichten der deutschen politischen Literatur. Außerdem hält er Umschau unter seinen Bekannten und er trifft auch den rechten Mann. Fr. Murhard, der dann von 1821 an Cotta's »Allgemeine Politische Annalen« redigirt, ward am 3. November 1820 von Börne dem Verleger nachdrücklich und in fein charakterisirenden Wendungen empfohlen. »Ew. Hochwohlgebohren theile ich ein Schreiben des Hrn. Murhard mit, das sich über seinen Zweck, deutlich genug ausspricht. Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß nicht allein der Briefsteller, sondern der mit ihm zusammenlebende Dr. Murhard, sein Bruder, gleiche Befähigung zum betreffenden Journale besitzt. Derselbe ist durch nationalökonomische Werke (die Artikel im Convers. Lexikon, und ein gutes Werk ›über das Geld‹ bei Brockhaus) vortheilhaft bekannt. Ich kann Ihnen beide Brüder mit dem besten Gewissen zur Redaktion empfehlen. Da sie gemeinschaftlich arbeiten und sonst unbeschäftigt sind, würden sie den Vortheil gewähren, das ganze Journal wenigstens quantitativ allein besorgen zu können, und die übrigen Mitarbeiter entbehrlich zu machen. Sie haben vorzüglich ein jetzt kostbares Talent, über bedenkliche politische Dinge mit Manier zu reden, so daß sie ohne Störung über alle Tagesgeschichten sich zu verbreiten verstehen. Dann besitzen sie einen gewissen Kundschaftssinn, sie erhorchen alles, was in der politischen Welt gesagt oder gelogen wird, um so eher was geschieht.«
Die » Annalen«, die einst Schillers »Horen« so siegreich verdrängt, waren jetzt Cotta's Schmerzenskind. Das älteste seiner Unternehmungen, hatte diese Vierteljahrsschrift für Staatswissenschaft und Politik ihm die meisten Sorgen bereitet. Hier, wo nur größere Abhandlungen von angesehenen Schriftstellern des Faches zu bringen waren, war ein geschicktes Laviren und Ausgleichen der Redaktion erschwert. Die Zensur war ihr immer auf den Hacken. Nach Posselts Tode hatte Cotta den Titel geändert und die Nennung eines Redakteurs war ganz unterblieben – »von verschiedenen Verfassern« sagte der Zusatz im Titel. Er hat in dieser Zeit die Leitung vermuthlich selber geübt; jetzt, nachdem die Unruhen in Italien u. s. w. die ängstliche Strenge der Zensur wieder verschärften, sah er sich um nach einer geschickten Hand, welche im Stande wäre, das gefährdete Unternehmen durch die drohenden Klippen hindurchzusteuern. Der Titel sollte in »Allgemeine politische Annalen« geändert werden. Börne erschien ihm vor allen anderen Schriftstellern der Zeit als der geeignete Mann. Dieser scheute sich aber vor der Abhängigkeit; er kannte auch seine kränkliche Natur zu gut, um an seiner Befähigung für eine regelmäßig geforderte Redaktionsthätigkeit zu zweifeln. In freigewählten Terminen, frei und selbstherrlich, wie er die »Wage« herausgegeben – das war die ihm gemäße Art, ein Blatt zu »schreiben«. Darum lehnte er ab und schlug seine Frankfurter Freunde, die Hessen Murhard, vor. Aber Cotta ließ nicht locker und lud ihn dringend ein, nach Stuttgart zu kommen. Um die Verhandlung wegen Uebernahme der »Wage« durch Cotta zum Abschluß zu bringen, reiste er denn auch dorthin, wo er bei diesem, Tafel, Uhland, Schott, überhaupt in den Kreisen der liberalen Verfassungspartei, eine sehr freundliche Ausnahme fand. Die Eindrücke, die er auf der Hinfahrt empfing, sind es gewesen, die in seiner berühmten Monographie der »deutschen Postschnecke« humoristische Gestaltung fanden. Der außerordentliche Erfolg dieser geistvollen Satire, durch welche der frische Morgenwind einer tagenden neuen Zeit, des Eisenbahn-Zeitalters, weht, trug nicht wenig zu seiner schnellwachsenden Popularität bei. Seinen Zweck mit der »Wage« erreichte er aber nur halb. Er hat darüber eingehend an Frau Wohl nach Frankfurt berichtet: »Was ich vermuthet, war wirklich so. Er will seinen Namen nicht als Verleger herausstellen und sich darum der »Tübinger Handlung« (Laupp) bedienen. In Wien hätten sie im vorigen Jahre sogleich erfahren, daß er mir nach Paris geschrieben.« Ueber seinen Verkehr mit Cotta enthalten die Briefe anschauliche Angaben. Gleich beim ersten Besuch hält ihn der alte Herr zwei Stunden lang in politischen Gesprächen fest und findet keine Zeit »für Geschäfte«. Sonst war es die Art des Vielbeschäftigten nicht, einen Besuch freiwillig auszudehnen. Interessant ist die Erwähnung eines »herrlichen Oelgemäldes von Sand«, das in Cotta's Arbeitszimmer hing. Es war im Gefängniß gemalt. »Er hat ein herrliches anziehendes Gesicht, noch knabenhaft, die Kupferstiche, die wir von ihm kennen, stellen keinen Zug von ihm dar.« Später heißt es »Cotta scheint große Centnerstücke auf mich zu halten. Wir haben viel und oft mit einander gesprochen, er wollte mich nie fortlassen. Ich gab ihm die vollständige Wage. Er hat jetzt erst viel darin gelesen und großen Beifall gezeigt.« Dennoch erschienen in Tübingen von der »Wage« nur noch vier Hefte. Die Zeitlage war zu ungünstig, um Börne das Schreiben unter Zensur auf die Dauer erträglich zu machen. Und Cotta lag natürlich mehr daran, Börne's Kraft für seine eigenen großen Journale zu verwerthen. Bot er doch diesem damit auch ein weit größeres Publikum, als die »Wage« hatte finden können. Börne aber bekam durch die Chikanen der Zensur die Lust an der reinpolitischen »Zeitschriftstellerei« überhaupt mehr und mehr verleidet. Trotz des Drängens von Cotta und Murhard lieferte er nur wenig in die »Annalen«, aber was er lieferte, wie seine »Anmerkungen zu der Schrift über Herrn von Villèle«, die »Politischen Kleinigkeiten«, die »Betrachtungen über den Sinn der Zeitkämpfe« geschah in originellen Formen, die von anderen Mitarbeitern wie Gagern, Troxler, Weitzel, Graf Benzel-Sternau nachgeahmt wurden. Dagegen wuchs sein Bedürfniß, am literarischen Leben der Nation auf seine Weise produktiv und kritisch theilzunehmen. Hierfür bot ihm Cotta seit Anfang des Jahres auch sein neugegründetes Literaturblatt dar.
*
Das Cotta'sche »Literaturblatt«, das zu einer so verhängnißvollen Rolle in der Geschichte des »Jungen Deutschlands« berufen war, als Beiblatt zum »Morgenblatt« gegründet, erhielt in Adolf Müllner, dem Neffen Gottfr. Aug. Bürgers, dem Dichter der »Schuld«, seinen ersten Redakteur. Das Eingehen des »Weimarischen Literarischen Wochenblattes«, das Müllner nach Kotzebue's Tod redigirt und an welchem von da ab Börne im Verkehr mit dem Verleger Hoffmann mitgearbeitet, war wohl die äußere Veranlassung zur Ausführung eines älteren Planes. Die in Leipzig mächtig aufstrebende Verlagshandlung von F. A. Brockhaus, die der Idee der Real-Enzyklopädie in ihrem Konversations-Lexikon eine so glückliche volksthümliche Form gegeben, hatte das »Literarische Wochenblatt« angekauft und es in ihrem Literarischen Conversationsblatt aufgehen lassen. Cotta nahm dagegen den freigewordenen Redakteur in seine Dienste und empfahl diesem Börne zum Mitarbeiter seines neuen Organs. So hatte Müllner sich an diesen gewandt. Börne richtete seine Antwort an Cotta. Er verband mit derselben einen Vorschlag, dem dieser später auch nähertrat: er solle ein größeres literarisches Tageblatt in Konkurrenz zu dem Brockhaus'schen Conversationsblatte gründen.
»Frankfurt, den 10. Februar 1820.
Ew. Hochwohlgebohren
Wissen, daß ich außer der ›Wage‹, die mich beschäftigt, auch noch meine Thätigkeit für die allgem. polit. Annalen zugesagt habe, ich also nicht Zeit genug habe, mich zu einer regelmäßigen Theilnahme am Liter. Blatt zu verbinden. Doch bin ich, so oft ich Muße habe, zu einzelnen Artikeln gern bereit. Ew. Hochwohlg. werden Gelegenheit finden, dieses dem Hrn. Hofrath Müllner mit meinem Danke für seine ehrenvolle Einladung zu erkennen zu geben.
Die gute Idee des ›Kotzebue'schen lit. Wochenbl.‹ geht in dem ›Brockhaus. Convers. Bl.‹ ganz unter. Sollte man ihr nicht die Hand reichen, um sie aus dem Wasser zu ziehen? Ich glaube von Ihnen unternommen, müßte ein ähnliches Blatt großen Erfolg haben. Das Leipziger wird täglich langweiliger, ich kann es gar nicht mehr lesen.
Ergebenster
Dr. Börne.«
Die Persönlichkeit Müllners mochte dem scharfen Kenner der Schwächen seiner Dramen nicht behagen. Wiederholt geht er dem Anlaß aus dem Weg, zu ihm in direkte Beziehung zu treten, nachdem bisher seine Briefe für das Weimarsche Literaturblatt an den Verleger desselben, Hoffmann in Weimar, gerichtet gewesen. Auch die Art seiner Redaktion gefiel ihm nicht, wie aus einem späteren Lobe hervorgeht, das er Menzel spendet, als dieser Müllners Nachfolger geworden ist. Da Cotta gleichfalls durch des letzteren Leistungen nicht befriedigt wurde, nahm er daraus Veranlassung, den Andeutungen in Börne's Brief vom 10. Februar nach Verlauf eines Probejahres näher zu treten. Die betreffende Anfrage beantwortete Börne mit einer Entwickelung seiner Ideen vom Beruf der Kritik, »die Literatur mit dem Leben zu vermitteln«, der so klar und bestimmt die Grundprinzipien seines ganzen literarischen Wirkens zur Darstellung bringt, daß der Brief wie ein scharf umrissenes Portrait seiner geistigen Persönlichkeit wirkt. Er erledigt ein für allemal jede Streitigkeit über Werth und Wesen, Tendenz und Charakter aller Kritik, die Börne in außerpolitischen künstlerischen Dingen geübt hat.
»Frankfurt, den 10. März 1821.
… Ich will Ihnen Ihrem Wunsche gemäß meine Ideen über ein zu unternehmendes literarisches Tagblatt kurz vorlegen. Da es hierbei aber wie überall nicht bloß auf die Entwürfe, sondern auf die Ausführung dieser Entwürfe ankömmt, diese Ausführung aber von Persönlichkeiten abhängt, so bin ich genöthigt von mir zu sprechen, zu sagen wie ich es machen würde und anzunehmen, daß Sie bei einem solchen liter. Blatte an mich als Redakteur gedacht haben. Meine Absicht wäre eigentlich nicht, die erscheinenden Schriften ihrem Werthe oder Unwerthe nach zu beurtheilen, und daraus das Belehrende oder Unterhaltende mitzutheilen; dieses würde zwar geschehen, aber nur zufällig und der Form wegen, es wäre aber nicht der Zweck. Der Zweck des Blattes aber müßte sein, die Literatur mit dem Leben, d. h. die Ideen mit der wirklichen Welt zu verbinden. Diese Verbindung geschieht auf zweierlei Art, indem man entweder, vom Buche zum Leben herab- oder vom Leben zum Buche hinaufsteigt. Erscheint ein Werk, es sei nun gut oder schlecht, so würde es der Form nach rezensirt werden, dem Wesen nach würde gezeigt werden, wie die darin ausgesprochenen Ideen mit der wirklichen Welt in Verbindung stehen, oder in Verbindung gesetzt werden können, oder wie die Ausführung solcher Ideen schädlich wäre. Jede Wissenschaft wie jede Kunst, hat eine Seite, wo sie alle Menschen anspricht, und diese müßte berührt werden. Das hieße nicht oberflächlich und im Conversationstone davon sprechen wie es Kotzebue gethan, sondern den Punkt der Wissenschaft oder der Kunst berühren, wo sie an das Leben sich knüpft. Geschieht aber etwas, das allgemeine Theilnahme erregt, so würde man von dem Ereignisse zu ihrer Idee hinaufsteigen. Erschiene z. B. eine neue Uebersetzung des Calderon, so würde man auf die politischen Verhältnisse Spaniens auf dem Wege übergehen, indem man bespräche, wie die romantische Poesie mit absoluter Monarchie in Verbindung steht, und wie heut zu Tage kein Calderon in Spanien entstehen könnte. Ereignet sich eine Revolution in Neapel, so würde man von aller eifernden Parteilichkeit, von den wechselnden Tagesbegebenheiten, von Wünschen oder Verwünschungen abstehen, und von der Sache sprechen, als wäre sie ein Buch. Auf diese Weise die Literatur und die Tagesgeschichte zu behandeln, heißt: zugleich einer Schwäche und einer Tugend des deutschen Volkes schmeicheln. Unsere Schwäche ist Pedanterie, und daß wir über die Grundsätze die lebendigen Folgen vergessen. Unsere Tugend ist, daß wir nicht, gleich den Franzosen, uns von Leidenschaften verblenden lassen, und im wärmsten Kampfe an Recht und Wahrheit denken. Also meine Absicht würde sein, der Metaphysik, die in allen deutschen Büchern sich findet, selbst wenn sie nur vom Kartoffelbau handeln, einen lebendigen Körper zu geben, die lebende Geschichte der Zeit aber metaphysisch zu besprechen.
Was die Literatur im eigentlichen Sinne betrifft, so würde ich noch etwas in das Blatt hineinziehen, was Kotzebue und Brockhaus vernachlässigt haben, nämlich die ältere und die ganz alte Literatur. Man hat in Deutschland zwar eine gewisse Ansicht von Rousseau, Voltaire, Lessing, Goethe, Jean Paul und Anderen, aber von jedem ihrer einzelnen Werke herrscht kein allgemein geltendes Urtheil. Ich glaube, es müßte sehr interessant sein, den Maßstab der neueren Zeit an die Werke der älteren zu legen. Wie wäre jetzt Wilhelm Meister, Titan, la pucelle, die Heloise, Lessings Dramaturgie zu beurtheilen? Man müßte diese Werke besprechen, als wären sie erst erschienen, sich um die geschlossene Meinung über jene klassischen Schriftsteller gar nicht bekümmern, und erst dann, wenn die Meisterwerke eines Schriftstellers nach und nach behandelt worden, ein allgemeines Urtheil über ihren Werth fällen und es daraus ankommen lassen, ob dieses Urtheil einer neuen Instanz, mit dem früheren übereinstimme, oder davon abweiche. Die Literatur der Griechen und Römer ist in Deutschland bloß Zunftsache. Die Menge kennt sie nicht. Warum sollte man die Gelegenheit neuer Uebersetzungen nicht benutzen, um diese Literatur in unser Leben einzuführen? Es erscheint jetzt eine Uebersetzung des Aristofanes von Voß. Wenn eine solche besprochen und angepriesen würde, nicht blos wegen ihres philologischen Werthes, sondern wegen ihrer unterhaltenden Art, so kann man sicher die Leute dahin bringen, daß sie in Lesebibliotheken so eifrig nach diesen Lustspielen als nach Kotzebue fragen. So auch mit Virgil, Terenz, Sophokles, Horaz. Das wäre ohngefähr meine Ansicht vom Liter. Blatt.
Hochachtungsvoll
Dr. Börne.«
»Die Literatur mit dem Leben, die Ideen mit der wirklichen Welt zu verbinden,« auch in Sachen der Kunst die Frage des Fortschritts der Menschheit zum Werthmesser zu erheben: diese Grundidee des vorstehenden Programms ist dann zum Grundprinzip der ganzen Bewegung geworden, welche den Namen »Junges Deutschland« erhielt. Die junge Schriftstellerwelt, die von Börne beeinflußt ward, fühlte sich gedrängt, das eigene literarische Schaffen diesem einen Prinzip unterzuordnen. Und sie that es zum Theil mit derselben Einseitigkeit wie Börne selbst, welcher mehr und mehr alle anderen Interessen des Lebens vor den politischen aus den Augen verlor. Dieser politische Maßstab in Anwendung auf die Literatur hat im geistigen und politischen Leben starke Belebungen ausgeübt, der Entwickelung unsrer poetischen Literatur jedoch auch manche Irrung und Wirrung bereitet, unter deren Folgen persönlich Niemand mehr zu leiden gehabt hat, als die Dichter der »zeitgemäßen Tendenz« selber. Börne hatte das für Cotta in so festen Linien entwickelte Prinzip bereits in allen seinen kritischen wie erzählenden Arbeiten bethätigt, in den »dramaturgischen Blättern« ebenso wie in den Buchbesprechungen der »Wage«. Er blieb ihm treu bis ans Ende und kehrte es immer schärfer hervor in seinen Beiträgen für das Cotta'sche »Literatur-Blatt«, für das er von Cotta und Müllner immer aufs neue zu fleißiger Mitarbeit gedrängt wurde, die er aber erst dann entfaltete, als 1825 die Redaktion an Wolfgang Menzel überging und dieser sich sichtlich bestrebt zeigte, dem Blatte im Geiste der Börne'schen Ideen eine charaktervolle Haltung zu geben. Er selbst aber wurde nicht zur Durchführung derselben an die Spitze des Blattes berufen; er hätte mit seiner subjektiven Art und sensitiven Natur, die ihm das Schreiben nur unter starken Impulsen leicht machten, gewiß auch nicht zum Redakteur eines regelmäßig erscheinenden, viele Mitarbeiter zählenden Blattes gepaßt.
Die Leser werden beachtet haben, wie das obige Programm nur die Ausführung des Grundsatzes war, den Börne schon 1808 in dem Aufsatz »Die Wissenschaft und das Leben« entwickelt hatte. In der Praxis erhob sich ihm das Interesse für das »Leben« aber weit über die Höhe seines literarisch-künstlerischen Interesses. »Um des Himmels willen,« rief er einmal aus, als ein begeisterter Theaterfreund in München ihn als Verfasser der »Wage« mit allerhand Betrachtungen über die zeitgenössische Bühne gelangweilt hatte, »schreibe ich denn in einer Art, daß man glaubt, ich mache mir viel aus dem Theater und solchen Lumpereien? Sieht man mir denn nicht an, wie gleichgültig mir alle diese Sachen sind? … Die wahre Geschichte jedes Tages ist witziger als Molière und erhabener als Shakspeare. Ein paar Lampen angezündet und die Zeitung vorgelesen – was könnte Eßlair Besseres geben!« Und in der Vorrede zu der Sammlung seiner Theaterkritiken finden sich folgende Sätze: »Ich trieb Privat-Patriotismus und gab eine Zeitschrift heraus: die Wage. Ach Himmel! An Gewichten fehlte es mir nicht, aber ich hatte nichts zu wiegen. Das Volk auf dem Markte that nichts und machte keine Geschäfte, und das Völkchen in den höheren Räumen handelte mit Lust und Wind und anderen imponderablen Stoffen. Ich war in sehr großer Verlegenheit: da rieth mir ein freiwilliger Jäger, der sein Leben lieb gewonnen, und, um es fortzusetzen, Komödiant geworden war, ich solle über das Theater schreiben. Der Rath war gut und ich befolgte ihn. Ich setzte die wohlweise Perrücke auf und sprach Recht in den wichtigsten und hitzigsten Streithändeln der deutschen Bürger, in Komödiensachen. Wie ein Geschworner urtheilte ich nach Gefühl und Gewissen; um die Gesetze bekümmerte ich mich, ja ich kannte sie gar nicht. Was Aristoteles, Lessing, Schlegel, Tieck, Müllner und Andere der dramatischen Kunst befohlen oder verboten, war mir ganz fremd. Ich war ein Naturkritiker, in dem Sinne, wie man einen Bauer vor zwanzig Jahren, der Gedichte machte, einen Naturdichter genannt hatte … Ich sah im Schauspiele das Spiegelbild des Lebens und wenn mir das Bild nicht gefiel, schlug ich, und wenn es mich anwiderte, zerschlug ich den Spiegel. Kindischer Zorn! In den Scherben sah ich das Bild hundertmal … Es war oft komisch, wenn junge Leute, die Respekt vor mir hatten, im Theater oder nach demselben auf meine Worte horchten, was ich urtheilte von dem neuen Stücke, ob ich es für gut oder schlecht erklärte. Wahrhaftig, ich hatte beim zweiten Akte den ersten, wenn der Vorhang fiel, alles vergessen, und ich erinnerte mich gar nicht, ob das Stück gut oder schlecht war. Aber am folgenden Tage kam immer etwas, das mich daran erinnerte, das Stück mußte schlecht gewesen sein, und da setzte ich mich hin und beurtheilte es, und tadelte die Zeitung des Morgens im Komödienzettel des Abends, die Natur in der Kunst. Ich schlug den Sack und meinte den Esel.«
Gutzkow hat diese Art der Ironie mit einem Gazeüberwurf verglichen, der das seidne Unterkleid in wechselnden Nüancen hervorschimmern lasse. Nicht immer trat die politische Anspielung so offen zu Tage, wie in jener oft citirten Bemerkung über das Gastspiel einer Schauspielerin aus Gratz, deren Vortrag sich matt erwies: »Wenn die Stände in Gratz so leise sprechen, wie diese Dame, dann muß es um die Freiheit Stiermarks schlimm stehen.« Oefter kleidete sich die Ironie in die gesteigerte Vertretung der dem Sinne nach von ihm bekämpften Meinung. Wenn er in dem berühmten Capriccio »Henriette Sontag in Frankfurt« von der Begeisterung der Bevölkerung spricht und dabei erzählt, wie Einer sich schon gesonnt habe in dem künftigen Augenblick, da er mit Stolz zu seinen Enkeln sagen werde: »Auch ich lebte in dem großen Zeitalter« – so steht zwischen den Zeilen zu lesen: welch kleines Zeitalter, dem ein solches Gastspiel als weltbewegendes Ereigniß erscheint! So täuscht er die Zensur in dem Novellenfragment »Der Narr im weißen Schwan«, indem er in den Anfang einen Dithyrambus auf das deutsche Sauerkraut setzt, um am Schluß, wenn der Zensor, längst davon befriedigt, den Probeabzug weg gelegt haben wird, von der deutschen Freiheit zu reden. So lobt er die Zensur in ironischen Wendungen, die ihren ganzen Jammer für den Wissenden nur um so greller beleuchten, so giebt er seiner Polemik gegen die Apostaten des Wissens und die Neophyten des Glaubens die Form einer Vertheidigung, deren ironische Spitze die Z. Werner, Pilat, Adam Müller, Friedrich Schlegel ins Herz treffen mußte, und seiner Parodie auf die Langsamkeit des Verkehrs die Form einer scheinbar ernsten Rechtfertigung. Börne hat aber die Theaterkritik nicht nur zum Vorwand gemacht, um in ihre ästhetischen Erörterungen politische Urtheile und Anspielungen hineinzuweben; seine Theaterkritiken enthalten fast stets auch positive Urtheile über die zu besprechenden Dramen, die den Anspruch auf ästhetischen Werth erheben. Und gerade sie bringen die elementare Einseitigkeit seines Denkens zum Ausdruck, das alle Erscheinungen, auch die der Kunst, nur in Beziehung auf die politischen Zustände der Gegenwart, das Besondere in Bezug auf die allgemeinen Interessen der Zeit, das Kunstschöne nur auf seinen ethischen Werth zu beurtheilen vermochte. Daß Kotzebue und Iffland dabei gelegentlich besser fahren als Schiller und Goethe, beweist zur Genüge, wie wenig der Kunstwerth bei dieser Methode in die »Wage« fiel, und daß der absolute Mangel einer Haupteigenschaft des berufenen Kunstkritikers, der Fähigkeit sich auf den Boden des Autors zu stellen und aus dessen Beweggründen und Absichten heraus sein Werk zu besprechen, bei diesem kritischen Verfahren verhängnißvoll ins Spiel trat, dafür sind die berühmten Abhandlungen über Schillers Wilhelm Tell und Shakespeares Hamlet die merkwürdigsten Beweise. Börne bespricht diese Meisterwerke der Weltliteratur aus dem Gesichtspunkt der Frage, wie sehr oder wie wenig ihre Wirkung auf die Zeitgenossen der Sache der Freiheit nützt. Er rechtet mit Tell und Hamlet wegen ihrer Unentschlossenheit; weil er dem deutschen Volk eine größere Energie des Handels wünscht, tadelt er den Mangel der letztern an ihren Lieblingsdramen. So fühlt sich sein Geist gedrungen, Shakespeares Hamlet als eine dichterische Ironie aufzufassen, eine Ironie, wie er sie selbst schreiben möchte auf die in Phantasien ihr Genüge findende Thatenunlust der Deutschen. Die wenigsten seiner Zeitgenossen haben das System politischer Polemik erkannt, das seiner ästhetischen Theaterkritik zu Grunde lag, und so hat z. B. auch seine Verehrerin Rahel Varnhagen sich genöthigt gefühlt, in einem ihrer Briefe gegen Börne's Hamletkritik zu polemisiren, als sei diese von rein ästhetischem Standpunkt verfaßt. Wie er aber andrerseits seinen Zweck auch erreichte, wie er vom »jungen« Deutschland ganz in seinem Sinne verstanden wurde, davon ist Freiligraths späteres Gedicht »Deutschland ist Hamlet« ein berühmtes Beispiel aus der Menge von hundert längst vergessenen.
Er war ein ästhetischer Kritiker mit idealpolitischen Maßstäben. Als politischer Schriftsteller wurde er aber gelenkt von dem Temperament eines empfindsamen Lyrikers. Die Eindrücke des politischen Lebens wirkten auf ihn wie auf andere Poeten ergreifende Herzenserlebnisse erotischer Art. Vaterland und Freiheit – sie liebte er glühender als je ein Weib, und wenn er dem von ihm am meisten geliebten Weibe, mit dem er aber doch das Eingehen einer Ehe mied, im Tone hinreißender Leidenschaft schrieb, dann schwärmte er von seiner Liebe – für Freiheit und Vaterland.
Nichts charakteristischer für seine Art als der Brief, den wir zehn Tage, nachdem er sich in den Plan eines literarischen Tageblattes so eingelebt, wie das obige Schriftstück bezeugt, und sechs Tage nach dem Empfang der gewiß mehr zustimmenden als ablehnenden Antwort Cotta's an diesen schreiben sehen. Da steht er plötzlich ganz unter dem Eindruck von politischen Nachrichten, von Ereignissen, die sein »Herz« in Wallungen gebracht, seinen Freiheitssinn zur Kampfeslust begeistert. Die Politik nimmt auf einmal wiederum sein ganzes Interesse gefangen, als über die Alpen herüber die Kunde dringt, daß die verhaltene Gluth der Patrioten Italiens im offenen Kampfe auflodre. Nun kennt er nur noch den einen Wunsch, sein Verhältniß zu Cotta als politischer Schriftsteller zu fixiren. Wie später die Nachrichten vom Ausbruch der Juli-Revolution 1830 den Sodener Kurgast aus der Stille des Bades nach Paris trieben, so will er jetzt nach Italien, um an dem Kampf für die Freiheit – wenn auch nur als Beobachter und Berichterstatter für Deutschland – theilzunehmen. »Ich habe die unwiderstehliche Lust, die Begebenheiten unserer Tage, deren Schauplatz sich täglich mehr erweitert, mit meinen eigenen Augen zu sehen, und nach dem nördlichen Italien zu reisen. Da stellen sich mir ökonomische Verhältnisse in den Weg. Ich habe gedacht, Sie könnten mich in dieser Lage der Dinge als politischen Correspondenten der Allgemeinen Zeitung benutzen, und mich mit Geld unterstützen. Meine Meinung wäre, daß der Aufenthalt in Turin oder Genua, rücksichtlich der Correspondenz der gelegenste wäre. Der Weg nach Deutschland für Briefe ist dort offen. In der Mitte zwischen der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Neapel könnte man sich nach allen Seiten umsehen. Ich bin fest überzeugt, daß Frankreich und die Schweiz in den Krieg werden hineingezogen werden. Die neuen Nachrichten von Turin sind Ihnen wohl schon bekannt. Außer der politischen Correspondenz würde ich eine fortlaufende Reisebeschreibung (den Weg über Genf) für das Morgenblatt aufarbeiten und ich verspreche eine wöchentliche Sendung. Wenn Ew. Hochwohlgeboren geneigt sind in die Sache einzugehen, so schlage ich Ihnen vor, mir monatlich 300 fl. zu bestimmen und mir für so viele Monate das Geld zu geben, als Sie vor jetzt geneigt sind. Nach Verlauf dieser Zeit könnten Sie nach Ihrer Convenienz den Vertrag fortführen. Wollen Sie den Vorschlag annehmen und mir Geld schicken, so will ich mich sogleich auf den Weg machen.«
Cotta hat am 22. März dieses Anerbieten umgehend beantwortet und am 23. einen zweiten Brief folgen lassen – (die Copirbücher aus diesen Jahren fehlen leider) –, ein Beweis, daß er die Anregung Börne's keineswegs kurzerhand ablehnte. War sie doch auch eine neue Bestätigung, welcher ausgezeichnete journalistische Instinkt denselben beseelte. Und doch wird er nicht ohne Lächeln zugleich den jähen Entschlußwechsel wahrgenommen haben, der das Literaturblatt-Anerbieten vom 10. und das politische Korrespondenz-Anerbieten vom 20. trennte. Nach Allem, was er in dem 1½jährigen intimeren Verkehr mit dem Herausgeber der »Wage« erlebt, konnte er ihn nicht für einen geeigneten Vertreter der »Allgemeinen Zeitung« auf dem heißen Boden des sich in Italien eröffnenden revolutionären Kriegsschauplatzes halten. Schon hatte derselbe wiederholt Monate verstreichen lassen, ohne eine Gegenleistung für das Monatsgehalt. Eine empfindsame und auch im physischen Sinne empfindliche Natur, deren geistiges Blühen von Wind und Wetter, von Stimmung und Laune abhing, ein Mann, dessen Gesinnungen und Grundsätze fest wie Eisen, dessen Verstimmbarkeit aber weich wie Quecksilber war; ein Meister der Zeitschriftstellerei, den die Zeit selber erzogen und der mit weitem Blick die Zeit, d. h. die zeitgenössische Geschichte beherrschte, aber kein Zeitungsschriftsteller, kein Journalist, weil er in keiner Weise Herr war der eigenen Zeit, um Tag und Stunde je nach Bedarf dem Dienst der Zeitgeschichte, dem Ruf seiner Zeitung zur Verfügung zu stellen, so eignete er sich ebensowenig wie zum Redakteur zum regelmäßigen Berichterstatter. Er hatte den Geist eines guten Redakteurs und guten Journalisten, aber nicht das Temperament dazu. Er konnte nur schreiben, »wenn ihn das Herz drängte« und sein Herz drängte ihn nur unter ganz bestimmten Bedingungen körperlichen Befindens und geistiger Disposition. Sein Unabhängigkeitsbedürfniß war zu stark, als daß er die schweren Pflichten des Berufs andauernd hätte auf sich nehmen können, für den er als erstes großes Talent unter den Deutschen gereift war. Er erfand und schmiedete die Waffen, deren die junge, noch verzweifelt um ihr Dasein ringende Journalistik im Kampfe gegen die Zensur bedurfte, wußte sie auch in erregter Stimmung zu handhaben wie kaum ein Anderer, aber unter dem andauernden Druck der übermächtigen Zensur zu schreiben, wurde ihm schnell zuwider. »Schon eine Staatszensur ist mir unerträglich, die Zensur einer Redaktion ist es mir noch mehr,« hatte er im Jahre vorher an Cotta geschrieben, als die Wittwe L. F. Hubers, die Redakteurin des »Morgenblatts«, einige Aenderungen in seinen Artikeln vorgenommen hatte. Ein Korrespondent über Ereignisse wie diejenigen, deren Märtyrer Sylvio Pellico damals auf dem Spielberg wurde, für ein Blatt, dessen Fortexistenz unter der Herrschaft der Karlsbader Beschlüsse schließlich doch nur von Metternichs Gnade abhing, mußte für Zensurstriche und redaktionelle Bevormundung minder empfindlich sein. Die Zensur, die unwürdige Knechtschaft, in die Metternichs Politik die öffentliche Meinung geschlagen, trägt die Hauptschuld, daß Börne's publizistisches Talent nicht zu freierer, größerer Entfaltung gelangte. Ihr Druck, die Verfolgungen, die sie geübt, hatten ihn erst so empfindlich gemacht und die Vergeblichkeit jenes Antrages mußte ihm erst recht die politische Schriftstellerei verleiden. Er hat denn auch erst wieder unter den Eindrücken der Pariser Juli-Revolution im Jahre 1830 sich dieser zu widmen vermocht; die leidenschaftlich-subjektiven »Briefe aus Paris« hat er aber gar nicht erst versucht für ein Journal zu schreiben, er wußte im voraus: diese glühende Sprache eines entschlossenen Freiheitsapostels wäre sofort der Zensur erlegen. Er schrieb sie – unmittelbare Ergüsse seiner Stimmung und seiner Gesinnung – an die Freundin in Frankfurt, aber freilich im Gedenken an das ganze deutsche Volk als Publikum, und überließ es später der Schlauheit des aus dem Gebiete kecker Umgehung der Zensur und der Bücherverbote zum Virtuosen gereiften Verlegers seiner »Gesammelten Schriften«, Julius Campe in Hamburg, sie in Buchform unter die Leute zu bringen.
Zwischen seine Verhandlungen mit Cotta wegen Uebernahme der »Wage« und der zweiten Reise nach Paris fiel noch ein wichtiges Erlebniß, die Versuchung zum Abfall. Daß das Instrument, dessen sich Metternich bei dem Versuch, den von ihm und Gentz ob seiner schlagfertigen Schreibweise bewunderten Publizisten für den Uebertritt in seine Dienste zu gewinnen, Börne's eigener Vater war, verschärfte nicht wenig die für ihn sich daraus ergebende Lage. Die Entwickelung dieser Angelegenheit hat in den Briefen Börne's vom Jahre 1821 aus München an Jeanette Wohl ein getreues Abbild gefunden. Nicht ohne inneren Kampf entging er der Versuchung, denn sie trat an ihn nicht unmittelbar in frecher Blöße, sondern im Gewand harmloser Einladung heran. In Börne's Seele wirkte damals noch die Sehnsucht nach allen höheren Genüssen des Daseins, das Verlangen nach Glück, das ihm als jungen Studenten die glühenden Leidenschaftsergüsse an die Gattin seines Lehrers Markus Herz diktirt, das Verlangen nach Schönheitsverklärung des Daseins, wie es auch in seiner Zimmereinrichtung zum Ausdruck gelangte. So sehnte er sich auch nach den Eindrücken des großen Lebens und als er von seinem Vater bei dessen Durchreise in München eingeladen ward, ihn nach Wien zu begleiten, regte sich anfangs nicht wenig die Lust dazu. Aber ein Gelehrter erhielt damals ohne Weiterungen keinen Paß nach Oesterreich, noch weniger ein Publizist vom Rufe Börne's. Das Versprechen des Vaters, ihm in Wien einen Paß zu erwirken, verwandelte sich bald in diesem zu der Absicht, den ungerathenen Sohn wieder in eine »korrekte« Lebensbahn zurückzubringen, indem er es unternahm, ihm in Wien heimlich eine Staatsanstellung zu besorgen. Zu Metternich hatte er seit langem persönliche und geschäftliche Beziehungen. Ebenso zu Gentz. Wie willkommen beiden die Aussicht war, die gefährliche Feder Börne's zum Schweigen oder gar in ihre Dienste zu bringen, konnte der alte Geschäftsmann schwerlich ermessen. Aber um so lebhafter drängte sich nach seiner Abreise dem »Doktor« diese Vorstellung auf. »Was Sie mir von Wien reden,« schrieb er am 18. Oktober an die Freundin. »Nicht vor den Uebelthaten dieser Herren, vor ihren Schmeicheleien wäre mir bange. Sie würden suchen, mich in ihr Netz zu ziehen, sie haben schon andere Vögel, die gepfiffen haben, wie ich, kirre gemacht. Sie beobachten Einen, sie erforschen jede zugängige Seite, sie erfahren jede Sekunde der Schwachheit … Uebrigens was mich hinzöge, wäre nur der Forschungstrieb. Oesterreich ist ein merkwürdiges Land, das europäische China. Ich habe das Meer noch nie vom Ufer aus gesehen – ich meine das politische, und das sieht man nur in Wien.« Nach weiterer Ueberlegung aber meint er. 2. Dezember, daß er für diese Art Studium doch nicht geeignet sei, »Sie wissen, ich bin nicht fanatisch und meine Neigungen, besonders aber meine Abneigungen sind immer ruhig und halten sich an den Verstand. Nur gegen die österreichische Regierung habe ich einen wahren fanatischen Haß … Es ist dort ein solches tiefes dichtverwachsenes Wurzelwerk von aristokratischer Tyrannei, daß es mich zur Verzweiflung bringt, weil ich gar keine Möglichkeit sehe, es auszurotten. So haben jetzt erst alle Privaterzieher, alle Lehrer, die keine Oesterreicher sind, das Land verlassen müssen und nicht allein die öffentliche Erziehung in Schulen, sondern auch die häusliche Erziehung wird den Händen der niederträchtigen Jesuiten anvertraut. Wenn nicht dort ein Erdbeben alles übereinander wirft: Tugend, Klugheit, Tapferkeit der Freigesinnten wird nie etwas ändern. Man fühlt dort seine Ohnmacht, aber die Ohnmacht schimpft und darum werde ich auch schimpfen …« Und einige Tage danach: »Ich sollte freiwillig meinen Geist in einen Kerker bringen, wo ihm Licht, Nahrung und Bewegung fehlt? … Meine Reden, meine Mienen, mein Sprechen im Schlafe, mein Schweigen wird beobachtet. Es ist nicht möglich, sich der Auflauerei zu entziehen. Die neuesten Ereignisse in Spanien und Italien haben die Strenge der Regierung aufs Aeußerste getrieben. Sie zittert, und nichts ist gefährlicher als eine mächtige Regierung, die sich fürchtet. Ich glaube Ihnen schon geschrieben zu haben, welche neue Anordnungen dort getroffen werden, um schon das Kind im Leibe der Mutter zum Sklaven zu erniedrigen. Und ich sollte in einem solchen Lande wohnen? Ich glaube zwar nicht, daß man in Wien meine Dienste sucht, aber gewiß wird sich mein Vater darum bemühen, und dann giebt es Verdruß zwischen uns beiden.«
Dieser Verdruß blieb nicht aus. Der Vater, im Grund seines Herzens stolz auf die Gescheutheit seines Sohnes, deren falsche Anwendung allein ihn hart und geizig gegen ihn gemacht hatte, war bereits an der Arbeit und erfolgreich gewesen. Jetzt schrieb er seiner Frau, die damals auch in München – im Hause der dort verheiratheten Tochter – weilte, sie solle für den Sohn einen feinen Anzug, wie ihn die Etikette für Staatsvisiten vorschrieb, machen und ihn wissen lassen, der österreichische Gesandte in München sei angewiesen, ihm einen Paß auszustellen. Diese Nachricht versetzte Börne in die größte Aufregung. »Wie ich die Dinge klar erkenne,« schrieb er am 24. Dezember des genannten Jahres, »wäre mich zu gewinnen, für die Oesterreicher eine gewonnene Schlacht. Nicht zu gedenken, daß sie außer Gentz (der jetzt todtkrank, vielleicht schon gestorben ist) keinen haben, der so gut schriebe als ich« ((– Gentz selbst hatte dies wiederholt gegen Rachel Varnhagen, Lindner u. a. geäußert –)), »ja daß ich in mancher Beziehung noch brauchbarer wäre, weil ich die Gabe des Witzes, wodurch man auf die Menge wirkt, besitze, und ich besser als selbst die Ultras die schwache und lächerliche Seite der deutschen Liberalen kenne – so wäre in mir die ganze liberale Partei geschlagen. Es war eine solche Redlichkeit, eine solche Unbefangenheit in meinen öffentlichen politischen Aeußerungen, daß ich, wie ich von mehreren Seiten erfahren, selbst den Wiener Ultras Achtung eingeflößt habe, ob zwar keiner sich so feindlich als ich gezeigt hat. Sie mußten gestehen, daß ich es aufrichtig meinte, wenn ich auch irrte. Wem soll man ferner trauen, wenn ich die gute Sache verrathen? Wollte auch ich mit meinem Gewissen zerfallen, das wäre das größte, aber nicht das einzige Unglück, das mir in österreichischen Diensten bevorstünde. Man würde mir dort nie trauen, und ich lebte in ewiger Gefangenschaft. Gentz war zwar früher auch liberal, er aber konnte Bürgschaft geben seiner aufrichtigen Bekehrung, die ich nicht geben kann. Gentz war schon viele Jahre, ehe er in österreichische Dienste trat, an England verkauft. Er ist sinnlich, verschwenderisch, der liederlichste Mensch im Lande, er läßt sich jeden Vormittag eine Bouillon von 15 Pfund Fleisch kochen. Ich bin nicht der Art; wenn ich in Wien nichts zu Nacht esse, werde ich schon für einen Carbonaro gehalten. Liebe Freundin, was soll ich machen? … Mein Vater will mein Glück begründen, er ist auch ehrgeizig, und es liegt so viel Rührendes darin, wenn ein Vater sich in seinem Sohne geehrt fühlt, daß ich ohne Schmerz nicht daran denken kann, ihm diesen Genuß versagen zu müssen. Ich habe meinem Vater schon so viel Verdruß gemacht, nicht durch Bösartigkeit, aber durch meine eigenthümliche Weise zu denken und zu handeln, daß ich mich glücklich schätzen würde, ihm etwas zu Wunsche zu thun. Aber hierin könnte ich ihm nicht nachgeben. Vergebens aber wären alle meine Vorstellungen, er verstünde mich so wenig als er das Bellen eines Hundes versteht. Eine vortheilhafte Anstellung auszuschlagen! – er würde mich für wahnsinnig, oder für einen schlechten leichtsinnigen Menschen halten. Mein Vater ist ein Hofmann, hat von seiner Kindheit an unter Hofleuten gelebt, mit Fürsten verkehrt. Er ist so verstockt wie ein Minister. Wenn ich mich auch aller ihm schwärmerisch dünkenden Aeußerungen von Freiheit, Redlichkeit, Unabhängigkeit gegen ihn enthalten wollte, wenn ich auch, um in seiner Art zu reden, ihm sagte: es sei nicht klug es jetzt mit den Höfen zu halten, man müsse mit den Wölfen heulen und die Wölfe wären heute die Liberalen, er würde lachen, aber mit Ingrimm lachen. Er glaubt so fest an die Fortdauer der jetzt bestehenden Dinge, wie er an Gott glaubt.« Und später: »Ich will Ihnen jetzt sagen, was ich zu thun beschlossen habe. Nach Wien gehe ich auf keine Weise. Hier bleiben kann ich aber auch nicht, ich muß aus der Nähe meines Vaters und meiner Mutter weg. Von meinem festen Entschlusse nicht nach Wien zu gehen, habe ich meiner Mutter zwar nichts gesagt, aber so viel, daß ich erst nach einigen Wochen abreisen könne. Und da schon war sie verblüfft und verdrießlich. Ich fürchte mich vor mir selber, ich fürchte dem Verlangen meines Vaters, dem Einreden meiner Mutter und Schwester und meines Schwagers nachzugeben. Ich werde an die Redaktoren der Neckarzeitung schreiben, ob sie mir Geld vorschießen wollen, nach Paris zu reisen, um dort ihre Korrespondenz zu führen. Thun sie es, so reise ich nach Paris. Von meinen Beiträgen in die Neckarzeitung ist ein Brief von München gedruckt. Die Zensur hat alles gestrichen, was ich von Bemerkungen angebracht, so daß nichts als ein trockner langweiliger Bericht übrig geblieben. So wird es mir wohl mit allem gehen. Wie ich mich ärgere über die verdammte Zensur! Und doch werde ich fortfahren, um des Geldes willen. Nie aber soll mich Geld verleiten, etwas zu thun, was mich Ihrer unwürdig machte.« –
So wurden die Versuche, Börne zum Wiener Offiziosus zu machen, der Anlaß, daß er nach Paris ging, um sich hier frei als Bekenner seiner Gesinnungen zu bewähren.
Zwischen Cotta und Börne war es nach dem vergeblichen Vorschlag des letzteren, als Korrespondent der »Allgemeinen Zeitung« nach Norditalien zu gehen, zu der sehr ersprießlichen Einigung gekommen, welcher wir die » Schilderungen aus Paris« verdanken. In diesen Aufsätzen konnten sich die Vorzüge seiner Betrachtungsweise, die Schärfe seiner Beobachtung, sein Wahrheitsdrang und sein polemisches Wesen am ungezwungensten und behaglichsten ausleben. Wenn er das Treiben in den Straßen und Kaffeehäusern der französischen Hauptstadt, ihre öffentlichen Zustände und öffentlichen Charaktere schilderte, so stellten sich ganz von selbst Reminiscenzen an den großen Befreiungskampf der Franzosen, ganz von selbst auch Seitenblicke auf die Zustände ein, die er in Deutschland zurückgelassen. Die Gegenstände selber, von den Denkmalen der älteren Zeit, in welcher die Encyklopädisten im Salon Holbachs und der Epiney verkehrt, dann Camille Desmoulins das Volk gegen die Bastille geführt, bis zu der wichtigsten Errungenschaft der eigenen Zeit, der ersten großen Industrieausstellung im Louvre, fesselten ihn aber auch an sich, und seine Subjektivität fand darum mit einer objektiven Darstellungsweise eine besonders angenehme Mischung. Wie wenig er sich selbst in Paris als Franzose fühlte, wie wenig er andrerseits bei diesem zweiten Pariser Aufenthalt unter jener fieberhaften politischen Erregung litt, die ihn dann bei seinem dritten nach der Julirevolution bis zu seinem Tode bewegte und in seinen Pariser » Briefen« glüht und zittert und schwellt, wie bescheiden er andrerseits von seiner Begabung dachte, davon ist die folgende Stelle aus einem Brief an Frau Wohl ein interessanter Beweis. »Paris,« schrieb er unter den ersten Eindrücken, »scheint für meine Schriftstellerart und Geistesbeschaffenheit geeignet zu sein. Die schöpferische Kraft, die sich den Stoff selbst bildet, fehlt mir, ich muß einen Stoff vorfinden und dann kann ich ihn wohl mit einigem Talente bearbeiten. Oder um nicht ungerecht gegen mich zu sein, ich könnte wohl auch etwas, was noch nicht da ist, aus mir hervorrufen, ich habe aber keine Theilnahme für Geschöpfe der Einbildungskraft, mich regt nur an, was schon lebendig außer mir besteht. Ich bin zu deutsch, zu philosophisch, zu empfindungsvoll, und so gäbe mir Paris außer dem Stoff, auch die erforderliche Leichtfertigkeit im Denken und Schreiben. Zum Beispiel ich schreibe mit Ernst und Fleiß auch nur die Wage; ich wüßte wahrhaftig nicht, mit den besten Vorsätzen zur Ausdauer, wie ich sie in Deutschland im Gange erhalten könnte. Theater? Literatur? Sitten? Alles Karrikatur, nichts Großes, nichts Mannigfaltiges, selbst im Schlechten und Lächerlichen. Und soll man immer tadeln, immer spotten? Das, ermüdet den Schriftsteller wie den Leser. Und gar die Politik! Man gewinnt in Deutschland keine richtige und klare Ansicht. Selbst ich, der ich doch besser bin wie viele Andere, bin doch nur ein Metaphysiker in der Politik, den ein Franzose auslachen würde.«
Für Cotta schrieb er dann auch nach der Rückkehr von diesem zweiten Pariser Aufenthalt fast ausschließlich feuilletonistische Studien und Skizzen ins Morgenblatt und Bücherbesprechungen größeren Umfangs ins Literaturblatt. »Blättchen für Blättchen« sind meine Schriften entstanden, sagt er in der Einleitung zu ihrer Sammlung; »Blättchen« – das ist die wörtliche Uebersetzung des französischen »Feuilleton«. Aber als dann aus Blättchen für Blättchen die Bände der »Gesammelten Schriften« sich zusammenfügten und diese ein Gesammtbild seines im harten Kampfe mit der Zensur entfalteten Schaffens der Nation darboten, da wurden sie von der maßgebenden Kritik, der gelehrten und ungelehrten, als die Werke eines Schriftstellers ersten Ranges begrüßt: von ureigenem Denken, ureigener Schreibart und doch erfüllt und bewegt vom Geiste der Zeit. In Holzmanns Biographie findet sich eine Zusammenstellung der Besprechungen, die in Stuttgart, Berlin, Hamburg, Leipzig u. s. w, gleich günstig lauteten. Wie wenig dabei eine Agitation politischer Art oder irgend welche Reklame im Spiele war, geht daraus hervor, daß die glänzendste Besprechung gerade in der konservativen Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung erschien und diese mit dem Lobe begann: »Daß Ludwig Börne ein eminenter Geist und ein höchst origineller Schriftsteller sei, ist jetzt Niemand unter uns mehr unbekannt, wiewohl sich kaum jemals ein Autor so geringe Mühe gegeben hat, bekannt und anerkannt zu werden wie er.« … Weiter heißt es: »Seine Liebenswürdigkeit besteht in zwei bei uns Deutschen seltenen Eigenschaften, in Witz und in der Energie der Empfindungen, in dem Vermögen, lebhaft zu hassen und zu lieben. In der ersten dieser Eigenschaften besiegt er ohne Zweifel die meisten der jetzt lebenden Autoren Deutschlands; in der zweiten hat er beinahe nur an Steffens einen Nebenbuhler. Der Charakter des Witzigen und des Energischen der Empfindung ist in Börne's Schriften durchgehend; er ist es, dem er den Glanz der Ursprünglichkeit verdankt, der seine Arbeiten auszeichnet.« Dies mache ihn zu einem Geistesverwandten Jean Pauls, aber in der Tendenz und im Kolorit gingen beide auseinander. Jean Paul mildere seinen Witz durch seinen Humor, Börne gebe dem seinen die möglichste Schärfe und richte ihn meist gegen die äußeren Lebensverhältnisse der Gesellschaft, gegen Staat, Kirche, Verwaltung und Sitte, während Jean Paul sich gegen die inneren Verhältnisse des Menschenlebens richte. Börne habe vor diesem den Vorzug, daß er mit klarem Ausdruck des Gedachten den Gedanken in seiner nackten Wahrheit hervortreten lasse. Das feine Spiel der Ironie verstehe Niemand gleich ihm, wenn es sich um publizistische Dinge handele; als Kunstkritiker sei er zwar immer geistreich und witzig, doch oft einseitig und in Vorurtheilen befangen. »An Sprachvermögen kommt ihm nicht leicht einer der jetzt lebenden Deutschen, Tieck selbst nicht ausgenommen, gleich, und es ist gewiß, daß Börne dereinst für einen der ersten Prosaisten des Zeitalters gelten werde.« Daß Cotta sich nur ungern den Buchverlag der Schriften Börne's entgehen ließ, erfahren wir aus unseren Briefen.
Der persönliche Verkehr mit dem Verleger, der sich auch ihm gegenüber als ein »königlicher Kaufmann« – welches Wort Shakespeare's einmal Menzel auf Cotta anwandte – bewährte, hat bis zum Sommer 1829 angedauert. Fast immer sind die Briefe Antworten auf Mahnungen, doch mehr zu liefern, – Mahnungen, die nicht bloß im Hinblick aus den wachsenden Vorschuß, sondern auch unter Betonung des Werths erfolgen, den Cotta Börne's Beiträgen beimißt. Die Briefe bestätigen die gute Stimmung, die in diesem während seines zweiten Pariser Aufenthalts (1822-1824) vorherrschte, und von welcher die »Schilderungen aus Paris« so farbenfrische Abbilder wurden. Sie bestätigen, daß er seit der Rückkehr nach Heidelberg dann zu kränkeln begann und oft durch anhaltendes Unwohlsein seinen Studien und Arbeiten ganz entrückt wurde. Interessant ist auch, daß sein letztes Anerbieten an Cotta, von Rüdesheim datirt, der Eröffnung der Dampfschifffahrt auf dem Rheine galt; er wollte über die Feier des epochemachenden Ereignisses, dessen Bedeutung er wie wenige Zeitgenossen empfand, einen »feierlichen« Bericht schreiben. Es geht aus den letzten Briefen hervor, daß Börne bis zum Tod seines Vaters, 18. April 1827, durch den er Herr über eigenes Vermögen wurde, fast ausschließlich von den Einkünften gelebt hat, die ihm die Cotta'sche Verlagshandlung gewährte. Er gerieth darüber in eine starke Verschuldung zu dieser, denn nach den ersten drei Jahren hatte Cotta die Monatszahlungen als Vorschüsse bezeichnet, gegen welche das Honorar für gelieferte Beiträge verrechnet werden sollte. Der Beiträge waren es immer weniger geworden. Cotta hatte seine daraus sich ergebenden Forderungen nie geltend gemacht, bis eine Reihe von Handlungen Börne's ihm vermeintlichen Grund gaben, sich über ihn zu beklagen. So hatte er wahrgenommen, daß Sachen von Börne anderwärts gedruckt erschienen, während er nichts erhielt; er hatte übelgenommen, daß die in seinem Verlage neu erscheinenden »Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik« gleich bei ihrem Entstehen von Börne in einer besonderen Flugschrift angegriffen wurden, und schließlich war ihm fast um dieselbe Zeit hinterbracht worden, Börne bereite eine Sammlung seiner bisher zerstreut erschienenen Schriften vor, wobei er es als gerechten Anspruch empfand, daß dieser ihm den ersten Verlagsantrag hätte machen müssen. Was Cotta ihm daraufhin schrieb, geht aus der Antwort Börne's vom 2. Mai 1827 klar hervor.
»Ew. Hochwohlgebohren
Haben sich meiner erinnert, und wenn dieses auch wie in Ihrem letzten Schreiben auf keine erfreuliche Art geschehen, so bleibt dabei doch noch immer etwas erfreuliches übrig, wofür ich Ihnen danke. Ich würde mich vergebens bemühen, die Vorwürfe, die Sie mir machen, abzuwenden, ich will nur suchen, meine Schuld kleiner zu machen, sowohl meine moralische Schuld als meine Geldschuld.
Ich habe Ihr freundliches Verfahren mit mir, immer dankbar anerkannt, ich habe aber nicht die Summe des Geldes, das ich von Ihnen erhalten, zum Maasstabe meiner Erkenntlichkeit genommen, sondern die Art und die Bereitwilligkeit, mit welcher Sie immer meinen Bedürfnissen und Wünschen entgegen gekommen sind. So oft mich noch Buchhändler durch große Anerbietungen zu gewinnen suchten, habe ich ihnen geantwortet, sie könnten nie thun, was Cotta für mich thut, auch wenn sie mir noch so viel bezahlten; meine Lust und Fähigkeit zum Arbeiten, hielten nicht immer mit meinen Geldbedürfnissen gleichen Schritt; Cotta aber hätte mir auch ohne Arbeiten ausgeholfen. Diesen Ihren guten Willen hätte ich freilich thätiger vergelten sollen, und hierin ist meine Schuld, aber Sie haben eine zu schlimme und eine zu gute Meinung von mir, wenn Sie glauben, ich brauchte nur zu wollen. Der Kreis meiner Fähigkeiten ist sehr klein, und mein Talent braucht eine starke Anregung um in Bewegung zu kommen. Bald fehlt es mir an Stoff, bald an Freiheit. Ueber Politik darf ich nicht schreiben wie ich möchte, bei der Kritik wird man ganz sauer, da man selten etwas zu loben findet; übrigens ist Ihr Literaturblatt jetzt so gut redigirt, daß ich kaum etwas zu seinem Werthe hinzufügen könnte. Das Morgenblatt bliebe noch übrig, aber in Deutschland, besonders hier in Frankfurt, geht alles so schläfrig her, daß ich bei Mangel an Stoffen aus dem Leben, Stoffe aus dem Traumreiche behandeln müßte und darauf verstehe ich mich nicht. In Paris war ich fleißiger, nicht blos weil ich dort mehr Gegenstände zur Bearbeitung, sondern weil ich mehr Anregung gefunden. Trotz dem allen hätte ich Ihnen mehr Arbeiten liefern können als ich gethan, wäre ich nicht durch eine andere Beschäftigung, von der ich später reden werde, diesen Winter abgehalten worden.
Aber wie konnten Sie nur denken, daß ich bei allen Verbindlichkeiten, die ich gegen Sie habe, mich wegen Bekanntmachung literarischer Arbeiten, an andere Verleger gewendet haben sollte? Diese Unschicklichkeit hätten Sie mir nicht zutrauen sollen. Die zwei Fälle, die zu diesem Mißverständnisse Anlaß gegeben haben könnten, will ich zu meiner Rechtfertigung besprechen. Vor einem Jahre hielt ich im hiesigen Musäum, einer Art literarisch-artistischen Gesellschaft, eine Denkrede auf Jean Paul. Nun erscheint hier ein armes und armseliges belletristisches Blatt, das im herkömmlichen Recht ist, alle Vorträge, die im Musäum gehalten werden, drucken zu lassen. Ich konnte den Artikel nicht verweigern, aber ich forderte und erhielt kein Honorar dafür und ich schickte Ihnen den Aufsatz für das Morgenblatt. Es war so gut als Manuskript, denn das fragliche Blatt wird außer Frankfurt gar nicht gelesen. Der Aufsatz wurde an drei verschiedenen Orten als besondere Brochüre abgedruckt, und kam in den Buchhandel ohne mein Wissen, ohne meinen Willen, und ohne den geringsten Vortheil für mich. Der zweite Fall, daß ich etwas bei einem andern Verleger habe drucken laßen, fand kürzlich statt. Ich gab eine kleine Schrift über die Berliner Literaturzeitung heraus, und da Sie diese Zeitung selbst verlegen, mußte ich es natürlich für unpassend halten, meine polemische Schrift in Ihrem Verlage erscheinen zu laßen. Ich habe auch für dieses letzte Produkt keine Bezahlung erhalten …«
Er knüpfte an diese Erklärungen Vorschläge für eine billigere Verrechnungsweise seiner Schuld und verband dieselben mit dem Angebot des Verlags der von ihm geplanten Sammlung seiner Schriften, die er eigentlich im Selbstverlag habe wollen erscheinen lassen. Es war für die Weiterentwickelung des Verhältnisses schade, daß die letztere Frage gerade mit jener anderen in Zusammenhang gerieth. In der beiderseits vorherrschenden Stimmung vermochten sich Autor und Verleger nicht über das Honorar zu einigen, sonst würden nach den vorliegenden Aktenstücken im Verlag der deutschen Klassiker auch Börne's Gesammelte Schriften erschienen sein, für welche durch Heine's Vermittelung Börne nun Hoffmann u. Campe in Hamburg zu Verlegern gewann. Auf der Reise Heine's von Hamburg nach München, wo dieser mit Cotta über die Uebernahme der »Annalen«-Redaktion unterhandeln sollte, besuchte dieser den von ihm verehrten Gesinnungsverwandten in Frankfurt und bei dieser Gelegenheit wurde er zum Anbahner der Verhandlungen, die Börne nun mit dem Verleger des »Buchs der Lieder« anknüpfte. Von Cotta's Morgenblatt und Literaturblatt blieb aber Börne auch weiterhin Mitarbeiter: der letzte Beitrag war sein Aufsatz über »Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde« im Jahre 1835, der das Schärfste enthielt, was über Goethe je mit echtem Pathos aus dem einseitigen Gesichtspunkt geschrieben worden ist, den Börne in dem mitgetheilten Programm für eine neue »zeitgemäße« Kritik ausgestellt hatte.
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Börne's Denkrede auf Jean Paul und seine Bettina-Kritik sind die Grundpfeiler des lapidaren Gedankenbaues, den er als Kritiker in den »freundlichen Gärten der Kunstblüthen« errichtet. Sie sind nach Stil und Gesinnung typisch für die Stärke und die Schwäche seines Standpunkts als literarischer Kritiker. Er feierte Jean Paul mit priesterlicher Begeisterung, weil er der Dichter der Armen und Bedrängten gewesen, und war blind darüber für dessen künstlerische Schwächen; er eiferte gegen Goethe mit sittlicher Entrüstung, weil er bei herrlichsten Dichtergaben in Zeiten schwerer Völkerbedrückung der Dichter des selbstgenügsamen Behagens geworden sei. Er sprach Goethe Herz ab und nannte seine Poesie kalt, weil sie sein Herz kalt ließ, das nur warm wurde bei solcher Poesie, die im Kampf stand gegen Unterdrücker, für Bedrückte. An »dem Menschen vom Bürger sich zu erholen« hatte er im ernsten Gange seines Lebens verlernt, darum hatte er kein Verständniß mehr für Goethe, dem die Poesie als berufenstes Mittel solcher Erholung erschien. Er wollte eine Poesie, die dem Allgemeinen diente, Goethe's Poesie wurzelte in der Persönlichkeit. Auch diese Unterscheidung hat im »Jungen Deutschland« nachgewirkt, bis eine Läuterung der ästhetischen Ansichten eintrat. Bezeichnend wünscht Wienbarg Goethen mehr von Jean Pauls überfließender Liebe, Jean Paul aber mehr von Goethe's Kunst, »dann« – ruft er – »besäße Deutschland einen Titan, der meisterhaft und einen Meister, der titanisch.«
Wie sehr diese Unterscheidung der Stimmung entsprach, die damals in den liberalen Kreisen Deutschlands herrschte, läßt sich heute nur schwer noch vorstellen. Stärkere Beweise des außerordentlichen Ansehens, das Börne damals genoß, als die Ovationen, die ihm auf dem Hambacher Fest zu Theil wurden, zu welchem er heimlich über die Grenze gekommen war, und gleich darauf die Gastfreundschaft, die ihm der Graf Benzel-Sternau auf seinem Gute Marienhalden in der Schweiz zu Theil werden ließ, als die günstigen Kritiken seiner Schriften, erbrachte der Haß seiner Gegner. Daß aber sein literarisches wie sein politisches Wirken sich unter den gegebenen Bedingungen nicht über den Charakter der Negation erheben konnte, ist am schlagendsten zum Ausdruck gelangt in seiner Schrift gegen »Menzel, den Franzosenfresser«, denselben Menzel, der bis ins Jahr 1835 sein Freund und Parteigänger gewesen war, bis er in seiner leidenschaftlichen Polemik gegen Gutzkow und das »junge Deutschland« auch ihn plötzlich zur Zielscheibe gehässiger Angriffe machte. »Was in allen meinen Negationen das Positive sei, was ich gründen wolle, wenn ich Alles zerstört haben werde, was für eine Freiheit ich denn wolle?« Auf diese Fragen Menzel's erklärte er: »Die Freiheit ist gar nichts Positives, sie ist nur etwas Negatives: die Abwesenheit der Unfreiheit. Die Freiheit kann und will nichts gründen als sich selbst, sie kann und will nichts zerstören als die Gewaltherrschaft, Die Freiheit kann ein Volk nicht umwandeln, sie kann ihm nicht die Tugenden und Vorzüge verschaffen, die ihm seine Natur versagt, sie kann ihm die Fehler nicht nehmen, die ihm angeboren, die sein Klima, seine Erziehung, seine Geschichte oder sein unglückliches Gestirn verschuldet, die Freiheit ist Nichts und dennoch Alles, denn sie ist die Gesundheit der Völker. Wenn der Arzt einen Kranken zu heilen sucht, kommt ihr dann, um ihn zu fragen: warum heilt Ihr diesen Mann, ehe Ihr reiflich überlegt, was Ihr nach der Heilung aus ihm machen wollt? Er ist ein schwacher Greis, wollt Ihr einen kräftigen Jüngling aus ihm machen? Er ist ein Bettler, wollt Ihr ihn zum reichen Manne machen? Er ist ein Bösewicht, wollt Ihr ihn zum tugendhaften Menschen machen? … Der Arzt antwortet euch: ich will ihn heilen; wie er dann seine Gesundheit benutzen könne, benutzen wolle, das ist seine Sache, das wird seine Bestimmung entscheiden. So auch spricht die Freiheit: ich gebe den Völkern ihre Gesundheit wieder; doch wie sie die Freiheit benutzen wollen, benutzen können, das muß ich ihrem Willen und ihrem Schicksale überlassen. Wie ein gesunder Bettler, der an seiner steinernen Brotrinde kauet, glücklicher ist als der kranke reiche Mann, der an einem üppigen Tische schwelgt: so ist ein freies Volk, und wohnte es im eisigen Norden, ohne Kunst, ohne Wissenschaft, ohne Glauben, ohne alle Freuden des Lebens, und mit den Bären um seine Nahrung kämpfend – so ist es dennoch glücklicher als ein Volk, das unter einem paradiesischen Himmel mit tausend Blumen und Früchten schwelgt, die ihm der Boden, die Kunst und die Wissenschaft reichen, aber dabei der Freiheit entbehrt. Nur die Freiheit vermag alle Kräfte eines Volkes zu entwickeln, daß es das Ziel erreiche, welches ihm aus der Bahn der Menschheit vorgesteckt worden. Nur sie kann die verborgenen keimenden Tugenden eines Volkes an den Tag bringen, offenbaren, welche seiner Gebrechen der Entartung, welche der Natur zuzuschreiben, und seine gesunden Vorzüge von denjenigen trennen, die unter dem Scheine der Kraft nur eine Schwäche bedecken … Und die Freiheit ist auch die Ehre der Völker. Selbst wenn alle Herrscher das wären, was sie nicht sind, die Väter ihrer Unterthanen, wenn sie für nichts besorgt wären als für deren Glück, für deren Zufriedenheit, selbst dann wären jene Völker ohne Freiheit und ohne Ehre bedauerungswürdig. Sie müssen, was ihnen als Recht gebührt, als Geschenk annehmen, zittern bei jeder üblen Laune, bei jeder Leidenschaft, bei jeder Trunkenheit ihrer Gebieter, sie sind keine Menschen, sie sind nur Sachen, geliebte Kleinodien ihres Besitzers, sie sind keine selbstständigen Wesen.«
Aber wenn Börne's literarisches Wirken auch ganz in dem Kampf für dieses Freiheitsideal aufgegangen ist, dessen Wesen nach seiner eigenen Definition von negativer Natur war, er hat dennoch seiner Zeit und der Nachwelt sehr Positives geboten. Seine Negation der Unfreiheit im deutschen Wesen der Metternich'schen Epoche hat gar mächtig zum Sturze des herrschenden Absolutismus und Philisterthums beigetragen, hat viel positive Erkenntniß des Besseren verbreitet und tausendfältiges positives Leben gefördert in dem späteren Aufschwunge der Nation zu freieren Zuständen und zur politischen Einigung. Und noch heute wirkt gar positiv das Beispiel seiner Ueberzeugungstreue, die Fülle praktischer, aus idealster Seelenstimmung geschöpfter Lebensweisheit, seine elementare Wahrheitsliebe, ausgeprägt in seinem festen, klaren, tapferen Stil. Seine Negation war nie frivol und nie cynisch, sie war selbst im Scherz eine Aeußerung ernster Ergriffenheit, sie entstammte nicht nur einem scharfen Verstand, sondern auch einem tiefen Gemüth, das erfüllt war von Menschenliebe.
Und alles dies bot und entfaltete ein Mann jüdischen Stammes? Diese Frage ist das nothwendige Ergebniß von all den Anklagen, die der moderne Antisemitismus auch auf ihn gehäuft. Sie heischt von uns am Schluß des Kapitels Beantwortung.
Börne's Größe und Schwäche, sein ganzes Wesen wurzelt, bei aller reinmenschlichen Bildung seines Geistes, allerdings in seinem jüdischen Ursprung. Der Zorn über die Unterdrückung seiner Stammesgenossen machte ihn zum Freiheitsapostel, seine energische Selbstbefreiung von aller ihm selbst widerwärtigen Ghettositte, seine innere Abneigung gegen den Geldwucher wie gegen jede Preisgabe des Selbstgefühls und der Mannesehre machten ihn zu einem strengen Richter: über die Juden, wie über die Deutschen, wie über sich selbst. Das Antisemitische in dem Frankfurter Patriziersohn Goethe hatte in ihm, dem Sohn der Frankfurter Judengasse, jene bedauerliche tiefwurzelnde Antipathie herangebildet, die so scharfen Ausdruck in seinen Werken gefunden; das eingeborne Wehgefühl über das große Unrecht, das dem Volke, dem doch Christus selber entwachsen, von den Christen geworden, ließ ihn jede Art anderen Unrechts so tief empfinden und so scharf zum Ausdruck bringen wie keiner seiner Zeitgenossen. Er verleugnete nie – wie das Heine oft gethan – seine Abstammung, auf welche er vielmehr stolz war. Es wäre auch aus diesen Gründen falsch, in unserem Geschichtsbild über diese Thatsache flüchtig hinweg zu gehen.
Daß der energievollste, rücksichtsloseste und geistreichste Verfechter der Freiheit unter den liberalen Patrioten jener Uebergangszeit, die den Bann des Absolutismus, der Bedientenseligkeit, des Höflingswesens in unserem Vaterland brachen, jüdischen Ursprungs war, ist für diese ganze Bewegung und ihre Zeit ebenso charakterisch, wie der Umstand, daß diese Kämpfe gleichzeitig mit der Emanzipation des »deutschen Bürgerthums« diejenige der deutschen Juden erstritten. Den Antisemiten damaliger wie heutiger Zeit ist beides gleich fatal. Schon damals fielen manche Liberale von der Sache der Freiheit ab, weil sie auch Sache der Juden war. Und von den Lohnschreibern Metternichs wurde die ungeheure Wirkung von Börne's und Heine's Schriften durch die Verleumdung zu lähmen gesucht, daß sie mit der Aussaat revolutionärer Ideen »aus kluger Berechnung das Werk der Verführung trieben, um in einem großen welthistorischen Akte Rache zu nehmen für den Druck und die Schmach, den das Volk, dem sie ihren Ursprung nach angehören, Jahrhunderte lang von dem unsrigen geduldet.« Als nach Unterdrückung des liberalen Aufschwungs vom Jahre 1831 in dem mit Geldern der Wiener Staatskanzlei gegründeten Berliner Politischen Wochenblatt der Hofrath Jarcke – auch einer der »Apostaten und Neophyten« – obige schlaue Imputation den Feinden der Freiheit zum Besten gegeben, antwortete Börne in seinen »Pariser Briefen« mit direkter Wendung: »Daß Sie uns die Ruchlosigkeit vorwerfen, wir wollten das deutsche Volk unglücklich machen, weil es uns selbst unglücklich gemacht – das verzeihen wir dem Kriminalisten und seiner schönen Imputationstheorie. Daß Sie uns die Klugheit zutrauen, unter dem Scheine der Liebe unsere Feinde zu verderben – dafür müssen wir uns bei dem Jesuiten bedanken, der uns dadurch zu loben glaubte. Aber daß Sie uns für so dumm halten, wir würden eine Taube in der Hand für eine Lerche auf dem Dach fliegen lassen – dafür müssen Sie uns Rede stehen, Herr Jarcke. Wie! wenn wir das deutsche Volk haßten, würden wir mit aller Kraft dafür streiten, es von der schmachvollsten Erniedrigung, in der es versunken, es von der bleiernen Tyrannei, die auf ihm lastet, es von dem Uebermuthe seiner Aristokraten, dem Hochmuthe seiner Fürsten, von dem Spotte aller Hofnarren, den Verleumdungen aller gedungenen Schriftsteller befreien zu helfen, um es den kleinen, bald vorübergehenden und so ehrenvollen Gefahren der Freiheit Preis zu geben? Haßten wir die Deutschen, dann schrieben wir wie Sie, Herr Jarcke. Aber bezahlen ließen wir uns nicht dafür; denn auch noch die sündevolle Rache hat Etwas, das entheiligt werden kann.«
In der That haben zur Zeit dieser Kämpfe nur gedungene Soldschreiber der Reaktion solche Verleumdung gewagt und nicht ein Volksmann, nicht einer der vielen Deutschen arischen Bluts, die Börne persönlich kannten, die mit ihm die Gefahren des Freiheitskampfes theilten, hat je an der Reinheit seiner Absichten gezweifelt. Daß aber gerade in jener Zeit, da von den Juden allmählich das uralte Verhängniß genommen ward, welches sie zur Knechtschaft und in dieser vielerorts zu den niedrigsten Formen von Handelsgeschäften gezwungen, sich die lange zurückgestaute Geisteskraft der Begabtesten gerade in die Bahnen des öffentlichen Lebens warf, daß sich der Kampf gegen die am eigenen Leibe und der eigenen Seele erlebte Unterdrückung ihnen zum Kampfe für die Volks- und Menschenrechte erweiterte, ist so naturgemäß wie das Anschwellen eines Quellbaches, der die Felsenklüfte des Gebirges verläßt, zum breiten Strome. Was Gutzkow seinen Uriel Akosta sagen läßt, als dieser, der Getaufte, sich zum Stamm seiner Väter bekennt:
»Ins Allgemeine möcht' ich gerne tauchen
Und mit dem großen Strom des Lebens gehn!«
von dieser Sehnsucht war auch Börne erfüllt und all die vielen seiner Stammesgenossen, die einem freien deutschen Reich und der Gleichheit vorm Recht in demselben erfolgreiche Vorkämpfer wurden. Sehr treffend schrieb Gutzkow im Jahre nach Börne's Tod in seiner Biographie: »Der jüdische Kaufmann zerstreut sich vielleicht durch den glücklichen Erfolg seines Gewerbes; aber der jüdische Gelehrte ist auf die Vereinsamung mit seinem Schmerz angewiesen. … Alle Voraussetzungen der Bildung sind bei ihm dieselben wie beim Christen, ja er kann durch wissenschaftliche Einsicht sogar vom Christenthum eine höhere Idee haben, als mancher christliche Gelehrte sie hat, und doch bleibt er ausgeschlossen von einer Wirksamkeit für das Allgemeine und muß, beschränkt auf seine Glaubensgenossen, eine Bitterkeit nähren, die seinem versöhnlichen Herzen vielleicht fremd geblieben wäre. … Börne wollte eine aufrichtige Germanisirung des Judenthums, … vor allen Dingen war ihm diese Frage keine Frage für sich, sondern sie hing ihm mit den Hoffnungen des ganzen deutschen Volkes, mit der Freiheit der Menschheit zusammen.«
Und Niemand hat das unwürdige Heppheppgeschrei gegen die deutschen Bildungsgenossen jüdischer Abkunft schärfer gekennzeichnet als – Wolfgang Menzel, da er noch mit Börne befreundet war und im Jahre 1834 zwei Nummern des Cotta'schen Literaturblattes mit einem Aufsatz zu Gunsten der bürgerlichen Gleichstellung der Juden füllte, derselbe Wolfgang Menzel, der zwei Jahre später freilich, über seinen persönlichen Verfeindungen mit Börne, Heine und Gutzkow, der Vater des sogenannten »aufgeklärten Antisemitismus« Treitschke'scher Observanz und der Erfinder des Witzwortes wurde: das junge Deutschland heiße besser das »junge Palästina«. Im November 1833, kurz nachdem in dem badischen Landtag auch viele Liberale Bedenken gegen die »Emanzipation« geäußert hatten, besprach Wolfgang Menzel eine Anzahl Schriften für und gegen die Juden. Er erinnerte die Gegner an den Spruch von Sieyès: »Ihr wollt frei sein und ihr seid nicht einmal gerecht.« Er rühmte und pries Gabriel Rießers Vertheidigung der bürgerlichen Gleichstellung der Juden und dessen übrige Schriften als würdevoll, »rein von jeder Anmaßung und jedem Sophisma«, und rühmte das Beispiel der Franzosen, dessen Erfolg den Beweis erbracht habe, daß die Emanzipation der Juden das Mittel sei, die Uebel zu beseitigen, die man ihnen aufbürdet, die Einseitigkeiten, Gewohnheiten ihnen abzugewöhnen, die uns mißfallen. »Die Abgeschlossenheit ist eine künstliche, durch unsere eigene Grausamkeit und unverantwortliches Festhalten an verschimmelten Unterdrückungsgesetzen fortgepflanzt, keineswegs eine natürliche. Man hat lange genug Glaubensfreiheit gepredigt, man gesteht sie allen christlichen Konfessionen, selbst den Heiden umsonst zu, nur den Juden verkauft man sie und haßt sie noch darum. Denke sich doch jeder Christ in die Lage eines vernünftigen Juden, dessen Ururahnen schon in Deutschland lebten, der in Deutschland geboren und erzogen ist, der deutsch spricht, der nur durch eine seltsame Tradition noch mit einem fernen asiatischen Heimathlande zusammenhängt, wohin ihm nicht einmal ein Rückweg geöffnet ist. Als was soll ein solcher vernünftiger Jude sich denn betrachten, wenn nicht als Deutscher, als Bürger der freien Erde, auf der er geboren war, auf der schon seines Urelternvaters Hütte stand? Und wenn er dem Staat steuert, den Gesetzen des Staats gemäß lebt, dem Staat durch seine Talente dient, ja sogar sein Leben im Kampf für das gemeinsame Vaterland läßt, wie dies nicht nur in Frankreich, sondern auch schon in Deutschland geschah, warum sollte dieser Vernünftige, dieser edle Jude von uns verstoßen sein, warum sollte er schmerzlich ausrufen: ich bin um meine angeborenen Menschenrechte betrogen, weil ich ein Deutscher bin!«
Menzels Abfall von diesen Ansichten erfolgte erst nach dem Tode Johann Friedrich Cotta's, dessen Erkenntniß des Börne'schen Charakters nicht wenig dazu beigetragen haben mag, daß er im Jahre 1828, als der württembergische Landtag den Gesetzentwurf des liberalen Ministers von Schmidlin für die Emanzipation der Juden berieth, mannhaft und unbedingt deren Anwaltschaft übernahm. Der alterfahrene Freiherr von Cotta war es damals, dessen beredtes Eintreten für den Entwurf seine Annahme wesentlich durchsetzte, nachdem die Bedenken des Oberjustizraths Hofacker dieselbe bereits zweifelhaft gemacht hatten. Ein Gegner hatte behauptet, daß der Talmud christenfeindliche Vorschriften enthalte. Cotta, der hochgeachtete Vicepräsident der Kammer, wies diese Meinung als irrig zurück und sprach weiter: »Der Gesetzgeber darf nie auf Meinungen sich einlassen, sonst greift er in ein Gebiet ein, das außer der Erforschung des menschlichen Geistes liegt, – nur mit Handlungen hat er es zu thun, und diese zu beachten und den gesellschaftlichen Verband durch weise Gesetze gegen deren nachtheilige Einwirkungen zu schützen. So lang die Meinung nicht in öffentliche Lehre und That übergeht, geht sie den Gesetzgeber nichts an, und wir haben also im vorliegenden Fall nur zu prüfen: ob dasjenige, was als die wahre jüdische Religion anerkannt und als solche gelehrt wird, irgend etwas den geselligen Verband Störendes enthalte? Dies ist aber nicht der Fall, denn ihre Hauptlehren: daß Ein Gott sei, daß die Seele unsterblich und den Lohn und Strafe ihrer Handlungen mit sich in die andere Welt übertrage – sind auch bei der christlichen Religion. Was aber jüdisches Pfaffenthum hier und da Falsches, Abergläubisches, Irriges &c. ausgestellt haben mag, geht uns so wenig an, wie die gleichen Ausgeburten jeder Religion, die keiner fehlen, wo nicht das Wahre derselben von den ächten Religionslehrern, sondern die Wahngespinnste von falschen Propheten gepredigt werden …« Er bezeichnet den Staat für den dauerhaftesten, in welchem sich die Regierung um die religiöse Ansicht der Einzelnen gar nicht bekümmere und den Juden als solchen jeden Rechtes würdig, das auch die Christen genießen. Er sähe gar keinen Grund ein, warum ein Jude nicht Professor an einem Gymnasium oder an einer Universität werden könne. In wiefern ihn denn seine Religion hindere, aus einem Observatorium astronomische Betrachtungen und Entdeckungen zu machen oder in irgend einem Amt seinen Posten tüchtig auszufüllen. »Soll der Jude, weil er vom Saamen Abrahams ist, ausgeschlossen werden, so muß er es auch, wenn er Christ wird, denn die Abkunft kann man nicht ablegen; soll der Jude aber nicht seiner Abkunft, sondern seines Glaubens wegen ausgeschlossen sein, so streitet dieses gegen die so gepriesene Glaubensfreiheit und führt uns in die barbarischen Zeiten zurück.« Er erklärte sich schließlich für die Vorlage: »aus Menschenliebe, aus Christenpflicht und in unserem wohlverstandenen Interesse, das zu wahren allerdings jederzeit unsre Pflicht gebietet.« So trat noch in einer seiner letzten größeren Reden als Volksvertreter der geniale Stratege des Ideenkampfs für Freiheit und Recht, – der kluge Freund Schillers und Börne's, für das Recht auf Gedankenfreiheit und Glaubensfreiheit ein, aber besonnen unter Hinweis auf das wohlverstandene Interesse des öffentlichen Wohles, Und dies ist nicht das geringste der Ruhmesblätter im Kranze dieses mächtigen Patrones vom »jungen Deutschland«. Wie er ist auch dieses mit warmherziger Antheilnahme für die Gleichstellung der jüdischen Mitbürger ins Feld gezogen, vor allem Gutzkow, der nicht nur nach Börne's Tode mit liebevollem Eingehen diesem ein biographisches Denkmal setzte, sondern auch seinem »Uriel Akosta« den Zug heldenhaften Bekennermuths nach Börne's Vorbild lieh und in diesem Drama der Sehnsucht Börne's, mit freien Deutschen ein freier Deutscher zu sein, poetisch verklärt und erfüllt wiedergespiegelt hat in den Worten Akosta's:
»Im frischen Strom der Bildung durft' ich baden,
Ein Mensch, ein freier, in dem Ganzen weben,
Die Luft war mein, der warme Strahl der Sonne,
Am Grün des Waldes labt' ich frei den Blick –
Was alle liebten, durft' ich wieder lieben,
Was alle fürchteten, war meine Furcht,
Und jeden Pulsschlag einer großen That,
Ein jedes Athmen der Geschichte fühlt' ich
Wie alle Menschen in mir selber wieder.
Ein Portugiese war ich, hatte Heimath,
Ein Recht des Daseins, hatt' ein Vaterland!«
Der Versuch Menzels und Jarcke's aber, die freiheitliche Bewegung im geistigen Leben der Zeit dadurch zu diskreditiren, daß sie das Judenthum für ihren revolutionären Charakter verantwortlich machten, wird in seiner ganzen Haltlosigkeit enthüllt, wenn man auf den Antheil der vielen anderen Denker, Dichter und Künstler jüdischen Ursprungs hinweist, die damals einen solchen am geistigen und politischen Leben in hervorragender Weise geübt. Mit wie großem Recht der junge Berthold Auerbach, welcher in dieser Zeit aus einem schwäbischen Rabbinatskandidaten der Biograph Spinoza's wurde, der Menzel'schen Lüge in seiner Streitschrift »Das Judenthum und die neueste Literatur« entgegentrat, beweist nicht nur die Stellung, welche Rahel Varnhagen an der Spitze der Berliner Goethegemeinde im geistigen Leben der Zeit einnahm, sondern noch mehr die Thatsache, daß gerade die von Börne und Heine bekämpften Richtungen in bedeutenden Stammesgenossen von ihnen hervorragende Führer besessen. Der einflußreiche Kriminalrath Hitzig, welcher der Biograph seiner Freunde Zacharias Werner, E. T. A. Hoffmann und Adalbert von Chamisso wurde, neigte wahrlich ebenso wenig zum Radikalismus wie die humanistischen Aufklärer, zu denen neben Zunz, M. Moser, Gabriel Rießer auch Berthold Auerbach, der liebenswürdige Schwarzwaldssohn, zählte. Und so liberal auch der Naturrechtslehrer Professor Ed. Gans in Berlin dachte, schrieb und lehrte, so war er doch nichts weniger als ein Revolutionär. Mit Hegel innigst befreundet, war er der eigentliche Redakteur der »Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik«, des Organs der Hegelianer, gegen welche Börne einen der schärfsten seiner Feldzüge geliefert. Liberal dachten auch Felix Mendelsohn, der edle charakterreine Komponist deutscher Volkslieder, der »Walpurgisnacht« und des »Paulus«, Jakob Meyerbeer, der stärkste Dramatiker unter den Opernkomponisten der Zeit, Michael Beer, der liebenswürdige Dichter des »Paria« und des »Struensee«, Heinrich Stieglitz, der Autor der »Bilder des Orients«, Bendemann, der Maler der »trauernden Juden«, Ludwig Robert, der in der »Macht der Verhältnisse« eines der ersten modern-realistischen Sittenstücke der deutschen Bühne bot. Aber sie alle hatten nichts Revolutionäres in ihrem Wesen. Die romantische Schule der deutschen Malerei hatte in dem Legationsrath Bartholdi den eifrigsten Förderer und in dem Sohne jener Dorothea Veit, welche Friedrich Schlegels Frau und das Urbild seiner Lucinde ward, Philipp Veit, den farbenmächtigsten Führer. Die Haller'sche Restaurationstheorie hatte in dem Prof. Stahl, einem getauften Juden, ihren eifrigsten Anwalt; im protestantischen und katholischen Priesterrock wirkten getaufte Juden für die kirchliche Reaktion und der erste Direktor eines geheimen preußischen Preßbureaus war der Hofrath Joel Jakoby, ein Renegat, dem in der Geschichte des Jungen Deutschland die Rolle des »Judas« zufiel. So fanden sich in allen Lagern der damaligen Geschmacks- und Ideenkämpfe rechts und links hervorragende Vertreter jüdischer Abkunft und gerade die eifrigsten Anhänger des alten Glaubens wollten nichts gemein haben mit einem Börne und Heine, die da lehrten, daß die Emanzipation der Juden sich vor allem auch vollziehen müsse als eine Emanzipation derselben vom – Judenthum.
Was der rheinische Dichter Theodor Creizenach, der Fortsetzer von Schlossers Weltgeschichte, einige Zeit nach Börne's Tod in seinen schönen Gedichten »Moses und Christus« und »Der deutsche Jude« als sittliche Aufgabe des befreiten Judenthums aufgestellt: inniges Aufgehen in die Nation und freudige Aufnahme des echten christlichen Geistes, hat Börne von allen deutschen Juden zuerst als die natürliche Gegenleistung für die Gewähr der Freiheit empfunden und verheißen.
Börne's Wirkung auf seine deutschen Zeitgenossen war eine gewaltige. Er hat die Geister mächtig aufgerüttelt, herausgefordert, belebt. Seinen am 12. Februar 1837 erfolgten Tod betrauerten tausende von deutschen Patrioten, deren Begeisterung für die Freiheit er entzündet hatte. Ihr Empfinden hat der eben genannte Dichter, seines geistigen Ursprungs auch ein »Jungdeutscher«, in einem Lied festgehalten, mit dessen Strophen dieses kampferfüllte Kapitel friedlich ausklingen möge:
… »Und hier gedacht' ich auch der letzten Stunde
Von einem Mann, der starb in fremden Landen,
Und dennoch stets im heimathlichen Grunde
Mit seiner ganzen Seelenkraft gestanden.
Von Herzen weih' ich meinen besten Segen
Dem Ernsten, der in Traurigkeit geschieden,
Der, bis sie mußten in das Grab ihn legen,
Nicht finden konnte seiner Hoffnung Frieden.
Doch wollen wir nicht senken unsre Fahnen,
Sie sollen höher ragen in die Lüfte,
Denn aus der Tiefe dringt ein lautes Mahnen
In's Reich des Lebens aus der Nacht der Grüfte.
Wir haben All' vom Quell des Lichts getrunken
Und uns're Hoffnung ist noch nicht begraben,
Ob auch der Fackeln eine sei gesunken,
Womit wir unser Licht entzündet haben.
Nur ihn beklag' ich, der sich in dem Golde
Der heimathlichen Felder nicht mehr sonnte:
Der jenes Land, das er erobern wollte,
Kaum von den höchsten Gipfeln schauen konnte …«