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Als nach der Zeit von »Deutschlands tiefster Erniedrigung« die deutschen Freiwilligen, voll patriotischer Begeisterung dem Heerruf der Fürsten folgend, in den Kampf gegen Napoleon zogen und in gewaltigem Ansturm den korsischen Bedrücker aus dem Lande jagten, walteten über den Heeren als siegspendende Walküren die Genien der nationalen Einheit und der politischen Freiheit. Im Tornister Arndts »Katechismen«, auf den Lippen begeisternde Lieder, die von dem Vaterland sangen, das, soweit die deutsche Zunge klingt, reiche, und von der Freiheit, die nun diesem gemeinsamen Vaterland tage, zogen die Kämpfer hochgemuth dem Schlachtentod fürs Vaterland entgegen.
Auch in den inneren Kämpfen, in welchen das im Wiener Frieden um die verheißenen Früchte des Siegs betrogene deutsche Volk dem Bund der Machthaber entgegentrat, um die Ideale der Patrioten zur Wirklichkeit zu machen, walteten als Lenkerinnen der Geister zugleich der Genius der nationalen Einheit und der Genius der politischen Freiheit. Und die Hoffnungen und Wünsche, die Befürchtungen und Drohungen der bangenden Volksseele fanden Wort und Leben auf den Lippen begeisterter Sänger und Redner, Bildner des Worts, die jenen Stimmungen Ausdruck liehen in Thaten des Geistes, die deutschen Fürsten an ihre vor dem Kriege gegebenen Versprechungen mahnend.
Während aber die politische Geschichtschreibung unsrer Tage das Werden und Wachsen Deutschlands zum Reich, soweit es sich um die Leistungen der Staatskunst und des Heerwesens handelt, mit wissenschaftlicher Gründlichkeit erforscht und dargestellt hat, ist der Einfluß der Literatur auf die Gestaltung unsres Vaterlands zum in Einheit gefesteten Rechtsstaat noch keineswegs in gleicher Weise zu gerechter Würdigung gelangt. Wohl leugnet niemand, daß die Wandlung aus dem ob seiner politischen Schwäche und Kleinstaaterei im Ausland belächelten »Volke der Denker und Dichter« zu einer machtvoll geeinten Nation zur Voraussetzung hatte das Lehren und Singen jener Denker und Dichter, die der Sehnsucht des Volkes Deutung und Worte gaben in den Jahren, da die Politik der deutschen Kabinette nichts leidenschaftlicher bekämpfte als die Einigung der deutschen Völker zum Reich. Aber nur in undeutlichen Zügen stehen der Nation heute die idealen Geisteskämpfe vor der Seele, welche mit Aufopferung des Lebensglücks von vielen tausend deutschen Märtyrern erst mußten ausgefochten werden, ehe auf Grund des von ihnen bewirkten Befreiungs- und Klärungsprozesses die Realpolitik der Bismarck'schen Staatskunst ihre Ideale in Thaten umsetzen und auf ihre Weise und nach ihrer Macht hinüberleiten konnte ins wirkliche Leben.
Der amtlich berufene Historiograph der »Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I.«, Heinrich von Sybel, hat neuerdings diese letztere in einem lebensvollen Geschichtsgemälde dargestellt; – die Vorbereitung des Deutschen Reiches durch die Wortführer des deutschen Volkes harret dagegen noch ihres Darstellers, der mit gleicher Treue und Hingabe die Akten derselben zu studiren hätte, was freilich weit schwieriger ist, da diese nicht in den Staatsarchiven verwahrt und geordnet sind und Seelenschwingungen und Gedankenströme im großen Volksleben sich nicht in diplomatischen Noten ausprägen.
Als eine Vorarbeit zu solchem Werke will die folgende Geschichte des »Jungen Deutschlands« betrachtet sein. Sie ist ein Versuch der Lösung jener Riesenaufgabe auf begrenztem Gebiet. Sie ist eine »Rettung« im Sinne Lessings zu Gunsten einer vielverkannten, vielverlästerten und doch höchst interessanten, verdienstvollen und für alle Zeit bedeutsamen Epoche deutscher Geistesgeschichte, deren bisherige Darsteller auf die genaue Kenntniß der Quellen und Akten verzichten mußten.
Auch die neuesten Arbeiten, wie die so verschiedenwerthigen Bücher von Feodor von Wehl und Georg Brandes, die den gleichen Titel mit dem unsrigen führen, sind ohne solche Studien entstanden. Das lebhafte Eintreten des Dänen Brandes für die deutschen Dichter, welchen unter dem Druck der Metternichschen Reaktionspolitik die Freiheit zur Muse wurde, im jüngsten Bande seines die »Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrhunderts« schildernden Gesammtwerks unterlag in seiner Ausführung dem Totalzweck des Ganzen. Sein Buch bietet geistvoll geschriebene Charakteranalysen des poetischen Schaffens derjenigen Dichter, die er nach seiner Auffassung dem »Jungen Deutschland« zuzählt. Er faßt unter diesem Begriff mit Umgehung der geschichtlich gegebenen Grenzbestimmung die Freiheitsdichter, welche geistig die Revolution von 1848 vorbereiteten, zusammen. Seiner kosmopolitischen Betrachtungsweise gemäß ist ihm die freiheitliche Richtung jener Poeten interessanter als ihr deutschnationales Empfinden. Eine die Wurzeln der Bewegung und deren Verästelung wirklich bloßlegende Darstellung, welche die Thatsächlichkeit der sich bekämpfenden und verbündenden Bestrebungen in ihrem organischen Wachsthum und wirklichen Verlaufe zu lebendiger Anschauung brächte, lag nicht im Plan seines Werks. Auch nur als Vorläufer eines solchen Buchs hat der inzwischen verstorbene langjährige Leiter des Stuttgarter Hoftheaters, Feodor von Wehl, seine tagebuchartigen Aufzeichnungen über seinen Verkehr mit Gutzkow, Laube, Mundt und andern Schriftstellern der vormärzlichen Zeit erscheinen lassen, die er vornehmlich als Mahnung an jüngere Kräfte betrachtet wissen wollte, diese Lücke zu füllen. Treffend sagt derselbe von diesen Führern seines eigenen anempfindenden Strebens: »Alle diese Autoren des jungen Deutschlands sind mehr oder weniger Vorläufer der Geschichte, die wir heute erleben, sind deren Mitbegründer und Stifter. Jeder von ihnen hat als ritterlicher Marquis Posa vor dem Genius unseres Vaterlandes gestanden und für Schillers Gedankenfreiheit gesprochen. Der Zug für diese ist der geistigen Physiognomie eines jeden von ihnen aufgeprägt und leuchtet von ihrer Stirn … Sie sind alle viel angegriffen, verkannt und mißhandelt worden, ja sie thaten sich zuzeiten untereinander selbst das schreiendste Unrecht. Es war eben eine zersetzende, in sich gespaltene und zerrissene Epoche, in der sie lebten und schrieben. Ein hamletischer Odem wehte über Deutschlands politischem Boden. Es ging ein strenger und schneidender Wind, die Morgenluft eines neuen deutschen Zeitalters, und diese Morgenluft mit ihren feuchten Nebeln, ihrer grauen Dämmerung und ihrer anfröstelnden Kühle verwirrte und verblendete die Geister, die als Schildwache auf der Terrasse des Jahrhunderts standen.« Jetzt, da der damals anbrechende Tag hell und klar vor unsern Blicken liege, sei es auch Pflicht, sein Licht auf jene Zeit der Dämmerung und Morgenröthe zurückfallen zu lassen. Die Verdienste jener Männer seien gleichsam vom Flugsand der Geschichte bedeckt, derselben Geschichte, die sie mit vollem Herzen und dem ganzen Aufgebot ihrer Geisteskräfte heraufzubeschwören beflissen waren. Diesen Flugsand gelte es zu beseitigen.
Es war keine kleine Arbeit, diese Beseitigung des Flugsands der Geschichte und der – Legende, soweit sie in so verspäteter Stunde überhaupt noch möglich war, zu vollziehen. Was ist heute der Mehrzahl der Zeitgenossen das »junge Deutschland«, die deutsche Kampfliteratur des dritten und vierten Jahrzehnts von unserm Jahrhundert viel mehr als ein vager Begriff, ein Schemen von unerhörten literarischen Versündigungen und unerhörten Bestrafungen derselben durch die politische Macht? Für wie viele verbinden sich feste Vorstellungen mit jenem Worte? Weder die politische noch auch die Literaturgeschichte ist bisher dem Jugendwirken jener Schriftsteller hinreichend gerecht geworden, denen im Jahre 1835 ein übereilter Beschluß des deutschen Bundestags für alle Zukunft die Ausübung des literarischen Berufs in unerhörter Verblendung zu verbieten wagte. Gerade weil dieses jugendliche Sturmlaufen im Ideenkampfe der Zeit gleichzeitig dem politischen wie dem literarischen Gebiete angehört, was sie der Gegenwart so interessant und historisch merkwürdig machen muß, gerade darum, scheint es, hat die Staatshistorie es der Literaturgeschichte, diese es jener überlassen, an eine gründliche Darstellung der so keck aufstrebenden, so gewaltsam unterdrückten Geistesbewegung zu gehen. Diese Aufsätze, Reisebilder, Novellen, Romane, was haben sie für einen ästhetischen Werth, sagte bisher der Literarhistoriker, der unter »Literatur« nur Werke der »poetischen Kunst« versteht. In politischer Beziehung – meinetwegen – da mögen sie wichtig sein. Für mein Fach aber – nicht der Rede werth! Und auf der andern Seite der gelehrte Staatshistoriker: Vom literarischen Werthe dieser Schriften will ich nicht reden, das ist nicht meines Faches; in politischer Beziehung aber – blinder Lärm –, diese Schriftsteller hatten keinen nachweisbaren Einfluß auf die Geschichte … Und doch gehören diese halbverschollenen Werke zu den wichtigsten literarischen Denkmälern der gährenden Frühzeit unsrer politischen Reise zum Reich, einer Frühzeit, in der auch auf dem Gebiete des sozialen Lebens, der Kunst, der Wissenschaft und des Verkehrswesens der brausende Keimwind einer neuen Zeit für Deutschland diejenigen Ideen zur knospenden Entfaltung brachte, deren Blüthen und Früchte dem nun zur Rüste sich neigenden Jahrhundert seinen Charakter verliehen.
Die Geschichte des jungen Deutschlands umfaßt nicht nur das Jugendleben und Streben hochbegabter Schriftsteller, deren späterem Schaffen der verdiente Ruhm auch nicht ausblieb, sie ist vor allem die Beantwortung der Frage: Wie spiegelte sich in der deutschen Literatur eine Zeit, die im Widerstreit mit einer gewaltsamen Unterdrückung alles öffentlichen Lebens, mit einer Reaktion, die den herrschsüchtigsten gewaltsamsten Absolutismus im Bunde mit der weltflüchtig und mystisch gewordenen Romantik und dem die Welt in Abstraktionen auflösenden Hegelthum zeigte, trotz alledem die Anfänge einer realistischen Empfindung und Darstellung der politischen und sozialen Zustände, die Anfänge eines öffentlichen politischen Lebens, einer selbständigen Presse als Organ freimüthiger Zeitkritik, einer parlamentarischen Volksvertretung, einer realistischen Methode der Wissenschaft, die Anfänge der modernen Volksliteratur zu wissenschaftlicher Aufklärung der Menge, des Schnellpressendrucks, des Schnellpostverkehrs, der Dampfschifffahrt, der Eisenbahnen, der Verkehrsfreiheit und die Emanzipationsideen zu Gunsten des vierten Stands, der Frauen sowie unsrer jüdischen Mitbürger ins Leben treten sah. Sie hat die weitere Frage zu beantworten, welchen Antheil denn die deutsche Literatur an diesen kolossalen Umwälzungen des sozialen und politischen Lebens, an dem Durchbruch des Realismus und des Liberalismus im deutschen Geistesleben gehabt hat. Die Geschichte des jungen Deutschlands ist eine zweite Sturm- und Drangperiode, welche die Blüthezeit des poetischen, wissenschaftlichen und politischen Realismus in unserem Jahrhundert ebenso einleitete, wie die Sturm- und Drangperiode der Geniezeit die Blüthe unsrer klassischen Literaturperiode im Zeichen einer geistigen Renaissance der Antike eingeleitet hat. Es fiel ihr die Aufgabe zu, das poetische Können dem politischen Ideenstrom der Zeit, sowie den Anforderungen der gewaltigen neuen Großmacht des geistigen Lebens, der deutschen Presse anzupassen, die, alle bisherigen literarischen Wirkungsmittel überschattend, unter den Wettern der Zeit mächtig emporwuchs. Von der Literatur, die vom Geiste einer solchen Uebergangsgährung erfüllt ist, darf man keine fertigen Systeme, keine Meisterwerke der Dichtkunst, überhaupt keine Reife verlangen. Wer hat von den »Briefen der Dunkelmänner«, den Streit- und Trutzschriften der Pioniere des Humanismus und der Reformation deshalb gering gesprochen, weil sie nicht schön und klar gestaltet sind wie Homers Heldenlieder? Auch der Frühling bietet nur Knospen und Blüthen, die noch dazu unter Sturm und Regen aus welkem Herbstlaub und winterlichem Rinnsal hervorbrechen. Aber Frische bietet er, Werden auf allen Feldern und die Literatur solcher Frühlingszeiten der Geschichte kann nur gewürdigt werden, wie ein neuerer Dichter von Huttens Wirken gesagt hat, als »sprühender, blitzender, ins Jahrhundert hinein wetterleuchtender Geist«.
In Scheffels erst nach seinem Tode herausgegebenen »Reisebildern« findet sich eine dem Andenken Petrarca's gewidmete Skizze »Ein Tag am Quell von Vaucluse«, aus deren elegischer Grundstimmung der Humor des Dichters in grimmig-witzigen Ausfällen gegen allerlei Uebelstände der literarhistorischen Kritik und ihrer Registratoren-Tabulatur hervorblitzt. Da wird die schulmeisterliche Literarhistorie, die unter anderm dem edlen Sänger der Laura wegen seiner »sinnlichen Troubadour-Tändelei« die Censur Nr. 4 in der italienischen Poesie ertheilt hatte, als »eine schreckliche Alte, unbekannt der glücklichen Jugend der Menschheit« geschildert: »sie trägt ein Schnurrbärtchen um die Lippen, Warzen am Kinn und vor Rheumatismus schützende Filzschuhe.« Ihr Thun aber wird der grausam mechanischen Art verglichen, mit der man Sardellen einmarinirt: die Köpfe werden abgeschnitten, das Herz ausgeweidet, ranziges Oel darüber gegossen und Leiche an Leiche gebettet in die Todtenschreine ihrer Geschichtskompendien … An diese schreckliche Alte und den Vergleich mit den geköpften Sardellen habe ich bei Beginn dieser Arbeit gar lebhaft denken müssen, als ich eine stattliche Zahl älterer und neuerer »Geschichtskompendien« auf ihre Aussagen über die Schriftsteller des »Jungen Deutschlands« hin prüfte und bis in die neueste Zeit immer wieder der schier unzerstörbaren Legende begegnete von einer » Verbindung« junger Schriftsteller zum Zweck » anarchistischer Umtriebe« gegen » Staat und Kirche, Christenthum und Moral«. Da liegen sie zusammen die Leichen, des Kopfes beraubt, entherzt, entseelt, eine der andern gleich, und das vor fünfzig und etlichen Jahren dem Bundestag von überhitzter Demagogenfurcht eingegebene Schandsprüchel vom jungen Deutschland wird von literarhistorischen Merkbüchern und patriotischen Gedenkbüchern den Kindern einer neuen Generation, ein Gruselmärchen, überliefert.
Wohl nie hat sich mit gleicher Willkür ein literarhistorischer Schulbegriff gebildet, wohl nie hat sich mit gleicher Zähigkeit ein längst erwiesener Irrthum in den Lehrbüchern erhalten. Wohl nie auch sind so grundverschiedene Charaktere und Geister unter ein gemeinschaftliches Joch zusammengekoppelt worden, um mit denselben Geißelworten durch die Arena der Literaturgeschichte gehetzt zu werden. Wahrlich ein Schicksal, wie es Dante in seiner Hölle den eigenen literarischen Gegnern nicht ärger hätte andichten können! Vergeblich haben die Betroffenen sofort nach ihrer Verurtheilung gegen diese Zusammenkoppelung protestirt und die freie Selbständigkeit ihres literarischen Thuns, den Mangel jeder verpflichtenden Verabredung in ihren Beziehungen nachdrücklich versichert – die Legende einer »Verbindung« blieb bestehen. Vergeblich erwies das Weiterwirken der Einzelnen, wie so verschieden an Geist und Begabung, an Herz und Empfindungsweise sie waren – was von Wienbarg galt, blieb weiter von Laube und Gutzkow gelten, was Gutzkow gethan, wurde weiter auch Wienbarg und Mundt zugeschrieben. Mitgefangen, mitgehangen! Da galt keine Einrede. Auch die soweit von der des andern sich trennende Laufbahn eines jeden änderte nichts daran. Vergeblich haben die beiden damals »jungen« Schriftsteller, die ihre bedeutende eigenartige Begabung später in reifen, weithin wirkenden Schöpfungen entfaltet haben, am Ende ihrer Laufbahn in autobiographischen »Erinnerungen« und »Rückblicken« auseinandergesetzt, wie locker das geistige Band war, welches die Richtungs- und Schicksalsgenossen vom Jahre 1835 in Zusammenhang hielt, wie nur die einen sich Heine, die andern aber Börne zum Muster genommen, wie die ganze Bewegung, welche der Bundestagsbeschluß lahmlegte, in geistiger wie künstlerischer Beziehung den Charakter eines gährenden Uebergangs aus romantischen Stimmungen und Anschauungen zu einer realistischen auf Leben und Wirklichkeit in Staat und Gesellschaft gerichteten Denk- und Kunstweise trug, die von den Idealen des politischen Fortschritts befruchtet wurde. Die Vier blieben zusammengekoppelt und mit dem Fluch besonderer Anrüchigkeit beladen; nur Heine gelang es, sich loszulösen, und an seine Stelle trat Gustav Kühne, der sich in einer Stunde heroischen Ehrgeizes freiwillig für diesen Posten gemeldet hatte.
Und die literarhistorische Wissenschaft? Die nicht auf kompendiöses Zusammenfassen von Namen und Daten angewiesene Forschung? Warum ist es auch ihr bis heute nicht gelungen, zu einer vollständigen und völlig gerechten Würdigung jener geistigen Bewegung durchzudringen, deren Schwertführer, Schildknappen und Schleppenträger die Bezeichnung »Junges Deutschland« im weiteren zusammenfaßt? Heine und Börne haben freilich wiederholt liebevolle Biographen gefunden, aber ihre hier in Frage kommende Führerschaft ist dabei nicht zu zusammenfassender Würdigung gelangt. Nicht als ob es an Versuchen solcher Würdigung ganz gefehlt hätte. Aber der Geist der Tendenz, welcher diese Schriftsteller selbst beseelte, hat auch die Besprechung ihrer Wirksamkeit von Beginn an zum Tummelplatz subjektiver Tendenzen gemacht. Als ihr leidenschaftlicher Gegner hat Julian Schmidt, als ihr bedingter Parteigänger Rudolf Gottschall die betreffenden Abschnitte in seiner Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts geschrieben. Die Tendenz, wegen deren sie Metternich aus politischen Gründen verfolgte, wurde ihnen wieder aus ästhetischen Gründen zum Vorwurf gemacht, als später der erstarkte poetische Realismus eines Freytag, Hebbel, Otto Ludwig, Heyse, Gottfried Keller, in dem rhetorischen Hervordrängen jeder Art von Tendenz einen Verstoß gegen die realistische Kunst erkannte. Zu Gunsten von Freytags »Soll und Haben«, von Hebbels »Maria Magdalena« und Otto Ludwigs »Erbförster« wurde in den fünfziger Jahren Gutzkow bekämpft, sein »Werner«, sein »Akosta«, seine »Ritter vom Geist« für unkünstlerisch erklärt und über diesen Rivalitäten vergessen, daß er doch derjenige war, der jenen die Bahn geebnet, der dem modern-realistischen Drama die Pforten der Bühne gesprengt und dessen Führerschaft jene drei Autoren sich anfänglich unter huldigender Ehrbezeugung untergeordnet. Wie Uhland 1848 in der Frankfurter Paulskirche von dem erhofften neuen Kaiser des ersehnten neuen Reiches sagte, daß er mit demokratischem Oele gesalbt sein werde, so hat fast von allen deutschen Dichtern, die um die Mitte des Jahrhunderts zu Ruhme gelangten – so wenig sie meist selbst dessen gedachten – zu gelten, daß ihrer eigenen Jugend etwas vom Feuergeist jenes Sturmes und Dranges beigemischt war. Eine ganze Generation von Erzählern, Dramatikern und Lyrikern, hatte das bahnbrechende Beispiel Jener zur Voraussetzung. Nicht nur die revolutionäre Lyrik, welche dem Sturmjahr 1848 vorausging, nicht nur die auf Wiederspiegelung der Zeit gerichtete Roman- und Dramendichtung, auch die neuaufblühende Epik und die historische Dramatik und Erzählung zeigt in der Stoffwahl und im Streben nach Realismus bei aller Selbständigkeit die Wirkung der vorausgegangenen Prinzipienkämpfe. Ja selbst der Antagonismus der strengkünstlerischen Gegenbewegung, die in der Mitte der fünfziger Jahre Geibel und Heyse zu Führern erhielt, zog nicht nur aus dem Bewußtsein seines Gegensatzes kräftige Nahrung, sondern konnte sich der Geistesrichtung, die jene anbahnten, trotz aller Feindschaft gegen das Tendenziöse in der Kunst doch nicht entziehen, wie Geibels politische Zeitgedichte und Heyses spätere Zeitromane beweisen. Gottfried Keller, der markigste unter diesen Wahrern und Mehrern der poetischen Kunst, mit dem ich diese Zusammenhänge oft besprochen, war sich derselben und des ihm aus der jungdeutschen Geistesbewegung gewordenen Erbes in späteren Jahren dankbar bewußt. Aber auch er war aufgewachsen in den Kämpfen des erstarkenden Kunstrealismus gegen die realistische Tendenzpoesie des vorangegangenen Geschlechts und eine persönlich-freundliche Beziehung zu diesen Männern hat auch von seiner Seite nicht bestanden.
Die tragische Seite dieses Schicksals der Jungdeutschen ist, daß sie selbst den Geist des Kampfes in die Besprechung ihres Wirkens hineingetragen und ihn immer aufs neue geschürt haben. Aus den politischen Kämpfen, in denen sie zu Dichtern gereift, trugen sie die Lust am Kampf, das Bedürfniß, Partei zu ergreifen, Bündnisse zu stiften, Führerschaft auszuüben, in das rein literarische Leben. Auch einander bekämpften sie. Die Wirkung des gegen sie gerichteten Bundestagsbeschlusses wurde dazu der Anlaß. Er wirkte wie der Zauberstein der Medea. Statt sich gemeinsam gegen den Feind zu wenden, begannen sie, einander zu bekämpfen. Die einen sagten sich von Heine, die anderen von Börne los. Erst gab jeder dem andern die Schuld, die strenge Maßregel hauptsächlich veranlaßt zu haben. Dann erkannten sie, daß die ihnen nachgesagte Gemeinsamkeit als Hauptursache der Heimsuchung zu betrachten sei. Jeder aber von ihnen sah das Thatsächliche dieser Gemeinsamkeit, das zwischen diesen in freundschaftlichen, zwischen jenen in einem rein geistigen Verkehr sehr lockerer Art bestanden hatte, in andrem Licht. Daß in der That ein engerer Anschluß im Werden war, als die Verfolgung sie traf, darüber gingen sie selbst in den Tagen der Acht aus berechtigter Vorsicht mit Schweigen hinweg. Einen vollen Einblick in den Gang der Ereignisse, die zwischen Menzels Angriff und dem Bundestagsbeschluß sich ketteten, hatte auch keiner von ihnen. Im Gefängniß, aus dem »Schub«, unter polizeilicher Bewachung fanden sie, ihn zu gewinnen, keine Gelegenheit. Sie konnten nur vermuthen, nichts nachweisen. Diese subjektiven Darstellungen wurden die Grundlage für die bisher gültige Auffassung. Denn ihre Irrthümer gingen zum Theil auch über in die erwähnten Selbstbiographien von Gutzkow und Laube (1875 und 18884). Daher die Widersprüche zwischen beiden und in den Arbeiten, die sich mit Bevorzugung auf diese oder jene stützten. Auch Kühnes Essay »Das Junge Deutschland«, den dieser bald nach Gutzkows Tode in Westermanns Monatsheften erscheinen ließ, und Piersons »Gustav Kühne, sein Lebensbild und Briefwechsel« hat diesen Uebelstand nicht gehoben.
So hat sich zwar das Urtheil über die Werke jener Dichter, über die Stellung derselben in den geistigen Strömungen des Jahrhunderts seit den erregten Kämpfen der vierziger und fünfziger Jahre in erfreulicher Weise klären können, und die von Adolf Stern in seiner Geschichte der »neueren Literatur« erreichte Sachlichkeit und Vertiefung der Kritik ist z. B. ein bewundernswerther Beweis des Strebens nach Gerechtigkeit bei innerer Abneigung gegen die von jener Bewegung bekundeten Einseitigkeiten. Dem gereifteren Schaffen von Gutzkow und Laube hat es weder an zeitgenössischen noch an posthumen Lobrednern gefehlt. Seit dem durchbrechenden Erfolg, den Gutzkow mit »Uriel Akosta« und »Zopf und Schwert«, Laube mit seinen »Karlsschülern« auf allen deutschen Bühnen mit dauernder Nachwirkung errang, hatten beide Dichter ja auf längere Zeit die Führung im Literatur- und Theaterleben der Nation. Was sie als gereifte Männer geleistet, ist außer von den Genannten von H. Kurz, Karl Frenzel, Rob. Proelß, Franz Hirsch, L. Salomon, H. Mielke, Bulthaupt und Anderen im Zusammenhange eingehend gewürdigt worden und ein Bild davon lebt im Bewußtsein jedes Deutschen von literarischer Bildung. Anders blieb es mit jener Zeit, da die beiden Dichter wirklich sich als »junge Deutsche« und für ein »junges Deutschland« zu Wortführern berufen fühlten. Daß die späteren allgemein bekannten Werke in jener Zeit ihren Keim- und Wurzelboden hatten, ist noch niemals genügend ausgeführt worden. Und die feineren Zusammenhänge zwischen dem Denken und Dichten dieser jungen Geister mit dem persönlichen Erleben derselben, das aus den Bedingungen ihres Seins und Werdens sich ergebende Recht, in ihrer zeitgemäßen Individualität erkannt und anerkannt zu werden, sie sind auch noch nicht annähernd mit ähnlicher Hingebung und Treue berücksichtigt worden, wie sie die neuere Literaturforschung weit unbedeutenderen und weit weniger interessanten, uns ferner stehenden Geistern hat angedeihen lassen. Noch ist an dieser literarischen Bewegung, die in der patriotischen Begeisterung für die Einheit und Freiheit des Vaterlandes wurzelte und in den mächtigsten politischen Zeitromanen des Jahrhunderts gipfelte, noch ist an ihr die Aufgabe nicht erfüllt worden, welche der Geschichtschreiber der romantischen Schule, R. Haym, sich selbst und jedem seiner Nachfolger in folgenden geistvollen Sätzen gestellt hat: »Die Träger einer bedeutsamen Literaturrichtung sind zunächst Schüler und Lernende, ehe sie Lehrer und Führer werden. Das Neue, welches sie vertreten, wird, indem sie selbst werden, und man kann bei der Charakteristik desselben nicht verweilen, ehe man es nicht aus einer Reihe individueller Anstöße und Bewegungen hat entspringen sehen. Die reellsten und die geistigsten Momente wirken dabei zusammen: die biographischen Zufälligkeiten der Geburt, Zeit, Ort, Abstammung und Familiengeist, das Vaterhaus und die Schule, persönliche Begegnungen, Studien, vielleicht dieses und jenes einzelne Buch. Alle diese Einwirkungen aber nehmen ihren Weg durch die Seele und reflektiren sich je nach der Natur dieser Seele. Es ist unerläßlich, zugleich das Durchgehende und Allgemeine festen Blickes zu verfolgen und zugleich verstehend und mitfühlend sich in die Eigenart von Individuen, in die inneren Erlebnisse bedeutender Menschen zu versetzen. Nur einzelne Kreuzungs- und Knotenpunkte gleichsam der durcheinander schießenden Fäden sind die schriftstellerischen Werke. Nur scheinbar setzt sich in ihnen die zwiefache Bewegung des allgemeinen und individuellen Geistes zu einem festen Niederschlag ab. Diese Werke nach rückwärts und vorwärts, nach ihrer Entstehung und ihren Wirkungen flüssig zu machen, ist die eigentliche Aufgabe der Geschichtsforschung. Sie hat das, was geschieht, in das Wie des Geschehens aufzulösen, um nicht sowohl Thatsachen zu verzeichnen, als Thaten darzustellen.« Und sollte die von Haym also umschriebene Aufgabe, die er selbst für die romantische Schule gelöst hat, nicht mindestens ebenso lockend und lohnend sein in Anwendung auf die realistische Gegenbewegung, die der romantischen folgte, auf literarische Thaten, die den Thaten der praktischen Politik vorausgingen, welche die heutige Generation mit Stolz erfüllen, auf geistige Kämpfer, die für das Ideal eines in freier Verfassung geeinten Deutschland mit kühnem Märtyrermuth die Bresche legten in das Zwing-Uri der Metternichschen vaterlandslosen Rückschrittsära?
Die Aufgabe wäre wohl auch gewiß in unsern Tagen schon längst zur Lösung gebracht worden, wenn die Natur gerade dieses geschichtlichen Stoffes dafür nicht außerordentliche Schwierigkeiten böte. Derselbe Ukas, der 1835 die Schriften des »Jungen Deutschlands« zur Unterdrückung verdammte, hat der Forschung den Zuzug zu den Quellen der Bewegung mit Schutt und Trümmern verlegt. Die vom Wehen des Freiheitslenzes und Völkerfrühlings geweckten ersten Keime hat der Mehlthau der Reaktion damals zu Tode getroffen. Man dachte bei der Konfiskation der Bücher und Zeitschriften wenig daran, daß dies auch werthvolle Aktenstücke für ein merkwürdiges Kapitel deutscher Kultur- und Geistesgeschichte seien. Um so ängstlicher war man bemüht, die geheimen Akten des Verfolgungsprozesses zu hüten. So manches werthvolle Zeugniß für die Thatsächlichkeit jener Kämpfe ist darüber verloren gegangen. Im Jahre 1848 sind nach dem Zeugniß noch lebender Beamten des damaligen Bundestags – im besonderen kann ich Herrn Aktuar Leutheußer in Frankfurt a. M. als Gewährsmann bezeichnen, – auf Anordnung des österreichischen Bundes-Präsidialgesandten von Schmerling die Akten der Centraluntersuchungs-Commission zur Ermittelung revolutionärer Umtriebe eingestampft worden. Vermuthlich ist die eigentliche geheime Registratur, das junge Deutschland betreffend, ebenso untergegangen, denn in den seither in der Frankfurter Stadtbibliothek befindlichen Akten findet sich nichts davon vor, wohl aber eine Lücke, die auf das Fehlen hindeutet. Der Brand von Hamburg 1842 zerstörte unglücklicherweise auch das Archiv der Buchhandlung von Hoffmann und Campe, den Stapelplatz für den Verkehr der verfolgten Schriftsteller in den nächsten Jahren nach dem Bundestagsbeschluß gegen sie. Wie damals auch ein großer Theil der Briefe an Gutzkow aus jener frühen Zeit zu Grunde ging – er war damals Redakteur des »Hamburger Telegraphen« – so hat später Laube ein gleiches Unglück in Bezug auf die Briefe an ihn aus derselben Periode erlitten. Dennoch ist es mir gelungen, im Laufe des letzten Jahrzehnts manch reichlich spendende Quelle zu entdecken und der Forschung zu gewinnen. Unversehrt steht das Archiv der Cotta'schen Buchhandlung, für deren Zeitschriften nach Heine und Börne auch Gutzkow, Laube, Dingelstedt gesuchte Mitarbeiter waren, und diese Quelle hat unerwartet reiche Ausbeute gewährt. Die Aktenstücke des sensationellen Wally-Prozesses, wie so manches andre verschollen geglaubte Material, haben sich gefunden; die persönliche Nachfrage bei überlebenden Zeitgenossen hat noch vieles feststellen können; eine ganze Bibliothek von Memoirenwerken und literarischen Nachlaßschriften hat unzählige Einzelheiten dem Gesammtbilde zugeführt; eine Unmenge wichtiger Briefe sind inzwischen zerstreut veröffentlicht oder für die Benutzung beigebracht worden. So stand der Lösung der Aufgabe, von dieser merkwürdigen literarischen Bewegung ein lebenstreues Bild zu entwerfen, wenigstens stofflich nichts mehr im Wege.
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Daß die Geschichte des »jungen Deutschlands« zugleich ein wesentlicher Bestandtheil unserer politischen Nationalgeschichte ist, geht aus diesen Akten in einem Umfang hervor, der in schärfstem Widerspruch mit der Behandlung steht, welche die Bewegung bisher von den Darstellern unserer neueren Geschichte erfahren. Wohl sind die thatsächlichen Begebenheiten, die ihren historischen Hintergrund bilden, oft genug und gerade auch neuerdings dargestellt worden, um sie hier als bekannt voraussetzen zu dürfen. Aber bis in die jüngste Zeit hat, wie Eingangs schon angedeutet, auch die politische Geschichtsschreibung der Nation es versäumt, die Verdienste und Leistungen der Literatur um die Wiedergeburt des Deutschen Reichs in ihrer Bedeutung zu würdigen und auch ihr gegenüber erwächst uns die Pflicht, zu tief eingewurzelten Vorurtheilen und kaum noch empfundenen Versäumnissen in dieser Einleitung Stellung zu nehmen und anzudeuten, was unser Werk als Forschungsergebniß den herrschenden Ansichten entgegen zu stellen hat.
Auch in dieser Beziehung hat ein besonderer Unstern über dem Schicksal der bahnbrechenden Geister gewaltet. Der erste, welcher die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts im Ganzen darzustellen wagte, Gervinus, war zugleich Literarhistoriker und als solcher hatte er, vom Glanz der goethischen Kunstperiode geblendet, früh schon den Standpunkt vertreten, daß in Goethe die deutsche Poesie sich auf lange hinaus erschöpft habe, daß die neue Zeit von politischen Interessen beherrscht sei, die politische Poesie aber weder einen poetischen noch einen politischen Werth habe. Als Literarhistoriker war der spätere »Göttinger« um dieselbe Zeit hervorgetreten, als die Jungdeutschen ihren entgegengesetzten Standpunkt mit jugendlichem Ungestüm vertraten. Ein Zusammenstoß war unvermeidlich gewesen und der Nachhall dieser Kämpfe hat nicht bloß auf seine eigene, sondern auch auf die Auffassung seiner Nachfolger verhängnißvoll eingewirkt. In der Sammlung seiner kleineren Aufsätze (1837) und in Gutzkows Börnebiographie (1840) findet sich der Gegensatz in aller Schärfe ausgeprägt. So ist es gekommen, daß derjenige, der nach Menzels keckem Vorstoß zuerst mit wissenschaftlicher Begründung der Literaturgeschichte die Aufgabe gewiesen, daß sie ihren Stoff im Zusammenhang mit dem nationalen und politischen Leben, sowie den gesammten Kulturzuständen behandeln müsse, die deutschen Dichter seiner eigenen Zeit, ja seiner eigenen politischen Gesinnungsrichtung, nur mit ästhetischem Maße gemessen und als mangelhafte Epigonen der Klassiker von oben herab verurtheilt hat. Und sein Beispiel machte Schule. Es wurde namentlich in »akademischen Kreisen« guter Ton, von den jungdeutschen Schriftstellern mit ablehnendem Achselzucken, wenn nicht gar im Tone des bundestägigen Ketzergerichts zu reden. Die politische Geschichtsschreibung des Jahrhunderts gewöhnte sich, die Namen ganz zu ignoriren.
Aber auch wo dieses Vorurtheil aus ästhetischen Gründen nicht getheilt ward, beschränkte sich in den Darstellungen unsrer politischen Geschichte das Interesse am jungen Deutschland auf einen gesinnungstüchtigen Protest gegen seine Vergewaltigung durch den Bundestag. So ist erst neuerdings ein Werk erschienen, das speziell den Zeitraum »1815-1840« behandelt – »Fünfundzwanzig Jahre deutscher Geschichte« von Karl Biedermann. Hier sehen wir in volksthümlichem Vortrag die Verdienste des deutschen Volkes und seiner Wortführer um den politischen Aufschwung der Nation geschildert. Es wird weder versäumt, auf den unheilvollen Einfluß der Romantik und des Hegelthums, noch auf die belebende Wirkung hinzuweisen, die aus den Kreisen der deutschen Rechts- und Staatswissenschaft erfolgte, wo die Ideen der französischen Revolution, die Theorien der Menschenrechte und des contrat social ihre Gährung im deutschen Geistesleben vollzogen. Es fehlt nicht der Hinweis, wie aus dem theoretischen Widerstreit von historischem Recht und Vernunftrecht, der bald nach dem Wiener Frieden zuerst in dem Broschürenstreit zwischen Thibaut und Savigny hervortrat, sich die politischen Parteiprinzipien der Epoche entwickelten, das des »historischen Feudalismus« der Reaktionäre, welche in Ludwig von Hallers »Restauration der Staatswissenschaften« (1816-26) auf lange hinaus ihren Kodex fanden, und andrerseits der konstitutionelle Liberalismus, welcher für deutsche Staatseinheit, Rechtsgleichheit, und für Rede- und Preßfreiheit eintrat, geführt von Männern wie Rotteck und K. Welcker, deren »Encyklopädie« ihr »Staatslexikon« (1884 u. f.) wie des ersteren »Lehrbuch des Vernunftsrechts« (1829-35) wurde und als deren für diese Uebergangszeit reifste Frucht Dahlmanns »Politik« (1835) zu gelten hat. Daß aber die liberalen Ideen viel wirksamer, als es in der Art der Professoren und Parlamentsredner lag, durch jene »Unterhaltungsschriftsteller« verbreitet wurden, die sie unter dem Druck der Censur und der Zeitungsverbote zum Geistessalz von belletristischen und ästhetischen Schriften machten, deren Form und Ton dem Geschmack des größeren Publikums entgegenkam, ist in dem Buche unerwähnt geblieben.
Auch den Anfängen des preußisch-deutschen Zollvereins und des deutschen Eisenbahnwesens widmet Biedermann besondere Kapitel, erwähnt aber nicht, daß diese Anfänge vorbereitet und begleitet wurden von einer reichen, vielgestaltigen, vielgelesenen Literatur, an welcher die geistvollsten Schriftsteller der Zeit sich betheiligten, als Bahnbrecher derselben aber wiederum die Führer des jungen Deutschlands. Den Staatsmännern arbeitete die öffentliche Meinung, dieser die Literatur voraus. Während sich die Verkehrsminister der Einzelstaaten, die Ritter vom »patriarchalischen Frieden« vor jeder Neuerung des Verkehrswesens furchtsam und egoistisch bekreuzten, lachte das deutsche Bürgerthum über Börne's Monographie der deutschen Postschnecke. Sein Spott erwies sich den Schlagbäumen und Hauderern gefährlicher als die ernsthaften Vorstellungen der Fachleute. Während Friedrich List und die Brüder Harkort sich vergeblich an die Regierungen mit scharfsinnigen Kalkulationen und technischen Abhandlungen wandten, um diese zum Ausbau von Eisenbahnen zu bereden, bereiteten die humoristischen Reisebilder und Reisenovellen eines Heine, Laube, Mundt, Wienbarg, die Prophetien einer neuen Zeit mit freien Verkehrsverhältnissen in den Briefen der Rahel Varnhagen, die mit freimüthiger Kritik durchsetzten Reiseschilderungen des Fürsten Pückler u. s. w. im Publikum die Ueberzeugung vor, daß die Zeit der Zollschranken und Postschnecken und damit auch so mancher andern Scheidewand des bürgerlichen Lebens thatsächlich dem Ende entgegengehe. Es ist wahrlich kein Zufall, daß um dieselbe Zeit, da List und Harkort ihre Propagandaschriften für deutsche Staatsbahnen hinaussandten, da der Goethe- und Schillerverleger Joh. Friedr. Cotta seine Zeitschriften in den Dienst der Verkehrsreform stellte, während er selbst direkt für ihre Durchführung wirkte, das strategische Genie des Jahrhunderts, der Begründer der modernen, mit den neuen Verkehrsmitteln rechnenden Kriegswissenschaft, der Organisator der das Reich später begründenden Siege, Helmuth von Moltke, als schriftstellernder junger Offizier seine Bücher über die wechselseitigen Beziehungen Belgiens und Hollands, über die gesellschaftlichen Zustände in Polen schrieb, die so reich sind an geistvollen Bemerkungen über den Einfluß des Verkehrs auf Politik und Kultur. Diesen Schriften war Heine's »Memoire« über Polen, Wienbarg's Werk über Holland vorausgegangen. Wir finden in dem Kapitel Biedermanns keinen Hinweis, daß Heinrich Laube, als er in Leipzig an seinen Reisenovellen arbeitete, im Hotel de Bavière täglicher Tischgenosse war von Friedrich List, dem tragisch opfermuthigen Vorkämpfer des modernen Eisenbahnwesens, daß der erste, der über die Anfänge des norddeutschen Eisenbahnwesens nach Süddeutschland öffentlich schrieb, der junge Gutzkow war in seinen Briefen für das Cottasche »Morgenblatt«, daß in dem Kreise von Gustav Harkort in Leipzig Mundt, Kühne und der aus Ungarn dem Druck der Zustände entflohene Lyriker Karl Beck Protektion genossen, derselbe Karl Beck, der die ideale Seite der Verkehrsneuerung hoffnungsfreudig besang und prophetisch verkündete, daß die Eisenbahnaktien Wechsel (»Noten«) »ausgestellt aus Deutschlands Einheit« seien.
»Diese Schienen – Hochzeitsbänder,
Trauungsringe, blank gegossen,
Liebend tauschen sie die Länder,
Und die Ehe wird geschlossen.«
Ueberhaupt gedenkt Biedermann des jungen Deutschlands nur in dem Nachtragskapitel am Schluß der zwei Bände, »Wandlungen in Poesie und Philosophie«. Und er erwähnt ihrer da als Vertreter eines »ausschreitenden Radikalismus im Sittlichen und Religiösen«. »Ganz besonders,« sagt er, »war es das Thema der freien Liebe oder der › Emanzipation der Sinne‹, was sie in immer neuen Wendungen variirten.« Wir werden sehen, wie die jungen Schriftsteller erst auf das letztere Thema gelangten, als die Zensur und die Zwangsmaßregeln gegen die politische Zeitkritik ihrem reformatorischen Fortschrittstrieb ein direkteres Einwirken auf die politischen Zustände verwehrten. Ihre Polemik gegen das Konventionelle, Unlebendige, Starre im Verhältniß der Geschlechter, gegen die Gewaltherrschaft von Kirche und Staat auch auf diesem sozialen Gebiet, war ein organischer Theil ihres Prinzipienkampfes gegen das Konventionelle und Unfreie überhaupt. Freilich bot gerade diese Seite ihres Wirkens dem Bundestag die Handhabe für sein Vorgehen und den Anklagen Menzels den moralischen Vorwand. Aber die »Lieder der niederen Minne«, wir adoptiren den Ausdruck Ernst Elsters, in denen sich Heine's zwiespältige Natur in der ersten Zeit seines Pariser Aufenthalts gefiel, haben sogar von Laube nur reservierte Billigung, von seiten Gutzkows und Wienbargs dagegen sofort scharfe Ablehnung erfahren. Jene »Emanzipation der Sinne«, für welche die Jungdeutschen thatsächlich unter Führerschaft Heine's eintraten, stand vielmehr im engsten Zusammenhang mit dem Sieg des Sensualismus und Realismus auf allen Geistesgebieten, der sich damals im Widerstreit mit den spiritualistischen Ausschreitungen der Romantik und der Vergötterung des abstrahierenden Denkens durch die philosophische Spekulation vollzog, stand im Zusammenhang mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften, der die Untersuchung mit Fernrohr und Mikroskop wieder an die Stelle der mystischen »intellektuellen Anschauung« eines Steffens und Schelling setzte, mit dem Durchbruch des realistischen Prinzips in den Geschichtswissenschaften, wo der Trieb nach Wahrheit neue Methoden schuf, im Zusammenhang mit der realistischen Wendung in den Wissenschaften vom Staat und vom Recht, der den hochgespannten Idealismus der Humanitätsapostel des 18. Jahrhunderts ablöste. Auch ist es keineswegs wahr, daß die jungen Schriftsteller nur einem Rausche erlegen seien, in welchen sie die Propaganda des Saint-Simonismus, die Romanpoesie der George Sand &c. versetzt habe. Auch ohne diesen Einfluß wäre die deutsche Geistesbewegung auf das Thema gerathen. Bereits in Heine's Jugendlyrik hatte sich die Richtung bekundet, wie schon vorher in der Dichtung des ersten Poetengenies der Epoche, Lord Byrons. Auch die Politiker in der Presse und im Parlament behandelten das Thema und ohne Saint-Simonistische Uebertreibungen. Man wollte das Glück der Ehe befreit sehen vom Einfluß der Kirche und der Standesvorurtheile, man wollte die Stellung der Frau selbständiger machen den überlieferten Privilegien des Mannes gegenüber. Auch diese Wünsche waren nur Akkorde in der großen Osterkantate der deutschen Freiheit. Eine Stelle aus der Rede, welche der rheinbairische Volksmann Siebenpfeiffer auf dem Nationalfest zu Hambach am 27. Mai 1832 gehalten, verdeutlicht uns nach Sinn und Ton diesen Zusammenhang. »Es wird kommen der Tag, wo deutsche Knaben, statt durch todte Spielereien mit todten Sprachen sich abzustumpfen, und die Jünglinge, statt aus mittelalterlichen Hochschulen durch Gelage, schnöde Tändelei und Klopffechterei zu verkrüppeln, durch lebendigen Nationalunterricht und würdige Leibesübung sich zu deutschen Männern heranbilden und zu jenem Vaterlandssinn sich stählen, von dem alle politische Tugend, alle Großthat ausströmt; wo das deutsche Weib, nicht mehr die dienstpflichtige Magd des herrschenden Mannes, sondern die freie Genossin des freien Bürgers, unsern Söhnen und Töchtern schon als stammelnden Säuglingen die Freiheit einflößt, und im Samen des erziehenden Wortes den Sinn ächten Bürgerthums nährt; wo die deutsche Jungfrau den Jüngling als den würdigsten erkennt, der am reinsten für das Vaterland erglüht; wo, abschüttelnd das Joch des Gewissens, der Priester Trug und den eigenen Irrwahn, der Deutsche zu seinem Schöpfer die unverfälschte Sprache des Kindes zum Vater redet; wo der Bürger nicht in höriger Unterthänigkeit den Launen des Herrschers und seiner knechtischen Diener, sondern dem Gesetze gehorcht, und aus den Tafeln des Gesetzes den eigenen Willen liest, und im Richter den freierwählten Mann seines Vertrauens erblickt; wo die Wissenschaft das Nationalleben befruchtet und die würdige Kunst als dessen Blüte glänzt.«
Dieselbe Zeit, die in Deutschland den Durchbruch des Realismus in der Politik erlebte, den Börne als Jüngling, allen weit voraus, schon 1808 geistig eingeleitet mit dem grundlegenden Aufsatz »Das Leben und die Wissenschaft« und seiner Forderung, daß alle Erkenntniß der Wahrheit bestimmt sei, auch Wirklichkeit im Leben zu werden, und alle Wirklichkeit des Lebens, von seiten der Wissenschaft Beachtung zu finden, in welchem er eintrat für eine lebendige Wechselwirkung zwischen Staatswissenschaft und Politik, wie er später eintrat für eine gleiche Wechselwirkung zwischen der Literatur und dem Leben, dieselbe Aera erlebte auf Grund eines tieferen Erfassens der Wirklichkeit die Wiedergeburt der Erdkunde durch Alexander von Humboldt und Karl Ritter, der Chemie durch Wöhler und Liebig, der Philosophie durch Herbart, Beneke und Schopenhauer, der Physiologie durch Johannes Müller und es war dieselbe, in welcher der Naturforscher Goethe dem Dichter Goethe die ursprünglich bethätigte Kraft entzog, dafür aber mit dem genialen Tastblick und Formensinn des Dichters dem Bau der Pflanzen und Thierknochen zuerst die Entwickelungsgesetze abschaute, welche nach ihm Darwins Lebenswerk in ein System gebracht hat. Es war dieselbe Zeit, in welcher Böckh, Lachmann, die Brüder Grimm die klassische und die deutsche Alterthumswissenschaft gründeten auf das anempfindende Studium aller ihrer, auch der unbedeutendsten Dokumente, in der Wilhelm von Humboldt aller Geschichtschreibung die Aufgabe zuwies, das Streben der Zeitideen zu schildern, in der Wirklichkeit Dasein zu gewinnen, und ein junger Gelehrter in Frankfurt a. d. Oder mit dem noch unbekannten Namen Leopold Ranke durch den inneren Protest seiner Geistesart gegen die Geschichtsromantik Walter Scotts sich für das eigene Wirken als Geschichtschreiber das Gelöbniß gab: »Nur vom wahren Menschen, dem wahren Gott und von wirklich geschehenen Geschichten wahrhaften Bericht zu erstatten«. Den Glauben mit dem Wissen zu versöhnen, war schon Schleiermachers höchstes Bestreben gewesen. Den wahren Thatbestand der biblischen Ueberlieferung festzustellen, war der innere Trieb, der David Friedrich Strauß und seine Mitstreiter zu der Kühnheit ihrer Bibelkritik spornte. Das »Wesen des Christenthums« auf unser Wissen von Gottes höchster Offenbarung, dem Menschen, zu gründen – homo homini Deus est, war der Kernpunkt von Feuerbachs Ketzerei. Um ihrer Natürlichkeit willen pries Jakob Grimm die Sammlung seiner Märchen dem Volke an: »Gedeihlich kann alles werden, was natürlich ist und danach sollen wir trachten«; dem Rechte zur Natürlichkeit im sinnlichgeistigen Leben war seine Gönnerin, Bettina von Arnim, eine gottbegeisterte Prophetin. »Seid gepriesen, liebe Sinne!« ist der Refrain von Rahel Varnhagens Briefen, die ein frohes Lebensgefühl athmen. Sie fühlt bei jedem Genuß den Vermittlerdienst der Sinne im Leben des Geistes und der Seele, ist durchdrungen davon, daß jede Erkenntnis, jedes Hochgefühl einen sinnlichen Akt zur Voraussetzung hat … Romantik und Hegelthum hatten ihren Höhepunkt überschritten; auf allen Gebieten des Geistes erfolgt die Reaktion des Wirklichkeitssinns und des Lebensgefühls auf die Vergötterung der Phantasie durch die eine, die Vergötterung des Verstandes durch das andre. Die »Emanzipation der Sinne« ist die große Leidenschaft des Zeitgeistes. Die Propaganda der Jungdeutschen ist nur das Spiegelbild davon in der poetischen Literatur der Zeit. Auch Tieck, Immermann wurden von ihr ergriffen. Das Hauptthema der Poesie bleibt eben allezeit die Liebe von Geschlecht zu Geschlecht. Daß die »Emanzipation der Sinne« auch in dieser Sphäre sich geltend machte, war geschichtliche Notwendigkeit. Die neuen Ideen suchten Leben, zunächst das Scheinleben der Poesie. Die Form oder Unform wurde bedingt durch den unruhigen sozial reformatorischen Erlösungs- und Fortschrittsdrang, der die jungen Geister erfüllte.
Und Aehnliches zeigt die Geschichte des Geistes stets, wenn junge Geister zu Führern der Bewegung werden, junge Geister, denen das heiße Blut in den Adern zu schaffen macht und die Stagnation, der Druck der allgemeinen Verhältnisse naturgemäß gerade da auch fühlbar wird, wo Sinnlichkeit und Geistigkeit am unzertrennlichsten walten. In der Epoche, da Hutten und Luther im Kampfe standen, gewahren wir im Guten wie im Schlimmen auch das Walten dieses Zuges, von Luthers Emanzipation des Priesters vom Cölibat bis zu den Ausschreitungen der Wiedertäufer unter Jan von Leyden und Knipperdolling. Der Sturm- und Drangperiode giebt – von Rousseau bis Heinse – das heiße Eintreten für das Recht der Liebe auf freies Bekennen und freies Entfalten, das scharfe Anstürmen gegen den Zwang und Fluch der konventionellen Moral ihren leidenschaftlichen Charakter, Goethes ganze Jugendpoesie, Schillers »Kabale und Liebe« athmen den Gluthhauch dieses Kampfes. Und wie selbst ein so gesund und harmonisch veranlagter Mensch wie Goethe im Rausch der Maientriebe seines Blutes abirren konnte vom geraden Wege, beweist die Dialektik und der Schluß seiner »Stella«, die hinter den Ausgeburten der jugendlichen Romantik in dieser Richtung kaum zurückstehen. Daß Goethe als Dichter des Werther ein aus dem vollen Erleben naiv schaffendes Genie war, während der junge Schlegel seine »Lucinde«, der junge Gutzkow seine »Wally« – obgleich von Leidenschaft bewegt – mit philosophisch klügelndem Verstande und bei unzulänglicher künstlerischer Beherrschung des Stoffs schrieben, muß allerdings die ästhetische, darf aber kaum die ethisch kulturhistorische Beurtheilung der verwandten Erscheinungen stören. Gutzkows »Wally« hat den gleichen Anspruch wie »Werther«, aus dem Geist ihrer Zeit und als ein charakteristisches Merkmal dieser Zeit gewürdigt zu werden. Dies ist aber bei Biedermann wie in allen andern Geschichtswerken unterblieben, die bei Besprechung des jungen Deutschlands nichts anders zu äußern hatten als die Klage, es hätte in »ausschreitender« Weise der »Emanzipation der Sinne« gehuldigt.
Das wirkliche Grundprinzip der Bewegung, wie es von Wienbarg in seinen »Aesthetischen Feldzügen« ausgesprochen und von den übrigen »Jungdeutschen« anerkannt worden als das Prinzip ihres eigenen Wirkens, ist wahrlich ein höheres. Hier tritt unzweideutig der Zusammenhang desselben hervor mit den höchsten Idealen alles sittlichen Fortschritts, mit dem Aufklärungsprinzip eines Kant, mit dem Prinzip Schillers, das seinen Briefen über die ästhetische Erziehung zur Freiheit zu Grunde liegt. Kant hatte der philosophischen Aufklärung die politische Freiheit als Endzweck vindiziert. »Aufklärung«, hatte er gesagt, »ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne die Leitung eines andern zu bedienen, selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung zu bedienen. Sapere aude!« Ebenso hatte Schiller der Kunst den Zweck zuerkannt, die Menschen zur Freiheit zu erziehen. »Politische und bürgerliche Freiheit«, schrieb er an den Herzog von Augustenburg, »bleibt immer und ewig das Herrlichste aller Güter, das würdigste Ziel aller Anstrengungen und das große Zentrum der Kultur – aber man wird diesen herrlichen Bau nur aus dem festen Grunde eines veredelten Charakters aufführen, man wird damit anfangen müssen, für die Verfassung Bürger zu schaffen, ehe man den Bürgern eine Verfassung geben kann.« Das war jetzt schon alte Weisheit, aber trotz der Anerkennung und Wirkung, die Kant, die Schiller in diesem Zeitraum gefunden, befand sich die deutsche Nation von dem »herrlichsten aller Güter« weiter entfernt als je. Goethes Kunst hatte Deutschland nicht vor schmachvollster Knechtschaft geschützt. Die Machtstellung der Philosophie unter Hegel hatte Metternichs Gewaltpolitik – nicht die Freiheit gefördert. Aus Kant's Heilsverkündigung war Metternichs Antwort: die Mündigkeitserklärung der Unterthanen ist Rebellion, die Aufklärung derselben ein gemeinschädliches Verbrechen. Aus Schillers Prophetie entgegnete die Romantik: die Poesie ist nicht von dieser Welt; je mehr sie uns den Interessen des wirklichen Lebens entführt, um so besser. Da nun erklärte ein neues Geschlecht ideal bewegter Geister: die These Kants und Schillers ist falsch gesetzt; erst gebt uns die Freiheit und dann werden auch Weisheit und Schönheit zur Herrschaft im Leben gelangen. Erst gebt uns die Verfassung zu freiheitlichen Zuständen und dann möge die Kunst ihr Erziehungswerk vollenden! Darum, ihr Dichter, ihr Ritter vom Geist, gebraucht eure Waffen zum Kampf für diese Vorbedingung einer neuen Blüthe der Kunst und Poesie! Und Wienbarg verkündigte als Wortführer eines »jungen Deutschland« das neue Evangelium: weil der Absolutismus aus Furcht vor der Freiheit aus dem Leben die Schönheit gestrichen und ein Leben in Schönheit verhindert, brecht seine Schranken und Fesseln, damit die Schönheit ihre milde Herrschaft über die Völker beginne! Schillers Lehre von dem befreienden Charakter der ästhetischen Wirkung wurde bei Wienbarg zum Feldzug für den ästhetischen Endzweck der Freiheit.
Vergegenwärtigen wir uns gleich hier die Wandlung. Der Sturm und Drang der Geniezeit galt der Freiheit des Individuums, der des jungen Deutschlands der allgemeinen Freiheit. Jene wie auch die Romantiker in ihrer Jugend forderten für das geniale Individuum Vorrechte, die Jungdeutschen forderten gemeinsame Rechte für alle, bei denen auch das geniale Individuum sich ausleben könne. Posa, Karl Moor, Götz, Ferdinand, Gretchen, Klärchen, Egmont, zeigen das genial, naiv, heldenhaft frei empfindende Individuum zu Grunde gehen an der Uebermacht der herrschenden Verhältnisse. Diese Tragik war der höchste Ausdruck des poetischen Ideals ihrer Dichter. Den Jungdeutschen erschien der persönliche Kampf gegen die herrschenden Mächte mit den Waffen des Geistes zur Verwirklichung der politischen Ideale poetischer als seine Widerspiegelung in formschönen Werken der Dichtkunst, für deren Gestaltung, ganz abgesehen vom Grad ihres Talents, ihr Inneres noch zu unruhig und drangvoll war. Den Zusammenbruch der allgemeinen Zustände als nothwendig darzustellen, nicht die Niederlage des Freiheitsgefühls, war ihr ursprünglicher Gegenstand. Die Klassiker und die Romantiker zogen sich aus eigenem Antrieb mit ihrem reformatorischen Wollen bald ganz vom Leben auf die Kunst zurück; die Jungdeutschen wollten anfangs eher die Kunst aufgeben, als die Sache des lebendigen Fortschritts im bürgerlichen Zustand; erst der Zwang von oben und die Resignation ließ sie sich besinnen auf die Grenzen und den eigentlichen Beruf der Poesie als einer bildenden Kunst. »Die Schriftstellerei«, heißt es in Wienbargs »Aesthetischen Feldzügen«, »ist kein Spiel schöner Geister, kein unschuldiges Ergötzen, keine leichte Beschäftigung der Phantasie mehr, sondern der Geist der Zeit, der unsichtbar über allen Köpfen waltet, ergreift des Schriftstellers Hand und schreibt im Buch des Lebens mit dem ehernen Griffel der Geschichte. Die Dichter und ästhetischen Prosaisten stehen nicht mehr, wie vormals, allein im Dienst der Musen, sondern auch im Dienst des Vaterlandes und allen mächtigen Zeitbestrebungen sind sie Verbündete. Ja, sie finden sich nicht selten im Streit mit jenem schönen Dienst, dem ihre Vorgänger huldigten, sie können die Natur nicht über die Kunst vergessen machen; sie können nicht mehr so zart und ätherisch dahinschweben, die Wahrheit und Wirklichkeit hat sich ihnen zu gewaltig aufgedrungen, und mit dieser, das ist ihre Schicksalsaufgabe, mit dieser muß ihre Kraft so lange ringen, bis das Wirkliche nicht mehr das Gemeine, das dem Idealen feindlich entgegengesetzte ist.« Ist der geistige Prozeß dieser Wandlung wirklich so unbedeutend, daß die Geschichte des 19. Jahrhunderts ihn ignorieren darf? Die »Aesthetischen Feldzüge« Wienbargs sind freilich damals sofort verboten und vernichtet worden. Aber der Geist, der in dem Buche steckte, war nicht zu tödten. Aus der Asche der gedruckten Blätter stieg er leuchtenden Fittigs empor. Das Wort vom jungen Deutschland, das die Aufgabe habe, das alte aus dem Winterschlaf der Reaktion, aus Stumpfsinn und Lethargie emporzureißen in die Bahnen des Fortschritts zu schöneren und edleren Zuständen, hatte gezündet und flammte fort in begeisterten Herzen.
*
Auch in dem so vielfach mustergültigen Werk Heinrich von Sybels »Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I.« hat diese Geistesbewegung keine Beachtung gefunden, obgleich das erste Buch »Rückblicke« auf die Uebergangszeit von Begründung des Bundestags bis zum Ausbruch der Revolution darbietet. Der Rahmen, den der Haupttitel andeutet, war hierzu vielleicht zu eng. Dafür entschädigen diese Kapitel durch die, wenn auch allgemein gehaltene, doch rückhaltlose Anerkennung und verständnißvolle Würdigung all der liberalen Bestrebungen und patriotischen Handlungen, die den Kampf gegen das Metternichsche System zum Wesen hatten. Je schärfer er mit diesem, mit der heiligen Allianz, der reaktionären Kongreßpolitik und dem von dieser geleiteten Bundestag ins Gericht geht, je unumwundener er nachweist, wie Metternichs ganzes Streben darauf ausgegangen, die Erstarrung Deutschlands zu einem geeinten Staatswesen mit allen Mitteln der Intrigue und Gewalt zu verhindern, um so stärker fällt auch sein Urtheil zu Gunsten der naturgemäßen Gegenbewegung im Geistesleben des deutschen Volks ins Gewicht. Und wir können die historische Berechtigung und Bedeutung derselben kaum besser hervorheben, als durch Wiedergabe der Worte, mit denen der Generaldirektor der preußischen Staatsarchive einerseits die Schöpfung des Bundestags und weiterhin dessen Maßregeln zur Unterdrückung alles selbständigen politischen Lebens in seinem Werke gekennzeichnet hat.
Niemals, sagt er, sei einem großen mit frischem Siegeslorbeer gekrönten Volke eine kümmerlichere Unverfassung auferlegt worden, als es damals dem deutschen durch die Bundesakte geschah. »Die mächtigen Gedanken, welche Preußens Wiedergeburt und damit Deutschlands Befreiung vorbereitet hatten, waren hier in ihr Gegentheil verwandelt. Es war kein Wunder, daß in weiten Kreisen ein erbitterter Widerspruch erscholl. Die zurückgekehrten jüngeren Kämpfer erfüllten die Universitäten mit ihrer patriotischen Entrüstung, und suchten durch die Gründung der allgemeinen Burschenschaft die gesammte gebildete Jugend mit ihrem Enthusiasmus für Einheit, Recht und Freiheit zu erfüllen. Die Bestrebungen, die in diesen Vereinen herrschten, waren bei der größten Mehrheit durchaus idealer Art. Sie sannen nicht auf Umsturz des Vorhandenen, sondern auf Erziehung des kommenden Geschlechts. Durch sittliche Hebung und patriotische Begeisterung hofften sie den Staat der Zukunft zu dem großen Ziele der nationalen Einheit hinzuführen. Allerdings hatten sie über die Formen dieses Staats sehr oft unklare und unpraktische Vorstellungen, und einzelne Gruppen unter ihnen steigerten die Begeisterung zu wildem Fanatismus und waren bereit, Schwert und Dolch zum Tyrannenmord zu ergreifen. Niemals aber gelang es ihnen, in dem großen Vereine für solche Entwürfe einen erheblichen Anhang zu gewinnen. Gleichzeitig erhielten Bayern und Baden ihre Verfassung, und in München, wie in Karlsruhe erhob die liberale Mehrheit der Abgeordneten den Ruf zur Erweiterung ihrer Rechte und entwickelte ein Programm, in welchem alle jene zu Wien abgewiesenen preußischen Forderungen nebst inhaltreichen Zusätzen wiederkehrten. Eine sehr lebhafte Bewegung der Presse in Süddeutschland, Thüringen und am Rhein unterstützte sie in Zeitungen, Zeitschriften und größeren Werken: noch heute sind die Namen von Rotteck, Oken, C. Welcker, Görres unvergessen. Man hat damals und später die unwissenschaftliche Flachheit und den halb revolutionären Charakter dieser Publizistik gerügt, und in der That ist es nicht zu bestreiten, daß die damalige liberale Schule sich oft nicht weniger ungeschult und unpraktisch gezeigt hat, als die Teutonen der Burschenschaft. Eine Mischung halbwahrer oder irriger Vorstellungen von altdeutscher Freiheit, englischem Parlamentsrecht, radikalen französischen Theorien ist in diesen Schriften nicht zu verkennen; auch sie verfielen dem Hauptfehler des damaligen europäischen Liberalismus, daß sie in ihrem Eifer um das individuelle Recht die Nothwendigkeit einer starken Staatsmacht, gerade zum Schutze jenes Rechtes gegen das Versinken in freiheitsmörderische Anarchie, verkannten, und deshalb auch, wo einmal die Probe gemacht wurde, sich ungeschickt zu gedeihlicher Lenkung der Regierung zeigten. Durch dies alles können aber ihre großen Verdienste in schwerer Zeit nicht verdunkelt werden. In ihren Staaten haben sie, um nur ein Moment anzuführen, mit saurer, unermüdlicher Arbeit den durch lange Willkür und Vergeudung zerrütteten Staatshaushalt wieder zu fester Ordnung und Regelmäßigkeit zurückgeführt. Und, was die Hauptsache ist, wie die Burschenschaften den einen Grundgedanken der Befreiungszeit, die deutsche Einheit, so haben die süddeutschen Kammern den andern, Theilnahme des Volks an dem öffentlichen Wesen, trotz alles Druckes und aller Niederlagen im Bewußtsein der Nation, ein volles Menschenalter hindurch lebendig erhalten, und wir müssen ihnen ein ehrendes Andenken bewahren, wenn wir heute uns dieser hohen Güter in vollem Umfange erfreuen.«
So Heinrich von Sybel. Uns bleibt nur als Lücke zu rügen, daß neben den Namen der von ihm genannten Koryphäen der politischen Zeitkritik in der Presse der Name Börnes fehlt, desjenigen der deutschen Publizisten jener Zeit, den Friedrich Gentz, Metternichs Generalstabschef im Federkrieg, als den bedeutendsten und gefährlichsten Gegner von ihnen allen bezeichnet hat. Es ist für die Beurtheilung der Zeit, in welcher nach Durchführung der Karlsbader Beschlüsse sich die »Ruhe eines Friedhofs« über Deutschland verbreitet hatte, gewiß von großer Bedeutung, daß, wie Sybel hervorhebt, Prinz Wilhelm von Preußen, der spätere Kaiser, bereits in einem Briefe vom 31. März 1824 es ausgesprochen: »Hätte die Nation 1813 gewußt, daß nach elf Jahren von einer damals zu erreichenden und wirklich erreichten Stufe des Glanzes, Ruhmes und Ansehens nichts als die Erinnerung und keine Realität übrig bleiben würde, wer hätte damals wohl alles aufgeopfert solchen Resultates halber? Die Aufstellung jener Frage verpflichtet auf das heiligste, einem Volke von elf Millionen den Platz zu erhalten, welchen es durch Aufopferungen erlangte, die weder früher gesehen worden, noch werden gesehen werden. Aber hieran will man nicht mehr denken.« Nur hätte neben dem Hinweis auf dieses Prinzenwort, das im vertrauten Verkehr mit einem Freunde fiel und schwerlich zu den Ohren dessen gelangte, der nicht mehr an sein Königswort vom 22. Mai 1815, nicht mehr an die Proklamation von Kalisch mit ihren Verheißungen denken wollte, auch der Mann genannt werden sollen, der selbst nach den harten Zensuredikten und Zeitungsverboten den Muth und die literarische Kunst besaß, jene Frage und Erinnerung im Interesse des deutschen Volks immer wieder mit lauter Stimme öffentlich aufzufrischen, wenn auch oft nur in der Verhüllung geistreicher Ironie und Satire, in welcher Kunst Ludwig Börne in der Zeit der Restauration der Lehrmeister des liberalen jungen Deutschlands wurde. Wir meinen, gerade dieses Buch hätte Börne die Ehre geben müssen, die er als Erster verdient, der in der Zeit der Enttäuschung nach Begründung des deutschen Bunds – lange vor Friedr. von Gagern, Paul Pfizer und Karl Mathy – aus dem Volke heraus und im Namen des nichtpreußischen Deutschland auf Preußen als den einzigen Staat hingewiesen, von dem die Einigung Deutschlands zu erwarten sei. Erst als die Politik des Cabinets Wittgenstein diese Hoffnung völlig niederschlug, wurde seine Stellung eine verzweifelte.
Die besonderen Verdienste Börnes und der nach ihm sich bildenden jungdeutschen Schriftsteller hätten weiter auch darum ein besonderes Wort der Charakteristik hier verdient, als sie es waren, die stets der wachsenden revolutionären Bewegung im Volke eine Beziehung aufs Vaterländische zu wahren suchten, während die Liberalen der praktischen Politik, die Professoren und Kammerredner, zum großen Theile ihrem freiheitlichen Wirken theils eine partikularistische, theils eine kosmopolitische Richtung gaben, so daß sie eine Besserung der deutschen Zustände entweder von der Stärkung der »reindeutschen« Mittelstaaten oder von der Hülfe Frankreichs erwarteten. Um so mehr auch, als Sybel von dieser Abwendung vom Einheitsideal spricht, als sei sie damals eine allgemeine gewesen. Dafür stellt er sie freilich auch als Produkt der allgemeinen Zustände dar und rechtfertigt sie aus diesem Grunde in ehrlichem Gerechtigkeitsdrange. »Wenn man einem emporstrebenden Geschlechte das Vaterland zerstört, so ist die Folge unausbleiblich, daß seine geistige Bewegung vaterlandslos wird,« lautet seine unumwundene Erklärung. Und dann fährt er fort: »Alles, was in unseren Landen noch Herz und Sinn für politische Freiheit hatte, wandte sich damals von dem Bunde und dem Bundestage, dem einzigen Vertreter Gesammtdeutschlands, hinweg und der Verfassung des heimischen Einzelstaats als dem letzten Bollwerk der Volksrechte zu. Einst hatten die liberalen Parteien geklagt, daß die Hoffnung auf ein mächtiges Reichsregiment eine Täuschung gewesen: jetzt waren sie unermüdliche Verfechter jener Sätze der Wiener Schlußakte geworden, daß der Bund nur ein völkerrechtlicher Verein unabhängiger Staaten, und zur Einmischung in die inneren Landesverhältnisse gar nicht befugt sei … In der That, wer mochte damals noch singen und sagen von des deutschen Volkes Kraft und Heldenthum? Mit Bewunderung und Neid blickten jetzt die Sieger von 1815 auf das besiegte Frankreich, wo unter einer freien Verfassung glänzende parlamentarische Parteikämpfe die Aufmerksamkeit Europas fesselten und die Begeisterung der deutschen Jugend entzündeten. Man konnte bedauern, daß damit manche irrige und bedenkliche Anschauung auf den deutschen Boden verpflanzt wurde: aber was half es? Auch der wärmste deutsche Patriot konnte nicht in Abrede stellen, daß die französische Charte eine bessere Verfassung als die deutsche Bundesakte war, und die Pariser Kammerdebatten eine anziehendere Lektüre als die der Bundestagsprotokolle darboten – deren Veröffentlichung Metternich übrigens 1824 wegen ihrer Inhaltlosigkeit einstellen ließ. Mit innerer Freude begrüßte man jede flammende Rede, welche Foy oder Manuel gegen die feudalen und klerikalen Ultras in Frankreich schleuderten; die schneidenden Worte trafen ja dieselbe Staatsweisheit, welcher Metternich und seine Berliner Verehrer mit prunkender Andacht huldigten. Vollends hingerissen aber nahm man für den großen George Canning Partei, als er den reaktionären Mächten das stolze Wort entgegenrief, daß England berufen sei, für die Freiheit der Völker einzutreten und über die Schläuche des Aeolus verfüge, um nach Gutdünken die Stürme der Revolution über die Gegner Englands loszulassen. Ein solches Entzücken über die Angriffe des Auslandes auf die leitenden Bundesstaaten setzte das Absterben des patriotischen Gefühls in trauriges Licht: wie hätte es aber anders sein können nach dem langen Vernichtungskrieg, den Metternich und seine Helfer über den deutschen Nationalgedanken verhängt hatten? Es war ihrer Staatskunst gelungen, das deutsche Publikum wieder einmal zugleich partikularistisch und kosmopolitisch zu machen.«
Man wolle sich dieser Sybelschen Worte erinnern, wenn wir auf Heine als politischen Schriftsteller zu reden kommen, denn dieser bedarf im Gegensatz zu Börne allerdings solcher Rechtfertigung und ist im Glanz seiner genialen Oppositionsschriftstellerei der bedeutendste literarische Ausdruck jenes Stimmungsliberalismus, der, mehr kritisch als produktiv in seinem Streben, die Gegensätze des Partikularismus und Kosmopolitismus vereinte bei scharfer Polemik gegen die lächerlichen Eigenschaften der deutschen Kleinstaaterei und gelegentlichem Aufglühen einer romantischen Begeisterung für die Wiedergeburt des Deutschen Reichs in alter Macht und Herrlichkeit, wie sie die Sage vom im Kyffhäuser schlummernden Kaiser Rothbart verhieß. Aber auch in jener Zeit, welche die kurze deutsche Freiheitsbewegung nach der Julirevolution heraufbeschwor, da die Bundestagsdekrete den Patriotismus offen als Staatsverbrechen verfolgten, hat sich zwischen dem liberalen Partikularismus und dem radikalen Kosmopolitismus eine liberal-nationale Hauptströmung im Geistesleben erhalten, welche den Gedanken Arndts eines Nationalparlaments in Frankfurt neben der Fürstenvertretung im Bundestag aufrecht erhielt unter Ablehnung des dynastischen Scheinliberalismus der Einzelstaaten und der Scheinfreundschaft des liberalen Frankreichs. Und nirgends ist das schärfer zum Ausdruck gekommen als aus dem von G. Freytag so schön gerechtfertigten großen Maifest der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung zu Hambach am 27. Mai 1832. Nachdem der schon genannte erste Hauptredner, der Redakteur des pfälzischen »Westboten« Siebenpfeiffer, sein Hoch auf »das freie, das einige Deutschland« verknüpft hatte mit einem Hoch auf »den Bund der Völker zur Errichtung der Volkshoheit, auf die Franken, der Deutschen Brüder, die unsre Nationalität und Selbständigkeit achten«: gipfelte die Rede des »Tribünen«-Redakteurs Johann Georg August Wirth, der bald darauf gerade so wie Siebenpfeiffer seinen patriotischen Freimuth in schwerer Gefängnißhaft büßen mußte, in dem Antrag: »Selbst die Freiheit darf auf Kosten der Integrität unsres Gebietes nicht erkauft werden; der Kampf um unser Vaterland und unsre Freiheit muß ohne fremde Einmischung durch unsre eigene Kraft von innen herausgeführt werden, und die Patrioten müßten in dem Augenblicke, wo fremde Einmischung stattfindet, die Opposition gegen die inneren Verräther suspendieren und das Gesammtvolk gegen den äußeren Feind zu den Waffen rufen.« Und Wirth war es, dessen Rede zu Hambach den größten Beifall erhielt, seine Richtung war auch diejenige, welche für Gutzkow und seine Genossen bei ihrem Hervortreten maßgebend wurde. Wo in Zukunft »Der Briefwechsel zweier Deutschen« von Paul Pfizer und Gagern's Schrift »Vom Bundesstaat« gerühmt werden als die ersten Manifestationen des Vertrauens in Preußens Führung von Seiten süddeutscher liberaler Politiker, wird man nach der von mir nachzuweisenden politisch-publizistischen Thätigkeit Gutzkow's diesen rühmen müssen als den ersten Preußen, der in Süddeutschland in den angesehensten Organen mit derselben Tendenz für eine sachliche Aufklärung über die thatsächlichen politischen Verhältnisse in dem Preußen von 1830, auf Grund genauer Kenntnisse, wirkte.
Auch in dem Abschnitt von Sybels Werk, welcher die Wirkung der Pariser Julirevolution auf Deutschland schildert, findet die in weiten Kreisen des deutschen Volkes damals herrschende revolutionäre Stimmung unbedingte Rechtfertigung. Daß der Zorn über die Ausnahmegesetzgebung von 1833 sich durch alle Massen der Bevölkerung verbreitete, wird als das natürliche Ergebniß des Metternichschen Verfolgungssystems dargestellt. »Zwar die äußere Ordnung wurde an keiner Stelle mehr gestört; die Zeitungen lagen in den Fesseln der Zensur, und das neue badische Preßgesetz mußte nach Bundesbefehl durch den Großherzog zurückgenommen werden. In den Kammern verlor die liberale Partei wieder die Majorität, und hielt sich in behutsamer Defensive, um nicht neue Gewaltschritte des Bundes hervorzurufen. Aber nur um so tiefer fraß sich der Groll in die Herzen ein. Viel Tausende, die 1830 bei den Aufläufen in Kassel und Dresden den Pöbelexzessen gewehrt oder 1832 auf dem Hambacher Fest harmlos gejubelt hatten, gelobten sich jetzt, wenn es wieder losginge, selbst mit kräftigen Händen dabei zu sein. Neun Zehntel der deutschen Bürger erfüllten sich im Angesichte der Reaktion mit demokratischen Gedanken, die Gemäßigten mit Begeisterung für den parlamentarischen Staat, wo ein Beschluß der Volksvertretung die Minister aus dem Amte entfernt oder in dasselbe einsetzt, die Heißblütigen mit dem Ideale der Republik, wo der Wille des gesammten Volkes über Gesetzgebung und Exekution in unbeschränkter Freiheit entscheidet … Nur wenige machten es sich deutlich, daß die Forderung gleichen Rechtes edel und sittlich ist, wenn sie gleichen Rechtsschutz und gleiche Rechtsfähigkeit, oder mit einem Worte Gleichheit vor dem Gesetz bedeutet, daß sie aber in ihr Gegenteil umschlägt, sobald sie zum Begehren gleichen Genusses und gleicher Macht ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des Einzelnen sich steigert und damit die schiefe Ebene zur kommunistischen Gewalt betritt. Ganz thöricht zeigte sich jetzt übrigens die Meinung, daß die Zensur der Zeitungen und kleinen Druckschriften der Verbreitung solcher Gedanken Einhalt thun könnte. Die Tirailleure waren abgefangen, die Wirkung der schweren Geschütze dauerte fort. Die zensurfreien Bücher über zwanzig Bogen gingen von Hand zu Hand.« Von solchen schweren Geschützen nennt er das »Staatslexikon« von Rotteck und Welcker, Schlossers Weltgeschichte und in kirchlicher Hinsicht David Friedrich Strauß' »Leben Jesu« – der Schriftsteller des »Jungen Deutschland« aber, dessen Wirkung viel unmittelbarer ins Volk drang, weswegen ja auch allein gegen sie dann mit jenem drakonischen Allgemeinverbot ihrer Schriften von seiten Metternichs, Wittgensteins und des Bundestags vorgegangen wurde, gedenkt er mit keiner Silbe. So hat es auch leider Gustav Freytag in seinem »Leben Karl Mathys« gehalten, der besten Arbeit, die wir bisher über die gleichzeitige Flüchtlingshetze in der Schweiz und jenen politischen Geheimbund »Das junge Deutschland« erhielten, der eine der nationalen Abtheilungen des am 15. April 1834 von Mazzini in der Schweiz gegründeten internationalen »Jungen Europa« war. Hat doch selbst Karl Fischer, dessen Werk »Die Nation und der Bundestag« (1880) die Unterdrückung des nationalen Gedankens durch Metternich zum besonderen Gegenstand hat, als er auf das Verfahren gegen das junge Deutschland zu sprechen kam, versäumt, auf den organischen Zusammenhang dieser Literatur mit den politischen Zuständen hinzuweisen und die wahre Ursache des Verbots verkannt, die darin bestand, daß diese jungen Autoren die liberalen Forderungen und nationalen Fortschrittsgedanken in die Form von poetischen Unterhaltungsschriften kleideten, so den Gährungsstoff revolutionärer Ideen in das große Publikum bringend, wo man weder die Bände des Staatslexikons noch das erst viel später von Strauß populär bearbeitete »Leben Jesu« las.
Die Wechselwirkung zwischen den Gewaltmaßregeln, der geheimen politischen Agitation, dem Wirken der Presse und der Kammerredner einer- und andrerseits der schönen Literatur hat eben überhaupt noch nicht den Gegenstand einer eingehenden Darstellung gebildet, obgleich schon der erste offizielle Bericht der Zentraluntersuchungskommission in Mainz an den Bundestag für das Entstehen politischer »Verschwörungen« in Deutschland die Literatur aus der Zeit von 1806-1819, im besonderen Fichtes Reden an die deutsche Nation, Arndts »Katechismen« und »Geist der Zeit«, Jahns »Deutsches Volksthum« und »Runenblätter«, Schleiermachers »Gedanken«, A. Follens Grundzüge für eine künftige deutsche Reichsverfassung, die Darmstädter »Fantasien für ein künftiges Deutschland« und die entsprechende Lyrik verantwortlich gemacht hat und obgleich nach den Bundeserlassen von 1832 die Politik der Patrioten an der patriotischen Literatur geahndet ward. Der wackere Marburger Professor L. Fr. Ilse hat dies wohl in seinem Buche »Geschichte der politischen Untersuchungen, welche durch die neben der ›Bundesversammlung‹ errichteten Kommissionen, der Zentraluntersuchungskommission zu Mainz und der Bundeszentralbehörde zu Frankfurt in den Jahren 1819 bis 1827 und 1833 bis 1842 geführt sind«, getreulich berichtet, er hat mit ehrlicher Entrüstung den Versuch der Mainzer Kommission abgewiesen, die großen Befreier der Nation aus ihrer Erniedrigung von 1806, zu staatsgefährlichen Demagogen zu stempeln, aber er hat weder hier noch in seiner Geschichte des Bundestags den wirklich bestehenden organischen Zusammenhang zwischen der patriotischen Politik und der patriotischen Literatur vor den Befreiungskriegen und nach dem Wiener Frieden seinerseits beleuchtet. Ein solcher Zusammenhang läßt sich allerdings nachweisen von Fichtes Reden und Arndts Flugschriften und Liedern an bis in die von uns zu schildernde Zeit, in welcher nach völliger Knebelung der Presse die politische Opposition sich schließlich nur noch »ästhetische Feldzüge« erlaubte und in Börnes Theaterkritiken und Humoresken, in Heines Reisebildern, in Gutzkows und Laubes ersten Romanen u. s. w. als Schmuggelwaare der schönen Literatur ins Volk drang. Der tragische Irrthum im Berichte der Mainzer Commission war, daß die tausendfältigen Regungen des erstarkten Nationalbewußtseins als Momente einer systematischen Verschwörung von revolutionärem Charakter aufgefaßt und dargestellt wurden. Das Perfide im Verfahren der schmählichen Geheimjustiz war, daß sie die kühnen Pioniere von Deutschlands Befreiung und Wiedergeburt, selbst Stein und Scharnhorst, verantwortlich zu machen suchte für die Schwärmerthaten eines Sand und Löning. Ebenso hätte man Schiller anklagen können, daß er durch seinen Tell zum politischen Mord an Tyrannen verführe.
Was nach dem Hambacher Fest in der zeitgenössischen Presse und Literatur als Staatsverbrechen verfolgt wurde, war jedoch in der That nur das Aufsprießen der Ideensaat jener älteren Patrioten. Wenn jetzt Wirth und Siebenpfeiffer, Fr. W. Schulz und Weidig, Mathy und Strohmeyer, Rotteck und Welcker Revolutionäre waren, so waren es zur Zeit der Karlsbader Beschlüsse auch Arndt und Jahn. Es läßt sich eine wohlgegliederte Entwickelungskette in der Bundespolitik nachweisen von den ersten Bundesbeschlüssen gegen die Presse bis zu der letzten drakonischen Maßregel gegen die »literarische Verbindung« des jungen Deutschland. Und in Wechselwirkung mit dieser Entwickelung vollzog sich der merkwürdige Prozeß, der seit jenen ersten Preßverfolgungen sich geltend machte, die Formen der ästhetischen Kritik und Literatur zum Gefäß der politischen Oppositionsgedanken zu machen. An dieser Spiralbewegung ist ferner betheiligt die Entwickelung der politischen Geheimbünde. Vom Tugendbund und der Burschenschaft bis zu den politischen Geheimbünden der dreißiger Jahre, dem »Bund der Männer« und »Bund der Jugend«, die mit den Carbonari, dem »Bund der Geächteten«, der mit Lafayette's »Verein für die Menschenrechte« Fühlung hatte, und jenem »Jungen Deutschland«, das einen Theil der › Giovine Europa‹ Mazzinis bildete, lassen sich sehr wohl durchlaufende Fäden verfolgen. Immer tauchen in den Untersuchungsakten wieder dieselben Namen auf: man verfolge den Schicksalsgang der Brüder Snell, Follenius, Wesselhöft, der geistigen Häupter der unterdrückten Burschenschaft, in jenen Jahren. Es waren die Opfer der Karlsbader Beschlüsse, 1819, noch hoffnungsreiche Jünglinge, die für die Ideale ihrer Burschenschaft schwärmten, welche nun als Flüchtlinge und Verfolgte zu Verschwörern wurden, die den »Savoyer Zug« leiteten, die für das Fortbestehen geheimer Burschenschaften in Deutschland sorgten und im Verein mit polnischen Flüchtlingen Veranstalter waren der Beunruhigungsputsche, deren wichtigster das Frankfurter Attentat war. Aus diesen fast durchweg akademisch gebildeten, hochbegabten geheimen Heerbann der deutschen Freiheit, welcher durch jede neue Verfolgungsmaßregel bedeutende Verstärkung fand, gewann die Propaganda des Fortschritts auch ihre literarischen Hilfstruppen. Als Verfasser von politischen Flugschriften, als Korrespondenten der noch bestehenden Journale, wirkten sie im Ausland auf die öffentliche Meinung im Vaterland. Andre, die der Verfolgung entgingen, saßen, solang es ging, selber in den Redaktionsstuben der liberalen Zeitungen, redeten für die große Sache auf den Tribünen der Parlamente. Studenten, Doktoren und Professoren aller Wissenschaften, denen durch die politische Verfolgung der Kampf für ihre politischen Ideale zum Beruf wurde, fanden in der Presse die ihnen gemäße Waffe.
Die jungdeutsche Literatur wächst aus diesen Zuständen hervor. Die Geistesbewegung, welche Gutzkow als reifer Mann nach 1848 in den »Rittern vom Geist« poetisch verklärt dargestellt hat, nahm ihren Ausgang mit Arndt's schon 1817 ausgesprochener Forderung: ein »Bund der Gleichgesinnten« müsse sich bilden zur Herbeiführung der Wiedergeburt des Reichs im Zeichen der Freiheit. Wie Heine unter Wolfgang Menzel's Präsidium zu Bonn, waren auch Laube, Gutzkow, Wienbarg als Studenten eingeschworen auf die burschenschaftlichen Grundsätze. Börne begeisterte sich in Halle für die gleichen Ideale und stand mit Görres, Welcker, Arndt, dem Grafen Bentzel-Sternau in Verkehr, als diese 1819 den ersten Aufruf für ein deutsches Volksparlament berathschlagten. Durch seine »Wage« und den in ihr entwickelten Freimuth wurde er zum Gegenstand der Verehrung in allen Kreisen, wo der demokratische Gedanke aus den Nothständen des Vaterlands Nahrung zog. Wer nicht wußte, daß der starke Geist, der hier sprach, in einem schwachen, kränklichen Körper wohnte, erwartete von diesem Kühnen auch erfolgreiche Führerschaft, wenn den Worten die That folgen würde. In den Politischen Annalen Cotta's verkündigte er in der Zeit des vollständigen Siegs der Reaktion den trotz alledem nahenden Völkerfrühling, der sich nicht abhalten lasse. Seine erste Reise nach Paris war eine Flucht, die er, Görres' Beispiel folgend, antrat, und nach seiner Rückkehr nach Frankfurt wurde er als politischer Verdächtiger für eine Weile auch wirklich verhaftet. In Stuttgart wurde neben den Führern der Linken der Buchhändler Liesching, einer der Hauptagitatoren der Propaganda, sein Freund. In Paris nach der Julirevolution trat er in intimsten Verkehr mit den Flüchtlingen, ja er wurde schließlich das geistige Haupt ihrer Bestrebungen. An Venedey's Zeitschrift »Der Geächtete« wurde er Mitarbeiter. Trotz der Gefahren, die ihm beim Ueberschreiten der Grenze drohten, ging er im Mai 1882 nach Hambach zur Theilnahme an der großen Versammlung der Patrioten. Heine hatte in München, als er Redakteur der Politischen Annalen war, intimen Verkehr mit Witt von Törring, dem später als Spion entlarvten Scheinverschwörer, und wurde mit G. Kolb, dem neuen Redakteur der Allgemeinen Zeitung, der kurz vorher auf dem Hohenasperg gesessen, befreundet. So wenig ihm in Paris der Kraftteutonismus der »deutschen Jakobiner« behagte, so hielt er doch anfangs zu ihnen und seine leidenschaftliche Nachrede zu den »Französischen Zuständen« fand wie die Uebersetzung Börne's von Lamennais' Paroles d'un croyant geheime Verbreitung als Flugschrift der revolutionären Propaganda. Gutzkow und Laube beginnen ihre Laufbahn mit Aufsätzen, Journalartikeln und Büchern, die vom Geiste der Hoffnung eines baldigen Umsturzes der Metternichschen Gewaltherrschaft, einer Wiedergeburt Deutschlands im demokratischen Sinne, diktiert sind. Gutzkow zeigt sich dabei Börne geistesverwandt, während Laube sich zu Heine hingezogen fühlt und zu ihm persönliche Beziehung sucht. Georg Büchner, noch Student, der von Straßburg im Dienst der Propaganda nach seiner Vaterstadt Darmstadt gekommen, schreibt gleichzeitig mit der revolutionären Agitationsschrift »Der hessische Landbote« sein kühnes Erstlingsdrama »Dantons Tod«, dessen Erscheinen im Frankfurter »Phönix« Gutzkow vermittelt. Laube hat in Leipzig Verkehr mit polnischen Flüchtlingen und verherrlicht in seinen ersten Schriften die polnische Revolution. »Das junge Europa« wird der Titel seines ersten Romans, während fast gleichzeitig, fern von ihm und unbekannt ihm, Mazzini einen politischen Geheimbund unter derselben Bezeichnung stiftet. Und so weiter, und so weiter! Nein, es war kein Irrtum, wenn Metternich, da er den patriotischen Reichsgedanken und die bösen Fortschrittsideen mit Stumpf und Stiel ausrotten wollte, schließlich auch die jungdeutschen Unterhaltungsschriften mit der schärfsten seiner Bannbullen traf. Aber Irrthum oder Schlimmeres war es, wie geschehen, diese Verfolgung auf die sittliche Entrüstung der Oberbehörden über die Bedrohung der Moral in diesen Schriften zurückzuführen. Das war von deren Seite nur eine Bemäntelung der reinpolitischen Beweggründe. Casanova, Clauren &c. waren weit unmoralischer in jedem Betracht, als selbst Heine in seinen unmoralischsten Leichtsinnsversen, und ihre Schlüpfrigkeiten blieben unbehelligt. Gentz und Metternich delektirten sich, wie wir aus ihren Briefen wissen, an Heine's Erotik, während sie sich mühten, ihm als politischen Schriftsteller das Handwerk zu legen. Gutzkow und Wienbarg aber hatten, wie gesagt, Heine bekämpft wegen seiner Boulevard-Erotik. Irrthum ist es auch, wenn gesagt wird, erst ihre Ausfälle gegen Moral und Religion hätten die Strafverfolgung auf diese Schriftsteller gelenkt. Längst vorher befand sich Heines wie Börnes Namen in jenen Verzeichnissen der politisch Proskribirten, die im Betretungsfalle sofort zu verhaften seien, deren Austausch die Polizeiregierungen der Einzelstaaten mit Eifer betrieben. Es ist unrichtig, was von angesehenen Historikern, wie Treitschke, behauptet wird, Heine und Börne hätten sich in Paris nur als Verbannte gebärdet, um als Märtyrer zu gelten, nichts hätte ihrer Heimkehr im Wege gestanden. Schon vor 1834 standen ihre Namen in dem »Verzeichniß der im Auslande befindlichen Verdächtigen und solcher Individuen, welche als offenbare Feinde der in Deutschland bestehenden Ordnung erscheinen«. Auf »Abfassung und Verbreitung revolutionärer Schriften« lautet darin die Anklage, welche im Betretungsfalle des Inkulpaten sofortige Verhaftung fordert. Ihr Thun in Paris war von politischen Geheimspitzeln umlauert. Nur durch glückliche Fügung entging Börne auf der kurzen Fahrt in die Rheinpfalz und von da zum Grafen Bentzel-Sternau in der Schweiz dem drohenden Schicksal. Als Heine in späterer Zeit nach Hamburg gehen mußte, hatte er Gelegenheit, den Ernst der Situation an der preußischen Grenze zu erproben. Und so auch wurden Laubes, Gutzkows, Wienbargs erste Bücher nicht infolge jenes Ausnahmegesetzes vom Dezember 1835, sondern schon vorher wegen ihrer allgemein politischen Staatsgefährlichkeit verboten. Die Protokolle des Bundestags der vorhergehenden Zeit verzeichnen ihre Konfiskation gleichzeitig mit der von reinpolitischen Flugschriften (von Siebenpfeiffer, Wirth, G. Fr. Kolb, Savoye, Garnier, Schüler u. a.), von Büchners »hessischem Volksboten«, von einzelnen staatsgefährlichen Zeitungsnummern, zugleich mit den staatswissenschaftlichen Werken von Rotteck, Welcker, Weitzel. Und ein innerer Zusammenhang zwischen dieser politischen, belletristischen und wissenschaftlichen Literatur hat natürlich erst recht bestanden, so schwer es ist, den Grad desselben zu bezeichnen. Denn unter dem Drucke der Spionage und Verfolgung, unter der Herrschaft des schwarzen Kabinetts im Taxis'schen Hauptpostamt zu Frankfurt a. M. und der Praktiken des preußischen Generalpostmeisters und Bundestagsgesandten von Nagler sind die Zeugnisse eines etwa direkten Verkehrs zwischen den Gruppen und Personen für immer verloren gegangen. Und so blieb es bisher auch ununtersucht, in welchem Zusammenhang die gleichzeitige Verfolgung des politischen Geheimbunds »Junges Deutschland« in der Schweiz und der jungen Schriftsteller, die sich 1835 in Frankfurt a. M. als »Junges Deutschland« und »Junge Literatur« um die zu gründende »Deutsche Revue« zu schaaren im Begriff waren, etwa gestanden hat. Aber ist es nicht Sache unserer Nationalgeschichte, diesen Zusammenhang nach Thunlichkeit festzustellen? Dürfen die Namen der deutschen Schriftsteller, die um ihres patriotischen Strebens willen in mehr als einer Beziehung zu Märtyrern wurden, auf den Ehrentafeln der Geschichte von Deutschlands Einigung fehlen?
*
Diese Pflicht erfüllt zu finden, durfte man endlich bei einem Historiker erwarten, der im vorletzten Jahrzehnt des Jahrhunderts und in einer Stellung, die ihm alle Quellen zugänglich machte, es unternahm, die »Deutsche Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts« zu schreiben unter Berücksichtigung der Literatur, Kunst und allgemeinen Kultur. Selten ist aber die Pflicht der Wahrheit und Gerechtigkeit von einem namhaften Historiker so versäumt worden, wie in dem Abschnitt, dem Heinrich von Treitschke im vierten Theile seines Werkes die Aufschrift »Das junge Deutschland« gegeben hat. Wir haben an anderer Stelle (Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1890) dies an Einzelheiten ausführlich dargethan und von verschiedenen Seiten ist ähnliches geschehen. Paul Nerrlich, der Biograph Jean Pauls, hat dieser literarhistorischen Versündigung eine besondere Streitschrift gewidmet. Nirgends in dem fehlerreichen Werke trifft der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit, der neuerdings durch die von Alfred Stern besorgte Ausgabe von Adolf Schmidts Geschichte der deutschen Verfassungsfrage so erdrückende Bekräftigung gefunden, in gleichem Grade zu wie in diesem Kapitel. Alles, was die Angriffe Menzels und die auf sie begründete Legende der Gegner in der Zeit des Kampfes an übler Deutung und falscher Nachrede hervorgebracht haben, ist hier, zu Schlagworten verdichtet, im Orakelton unfehlbaren Papsttums vorgetragen und dadurch ein Zerrbild geboten, wie es nur im Hohlspiegel fanatischen Parteihasses und verblendeten Nationaldünkels entstehen konnte. Jener rastlose Kampf der jungen Geister, sich vom lähmenden Einfluß der Hegelschen Schule durch energische Hingabe an die Wirklichkeit zu befreien, die von den Romantikern überkommene Lust am Phantasiespiel der »Ironie« im Element einer Höheres erstrebenden Kritik an den gegebenen Zuständen zu veredeln, findet nur Schmähworte von seiner Seite. Weil Börne und Heine als Juden geboren waren und sie als politische Schriftsteller die Deutschen für die Ideen der französischen Revolution begeistert haben, wird die von ihnen angeregte literarische Bewegung kurzer Hand als »jüdisch-französische Zwitterliteratur« abgethan und weil Gutzkow ein Berliner Kind, Mundt in Potsdam, Wienbarg in Altona und Laube in dem schlesischen Landstädtchen Sprottau zur Welt kam, bezeichnet er ihre Gemeinschaft als ein »Sumpfgewächs der großen Städte des Nordens«, obgleich doch als ein Hauptzug an ihnen hervortritt, den Zuständen in diesen Städten zu entfliehen, und viele der wichtigsten Schriften der Bewegung im deutschen Süden hervorgetreten sind. Was er in demselben Kapitel von Schlosser sagt: »Ihm fehlte der historische Sinn, der die Wandelbarkeit der sittlichen Ideale der Menschheit bescheiden erkennt und darum, statt dem ewigen Richter vorzugreifen, jede Zeit nach ihren eigenen endlichen Zwecken beurtheilt«, trifft ihn selbst mit der Verschärfung, die das biblische Gleichniß enthält vom Splitter im Auge des Nächsten. Denn hätte Treitschke hier selbst den »historischen Sinn« entfaltet, um die junge Schriftstellergeneration jener Zeit »nach ihren eigenen endlichen Zwecken« und im Bewußtsein »der Wandelbarkeit der sittlichen Ideale« zu würdigen, wie anders müßte das Bild ausgefallen sein, das er von ihr entworfen.
Aber wie in dieser Allgemeinheit hat er uns auch des Weiteren für seine Widerlegung die Waffen selber geschmiedet. Denn er flocht in seine Betrachtung auch das Lob der ihm sympathischen Dichter jener Zeit ein, und suchte durch den Kontrast mit ihrer Größe die Kleinheit der »Jungdeutschen« noch drastischer erscheinen zu lassen. Und beim Lobe dieser Dichter, die es in jener stürmischen Zeit verstanden, »den stillen Blumengarten der Dichtung vor der schneidenden Zugluft des Tages sorgsam einzuhegen«, verirrt sich Treitschke zu Anerkenntnissen, die gerade das gut heißen, um dessentwillen er die Jungdeutschen verdammt oder gar zu Aeußerungen, die, zu Ungunsten der letzteren, die wahren Verdienste jener Dichter verdrehen.
Und so hat er an die Spitze des Abschnitts eine Verherrlichung des »alten Goethe« gestellt und daran die Behauptung geknüpft, für die Jungdeutschen sei dieser größte Dichter der Nation bereits völlig veraltet und abgethan gewesen. Er entwirft ein Bild der grandiosen Bedeutung des Faust, dieser ureinzigen Goetheschen Lebensdichtung, und fährt fort: »Das junge Geschlecht lebte am Tage den Tag; ihm fehlte die Sammlung des Geistes, um ein Werk zu würdigen, das über die gerühmte ›Jetztzeit‹ der Zeitungsschreiber so weit hinaufragte. Längst stand ihm fest, daß die burschikosen Witze von Heines Harzreise mehr bedeuteten als Goethes Italienische Reise, ein beliebiger Tendenzroman zur Verherrlichung des freien Weibes mehr als Wilhelm Meister.« Wir werden zu zeigen haben, daß als das »Junge Deutschland« im Kampf gegen den Goethehasser Menzel stand, nachdem dessen Teutomanie das anfangs bestehende Verhältniß zerstört hatte, aus der Fahne des reisigen Häufleins der Name Goethes als der ihres Führers prangte; daß Wienbarg und Laube gleich in ihren ersten Werken ihren Enthusiasmus für Goethe bekannten, gerade wie dies auch Heine gethan, während Gutzkow nur deshalb sich anfangs indifferent verhielt, weil er als Schüler schon durch Gedikes und Biesters »Berlinische Monatsschrift« dann durch Menzels Literaturgeschichte und Börnes Kritiken von Mißtrauen gegen den »Dichter im Ministerrock« erfüllt worden war. Dafür bedeutete dann sein »Goethe im Wendepunkt zweier Jahrhunderte« (1836) den Beginn einer neuen Aera der Werthschätzung Goethes im öffentlichen Bewußtsein der Nation. So geht denn auch Treitschke von der vorgefaßten Meinung aus, daß es unsren Dichtern, wären sie nur die rechten gewesen, das Gemäße hätte sein müssen, in jener Zeit nach dem Muster Goethes und Schillers Werke von klassischem Stil zu erzeugen. Was sie aber als Muster an der Herrschaft fanden, war weit mehr als die Poesie Goethes und Schillers, die gedanken- und bilderreiche Prosa, die kleinbürgerliche Genremalerei und hochfliegende Spekulation Jean Pauls, aus deren Verschmelzung dessen die Zeitgenossen so tief ergreifender Humor erwuchs, aber auch ein Barockstil der Erzählungskunst, in welcher das bunte Rankenwerk der subjektiven Gedankenäußerung und die üppigen Blumenguirlanden einer in poetischen Bildern schwelgenden Schilderungssucht die Architektur der Handlung und die Plastik der Gestalten völlig überwucherten. Es waren die Dramen von Müllner und Raupach, das Lustspiel Kotzebues, die romantische Ironie Tiecks, die Nachahmer Walter Scotts, unter denen nur Wilibald Alexis und der zu früh verscheidende Wilhelm Hauff hervorragten, die genial-bizarre Gespensterromantik E. T. A. Hoffmanns, die schlüpfrigen Histörchen Claurens, das Fraubasengeklätsch einer kraft- und saftlosen Altweiberbelletristik. Die tonangebende Kritik, wie die Menzels, bekämpfte Goethe aus Gründen, die sie den Grundsätzen der politischen Ueberzeugung entnahm, und auch an Schiller störte sie die reservirte Haltung, die er als weimarischer Hofrath den politischen Zeiterscheinungen gegenüber eingenommen. Als Schillers Vermächtniß sah diese Jugend in der Literatur nicht wirken das Begeisterungsfeuer des Marquis Posa, nicht die unmittelbar lebendige Kunst, die sich in »Kabale und Liebe« bethätigt, sondern die äußerliche Nachahmung seiner Jambenrhetorik und vor allem der Schicksalstragödie der »Braut von Messina«. Nicht den Dichter des Werther, der Gretchentragödie und des Clavigo sahen sie gefeiert, sondern den lehrsamen Autor der Wanderjahre, der marmorglatten, aber auch marmorkalten »Natürlichen Tochter«, der gekünstelten Spruchpoesie des Diwan und der allegorischen Mystik des zweiten Theiles von Faust. Die jungen Stürmer und Dränger knüpften dagegen dort wieder an, wo jene Klassiker selber einst Stürmer und Dränger gewesen und die Brüder des Hainbunds mit Klopstock für die Wiedergeburt des Vaterlandes und die »Freyheit« in Bardengesängen geschwärmt hatten. Ihre Bewegung war eine Wiedererweckung der politischen und sozialen Reformideen der Herder-, Goethe-, Lenzschen Geniezeit mit dem Trieb, den transzendenten Idealismus der aus jener erwachsenen Humanitätsprophetie in realistischer Weise mit den politischen Forderungen der Zeit zu verschmelzen. Und weil sie in Jean Paul's Humor den grellen Widerspruch zwischen jenen hohen Idealen und der kleinlichen Wirklichkeit aufgelöst fanden und die Begeisterung für ein freies Leben in Schönheit emporflammen aus der Gebundenheit der gegebenen deutschen Zustände, war er der Lieblingsdichter dieser Jugend, soweit die deutsche Dichtung auf sie wirkte, während von allen Poeten des Auslands aus ähnlichen Gründen Lord Byron's feuerathmendes Genie den größten Einfluß auf sie übte, Childe Harold mit seinem stolzen Selbstgefühl, seinem glühenden Freiheitsverlangen, seinem unruhigen Wandertrieb, seiner von Romantik bewegten Phantasie, seinem nach Realitäten schmachtenden Lebensdurst, seiner moralverhöhnenden Sinnlichkeit, seiner Sucht, in den Formen der Poesie Kritik zu üben an den Zuständen des von der heiligen Alliance in seinem Wachsthum ausgehaltenen Europa. Aber so verschieden wie die kometenhaft kühne, glänzende Lebensbahn des britischen Lords von den Lebensbedingungen des Wunsiedler Schulmeistersohns Jean Paul Richter und all den Widerwärtigkeiten, mit denen die deutschen Schriftsteller der Zeit, zumal wenn sie unbemittelt, in jener Zeit kämpfen mußten, so verschieden waren auch die Wirkungen, die Byron auf dieses Dichtergeschlecht ausgeübt, von dessen eigener frei entfalteter sinnlich-übersinnlichen Dichtung.
Doch so ungerecht es auch war, das Beginnen der jungen Schriftsteller an der Riesenerscheinung des Goetheschen Lebenswerkes zu messen, so hat doch Treitschke in seiner Verherrlichung des »Alten von Weimar« im blinden Eifer gerade Dinge zur Sprache gebracht, welche die Richtung, die um das Jahr 1830 die Literatur einschlug, mit Worten von Goethe selbst rechtfertigen. Denn um zu zeigen, wie fortschrittlich gesinnt seinerseits doch auch der greise Dichter kurz vor seinem Tode gewesen, kann er es nicht unterlassen, auf dessen Verkündigung einer Weltliteratur, auf dessen Vorliebe für ausländische Dichter hinzuweisen. Und schließlich sagt er: »In seinem letzten Lebensjahre, bei der Eröffnung des weimarischen Lesemuseums, sprach er offen aus, wie die Welt sich zu verwandeln beginne, wie die gesellige Bildung universell werde«, wie alle gebildeten Kreise, die sich sonst nur berührten, jetzt sich vereinigten und an jeden die Nothwendigkeit herantrete, »sich von dem Zustande des augenblicklichen Weltlaufes im realen und idealen Sinne zu unterrichten«. – Was aber haben die Jungdeutschen thatsächlich gethan, um den Treitschkeschen Vorwurf ihrer »Fremdbrüderlichkeit,« ihres »Buhlens mit dem Ausland« zu rechtfertigen? Sie haben unter ausdrücklicher Berufung auf Goethe eben sein Prinzip der Weltliteratur sich zu eigen gemacht, wie es übrigens unbewußt schon immer in der deutschen Literatur gewaltet hatte. Sie haben dies gethan unter starker Hervorkehrung ihrer nationalen Eigenart und nationalen Unabhängigkeit. Und was hat sie ferner eine Zeitlang zu Tagesschriftstellern werden lassen unter Hintanstellung ihres poetischen Talents und der inneren Glückseligkeit, die das weltabgewandte Kunstschaffen dem Dichter bereitet? Eben jener Drang der Zeit, dessen Wehen selbst der einsiedlerische Dichterfürst in Weimar verspürte, eben der Trieb, die »gesellige Bildung« »universell zu machen« und das Bedürfnis, am »Zustande des augenblicklichen Weltlaufs im realen und idealen Sinne« Antheil zu nehmen.
In dem vorhergehenden Bande seiner »Deutschen Geschichte« hat Treitschke von Rückert gerühmt, daß er nie die Fühlung verloren mit den Kämpfen des Tags und als die Schwäche Platens als Dichter mit vollem Recht die Unfähigkeit erklärt, sich hinzugeben, ganz hinauszugehen aus seinem anspruchsvollen Ich. Dort hat er hervorgehoben, daß selbst das Haupt der romantischen Schule sich dem realistischen Zug der Zeit nicht habe entziehen können und mit besonderer Sympathie diejenigen Novellen Ludwig Tiecks erwähnt, »welche alles Märchenhafte abweisend ihren Stoff dem wirklichen Leben, zumeist der Gegenwart entnahmen«. In Durchführung dieser Betrachtung hätte er jetzt die Schriftsteller, welche den völligen Sieg dieses realistischen Prinzips über das romantische bewirkten, mit besonderer Anerkennung bedenken und an den früher Genannten die Weiterentwickelung des Prozesses verfolgen müssen. Jetzt aber sind ihm nur noch diejenigen Poeten anerkennenswerth, die – ich wiederhole die sinnige Floskel – »den stillen Blumengarten der Dichtung vor der schneidenden Zugluft des Tages sorgsam einhegten«, und er preist um dieser Eigenschaft willen den vereinsamten Rückert und seine Weisheitsdichtung als Vorbild. In jenem früheren Bande störten ihn an Chamisso die »französischen Ideen« nicht, und er rühmte, daß seine schönsten Gedichte dem modernen Leben angehörten, »das immer gebieterischer sein Recht von der Kunst verlangte«. »Auch das Elend der Massen hörte er schon an das Thor der alten Gesellschaft klopfen …« Jetzt citiert er zum Lobe Chamissos die gelegentliche Wendung »Verklagt die Mitwelt bei der Nachwelt nicht«, mit der er die poetischen Neuerer abgelehnt haben soll. Zur Ehre Chamissos sei gesagt, daß er trotz solch gelegentlicher Stimmung auch selbst die Mitwelt, soweit sie elend war, bei der Nachwelt verklagt hat. Man lese sein »Memento«, an die »Mächtigen der Erde« und ähnliche Gedichte, die von edelstem Freiheitsgefühl und echtestem Männerstolz erfüllt sind – »Lord Byrons letzte Liebe« war auch die seine. Und als Chamisso 1831 in seinem Berliner Dichterverein einen Trinkspruch hielt, da wies er auf die Zeit hinaus, in welcher
Hochanschwellend, donnernd der Geschichte Strom
Die starren langgehegten Eisesfesseln sprengt, –
in der ein neues Leben unter Trümmern sich Bahn breche und im Sturm die Welt sich umgestalte. In solcher Zeit verhalle das Lied ungehört, aber ihre Sache sei es, die Gottesgabe des Gesangs zu wahren, bis es ihnen, vielleicht erst als hochergrauten Barden, vergönnt sein werde, die Sonne mit Hochgesang zu grüßen, welche, das Gewölk zerteilend, die verjüngte Welt bescheinen werde. Prophetisch brachte er sein Glas der »fernen Zukunft einer neuen Liederzeit«. Und in demselben Tone schloß sein Eröffnungsgedicht zum deutschen Musenalmanach von 1833 mit der Klage: der Ernst der Zeit habe die Lust am Saitenspiele verdrängt. Dennoch lernte auch er es, sein Saitenspiel zur Aeolsharfe für die Stürme der Zeit zu machen. Wer aber hat dies überhaupt in jener ganzen Reaktionsperiode energischer und machtvoller gethan als Ludwig Uhland, der hier ganz übergangen wird, der unbeugsame Schwabe, der – selbst ein Sänger und ein Held – aus dem Schlachtfeld von Leipzig einen der Gefallenen des Freiheitskampfes am Tage der Völkerschlacht herabbeschworen auf die Erde, damit er Umschau halte in der »Mitwelt« und Umfrage bei den Fürsten und Völkern, ob sie gehalten, was der ausgesetzte Preis jener furchtbaren Kämpfe gewesen.
»Ihr Fürsten, seid zuerst befraget!
Vergaßt ihr jenen Tag der Schlacht,
An dem ihr auf den Knieen laget
Und huldigtet der höhern Macht?
Wenn eure Schmach die Völker lösten,
Wenn ihre Treue sie erprobt,
So ist's an euch, nicht zu vertrösten,
Zu leisten jetzt, was ihr gelobt.
Ihr Völker, die ihr viel gelitten,
Vergaßt auch ihr den schwülen Tag?
Das Herrlichste, was ihr erstritten,
Wie kommt's, daß es nicht frommen mag?
Zermalmt habt ihr die fremden Horden,
Doch innen hat sich nichts gehellt,
Und Freie seid ihr nicht geworden,
Wenn ihr das Recht nicht festgestellt.«
Daß diese freiheitliche Tendenzpoesie das heranwachsende Poetengeschlecht mächtig beeinflußt, daß der untadelige Uhland als Tyrtäus der Freiheit diese böse Tendenzpoesie in Deutschland eingeleitet hat, das paßt freilich nicht in die Beleuchtung, in welcher Treitschke die neue Richtung hier zeigen wollte.
Wo es aber doch nicht angeht, die politische Tendenz eines jener Lyriker zu verschweigen, und er dabei, wie im Falle Anastasius Grüns, des Grafen Auersperg, nicht die ihm angeborene »hohe« Achtung vor dem »Sohn des hohen Adels« verleugnen mag, so thut er dies nicht ohne einen Hieb auf die politische Lyrik der andern, die, »ganz dem Auslande zugewendet, erst die Spanier und die Griechen, dann die Franzosen und die Polen verherrlichte.« Er rühmt an ihm – und gewiß mit Recht –, daß seine politische Lyrik in der Heimat gewurzelt habe, setzt aber sogleich hinzu: »Von tiefen politischen Ideen besaß der Wiener Poet nichts.« Doch an einem Grafen Auersperg, der übrigens im Gegentheil hohe Begabung für die praktische Politik bekundete und Miturheber des Verfassungsentwurfs für Steiermark war, ist ihm dies kein Fehler; ihm gesteht er zu, daß gerade diese »unbestimmte Begeisterung für die Freiheit« den Gesinnungen der Zeit entsprach. Gewiß – aber warum dann diese »unbestimmte Begeisterung für die Freiheit« an Söhnen derselben Zeit, an den zum rauhen Kampf ums Dasein gezwungenen, aus den Tiefen des Volks sich zur Freiheit poetischen Wirkens emporringenden Dichtern, wie Gutzkow und Laube, so hart tadeln?
Einen umfassenden Freibrief aber hat Treitschke den von ihm Verketzerten auf den Seiten ausgestellt, die vom Lobe Immermanns handeln. Hier ist zu dessen Rechtfertigung als Treitschkesche Weisheit verkündet, was zu dem wesentlichen Kern des literarischen Reformprogramms von Laube, Wienbarg, Gutzkow und Genossen gehört hat. »Den prosaischen Lebensformen der modernen Welt,« heißt es hier, »den Interessen und Gedanken der verwandelten Gesellschaft vermochte die lyrische Dichtung längst nicht mehr zu genügen. Was die neue Zeit an poetischem Gehalte besaß, konnte nur der Romandichter erschöpfend aussprechen, wenn er in ungebundener Rede den Kämpfen und Widersprüchen des wirklichen Lebens nachging. Mochten die Aesthetiker der Hegelschen Schule immerhin versichern, daß die Ideale der Gegenwart im Drama allein die vollendete künstlerische Gestaltung empfangen müßten: die Erfahrung jedes Tages strafte sie Lügen. Die ästhetische Empfänglichkeit eines Volkes läßt sich durch die Machtsprüche der Theorie ebensowenig meistern, wie die Gestaltungskraft der Künstler. Der Roman wurde in Deutschland für lange Jahre die zeitgemäße Form der Dichtung wie ein Jahrhundert zuvor in England.« Dies vorausgesehen und vorausgesagt zu haben, schon zu einer Zeit, wo die Epigonen Schillers und Goethes in flacher Nachahmung von deren Dramatik ausgingen, wo Raupach und Kotzebue die gefeiertsten Autoren des Tages waren, ist gerade das Verdienst der Jungdeutschen: damals aber war es Offenbarung einer vorausschauenden Zeitempfindung, heute ist es ein Gemeinplatz. In Laube's, Wienbargs und Gutzkows ästhetischen Feldzügen, in Mundts »Kunst der deutschen Prosa« ist diese Anschauung eine Gemeinsamkeit. Treitschke verschweigt diese Thatsache und macht Immermann als den Verfasser der »Epigonen« zum Bahnbrecher auf diesem Gebiete. Wir werden zu zeigen haben, daß dem letzteren auch in der Produktion die Jungdeutschen mit ihrem Beispiel vorangingen, und daß Immermann selbst nach Beendigung des »Münchhausen« die satirischen Ausfälle in diesem Roman auf Gutzkow und das »Junge Deutschland« bereut hat. Treitschke und so mancher andere Gegner Gutzkows hat mit besonderem Behagen Immermanns Verspottung der »Wally« u. s. w. im »Münchhausen« hervorgehoben. Immermann selbst aber sandte seinen »Münchhausen« im September 1838 direkt an Gutzkow und schrieb: »E. W. erlaube ich mir, den ersten Band einer vor einigen Tagen von mir herausgegebenen Arbeit zu übersenden. Der Inhalt des Buchs ist zum Teil satirisch-humoristischer Art und auch Ihrer ist in dieser Region gedacht worden. – Meine Zusendung kann Ihnen nach diesem Vorworte sonderbar erscheinen; dennoch zwang mich eine innere Nothwendigkeit zu diesem Schritte, den ich thue, ohne die Möglichkeiten eines vielleicht nicht nach meinem Sinne ausfallenden Erfolgs ängstlich abzuwägen. Wie nämlich der Spott, welchen der Held meiner Geschichte über Personen und Dinge ergießt, in mehreren Fällen nicht die ganze Meinung des Autors ausdrückt, so findet dies namentlich im besonderen Grade bei dem über Sie Beigebrachten statt. Neben dem, was in Ihrem bisherigen schriftstellerischen Wirken sich mit meinem Gefühle und meiner Ueberzeugung nicht vereinigen lassen will, steht mehreres, was ich höchlich achte; ja, ich kann sagen, daß die Anerkennung Ihres Gangs und Verdienstes in mir bedeutend die ablehnenden Empfindungen überwiegt.« Im vorletzten Kapitel dieses Buches wird gezeigt werden, auf welch ritterlicher Gesinnung dieses offene Bekenntniß beruhte und zu welch innigem Anschluß an den jüngeren Genossen der ältere Dichter bereit war; hier wollen wir nur noch kurz erwähnen, daß auch von Rückert ein Begrüßungsgedicht an die Jungen von uns mitgeteilt werden wird, das von ganz anderen Gefühlen eingegeben war als dem der Ablehnung, die der Historiker Treitschke ihm nachsagt.
Der Antagonismus zwischen den Lyrikern und Prosaikern, den älteren und den jüngeren der deutschen Dichter jener Periode, ist überhaupt keineswegs von Anfang an der prinzipielle gewesen, wie er vielfach später, erst unter der Nachwirkung von persönlichen Verstimmungen, namentlich zwischen Heine und den »Schwaben«, sich geltend gemacht hat, wie dies ja auch zwischen den Genossen der Bewegung leider geschehen. Zu Heines größten Verehrern gehörten Wilhelm Müller und Anastasius Grün; Börne erfreute sich aufrichtiger Sympathie von seiten Uhlands. Wie kräftig Chamisso und seine Berliner Freunde nach dem Bundeserlaß gegen Heine für diesen eingestanden, indem sie in Widerspruch zu Schwab, dem Mitherausgeber des Berliner Musenalmanachs, durchsetzten, daß dessen Bild an die Spitze des neuen Bandes gestellt werde, hat erst neuerdings Karl Emil Franzos eingehend erzählt. Thatsächlich konnte sich von allen Dichtern der Zeit kaum einer der Wirkung des politischen Ideenstromes entziehen, der erst Anfang des dritten und dann Anfang des vierten Jahrzehnts das deutsche Geistesleben durchfluthete. Keiner der deutschen Dichter, die als Männer, Jünglinge oder Knaben die Niederwerfung des korsischen Jochs in den Freiheitskriegen und dann die Knechtung der Freiheit und die Vernichtung der Einheit durch die Diplomatenkniffe der Wiener Friedensdeputirten mit stärkerem Antheil erlebt hatten, ist von den Ereignissen unberührt geblieben, welche als Morgenröthe einer Besserung der politischen Zustände begrüßt werden durften. Auch Eichendorff und Wilhelm Müller, die heiteren Verherrlicher einer romantischseligen Auffassung der Natur, auch Platen, der formal so hochbegabte irrende Ritter eines von Hölderlin bereits tragisch gebüßten weltabgewandten Poesie-Ideals, haben den Keimwind dieses Völkerfrühlings empfunden. Als Morgenroth einer neuen Zeit wurde der Befreiungskampf der Griechen Anfang der zwanziger Jahre nicht nur von Byron. sondern auch von deutschen Dichtern wie Wilhelm Müller begrüßt; und wie auf Laube machte die polnische Revolution von 1831 mit ihren anfänglichen Siegen den Eindruck eines poetischen Erlebnisses auf Platen, Lenau und Julius Mosen. Der erste, der ein »politisches« Nachtwächterlied sang in der später von Dingelstedt aufgenommenen Tonart, war Chamisso, und die politische Satire auf den deutschen Michel, der die Zeit zum Handeln verschläft, ist nicht erst entstanden in der Frühzeit des deutschen Parlamentarismus, sondern hat ihren Ursprung in der Frühzeit der deutschen Romantik, als Arnim und Brentano dem deutschen Volk »des Knaben Wunderhorn« kredenzten und in Heidelberg die Einsiedlerzeitung herausgaben. Daß die Auffassung der Griechen und Polen, sowie der Tiroler unter Hofer als Freiheitskämpfer zumeist eine romantische war, entsprach ebenso der Bildung der Zeit, wie das romantische Hinauspilgern deutscher Freiheitsschwärmer zur Theilnahme an den Kämpfen fremder Nationen für deren politische Freiheit, zu welchem Byron ein so glänzendes Beispiel gegeben, nachdem schon 1772 Lafayette und Kosciuszko ähnliches gethan, als die Wirkung der Unabhängigkeitserklärung von Amerika die Welt erfüllte und auch die deutschen Stürmer und Dränger Klinger, Wagner, Heinse den Vorsatz faßten, übers Meer zu gehen, »um für die Freiheit zu fechten«. Die phantasievollsten unter den Flüchtlingen vor den Demagogenprozessen sehen wir demselben Drange folgen. Laubes »Junges Europa« war ein Versuch realistischer Abspiegelung dieses Dranges. Bis auf wenige Ausnahmen haben fast alle deutschen Dichter, die in jener Uebergangszeit wirkten, an sich die Wirkung der auswärtigen Revolutionen erfahren und durch dieselbe einen Umschwung von romantischer zu realistischer Stimmung und Darstellung erlebt. Der Vergleich, wie und was die genannten Lyriker vor und nach der Julirevolution gesungen haben, giebt dafür die interessantesten Belege. Sie alle spürten auch die Lust, ihre Gedichte hinauszugeben zur Zeit, da sie entstanden, und sie auf diese wirken zu lassen durch den Druck in Zeitschriften und Zeitungen.
Aber viel bedeutsamer für die Zeit als diese zeitgemäß gestimmte romantisch-politische Lyrik war der entschiedene Bruch mit aller Romantik und die entschlossene Hingabe einer neuen Dichtergeneration an die Wirklichkeit und ihre Forderungen unter Verzicht aus den Schmuck des Verses und die rhythmische Gestaltung der Rede. So schattenhaft und rhetorisch noch vieles in Laubes genanntem Roman ist, so groß ist doch der Fortschritt in Bezug auf realistische Gestaltung der damaligen Hoffnungen und Zustände, wenn man sie in dieser Beziehung mit Platens oder Lenaus ergreifenden Polenliedern, mit A. Grüns empfindungsfrischen Spaziergängen eines Wiener Poeten vergleicht. Gutzkow und Laube haben auch mit Versen ihre Dichterlaufbahn begonnen, und daß in ihnen echte Dichterkraft reifte, welche die Kunst der gebundenen Rede beherrschen konnte, haben sie später in ihren besten Dramen, wie Uriel Akosta und Essex, bewiesen. Es war der Geist der Zeit, der ihre jungen Geister zwang, den Zuständen scharf ins Auge zu sehen, sie mit kritischer Schärfe und in geharnischter Prosa zu bekämpfen. Der Trieb zur geklärten Formenschönheit und die klangschöne Darstellung des persönlichsten intimsten Empfindens sahen sich für eine Weile genöthigt, vor den Stürmen dieser Zeit ihre Zuflucht in den bildenden Künsten und in der Musik zu nehmen, obgleich auch hier der moderne Geist in einer Zersetzung der Formenwelt, in einer auf Zeitideen anspielenden Symbolik und beziehungsreichen Stoffwahl, in einer realistischeren Erfassung des Zwecks und des Wesens der Kunstmittel sich vielfach offenbarte. Wo aber eine dichterische Natur in spröder Ablehnung dem allgemeinen Drange sich entgegenstellte und gemäß ihrem innersten Bedürfen nach formenschöner Gestaltung von rein dichterisch geschautem idealem Menschenthum ihr Talent auslebte, da verfiel sie der Vereinsamung. Das war vor allen auch Grillparzers Loos, nachdem die ihm günstige Zeit der »Restauration« vorüber. Als die Jungdeutschen später die Versöhnung gefunden hatten ihrer Geistestendenz mit den Kunstgesetzen, wie sie die Meisterwerke aller Zeiten lehren, als sie ins Vordertreffen Derer traten, die Shakespeare, Schiller, Goethe im Bühnenleben der Nation die ihrer Kunst gebührende Stellung sicherten, da war es einer der Ihren, Heinrich Laube, welcher die ihm zugefallene Macht des artistischen Leiters der ersten deutschen Bühne vornehmlich auch der klassischen Dichtung Grillparzer's zu Gute kommen ließ, die in abgeschiedener Einsamkeit in dem »Capua der Geister«, dem Wien Metternich's, geblüht hatte, während Laube selber in Preußen für sein eigenes unklassisches Jugenddichten ein Flüchtling, ein Verbannter, ein Gefangener gewesen war.
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Man hat die deutschen Schriftsteller, welche im vierten Jahrzehnt unsres Jahrhunderts mit den Mitteln der Poesie und literarischen Kritik politische Opposition machten, vielfach mit den französischen Encyklopädisten verglichen, deren literarisches Wirken der französischen Revolution vorausging. Auch die Anklageschrift des preußischen Gesandten am Bundestag, Generals von Schöler, die auf Unterdrückung der jungdeutschen Schriftsteller ausging, enthielt jenen Hinweis. Ohne den Vergleich direkt an den Personen durchführen zu können – hatte doch z. B. die Gruppe der letzteren kein kritisches Talent von so bahnbrechender Bedeutung wie das Diderots aufzuweisen, die Encyklopädisten kein so gestaltungskräftiges, ausgiebiges Dichtertalent wie das Gutzkows – so lassen sich an der allgemeinen Physiognomie beider Perioden wirklich viel ähnliche Züge entdecken. Hier wie dort der Kampf gegen das Konventionelle, gegen den in Formenkultus gerathenen Klassizismus; in Kunst, Kritik und Wissenschaft eine Hingebung an das Wirkliche, in Anknüpfung und Einwirkung ein Drang zu lebendiger Gegenwart. Hier wie dort Vorwehen der politischen Revolution im Leben der Geister. Sturm gegen die Privilegien der Aristokratie und die Machtbefugniß des Klerus. Ein Suchen und Tasten nach neuen Formen und neuen Gedanken und dabei doch ein Epigonenthum, das noch im Bann steht einer abblühenden reiferen Kunstperiode. Vor allem Aehnlichkeit im Charakter der Schriftstellerei! Dasselbe Ueberwiegen der Kritik und Spekulation im Wirken poetisch veranlagter Naturen, dasselbe Vertrauen in die Literatur als Bahnbrecherin des sozialen und politischen Umschwungs der Zustände, ein ähnliches Durchdringen des poetischen Stoffes mit einer aktuellen praktischen Tendenz und Durchsetzen der poetischen Formen mit Elementen der rein belehrenden Rede. Hier und dort die gleiche Freude an Witz und Satire als den wirksamsten Waffen gegen die Uebermacht privilegierter Gewalten. Und was von D. Fr. Strauß und Karl Rosenkranz in ihren Biographien von Voltaire und Diderot zur Erklärung der damaligen Erscheinungen geltend gemacht worden ist, muß ebenso von uns zu Gunsten der Jungdeutschen in Anspruch genommen werden.
Jedenfalls ist die Aehnlichkeit der jungdeutschen Bewegung mit der Encyklopädistenzeit eine viel größere als diejenige, die sich zwischen ihr und der gleichzeitigen Geistesbewegung des französischen Romantismus nachweisen läßt. Aber es ist völlig falsch, wie es auch durch Wehl geschehen, die Bestrebungen der Jungdeutschen als ein Produkt französischen Einflusses hinzustellen, als eine Verimpfung des Pariser Esprits auf die deutsche Literatur. Die ältere Geistesbewegung der Franzosen steht ihnen darum näher, weil beide auf politische Ergebnisse abzielten, während Victor Hugo und die Seinen in den dreißiger Jahren die Politik haßten und flohen. Frankreich besaß ja längst ein Parlament, eine freie Presse, die Herrschaft des Bürgerthums – die jungen Genies waren übersättigt von der Prosa der politischen Debatten; die Thatsächlichkeit derselben hatte die Politik in ihren Augen des verklärenden Schimmers beraubt, mit welchen die Sehnsucht der deutschen Idealisten zur selben Zeit sie umkleidet sah. Wie sehr Deutschland in politischer Beziehung hinter Frankreich zurückgeblieben war, spiegelt sich in diesem Verhältniß. Anders verhielt es sich in Sachen der Kunst. Der Kampf, den Victor Hugo als Wortführer eines »jungen Frankreich« gegen den unnatürlichen Formalismus des klassischen Dramas seiner Nation aufnahm – die Vorrede zu »Cromwell« (1827) enthält das Programm – hatte in Deutschland bereits Lessing durchgeführt, was freilich nicht verhindert hatte, daß Goethe und Schiller nach der realistischen Lebenswärme ihrer Jugenddramen ihre Laufbahn als Dramatiker mit der »Natürlichen Tochter« und der »Braut von Messina« beschlossen. Was Hugo in seiner Kritik bot, besaßen wir geistvoller, vertiefter längst in Lessings Dramaturgie; was er in »Hernani« gestaltete, wirkte viel großartiger und genialer längst in Schillers Räubern. Was Guizot und Jener zum Ruhme Shakespeares sagten, das war durch Goethe, A. W. Schlegel und andere in Deutschland längst Substanz der allgemeinen Bildung geworden. Das spezifisch Romantische in Hugos Jugendwerken, in den Orientales, dem Notre dame de Paris, in Nodiers und Gautiers Märchenpoesie, war angeregt durch die deutsche Romantik; das junge Deutschland suchte sich gerade von dieser zu emanzipieren. Der französische Romantismus hatte freilich zugleich auch ein starkes realistisches Element von moderner Tendenz und revolutionärer Grundstimmung. Und dieses hat allerdings seinen Einfluß auf die deutsche Literatur gleich damals geltend gemacht. Nicht nur auf Börne und Heine, denen dies Element als Pariser Fluidum gleichsam mit der Pariser Luft einging, sondern auch auf die jüngeren, namentlich auf Laube und Mundt. Gutzkow und Wienbarg waren selbständiger und spröder. Das Jenen Gemeinsame war der Kampf gegen das Herkömmliche und Korrekte, der Trieb zur Neuerung in der poetischen Formenwelt, das Verlangen nach realistischer Farbengebung in der Schilderung des Thatsächlichen, nach Stoffen voller Leidenschaft, nach Darstellung voll Blutwärme. Das war im Grunde allein doch auch, was die Bundesgenossen Hugos, die mit ihm in seiner Wohnung Rue Notre Dame des Champs oder in der Dachstube Petrus Borels für die neue Aera einer »freien« Kunst schwärmten, vereinigte, was die fremdstofflichen Dramen Hugos den Leidenschaftsromanen der Dudevant-Sand und den Romanzen Alfred de Mussets verwandt machte, was die A. Dumas, St. Beuve, Merimée, Balzac, Gautier für eine Weile zum Zusammenschluß antrieb. Das Beispiel dieses Zusammenschlusses war ferner ein Moment, das mächtig auf die Jungdeutschen einwirkte und sie in dem Verlangen nach einem ähnlichen Zusammenschluß bestärkte. Als ihr eigener so schmählich unterdrückter Versuch im Werden war, fehlte es auch nicht an Hinweisen auf das Vorbild in ihren Organen. Eine Uebersetzung der bisherigen Werke von Victor Hugo befand sich unter den Unternehmungen, die gemeinsam in Frankfurt geplant wurden. Die einheimische Staatspolizei erkannte aber gar scharf den Unterschied und trat dem entstehenden Bund entgegen als einer politisch-revolutionären Bestrebung mit ästhetischen Mitteln. Und in dieser Kunst hatten sie allerdings von französischen Mustern profitirt; aber nicht nach den »Dichtern« der romantischen Schule, sondern nach den großen publizistischen Talenten des Volkes, das für ganz Europa die große Revolution von 1789 durchgeführt, haben sie sich gerichtet. Von den historischen Parallelen eines Camille Desmoulins bis zu den sozialkritisch angehauchten humoristischen Feuilletons ihres Zeitgenossen Jules Janin läßt sich die Einwirkung verfolgen, welche unsre Schriftsteller mitbefähigt hat, den Journalismus in Deutschland auszubilden zu einer literarischen Kunst. Thiers' Geschichte der französischen Revolution wurde ihnen allen dabei zum Leitfaden.
Was aber speziell ihren »Esprit« betrifft, so waren die Elemente der Ironie und Satire in ihrer Schreibweise keineswegs nur »französischen« Ursprungs. Der herbe Humor Börne's war ebenso eigenes und deutsches Gewächs wie die kecke Satire und die lächelnde Melancholie Heine's, was Niemand schärfer und feiner beurtheilt hat, als die französischen Schriftsteller, welche diese deutschen Schriftsteller zum Gegenstand ihrer Kritik machten. Daher der mächtige Einfluß beider auf die deutschen Zeitgenossen, die weder etwas französisch noch etwas jüdisch Fremdartiges in ihrer Schreibweise empfanden, bis ihre Gegner sie als Juden und Franzosen verschrieen. Wenn wir ein Recht hätten, wie es geschehen, unter dem »jüdischen Witz«, der damals in die deutsche Literatur eingedrungen oder, nach Treitschke, »eingebrochen« sein soll, das pietätlose Witzeln über Profanes und Hohes ohne sachlichen Antheil zu verstehen, so träfen diese Merkmale allerdings auf einen Witzling zu, der damals im politisch indifferenten Publikum unendliche Beliebtheit genoß, auf Saphir, aber nicht auf Heine und Börne. Saphir hat den Kalauer literaturfähig gemacht: Saphir aber erfreute sich der Stellung eines Hofnarren Sr. Majestät König Ludwig I. von Bayern mit dem Titel eines Hofdramaturgen! Man lese zum Vergleich die Stelle in Heine's Nachrede zu dem zweiten Bande der »Reisebilder«, wo er seinen Humor und sich selbst als den Hofnarren des deutschen Volkes schildert, als den Kunz von der Rosen der deutschen Nation, der für seinen gefangenen Herrn nicht nur nach tröstendem Scherzwort, sondern vor allem nach dem befreienden Erlösungswort sucht. Jean Paul und die von Solger treffend definirte Ironie der deutschen Romantiker haben Börne weit mehr befruchtet als irgend ein Franzose. Heines Harzreise hatte kein Vorbild in Frankreich; Sterne's »empfindsame Reise«, Seume's »Spaziergang« und Lord Byrons »Pilgerfahrt« sind die wichtigsten Ahnen des Stammbaums, an welchem die Harzreise einen der frischesten, vollsaftigsten, eigenwilligsten Triebe bildet. Seiner Frivolität mit ihrer geistesstolzen Selbstüberhebung und gemüthsweichen Selbstverspottung hatte das Gepräge die Zeit gegeben, der Zersetzungsprozeß zwischen Voltairianismus und Romantik, die aus den enttäuschten Hoffnungen sich ergebende Skepsis; das Häßliche an ihr theilte er mit vielen, die damals im Vordergrund der vornehmen Welt standen; aber nur er hatte die Gabe, ihre Aeußerung zur lustigfunkelnden Pfeilspitzvergoldung ernster Gedanken zu machen. Auch A. von Maltitz, Karl Julius Weber und viele andere Schriftsteller der Zeit übten sich in politischer Satire; Adolf Glaßbrenner führte den Berliner Volkswitz in die Literatur ein und erzielte mit dessen Verwendung zur Zeitsatire große Wirkungen; aber keiner hat Heine und Börne nur entfernt in der Kunst erreicht, im Witz tiefste Empfindung und hochstrebende Gedanken wie in elektrischem Funkensprüh'n zu entladen. Gleich in seinen ersten Feuilletons, 1821 in den »Berliner Briefen« für den »Rheinisch-westfälischen Anzeiger«, saß Heine sogleich fest im Sattel, weil in seinem eigenen – als geborener »leichter Reiter«-General in den Geisteskämpfen der Zeit. Was aber an Heine's und Börne's Nachfolgern in diesem Dienst nicht aus Eigenem erwuchs, war weit mehr von ihrem Beispiel angeregt als von irgend einem anderen.
Auch der Vorwurf Treitschke's, die »Fremdbrüderlichkeit« unserer Schriftsteller (dieser gewiß klassische Ausdruck soll wohl ihre Bereitwilligkeit geißeln, auch Menschen fremder Nationalität als Menschenbrüder anzuerkennen), ihre »Fremdbrüderlichkeit« habe zu einer Verwischung des deutschen Stils und der deutschen Sprache geführt, ist historisch betrachtet eine unhaltbare Behauptung, die eine grobe Undankbarkeit in sich schließt. Obgleich Börne und Heine bei ihrem Aufenthalt in Paris in den Geist der französischen Sprache wie wenige deutsche Schriftsteller eindrangen und sie frei zu handhaben lernten, war doch die Wirkung davon auf ihre deutsche Schreibweise nur, daß sie an der verwelschten Heimathsprache zu Sprachreinigern wurden und ihre eigene Art zu fühlen und zu denken mit souveräner Sprachbeherrschung in einem ihnen ganz persönlich gehörenden Stil ausprägen lernten. Sie waren Veredler und Beleber der deutschen Sprache; an die Stelle der herrschenden, in Abstraktionen und Verallgemeinerungen sich ergehenden Ausdruckweise setzten sie frische lebendige Anschaulichkeit, dem Schwulst traten sie mit sachlicher, auf das Wesen der Dinge gerichteter Kürze entgegen, in der Behandlung wissenschaftlicher Fragen warfen sie den erdrückenden Ballast von Fremdworten, den so viele deutsche Gelehrte in ihren Schriften aufgespeichert, muthvoll über Bord, wußten das deutsch Gedachte auch deutsch zu sagen und schmeidigten den Stil zur Besprechung der schwierigsten Fragen in gefälliger gemeinverständlicher Form. Was Heine hierin auf philosophischem Gebiete geleistet, ist von den Kennern seiner Prosa stets bewundert worden, und wäre bewundernswürdig, auch wenn das abschreckende Beispiel von Hegels Terminologie nicht als Vergleichsobjekt daneben stände. Was aber Börne betrifft, so hat er auf die Sprache der Diplomaten, auf die politische Redeweise, einen ähnlich reinigenden Einfluß geübt, wie Luther auf die Sprache der Theologen, wie Lessing auf die Sprache der Kunstkritik, wie Humboldt auf die der Naturbeschreibung und Heine neben Schopenhauer auf die Sprache der Philosophen. Er hat eine ganze Reihe von Ausdrücken, die uns heute, als hätten sie immer bestanden, von Mund zu Munde gehen, aus deutschem Sprachgeist für Begriffe neu geprägt, welche die herrschende Sprache der deutschen Fürstenhöfe, der deutschen Staatsmänner in verdorbenem Französisch dem öffentlichen Sprachgebrauch überliefert hatte. Und Börne war sich dieser Thätigkeit wohl bewußt; diente er damit doch seinem Grundprinzip: die Wissenschaft dem Leben, die Wahrheit dem Volk zu vermitteln. Er konnte in seinem Eifer sogar zu weit gehen und als er einmal statt der Bezeichnung Rezensent das Wort »Buchrichter« anwandte, bemerkte er dazu: »Uns arme Sprachreiniger verlache man nicht – das ist unsere Beute aus dem Befreiungskriege der Deutschen.« Daß bei diesen kühnen Neuerungen auch mancher Fehlgriff unterlief, daß im Eifer des Bekennens und Bekämpfens auch manches unnöthige Fremdwort beibehalten wurde, daß Heine in seinem Streben nach Eleganz und Grazie gelegentlich der Unterhaltungssprache der damaligen eleganten Welt Zugeständnisse machte, die mit seinem Hauptbestreben nicht übereinstimmten, dies mindert sehr wenig das große Verdienst. Und auch den jungen Schriftstellern, die ihrem Beispiele folgten, ist das gleiche Streben nachzurühmen, so verschieden auch in den einzelnen Stadien ihrer Entwickelung der Erfolg war und so schwer es in ihrer Sturm- und Drangzeit ihnen fiel, ihren gelehrten Bildungsgang durch Hegels Schule und ihr Studium französischer Schriftsteller ganz zu verleugnen. Diese Schwäche theilten sie mit vielen Zeitgenossen; jenes Streben mit nur wenigen Auserwählten. Auch in dieser Beziehung sind diese jungen Geister Bewegungskräfte einer gewaltige Befreiungen anbahnenden Uebergangszeit, auch in ihr spiegelt sich ihr Schicksal, gleichzeitig Epigonen einer großen, ins Transcendente und Transcendentale gerathenen Vergangenheit in Kunst und Philosophie und Pioniere einer neuen Zeit zu sein, in welcher die politischen Interessen alle anderen in Anspruch nahmen oder belebten.
Und hieraus ergiebt sich auch unsre Auffassung von der welthistorischen Bedeutung der von uns zu schildernden Erscheinungen.
Janus, der Gott alles Kulturanfangs, nach welchem die Römer den ersten Jahresmonat Januarius nannten und dessen Bildniß die Symbole des Sonnenjahrs zu Attributen hatte, wurde von ihnen mit einem Doppelantlitz dargestellt. Das eine, rückwärts blickend, hatte die Züge des Alters; das andre, vorwärts gerichtet, erstrahlte in der Frische der Jugend.
Die Zeit in ihrer Unendlichkeit, ob auch ein Jahr nach dem andern verrinnt, ob sie bisweilen auch die Spuren des Greisenalters trägt, verjüngt sich immer aufs neue; auch die Epochen der Geschichte tragen ein Doppelgesicht, und die eine Hälfte desselben schaut voll jugendlicher Hoffnung in die Zukunft. »Die Welt wird alt, sie wird wieder jung, und der Mensch hofft immer auf Besserung,« singt Friedrich Schiller, der ewigjunge.
In einem seiner literarhistorischen Werke hat Wilhelm Scherer den Gedanken ausgeführt, daß in der Geschichte der Poesie frauenhafte und männische Zeitalter einander folgen. In frauenhaften Zeiten bestimme der Einfluß des weiblichen Geschlechts wie Sitte und Brauch so auch Denken und Dichten der Männer, die schöne Literatur werde in Rücksicht auf Frauen und Mädchen geschrieben, ein frauenhafter Zug der Nachgiebigkeit und Passivität hafte dann selbst der männlichen Jugend an. In männischen Geschichtsperioden bestimme der Mann, ohne zarte Rücksicht auf die Frauenwelt sein Schicksal, der Ton in Sprache und Benehmen sei rauher und derber, ernste Fragen des öffentlichen Interesses bewegen die Literatur, die Künste der Galanterie werden vernachlässigt und finden keine poetische Verherrlichung mehr. Mit ähnlichem Rechte lassen sich in der Geschichte der Nationen, besonders in der des geistigen Lebens, jugendliche und greisenhafte Zeitperioden als die Pole größerer Entwickelungsläufe unterscheiden.
Wir gewahren, wie in gewissen Uebergangszeiten Alter und Jugend das Scepter tauschen, wie einer Epoche, deren Schicksal die Tugenden und Fehler des Alters bestimmen, eine andre folgt, in der eine Generation von Jünglingen die Entwickelung der allgemeinen Interessen beeinflußt: in dieser überschäumendes Wollen, thatenfröhliches Hoffen, selbstlose Hingabe an ideale Güter und der Trieb, für deren Verwirklichung zu kämpfen oder zu fallen; in der andern die ernste Sorge, geliebten Besitz festzuhalten, das Bestehende vor Erschütterung und Zerstörung zu schützen und Neuerungen, deren Wirkung bedenklich erscheint, nach Möglichkeit abzuwenden. Da mächtig treibende Reformideen und Fortschrittsgedanken, hier der Wunsch nach Ruhe und Reaktion gegen den Andrang eines neuen Geschlechts mit unklaren Forderungen. Alter und Jugend – sie haben widerstrebende Bedürfnisse und Kräfte; Jugend will blühen, das Alter ernten. Zeiten ruhigen Wachsthums der Kultur zeigen den Widerstreit dieser Interessen in fruchtbarer Wechselwirkung und harmonischem Gleichgewicht. Wenn aber das Alter in eigensinniger Selbstüberschätzung seine Macht mißbraucht und alles Werdende mit Unterdrückung empfängt, so ist Stagnation und greisenhafte Unfruchtbarkeit die traurige Folge. Reißt dann wieder die Jugend im Verzweiflungskampf oder Uebermuth alle Herrschaft an sich, ohne genügendes Gegengewicht von seiten gereifter Manneskraft, so tritt die Welt in das Zeichen der Revolution. Doch was so jung sich fühlte, wird wiederum alt, das Errungene wird fester Besitz, die in der Jugend Stürmer und Dränger waren, werden jetzt die Vertheidiger der neubestehenden Ordnung. So wechseln die Heerhaufen, wechseln Parole und Losung; der Kampf aber bleibt: alte Weltanschauung wird verdrängt von der neuen; altes historisches Recht vertheidigt gegen das lebendige von neuen Geschlechtern; bald siegt diese Seite, bald jauchzend die andre; die Siege der jungen Geister aber sind die Etappen des Fortschritts der Menschheit zur Freiheit.
Jedoch nur selten erringen die Begeisterten gleich beim ersten Anlauf den Sieg. Gar weit ist oft der Weg vom Durchbruch der neuen Idee im denkenden Menschengeist bis zur Verwirklichung derselben, sei's in der Kunst, sei's im Leben. Der klaren Gestaltung des in Gährung begriffenen Neuen geht die Kritik des Alten voraus. Oft wird dann für die Entscheidungsschlacht schon gehalten, was erst nur Tirailleurgefechte sind im Vorpostendienste des Geistes, oft für die Hauptsache, was nur flüchtiger Schaum der Gährung. Oft brachte erst das Alter denen die Erfüllung ihrer Jugendideale, für die sie einst gegen unüberwindliche Mächte gestritten, die sie verfolgt, geknechtet, vervehmt. Gar viele mußten fallen, ehe ihre Sache von neuen Schlachtreihen zum Siege geführt ward. Die Straße des Fortschritts ist vom Blut der Märtyrer gedüngt. Das junge Christenthum, der junge Protestantismus – Opfertod und Martyrium leiteten ihre Triumphe ein. Die Geschichte der Renaissance, des Humanismus, der Aufklärung nennt an ihrer Spitze waghalsige Pioniere, die wie Dezius Mus in den Abgrund sprangen, in den Abgrund der vor ihnen aufgähnte zwischen ihrer Zeit und der Zukunft, welche reif sein würde für ihre Ideen, – die wie Winkelried sich die Speere ihrer Gegner in die Brust drückten, um im eigenen Fall der Freiheit eine Gasse zu bahnen. Auch die Entdeckungen und Erfindungen der Kultur haben solch' tragisches Vorspiel; selbst die Bändigung der Dampfkraft in den Dienst der Menschheit, selbst das Eisenbahnwesen heischten ihre Märtyrer von Mons de Caux, der für wahnsinnig gehalten im Irrenhaus elend umkam, bis zu Friedrich List, der aus Verzweiflung über das Scheitern seiner Pläne sich selber das Leben nahm. Und auch die Siegreichen, denen es vergönnt war, mit ihrem eigenen Geist den Geist ihrer Zeit unmittelbar zu befruchten, ihre neuen Umschwungsideen zum Inhalt des Zeitgeists zu machen, waren Märtyrer in ihrer Jugend und entgingen meist nur durch Zufallsgunst frühem Untergang: der junge Luther, der in Wittenberg die Thesen gegen den Ablaßhandel an die Thüre der Schloßkirche heftete, der junge Hutten, der zuerst das Wort vom freien deutschen Reich auf seine Fahnen schrieb, der junge Lessing, der dem Perrückenthum der Buchstabengelehrten mit der Waffe freier Wahrheitsforschung zu Leib ging, der junge Schiller, der mit ungestümer Gluth dem eingeborenen Freiheitsgefühl flammende Worte lieh – in tyrannos … sie alle befanden sich im Anfang einer schier allgewaltigen Uebermacht gegenüber. Auch der junge Goethe der Sturm- und Drangzeit rang in dunklen Nächten mit dem Verzweiflungswunsch, sich das Leben zu nehmen. Auch er fühlte sich einsam im heißen Drange seines Genius … Nur dann vermag der reformatorische Geist des Einzelnen oder Weniger in der eigenen Zeit den Sieg gewinnen, wenn die neuen Ideen sich mit den Hoffnungen und Zweifeln einer großen Zahl von Zeitgenossen begegnen, wenn das neue Bekenntniß die Zauberformel liefert, welche dem Erlösungsbedürfniß weiter Kreise des Volkes entspricht. Und auch dann erst wird die so entstehende Bewegung zur Herrschaft gelangen, wenn die Macht des Geistes sich der realen Mächte der staatlichen Ordnung bemächtigt oder diese zwingt, sich selbst an die Spitze der Bewegung zu stellen und ihre Interessen mit den Forderungen der Zeit zu vermählen.
Als eine solche Uebergangszeit hat sich uns bei eingehendem Studium auch die Geschichte des jungen Deutschlands enthüllt. Was in einer Reihe der wichtigsten Lebensinteressen heute Gemeingut der Nation, trat damals in einzelnen kühnen Köpfen als waghalsige Forderung ins Leben und suchte zunächst literarische Form. Daher auch die Verwandtschaft dieser Kapitel deutscher Geistesgeschichte mit ähnlichen Jugend-Epochen – mit dem Zeitalter der Encyklopädisten, der deutschen Sturm- und Drangperiode, der Reformationszeit. Damals wurde namentlich die letztere Beziehung allgemein empfunden. Auch Gentz, ihr schärfster Beobachter und Gegner, der Chef von Metternichs Geheimkanzlei und Preßbüreau, fand dies gar bald heraus. Schon im Jahre der Karlsbader Beschlüsse führte er die gährende Revolution im Geistesleben der Deutschen auf den Protestantismus als die »erste, wahre und einzige Quelle« zurück. Daher empfahl er auch zu ihrer Bekämpfung die Mittel, die sich gegen diesen bewährt. Ein protestantischer Geist, protestirend gegen jede Abhängigkeit des Gottesdienstes von weltlichen Gewalten, gegen das Einspruchsrecht des römischen Papstes in die kirchlichen Angelegenheiten der Nation, fordernd die deutsche Einheit auch in kirchlichen Dingen, hatte bereits in der Burschenschaft, in der »Deutschen Gesellschaft«, dann in der hessischen Bewegung sich geltend gemacht, deren Führer der tapfere Pfarrer Weidig in Butzbach, dies bedauernswürdigste Opfer der Reaktion, war. Die Rückkehr zu dem Gemeindewesen des Urchristenthums schwebte diesen Männern, zu denen auch der Darmstädter Justizrath und Landwehrobrist C. H. Hofmann, die Brüder Follen und Snell gehörten, denen Arndt, Welcker, Görres nahe standen, als Ideal für eine Einigung aller Deutschen in kirchlicher Hinsicht vor. In dem vom jungen Laube redigirten Jahrgang 1833 der »Zeitung für die elegante Welt« (Nr. 76) findet sich ein Artikel »Das Zeitalter der Reformation – die neuere Zeit«. Derselbe spinnt historische Parallelen zwischen den Geisteskämpfen der beiden Perioden. In jener Zeit habe man für die Freiheit des Glaubens gefochten wie jetzt für die politische Freiheit. Die Gewaltmittel der Machthaber seien dieselben. Wie man damals gegen die Verkünder der neuen Lehre mit Bücherverboten und Gefangennahme vorgegangen sei, so gehe man jetzt gegen die Presse und ihre Vertreter vor. Wie damals die Frage gestellt worden sei, ob die Sache des Glaubens höher stehe als die des Vaterlands und Luther sich gegen Bündnisse mit dem Ausland entschieden habe, so habe die Sache der Freiheit jetzt ähnliche Gegensätze erregt.
Die jungdeutsche Bewegung hatte aber auch in ihrem Kern einen ausgesprochen protestantischen Charakter. Börne beruft sich in den Anfängen seiner Laufbahn auf Huttens Beispiel; Heine feiert Luthern als den gewaltigen Bahnbrecher der Geistesfreiheit. Beide wählen beim Uebertritt zum Christenthum das protestantische Bekenntniß und ihr politisches Protestiren bleibt stets verknüpft mit einem unentwegten Kampf für die Gewissensfreiheit. Dabei waltete dennoch ein großer Unterschied zwischen beiden, in welchem die allgemeine Grundverschiedenheit ihres Wesens scharf zu Tage trat. Börne hatte einen angeborenen Respekt vor jedem Glauben, wenn er nur echt war, den Geist des Christenthums hatte er in Halle mit offenem Gemüth in sich aufgenommen als Hörer von Vorträgen Schleiermachers, »wie sie Plato gehalten haben würde, wenn er Christ gewesen wäre.« Er bekämpfte die »Apostaten des Wissens und Neophyten des Glaubens«, die katholisch und reaktionär gewordenen Häupter der romantischen Schule mit vornehmer Ueberlegenheit, die ihren Halt in dem Grundsatz hatte, jedes Bekenntniß zu achten, wenn es nur auf innerer Ueberzeugung beruhte. Er feierte Luther als Befreier des Glaubens von fremder Autorität, fand in Rousseau's »Glaubensbekenntniß eines savoyischen Vikars« seinen eigenen Glauben ausgesprochen und begeisterte sich in der letzten Zeit seines Lebens, wo er das Heil Deutschlands nur noch von der Revolution erwartete, für die Paroles d'un croyant von Lamennais wegen ihrer Tendenz, das Christenthum, im Sinne seines Urzustands, aus seiner Abhängigkeit von weltlicher und priesterlicher Gewalt zu befreien. Börne's von Heine bespöttelte »Nazarenernatur« hat nie ihren Spott auf religiöse Anschauungen, sondern nur auf klerikale Anmaßungen gerichtet, war aber auch hierin zurückhaltend. Heine, das Weltkind, das so gern auf Goethe's »hellenisches Heidenthum« als sein Vorbild zurückwies, war auch in Religionssachen ein lyrischer Stimmungsmensch, der sich bald an den Schönheitsmomenten irgend eines Cultus berauschen konnte, bald im polemischen Uebermuth selbst den urewigen Jehova mit keckem Vorwitz am Barte zauste. In ernster Stimmung bekannte auch er sich zu deistischen Anschauungen und folgte dann gern einem tiefinnerlichen Bedürfniß, über die großen Räthsel der Schöpfung, über die schon so viele Häupter gegrübelt,
»Häupter mit Hieroglyphenmützen,
Häupter in Turban und schwarzem Barett,
Perrückenhäupter und tausend andre –«
auch seinerseits eifervoll nachzugrübeln. Die Toleranz, die er für sich, für alle seine Stammesgenossen heischte, war er im Grunde stets bereit, auch selbst zu bethätigen dem einzelnen Andersgläubigen gegenüber. Dagegen führte er prinzipiell leidenschaftlichen Krieg gegen das Wesen der Staatsreligion, gegen das Bündniß der weltlichen Macht mit der kirchlichen. Er bekämpfte im Judenthum wie im Christenthum das spiritualistisch-asketische Prinzip, das Weltverachtung lehre und den Menschen verführe, sein Glück im Jenseits, statt im Diesseits zu suchen. Da der Katholizismus dieses Prinzip auf die Spitze getrieben, gab er dem Protestantismus den Vorzug und bezeichnete das schließliche Bündniß der deutschen Demokratie mit der katholischen Partei für einen verhängnißvollen Irrthum. An der Reformation feierte er den Fortschritt der Vernunft und der natürlichen Lebensauffassung, den sie bewirkte, tadelte aber, daß sie auf halbem Wege stehen geblieben; jetzt sei der durch blutige Kriege erhärtete Zwiespalt in kirchlichen Dingen das Haupthinderniß der politischen Einigung Deutschlands und des Sieges der politischen Freiheit. Die Reformation habe ihr schwereres Amt noch zu erfüllen; sie habe den Bund von Thron und Altar, von »Junkerthum und Pfaffenthum« zu sprengen, sie habe das Allgemeinwohl der Menschen von allen kirchlichen Machtfragen zu emanzipiren und die Vertreter der Kirche aller weltlichen Privilegien zu entkleiden. Wenn dies geschehen, werde die Menschheit ihr Heil hier schon auf Erden suchen und auch finden und nicht mit Anweisungen auf die himmlische Seligkeit mehr abgespeist werden. In diesen Sätzen gipfelte sein Frühlingsglaube, für den er in seinen Prosaschriften in allen Tonarten, bald mit aristophanischem Spott, bald mit prophetischem Pathos, bald in phantastischem Gedankenflug ins Reich sozialistischer Utopien, bald mit nüchterner Berücksichtigung der gegebenen Machtfaktoren immer und immer wieder eintrat. Und hierin wirkte er vorbildlich auf die »Jungen«.
Diese hatten als Studenten sämmtlich in theologischen Hörsälen gesessen und Schleiermachers Vermittlungslehre auf sich wirken lassen. Schon das Lutherfest von 1817, das Gutzkow und Laube noch als Knaben erlebt hatten, ward maßgebend für ihre Geistesrichtung. Diese beiden waren Kandidaten der Theologie, als sie den Konflikt zwischen ihrem eigenen Geistesleben und den ihnen abgeforderten Glauben dahin entschieden, daß sie dem »Glockenläuten« der neuen Zeit – einer »neuen Kirche des freien Geistes«, folgten und die Verkündigung der neuen Ideen als Schriftsteller wie ein Weltpriesterthum auf sich nahmen. Die Helden von Laube's ersten ungedruckt gebliebenen Jugenddramen waren Gustav Adolph und Moritz von Sachsen und Gutzkows Jugendwirken zeigt ihn in beständigem Geistesverkehr mit den Fortsetzern der Reformation, mit Lessing, Rousseau, Voltaire, Herder, Schleiermacher. Wienbargs Schriften und Mundts »Madonna« sind von demselben Geiste durchweht, und das beste, was Kühne geschrieben, sind seine »Klosternovellen« und der Roman »Wittenberg und Rom«. Von Anfang an waren die Jungdeutschen als Journalisten und Publizisten mannhafte Opponenten der überall in Deutschland anwachsenden kirchlichen Reaktion. Der erste Beitrag Gutzkows in die »Allgemeine Zeitung« war ein Nekrolog auf Schleiermacher, der die liberalen Tendenzen dieses freisinnigen Theologen ins Gedächtniß der Nation zurückrief. Ueberall fand ja ein Zurückweichen des Geistes der Aufklärung, der Bildung, der Toleranz statt. Seit Friedrich dem Großen, Joseph II., Karl August hatte fast überall in Deutschland in kirchlichen Dingen ein freier duldsamer Geist geherrscht. An diesem Verhältniß hatte auch Napoleons Herrschaft in Deutschland nichts geändert. Jetzt benutzten die kirchlichen Gewalten die Besorgniß der Fürsten um ihre Herrschaft zur Wiederherstellung ihrer Macht. Und Metternich verbündete sich mit der katholischen Kirche zur Niederhaltung des aufstrebenden Volksgeistes. Es war vorbei mit dem ausgleichenden Einfluß so milder »aufgeklärter« Priester wie Wessenberg in Baden und Erzbischof Spiegel in Köln. Die Jesuiten brachten – dort früher, hier später – Männer einer »schärferen Tonart« ins Treffen. Es war die Zeit, wo Görres – einst als »rheinischer Merkur« ein Führer der patriotisch-liberalen Bewegung – in München jene eigenthümliche Verschmelzung seiner alten demokratischen Anschauungen mit einer völligen Unterordnung der deutschen Katholiken unter den Willen des Vatikans vollzog, deren einflußreiches Organ die »Historisch-politischen Blätter« wurden und aus welcher der linke Flügel der ultramontanen Partei später hervorgegangen. In Laube's »Böhmingern«, deren Held Saul ein Abbild seiner selbst ist, findet sich in der Figur des Raths Sörger und seines Münchener Konventikels eine Spiegelung dieser Bewegung mit dem Hinweis, daß an den Intriguen, dem Hambacher Fest einen revolutionären Charakter zu geben, ultramontane Agitation betheiligt war. Während diese Bewegung mehr im Stillen vor sich ging, hatte das Ministerium Schenk im Bunde mit der Feudalpartei und den Jesuiten den ursprünglich liberal und national gesinnten König Ludwig I. völlig in die Bahn einer reaktionären Politik gelenkt. Um dieselbe Zeit vollzog sich in Preußen die kirchliche Reaktion auf der Grundlage der evangelischen Union, die als eigenstes Werk des Königs bei ihrer Durchführung weltliche Gewaltmittel nicht gescheut hatte. Der Gebrauch des Wortes »Protestantismus«, »protestantisch« wurde wegen seines revolutionären Ursprungs verpönt und das Protestiren selber durch Strafversetzungen, Amtsentsetzungen geahndet. Das orthodoxe Lutherthum mit Hengstenberg, Heinrich Leo, Tholuck als Führern machte sein Bündniß mit dem preußischen Junkerthum und das Fundament der späteren Kreuzzeitungspartei gelangte zu fester Fügung. Auch Jarckes »Politische Wochenschrift«, von Metternich subventionirt, diente der gleichen Richtung, gegen welche der freie Geist des greisen Humboldt und seiner Gesinnungsgenossen sich am Berliner Hofe auf die Dauer vergeblich auflehnte. Als Schleiermacher (1832) starb, wurde er als feste Stütze der Orthodoxie gefeiert, während er doch bis kurz von seinem Tod ein kühner Zweifler gewesen. Gutzkows Vorrede zu Schleiermachers Lucindebriefen war gegen diese Reaktion gerichtet und die »Evangelische Kirchenzeitung« erhob noch vor Menzel gegen ihn ihre Staatshülfe fordernde Stimme. Während David Friedrich Strauß im stillen Tübingen sein »Leben Jesu« vorbereitete, gelangte auch in Württemberg eine pietistische Strömung zum Siege und neben der Orthodoxie machte sich eine gefährliche Neigung für den Spiritismus und Swedenborgs Mystik geltend, die sich selbst im Lager der politisch Liberalen verbreitete. Auch Menzel ergab sich diesem Einfluß schon zu einer Zeit, als er sich von der schwäbischen Volkspartei zum Abgeordneten wählen ließ und das Geschlecht der Jüngeren, wie sein Redaktionsgehülfe Gutzkow, zu ihm als einem Freiheitsmann in jedem Sinne emporsah. Im Großherzogthum Baden fand, während auch hier der Ultramontanismus erstarkte, ebenfalls eine Hinneigung weiter Kreise zu Pietismus und Mystik statt unter wissenschaftlicher Führung von Daub und Creuzer, bekämpft vor allem, nach dem kühnen Vorgang des alten Johann Heinrich Voß, vom Kirchenrath Paulus in Heidelberg, dem streitgewandten Kämpen des Rationalismus der Aufklärungszeit, der sich auch Gutzkows, als dieser wegen »Wally« im Gefängniß saß, in einer besonderen Vertheidigungsschrift annahm. Derselbe Gang der Dinge in Hessen, Hannover, im katholischen Rheinland. Als dann später in Köln der Erzbischofstreit die freiheitsfeindlichen Machtansprüche der Ultramontanen klar enthüllte, weiter der Wunderspuck mit dem heiligen Rock von Trier die kirchlichen Gegensätze verschärfte, schrieben Gutzkow und Laube gleichzeitig gegen die Umtriebe der Görresschen Propaganda.
Dieser freie protestantische Geist hat beide nie verlassen. In Laube's ursprünglichstem Bühnenwerk, »Die Karlsschüler«, spüren wir sein frisches Wehen und seine größte literarische Mannesthat, der Romancyklus »Der deutsche Krieg« ist ein lebensvolles Spiegelbild der deutschen Reformationszeit. In Gutzkows Dramen und Romanen bleiben der Kampf zwischen Wissen und Glauben, der Fluch und Segen des Zweifels und die Sehnsucht nach einer Wiedergeburt des Christenthums im Geiste der modernen Bildung bevorzugte Gegenstände. Uriel Akosta ist ein Held protestantischen Zweifels, Wally und Lucinde (im »Zauberer von Rom«) werden zur Beute einer Zweifelsucht, welcher das Gegengewicht eines kräftigen Geistes fehlt. In dem geistvollen Lustspiel »Das Urbild des Tartüffe«, in dem er die Hauptprinzipien seines dramatischen Schaffens: »Die Bühne soll das Leben mit der Kunst, die Kunst mit dem Leben vermitteln« und »In der Poesie suche ich eine Waffe für den Kampf der Aufklärung gegen die Lüge«, von Molière als die seinen verkündigen läßt, tritt in der Charakteristik La Roquette's diese antiklerikale Tendenz am schärfsten hervor und das Schlußwort des entlarvten Frömmlers »Ich trete in den Orden der Jesuiten« schlägt in epigrammatischer Kürze das Thema an, welches im »Zauberer von Rom« epische Ausmalung auf dem lebendigen Hintergrunde der Zeitgeschichte gefunden hat. Demselben freiprotestantischen Zuge in Gutzkows Wesen entstammte seine Idee der Gemeindebildung aller freien Geister, die seine »Ritter vom Geist« durchdringt, entstammte das Ideal der Wiedergeburt des Christenthums im Geiste der Freiheit, Aufklärung und der von keinem Vorurtheil befangenen Menschenliebe seines Fra Federigo im »Zauberer von Rom«, deren Erkennungswort das Motto Gutenbergs ist: » Fiat lux« – »Es werde Licht!«
In diesen beiden Romanen des zum Künstler gereiften Führers fand in den fünfziger Jahren dichterische Gestaltung was Inhalt und Gegenstand seiner Sturm- und Drangperiode gewesen war und das Streben, den politischen Idealen Realität im Leben zu geben, lebendig wirkende Realität in der Dichtung. Hier waren Gegner und Genossen in scharfer Charakteristik mit der humanistischen Toleranz des echten Dichters dargestellt, und mit der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß es Licht werden müsse, daß die Sache der Freiheit siegen werde, stritten hier wie dort die Ritter vom Geiste gegen politische und kirchliche Reaktion. Alle die einzelnen Charakterzüge der Ausgangsbewegung, die wir in dieser Einleitung skizzirt, finden sich wiedergespiegelt in diesen großen Zeitromanen und ihr Ganzes ist durchdrungen von dem jugendfrischen Frühlingsglauben der jungen Geister an die Wiedergeburt des deutschen Reiches im Zeichen der Freiheit, dem – auch schon in einer gereifteren Zeit – Ferdinand Freiligrath wohl von allen Freiheitssängern der Epoche den weihevollsten lyrischen Ausdruck gegeben hat:
»Am Baum der Menschheit drängt sich Blüth' an Blüthe,
Nach ew'gen Regeln wiegen sie sich d'rauf;
Wenn hier die eine matt und welk verglühte,
Springt dort die andre voll und prächtig auf.
Ein ewig Kommen und ein ewig Gehen
Und nun und nimmer träger Stillestand!
Wir seh'n sie auf-, wir seh'n sie niederwehen –
Und ihre Loose ruh'n in Gottes Hand! …
Der Knospe Deutschland auch, Gott sei gepriesen!
Regt sich's im Schoß! Dem Bersten scheint sie nah –
Frisch, wie sie Hermann auf den Weserwiesen,
Frisch, wie sie Luther auf der Wartburg sah!
Ein alter Trieb! Doch immer muthig keimend,
Doch immer lechzend nach der Sonne Strahl,
Doch immer Frühling, immer Freiheit träumend –
O, wird die Knospe Blume nicht einmal? …
Der du die Blumen auseinanderfaltest,
O Hauch des Lenzes, weh' auch uns heran!
Der du der Völker heil'ge Knospen spaltest,
O Hauch der Freiheit, weh' auch diese an!
In ihrem tiefsten, stillsten Heiligthume
O, küß' sie auf zu Duft, und Glanz und Schein –
Herr Gott im Himmel, welche Wunderblume
Wird einst vor allen dieses Deutschland sein!«