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Wer hat das Haus gebaut? Wer hat den Garten gepflanzt? Es ist lange her, und man weiß es nicht mehr.
Ein schöner, herrlicher Wind ist der Maëstral, Sommerwind, Mittagswind, blau blasend aus Nordwest. Er macht die Luft rein und die Herzen froh, er läßt die Wellen tanzen und die Segel fliegen. Selig schreiend gleiten die Möwen auf seiner luftigen Schwinge dahin. Er blättert in den Zweigen des Ölbaumes, so daß sie aussehen wie weißes Gefieder, er trägt den Duft der Oleanderblüten von der einen Ecke des Parks in die andere, er rauscht in der großen dunkelgrünen Krone der Föhre, die nahe der Mauer steht.
Wenn einer bei Maëstral von Zara nach Lukoran hinübersegeln will, dann bläht die Brise sein Segel aufs günstigste, er braucht keine Geduld, selbst wenn er weiß, daß drüben in dem kühlen Haus seine Braut auf ihn wartet. Kaum wird das weiße Zara hinter ihm zurückgeblieben sein, so wird ihm schon die Insel deutlicher und farbiger entgegenrücken. Kaum wird der frische Wind ihm ein wenig um die Nase geblasen und der Salzstaub ihn genetzt haben, so wird er schon die Peilungen entdecken, die die Hälfte des Weges bezeichnen: rechts die Landspitze, die genau in den fernen kleinen Scoglio hineinstechen muß, und links die Kirche, die sich mit dem alten Wachtturm deckt. Und ist erst der halbe Weg gemacht, wie bald ist man dann am Ziel. Der kleine Hafen öffnet sich, das Haus liegt da, alle Läden der Ostfront gegen die Sonne geschlossen, und das Herz schlägt stürmisch vor seliger Ungeduld. –
Pave ging immer wieder zum Fenster des kühlen, abgedunkelten Zimmers und öffnete die Läden ein wenig. Sofort fiel überwältigend grelles Licht herein. Sie schaute 12 nach dem Segel aus, das ihr für heute sicher verheißen war, doch konnte sie nur den kleinen runden Hafen und ein Stückchen der Einfahrt überblicken, und dort zeigte sich nichts. Sie war so unruhig vor Erwartung, daß sie nicht fähig war, sich mit irgend etwas zu beschäftigen. Sie trachtete nur, ihr rosa Batistkleid mit der engen Taille und dem faltigen Rock, das die gute Mariucia ihr am Morgen frisch gebügelt ins Zimmer gelegt hatte, damit Pave sich für den Besuch des Bräutigams schön machen könne, nicht zu zerdrücken, wenn sie immer wieder aufstand, zum Fenster lief und sich hierauf enttäuscht wieder niedersetzte. Warum kam das Boot nicht? Als sie aber nach einer Weile von neuem den Laden einen Spalt weit öffnete, um auszulugen, da hatte die Barke schon angelegt, und Pero schritt über den sonnendurchfluteten Molo auf das Haus zu.
Sie ging die schlichte, schmale Freitreppe an der schattigen Gartenseite hinunter. Wie eine rosa Wolke glitt ihre achtzehnjährige Gestalt die alten Steinstufen hinab. Hier war es ziemlich kühl. Doch als sie durch das Gartenpförtchen getreten war, ward sie alsogleich von Hitze und blendender Helligkeit überfallen, das Meer, das seicht ans Ufer schlug und den Molo umspülte, glitzerte tausendfach im hellen Licht des Sommertages, es roch nach Fischen der Ebbe wegen, die graugrüne Macchia auf den Hügeln, die weißen Häuser und die dunklen Zypressen standen eigentümlich still, wie gebannt unter der Wucht der gewaltigen Sonne, und die erhitzte Luft flimmerte blau.
Pero in seiner Oberleutnantsuniform war schon herangekommen und stand vor ihr. Sie zog ihn in den Garten, denn hier vorne wäre eine Begrüßung nicht möglich gewesen, man hätte von den Fenstern und vom Hafen her gesehen werden können.
Nun standen sie im Schatten. Die Föhre rauschte ihnen zu Häupten. Sie standen einen ganz kurzen Augenblick still und sahen einander an, scheu und doch mit verzehrender Sehnsucht. 13
Pave sah Pero dastehen, glühend von der Hitze des Sommertages, glühender noch vor Liebe. Sie umfaßte sein Gesicht, seine kühnen dunklen Augen blitzten sie an, der Maëstral strich durch sein jugendlich volles braunes Haar, das über der linken Schläfe gescheitelt war. Sein fester, geheimnisvoller Mund mit dem ganz kleinen Schnurrbärtchen darüber bebte leise über dem edlen Kinn, das durch ein tiefes Grübchen gespalten war.
Sie standen nur so lange, wie eine Möwe sich auf dem Wasser niederläßt, um eine erspähte Beute zu holen, dann stürzten sie aufeinander zu und fielen sich in die Arme. Paves Mund saugte sich an Peros Lippen fest, sie schloß ihre langbewimperten Augen und ließ sich in besinnungsloser Seligkeit küssen. Ihre schön angeordneten Schmachtlocken wurden hin und her geschleudert, da Pero ihren Kopf nach rückwärts bog und dann wieder nach vorne an seine Brust riß, auf der die blanken Knöpfe seines Offiziersrockes kühl ihre Wangen streiften. Ihre biegsamen jungen Gestalten standen aneinandergepreßt, um sie war Bienen- und Mückengesumm, der süße schwere Duft des Oleanders und das Tanzen der Blätterschatten auf rotem Erdboden, der von Trockenheit rissig war.
»Ah, Pero, Pero! Nicht mehr. Genug! Setzen wir uns hier aufs Mäuerchen.« Pave atmete tief auf und befreite sich aus der Umarmung. Auf beider Gesichtern lag ein feierlicher, ja tödlicher Ernst. Sie waren tief eingedrungen in ein noch unbetretenes Reich heißer und zauberischer Wonne, und da sie ins Alltägliche wiederkehrten, hing der Glanz einer fremden Welt in ihren Haaren.
»Pave«, sagte Pero, und sein Blick schlug in Flammen um ihre Gestalt, »heute ist ein guter Tag. Ich habe mit deinem Bruder Valerio gesprochen; die Geldsachen werden sich einrichten lassen. Wir brauchen nun nicht mehr lange zu warten.«
»Ah, Pero!« seufzte sie glücklich und griff nach seiner Hand.
»Und dann habe ich dir etwas mitgebracht.«
»Dein Buch?!« fragte sie blitzschnell. 14
»Noch nicht. Rougier gibt immer wieder anderes in Satz. Es kann noch Wochen dauern. Aber das Widmungsgedicht, das als erstes darin stehen wird. Höre! Ich lese es dir vor.«
Pave stützte das Kinn auf die zarten Finger ihrer linken Hand und sah zum Geliebten auf, der sich erhoben hatte und von einem bekritzelten Blatt vorzulesen begann. Er las langsam und mit volltönender Stimme, Erregung umzitterte ihn. Jedes Wort, jeden Laut der Verse, die er geschrieben hatte, stellte er als ein Lebendiges vor seine Braut hin. Er war berauscht vom Klang seiner Reime und Bilder, er wiegte sich in eine strenge Seligkeit auf den Rhythmen seines Gedichtes:
Euch, Ihr Holden in den Heimatgauen,
Dir vor allem, liebend mir verbunden,
Pave, Inbegriff mir aller Schöne,
Weihe ich die Kränze, die nach rauhen
Arbeitstagen feiernd ich gewunden.
Alles, was ich formte zum Gedichte,
Ist aus dir als seinem Quell entsprungen.
Jedes ist in dir und du in allen,
Und es schaut aus deinem Angesichte
Mein Gesang in tausend Spiegelungen.
Ja, du bist in jedem dieser Lieder,
Bist Gefühl, Gedanke mir und Seele.
Sieh, ich bin die Saite und ich töne
Einzig, was dein Bild mir weckte, wieder.
Sänger bin ich nur mit deiner Kehle.
Als er geendet hatte, bebte er vor innerlichster Erregung.
Sie saß zuerst ganz stumm, dann lächelte sie zu ihm hinauf, griff nach seiner Hand und flüsterte glücklich:
»O Gott, Pero! Wie schön! Aber es ist ja nicht wahr! Wie kannst du sagen, du hättest alles aus mir?«
»Doch, es ist so! Alles habe ich aus dir!« sagte er mit einer Leidenschaft, die keinen Widerspruch duldete. 15 »Weil ich dich so über die Maßen liebe, wird meine Seele lebendig und vermag zu singen. Und warum liebe ich dich so? Weil du so schön, so schön und wundervoll bist. Meine Gedichte, auch wenn kein Wort von dir darin steht, sind alle aus dir und spiegeln dich wider, genau so, wie ich es hier sage.«
Sie nahm ihm das Papier aus der Hand und las mit leisem Lächeln nochmals, was er geschrieben hatte.
»Sänger bin ich nur mit deiner Kehle«, sagte sie mit kindlichem Stolz, und dann las sie weiter, was darunter stand: »Zara, im Juni 1846.«
»In vier Wochen, hoffe ich, wird es in meinem Gedichtband stehen. Er wird schön sein, in dunkles Violett gebunden, mit goldenen Linien am Rande. Rougier hat mir versprochen, guten dauerhaften Goldschnitt zu geben, denn ich hoffe, viele werden das Buch in die Hand nehmen, und noch unsere Enkel sollen das Gold des Schnittes leuchten sehen. Bist du jetzt stolz, Dichterbraut?«
»Wohl bin ich stolz, Pero, aber mir ist angst. Wie kann ich das Glück verdienen, dein zu sein? Wie soll ich dir genügen?«
»Genügen, Pave? Weißt du, was ich eben jetzt gedacht habe, während du redetest: daß Gott die Welt herrlich gemacht hat mit der Sonne, dem Meer, den Bäumen, den Blumen und Vögeln, daß aber das wunderbarste von allem, die leuchtendste Vollendung aller Dinge ein schönes junges Weib ist, schön, Pave, wie du!«
Sie hielt das beschriebene Blatt in der rechten Hand, mit der linken griff sie nach seiner, und sie saßen still, in vollkommenem Glück. –
O Schönheit, o Jugend, o liebendes Menschenpaar im blühenden Garten der Hoffnung!
Der Maëstral strich durch die Föhre, ein Schmetterling umflog die beiden Häupter, der Oleander sah weinrot herüber, eine Möwe lachte vom Strande, und in die Worte der Liebenden redeten die Wellen leise hinein.
Denn ewig rauschen die Wasser um Lukoran. 16