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»Dein Antlitz war mit Träumen ganz beladen.«
Hofmannsthal.
Ich weiß nicht, welche Krankheit das äußere Leben des jungen norwegischen Dichters Sigbjörn Obstfelder zerstört hat. Aber von den aufreibenden Leiden seines inneren Lebens kann ich mir eine Vorstellung schaffen ohne alles biographische Detail, aus den angstvollen, fiebrischen Blättern der schmalen Bücher
Novellen, Behrs Verlag, Berlin. »Tagebuch eines Priesters«, Wiener Verlag., die er hinterlassen, und aus dem Bild, das ihnen vorangestellt ist, dem Bild eines zarten, weichen, blassen Gesichtes, aus dem die Augen visionär in die Weite blicken.
Seinen Augen war dieser schwache Organismus nicht gewachsen, und diesen Augen auch nicht seine Kunst. Als tödlichen Krankheitskeim hatte er die überverfeinerte Reizbarkeit für alle Eindrücke empfangen, diese dünne Flügelhaut, die jede Wahrnehmung schmerzhaft empfand. Keine deckende Hülle der Alltäglichkeit schützte ihn, ihm war gegeben, mit jedem Blick, vor jeder Erscheinung so intensive Vibrationen zu erleben, daß dieses Übermaß ihn zermürbte. Wie ein anderer durch körperlichen Genuß sich verbraucht, so wurde dieser zarte, feine Mensch durch die für ihn so starke Überfülle inneren Erlebens zerrieben. Er war zu hellsichtig und zu feinhörig, er hörte zu viel verborgene Stimmen und sah, gleichsam mit dem zweiten Gesicht, alle Dinge transparent mit den Hintergründen ihres verborgenen Lebens. Er lebte in leidenschaftlichen Schwingungen, jede Farbe und jeder Schatten wurde ihm ein Erlebnis, ja ein Schicksal, und die in ihm tüchtig auf der Lauer liegende Empfängnisgier gönnte ihm keinen Moment einfacher, stiller, in sich beruhigter Existenz.
Ein höheres und gesteigertes Leben in der Atmosphäre der Seele führte er so und den reichsten Stoff zu Träumen und künstlerischen Gebilden sammelte er in sich auf. Ein Herr des Lebens und ein Herrscher unsichtbarer Königreiche konnte er werden, wäre sein Künstlertum überlegener gewesen als seine Eindrucksfähigkeit, hätte seine Gestaltungskraft schöpferisch umbildende Gewalt gehabt. Sie war aber nicht die wunderbar wandelnde Macht, die das Einzelne der Impression zusammenballt, genialstrategisch aus den inneren Schatzkammern sich das mit einem Blick erliest, was sie braucht, und in einem Prozeß, der in seinen Einzelstationen nicht in das Bewußtsein dringt, zusammenschmelzend aus Erlebtem, Gefühltem, Geträumten, Gedachten ein Neues, Vertrautes zugleich und Fremdes schafft. Solch Schaffensprozeß bringt dem Künstler Befreiung von innerer Überlast. Diese Befreiung ward Obstfelder nie. Was er schrieb, war kein Schaffen, sondern nur Aufzeichnen. Er zeichnete auf, was er sah und wie er dies Gesehene fühlte. Man ahnt, wie sensibel und wie besonders organisiert der Mensch sein mußte, der so wahrnahm; man merkt aber, wie schmerzhaft qualvoll es dem Künstler wurde, das in Bild und Anschauung umzusetzen. Ein seltsamer Vorgang: einem Menschen fliegen die feinsten Beobachtungen zu, alles sieht er in einem eigenen Licht schweben: will er das aber gestalten, so fällt dem Schriftsteller das Reproduzieren so schwer, wie vorher dem Wandelnden und Träumenden das Aufnehmen und Einsaugen leicht.
Obstfelder trug am schwersten an jener unfruchtbaren Schönheit, die wir bei manchem Feinfühligen der jungen Generation beobachten. Es sind Menschen, die selbst mehr Stoff eines Kunstwerkes sind, als daß sie Kunst wirken.
Ein Schauspiel »zart und traurig« sind sie; sie können mit dem, was sie bringen und von sich erzählen, denen, die ihrer Gefühlswelt nahestehen, feinste Schwingung geben. Aber eigentlich genießt man sie mehr stofflich; was sie vom Gefühlten, Gesehenen mit halben Stimmen zu sagen wissen, ist uns werter als die Form, in der das geschieht. Der Mensch, der aus diesen Zeilen blickt, ist uns beim Lesen interessanter und bedeutungsvoller als das schattenhafte Vorbeiziehen der Novelle.
Aus Obstfelders Büchern bleibt der Erinnerung keine Gestalt und kein Schicksal. Solcher Schöpfung waren seine schwachen Hände nicht mächtig. Und auch die Gefühle, die, ohne merklich leibhaftig manifestiert zu sein, unter- und gegeneinander schweben: die Sehnsucht, die Liebe in Erfüllung und in Zweifeln, die Liebe verschüttet in der Dumpfheit des irdischen Lebens, die Todesstimmung und seelisches Auferstehen, sie verdämmern schattenhaft wie Gespenster im Nebel. Lyrisch sind sie angeschlagen, nicht psychologisch.
Aus der Gefühlswildnis führte den Träumer dann sein Dämon in die Gedankenwildnis. Der, der sich selbst nicht finden konnte, verlor sich auf einem steilen Grüblerweg und wurde ein Gottsucher. Im »Tagebuch des Priesters« steht zur Schau dies verzweifelnde Ringen um den Gedanken, den diese zerbrechliche Kunst noch weniger gestalten kann als Menschen. Doch um die Gedanken blühen hier lyrische Blumen feiner, seltener Vorstellungen. Der ringende Priester ergreift uns nicht, so wenig wie der schmerzhafte Liebende und die vage Geliebte, die verflatternden Schatten der ersten Novellen. Aber wir lauschen gern und lassen uns einspinnen in Licht und Luft und leuchtenden Dunst des Schauens, wir gehen gern mit auf Obstfelders Wegen, wenn seinem Schwebeblick sich das Alltägliche in ein Wunderbares verwandelt und seine Gedanken magische Netze um die Dinge weben, daß die Welt zum Mysterium wird.
Das Naturgefühl Obstfelders ist sensibel wie das Jacobsens, aber es hat einen neuen Untergrund bekommen: das Maeterlincksche Geheimnisraunen klingt hindurch. Die Beziehung zur »Vie intérieure« ist in jedem Moment rege empfunden, und jeder Entdeckungszug in die Außenwelt ist auch ein Entdeckungszug nach den Wundern der eigenen Seele.
Ganz Maeterlincks sind die Worte: »Ist es nicht das größte der Wunder, daß aus der Verborgenheit dieses Ichs Stürme und Bewegungen und Schmerzen und Dramen entstehen können, die mehr sind als alles irdische alltägliche Leben zusammen – ja die ein Leben sind, für das Gefühl wirklicher als irgend ein anderes Leben.«
Über die Ebene wandert sein Auge, meilenweit und wie ein Geschick empfindet er die schwarze Linie am Horizont, die sich bewegt und näher kommt, zu einem Menschen wächst, der vorübergeht und verschwindet, und den man im Leben nie wieder sieht. Alles wird bedeutungsvoll: das Dunkelblau der Sommernacht, die grüne Finsternis der Gärten mit dem huschenden Schein der Laternen über Astern und späte wilde Blumen, und die Stille flüstert und die Zeit klingt – Ahnung und Gegenwart.
Die entlegenen Straßen der großen Städte und ihre dunklen Winkel sucht Obstfelder, und ihre sonderbaren Namen liebt er, Namen, die die Vorstellung anregen, die »von einer Dämmerung des Lebens Ahnung erwecken«. Wenn er abends nach Hause kommt und von den breiten Straßen in seine Gasse einbiegt, dann ist's für ihn, als tauchten seine Gedanken in eine neue, sonderbare Welt. Wie Bilder, wie Laterna magica-Erscheinungen werden ihm die Vorgänge und er steht lange unter den Fenstern und sieht die Köpfe auf den Gardinen sich abzeichnen.
Eine Stimme kann er empfinden wie ein Wesen, und ein Erlebnis von aufrührender Gewalt ist's, als er vor einer Tür stehend, die Stimme der Frau, die er liebt, aus dem Schlüsselloch kommen hört, aus dem Dunkel heraus, gelöst von all dem, was gesehen werden kann. Diese Stimme in Heimlichkeit und Dunkel ist ihm in diesem Moment ein bannenderer Zwang fast, als die Frau, der sie gehört: »Ich sah ihre ganze Seele hinter ihr, nie hatte ich sie so gehört, nie hatte ich gewußt, daß ich sie so liebte, dieselbe Stimme, die so oft vor mir getönt hatte, kleine blitzende Laute, die sich wie Seidenhaare um die Nerven winden, so daß sie warm werden und weiter nichts wissen, als daß es in den Tönen so schön und warm ist, so gut, darin zu verweilen.«
In der Dämmerung kommt er zuweilen an Feuermeeren vorüber, wo er Eisenbarren glühen sieht und ungeheuere Hämmer; in dem Qualm wimmelt es von flammenden Gesichtern, von nackten, geschäftigen Armen und den Bahnhof sieht er mit der Dunkelheit unter dem runden Dach, den Lichtern in der Finsternis, dem Pfeifen der hin- und herfahrenden Lokomotiven und dem Hasten der Menschen, und er fühlt in dieser Musik, in diesem Rhythmus das Tummeln und Hasten, das Glühen und Rollen der Lebensschmiede.
Aus den realistischen Phantasien wächst die Imagination in dem »Tagebuch des Priesters« zu groß gesehenen kosmischen Visionen. Lyrisch spiegeln sich ihm die Wundervorgänge, die, dem Bewußtsein entzogen, in jeder Minute im Menschenkörper sich vollziehen, das Blutlabyrinth, in dem es stetig strömt, kreist und siedet: »es arbeitet in mir, überall, es kocht, es brennt, es verwandelt sich. Ich höre nichts, merke nichts. Es ist ganz still. In einer Woche wohl sind meine Muskeln nicht mehr dieselben und ich merke es nicht.« Und seltsam zum Entsetzen: »die Menschen stehen auf, essen, gehen an ihre Arbeit, legen sich zum Schlafen nieder und hören sie nie, sehen sie nie, die Welt da innen.«
Und in einer Ekstase genießt er die Vorstellung: als Geist den Menschenkörper leben zu sehen, zu sehen, wie das rote Blut mit all seinen Kristallen im Spiel des Adernetzes strömt, wie die leuchtenden Hirnlinien im Konzert der Gedankenzeichnungen und Gefühlsfarben zittern.
Doch nach solchem Aufschwung erlischt sein Geist immer wieder. Gedanken und Gesichter bestürmen ihn. Ihm ist's, als öffnete sich der Weltenraum und alles würde in einer Flut von Licht zu eins. Aber dann stürzt ihm alles zusammen. Die Kleinheit und Armut seines Ichs fühlt er, das von ungeheueren Mächten rings umbraust wird. Sein Unheil fühlt er, daß er ihrer allzustark bewußt wird; daß er nicht ist, wie jene, die harmlos, ahnungslos in ihrer Hütte am Riesenfelsen kleben, daß er mehr weiß als sie, ohne doch den beschwörenden Zauberstab zu besitzen, sich die gewaltige Einheit zu schaffen, die er dunkel ahnt. »Was nützt uns das alles, wenn wir uns selbst nicht kennen?« fragt er sich gequält. Uns aber kommt bei diesem Schauenden, der über sein Nichtwissen verzweifelt, der wundersame Akkorde anschlägt, ohne daß sie zur Symphonie sich einen, Hofmannsthals Wort in den Sinn:
»Was frommt's, dergleichen viel gesehen haben,
Und dennoch sagt der viel, der Abend sagt.«