Wilhelm von Polenz
Liebe ist ewig
Wilhelm von Polenz

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XXI

Rieke, das Mädchen für alles bei Weßlebens, war mittags nach Haus gekommen aus der Markthalle und hatte ihrer Herrin brühwarm die Nachricht mitgebracht: sie hätte Jutta mit einem Herrn auf der Straße jehen sehen, »'t war so en langen forschen Kerl in en braunen Habit mit en jrünen Hut. Häßlich war der Musjö nich, det will ick jarnich sagen. Er nahm so lange Schritte, daß det Freilein alle Mühe hatte, man bloß mit fortzukommen. Se schienen's höllschen eilig zu haben. Dann ging's in ne Pferdebahn und och gleich oben ruff, uff det Verdeck. So sah ick ihr mit em von dannen jondeln.«

Zum Mittagessen kam Jutta nicht. Die Pastorin murmelte etwas von »Rücksichtslosigkeit«, erzählte aber den Ihren zunächst noch nicht, was sie von Rieke erfahren hatte.

Der Nachmittag verging, keine Jutta ließ sich blicken. Vater Weßleben äußerte sich besorgt über das Ausbleiben seines Gastes. Agathe wußte zufälligerweise, daß Jutta in die National-Galerie gewollt hatte; aber von dort hätte sie doch längst zurück sein müssen. Vater und Tochter erwogen bereits, ob man nicht nach ihr ausschauen müsse. Die Frau Pastorin hatte nur ein bedeutsames Lächeln bei dem Gerede der Ihren.

Es klingelte. »Gott sei Dank, da ist sie!« Aber es war nur Martin. Man teilte ihm mit, weshalb man sich Sorge mache.

Der Diakonus erklärte sich sofort bereit, auszugehen und Juttas Spuren zu suchen. Nur mühsam vermochte der junge Mensch die tiefe Erregung zu verbergen, die sich seiner bei dem Gedanken bemächtigte, dem Mädchen könne etwas zugestoßen sein.

Nunmehr hielt es die Frau Pastorin für an der Zeit, zu erzählen, was sie über Jutta erfahren hatte. Sie tat das nicht ganz ohne Schadenfreude. Nun sahen sie's doch mal, was an dieser Jutta Reimers war, vor der die ganze Familie in Bewunderung auf den Knien lag. Katholisch blieb eben Katholisch! Selbst Weßleben hatte sich von ihr Sand in die Augen streuen lassen. Er war eben doch nicht so gefestigt wie sie, die das Blut von so und so vielen Superintendenten, Konsistorialräten und einem Hofprediger in ihren Adern rollen fühlte.

»Sie hat vielleicht einen Verwandten getroffen«, sagte der alte Herr in begütigendem Tone. »Die Sache wird gewiß harmlose Aufklärung finden.«

Da war die Frau Pastorin freilich anderer Ansicht. Wie ihr Mann das Mädchen auch noch in Schutz nehmen könne, begreife sie nicht. Für sie sei Jutta gerichtet. »Emanzipiert ist sie, das habe ich schon immer gesagt. Mit Herren auf dem Verdeck der Pferdebahn sitzen, das mag vielleicht in Künstlerkreisen Mode sein: von anständigen Damen habe ich's noch nicht gesehen. Und dann ausbleiben den ganzen Tag bis in die sinkende Nacht! Wer weiß, ob wir sie überhaupt wiedersehen! Vielleicht hat sie es vorgezogen, auf und davon zu gehen.«

Der alte Pastor wollte ihren Eifer beschwichtigen, aber sein Sohn kam ihm zuvor. Mit einem Eifer, den man sonst nicht an dem Diakonus gewohnt war, trat er für Jutta in die Schranken. Man habe kein Recht, schlecht von einer Abwesenden zu sprechen, hielt er seiner Mutter entgegen: und auf Riekes Geschwätz hin eine Dame zu verurteilen, sei gänzlich unstatthaft. Denn, selbst wenn Rieke die Wahrheit berichtet habe, zweifle er keinen Augenblick daran, daß das, was Fräulein Reimers tue, schicklich sei.

Agathe stimmte dem Bruder begeistert zu, woraufhin ihr die Mutter den Mund verbot. Ziemlich unmotiviert entlud sich ihr Ärger gegen die Tochter. Vater Weßleben aber freute sich im stillen über seinen Martin. Recht gut, wenn der mal lernte, mit seinen Gefühlen aus sich herauszugehen. Der Mutter hingegen bestätigte Martins Eintreten für Jutta nur einen Verdacht, den sie seit einiger Zeit hegte. Ihr Zweiter in den Stricken der Papistin! – Sie sah ihn bereits als Opfer römischer Intrigen. Das setzte ihrem Mißmute die Krone auf.

Es klingelte abermals, und diesmal war es wirklich Jutta.

Ohne erst abzulegen, kam sie sofort ins Zimmer, eilte auf Frau Weßleben zu und bat um Entschuldigung. Sie hoffe, daß man sich um ihretwillen keine unnützen Sorgen gemacht habe.

»Oh, was das betrifft –!« meinte die Pastorin. »Sie hatten ja wohl Begleitung?«

Jutta blickte die Sprecherin erstaunt an, zunächst nicht verstehend, was gemeint sei: aber das hämische Lächeln der Dame sagte es ihr.

»Ich traf einen Bekannten aus München; das Wetter war so wunderschön! Er hatte den Grunewald auch noch nicht gesehen: da sind wir zusammen hinausgefahren. Aber weil ich den Weg nicht wußte, haben wir uns ein wenig länger aufgehalten, als ich eigentlich wollte. Das tut mir von Herzen leid! Sie müssen mir nicht zürnen.«

Sie hielt der Pastorin die Hand hin. Die tat, als sehe sie es nicht.

»Ja, ist denn das wirklich so etwas Schlimmes?« rief Jutta und sah sich im Kreise um. Sie erblickte lauter bestürzte Gesichter.

Agathe eilte auf sie zu und warf sich ihr in die Arme. »Du bist nicht schlecht!« rief sie. »Wir denken das auch gar nicht von dir!«

»Ich verstehe nicht!« sagte Jutta und machte sich von Agathen los, »bin ich denn verdächtigt worden?«

»Es ist hierzulande nicht Sitte«, erwiderte ihr die Pastorin, »daß junge Mädchen mit fremden Herren allein Landpartien machen. Wie man darüber bei Ihnen zu Haus denkt, weiß ich nicht, Fräulein Reimers.«

Jutta war sprachlos. Sie fühlte, daß sie etwas hätte sagen sollen zu ihrer Verteidigung, aber gerade weil sie sich so ganz in ihrem Rechte wußte, war sie nicht imstande, auch nur ein Wörtlein vorzubringen. Sie schwieg und sah nur alle Anwesenden der Reihe nach mit großen Augen beinahe ängstlich an. War es denn möglich, daß man ihr etwas Niedriges zutraue? – Gegen solchen Verdacht stand sie wehrlos. Sie war bestürzt und traurig, nicht erzürnt und empört. Furchtbar, daß es solche Mißverständnisse geben konnte!

Martin, der sie mit den Augen verschlungen hatte und abwechselnd blaß und rot geworden war, wollte etwas sagen, aber Vater Weßleben hielt nunmehr die Zeit für gekommen, sich einzumischen.

»Wir wollen froh und zufrieden sein, liebe Leopoldine«, damit wandte er sich an seine Frau, »daß Fräulein Reimers gesund und wohlbehalten in unsere Mitte zurückgekehrt ist. Unsere Besorgnisse sind grundlos gewesen. Wir haben, so scheint es mir, Grund, dankbar zu sein. Und nun möchte ich euch alle bitten, daß hierüber weiter kein unnützes Wort verloren wird.«

*

Wenn der Vater gesprochen hatte, so war bei den Weßlebens jede Sache damit abgetan. Seine Befehle hatten, weil sie selten waren, trotz ihrer milden Form Gewicht.

Die Frau Pastorin kam wirklich nicht wieder auf die Sache zurück, wenigstens mit Worten nicht: aber es gibt bei den Frauen andere Mittel noch als die Zunge, um jemandem die Meinung zu sagen.

Jutta wußte jetzt, woran sie mit dieser Dame sei. Die erste beste Gelegenheit konnte einen Rückfall bringen in die nur mühsam zurückgedämmte Feindseligkeit.

Berlin war ihr verleidet. Dazu beunruhigte sie der Gedanke an Lieschen Blümer. Stand es wirklich so um sie, wie Xaver glaubte? Sah er nicht zu rosig? – Sie würde eher keine Ruhe finden, bis sie das nicht festgestellt hatte.

Und alle diese Gründe erfaßten eigentlich noch nicht das, was sie wegtrieb von Berlin. Es war eine ihr selbst unerklärliche Unruhe dabei mit im Spiele, der Wunsch nach Wechsel, das Gefühl: »Du hast hier nichts mehr zu suchen, deine Anwesenheit kann höchstens Unglück stiften.« Und auf der anderen Seite Sehnsucht, eine Art Heimweh, der Wunsch, die vertrauten Klänge der Heimat zu hören, ihre gewohnte Luft zu atmen. Und schließlich ganz im tiefsten Grunde der Seele das Verlangen, bei denen zu sein, die sie liebte.

Eberhards Zureden, sie möge wenigstens noch das Examenresultat abwarten, und Agathens inständiges Bitten, jetzt doch nicht zu gehen, blieben erfolglos. Juttas Entschluß, zu reisen, war gefaßt.

Am Tage vor ihrer Abreise ging sie in die Stadt. Der Kunsthändler, bei welchem ihr Bild ausgestellt war, hatte ihr mitgeteilt, es habe sich ein Liebhaber dafür gefunden, und fragte an, ob sie es verkaufen wolle. Sie war eben auf dem Wege zu der Kunsthandlung, um zu erklären, daß sie darauf eingehe.

Bald nachdem sie das Weßlebensche Haus verlassen hatte, kam ihr eiligen Schrittes jemand nach. Als der Mensch in gleicher Höhe mit ihr war, erkannte Jutta Martin Weßleben. Hochgerötet zog er den Hut und fragte, ob sie ihm auf ein paar Worte Gehör schenken wolle.

Jutta ahnte, was er im Sinn habe. Der arme Kerl! Konnte man ihm die Beschämung nicht ersparen? – Sie sann noch über eine möglichst milde Form der Abweisung nach, als er schon begann:

»Fräulein Reimers, Sie reisen morgen. Nun kommen Sie also nach Haus, nach München; und wir werden Sie für lange Zeit nicht sehen . . .«

Er stockte in seiner offenbar wohlvorbereiteten Rede.

»Vielleicht sehen wir uns bei Agathens und Eberhards Hochzeit wieder, Herr Weßleben!« sagte sie. »Sollte es nicht möglich sein, daß Sie aufschöben, was Sie mir sagen wollen?« –

»Nein, nein!« rief er in ängstlich-eigensinnigem Tone. »So lange kann ich nicht warten! – Sehen Sie, ich wollte Ihnen zunächst nur etwas erklären. Es hat mich neulich, als Sie so spät zurückkamen, betrübt; nein, ich muß es offen sagen, obgleich sich's um meine Mutter handelt, es hat mich empört, wie man Sie bei uns empfing. Ich habe das als persönliche Demütigung empfunden, und ich bitte Sie um Verzeihung. Das war das eine! . . .«

»Aber Herr Weßleben, wozu?«

»Bitte, hören Sie mich nur aus! Ich weiß, daß Sie Grund gehabt hätten, über mancherlei zu klagen in unserem Hause. Meiner Mutter ist leider nicht Duldsamkeit gegeben. Wenn man Ihnen Ihres Glaubens wegen Kränkungen zugefügt hat, so bitte ich Sie auch darum um Verzeihung.«

»Herr Weßleben, ich habe so viel Güte genossen in Ihrem Hause, daß mich diese oder jene kleine Widerwärtigkeit nicht hindern kann, freundlich an die Ihren alle zurückzudenken.«

»Oh, das sieht Ihnen ähnlich!« rief er enthusiastisch, blieb stehen und drückte ihre Hand. Sein Gesicht spiegelte die größte Erregung wider.

Jutta bemerkte, daß einzelne Vorübergehende bereits auf sein ungewöhnliches Benehmen aufmerksam wurden. Ihr ward bange, was hieraus noch werden solle.

»Herr Weßleben!« sagte sie, »wollen Sie mir einen Gefallen tun? Dort stehen Droschken, rufen Sie mir eine heran! Ich muß fahren, wenn ich nicht zu spät kommen will.«

Martin schien den Wink nicht zu verstehen, er rührte sich nicht von der Stelle. Seine knabenhaften Züge, auf denen jede Seelenregung sich sofort deutlich lesbar ausdrückte, verdüsterten sich. Trostlos blickte er zu Boden. Dann rang sich's von seinen Lippen: »Um Gottes willen, gehen Sie so nicht von mir! Hören Sie nur das eine! Das Wichtigste muß ich Ihnen sagen: ich liebe Sie!« –

Vor einem Jahre noch würde Jutta in solchem Augenblicke möglicherweise gelacht haben. Heute überwand sie den Reiz des Komischen. Zu deutlich sprach der Ernst der Situation zu ihr. Sie hatte Mitleid mit seiner Unbeholfenheit, wie er so dastand, erschrocken über seine Kühnheit, durchschüttelt zugleich von der Gewalt seiner Gefühle.

»Hätten Sie das doch nicht gesagt, Herr Weßleben!«

»Es war wohl sehr frivol?« fragte er bestürzt.

Sie mußte nun doch lächeln.

»Das nicht! Aber es tut mir leid, daß Sie sich mit solchen Gedanken tragen. Für Sie tut es mir leid: denn was Sie wollen, ist unmöglich.«

»Ich weiß, daß es ein Hindernis gibt zwischen uns, welches scheinbar unüberwindlich ist.«

»Um die Konfession handelt sich's nicht, wenn Sie das meinen. Ich bin gebunden: fragen Sie nicht: wie und wodurch. – Und jetzt verlassen Sie mich, bitte, lieber Herr Weßleben! Ich hätte Ihnen das gern erspart, aber Sie hörten nicht.«

Schwer atmend stand er da, blaß, mit arbeitenden Zügen: ein ganz veränderter Mensch.

Sein Anblick griff ihr ans Herz. Sie wünschte ihm noch irgendetwas Freundliches mitzugeben zum Abschied.

»Sie werden darüber hinwegkommen, müssen nicht verzagen! Wenn's auch weh tut im Augenblick. Man kann viel mehr Leid ertragen als man denkt; hören Sie! – Leben Sie wohl!«

Damit reichte sie ihm die Hand und ging.

 


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