Wilhelm von Polenz
Liebe ist ewig
Wilhelm von Polenz

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XII

Die Reise, die sie nun zu dreien unternahmen, war vom Glück begünstigt. Klares, sonnendurchwärmtes Herbstwetter, das günstigste für See und Gebirge. Die Gegend war zwar von Touristen überfüllt, aber einem Manne wie Reimers öffnete sich schließlich jedes Hotel. So bequem wie möglich richteten sie sich die Fahrt ein. Einen festen Reiseplan hatte man nicht; wo es einem gefiel, da blieb man. Jutta und Bruno benutzten, wenn es die Straße irgend gestattete, das Rad. Herr Reimers kam per Dampfschiff oder im offenen Wagen nach. In den Hotels wurden sie stets als eine Familie angesehen. Jutta bekam oft den Titel »gnädige Frau«, was sie stets belustigte, während es Bruno in Verlegenheit setzte.

Reimers meinte: jetzt, wo die jungen Leute den ganzen Tag beisammen seien, würde sich das Erwartete schnell vollziehen. Aber es vergingen Tage, es vergingen Wochen, ohne daß ihm Gelegenheit gegeben worden wäre, das zwischen ihm und Vater Knorrig verabredete Telegramm abzuschicken.

Bruno folgte dem Mädchen wie ein Hündchen. Jeden Wunsch, ehe sie ihn kaum gedacht, suchte er zu erfüllen. Er diente ihr in demütiger Verliebtheit, halb ihr Ritter, halb ihr Lakai. Sie ließ sich seinen Minnedienst gefallen, behandelte ihn nicht schlecht: aber doch wußte sie eine unsichtbare Mauer zwischen sich und ihm aufzurichten, die jede Vertraulichkeit ausschloß. Seine flehenden Blicke übersah sie absichtlich, jedes Gespräch, das eine Wendung zu nehmen drohte zum Bekenntnis, schnitt sie kurz ab.

Der arme Bruno litt Tantalusqualen, den Gegenstand seiner Sehnsucht täglich, stündlich vor Augen! Die gemeinsamen Fahrten durch Gebirge und Wald, durch menschenleere Einöden brachten sie einander nahe wie gute Kameraden. Sie war auf ihn angewiesen, auf seinen Schutz, auf seine Hilfe in tausend Kleinigkeiten. Der größte Tor kam er sich oftmals selbst vor, daß er sich nicht einfach aneignete, wonach sich seine Sinne sehnten. Aber die Furcht, alles zu zerstören, hielt ihn immer wieder in Schranken.

Bei aller Zurückhaltung ihm gegenüber, welch eine Lebenskraft in ihr, welches Bedürfnis zu schauen, zu genießen, zu leben! In einem war sie scheue, spröde Mädchenhaftigkeit und vollsaftige weibliche Sinnlichkeit. Jede ihrer Bewegungen war lebendig, stark, energisch, und doch schien noch etwas Ungesagtes, Unentdecktes jungfräulich dahinter zu schlummern. Jedes ihrer Worte sprühte Leben. Die kleinste, einfachste Handlung schien ihm bedeutungsvoll, weil sie von ihr ausging, weil auf der ganzen Welt nur Jutta Reimers so handeln konnte. Hinter jeder Äußerung stand sie mit ganzer Persönlichkeit, lebte sie sich aus mit voller Kraft und vollem Bewußtsein.

Fast erschreckte ihn solche Fülle genialer Begabung in einem weiblichen Wesen. Er ahnte dunkel, daß er dem nicht gewachsen sein würde. Aber gerade weil er sich seiner Unzulänglichkeit bewußt war, zog ihn die Eigenart dieses begnadeten Geschöpfes unentrinnbar an.

Übrigens war die Sicherheit, welche Jutta zur Schau trug, nur eine scheinbare. Mit der Ruhe ihres Gemütes war's nicht weit her. Professor Wälzers vernichtendes Urteil hatte mehr getroffen als nur ihren künstlerischen Stolz. Ein Traum war vernichtet, an dem ihr Herz schwärmerisch gehangen, die Hoffnung zerstört, eine große Künstlerin zu werden.

Es war die herbste Enttäuschung, die ihr jemals widerfahren. Das Schweigen, welches sie über dieses Erlebnis wahrte, machte das zehrende Gefühl verletzten Ehrgeizes nicht besser.

Das Mädchen hätte in dieser Zeit eines Menschen bedurft, der mit starker Hand sie geleitet, der es verstanden hätte, sie über die erlittene Niederlage hinwegzubringen, sie zu sich selbst zurückzuführen. Eine überlegene Natur, die von der Überlegenheit schonend Gebrauch gemacht hätte, eine tiefe, feinfühlende Freundesseele; aber nicht einen Anbeter wie Bruno, der zu ihren Füßen lag.

Sie war zu jung, als daß ihr die unbedingte Abhängigkeit eines Menschen vom geringsten Zucken ihrer Augenwimper nicht Eindruck gemacht haben sollte. Solch schrankenlose Bewunderung schmeichelte ihrem Selbstgefühl; war wie eine Art Balsam auf die Wunde, die ihr zugefügt worden.

Wenn Jutta darüber nachdachte, ob sie ihn nehmen solle, dann bestürmten sie die verschiedenartigsten Gefühle, Hoffnungen und Befürchtungen. Sie liebte ihn ja nicht, aber sie haßte ihn doch auch nicht!

Von den Männern, die sich ihr bisher genähert, hatte jeder andere Empfindungen in ihr ausgelöst. Der eine war ihr verächtlich gewesen, der andere lächerlich, ein dritter gleichgültig; der hatte sie belustigt, jener sie gelangweilt. Dunkle Empfindungen, die sie verabscheuen mußte, hatte ein einziger vorübergehend in ihr geweckt: Luitpold. Aber an diese Episode dachte sie nicht gern.

Der Mann, der von Rechts wegen für sie bestimmt war, wäre entweder nicht geboren, oder sie hätten einander nicht gefunden; so schien es fast. Was half es darüber grübeln!

Bruno war wohl immer noch der beste von allen, die sie kannte! Wenigstens wußte man, daß er treu sei und daß er es ehrlich meine. Er würde sie schützen. Jutta fühlte sich neuerdings des Schutzes bedürftig. Nicht anlehnen wollte sie sich an einen Stärkeren, nicht sich emporranken an ihm, nichts von sich selbst, von ihren Anschauungen, von ihrer Welt wollte sie aufgeben um seinetwillen. Aber nach jenem äußeren Schutze, jener bevorzugten Stellung sehnte sie sich, wie sie die Würde der verheirateten Frau gibt.

Der vorige Winter hatte sie manches Erstaunliche gelehrt. Zumutungen waren an sie heran getreten, Dinge hatte man ihr ins Ohr geflüstert, von deren Bedeutung sie früher nichts geahnt hatte. Ihr Vater würde sie davor nicht schützen; ihr Vater, dem, wie sie nun auch wußte, das eigene Vergnügen über alles ging. Noch ein solcher Winter, und sie mußte schlecht werden; ja, es war ihr manchmal, als sei sie es schon jetzt.

Vor der Rückkehr in die alten Verhältnisse graute ihr. Vor allem graute ihr vor Luitpold Habelmayer, vor seinen Blicken, seinen zweideutigen Worten, seiner Zudringlichkeit.

Und ihre Kunst hatte sie jetzt auch nicht mehr, in die sie sich vor all diesen trüben und widerlichen Dingen hatte flüchten können!

Nein, nein, es mußte sich etwas ändern in ihrem Leben. Eine Entscheidung mußte fallen, so oder so.

Jutta sehnte sich nach der Stellung der verheirateten Frau, nicht nach der Liebe. Vielleicht, so meinte sie, würde sie ihre Mädchenfreiheit nicht einbüßen, trotz der Ehe. An die Pflichten, Aufgaben und Lasten einer Frau und Mutter dachte sie am liebsten gar nicht.

Was war denn weiter dabei, wenn sie einen Mann nahm, den sie nicht liebte? – Tausende von Mädchen taten das. Und ihm fügte sie erst recht kein Unrecht zu, da er sie ja durchaus zur Frau haben wollte! War es ihre Schuld, wenn er nicht finden würde, was er suchte? Außerdem, wirklich unglücklich würde der gute Bruno schwerlich werden; er hatte wohl keine Anlage dazu.

Ein ganzer wichtiger Teil ihres Wesens schlummerte eben noch, war noch ungeweckt. Sie war geliebt worden, aber sie kannte die Liebe nicht, wußte nicht, wie sie den ganzen Menschen erfaßt und verwandelt. Darum vermochte sie auch an anderen nicht die Liebe in ihrer seelenerschütternden Kraft, ihrem lebensentscheidenden Ernst zu erkennen und zu würdigen.

Jutta hielt sich selbst manchmal für verderbt, ohne es zu sein. Sie war nicht einmal leichtsinnig. Nur jung war sie, und ihrem Herzen fehlte die Erfahrung.

*

Eines Nachmittags machten Jutta und Bruno, von einem Ausfluge zu Rad heimkehrend, auf einer schattigen Wiese am Wege Rast. Im Lichte der scheidenden Sonne lag ein Stück wundervoller Alpenlandschaft zu ihren Füßen. Von der Tiefe klang das Brausen des Gießbachs herauf, dessen Sturz dem Auge verborgen blieb; weiter draußen im Tal zeigte er sich dann als ein ruhiges, silbernes Band, das einem fernen Wasserspiegel zustrebte. Menschliche Anwesen daran, Mühlen, Dörfer mit Kirchen. Alles nahm sich von hier oben aus wie Spielzeug. Das Ganze umrahmt vom Kranze zackiger Berge, deren Gipfel, starr und tot, Leben nur erhielten durch das Licht, welches sie länger und ungetrübter schauten von ihrem einsamen Auslug über den belebten Gefilden. Eine Wolke, lang ausgezogen, federweiß, lag, ein Riesenschiff, ruhig an einer dieser Zacken vor Anker. Vom Grunde aufwärts strebten Wälder von dunkler Farbe, bis ihnen die senkrechten Felsmauern der Berge ein Halt zuriefen. Nur hier und da wurde einer schräg sich abdachenden Matte gestattet, das düstere Grau dieser Riesen mit saftigem Grün zu beleben. In den Gründen aber und Schlünden, den Spalten und Senken, den Tälern und Buchten lagen bereits die duftigen Schatten des Abends. Die Sonne wob den toten Häuptern da oben eine Strahlenkrone von Violett, Purpur und Schwefelgelb.

Jutta saß, die Hände über die Knie gekreuzt, und starrte sprachlos das Wunder an, das sich vor ihren Augen vollzog. »Ehrfurcht vor der Natur!« das Wort ihres Lehrers kam ihr unwillkürlich in den Sinn. Ja, er hatte recht: man konnte nicht alles malen, was man sah. Vor gewissen Erscheinungen blieb: verstummen, die einzige Rettung.

Unwillkürlich seufzte sie. Ein Seufzer, der ebensogut ein Wonnelaut, wie ein Aufschluchzen, wie ein Ruf sprachlosen Bewunderns sein konnte.

Aber Bruno, der neben ihr ausgestreckt lag, dem ihr von der Abendsonne gebadetes Gesicht, ihre in Radlertracht knabenhaft wirkende Gestalt, der ganze, liebe, begehrenswerte Mensch da vor ihm, viel tausendmal schöner erschien als die Herrlichkeit der übrigen Welt, Bruno, der den tief sehnsuchtsvollen Ausdruck ihres Auges sah, gab diesem Seufzer eine andere Deutung. Sie schien ihm weicher, milder als sonst, empfänglicher. Vielleicht war jetzt der Augenblick gekommen, den er so lange ersehnte, wo er hoffen durfte, Gehör zu finden.

Er schob sich ein wenig näher an sie heran. »Jutta!« flüsterte er, ängstlich halb, halb fordernd zu ihr emporblickend.

Ob mit Absicht oder nicht, sie hörte nicht darauf.

»Jutta, liebe Jutta!«

Jetzt blickte sie auf ihn, sah erstaunt in ein gewandeltes, tief erregtes, ihr gänzlich neues Gesicht.

Das Mädchen erschrak doch ein wenig, als nun endlich das eintrat, was sie längst erwarten mußte. Zu unvermittelt kam es für sie in diesem Augenblicke. Mit ihren Gedanken war sie so weit weg gewesen. Unwillkürlich rückte sie von ihm ab.

»Ich muß sprechen, sonst zersprengt es mich!« brachte er mit gepreßter unnatürlicher Stimme vor.

Die Ängstlichkeit, die sich in ihren Blicken verriet, gab ihm Mut. Er griff nach ihrer Hand, vor ihr kniend, und sie mit Stimme, Mienen, Blicken beschwörend, stieß er unzusammenhängend hervor, was sich von wild brodelnden Gefühlen in ihm angesammelt hatte, in Wochen.

Sie hörte nicht die einzelnen Worte, aber um so deutlicher verstand sie ihren Sinn. Ihr wurde bange. Zum ersten Male wurde ihr klar, daß sie es in ihm mit einem Manne zu tun habe. Dieser, von der Leidenschaft wie vom starkem Fieber gepackte, hin und her geschüttelte Mensch, flößte ihr Grauen ein. Das war nicht mehr Bruno, ihr unterwürfiger Diener, das war einer, der sich zum Herrn aufwarf, der kühn forderte, der es wagte, sie besitzen zu wollen.

Aber das Merkwürdigste war, daß er ihr im Grunde so besser gefiel. Zum ersten Male, seit sie ihn kannte, imponierte ihr Bruno. Seine Unterwürfigkeit hatte ihr Herz nicht erobert, nun auf einmal, da er das Gewand der Bescheidenheit abwarf, erschien er ihr bedeutender, interessanter, beachtenswerter.

Bruno, dem die in solchen Augenblicken zehnfach geschärften Sinne verrieten, daß er an Boden gewinne, zog das Mädchen an sich, suchte ihr den ersten Kuß zu rauben.

Aber die Berührung seiner Lippen weckte jählings ihre jungfräuliche Spröde. Mit Anstrengung aller Kräfte stieß sie den Mann von sich, erhob sich und stand ihm mit gänzlich veränderter, strenger, ja feindlicher Miene gegenüber.

Er stammelte eine Bitte um Verzeihung. Nun war er wieder ihr demütiger Sklave, der von einem Winke ihres Auges abhing. Mitten in ihrer Erregung mußte sie über seine verwirrte Miene, seine Haltung, die der eines ertappten Schülers glich, lächeln.

So jäh wechselten im Laufe weniger Minuten bei diesem Mädchen, das ihr Herz und seine tiefsten Bedürfnisse noch nicht entdeckt hatte, die Stimmungen.

Jutta strich sich das Haar glatt, brachte ihr Kleid in Ordnung und sagte ihrem Begleiter in befehlendem Tone, er möge die Räder heranholen, die man an die nächsten Bäume gelehnt hatte.

Man machte sich auf den Heimweg, erst des abschüssigen Pfades halber ein Stück führend, dann auf bessere Bahn gelangt, die Maschinen benutzend. Der Weg wurde schweigend zurückgelegt. Er hielt sich ein Stück hinter ihr.

Brunos Herz war voll Jubel und voll Bangigkeit zugleich. Einen Erfolg hatte er errungen; aber, ob er sich den Sieg zuschreiben dürfe, wußte er nicht.

*

Tags darauf verlobte sich Jutta mit Bruno. Reimers schickte sein Telegramm ab an Vater Knorrig und ließ zu Mittag Champagner anfahren, den teuersten, der auf der Weinkarte zu finden war. Nach Tisch verlangte er zu sehen, wie die beiden sich küßten; heimlich – so nahm er an – würden sie es schon oftmals geübt haben.

Der Vater wunderte sich, wie spröde Jutta sich dabei anstellte. Das Mädchen war überhaupt sehr verändert, stiller, nachdenklicher, ernst, in sich gekehrt. Vor Bruno, den sie bisher nicht gerade zum besten behandelt hatte, schien sie jetzt mit einem Male eine Art Scheu zu empfinden. Sie weigerte sich, mit ihm allein Ausflüge zu unternehmen, aus irgendeiner dummen Ängstlichkeit. Reimers fand wieder mal bestätigt, daß man sich bei noch soviel Erfahrung mit den Frauen doch niemals auskenne.

Jutta hatte urplötzlich viel mit Briefschreiben zu tun. Einen Brief, der kein Ende nehmen zu wollen schien, sandte sie an Lieschen Blümer, einen andern an Eberhard. Auch Vally Habelmayer erhielt einen.

Die Antworten liefen schnell ein. Niemand äußerte großes Staunen. Die meisten taten sogar, als hätten sie diese Verlobung längst erwartet. Eberhard schrieb in einer Art Ekstase; er behauptete, daß sein liebster Wunsch in Erfüllung gegangen sei, da sich die Schwester und der Freund fürs Leben gefunden hätten.

Die Reise hatte nunmehr ihren Abschluß gefunden. Reimers drängte, nach München zurückzukehren, weil er mit Vater Knorrig den geschäftlichen Teil der Angelegenheit feststellen wollte.

Es wurde beschlossen, daß die Hochzeit im nächsten Frühjahr stattfinden solle. Bruno mußte während des Winters noch einmal nach Südamerika zurück, um dort ein wichtiges Projekt, das man einem andern nicht gut überlassen konnte, zu Ende zu führen. Im Frühjahr würde er dann für immer nach Haus zurückkehren, um in die Firma einzutreten an Reimers' Stelle, der sich dann zugunsten seines Schwiegersohnes von der Führung der Geschäfte zurückziehen wollte.

Es folgte nun die Zeit für Jutta und Bruno, wo sie bei Freunden und Verwandten Besuche machen, Gratulationen annehmen und Einladungen Folge leisten mußten. Keine behagliche und glückliche Zeit!

Nun erst zeigte sich, daß man in diese Verlobung mit ganz verschiedenen Voraussetzungen von beiden Seiten hineingegangen war. Bruno war stolz und glücklich und wünschte, daß auch die Welt sein Glück sehen und anerkennen sollte. Er wollte stetig um Jutta sein, soviel von ihr haben, als er nur konnte. Jutta aber war die Schaustellung ihres angeblichen Glückes vor der Verwandtschaft im höchsten Grade widerlich. Die Gratulationen der Basen und Tanten, diese verständnisvollen Blicke und Redensarten, mit denen man ihr sagen wollte: »Nun ja, wir wissen ja, ihr seid verlobt. Verlobt sein ist kein normaler Zustand!«, konnten sie außer sich bringen. Und gar, wenn man sie mit bedeutsamem Lächeln allein ließ mit Bruno zum tête-à-tête. Oder wenn ein alter Onkel ihr in die Wange kniff und mit launischem Gelächter ihr zurief: »Nutzt nur eure Zeit aus, Kinder! Das kommt so nie wieder im ganzen Leben!« Und zu alledem auch noch ein freundliches Gesicht machen müssen, wo sie hätte weinen, schreien, mit den Füßen aufstampfen mögen. An solche Möglichkeiten hatte sie nicht gedacht, als sie Bruno das Wort der Einwilligung gab. Daß sie sich so binden, solchen Demütigungen entgegengehen würde, hatte sie nimmer vermutet.

Auch wenn sie allein miteinander gelassen wurden, war das Verhältnis kein erquickliches. Er versuchte auf sein gutes Recht zu pochen, das ihm Zärtlichkeit gestattete, und sie ließ nicht ab von ihrem Rechte, sich solcher Zärtlichkeiten zu erwehren. So zogen sie, wie zwei junge Pferde, die an einen Strang gespannt sind, nach verschiedenen Richtungen.

Bruno, von Natur bescheiden und nachgiebig, hätte der angebeteten Braut gern alles zuliebe getan, und sogar manches zuliebe unterlassen. Aber hinter ihm stand sein Vater. Knorrig senior war der Ansicht, daß der Eigensinn des Mädchens beizeiten gebrochen werden müsse, in der Ehe sei das zu spät. Er hatte diese Kur einstmals mit Erfolg an seiner verstorbenen Frau ausgeführt und gab seinem Sohne sachgemäßen Rat, wie er jetzt bei Jutta ein gleiches üben müsse. Zwar brachte er Bruno nicht dazu, mit der geforderten »rücksichtslosen Energie« aufzutreten; immerhin bewirkten die väterlichen Ermahnungen doch so viel, daß der junge Mann hier und da Versuche machte, seine Braut zu erziehen. Dieses und jenes mißfiel ihm an ihrer Toilette, ihren Worten, ihrem Benehmen. Das war »extravagant«, jenes schickte sich nicht für eine Braut, war »nicht mädchenhaft«. Gegen solche in doktrinärem Tone vorgebrachten guten Lehren bäumte sich Juttas ganzes Selbstbewußtsein auf. Sich einen Mentor aufzuladen, war das letzte, was sie vorausgesetzt hatte, als sie ihm ihr Jawort gab.

Natürlich fanden gute Freunde schnell heraus, daß das Brautpaar in sich nicht völlig einig sei. Man wunderte oder freute sich darüber, bedauerte es wohl auch anscheinend. Die meisten schrieben der Braut die Schuld zu. Jutta hatte von neuem bewiesen – so war das Urteil der Familie –, daß sie unberechenbar, unzuverlässig, flatterhaft sei. Man bemitleidete Bruno Knorrig, der als solider, wohlerzogener junger Mann sich allgemeiner Sympathien erfreute.

Auf das, was die werte Verwandtschaft dachte und sagte, gab Jutta nicht viel; mit einer Ausnahme: Vetter Luitpold.

Luitpold Habelmayer war einer der ersten gewesen, der Jutta brieflich mit herzlichen Worten zu ihrer Wahl beglückwünscht hatte. Er hielt auch jetzt noch nach außen hin daran fest, daß ihre Verlobung ein erfreuliches Ereignis sei für alle Beteiligten. Mit Bruno hatte er sich schnell angefreundet, ihm sogar Brüderschaft angeboten.

Aber Jutta wußte, daß das Schauspielerei sei. Durch gelegentliche vielsagende Blicke, verstohlene Seufzer, nur dem Eingeweihten verständliche Andeutungen und Winke gab Luitpold der Cousine seine wahre Gesinnung zu verstehen. Für ihn war Juttas Verlobung mit Bruno noch lange kein Grund, alle Hoffnung fahren zu lassen.

Jutta verstand sehr gut, was er wollte, verstand auch das ironische Lächeln, mit dem Luitpold manchmal Bruno betrachtete. Furchtbar zu denken, daß er ihren Seelenzustand durchschaute! Dann wäre das Opfer ihrer Freiheit, das sie schweren Herzens gebracht, erst recht umsonst gewesen! Dann hatte sie nichts gewonnen, dann stand alles wie vorher!

Schien es ihr nur so; aber in Luitpolds Gegenwart kam ihr Bruno auch ganz besonders unbeholfen und philisterhaft vor. Es reizte sie geradezu, ihn dann schlecht zu behandeln. Luitpold aber nahm in heuchlerischer Weise Brunos Partei, bat sie wohl gar, nicht so unfreundlich zu sein gegen den Armen.

Stete quälende Demütigung!

Und von Bruno hatte sie Schutz erwartet! Um dieses Schutzes willen hatte sie die Stellung einer verheirateten Frau ersehnt. Schöner Schutz! Bruno sah ja überhaupt gar nicht die Gefahr, welche ihr drohte, die Verunglimpfung, die man ihr antat, die lächerliche Rolle, die er selbst dabei spielte. Als sie ihm von weitem einmal eine Andeutung machen wollte über Luitpolds wahren Charakter, nahm er ihn in Schutz, rühmte sogar noch die Liebenswürdigkeit des Vetters.

So sah sich Jutta bitter getäuscht in ihrer Rechnung. Sie zürnte ihrem Geschick, fand, daß sie grausam behandelt werde.

Es ist ein Gesetz in der Liebe, daß jeder genau das zurückerhält, was er einzahlt. Wer sich nicht hingeben will mit ganzem Herzen, wer etwas anderes sucht in der Liebe als die Liebe, kann ihres großen Glückes nimmermehr teilhaftig werden.

 


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