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Am Abend ging's zum Mandarin.
Als ich aus meiner Tür trat, strahlte der ganze Hof von Fackeln und unzähligen großen Lampions. Die Wache war ins Gewehr getreten und präsentierte, die Trommeln wirbelten, und die Musikanten machten ihre wohl nur für Chinesenohren angenehm klingende Musik. Ja, der Mandarin hatte mir sogar seine eigene Sänfte zur Benutzung gesandt.
Ich werde diesen Abend niemals vergessen.
Ich saß in meiner mit blauer Seide und Fenstern mit Vorhängen ausgestatteten Sänfte, die von acht prächtigen Burschen getragen wurde. Vorneweg, an den Seiten und hinter der Sänfte marschierten Soldaten mit aufgepflanztem Gewehr und Dutzende von Läufern mit riesigen Lampions. Sanft wiegte die Sänfte auf und ab bei den kräftigen Schritten der Träger. Alle zehn Minuten gab der vorderste von ihnen ein Signal durch lautes Aufklopfen seines Stabes auf die Erde, die Sänfte hielt, die Träger hoben die Tragstangen auf die andere Schulter, und weiter ging's im Geschwindschritt.
Nach vierzig Minuten waren wir vor dem Palast des Mandarins angelangt. Ohrenbetäubende Musik, Kommandorufe und heller Lampion- und Fackelschein empfingen mich auch hier. Die 109 mittleren Türen der riesenhaften Tore flogen vor mir auf, und vor dem letzten Tor kam mir der Mandarin persönlich zum Empfang entgegen.
Mehrere hohe Würdenträger und einige Generale waren bereits versammelt, und nach zeremonieller Begrüßung gab es den üblichen grünen, dünnen Willkommenstee, bei welcher Gelegenheit ich dem Mandarin zum Zeichen meines Dankes meine Mauser-Pistole nebst Munition als Geschenk überreichte.
Der Mann war sichtlich erfreut, und wohlgemut setzten wir uns zu Tisch. Eine riesige, runde Tafel, bedeckt mit einigen fünfzig Schüsseln, in denen die größten chinesischen Leckerbissen schwammen, empfing uns. Um mich als Gast auszuzeichnen, erhielt ich Messer und Gabel, und dann ging die Arbeit los. Nur sechsunddreißig Gänge habe ich zählen können. Und was gab es da alles! Von den zartesten Schwalbennestern zu den feinsten Haifischflossen, vom Zuckerrohrspitzensalat bis zum delikatesten Hühnerragout war nichts vergessen. Von allem mußte ich kosten. Und der Mandarin war unermüdlich mir aufzulegen. Ja, manchmal, wenn er einen guten Bissen auf seinem Teller hatte, faßte er ihn mit seinen Fingern und legte ihn mir auf meinen Teller. Zu trinken gab es Flaschenbier, welches doch schon seinen Weg in die hiesige Gegend gefunden hatte, dazu Reisschnaps.
Die schwerste Arbeit hatte wieder Herr Morgan, welcher die lebhafte, oft der Komik nicht entbehrende Unterhaltung zu verdolmetschen hatte. 110
Die Kämpfe um Tsingtau, die Verluste der Japaner und Engländer und die Fliegerei interessierten die Chinesen am meisten. Das Fragen nahm kein Ende.
Äußerst herzlich und dankbar verabschiedete ich mich von meinem Mandarin, und am nächsten Tage mußte ich auch von meinen liebenswürdigen Gastgebern Abschied nehmen.
Als ich im Flugzeug landete, hatte ich nur eine Zahnbürste, ein Stück Seife und meinen Fliegeranzug, aus Bordjackett mit Schärpe und Gamaschen bestehend, bei mir. Einen Zivilsportanzug hatte ich außerdem im Flugzeug mitgenommen. Diesen Anzug legte ich jetzt an. Das fünfjährige Töchterchen des Missionars schenkte mir dazu ihr altes abgeschabtes Filzhütchen als Ersatz für meine Sportmütze, die mir ein Chinese, während ich mein Flugzeug abtakelte, gestohlen hatte, und gegen Abend wurde ich unter wiederum großen Zeremonien zu der kleinen, mir vom Mandarin zur Verfügung gestellten Dschunke geführt.
Meine Begleitung und gleichzeitig Ehrenwache auf der kommenden Fahrt bestand aus dem chinesischen General Liu, der sich als Piratenbekämpfer bereits einen Namen geschaffen hatte, aus zwei Offizieren und fünfundvierzig Mann außer dem Bootspersonal. Zum Umfallen müde nach all dem Durchgemachten, ging ich in mein kleines Holzkämmerchen, wo ich zu meiner Überraschung und Freude statt einer Holzpritsche einen 111 herrlichen Schlafsack mit Decken und Matratze vorfand, den mir die fürsorgliche Missionarsfrau an Bord gesandt hatte. Ohne diese Sachen wäre es mir wohl schlecht ergangen in meinem dünnen Sportanzügelchen. Es herrschte grimmige Kälte, durch große Ritzen und Löcher pfiff der Wind, und durch die Decke konnte ich den Sternenhimmel sehen.
Und während meine Gedanken weit nördlich bei meinen tapferen Kameraden in Tsingtau weilten und sich mit deren und Tsingtaus Schicksal befaßten, und ich darüber nachdachte und dem gütigen Schicksal dankte, daß es mir vergönnt gewesen war, durch all die schweren Kämpfe und Gefahren und all das Erlebte unversehrt durchzukommen, um meine Aufgabe bis zum letzten Tage zu erfüllen, kam endlich der Schlaf und schloß mich in seine sicheren Arme.
Die Fahrt ging nur langsam vorwärts. Die Dschunken wurden von zwei Kulis mit einer Leine, die oben an der Mastspitze befestigt war, längs des Ufers stromaufwärts gezogen. Die erste Strecke bis Bampu, die ich in meinem Flugzeuge in knapp zwanzig Minuten zurückgelegt hätte, wurde in eineinhalb Tagen bewältigt! Später ging es besser, und besonders als der Wind günstig wurde und wir segeln konnten. Fünf volle Tage hat diese Reise gedauert, um von Hai-Dschou bis Nanking zu gelangen.
Die Fahrt war außerordentlich interessant für mich. Sie führte durch ein Netz von Flüssen bis 112 zum alten berühmten Kaiserkanal und durch diesen zum Jangtsekiang bis nach Nanking. Wir durchfuhren eine Gegend, die wegen des Piratenunwesens berüchtigt war, und passierten Städte, die niemals ein europäischer Fuß betreten hatte. Am Tage, während die Dschunke getreidelt werden mußte, ging ich mit meinem General und der Hälfte der Wache am Ufer nebenher und sah mir besonders eingehend die äußerst interessanten Städte und darin das von keiner europäischen Kultur berührte chinesische Gewühl an. Zu hellen Haufen liefen die chinesischen Männer, Weiber und Kinder aus ihren Häusern, sahen mich, der ich meist ohne Hut ging, voll Verwunderung an, ja einzelne berührten mich, um sich davon zu überzeugen, daß ich wirklich ein Mensch sei.
Meine hellblonden Haare und blauen Augen schienen ihnen das größte Rätsel zu sein.
Meine Spaziergänge und der Aufenthalt auf der Dschunke verliefen ziemlich schweigsam. Mein liebenswürdiger General war zwar recht gut europäisch angezogen, aber um die Hosen an den Fußgelenken hatte er sich doch die typischen chinesischen Bänder gewickelt, und von seinem Hinterkopf baumelte ein prächtiger langer Zopf, der kokett durch den Gürtel des Jacketts gesteckt war. Außer Chinesisch verstand der gute Mann auch nicht ein Wörtchen einer anderen Sprache, und mir ging es so mit dem Chinesischen. Bei unseren Mahlzeiten, die recht opulent waren, nur furchtbar nach Zwiebel und Knoblauch schmeckten, saßen 113 beide uns in dem kleinen Dschunkenkämmerlein gegenüber, lachten uns ab und zu freundlich an, und das war die ganze Unterhaltung.
Endlich, am elften November, langten wir in Jang-dschou-fou an, und man kann sich wohl vorstellen, mit welcher Gier ich mich auf die erste Zeitung stürzte.
Voll Erregung, endlich etwas über das Schicksal Tsingtaus zu erfahren, durchflog ich die Seiten der »Shanghai Times«. Da, auf der zweiten Seite der Name Tsingtau! Aber nein, das war doch gar nicht möglich, so etwas konnte es doch nicht in der Welt geben! Und voll Ekel und Abscheu gegen diese gemeine englische Lügenbrut las ich:
Tsingtaus feige Übergabe.
Die Festung ohne Schwertstreich genommen.
Die ganze Besatzung betrunken und plündernd.
Und dann kam so viel unflätiger Dreck, so viel gemeine Lüge, daß ich voll Verachtung die Zeitung fortwarf. So etwas wagten die Engländer, die sich so unrühmlich vor Tsingtau benommen hatten, über unsere tapferen Verteidiger zu behaupten?
Ach ich kannte ja die englischen Zeitungen noch nicht! Später habe ich mich in Schanghai und dann in Amerika bei den amerikanischen Zeitungen an ganz was anderes gewöhnen müssen; von England ganz zu schweigen. Nun hatte ich aber wenigstens Gewißheit über Tsingtaus Schicksal, das unvermeidlich kommen mußte. Auch nicht einen Augenblick zu früh hatte ich die Festung 114 verlassen, kurze Zeit darauf mußte sie sich der Übermacht ergeben.
Am Nachmittage dieses elften November Eintausendneunhundertvierzehn trafen wir glücklich in Nanking ein.
Auf dem Bahnhof wurde mir vom Kapitänleutnant Brunner, dem Kommandanten des Torpedobootes S 90, und von seinen Offizieren ein herzlicher Empfang zuteil.
In Wagen fuhren wir zu dem Gebäude, in dem die Offiziere und Mannschaften von S 90 untergebracht waren, und wo zu meinem allergrößten Erstaunen auch für mich schon eine Koje klar gemacht war. Auf mein erstauntes Fragen wurde mir dann von meinen Kameraden mitgeteilt, daß ich ebenfalls interniert werden sollte und alle sich schon gefreut hätten, den vierten Mann zum Skat zu haben. Erstens mal spiele ich keine Karten, was ich auch laut zum Ausdruck brachte; zweitens dachte ich über die Frage der Internierung ganz anders, was ich aber für mich behielt.
So zog ich denn mit meinem General Liu zu dem Palast des Gouverneurs von Nanking. Leider, oder vielmehr zu meinem Glück, war der Herr Gouverneur nicht zu sprechen. Ein alter chinesischer Arzt empfing mich sehr freundlich, wünschte mir ein weiteres Wohlergehen, und daß ich mich in Nanking wohl fühlen möchte.
Ich dankte ihm für das Wohlergehen, hatte aber meine eigene Ansicht über das Wohlfühlen! 115
Nun verabschiedete ich mich mit meinem General Liu, der sichtlich froh war, seine Mission erfüllt zu haben, und als ich in meinen Wagen stieg, da setzte sich ein chinesischer Soldat in vollem Dienstanzug zu mir.
Auf meine erstaunte Frage, was das zu bedeuten habe, antwortete er mir in leidlichem Deutsch: Er sei mein »Ehrenposten« und wäre mir zu meinem Schutze beigegeben, und er würde mich von nun ab auf allen meinen Wegen begleiten.
Na, der Tobak war doch ein bißchen zu stark!
Das war gegen die Verabredung!
In Hai-Dschou war mir ausdrücklich versichert worden, daß die Fahrt nach Nanking lediglich eine Formsache wäre und ich dann vollständig frei sein würde.
Hier wollte man mich also internieren?
Da mußte ich schnell handeln, bevor mir einer der Chinesen etwas über Internieren sagen konnte und mich meiner Freiheit beraubte. Das unangenehmste war der »Ehren«-Posten, aber Mittel und Wege mußte ich finden.
Am Abend dieses Tages waren wir Offiziere alle bei einem deutschen Bekannten eingeladen. Mein Plan stand fest. Nach einigen gemütlichen Stunden, während deren ich immer wieder von Tsingtaus letzten Tagen erzählen mußte, brachen gegen zehn Uhr abends die Offiziere bis auf meine Wenigkeit auf und gingen, gefolgt von ihren treuen Posten, nach Hause. Eine halbe Stunde 116 später war es auch für mich die höchste Zeit zu verschwinden, wenn ich noch entkommen wollte.
Als mein Gastgeber aus der Haustür heraustrat, wer stand da vor ihm? Mein gelber Wächter!
Nun war Holland in Not! Aber kurz entschlossen schickte ich unseren Boy zu dem Wächter und ließ ihn fragen, was er eigentlich hier wolle, die Herren wären ja längst weg, er solle nur laufen, um sie noch einzuholen, sonst würde er womöglich wegen seiner Unaufmerksamkeit bestraft werden.
Und während dieser arme Kerl mit hängender Zunge den anderen nachlief, fuhr ein verschlossener Wagen vor, in dem ich Platz nahm und mit äußerster Kraft zum Bahnhof fuhr, wo der neueröffnete Expreßzug bereitstand. Das letzte freie Bett konnte ich gerade noch erhaschen. Mein Schlafkupee war bereits verschlossen, und auf mein energisches Klopfen öffnete ein langer Engländer, der wegen der Störung ein wütendes Gesicht schnitt. Ich behandelte ihn natürlich wie Luft, und eins, zwei, drei war ich in der oberen Koje, drehte das Licht aus und tat so, als ob ich mich auszöge. In Wirklichkeit verkroch ich mich recht tief in meine Decken und Kissen, fest entschlossen, wenn jemand etwas von mir wolle, nicht aufzuwachen. Nicht einen Augenblick habe ich während dieser achtstündigen Fahrt geschlafen.
So oft der D-Zug hielt, kroch es kalt über meinen Rücken, und ich dachte: Ha, jetzt holen sie dich! Und wenn gar draußen viele Stimmen laut 117 wurden, dann war ich überzeugt, daß meine letzte Zug-Fahrt in diesem Kriege gekommen wäre.
Nichts ereignete sich. Den Gebrauch des Telegraphen zu Verhaftungen schienen die Chinesen Gott sei Dank noch nicht zu kennen, und so lief planmäßig um sieben Uhr früh der Zug in Schanghai ein. Jetzt kam noch die gefährliche Klippe der Bahnsperre; sie wurde überwunden.
Dann kam eine schnelle Fahrt im Rickschah durch den chinesischen Stadtteil, in dem die chinesischen Behörden noch Gewalt über mich hatten, und endlich bog mein Wägelchen in die Europäerstadt ein.
Hurra, ich war frei!
Nun konnte keiner mehr von mir was wollen.
Hocherfreut fuhr ich zu einem deutschen Beamten, der mich in liebenswürdigster Weise aufnahm.
Drei volle Wochen blieb ich in dieser Stadt, ehe es mir nach vielen Mühen gelang, meine Reise fortzusetzen.
Drei volle Wochen voller Erlebnisse und voller Gefahren des Gefangenwerdens, voll von Versteckspielen.
Was war natürlicher, als daß ein Oberleutnant zur See P. nicht bekannt war und auch der Herr Meyer, der einige Tage da gewohnt hatte, abgereist war?
Daß ein Mr. Scott für einige Tage gute Bekannte besuchte, das ging doch keinen was an. Aber ich mußte nun vorsichtig sein. Besonders, 118 da ich außerordentlich viel Leute in Schanghai kannte, zum Teil noch Engländer usw., die noch kurz vor dem Kriege mit mir in Tsingtau zusammen gewesen waren.
Vier bis fünf Namen hatte ich abwechselnd und logierte abwechselnd bei meinen Bekannten.
Da konnten die Chinesen einmal suchen!
Das Schwierigste war: wie nach Amerika kommen? Alles hatte ich versucht, nichts hatte Erfolg. Nur einmal wäre ich beinahe mit einem englischen Schiff fortgekommen. Das war eine lustige Begebenheit. Einer meiner Freunde kannte den Reedereibesitzer, einen englischen Juden, Mr. Penny, sehr gut. Mit diesem Bekannten zog ich eines Tages zu Herrn Pfennig und versuchte mein Glück. Ich hatte einen einfachen Anzug angezogen, sah ziemlich verwahrlost aus und machte einen ängstlichen, verprügelten Eindruck. Mein Freund ließ uns anmelden, und nach einiger Zeit durften wir vor dem strengen Gesicht des Herrn Pfennig, eines dicken, fetten Frosches, erscheinen. Die beiden Herren schienen sich gut zu kennen, und die Begrüßung war dementsprechend.
Ich blieb ganz bescheiden an der Türe stehen, sah beschämt auf meine zerrissenen Schuhe und drehte mein Hütchen in der Hand und verstand selbstverständlich von der ganzen englisch geführten Unterhaltung kein Wort.
Mein Freund fing an:
»Herr Pfennig, ich komme mit einer großen Bitte zu Ihnen, ich habe hier einen Lausebengel 119 mit mir, dessen Vater ich gut kenne, und der früher ein guter Geschäftsfreund von mir gewesen ist. Dieser Bengel nun, der erst siebzehn Jahre alt ist, kniff seinem Vater wegen einer Mädelgeschichte aus und hat sich als Schiffsjunge herumgetrieben, bis er hier gänzlich mittellos und sein Unrecht einsehend bei mir strandete. Ich möchte nun den Jungen, der übrigens Schweizer ist und kaum ein Wort Englisch versteht, nach Europa zurückschicken und wollte Sie fragen, ob Sie nicht auf einem Ihrer Dampfer einen Platz als Küchenjunge frei hätten. Damit ihm ein für allemal seine Flausen vergehen, wäre ein grober Kapitän ganz angebracht und ebenso entsprechende Arbeit.«
Herr Pfennig würdigte mich während dieser Zeit kaum eines Blickes, nur ab und zu sah er mich verächtlich an, und ich schien unter seinen Blicken sichtlich zu zerknirschen. »Ja,«sagte er, »für so was habe ich gerade was. Heute nachmittag fährt der Dampfer ›Goliath‹ direkt von hier nach San Francisco (jetzt spitzte ich aber die Ohren!), da kann er mit. Eine Tracht Prügel wird es dann und wann auch setzen, die schadet ihm aber nichts. Ich lasse Ihnen nachher gleich telephonisch Bescheid sagen, wann der Dampfer geht. Sechs Wochen Kartoffelschälen werden dem Jungen wohl gut tun.«
Wir waren entlassen.
Draußen kniff ich meinem Freunde so toll in den Arm, daß er vor Schmerzen aufschrie, und als wir endlich auf der Straße waren, da hielt ich 120 es nicht mehr aus. Und heraus platzte ich mit einem Lachen, so herzhaft und froh, daß unwillkürlich die Leute, die an uns vorbeigingen, mitlachen mußten. Daß ich während der durchgemachten Szene ruhig bleiben konnte, war ein Wunder. Am Nachmittag erfuhr ich leider, daß der Dampfer wegen der Flut zwei Stunden früher abgegangen wäre. Nun war's Essig, und die Arbeit begann von vorn. Dampfer gingen ja genug, aber das Üble war dabei, daß sie alle über Japan fuhren und sich dort mehrere Tage aufhielten.
Das durfte ich nur im äußersten Notfalle wagen.
Aber das Glück ließ mich nicht im Stich. An einem Tage traf ich zufällig einen Freund, mit dem ich vor Jahren manch lustige Nacht im fernen Osten durchgebummelt hatte. Der war gleich bei der Hand. Und schon nach einigen Tagen hatte er mir die nötigen Papiere besorgt, und mir genaue Verhaltungsmaßregeln erteilt. Aus einem Mr. Scott, Meyer oder Brown war plötzlich ein steinreicher vornehmer Engländer geworden mit dem schönen Namen McGarvin. Dieser Herr war Vertreter von Singers Nähmaschinen und reiste von Schanghai zu seinen Fabriken nach Kalifornien.
Was war natürlicher, als daß Mr. McGarvin den nächsten großen amerikanischen Postdampfer benutzte!
An Bord dieses Schiffes gab es nur zwei prachtvolle Luxuskabinen. In der einen wohnte 121 ein amerikanischer Milliardär, in der anderen der Oberleutnant zur See Plüschow, o Verzeihung, was ich da, ich meine natürlich der Singer-Nähmaschinen-Fabrikant McGarvin. Eine Schwierigkeit war noch zu überwinden: das unbemerkte Entkommen aus Schanghai.
Da halfen mir wieder meine Bekannten aus. Drei Tage bevor der Dampfer ging, nahm ich überall offiziell Abschied und verbreitete, daß ich mich in Schanghai nicht mehr sicher fühlte und nun nach Peking reiste, um bei der Deutschen Gesandtschaft tätig sein zu können. Tatsächlich fuhr ich auch in meinem Wagen um elf Uhr abends zum Bahnhof. Daß der Kutscher allerdings einige Straßen vorher abbog und in scharfem Trab nach Süden fuhr und aus der Stadt heraus, konnte ich nicht wissen.
Woher sollte ich auch Schanghai kennen?
Nach ungefähr zwei Stunden, während deren der Wagen längs des Wusungflusses gefahren war, hielten wir. Zwei mit Revolvern bewaffnete Männer traten an den Wagen heran, eine kurze Parole, ein Händedruck, dann küßte ich voll Ehrerbietung und Dankbarkeit zwei schlanke weiße Frauenhände, die sich mir aus dem Wageninnern entgegenstreckten, und fort sauste das Gefährt. Meine beiden Freunde nahmen mich in ihre Mitte, auch ich zog meinen Revolver, und wortlos stiegen wir in eine bereitliegende Dschunke.
Die Nacht war stockfinster, der Wind heulte, und unheimlich gurgelte das schmutzige dunkle Wasser, 122 welches, von der Ebbe mitgenommen, an uns vorbeischoß.
Mit aller Kraftanspannung wriggten vier dunkle Chinesengestalten an ihren Riemen, und nach etwa einer Stunde hatten wir viele Kilometer stromabwärts unseren Bestimmungsort am jenseitigen Ufer erreicht.
Lautlos legten wir an, lautlos verschwand die Dschunke, und ebenso lautlos schritten wir einem dunklen Gebäude zu, welches inmitten eines kleinen Gartens in der Nähe von riesigen Fabrikgebäuden lag.
Der helle Glanz elektrischer Lampen, der uns entgegenstrahlte, nachdem die Eingangstüren sorgfältig verschlossen waren, blendete grell meine Augen.
Bald sah ich aber, daß ich mich in einer gemütlich eingerichteten Junggesellenwohnung befand. Ein Tisch war gedeckt, und wacker langten wir den köstlichen Speisen zu. Nun wurde der Kriegsplan ausgeheckt.
Die Wohnung gehörte den beiden jungen Leuten, die am Tage in der Fabrik zu tun hatten. Die Bedienung im Hause war selbstverständlich rein chinesisch, und das war gut.
Mein Aufenthalt in diesem Hause mußte unter allen Umständen geheim bleiben, besonders da hier auch noch ein unangenehmer Mann wohnte, der zur »Entente« gehörte.
Die Angst der Chinesen vor bösen Geistern und besonders den Aberglauben vor Verrückten 123 wollten wir ausnutzen. Meine Aufgabe war einfach die: drei volle Tage den wilden Mann zu spielen.
Ich erhielt ein Zimmerchen, in das ich eingeschlossen wurde. Der Boy wurde von seinem Herrn eingehend instruiert und eingeschüchtert, und so konnte ich sicher sein, daß nichts verraten würde.
Donnerwetter! Ich habe nicht gedacht, daß es so schwer ist, einen Verrückten zu simulieren. Drei Tage blieb ich in diesem Zimmer eingesperrt, tobte herum, und nur ab und zu beruhigte ich mich und saß stumpfsinnig in meinem Sessel.
Sobald der Boy, der draußen Wache ging, diese Beruhigung merkte, machte er vorsichtig die Tür auf und schob noch vorsichtiger sein Tablett, auf dem Essen stand, herein und setzte es auf ein daneben stehendes Tischchen. Und wie der Blitz zog er den Arm wieder zurück, und ich konnte ordentlich fühlen, mit welcher Erleichterung er den Schlüssel im Schloß von außen umdrehte. Wenn ich dann manchmal laut herauslachte, weil ich eben einfach platzte vor Vergnügen, dann glaubte der brave Gelbe, ein neuer Anfall habe mich gepackt.
Am Abend des dritten Tages schlug endlich meine Befreiungsstunde.
Ebenso vorsichtig und geräuschlos wie bei der Ankunft verließen wir wieder das Haus.
An der Landungsstelle lag ein großes Dampfboot, ein kurzer herzlicher Abschied, und 124 stromabwärts ging die Fahrt auf die Wusung-Reede, wo der riesige Dampfer »Mongolia« lag.
Es war schlechtes Wetter, starker Seegang, und nicht mal das Fallreep war gefiert. Nach vielem Rufen und Schreien bemühte sich endlich jemand, das Fallreep herabzulassen, und mit »dem« Koffer in der Hand bestieg Mr. McGarvin das Schiff.
Kein Mensch kümmerte sich um mich. Das Deck war nur halb erleuchtet, und schließlich ging ich an einige Schiffsoffiziere heran und fragte sie nach meiner Kabine. Ein unwilliges Gebrumm, welches auf deutsch hieß: Laß mi mei Ruh', antwortete mir. Aber als ich diesen Herren mein Billett unter die Nase rieb, da änderte sich die Situation mit einem Schlage. Tiefe Verbeugungen und Entschuldigungen. Ein Pfiff aus der Batteriepfeife eines Offiziers, und herbei rauschten mehrere Stewards, voran der weiße Obersteward. Die Deckslampen flammten hell auf. Die Stewards rissen sich um »den« Koffer, und voll Dienstbeflissenheit geleitete mich der Obersteward in meine Luxuskabine. Er floß förmlich über vor Höflichkeit.
»O, Mr. McGarvin, warum kommen Sie denn heute schon, der Dampfer geht doch erst übermorgen früh, das ist doch heute mittag in Schanghai überall bekanntgegeben worden!« Ich machte ein wütendes Gesicht und tat empört darüber, da mir als Inhaber einer Luxuskabine das nicht mitgeteilt worden sei. 125
Dann kam mein feister chinesischer Kabinensteward. Die Ruhe und die Vornehmheit in eigenster Person. Beinahe hätte er mich in Verlegenheit gebracht. Durch einen seiner Unterboys ließ er meinen Koffer hereinbringen und fragte in zweifelnden Tone, ob das denn das ganze Gepäck wäre.
»Ja,« sagte ich.
»Oh,« meinte er, »da sind die anderen Gepäckstücke wohl schon im Gepäckraum?«
»Aber natürlich, meine schweren Koffer sind bereits gestern verladen worden, und ich hoffe sehr, daß der Lademeister gut auf meine wertvollen Strandkoffer achtgeben wird.«
Ach der gute Chinaxe, wenn der geahnt hätte, daß ich schon stolz war, diesen einen Koffer zu besitzen, und selbst dieser war bedenklich leicht!
Endlich, am fünften Dezember Neunzehnhundertvierzehn, abends setzte sich der Dampfer »Mongolia« in Bewegung.
Trotz des schönen Wetters und des guten Essens erkrankte plötzlich am nächsten Tage Mr. McGarvin. Was es war, konnte er selbst nicht genau sagen. Wahrscheinlich eine schwere Fischvergiftung, und schleunigst wurde der Schiffsarzt geholt. Dies war ein glänzender Mann, Sportsmann durch und durch und für jeden köstlichen Scherz sofort zu haben. Seine anfangs besorgte Miene nahm schnell einen erstaunten Zug an, als ihm aus der Koje des vermeintlich Todkranken ein blühendes, braun verbranntes Gesicht entgegenleuchtete. 126
Ich hatte Vertrauen zu ihm, und in kurzen Worten schilderte ich ihm meine Lage. Selten habe ich ein paar Augen so erfreut aufleuchten sehen wie die des Arztes, nachdem ich ihm meine Sünden gebeichtet hatte. Ein schallendes Gelächter und ein kräftiger Händedruck sagten mir, daß ich an den richtigen Mann gekommen war. Der Steward klopfte an.
Besorgte Amtsmiene des Arztes, Stöhnen de Patienten.
Vorsichtig huschte der Steward hinein, und mit leiser, eindringlicher Stimme sagte ihm der Arzt: »Du, Boy, dieser Master sehr krank sein, gar nicht stören, vor zehn Tagen Aufstehen unmöglich, das beste Essen, vom Koch sorgfältig ausgewählt, stets ans Bett bringen, wenn Master Wünsche hat, mich sofort holen.«
Bei dieser Rede hatte ich bereits einen Bettzipfel im Mund, und wenn's länger gedauert hätte, würde ich wohl noch die ganze Bettdecke verschlungen haben. Ich war wieder mal im Bilde.
Drei Tage Seefahrt, dann kam der erste der drei gefürchteten japanischen Häfen. Friedlich lief der Dampfer in Nagasaki ein, und sofort stürzte sich eine Flut von Zollbeamten, Polizisten und Kriminalbeamten an Bord. Die Glocke tönte durchs Schiff und der Ruf: Alle Passagiere und alle Mann antreten zur Musterung! Und nun ging die Untersuchung und das Gefrage los. Die Passagiere waren im Salon versammelt. 127 Jeder einzelne wurde namentlich aufgerufen, ganz gleichgültig ob Mann, Frau oder Kind, wurde von einer Kommission aus Polizeioffizieren und Kriminalbeamten vernommen, die Papiere genau revidiert und dann von einem japanischen Arzt genau auf ansteckende Krankheit untersucht. Vor allen Dingen wollten sie genau wissen, wer derjenige wäre, der aus Tsingtau käme! Der fünfunddreißigste Name, der aufgerufen wurde, war McGarvin. Alles sah sich um, keiner hatte diesen natürlich gesehen. Da trat der Arzt heran, machte ein sehr bedenkliches Gesicht und flüsterte seinem japanischen Kollegen unter bedauerndem Achselzucken eine schreckliche Geschichte ins Ohr.
Eine Viertelstunde darauf hörte ich viele Stimmen vor meiner Kammer, es wurde ganz vorsichtig die Tür geöffnet, und herein ging der amerikanische Arzt und schlichen sich zwei japanische Polizeioffiziere und der japanische Arzt. Fest zusammengerollt und leise stöhnend lag der arme Fischvergiftete da, nichts war von ihm zu sehen, als etwas vom Haarschopf.
Der Amerikaner trat ans Bett und berührte vorsichtig meine Schulter, was mir scheinbar fürchterliche Schmerzen verursachte. Sofort trat der Arzt vom Bett zurück und sagte halblaut: »Oh, very ill, very.« Die Japaner, welche sich von Anfang an voller Scheu in der wundervoll eingerichteten Kabine umgesehen hatten, schienen froh zu sein, aus dieser ihnen ungewohnten 128 Umgebung schnell wieder rauskommen zu können. Mehrere tiefe Bücklinge, ein zischendes Geräusch durch die Zähne, welches ihre besondere Ehrerbietung ausdrücken sollte, ein leise gemurmeltes: »Oh, I beg your pardon!« und raus war die ganze gelbe Gefahr.
Ich glaube, während dieser ganzen Szene und besonders vorher hatte ich doch etwas Schüttelfrost, der sich aber schnell wieder legte.
Am Nachmittage riskierte ich doch einen Augenblick aufzustehen, um mir vom Schiff aus Nagasaki, das ich von früher her kannte, anzusehen.
Donington Hall, Leicestershire, England, wo die gefangenen Offiziere interniert sind.
Der Anblick, der sich mir bot, trieb mich schnell wieder in die Koje. Der Hafen war mit unzähligen Dampfern besät, welche unter reichstem Flaggenschmuck zu Anker lagen. Ein außerordentliches Leben herrschte an Bord dieser Schiffe, überall wurden Truppen, Pferde und Geschütze ausgeladen, alle Soldaten waren festlich geschmückt, die Häuser der Stadt verschwanden fast unter Girlanden und Fahnenschmuck, eine unabsehbare, froh bewegte Menge strömte durch die Straßen und nach der Festwiese, wo Parade und Truppenschau abgehalten wurde. Nun wußte ich's. Das waren ja die Sieger von Tsingtau! In ganz Japan wurde heute die Niederwerfung und Bezwingung des ganzen Deutschen Reiches gefeiert. In den japanischen Zeitungen, die in Englisch erschienen, konnte ich an diesem Abend unter anderem lesen, daß es den Engländern, Franzosen und Russen nicht gelungen sei, Deutschland zu 129 besiegen, aber sie, die Japaner, sie hätten es fertiggebracht und wären damit jetzt ohne Zweifel das beste und stärkste Heer der ganzen Welt. Doch genug von diesen Lächerlichkeiten, die Amerikaner und Engländer haben sich ganz ähnliche Sachen geleistet.
Der Verfasser (in Zivil) mit dem abgeschlagenen Motor seines Flugzeuges beim Mandarin von Hai-Dschou.
Noch zweimal legte der Dampfer während dieser Tage in japanischen Häfen an. Sowohl in Kobe wie in Yokohama spielte sich in meiner Kammer derselbe Vorgang ab wie in Nagasaki – Mr. McGarvin blieb krank und – – – unbehelligt. Fünf volle Tage blieben wir im ganzen in Japan. Aber endlich, nachdem ich acht ganze Tage im Bett gelegen hatte, ohne daß mir etwas fehlte als eben die Krankheit, verließen wir die gefährlichen Gewässer, und als die japanische Küste hinter uns am Horizont verschwand, da soll es auf dem Dampfer einen jungen Mann gegeben haben, der wie unsinnig vor Freude herumsprang und sein kleines Hütchen, welches ehemals einem fünfjährigen Mädchen im fernen China gehört hatte, in der Richtung nach Japan schwenkte und lachend rief: »Good bye, Japs, good bye, Japs!«
Unter allerlei Unterhaltungen, wie sie eben an Bord eines so großen Dampfers gepflogen werden, zogen die Tage dahin. An Bord waren auch mehrere deutsche Herren, die der Krieg aus ihrer bisherigen Heimat vertrieben, dann einer meiner Kameraden, der bis jetzt in Schanghai zu tun gehabt hatte, und ein Kriegskamerad von mir: der 130 amerikanische Kriegsberichterstatter Mr. Brace, welcher als einziger Ausländer die ganze Belagerung Tsingtaus mitgemacht hatte.
Neptun sorgte für Abwechslung. Kurz vor Honolulu bekamen wir einen starken Taifun auf den Kopf, der zwei Tage andauerte, und bei dem der Dampfer ernstlich in Gefahr schwebte.
Als wir in Honolulu bei strahlendem Sonnenschein ankamen, da traute ich meinen Auge kaum. Da vorne, da wehte ja die deutsche Kriegsflagge! Es war kein Zweifel.
Und als wir festgemacht hatten, lag neben uns winzig wie eine Nußschale der kleine Kreuzer »Geier«, welcher sich, wie wir später erfuhren, von der Südsee aus in mehrmonatiger Reise bis nach hier durchgeschlagen hatte und interniert worden war. Welch ein eigentümliches Zusammentreffen! Liebe Kameraden, von denen ich lange nichts mehr gehört hatte, traf ich hier mitten im Kriege, fern der Heimat nach großen Erlebnissen. Da gab's ein Fragen und Erzählen, das wollte kein Ende nehmen.
Der »Geier« hatte sich bei Ausbruch des Krieges fern unten in der Südsee zwischen dem Gewirr der Koralleninseln befunden. Die Mobilmachung mit Rußland hatte er noch erfahren, dann war seine Funkentelegraphie entzweigegangen, und er schwamm ohne Nachrichten im Stillen Ozean herum. Erst vierzehn Tage später erfuhr der »Geier« etwas vom Kriege mit England und noch später den mit Japan. Da hieß es aufpassen, 131 und umstellt und gehetzt von einer Schar von Feinden ist es dem kleinen Kreuzer gelungen, wochenlang segelnd oder im Schlepp eines kleinen Dampfers sich die Tausende von Seemeilen bis nach Honolulu durchzuschlagen. Und als der große japanische Kreuzer, der bei der Einfahrt von Honolulu auf ihn lauerte, sich an einem Morgen die Augen rieb, da lag das kleine Nußschälchen schon wohlgeborgen im Hafen, und stolz wehte die Flagge am Mast, und der gelbe Aff' mußte mit eingezogenem Schwanze nach Hause laufen.
Nach der Abfahrt von Honolulu hatte ich noch ein ernstes Hühnchen mit meinem Kriegskorrespondenten zu rupfen. Dieser brachte mir nämlich freudestrahlend die »Honolulu Times« und zeigte mir stolz das erste Blatt, auf dem in riesigen Lettern mein Name, meine Stellung und meine Herkunft zu lesen war und darunter ein spaltenlanger Artikel, der alle Schandtaten aufzählte, die ich in und nach der Belagerung Tsingtaus vollbracht hatte.
Also echt amerikanisch; nach dem, was über einen in der Zeitung steht, wird man erst beurteilt.
Mir war die Sache äußerst peinlich, denn ich hatte allen Grund zu befürchten, daß die amerikanischen Behörden mich auf dieses Schreiben hin in San Francisco festnehmen würden. Doch alle Amerikaner an Bord beruhigten mich in dieser Beziehung, und meinten, ich würde in Amerika vollständig unbelästigt herumgehen können, denn, was ich gemacht hätte, wäre ein 132 »good sport«, dafür hätten die Amerikaner Sinn. Sogar im Gegenteil, der Amerikaner würde sich kolossal darüber freuen, und wenn ich vernünftig wäre und von meinen törichten deutschen Offiziersansichten abließe, dann könnte ich in Amerika ein ordentliches Stück Geld verdienen. Ich solle mich bloß an eine richtige Zeitung wenden, und die würde die Sache an der Hand ihrer Reklame ordentlich inszenieren, und dann könnte ich, möglichst mit Musik vorneweg, von Stadt zu Stadt ziehen und Vorträge halten und plenty dollars einheimsen. Ja, es waren überhaupt Gemütsmenschen, die Herren Amerikaner. Einer dieser Herren, ein ganz famoser netter Mann, der eine reizende Tochter mit an Bord hatte, kam eines Tages zu mir, nahm mich beiseite und sprach im vollsten Ernste:
»Sehen Sie mal, Mr. McGarvin, Sie gefallen mir, ich habe Interesse an Ihnen. Was wollen Sie jetzt anfangen? Geld haben Sie wahrscheinlich nicht, in Amerika kennt Sie niemand, und gute Arbeit findet sich dort sehr schwer!«
»Nun, ich will nach Deutschland und will für mein Vaterland kämpfen, ich bin doch Offizier!«
Ein mitleidiges Lächeln seinerseits.
Er: »Aus Amerika herauszukommen, ist ausgeschlossen, und dann, Ihr Vertrauen und Ihre Begeisterung in Ehren, aber glauben Sie mir, ich habe gute Verbindungen; in wenigen Monaten wird Deutschland vernichtet sein, und da wird es dann für Sie keine Arbeit und keine Bleibe 133 mehr geben. England wird keinem deutschen Offizier erlauben, nach dem Kriege in Deutschland zu bleiben. Sie alle werden exportiert, das deutsche Reich aufgeteilt und der Deutsche Kaiser von seinem eigenen Volke abgesetzt werden. Also seien Sie doch vernünftig, suchen Sie sich jetzt schon eine neue Heimat zu gründen, bleiben Sie in Amerika, ich werde Ihnen gern helfen.«
Das war mir zu viel. Und eine Antwort habe dem Herrn gegeben und eine Belehrung, was eigentlich ein deutscher Offizier sei, und wie es wirklich in Deutschland aussähe, daß der gute Mann fast selbst mit in Begeisterung über Deutschland geriet. Von nun ab war er noch liebenswürdiger zu mir, und öfters bin ich nachher bei ihm in San Francisco und New York zu Gast gewesen.
Am dreißigsten Dezember liefen wir in San Francisco ein.
Typisch amerikanischer Zustand.
Dutzende von Zeitungsreportern und Photographen rannten an Deck herum, kamen in Salons, ja ließen einen nicht mal in den Kabinen zufrieden. Von mir hatten die Kerls schon Wind bekommen. Von allen Seiten stürmten diese Herren herbei, von allen Ecken wurde man geknipst, es war geradezu widerlich. Schließlich wandte ich das einzige Mittel an, welches hilft: ich wurde grob und schrie: »Ich habe überhaupt nichts zu sagen, und wenn Sie mich weiter belästigen, hole ich die Polizei!« Mein 134 Kriegskorrespondent aus Tsingtau hatte mich vorher instruiert, mit seinen Kollegen so zu verfahren.
Nur ein windiger gelber Japaner schlich sich wie eine Katze an mich heran, machte tiefe Verbeugungen, zischte durch die Zähne und sagte falsch lächelnd, er käme vom Japanischen Konsulat (das auch noch!) und wolle mich begrüßen und mir Glück wünschen, daß ich so gut aus Tsingtau herausgekommen wäre. Im übrigen hätte ich ja gar nichts zu befürchten, ich wäre auf amerikanischem Boden, aber er würde so furchtbar gerne einen kleinen Bericht seiner Zeitung nach Japan schicken, das würde seine japanischen Brüder freuen.
Den gelben Jap ließ ich durch den chinesische Steward hinausbefördern.
San Francisco! 135