Gunther Plüschow
Die Abenteuer des Fliegers von Tsingtau
Gunther Plüschow

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Hurra!

Und wie sah es nun inzwischen in Tsingtau aus? Die Beschießung von See setzte täglich ein, und bald kamen auch die ersten Landbatterien und halfen mit bei dem höllischen Spiel. Außer in den bombensicheren Räumen und Kasematten gab es keinen sicheren Platz mehr in ganz Tsingtau. Die Beschießung wurde heftiger und immer heftiger, und an manchen Tagen wurden allein von See aus mehrere hundert Dreißigeinhalb-Zentimeter-Schiffsgranaten in das kleine Tsingtau hineingeschossen.

Am vierzehnten Oktober fand eine besonders heftige Beschießung unseres Seewerkes Hu-Chuin-Huk statt. Weit draußen fuhren die feindlichen Schiffe, und schon nach der zweiten Salve deckten die Dreißigeinhalb-Zentimeter-Granaten das kleine Werk. Nun folgte Salve auf Salve. Das ganze Werk war in Wassersäulen, Flammen und Rauch eingehüllt, und das Krachen und Dröhnen der krepierenden Granaten ließ die Erde erbeben.

Wie immer, so stand ich auch an diesem Morgen auf dem Küstenkommandeurstand nur rund tausend Meter seitlich von dem beschossenen Fort ab und erlebte so das grausige Schauspiel aus nächster Nähe.

Oft flogen die scharfen, bis über einen Meter langen Sprengstücke der Granaten pfeifend und surrend und unheimlich zischend über unsere Köpfe 80 weg, ohne daß wir darauf achteten, da uns der Anblick des beschossenen Forts zu sehr gefangen nahm. Das Gesehene war so gewaltig, daß es sich nicht beschreiben läßt.

So etwas kann man nur erleben.

Wir dachten mit Schmerzen an die tapfere Besatzung und an ihren sicheren Untergang, aber mitten im tollsten Feuer schoß die eine alte Vierundzwanzig-Zentimeter-Kanone einen Schuß, und voll Spannung richteten sich sofort alle unsere Doppelgläser auf die feindlichen Schiffe.

Und da plötzlich ein Hurra! So jubelnd und froh entrang es sich unseren Kehlen, und drüben beim englischen Linienschiff »Triumph« saß unsere Sprenggranate mitten an Deck. »Triumph« drehte sofort ab und lief mit äußerster Kraft davon, und als kurze Zeit darauf unsere zweite Granate ankam, konnte sie nur noch fünfzig Meter hinter seinem Heck ins Wasser einschlagen.

»Triumph« dampfte dann nach einigen Signalen, die er mit dem japanischen Flaggschiff wechselte, ab und ging zur Reparatur nach Yokohama.

Die drei japanischen Schiffe setzten ihre Beschießung fort, aber nunmehr in noch respektvollerer Entfernung, so daß es zwecklos war, mit unseren alten Kanonen, die längst nicht so weit reichten, zu feuern.

Mittags um zwölf Uhr hörte die Beschießung endlich auf, nachdem der Feind sowohl wie wir 81 mit Recht der Überzeugung sein konnten, daß das Fort zerstört und die Insassen getötet seien.

Sofort eilte der Stab des Küstenkommandeurs zum Fort Hu-Chuin-Huk, und auch ich folgte mit meinem Auto.

Gewärtig eines furchtbaren Anblicks, waren wir bei unserer Ankunft höchst erstaunt, die gesamte Besatzung froh und vergnügt umherspringen zu sehen, Sprengstücke sammelnd und die riesigen Krater, die die feindlichen Granaten in den Boden geschlagen hatten, bewundernd.

Das war eine Freude! Kein einziger der Leute verletzt, kein Geschütz beschädigt, kein bombensicherer Raum durchschlagen!

Der Erfolg der schweren Beschießung war: eine Keksschachtel zerschlagen und ein Mannschaftshemd, welches zum Trocknen gehangen hatte, zerrissen.

Und dazu unter anderem Einundfünfzig- bis Dreißigeinhalb-Zentimeter-Geschosse.

Durch eine der dünnen Panzerkuppeln war eine schwere Granate glatt durchgeschlagen und war als Blindgänger friedlich auf den Eisenplatten neben dem Geschütz liegengeblieben.

Nun löste sich auch das Rätsel unseres eigenen Schusses: Unsere Geschütze hatten eigentlich nur eine Reichweite von hundertsechzig = hundert. Aber da war die Bedienung dabeigegangen und hatte es mit unendlichen Mühen fertig gebracht, daß das Geschütz einige Sechzehntel Grade höher gerichtet wurde und dadurch wieder zwei- bis dreihundert Meter weiter schießen konnte. 82

Und, das Geschützrohr in höchster Erhöhung fertig geladen, hatte die wackere Besatzung und ihr tapferer Batterieführer, Oberleutnant zur See Haßhagen, trotz des furchtbaren Granatfeuers ruhig am Geschützrohr ausgeharrt, bis endlich eines der Schiffe in Reichweite kam.

Und der erste Schuß, der saß gleich!

Und das schönste war: er traf den Richtigen.

Schade, daß beim zweiten Schuß der »Triumph« schon so weit weggelaufen war, sonst hätte ihn schon an diesem Tage sein Schicksal ereilt.

Aber er entging ihm nicht!

Und was wir nicht mehr vollbringen konnten, hat einige Monate später unser Hersing ausgeführt. Im Frühjahr Neunzehnhundertfünfzehn hat er uns Tsingtauer gerächt, als er mit seinem U‑Boot vor den Dardanellen denselben »Triumph« auf den Meeresboden hinabsandte.

Wir Tsingtauer wissen ihm dafür Dank!

Mit den Offizieren und der Besatzung des Forts Hu-Chuin-Huk verband mich ein besonders inniges Verhältnis.

Von Rechts wegen gehörte ich überhaupt zu ihnen, denn erstens grenzte mein Flugplatz an das Fort, und zweitens waren sie jedesmal Zeugen meiner Starts und vor allen Dingen meiner Bemühungen, von ihren Kanonen frei zu kommen. Und mehr als einmal standen die Leute klar, um ins Wasser zu springen und mich zu retten, da sie glaubten, ich stürze mit dem Flugzeug hinein. 83

Und so oft ich Gast des hervorragenden Fortkommandanten, Kapitänleutnants Kopp, war, malten wir uns in den schönsten Farben unseren Einzug in Deutschland nach beendetem Kriege aus, und da wurde selbstverständlich ausgemacht, daß ich mit bei der Besatzung vom Fort Hu-Chuin-Huk marschierte.

Am siebzehnten Oktober spät abends stand eine Gruppe von Offizieren in atemloser Spannung auf dem Küstenkommandeurstand. Wir wenigen hier oben wußten, worum es sich handle. Das Alte Torpedoboot S 90, Kommandant Kapitänleutnant Brunner, sollte auslaufen.

Schon zwei Abende vorher war er zu kühner Nachtfahrt in See gegangen und hatte dort, von wo aus die japanischen Schiffe uns beschossen, Minen gestreut.

Heute sollte er nun seine schwerste und letzte Aufgabe erfüllen: die Linie der feindlichen Torpedoboots-Zerstörer durchbrechen und eins der feindlichen Schiffe angreifen.

Es war eine helle Nacht, und der Mond ging gegen zehn Uhr unter. Nun sollte das Boot auslaufen.

Es wurde zehn Uhr, zehn Uhr dreißig, die Spannung wuchs unerträglich. Nichts von S 90 war zu sehen.

Da – um elf Uhr gewahrten wir einen langen, grauen Schatten, welcher sich vorsichtig auf dem Ufer unterhalb des Perlgebirges dahinbewegte. Und bald erkannte auch das scharfe Seemannsauge die Formen des Torpedobootes. 84

»Glückliche Fahrt, ihr wackeren Leute!«

Unser aller Herzen sandten ihnen die heißesten Wünsche nach. Nun verschwand das Boot unseren Blicken, und bald kam der gefährliche Moment, wo es die feindliche Zerstörerlinie durchbrechen würde.

Gebannt starrten unsere Augen nach dem offenen Meere, jeden Augenblick das Aufblitzen der Scheinwerfer und das Mündungsfeuer der feindlichen Geschütze erwartend.

Alles blieb still.

Es wurde zwölf Uhr, endlich zwölf Uhr dreißig, ein Alp wich von uns allen. Die feindlichen Zerstörer hatten nichts gemerkt. Nun mußte aber das Boot am feindlichen Gros heran sein!

Die Minuten wurden uns zu Stunden. Keiner wagte zu sprechen.

Da plötzlich um ein Uhr, ganz fern im Süden, draußen auf weiter See, eine riesige Feuersäule und dann von allen Seiten tastende, grelle Finger von Scheinwerfern, und ganz leise kam nach einiger Zeit ein dumpfes Grollen und Beben zu uns herüber.

Hurra! Das war S 90's Arbeit!

Und schon um ein Uhr dreißig hatten wir folgenden Funkspruch in der Hand:

»Habe feindlichen Kreuzer mit drei Torpedos angegriffen, alle Torpedos getroffen. Kreuzer ist sofort in die Luft geflogen. Ich werde von feindlichen Zerstörer-Flottillen gejagt, Rückweg nach Tsingtau abgeschnitten, versuche nach Süden 85 zu entkommen und sprenge, wenn nötig, das U‑Boot in die Luft. Unterschrift: Brunner.«

Dieses Telegramm allein dürfte wohl für den Kommandanten, seine Offiziere und Besatzung genug sprechen.

Wenige Wochen drauf, ohne vorher daran gedacht zu haben, traf ich in Nanking die S 90-Besatzung wieder. Doch das ist eine spätere Geschichte. 86

 


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