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12. Nicht wahr also, sagte ich, sowohl das Uebrige haben wir in unserer Begründung abgestreift, als auch brachten wir insbesondere nicht jene Belohnungen und jenen äußeren Ruhm der Gerechtigkeit bei, wie ihr sie aus dem Munde des Hesiodos und Homeros anführtet B. III, Cap. 6 u. 7., sondern die Gerechtigkeit an und für sich haben wir für die Seele an und für sich als das Beste gefunden, sowie daß sie das Gerechte üben müsse, mag sie jenen Ring des Gyges besitzen oder nicht, und etwa außer diesem Ringe auch noch die Hades-KappeUeber den Ring des Gyges s. B. II, Cap. 3 und obige Anm. 22 Die Hades-Kappe, welche gleichfalls die Kraft hatte, den sie Tragenden unsichtbar zu machen, wird schon in der Ilias (V. V. 845) erwähnt, wo sich Athene derselben bedient; daß sie völlig der Tarnkappe der nordisch-germanischen Sage entspricht, versteht sich von selbst (s. Grimm, D. Mythol. 1. Aufl. S. 531).. – Du sprichst sehr wahr, sagte er. – Mag es also, o Glaukon, sprach ich, wohl jetzt hiemit uns unverwehrt sein, außer jenem Bisherigen der Gerechtigkeit und der übrigen Vortrefflichkeit auch jene Belohnungen zuzutheilen, welche und wie viele sie der Seele seitens der Menschen und der Götter zutheile, sowohl so lange der Mensch noch lebt, als auch wenn er gestorben ist? – Ja wohl, durchaus so, sagte er. – Werdet ihr mir also zurückerstatten, was ihr in der Begründung von mir als Darlehen erhieltet? – Was soll dieß wohl sein? – Ich habe euch es hingegeben, daß der Gerechte allerdings ungerecht zu sein scheine und der Ungerechte gerecht; ihr nemlich waret der Ansicht, daß, wenn man auch in Solchem den Göttern und den Menschen nicht verborgen bleiben könne, dieß dennoch um der Begründung willen zugegeben werden müsse, damit die Gerechtigkeit an und für sich im Vergleiche mit der Ungerechtigkeit an und für sich beurtheilt werde B. II Cap. 6–9.; oder erinnerst du dich nicht mehr? – Ich würde ja sehr Unrecht thun, sagte er, wenn ich mich nicht erinnerte. – Da demnach das Urtheil über beide gefällt ist, so fordere ich hinwiederum von euch es zu Gunsten der Gerechtigkeit zurück, daß ihr, wie es sich bezüglich ihres Ruhmes bei Göttern und Menschen wirklich verhält, es ebenso auch betreffs dieses ihres Scheines zugesteht, damit sie auch jenen Siegerpreis davontrage, welchen sie seitens des Scheines erwirbt und den mit ihr Behafteten verleiht, nachdem sich ja gezeigt hat, daß sie seitens des wirklichen Seins in der That Güter verleiht und die wirklich mit ihr Behafteten nicht täuscht. – Ja, eine gerechte Forderung, sagte er, stellst du hiemit. – Nicht wahr also, sprach ich, erstens werdet ihr mir dieß zurückerstatten, daß Keiner der Beiden in seiner Beschaffenheit den Göttern unbemerkt bleibt? – Ja, wir erstatten dieß zurück, sagte er. – Woferne sie aber nicht unbemerkt bleiben, wird wohl der Eine ein Gottgeliebter und der andere ein Gottverhaßter sein, wie wir auch zu Anfang dieß zugestanden. – Ja, so ist es. – Werden wir aber nicht zugestehen, daß dem Gottgeliebten Alles, was ihm seitens der Götter zu Theil wird, als das möglichst Beste zu Theil werde, woferne ihm nicht irgend ein nothwendiges Uebel in Folge eines früheren Fehltrittes anklebt? – Ja wohl, allerdings. – Also diese Annahme müssen wir betreffs des gerechten Mannes hegen, mag er in Armuth oder in Krankheit oder in irgend einem anderen der scheinbaren Uebel sich befinden, daß nemlich diesem all Solches zuletzt bei Lebzeiten oder nach seinem Tode zum Guten ausschlagen werde; denn seitens der Götter wird ja doch wohl derjenige niemals vernachlässigt, welcher sich darnach bemühen will, gerecht zu werden und durch Bethätigung in der Vortrefflichkeit, so weit es nur einem Menschen möglich ist, sich dem Gotte ähnlich zu machen. – Ja, es scheint wohl, sagte er, daß der so Beschaffene von dem ihm Gleichen nicht vernachlässigt werde. – Nicht wahr also, betreffs des Ungerechten müssen wir wohl das Gegentheil hievon denken? – Ja, in hohem Grade. – Also seitens der Götter möchte wohl der Siegerpreis für den Gerechten irgend ein derartiger sein. – Ja, wenigstens nach meiner Meinung, sagte er. – Wie aber, sprach ich, seitens der Menschen? Verhält es sich da nicht, woferne man das Wirkliche aufstellen will, folgendermaßen: Thun nicht jene, welche in der Ungerechtigkeit gewandt sind, das Nemliche wie jene Wettläufer, welche von den Schranken hinweg gut laufen, von der Mitte der Bahn an aber nicht gut? Anfangs nemlich sprengen sie gar hitzig ab, zuletzt aber werden sie zum Gespötte, indem sie die Ohren bis auf die Schultern herabhängen lassen und unbekränzt ihren Lauf beschließen; hingegen diejenigen, welche in Wahrheit Wettläufer sind, kommen an das Ziel und erhalten den Kampfpreis und werden bekränzt. Ergeht es nun nicht ebenso meistentheils auch betreffs der Gerechten? Am Ziele einer jeden Handlung und eines jeden Verkehres und des ganzen Lebens erhalten sie Ruhm und empfangen die Kampfpreise von den Menschen? – Ja wohl, gar sehr. – Wirst du es also ertragen können, wenn Jemand über Dieselben das Nemliche sagt, was du über die Ungerechten sagtest B. II, Cap. 5.? Ich werde nemlich behaupten, daß die Gerechten, wann sie älter geworden, in ihrem Staate herrschen, sobald sie eine Herrschaft auszuüben wünschen, und Ehen schließen werden, aus welchen Familien sie wollen, und ihre Töchter ausheirathen werden, an wen sie nur wünschen, und überhaupt Alles, was du damals über Jene sagtest, sage ich jetzt über diese. Und auch hinwiederum betreffs der Ungerechten, daß die meisten derselben, auch wenn sie in ihrer Jugend unbemerkt blieben, zuletzt am Ziele des Laufes erwischt werden und man sie verlacht, und daß sie als Greise unglücklich sind und von Fremden und Bürgern mit Füßen getreten und gegeißelt werden und auch, was du dort mit Recht als ein Gröberes bezeichnetest, sie gefoltert und durch Ausbrennen ihrer Augen beraubt werden. Stelle dir hiemit vor, du habest nun auch von mir gehört, daß Diesen all Jenes widerfahre, und sieh nun zu, ob du, wenn ich dieß sage, es ertragen könnest. – Ja wohl, allerdings, sagte er; denn du sprichst Gerechtes. –
13. Dasjenige demnach, sprach ich, was dem Gerechten bei seinen Lebzeiten seitens der Götter und Menschen als Kampfpreis und als Lohn und als Geschenk noch außer jenen Gütern zu Theil wird, welche die Gerechtigkeit an und für sich ihm schon verschaffte, möchte wohl Derartiges sein. – Ja wohl, sagte er, sehr herrliche und sichere Güter. – Dieß jedoch, sprach ich, ist an Zahl und Größe Nichts im Vergleiche mit demjenigen, was Jeden von beiden noch nach dem Tode erwartet. Wir müssen aber auch dieses hören, damit vollständig Jeder von Beiden bekomme, was unsere Begründung ihm schuldet, daß er es höreVgl. obige Anm. 7.. – Du wirst es wohl sagen, sprach er, da ich nicht vieles Andere lieber hören möchte, als dieses. – Nicht jedoch werde ich dir eine Erzählung berichten, wie sie Alkinous zu hören bekam, sondern die eines wackeren Mannes, nemlich des Er, des Sohnes des Armenios, seiner Geburt nach eines PamphyliersAlkinous ist jener bekannte König der Phäaken, welchem in der Odyssee (B. IX–XII) Odysseus die Dinge erzählt, welche er in der Unterwelt gesehen hatte; und es setzt nun Plato diesem Berichte über das Jenseits, welcher in den von ihm verachteten und verhöhnten homerischen Gedichten enthalten ist, einen anderen gegenüber (s. oben Anm. 60), und er drückt zum Schlusse noch einmal seinen Haß gegen die homerische Poesie aus, indem er gerade im Gegensatze gegen dieselbe den Gewährsmann, dessen Angaben dann folgen, als einen »wackeren Mann« bezeichnet. Was übrigens das Wortspiel betrifft, welches von Plato mit diesem Beinamen »Wacker« (άλκιμος) im Vergleiche mit »Alkinoos« getrieben wird, so dürfte es im griechischen Originale wohl ebenso geschmacklos sein, wie bei jedem Uebersetzungs-Versuche (wer etwa an solchen Tändeleien eine Freude hat, mag allenfalls in der Uebersetzung sich des Wortes »allkühn« statt des Wortes»wacker« bedienen). Was aber nun jenen Pamphylier Er betrifft, so wissen wir über ihn schlechthin nichts Näheres. Was bei den Autoren des späteren Alterthumes sich findet, ist lediglich aus dieser platonischen Stelle entnommen oder enthält Umdeutungen derselben im Sinne und Geiste jener späteren Zeit (so z. B. wenn Clemens Alexandrinus ohne alle weitere Umstände berichtet, dieser Er sei Niemand anderer als Zoroaster).. Dieser war einst im Kriege gestorben und wurde, als man am zehnten Tage die bereits verwesten Leichen aufhob, noch unverwest aufgehoben, und als er, in seine Heimat gebracht, eben beerdigt werden sollte, lebte er am zwölften Tage wieder auf und erzählte hierauf, was er dort gesehen hatte. Er berichtete aber, er sei, nachdem seine Seele den Leib verlassen, in Gemeinschaft mit Vielen gewandert, und sie seien in irgend einen dämonischen Ort gekommen, in welchem zwei sich aneinander reihende Oeffnungen der Erde und hinwiederum oben gegenüber zwei Oeffnungen des Himmels waren. Richter aber seien zwischen diesen inmitten gesessen, und diese hätten, nachdem sie jedesmal das Urtheil gefällt, den Gerechten befohlen, den Weg rechts und nach Oben durch den Eingang des Himmels zu gehen, wobei sie ihnen Zeichen der Urtheilssprüche an der Vorderseite anhefteten, den Ungerechten aber hatten sie befohlen, den Weg links und nach Unten zu gehen, indem auch diese auf ihrer Rückseite Zeichen alles desjenigen, was sie verübt, trugen. Da aber er selbst gekommen sei, hätten Jene gesagt, er müsse als Verkündiger der dortigen Dinge zu den Menschen gehen, und sie hätten ihm ausdrücklich befohlen, Alles an jenem Orte zu hören und zu beschauen. Gesehen habe er nun, wie einerseits an je einer von den beiden Oeffnungen des Himmels und der Erde die Seelen fortgingen, nachdem über sie geurtheilt war, andrerseits aber an den beiden anderen sie aus der einen von der Erde her voll Schmutz und Staub emporstiegen, aus der anderen aber wieder andere vom Himmel her rein herabkamen. Und alle immer, welche ankamen, seien offenbar wie von einer weiten Wanderung angelangt, und hätten sich vergnügt auf jene WieseEs ist hiemit die auch in der Odyssee (XI, V. 539 u. 573) erwähnte »Asphodelos-Wiese« gemeint. begeben und dort wie bei einer Festversammlung sich niedergelassen, und jene, welche sich kannten, hätten sich liebkosend gegenseitig begrüßt und die von der Erde her Kommenden hätten sich bei den anderen um die dortigen Verhältnisse erkundigt, sowie die vom Himmel her Kommenden um die Dinge bei jenen. Und sie hätten es sich gegenseitig erzählt, die einen unter Wehklagen und Thränen, indem sie sich erinnerten, Welcherlei und wie Vieles sie bei ihrer Wanderung unter der Erde, – es sei aber diese Wanderung eine tausendjährige –, gesehen und geduldet hätten, jene aber hinwiederum, welche aus dem Himmel kamen, hätten von wohlthuenden Zuständen und unaussprechlich herrlichen Anblicken erzählt. Der größte Theil nun hievon, o Glaukon, würde zu lange Zeit erfordern, um es zu erzählen; die Hauptursache aber davon, berichtete er, habe darin bestanden, daß für Alles, was jeder Einzelne jemals Unrecht übte und gegen wie viele er es übte, jeder der Reihe nach Buße gethan, und zwar zehnmal für jedes Einzelne: dieß aber trete je in einem Zeitraume von hundert Jahren wieder ein, weil dieß die Dauer eines menschlichen Lebens ist, damit nemlich die Buße, in welcher sie büßen, eben eine zehnfache seiNemlich während der tausendjährigen Wanderung büßen sie auf diese Weise zehnmal, da alle hundert Jahre dieser Vollzug der Strafe wiederholt wird., und damit z. B. wenn Einige an vielen Mordthaten die Schuld tragen oder Staaten oder Heerlager verrieten und in Sklaverei brachten, oder an irgend anderen schlechten Thaten Mitschuldige waren, sie für jedes Einzelne von all diesem zehnfache Schmerzen davontragen, und hinwiederum auch, wenn Einige treffliche Thaten geübt haben und gerecht und frevellos gewesen waren, sie in der nemlichen Weise den verdienten Lohn davontragen. Betreffs derjenigen aber, welche eben erst neu geboren waren und nur kurze Zeit gelebt hatten, erzählte er noch Anderes, was der Erwähnung nicht werth istMan beachte hiebei, daß Plato wenigstens auf die Frage hingeführt wird, wie es denn mit den Seelen der als Kinder Verstorbenen im Jenseits stehe, wenn er auch die Frage kurz abschneidet oder vielmehr eigentlich abweist, da er wahrscheinlich wohl eine so geringe Lebensdauer für zu ungenügend hielt, um an sie bestimmte Vorgänge nach dem Tode anzuknüpfen, und vielleicht der Ansicht war, daß diese Kleinkinder-Seelen sehr bald in eine neue anderweitige Verkörperung eingingen. Was übrigens das Motiv der Rache und des Lohnes betrifft, welches bei dieser ganzen Schilderung durchblickt, so vgl. obige Anm. 95.. Aber für Frevel und für Ehrerbietung gegen die Götter und die Eltern und für eigenhändig geübten Mord erzählte er noch größere Wiedervergeltungen. Er sagte nemlich, er sei auch zugegen gewesen, wie Einer einen Anderen fragte, wo wohl der große Ardiäos sei; es war aber dieser Ardiäos in irgend einer Stadt Pamphyliens Gewaltherrscher gewesen, gerade im tausendsten Jahre von jener Zeit, und hatte seinen greisen Vater und seinen älteren Bruder getödtet und noch vielen anderen Frevel verübt, wie man sagte.
14. Und da habe nun, erzählte er, der Gefragte geantwortet: »Dieser ist nicht mitgekommen, und wird wohl auch schwerlich hieher kommen; wir haben wenigstens selbst bei folgendem schrecklichen Anblicke zugeschaut. Als wir nahe an jener Oeffnung und bereits im Begriffe emporzusteigen waren und alles Uebrige überstanden hatten, erblickten wir plötzlich Jenen und auch so ziemlich die meisten übrigen Gewaltherrscher; es waren aber darunter auch einige Einzel-Bürger, welche nemlich zu jenen gehörten, die großes Unrecht verübt hatten. Und wie nun diese bereits glaubten, emporsteigen zu können, ließ die Oeffnung sie nicht herauf, sondern brüllte, so oft Einer von denjenigen heraufzukommen versuchte, welche in solchem Grade bezüglich der Schlechtigkeit unheilbar waren oder noch nicht genug gebüßt hatten. Und da standen denn nun wilde feurige Männer daneben, und indem sie die brüllende Stimme verstanden, ergriffen sie Jene und führten sie fort, nemlich den Ardiäos und die Uebrigen, gefesselt an Händen und Füßen und am Nacken, warfen sie zu Boden und zogen ihnen die Haut ab und schleiften sie seitab vom Wege über Dorngebüsche und peinigten sie, und deuteten es den jedesmal Vorübergehenden an, warum Jene solches dulden müßten, und daß dieselben fortgeführt würden, um in den Tartarus gestürzt zu werden.« Und da nun, erzählte er, sei für Jeden, obwohl ihnen vieles und mannigfaches Fürchterliche begegne, jene Furcht bei Weitem die überwiegende, es möchte beim Emporsteigen jene brüllende Stimme sich vernehmen lassen, und höchst vergnügt steige ein Jeder empor, wenn jene Stimme schweigt. Und die Arten der Buße und Strafe seien hiemit irgend derartige, und hinwiederum auch die wohltuenden Belohnungen diesen entgegengesetzt entsprechend. Nachdem aber für jeden von den auf der Wiese Befindlichen sieben Tage verflossen sind, müssen sie von dort am achten sich wieder erheben und weiter wandern, und nach vier Tagen kamen sie an einen Punkt, von wo aus sie von Oben herab ein durch den ganzen Himmel und die Erde in gerader Linie wie eine Säule gespanntes Licht erblicken, welches die meiste Ähnlichkeit mit einem Regenbogen hat, aber viel heller und reiner ist. Zu diesem selbst hin seien sie nun gekommen, nachdem sie noch eine Tagereise gewandert seien, und hätten dann dortselbst in der Mitte des Lichtes gesehen, wie von dem Himmel aus die Enden seiner Bande gespannt seien; es sei nemlich dieses Licht die Binde des Himmels und halte so, wie der Plankengürtel der Dreiruderer, den ganzen Umkreis zusammen. Von den beiden Enden aus aber sei die Spindel der Nothwendigkeit gespannt, vermittelst deren alle Umläufe gedreht werden; und ihre Spitze und ihr Widerhaken seien aus Diamant, der Wirbelring aber gemischt aus Diamanten und anderen Steinarten. Die Beschaffenheit aber dieses Wirbelringes sei folgende: die Gestalt zwar sei dieselbe, wie auch hier bei uns; aber man muß ihn sich in Folge dessen, was Jener erzählte, ungefähr so vorstellen, wie wenn in Einem großen hohlen und inwendig geglätteten Wirbelringe mitten durch ein zweiter derartiger kleinerer stäke und in ihn hineinpaßt, wie etwa auch bei jenen Bechern, welche ineinander passen; und ebenso denn nun auch noch ferner ein dritter und wieder ein vierter und noch vier andere; denn acht Wirbelringe seien es im Ganzen, welche ineinander stecken, und deren Ränder von Oben her gesehen als Kreise erscheinen, Eine zusammenhängende Rückenfläche des Wirbelringes um die Spitze der Spindel herum bildend; diese letztere aber sei mitten durch den achten Wirbelring hindurchgetrieben. Der erste und äußerste Wirbelring nun habe als seinen Rand den breitesten Kreis, der nächste bezüglich dieser Breite sei der Rand des sechsten Wirbelringes, als dritter folge dann der des vierten, als vierter der des achten, als fünfter der des siebenten, als sechster der des fünften, als siebenter der des dritten, als achter der des zweiten. Und zwar sei der Kreis des größten Wirbelringes buntfarbig, der des siebenten der hellste, der des achten erhalte seine Farbe von dem ihn beleuchtenden siebenten, die Kreise des zweiten und des fünften seien einander ähnlich, mehr rothgelb als jene, der des dritten habe die weißeste Farbe, der des vierten sei röthlich, der des sechsten aber sei an Uebermaß der Weiße der zweite. Im Kreise aber drehe sich die ganze Spindel in Ein und der nemlichen Bewegung; in dem gesamten Umschwunge aber drehen sich die sieben inneren Kreise ruhig in einer dem Ganzen entgegengesetzten Bewegung herum, und von allen diesen gehe am schnellsten der achte Kreis, die nächsten bezüglich der Schnelligkeit und gleichen Schritt haltend seien der siebente und der sechste und der fünfte, als dritter bezüglich der Bewegung rolle, wie ihnen scheine, der vierte, als vierter aber der dritte und der fünfte und der zweite. Es drehe sich aber die Spindel in dem Schooße der Nothwendigkeit; oben aber auf den Kreisen desselben stehe auf jedem eine Sirene, welche mit herumgedreht werde, jede Einen scharfen lauten Ton von sich gebend, aus all diesen acht Tönen aber erklinge Eine HarmonieWenn wir bei dieser Beschreibung des Anblickes, welchen das Himmelsgebäude von der Vogelperspektive aus darbiete (vgl. m. Anm. 55 z. »Phädon«), von einer zuweilen kindischen Ausdrucksweise, wie z. B. dem Worte »Diamant« u. dgl. absehen, so erkennen wir allerdings Plato's Anschauung über das kosmische System überhaupt. Nemlich unter der Spindel der Nothwendigkeit müssen wir uns die Weltaxe vorstellen, und unter den acht Wirbelringen die Sphären des Weltgebäudes in folgender Reihe:
. Drei andere Frauen aber säßen ringsum in gleichen Abständen, jede auf einem Throne, nemlich die Töchter der Nothwendigkeit, die Parcen, in weißen Gewändern, mit Kränzen auf den Häuptern, Lachesis und Klotho und Atropos, und sängen zur Musik der Sirenen, nemlich Lachesis das Vergangene, Klotho das Gegenwärtige, Atropos das Zukünftige, und Klotho greife zuweilen nach gewissen Zeitabschnitten mit der rechten Hand zu und helfe, den äußeren Umschwung der Spindel herumzudrehen, Atropos hinwiederum mit der linken Hand ebenso bei den inneren Umläufen, Lachesis aber greife abwechslungsweise mit jeder der beiden Hände in jede der zwei Drehungen helfend ein.
1
die
Fixsternsphäre
2
die
Sphäre
des
Saturnus
3
"
"
"
Jupiter
4
"
"
"
Mars
5
"
"
der
Venus
6
"
"
des
Mercurius
7
"
"
der
Sonne
8
"
"
des
Mondes.
15. Sie selbst also nun hätten, sobald sie angekommen wären, sogleich zur Lachesis gehen müssen, und irgend ein Herold habe sie zuerst in der Reihe aufgestellt und dann aus dem Schoße der Lachesis Loose und Probebilder von Lebensweisen genommen, sei dann auf eine hohe Rednerbühne gestiegen und habe gesagt: »Ausspruch der Lachesis, der Tochter der Nothwendigkeit: Ihr Eintagsseelen, es ist jetzt der Anfang eines neuen Kreislaufes des sterblichen Geschlechtes, welcher dereinst wieder den Tod bringen wird. Nicht euch wird ein DämonVg1. Phädon, Cap. 57. durch das Loos bekommen, sondern ihr werdet euch einen Dämon wählen. Wen aber als ersten das Loos hiezu trifft, dieser wähle als erster sich eine Lebensweise, mit welcher er aus Nothwendigkeit verbunden bleiben wird. Die Vortrefflichkeit aber ist herrenlos, und je nachdem sie Einer ehrt oder mißachtet, wird er einen größeren oder kleineren Antheil an ihr haben. Die Schuld trägt der Wählende. Gott trägt keine Schuld.« Nachdem Jener dieß gesprochen, habe er auf Alle hin Loose geschleudert, und jeder Einzelne habe das neben ihn hingefallene aufgehoben, nur er, der Pamphylier, nicht; ihn nemlich habe Jener dieß nicht thun lassen. Jedem aber, welcher das Loos aufgehoben, sei hiemit klar gewesen, der wievielste er in der Reihe sei. Hernach aber hinwiederum habe Jener die Probebilder der Lebensweisen vor ihnen auf die Erde hingelegt, und zwar weit mehrere, als die Anwesenden waren, und es seien dieselben sehr mannigfaltig gewesen, nemlich sowohl Lebensweisen von Thieren, als auch sämmtliche der Menschen; denn sowohl Gewaltherrschaften seien unter denselben gewesen, die einen dauernde, andere inmitten zerstört und in Noth und Verbannung und Bettlerstand endigend, als auch Lebensweisen angesehener Männer, bei deren einigen der Grund des Ansehens in Gestalt und Schönheit und anderer Kraftäußerung und solchem Wetteifer beruhte, bei anderen aber in Geschlechtsadel und vortrefflichen Eigenschaften der Vorfahren, und auch wiederum Lebensweisen von Männern, welche in diesen nemlichen Beziehungen ohne Ansehen sind; ebenso aber auch von Frauen. Aber eine Rangordnung der Seele sei hierin nicht enthalten gewesen, weil es sich ja nothwendiger Weise schon so verhält, daß sie durch die Wahl eines anderen Lebens auch eine andere Beschaffenheit erhält. Die übrigen Verhältnisse aber seien sowohl unter sich, als auch mit Reichthum und Armuth, und die einen mit Krankheit, die anderen mit Gesundheit gemischt gewesen, andere aber inmitten zwischen diesen gestanden.
Und hier denn nun, mein lieber Glaukon, besteht alle Gefahr für einen Menschen, und deswegen müssen wir am meisten Sorge tragen, daß jeder von uns die übrigen Unterrichtsgegenstände vernachlässige und nur ein Nachforscher und Schüler dieses einzigen Unterrichtsgegenstandes werde, falls er nemlich irgendwoher im Stande ist, zu lernen und ausfindig zu machen, wer ihm die Fähigkeit und das Wissen verleihen könne, um eine gute und eine schlechte Lebensweise zu unterscheiden und nach Kräften stets überall die bessere zu wählen, indem er all dasjenige wohl erwägt, was jetzt gesagt und gegenseitig zusammengestellt und unterschiedlich auseinander gehalten wurde bezüglich des Verhältnisses zur Vortrefflichkeit der Lebensweise, und um ein Wissen davon zu haben, was die Schönheit, mit Armuth oder mit Reichthum vermischt, und mit welcher Seelen-Beschaffenheit verbunden sie Gutes oder Schlechtes erzeuge, und ebenso was hohe und niedere Geburt und zurückgezogenes Leben und Ausübung einer Herrschaft und Kraft und Schwäche und Reichthum an Kenntnissen und Unwissenheit und all das derartige, was der Seele durch natürliche Begabung anhaftet und von Außen dazu erworben wird, was denn dieß Alles durch seine gegenseitige Mischung zur Folge habe, so daß er aus all diesem einen Schluß zu ziehen und im Hinblicke auf die natürliche Begabung der Seele die Wahl zu treffen befähigt sei zwischen schlechterem und besserem Leben, indem er als schlechteres dasjenige bezeichnet, welches ihn dorthin führen wird, ungerechter zu werden, als besseres aber jenes, welches dazu führt, gerechter zu werden, alles Uebrige aber hiebei bei Seite zu lassen. Denn wir haben gesehen, daß für den Menschen bei Lebzeiten und nach seinem Tode dieß die beste Wahl ist. Felsenfest demnach muß man diese Ansicht haben und so auch in den Hades kommen, damit man auch dort sich nicht blenden lasse durch Reichthum und derartige Uebel und nicht, auf Gewaltherrschaften und andere derartige Handlungen verfallend, vieles und unheilbares Uebel stifte und selbst noch viel größeres erdulde, sondern daß man die Einsicht habe, immer die mittlere Lebensweise unter den derartigen zu wählen und das Übermaß nach beiden Seiten zu meiden, sowohl in diesem Leben nach Kräften, als auch in dem gesammten künftigen; denn auf diese Weise wird der Mensch der glücklichste werden.
16. Und so habe denn nun auch damals, berichtete jener Verkündiger, der dortige Götter- Herold folgende Worte gesprochen: »Auch für jenen, welcher zuletzt herbeikömmt, liegt, wenn er mit Verstand wählt und in gespannter Thätigkeit sein Leben führt, eine annehmbare, und nicht eine schlechte Lebensweise bereit. Weder jener, welcher als der Erste im Wählen den Anfang macht, sei sorglos, noch auch jener, welcher den Schluß macht, trostlos.« Nachdem aber Jener dieß gesprochen, habe der Erste, welchen das Loos traf, sogleich, als er hintrat, die höchste Gewaltherrschaft sich gewählt und so aus Unverstand und Gier nicht Alles genugsam erwägend, die Wahl getroffen, sondern es sei ihm entgangen, daß als Fügung des Schicksales das Aufzehren seiner eigenen Kinder und noch anderes Unheil darin enthalten war. Nachdem er aber in Muße es hernach erwog, habe er sich die Brust zerschlagen und die Wahl bejammert, den Worten nicht getreu bleibend, welche der Herold vorher verkündet hatte; nemlich er maß sich nicht selbst die Schuld dieser Uebel bei, sondern dem Zufalle und den dämonischen Wesen und überhaupt allem Anderen eher, nur sich selbst nicht. Es sei aber dieß einer von denjenigen gewesen, welche aus dem Himmel kamen, nachdem er sein früheres Leben in einem wohlgeordneten Staate zugebracht hatte, bloß durch Gewöhnung ohne Weisheitsliebe an der Vortrefflichkeit Theil nehmend; und es seien, so zu sagen, die aus dem Himmel Kommenden überhaupt nicht die geringere Anzahl derer, welche auf Solchem sich ertappen ließen, weil sie nemlich in Anstrengungen nicht geübt sind; wohingegen die meisten der von der Erde her Kommenden, da sie sowohl selbst sich anstrengten, als auch von Anderen dieß sahen, nicht auf den ersten Anlauf die Wahl träfen. Daher denn auch den meisten der Seelen ein Wechsel bezüglich des Guten und Schlechten sich ergebe, und dieß auch vermittelst des Zufalles des Looses eintreteD. h. wer im früheren Leben gut war und daher nach dem Tode die Wanderung durch den Himmel machte, wählt aus Mangel an Uebung in Gefahren dann meistens ein schlechteres Leben; hingegen wer schlecht gewesen war und die mühevolle Wanderung unter der Erde durchmachte, wählt, da er gewitzigt ist, in der Regel ein besseres Leben. Stets gleichmäßig aber ein gutes Leben wird nur jener wählen, welcher durch Philosophie sich stärkt und noch dazu in der Reihenfolge beim Wählen durch den Zufall begünstigt wird, insoferne es ihn nicht unter den Letzten trifft. Warum aber auf diese Weise doch das Loos einen Einfluß ausübe, gibt Plato nicht an; der wahrscheinliche Grund hiefür dürfte vielleicht darin liegen, weil, wer zu Anfang wählt, unbefangener auf seinen philosophischen Takt sich verläßt, hingegen eine ängstliche oder etwa selbst begehrliche und neidische Erwägung eintritt, wenn schon Mehrere vorher gewählt haben.; denn wenn Jemand, so oft er in das hiesige Leben gelangt, in gesunder Weise an der Weisheitsliebe festhält und ihn das Loos zum Wählen dort nicht unter den letzten trifft, so kömmt es in Folge des von dorther uns berichteten wohl darauf hinaus, daß er nicht bloß hier auf Erden glücklich sein wird, sondern auch die Wanderung von hier dorthin und wieder von dort hieher zurück ihm keine unterirdische und rauhe, sondern eine glatte und himmlische sein werde. Und diesen Anblick denn nun zu sehen, erzählte er, lohne sich der Mühe, wie nemlich die einzelnen Seelen damals ihre Lebensweisen gewählt hätten; denn bemitleidenswert und lächerlich und wunderbar sei es zu sehen gewesen; sie hätten nemlich meistens in Folge der Gewöhnung aus dem früheren Leben die Wahl getroffen. So habe er gesehen, wie die Seele, welche einst die des Orpheus gewesen war, das Leben eines Schwanes wählte, indem sie aus Haß gegen das Geschlecht der Weiber wegen ihres durch jene erfolgten Todes nicht aus einem Weibe geboren werden wollteEs ist bekannt, daß der Mythus den Orpheus durch dionysische Mänaden zerrissen werden läßt.; gesehen aber habe er auch, wie die Seele des ThamyrasThamyras, häufiger Thamyris genannt, gehört zu jenen kulturgeschichtlichen Symbolen, wie z. B. auch Olympos oder Marsyas (s. m. Anm. 68 u 69 z. »Gastmahl«); er wird ein Sohn der Muse Erato genannt und als ein vermessener Sterblicher bezeichnet, da er die Musen zum Wettkampfe herausforderte, wobei er unterlag und zur Strafe geblendet wurde. das Leben einer Nachtigall wählte, und auch gesehen, wie ein Schwan bei der Wahl in das Leben eines Menschen sich verwandelte und ebenso, wie sich erwarten läßt, auch andere musikliebende Thiere; eine andere Seele aber habe, nachdem sie das Loos getroffen, daß Leben eines Löwen gewählt, es sei aber dieß jene des Telamoniers Ajas gewesen, welche es vermied, ein Mensch zu werden, indem sie jenes Urtheilspruches bei der Waffenvertheilung gedachteS. Odyssee XI, V. 545 ff. Daß eine Folge der Kränkung, welche hiebei Ajas erfuhr, der Wahnsinn desselben gewesen sei, ist dem Leser aus dem sophokleischen »Ajas« bekannt.; hierauf habe jene des Agamemnon gewählt, aus Feindschaft aber gegen das Menschengeschlecht habe auch diese wegen dessen, was sie erduldet hatte, das Leben eines Adlers eingetauschtDie Ermordung des Agamemnon durch seine Gattin Klytämnestra und überhaupt die Schicksale des Atridenhauses sind Jedermann aus den Tragikern hinreichend bekannt.; ungefähr in der Mitte der Uebrigen aber habe die Seele der AtalanteDie langbeinige Atalante erscheint im Mythus als eine Begleiterin der Artemis und insbesondere als Theilnehmerin an der Kalydonischen Jagd; bekannt ist die Erzählung, daß ihre Freier sich einem Wettlaufe mit ihr unterwerfen mußten, wobei sie die Besiegten tötete, Milanio aber durch Hülfe goldener Aepfel, welche er auf die Bahn warf und sie hiedurch veranlaßte, dieselben aufzuheben, den Sieg über sie davon trug. das Loos getroffen, und dieselbe habe, da sie große Ehren eines im Wettkampfe siegenden Mannes erblickte, nicht vorübergehen können, sondern dieses Leben gewählt; hernach aber habe er gesehen, wie die Seele des Epeios, des Sohnes des PanopeusDer Erfinder und Erbauer des hölzernen Pferdes vor Troja; s. Odyssee VIII, V. 493., in die Natur eines kunstreichen Weibes sich begab; weit zurück aber unter den Letzten habe die Seele des lachenerregenden ThersitesS. Ilias II, V. 243–277. das Leben eines Affen angenommen; zufällig aber habe das Loos von allen Seelen zuletzt die des Odysseus getroffen, um zum Wählen sich zu begeben; in Erinnerung aber an die früheren Leiden sei seine Seele vom Ehrgeize abgestanden und habe lange Zeit umhergehend das Leben eines zurückgezogenen geschäftslosen Mannes gesucht und mit Mühe habe sie es irgendwo liegend und von allen Uebrigen bei Seite gesetzt gefunden und, als sie es erblickt, habe sie gesagt, daß sie das Nemliche auch dann gethan hätte, wenn das Loos sie als erste getroffen hätte, und vergnügt habe sie es gewählt. Und auch anderweitig unter den Thieren seien einige in Menschen und gegenseitig unter sich in Thiere eingegangen, die ungerechten in wilde, die gerechten aber in zahme sich verwandelnd, und in allen möglichen Mischungen hätten sie sich vermengt. Nachdem aber nun sämmtliche Seelen ihre Lebensweisen gewählt hätten, seien sie in der nämlichen Reihenfolge, in welcher sie das Loos getroffen, zur Lachesis hingetreten; diese aber habe einem Jeden den Dämon, welchen er gewählt hatte, als Wächter des Lebens und als Vollstrecker des Gewählten mitgegeben; und dieser habe die Seele zuerst zur Klotho unter die Hand derselben und unter die Drehung des Wirbels der Spindel hineingeführt, um dem Schicksale Gültigkeit zu verleihen, welches Jeder nach dem Loose sich gewählt hatte; nachdem er aber diese berührt hatte, habe er sie hinwiederum zum Rocken der Atropos geführt, um das Zugesponnene unabwendbar zu machen. Von da hinweg dann sei er, ohne sich umzuwenden, unter den Thron der Nothwendigkeit hingegangen, und nachdem er unter demselben durchgegangen und hernach auch alle Uebrigen das Gleiche gethan hatten, seien sie sämmtlich in die Ebene der Lethe gewandert durch fürchterliche Glut und Stickhitze hindurch; es sei nemlich dieselbe leer von Bäumen und überhaupt Allem, was der Erde entsproßt. Niedergelassen nun hätten sie sich, als es bereits Abend geworden, am Flusse AmelesWörtlich der »Sorgenlose«, sowie Lethe die »Vergessenheit«., dessen Wasser kein Gefäß gedeckt zu halten vermöge; und ein gewisses Maß nun von diesem Wasser zu trinken, sei für Sämmtliche eine Nothwendigkeit, wer aber durch Verständigkeit sich nicht bewahre, trinke mehr als jenes Maß, ein Jeder aber stets, welcher trinke, vergesse Alles. Nachdem sie aber sich zur Ruhe begeben hatten, und es Mitternacht geworden war, sei Donner und Erdbeben entstanden, und sofort seien plötzlich der Eine dahin, der Andere dorthin nach Oben zur neuen Geburt fortgetragen worden, blitzend wie Sternschnuppen. Er selbst aber sei gehindert worden, von jenem Wasser zu trinken. Wie aber und auf welche Weise er in seinen Körper gekommen sei, wisse er nicht, sondern plötzlich habe er die Augen geöffnet und des Morgens gesehen, wie er bereits auf dem Scheiterhaufen liege.
Diese Kunde denn nun, o Glaukon, ist bewahrt worden und ging nicht verloren, und sie möchte wohl auch uns bewahren, wenn wir ihr Folge leisten, und dann werden wir den Fluß der Lethe glücklich durchschreiten und unsere Seele nicht beflecken; sondern wenn wir dem von mir Gesagten folgen und daran festhalten, daß die Seele unsterblich und befähigt sei, alles Schlimme und alles Gute über sich ergehen zu lassen, so werden wir immer dem nach Oben führenden Wege folgen und in Gerechtigkeit, verbunden mit Verständigkeit, auf jede Weise uns bethätigen, damit wir sowohl uns selbst, als auch den Göttern befreundet seien, mögen wir hier auf Erden verweilen, oder nach Empfang des Kampfpreises hiefür wie die Sieg-Gekrönten Lohn einsammeln, und damit es auch bei jener tausendjährigen Wanderung, welche wir durchgegangen haben, uns wohl ergehe.