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6. Nicht wahr also, dasjenige, was ihn entgegenstreben heißt, ist die Vernunft und das Gesetz, hingegen was ihn zu dem Schmerze hinzieht, ist die Leidenschaft selbst? – Dieß ist wahr. – Wenn aber ein entgegengesetztes Ziehen stattfindet, so müssen in dem Menschen nothwendig betreffs Ein und des Nemlichen zugleich irgend zwei Dinge da sein. – Wie sollte es auch anders sein? – Nicht wahr also, das Eine ist bereit, dem Gesetze zu folgen, wie es eben das Gesetz ausspricht. – Wie so? – Es sagt doch wohl das Gesetz, daß es am schönsten sei, so sehr als möglich im Unglücke sich ruhig zu verhalten und nicht Unwillen zu zeigen, da weder das Gute und das Schlechte von solchen Dingen klar sei, noch auch dem Unmuthigen hiedurch irgend Etwas gefördert wird, noch auch irgend Etwas unter den menschlichen Dingen eines großen Eifers werth ist, und auch demjenigen, was in uns selbst so schleunig als möglich eintreten soll, das Schmerzgefühl hinderlich ist. – Welchem, sagte er, meinst du, daß es hinderlich sei? – Der Berathung, sagte ich, über das Geschehene, und dem, daß man, wie im Würfelspiele je nach dem gefallenen Wurfe, seine Verhältnisse einrichte, wie die Vernunft sie als die besten vorzieht, und daß man hingegen nicht noch einen Fehltritt hinzufügend gleich den Kindern, welche nach der verwundeten Stelle greifen, mit Schreien die Zeit zubringe, sondern die Seele stets daran gewöhne, so schleunig als möglich zur Hand zu sein, das Gefallene und das Erkrankte aufzurichten und zu heilen, indem man durch Heilkunde den Klagegesang verscheucht. – Am richtigsten wenigstens, sagte er, würde man so gegen die Wechselfälle des Glückes sich benehmen. – Nicht wahr also, das Beste, behaupten wir, will diesem Vernünftigen folgen. – Ja, dieß ist klar. – Hingegen dasjenige, was zur Rückerinnerung an den Unfall und zu Wehklagen führt und hierin unersättlich ist, werden wir von diesem etwa nicht behaupten, daß es unvernünftig sei und thatenlos und mit der Feigheit befreundet? – Dieß werden wir allerdings behaupten. – Nicht wahr also, das Eine enthält eine vielfache und bunte Nachahmung, nemlich das den Unwillen Erregende; hingegen der verständige und ruhige Charakter wird, weil er stets sich selbst ähnlich ist, weder leicht nachzuahmen, noch auch durch Nachahmung rasch zu erkennen sein, zumal für eine Volksversammlung und für jenes bunte Allerlei von Menschen, welches in Theatern sich einfindet, denn für Solche wird es zur Nachahmung eines ihnen fremden Zustandes. – Ja wohl, durchaus so. – Der nachahmende Dichter aber besteht klärlicher Weise von Natur aus nicht für den derartigen Theil der Seele, und seine Weisheit ist nicht darauf erpicht, diesem zu gefallen, woferne er ja bei dem großen Haufen Ruhm erreichen will, sondern auf den zum Unwillen geneigten und bunten Charakter ist er gerichtet, weil dieser leicht nachzuahmen ist. – Ja, klärlich. – Nicht wahr also, mit Recht wohl möchten wir ihn jetzt aufgreifen und als Gegenstück ihn dem Maler gleichstellen? denn sowohl darin gleicht er ihm, daß er Dinge macht, welche im Vergleiche mit der Wahrheit schlecht sind, als auch darin ist er ihm ähnlich, daß er mit einem andern ihm entsprechenden Theile der Seele in Verkehr ist, nicht aber mit dem besten. Und auf diese Weise demnach möchten wir wohl berechtigt sein, ihn in einen Staat, welcher guter Gesetze sich erfreuen soll, nicht aufzunehmen, weil er eben jenen Theil der Seele erweckt und nährt und indem er ihn stark macht, den vernünftigen zu Grunde richtet, gerade wie wenn in einem Staate Jemand die Schlechten mächtig machen und ihnen den Staat übergeben, die Liebenswürdigsten aber vernichten würde; ebenso, werden wir behaupten, pflanze der nachahmende Dichter eine schlechte Verfassung der Seele eines jeden Einzelnen ein, indem er dem unverständigen Theile derselben zu Gefallen sei und Demjenigen, welcher weder das Größere, noch das kleinere unterscheidend zu erkennen vermag, sondern Ein und das Nemliche bald für groß und bald für klein hält, Abbilder von Abbildern verfertigt, und von der Wahrheit sehr weit entfernt steht. – Ja wohl, allerdingsWenn demnach hier mit dürren Worten gesagt wird, daß die Poesie und die Kunst überhaupt der schlechteren Seite des Menschen angehöre und das Schlechtere befördere, so wird unser Urtheil kaum zu hart oder zu schroff erscheinen können, wenn wir oben, Anm. 325, sagten, bei Plato liege ein arges Mißverständniß oder ein Mangel an Einsicht in das Wesen der Kunst vor.. –
7. Aber noch haben wir nicht die größte Anklage gegen die Kunst der Nachahmung ausgesprochen; nemlich daß sie Kraft genug hat, selbst den Tüchtigen eine Makel anzuheften, mit Ausnahme irgend sehr Weniger, ist doch wohl etwas gar Arges. – Wie sollte es auch nicht so sein, woferne sie wirklich Solches thut? – So höre denn und erwäge. Nemlich selbst wenn die Besten unter uns von Homeros oder auch irgend einem Anderen der Tragödiendichter die Nachahmung eines Helden hören, welcher in einem Leiden sich befindet und eine lange Rede in seinen Wehklagen hinausdehnt, oder auch wie die Helden singen und sich die Brust zerschlagen, so weißt du wohl, daß wir dabei Freude empfinden und uns dem Eindrucke hingeben und ihm folgen und in Mitgefühl und eifriger Theilnahme jenen Dichter loben, welcher uns im höchsten Grade in einen solchen Zustand versetzt. – Ja, ich weiß es; wie sollte ich auch nicht? – Wann hingegen Einem von uns ein ihm eigener Kummer erwächst, so bemerkst du hinwiederum, daß wir gerade mit dem Gegenteile hievon uns brüsten, nemlich wenn wir im Stande sind, uns ruhig zu verhalten und auszuharren, eben als wäre dieß Sache eines Mannes, jenes aber, was wir damals lobten, Sache eines Weibes. – Ja, ich bemerke es, sagte er. – Ist also wohl, sprach ich, ein solches Lob richtig, wenn man beim Anblicke eines derartigen Mannes, wie man selbst nicht zu sein wünscht, sondern im Gegentheile sich schämen würde, nicht von Verachtung erfüllt wird, sondern Freude an ihm hat und ihn lobt? – Nein, bei Gott, sagte er, solches scheint nicht wohlbegründet zu sein. – Allerdings nicht, erwiderte ich, wenn du es in folgender Beziehung erwägst. – In welcher? – Wenn du bedenkst, daß dasjenige, was bei eigenen Unfällen im Zaume gehalten wird und darnach dürstet, weinen zu können und hinreichend Wehklagen aufzuschütten und hieran sich zu sättigen, weil es eben derartig beschaffen ist, daß es hiernach ein Verlangen hat, gerade von den Dichtern gesättigt und in Freude versetzt wird; wohingegen der von Natur aus beste Theil in uns, weil er nicht hinreichend durch Vernunft und Gewöhnung gebildet ist, die Aufsicht über jenes Weinerliche schlaffer führt, indem es bloß fremde Leidenschaften und Etwas, was keine eigene Schande ist, betrachte, so daß es, falls ein sich als einen Guten bezeichnender Mann zur Unzeit über Leiden klagt, ihn lobt und bemitleidet, dabei aber an eben jenem, nemlich an dem Vergnügen, Etwas zu gewinnen glaubt und es nicht sich gefallen ließe, Desselben beraubt zu werden, wobei es dann das ganze Dichtwerk unter seiner Würde hielte; denn jene vernünftige Erwägung, glaube ich, findet sich nur bei einigen Wenigen, daß man nothwendig von Fremden den Erfolg für das Eigene verspüren müsse; nemlich wenn man in jenem das Mitleidige stark werden läßt, so ist es nicht leicht, bei eigenen Leiden es im Zaume zu halten. – Sehr wahr, sagte er. – Gilt also nun der nemliche Grund nicht auch betreffs des Lächerlichen? während man selbst wohl sich schämt, nur LachenVgl. obige Anm. 179. Es ist wahrlich ein Glück, daß der Trieb zur Komik ein unwillkürlicher im Menschen ist, und daher auch philosophische Doktrinäre, wo sie es zu arg treiben, rettungslos ein Gegenstand des Lachens und des Hohnes werden. erregen zu wollen, ist man, wenn man Solches in der Nachahmung in der Komödie, oder auch bei Einzelnen hört, gar erfreut darüber und haßt es durchaus nicht, und man thut hiemit wohl das Nemliche wie auch bei dem Mitleide; denn dasjenige, was man vermöge der Vernunft in sich selbst im Zaume hält, sobald es Lachen erregen will, indem man hiebei den Ruf der Possenreißerei scheut, läßt man dann frei schießen, und wenn man dort Solches häufig in jugendlich übersprudelnder Weise gethan hat, wird man häufig, ohne es zu bemerken, auch in seinen eigenen Verhältnissen dahin gebracht worden sein, daß man zu einem Komödiendichter geworden ist. – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Und auch betreffs des Liebesgenusses und des Zornes und aller Erregungen der Begierde und des Schmerzlichen und Angenehmen, wovon wir sagen, daß es bei jeder Handlung uns begleite, bewirkt die dichterische Nachahmung eben Derartiges in uns; sie nährt es nemlich, indem sie es gleichsam befeuchtet, während man es vertrocknen lassen sollte, und sie pflanzt es uns als Herrscher auf, während es beherrscht werden sollte, damit wir nemlich Bessere und Glücklichere, nicht aber Schlechtere und Unglücklichere werden. – Ich kann wohl nicht anders sagen, sprach er. – Nicht wahr also, o Glaukon, sagte ich, wenn du auf Lobredner des Homeros triffst, welche behaupten, dieser Dichter habe Griechenland herangebildet, und es lohne sich bezüglich der häuslichen Einrichtung und Fortbildung der menschlichen Verhältnisse irgend der Mühe, ihn wieder aufzunehmen und kennen zu lernen und nach diesem Dichter sein gesammtes eigenes Leben einzurichten, so mußt du solche Leute wohl gern haben und lieben, da sie nach Kräften die Besten sind, und mußt ihnen zugestehen, daß Homeros wohl eben im höchsten Grade ein Dichter und der erste in der Reihe der Tragödiendichter sei, aber du mußt dabei wissen, daß man unter der Dichtkunst nur Hymnen auf die Götter und Loblieder auf die guten Männer in den Staat aufnehmen dürfe; hingegen wenn du jene gewürzte Muse in lyrischen Liedern oder epischen Gesängen aufnehmen wirst, werden dir in dem Staate das Vergnügen und der Schmerz die Könige sein, nicht aber das Gesetz und die gemeinsam stets für das Beste geltende Vernunft. – Sehr wahr, sagte er. –
8. Dieß demnach, sagte ich, möge uns hiemit zur Vertheidigung bei Erwähnung der Dichtkunst darüber gesprochen sein, daß wir wohl aus guten Gründen sie damalsIm 1. Cap. dieses Buches und oben B. III, Cap. 9. aus dem Staate fortschickten, weil sie eine so beschaffene ist. Unsere Begründung nemlich fügte es so. Wir wollen aber noch hinzufügen, damit sie uns nemlich nicht einer gewissen Harte und Ungebildetheit beschuldige, daß die Entzweiung zwischen Weisheitsliebe und Dichtkunst schon eine alte ist; denn Aussprüche, wie »der gegen den eigenen Herrn klaffende und keifende Hund«, oder»groß in dem leeren Geschwätze der Unverständigen«, oder »die herrschende Schaar der in Bezug auf Zeus so Weisen«, oder »die Feinspinner im Denken, weil sie eben die Noth treibt«All dieses sind einzelne Dichterstellen, welche uns allerdings nicht näher bekannt, aber offenbar aus Komödien entnommen sind, in welchen die Philosophen wohl in ähnlicher Weise, wie in den »Wolken« des Aristophanes, verspottet worden waren (s. obige Anm. 178). und unzähliges Anderes dergleichen sind Anzeichen eines alten Gegensatzes zwischen jenen beiden. Dennoch aber möge hiemit gesagt sein, daß wir wenigstens, sobald die dem Vergnügen dienende Dichtkunst und Nachahmung irgend einen Grund dafür anführen kann, daß sie in einem wohlgesetzlichen Staate nothwendig sei, sie bereitwillig aufnehmen würden, da wir uns gewiß dessen bewußt sind, daß auch wir selbst von ihr bezaubert werden; hingegen was uns hierüber als das Wahre erscheint, preiszugeben, wäre ein Frevel. Oder wie, mein Freund? wirst nicht auch du von ihr bezaubert, und zwar zumeist, wenn du sie vermittelst des Homeros betrachtest? – Ja, bei Weitem. – Nicht wahr also, auf diese Bedingung hin mag ihr mit Recht die Rückkehr gestattet werden, daß sie nemlich sich vertheidige, sei es in lyrischem, oder in einem anderen Versmaße? – Ja wohl, allerdings. – Wir möchten aber wohl auch ihren Beschützern, welche zwar nicht selbst Dichter, aber Freunde der Dichtkunst sind, verstatten, in ungebundener Rede zu ihren Gunsten anzuführen, daß sie nicht bloß etwas Vergnügliches sei, sondern auch wirklich Nutzen bringe für den Staat und für das menschliche Leben; und wir werden wohlwollend Solches anhören, denn wir können doch wohl nur dabei gewinnen, wenn es sich zeigen würde, daß sie nicht bloß vergnüglich, sondern auch wirklich nützlich sei. – Wie sollten wir auch, sagte er, hiebei nicht gewinnen? – Wenn aber jenes sich nicht zeigt, mein lieber Freund, so werden, wie diejenigen, welche einmal in Etwas verliebt waren, bei erlangter Einsicht, daß diese Liebe nicht nützlich sei, von ihr sich, wenn auch mit Gewalt, enthalten, ebenso auch wir in Folge der Liebe, welche zu einer derartigen Dichtkunst durch die Erziehung in unseren herrlichen Staatsverfassungen uns eingepflanzt wurde, zwar wohlmeinend uns dabei verhalten, daß sie als die beste und wahrste sich gezeigt habe, hingegen werden wir, so lange sie nicht im Stande ist, sich zu vertheidigen, sie nur anhören, indem wir uns selbst die von uns angeführte Begründung als zauberbannendes Lied vorsingen und uns davor hüten, wieder in jene kindische und dem großen Haufen zustehende Liebe zu verfallen. Wir wollen also hiemit fühlen, daß man um die derartige Dichtkunst nicht im Ernste sich bemühen solle, als enthielte sie Wahrheit und als sei sie eine ernste, sondern daß man vor ihr beim Anhören sich in Acht nehmen müsse, indem man um die im eigenen Inneren bestehende Staatsverfassung besorgt ist, und daß man überhaupt für wahr halten müsse, was wir betreffs der Dichtkunst gesagt haben. – Ja, durchaus, sagte er, bejahe ich dieß. – Groß allerdings, sprach ich, ist der Kampf, o lieber Glaukon, groß, wie man sich ihn nicht vorstellt, da es sich darum handelt, entweder gut oder schlecht zu werden, so daß weder durch Ehre, noch durch Geld, noch durch irgend eine Ausübung der Herrschaft, noch aber auch durch Dichtkunst sich verleiten zu lassen sich's lohnt, so daß man Gerechtigkeit und die übrige Vortrefflichkeit vernachlässigen würde. – Auch dieß bejahe ich, sagte er, in Folge dessen, was wir durchgegangen haben; ich glaube aber auch, daß jedweder Andere es bejahen würde. –
9. Und in der That nun, sprach ich, den größten Lohn ja und die großen für Vortrefflichkeit ausgesetzten Kampfpreise haben wir bisher noch nicht durchgegangen. – Eine unaussprechliche Größe derselben, sagte er, deutest du hiemit an, wenn es noch anderes Größeres, als das bisher Gesagte, gibt. – Wie aber, sprach ich, sollte auch in kleiner Zeit Großes entstehen? denn diese ganze Zeit, vom Kinde an bis zum Greise gerechnet, ist im Vergleiche mit der gesammten Zeit überhaupt doch wohl eine kleine. – Ja, allerdings so viel wie Nichts, sagte er. – Wie also nun? Glaubst du, ein unsterbliches Wesen müsse um einer so unbedeutenden Zeit willen sich eifrig bemühen, und nicht um der gesammten willen? – Ich glaube gewiß Letzteres, sagte er; aber was meinst du hiemit? – Hast du denn nicht bemerkt, sprach ich, daß unsere Seele unsterblich ist und niemals zu Grunde geht? – Und er schaute mich an und sprach verwundert: Nein, bei Gott, ich gewiß nicht; kannst aber du vielleicht dieß behaupten? – Ja, sagte ich, woferne ich hiemit kein Unrecht begehe; ich glaube aber, auch du werdest es können, denn es ist nichts Schwieriges. – Für mich gewiß, sagte er; von dir aber möchte ich sehr gerne dieses nicht Schwierige hören. – Allerdings magst du es hören, erwiederte ich. – So sprich nur, sagte er.
Bezeichnest du, sprach ich, Etwas als ein Gutes und Etwas als ein Schlechtes? – Ja, gewiß. – Denkst du über dieselben auch ebenso wie ich? – In wieferne? – Daß alles Zerstörende und Verderbende das Schlechte sei, das Bewahrende und Nutzenbringende aber das Gute? – Ja gewiß, sagte er. – Wie aber? sagst du, daß es für jedes Einzelne ein Schlechtes und ein Gutes gebe? Wie z. B. für die Augen eine Augenentzündung und überhaupt für den ganzen Körper eine Krankheit, für das Getraide den Mehlthau, Fäulniß für das Holz, für Erz und Eisen aber den Rest, und, wie ich eben sagte, so ziemlich für alle Dinge ein einem jeden von Natur aus eigenthümliches Schlechtes und eine Krankheit? – Ja gewiß, sagte er. – Nicht wahr also, wenn irgend einem Dinge Etwas von diesen zustößt, so macht es dasjenige, welchem es zustößt, zu einem schlechten und löst es zuletzt ganz auf und richtet es zu Grunde? – Wie sollte es auch nicht so sein? – Also das von Natur aus eigenthümliche Schlechte eines jeden Dinges und seine eigene Schlechtigkeit richtet es zu Grunde, und wenn nicht Solches es zu Grunde richtet, so möchte wohl nichts Anderes mehr es verderben; denn das Gute ja wird es doch wohl niemals zu Grunde richten, und hinwiederum auch jenes nicht, was weder schlecht, noch gut ist. – Wie sollte es auch? sagte er. – Falls wir also Etwas unter dem Seienden finden sollten, für welches es zwar ein Schlechtes gibt, wodurch es untauglich wird, dieß aber nicht im Stande ist, jenes Ding durch Auflösung zu Grunde zu richten, würden wir dann nicht hiemit bereits wissen, daß es für das von Natur aus so beschaffene Ding keinen Untergang gibt? – Allerdings, sagte er, scheint es auf diese Weise. – Wie also nun? sprach ich; gibt es etwa für die Seele Nichts, was sie zu einer schlechten macht? – Ja wohl, gar sehr, sagte er; eben alles dasjenige, was wir vorher durchgingen, Ungerechtigkeit und Zügellosigkeit und Feigheit und Unwissenheit. – Führt also nun irgend Etwas von diesen ihre Auflösung und ihren Untergang herbei? und zwar bedenke es wohl, damit wir nicht durch die Meinung getäuscht werden, es gehe der ungerechte und unverständige Mensch, wann er beim Unrechtthun ertappt wird, eben durch die Ungerechtigkeit, welche eine Schlechtigkeit der Seele ist, zu Grunde; sondern mache es folgendermaßen: sowie den Körper die Schlechtigkeit des Körpers, welche eine Krankheit ist, dahinschwinden macht und zu Grunde richtet und dahin bringt, daß er nicht einmal mehr ein Körper ist, und sowie Sämmtliches, was wir vorhin so eben nannten, durch die ihm eigenthümliche Schlechtigkeit, welche durch das bloße Anwohnen und Vorhandensein verderbend wirkt, zum Nichtsein gelangt, – soll es nicht ebenso sein? – Ja. – Wohlan also, erwäge es auch bei der Seele in der nemlichen Weise. Wirkt die in ihr vorhandene Ungerechtigkeit und übrige Schlechtigkeit durch das bloße Vorhandensein und Anwohnen verderbend auf sie und macht sie abzehren, bis sie zuletzt dieselbe zum Tode führt und vom Körper trennt? – Nein, in keiner Weise, sagte er, findet wenigstens dieß Statt. – Aber jenes wäre ja gewiß unbegründet, daß die Schlechtigkeit eines anderweitigen Dinges Etwas zu Grunde richte, und die eigene des Dinges selbst nicht dieß thue. – Ja, unbegründet. – Bedenke nemlich, o Glaukon, sagte ich, daß ja auch nicht durch die Schlechtigkeit des Getraides, welche an ihm es eben geben mag, sei es Schimmel oder Fäulniß, oder irgend eine jedwede andere, nach unserer Meinung der Körper zu Grunde gehe; sondern erst, wenn die Schlechtigkeit des Getraides dem Körper eine Schlechtigkeit des Körpers einpflanzt, werden wir sagen, daß derselbe durch jenes in Folge seiner eigenen Schlechtigkeit, welche eine Krankheit ist, zu Grunde gegangen sei; hingegen werden wir niemals die Zumuthung aussprechen, daß durch die Schlechtigkeit des Getraides, welches etwas Anderes ist, der Körper, welcher ein anderer ist, und hiemit nemlich durch ein fremdes Schlechtes, ohne daß dieses das von Natur aus eigenthümliche Schlechte ihm einpflanzte, er verdorben werde. – Völlig richtig, sagte er, sprichst du da. –
10. Nach dem nemlichen Grunde demnach, sagte ich, werden wir auch, falls nicht die Schlechtigkeit des Körpers der Seele die Schlechtigkeit einpflanzt, niemals die Zumuthung aussprechen, daß durch ein fremdes Schlechtes ohne die eigene Schlechtigkeit eine Seele zu Grunde gehe, nemlich ein Anderweitiges durch das Schlechte eines Anderweitigen. – Es hat dieß allerdings sagte er, seinen guten Grund, – Entweder demnach wollen wir dieß widerlegen, da es nicht richtig gesagt sei, oder, so lange es nicht widerlegt ist, wollen wir niemals behaupten, daß durch Fieber oder hinwiederum durch eine andere Krankheit, oder durch Hinschlachten, oder auch nicht, wenn Jemand den ganzen Körper in die kleinsten Stücke zerschnitte, darum irgend in höherem Grade jemals die Seele zu Grunde gehe, bis uns nicht Jemand bewiesen hat, daß durch diese Zustände des Körpers eben jene selbst eine ungerechtere und frevelhaftere werde; so lange hingegen ein fremdes Schlechtes in einem Anderweitigen entsteht, das einem jeden eigenthümliche Schlechte aber nicht entsteht, wollen wir weder von einer Seite, noch von irgend einem anderen Dinge die Behauptung gelten lassen, daß ein Zugrundegehen stattfinde. – Aber dieß ja, sagte er, wird wohl niemals Jemand beweisen, daß die Seelen der Sterbenden eben durch den Tod ungerechter werden. – Falls aber Jemand, sagte ich, wirklich auf diese Begründung einzugehen und es auszusprechen wagen sollte, es werde der Sterbende ein Schlechterer und ein Ungerechterer, um nemlich nur nicht zu dem Geständnisse, daß die Seelen unsterblich seien, gezwungen zu werden, so müssen wir doch wohl die Zumuthung machen, daß, wenn der Vertreter dieser Behauptung Recht habe, die Ungerechtigkeit für den sie Besitzenden gerade so wie eine Krankheit tödtlich sei, und daß eben durch eine solche den Tod herbeiführende Ursache die mit ihr Behafteten vermöge ihrer eigenen Natur sterben, nemlich schneller die am meisten und langsamer die weniger mit ihr Behafteten. nicht aber daß, wie es jetzt der Fall ist, durch eine solche Ursache erst von Seite Anderer, welche ihnen die Strafe auferlegten, die Ungerechten den Tod erleiden. – Als nichts sehr Arges also, bei Gott, sagte er, würde sich dann die Ungerechtigkeit zeigen, woferne sie dem mit ihr Behafteten tödtlich ist; denn eine Befreiung ja von allen Uebeln wäre sie dannDas nemliche Motiv s. im »Phädon«, Cap. 57.; sondern vielmehr glaube ich, daß sie gerade als das Gegentheil hievon sich zeigen werde, da sie den Tod Anderer herbeiführt, sobald dieß möglich ist, denjenigen aber, der mit ihr behaftet ist, gar sehr mit einem zähen Leben ausrüstet, und noch außer dem zähen Leben ihm Schlaflosigkeit verleiht; in so großer Entfernung davon, daß sie tödtlich wäre, hat sie, wie es scheint, ihr Zelt aufgeschlagen, – Du sprichst richtig, sagte ich; denn wann die eigene Verdorbenheit und das eigene Schlechte nicht genügende Kraft hat, um eine Seele zu tödten und zu Grunde zu richten, so möchte wohl schwerlich ein Schlechtes, welches auf das Verderben eines Anderen hingewiesen ist, die Seele oder irgend etwas Anderes zu Grunde richten, außer eben jenes, auf welches es hingewiesen ist. – Ja wohl, schwerlich, sagte er, wie es wenigstens scheint. – Nicht wahr also, da sie nicht durch ein einziges Schlechtes, weder durch eigenes, noch durch fremdes, zu Grunde geht, so ist klar, daß sie nothwendig ein immerwährend Seiendes sein muß; wenn aber ein immerwährend Seiendes, so auch ein Unsterbliches. – Ja, nothwendig, sagte er, muß sie dieß sein. –
11. Dieß demnach, sagte ich, möge so sich verhalten; wenn es sich aber so verhält, so bemerkst du wohl, daß hiemit die Seelen immer die nemlichen sein müssen; denn weder wenigere können sie werden, da keine zu Grunde geht, noch auch hinwiederum mehrere; nemlich wenn irgend Eines von den unsterblichen Dingen ein Mehreres würde, so weißt du doch wohl, daß es ja nur aus dem Sterblichen es werden könnte, und hiemit zuletzt Alles unsterblich wäreVgl. hierüber ebend. Cap. 14–17.. – Du sprichst wahr. – Aber, sagte ich, weder diese Meinung wollen wir hegen, denn unsere Begründung läßt dieß nicht zu, noch auch hinwiederum, daß ihrer wahrsten Natur nach die Seele derartig sei, daß sie selbst an und für sich von vieler Buntheit und Ungleichheit und Verschiedenheit strotze. – Wie meinst du dieß? sagte er. – Nicht leicht, sprach ich, kann es sein, daß Etwas ein Immerwährendes sei, was aus Vielem zusammengesetzt ist und dabei nicht der schönsten Weise der Zusammensetzung sich erfreut, wie sich uns dieß jetzt betreffs der Seele zeigte. – Allerdings scheint es so nicht. – Daß demnach die Seele unsterblich sei, ergibt sich mit Nothwendigkeit sowohl aus der so eben gegebenen Begründung, als auch aus den übrigen; von welcher Beschaffenheit aber sie in Wahrheit sei, hiezu dürfen wir sie nicht mit jenen Makeln, welche ihr in Folge der Gemeinschaft mit dem Körper und in Folge anderer Uebel anheben, betrachten, wie wir jetzt thun, sondern in jener Beschaffenheit, in welcher sie rein entsteht, genügend vermittelst der Vernunft durchschauen; und weit herrlicher ja wird unsere Vernunft sie dann finden und weit deutlicher die Gerechtigkeiten und Ungerechtigkeiten und all dasjenige erblicken, was wir bisher durchgegangen haben. Jetzt aber sprechen wir die Wahrheit über sie ebenso aus, wie sie sich für den gegenwärtigen Augenblick uns zeigt. Wir haben sie aber hiebei ja in einem Zustande geschaut, wie etwa auch diejenigen, welche den Meergott GlaukosS. m. Anm. 53 z. »Phädon«. sehen, wohl nicht leicht die ursprüngliche Beschaffenheit desselben erblicken würden, da ja die älteren Theile seines Körpers theils ausgebrochen, theils zermalmt und überhaupt durch die Wellen voll von Makeln geworden sind, hiefür aber Anderes an ihn hingewachsen ist, nemlich Muscheln und Seegras und Steine, so daß er jedem Thiere eher ähnlich ist, als seiner ursprünglich natürlichen Beschaffenheit; in einem eben solchen Zustande befindet sich in Folge unzähliger Uebel auch die Seele, wie wir sie nemlich betrachten; aber wir müssen, o Glaukon, eben nothwendig auch dorthin blicken. – Wohin? sagte er. – Auf die Weisheitsliebe der Seele; und wir müssen erkennen, was sie ergreife und mit welchen Dingen sie in Umgang zu stehen wünsche, da sie verwandt ist mit dem Göttlichen und Unsterblichen und immerwährend Seienden, und welche Beschaffenheit sie wohl erlange, wenn sie in ihrer Gesammtheit dem Derartigen nachfolgt und durch dieses Bestreben aus dem Meerwasser, in welchem sie sich jetzt befindet, sich erhebt und die Steine und Muscheln rings von sich streift, welche ihr jetzt, da sie von der Erde lebt, als viele erdige und steinigte und häßliche Dinge in Folge jener glücklich gepriesenen Tafelgenüsse angewachsen sind. Und dann wohl möchte man ihre wahre Natur erblicken, mag dieselbe vielartig oder einartig sein, und in welcher Weise oder Beziehung sie immer sich verhalten mag. Jetzt aber haben wir hiemit, wie ich glaube, die Zustände und Formen derselben, welche sie im menschlichen Leben hat, genügend durchgegangen. – Ja wohl, durchaus so, sagte er. –