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14. Also die herrlichste Staatsverfassung und der herrlichste Mensch, sagte ich, sind uns noch übrig, daß wir sie durchgehen, nemlich die Gewaltherrschaft und der Gewaltherrscher. – Ja gewiß, sagte er. – Wohlan denn nun, mein lieber Freund, welches wird die Art und Weise der Alleinherrschaft sein? denn daß sie aus der Demokratie umschlägt, ist so ziemlich klar. – Ja, dieß ist klar. – Entsteht also wohl gewissermaßen auf die nemliche Weise aus einer Oligarchie eine Demokratie und aus einer Demokratie eine Gewaltherrschaft? – Wie so? – Was jene, sagte ich, als das Gut aufstellte und wodurch sie eben zur Oligarchie wurde, das war das Uebermaß des Reichthumes; oder wie? – Ja. – Die Unersättlichkeit im Reichthume demnach und die Vernachlässigung des Uebrigen richtete in Folge des Gelderwerbes jene Staatsverfassung zu Grunde? – Dieß ist wahr, sagte er. – Wird also auch in jenem, was die Demokratie als ihr Gut bezeichnet, eben die Unersättlichkeit nun diese zur Auflösung bringen? – Was aber meinst du hiemit, daß sie als Gut bezeichne? – Die Freiheit, sagte ich; denn von ihr doch wohl möchtest du in einem demokratisch regierten Staate stets hören, daß sie am herrlichsten sich verhalte, und daß es um derentwillen allein in diesem Staate zu wohnen sich für jeden lohne, der von Natur aus frei sei. – Ja, so sagt man wenigstens, sprach er, und ein gar häufiges ist dieses Wort. – Wird also nun, sagte ich, was ich ja so eben auszusprechen im Begriffe war, die Unersättlichkeit in dem Derartigen und die Vernachlässigung des Uebrigen auch diese Staatsverfassung zu einer Aenderung bringen und es herbeiführen, daß sie der Gewaltherrschaft bedarf? – Wie so? sagte er. – Wenn, glaube ich, ein demokratisch regierter Staat nach Freiheit dürstend schlechte Mundschenken als Vorsteher bekömmt und weit über das richtige Maß hinaus an untermischter Freiheit sich berauscht, dann wird er wohl seine Herrscher, falls dieselben nicht sehr sanftmüthig sind und ein großes Maß von Freiheit gestatten, zur Strafe ziehen, sie als Verbrecher und oligarchisch Gesinnte anschuldigend. – So machen sie es wenigstens, sagte er. – Jene aber, sprach ich, welche den Herrschern gehorsam sind, wird er als sklavisch Gesinnte und Nichtswürdige beschimpfen, die Herrscher aber in gleicher Weise wie die Beherrschten und die Beherrschten in gleicher Weise wie die Herrscher im Einzeln-Verkehre und in staatlichen Dingen loben und ehren. Muß es also nicht nothwendig in einem derartigen Staate bis zu jedem möglichen Grade der Freiheit kommen? – Wie sollte es auch anders sein? – Und daß also auch, mein Freund, sagte ich, diese Unordnung sich in die Wohnungen der Einzelnen hineinzieht und zuletzt selbst in die Natur der Thiere sich einpflanzt? – Wie meinen wir, sagte er, dieß letztere? – Wie z. B., erwiederte ich, daß der Vater sich gewöhnt, dem Kinde gleich zu werden, und vor seinen Söhnen sich fürchtet, die Söhne aber dem Vater gleich und weder Scham noch Scheu vor den Eltern haben, damit man eben frei sei, und daß der bloße Insasse dem Bürger und der Bürger dem Insassen gleichgestellt werde, und ebenso auch der Fremde. – Allerdings geschieht dieß, sagte er, auf solche Weise. – Ja, sowohl Solches, sprach ich, als auch noch andere Kleinigkeiten dieser Art geschehen; der Lehrer fürchtet bei solchem Zustande seine Schüler und hätschelt sie, und die Schüler mißachten den Lehrer, sowie auch den Knabenaufseher, und überhaupt machen sich die Jungen den Aelteren ähnlich und wetteifern mit ihnen in Wort und That; die Greise aber lassen sich zu den Jungen herab, und sind voll Zuvorkommenheit und Liebenswürdigkeit gegen sie, indem sie die Jungen nachahmen, damit sie ja nicht als unangenehme und herrische Leute erscheinen möchten. – Ja wohl, allerdings, sagte er. – Der äußerste Grad aber ja, sprach ich, jener Freiheit der Masse, welcher überhaupt in dem derartigen Staate entsteht, ist es, wenn die gekauften Sklaven und Sklavinnen um Nichts weniger frei sind als ihre Käufer; welche Gleichberechtigung und Freiheit aber unter den Weibern gegen die Männer und unter den Männern gegen die Weiber entstehe, hätte ich fast vergessen anzugeben. – Nicht wahr also, sagte er, wir werden hiebei zufolge einem Worte des Aeschylos aussprechen, »was uns eben in den Mund kömmt«Ein nicht näher bekanntes Fragment des Aeschylus.. – Ja, allerdings, erwiederte ich, und auch ich werde nun so sprechen; nemlich um wie viel freier auch die unter den Menschen stehenden Thiere dortselbst im Vergleiche mit anderen Staaten seien, dürfte derjenige wohl nicht glauben, der keine Erfahrung hierin hat; so ziemlich nemlich werden sowohl die Hündinnen, wie das Sprüchwort sagt, ihren Herrinnen ähnlich werden, als auch die Pferde und die Esel werden sich gewöhnen, in gar freier und stolzer Weise einherzuschreiten, und auf der Straße gegen jeden, der ihnen begegnet, ausschlagen, wenn er nicht aus dem Wege geht; und ebenso werden auch alle übrigen Thiere von Freiheitsschwindel erfüllt sein. – Hiemit sprichst du nur aus, sagte er, was mir selbst schon träumte; denn gar häufig ja ergebt es mir so, wenn ich auf der Landstraße wandleOb diese Bemerkung noch auf der Gränze des Geschmackvollen und des Geschmacklosen stehe, oder bereits dem Letzteren angehöre, glauben wir dem gesunden Sinne der Leser überlassen zu dürfen. Ganz ähnlich ja verfährt auch zuweilen bei uns die ungebildetste Schichte des Pöbels, wenn derselbe z. B. bei einer Mißärndte oder einem allgemeinen Mißwachse hieran der politischen Gegenpartei die Schuld beimißt.. – Was aber nun die Hauptsache von all diesem zusammengenommen ist, sprach ich, bemerkst du wohl, wie weichlich nemlich es die Seele der Bürger mache, so daß, wenn man auch nur den geringsten Grad von Sklaverei ihnen zumuthet, sie entrüstet werden und es nicht ertragen; denn du weißt doch gewiß, daß sie zuletzt auch um die Gesetze, seien es geschriebene oder ungeschriebene, sich nicht bekümmern, nur damit in keiner Weise irgend Jemand über sie Herr sei. – Ja wohl, sagte er, gar sehr weiß ich es. –
15. Dieß demnach, mein Freund, sagte ich, ist der so herrliche und jugendlich übersprudelnde Anfang, aus welchem die Gewaltherrschaft erwächst, wie mir wenigstens scheint. – Ja wohl, ein jugendlich übersprudelnder, sagte er; aber was ist es, das hernach kömmt? – Jene nemliche Krankheit, sprach ich, welche in der Oligarchie eintrat und sie zu Grunde richtete, tritt auch in diesem Staate in größerer Menge und mit mehr Macht in Folge der Unbeschränktheit ein und knechtet so die Demokratie; und in Wahrheit ja pflegt das Uebermaß eines Thuns den Umschlag in das Gegentheil herbeizuführen, sowohl in den Jahreszeiten und in den Pflanzen und in den Körpern, als auch denn nun in den Staaten in einem nicht geringeren Grade. – Aus guten Gründen, sagte er. – Nemlich das Uebermaß der Freiheit scheint in nichts Anderes als in ein Uebermaß der Sklaverei umzuschlagen, sowohl für den Einzelnen, als auch für einen Staat. – Allerdings scheint es so. – Wahrscheinlich demnach, sagte ich, wird nicht aus einer anderen Staatsverfassung die Alleinherrschaft hergestellt, als aus der Demokratie, nemlich, glaube ich, aus der äußersten Freiheit eben die höchste und härteste Sklaverei. – Allerdings, sagte er, hat es seinen Grund. – Aber nicht darum ja, sprach ich, fragtest du, wie ich glaube, sondern welcherlei Krankheit es sei, welche in der Oligarchie hervorsprosse und als die nemliche nun auch in der Demokratie entstehe und die Knechtung derselben herbeiführe. – Es ist wahr, was du sprichst, sagte er. – Nemlich jenes Geschlecht ja, sprach ich, meinte ich damals, das der thatenlosen und auszehrungssüchtigen Männer, wovon das eine das muthigste ist und vorangeht, das andere aber das unmännlichste ist und nachfolgt, jene Männer, welche wir oben mit den Drohnen verglichen, deren die einen Stacheln haben, die anderen aber ohne Stachel sind. – Ja, und zwar mit Recht meintest du diese, sagte er. – Diese beiden denn nun, sprach ich, verursachen in jeder Staatsverfassung, sobald sie entstehen, Verwirrung, wie Schleim und Galle im KörperSchleim und Galle erscheinen auch in der Pathologie des Hippokrates als die materiellen Ursachen der Krankheit.; und vor diesen beiden ja muß sich der gute Arzt und Gesetzgeber eines Staates nicht weniger als ein weiser Bienenzüchter schon von Weitem in Acht nehmen, vor Allem, daß sie von vorneherein sich nicht einfinden, und sodann, wenn sie sich doch eingefunden, daß sie so schleunig als möglich mitsammt den Wachswaben herausgeschnitten werden. – Ja, bei Gott, sagte er, durchaus so. –
16. Folgendermaßen demnach, sagte ich, laß es uns erfassen, damit wir deutlicher einsehen, was wir beabsichtigen. – Wie meinst du? – In drei Theile wollen wir in unserer Begründung den demokratisch regierten Staat theilen, wie es auch wirklich sich verhält; Ein Theil nemlich ist doch wohl eben das derartige Geschlecht, welches in ihm in Folge der Unbeschränktheit nicht weniger, als in dem Oligarchien, hervorsproßt. – Ja, so ist es. – Aber ein viel eindringlicheres ist es in diesem, als in jenem. – Wie so? – Dort nemlich ist es, weil es nicht in Ehren steht, sondern von den Ausübungen einer Herrschaft weggetrieben wird, ungeübt und wird nicht kräftig; in der Demokratie aber hat ja gerade dieses die Vorsteherschaft, mit wenigen Ausnahmen, und jener Theil desselben, welcher der eindringlichste ist, spricht und handelt, der Rest aber sitzt um die Rednerbühne herum und summt und duldet es nicht, wenn Jemand Anderes spricht, so daß Alles in dieser Staatsverfassung durch das derartige Geschlecht geleitet wird, eben mit wenigen Ausnahmen. – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Folgendes anderweitige Geschlecht nun scheidet sich immer aus dem großen Haufen aus. – Welches wohl? – Während alle auf Gelderwerb sinnen, werden die Ordentlichsten doch wohl von Natur aus meistenteils die Reichsten sein. – Aus guten Gründen. – Also der meiste Honig für die Drohnen, glaube ich, und auch der zugänglichste fließt eben von dorther. – Wie sollte auch Jemand, sagte er, von denjenigen Honig ziehen, welche nur wenig haben? – Die derartigen Reichen demnach, glaube ich, werden auch Drohnenfutter genannt. – Ja wohl, so ziemlich, sagte er. – Das Volk selbst aber dürfte wohl das dritte Geschlecht sein, alle jene, welche nur ihren Bedarf sich selbst bereiten und ohne weitere Geschäfte sind, auch nicht viele Habe besitzen, ein Geschlecht, welches in der Demokratie, wann es in Eins vereinigt ist, der Zahl nach das größte und der Bedeutung nach das wichtigste ist, – Ja, so ist es auch, sagte er; aber nicht häufig ja will es so auftreten, wenn es nicht auch seinen Antheil am Honige bekömmt. – Nicht wahr also, es bekömmt ihn auch, sagte ich, stets, insoweit die Vorsteher es vermögen, bei Plünderung der Reichen die Habe derselben an das Volk zu vertheilen, für sich selbst aber den größten Theil zu behalten. – Einen Antheil also bekömmt es jedenfalls, sagte er, in dieser Weise. – Genöthigt also, glaube ich, werden Diejenigen, welche man plündern will, sich zu wehren, indem sie vor dem Volke sprechen und thun, was sie nur können. – Wie sollten sie auch nicht? – Irgend eine Beschuldigung demnach wird seitens der Anderen auf ihnen, auch wenn sie gar kein Verlangen nach Neuerung haben, haften, als stellten sie dem Volke nach und seien oligarchisch gesinnt. – Wie sollte es anders sein? – Nicht wahr also, zuletzt, wenn sie sehen, daß das Volk nicht freiwillig sondern aus Unkenntnis und durch Verleumder getäuscht ihnen Unrecht zu thun versuchte, werden sie dann erst wirklich, mögen sie wollen oder nicht, oligarchisch gesinnt werden, nicht freiwillig, sondern eben dieses Uebel hat jene Drohne, indem sie dieselben stach, selbst erzeugt. – Ja wohl, gar sehr. – Also gegenseitige Vorladungen, Urtheilssprüche und Gerichtsverhandlungen stellen sich nun ein. – Nicht wahr also, irgend Einen pflegt stets das Volk in hervorragender Weise zu seinem Vorsteher zu machen, und diesen groß zu ziehen und zu fördern? – Ja, dieß pflegt es zu thun. – Dieß also, sagte ich, ist nun klar, daß, wenn ein Gewaltherrscher hervorsproßt, er aus der Wurzel einer solchen Vorsteherschaft und nirgend andersher hervorkeimt? – Ja, sehr klar ist dieß. – Welches also ist nun der Anfang der Verwandlung eines Vorstehers in einen Gewaltherrscher? oder ist klar, daß dann, wenn der Vorsteher das Nemliche zu verüben beginnt, wie in dem Mythus betreffs des Heiligthumes des lykäischen Zeus in ArkadienDer Name des Lykäischen Zeus, dessen Kultus auf dem Berge Lykaios in Arkadien seinen Sitz hatte, hängt mit dem Mythos zusammen, welcher den arkadischen König Lykaon betrifft; derselbe hatte fünfzig Söhne, deren Uebermuth den Zeus bewog, sie zu bestrafen; Zeus besuchte sie als Gast in dürftiger Gestalt, und als ihm beim Male das Eingeweide eines geschlachteten Knaben vorgesetzt wurde, tödtete Zeus den Vater und alle Söhne desselben, oder (nach einer anderen Wendung der Sage, worauf auch Plato hier hinweist) er verwandelte sie sämmtlich in Wölfe. Es hat dieser Mythus, welcher auch mit dem Namen der Oertlichkeit und der Person zusammenhängt (λύκος, der Wolf), wahrscheinlich wohl nach der einen Seite eine Basis in dem früher in Griechenland allgemein verbreiteten Bestande von Menschenopfern, deren allmälige Abschaffung in mannigfachen Sagen hervortritt, noch mehr aber scheint andrerseits eine hauptsächliche Grundlage des Lykäischen Zeus jene mythologische Anschauung zu bilden, welche in den germanisch-nordischen Mythen vom »Werwolfe« erscheint; gerade auch an den Werwolf knüpft sich als Ursache oder als Folge der Verwandlung der Genuß von Menschenblut (s. Grimm, deutsche Mythol. I. Aufl. S. 1048). berichtet wird? – Welcher ist dieß? sagte er. – Daß Derjenige, welcher menschliches Eingeweide gekostet hat, das unter jenes anderer Opferthiere hineingeschnitten worden war, nothwendig in einen Wolf verwandelt werden muß; oder hast du diese Sage nicht gehört? – Ja gewiß. – Derjenige also, welcher als Vorsteher eines Volkes einen ihm sehr gefügigen Pöbel findet und sich des Blutes der Stammgenossen nicht enthält, sondern mit ungerechten Anschuldigungen, wie man sie gewöhnlich liebt, Einen vor Gericht zieht und ihn tödtet, das Leben eines Mannes vernichtend, und mit seiner Zunge und frevelm Munde stammverwandtes Blut kostet, und Bürger verbannt und hinrichtet und dabei auf Schuldenverminderung und Ländervertheilung hinweist, – muß also ein Solcher nicht nothwendig und durch Fügung des Schicksales hernach entweder durch seine Feinde zu Grunde gehen oder als Gewaltherrscher auftreten und aus einem Menschen ein Wolf werden? – Ja, durchaus nothwendig, sagte er. – Dieser demnach, sprach ich, wird es werden, der den Zwiespalt gegen die Besitzenden erzeugt. – Ja, dieser. – Wird er also, wenn er verbannt wurde und wider Willen seiner Feinde zurückkehrt, als vollendeter Gewaltherrscher zurückkehren? – Dieß ist klar. – Wenn sie aber nicht die Möglichkeit haben, ihn zu verbannen, oder dadurch, daß sie ihn vor dem Staate anklagen, ihn zu tödten, so werden sie wohl ihm nachstellen, um heimlich durch gewaltsamen Tod ihn aus dem Leben zu schaffen. – Es pflegt wenigstens, sagte er, so zu geschehen. – So wird denn nun jene vielberühmte Forderung der Gewaltherrscher von all denjenigen, welche einmal so weit vorgeschritten sind, erfunden, daß sie von dem Volke eine Leibwache fordern, damit ihnen ihr Retter des Volkes unversehrt bleibe. – Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Und sie geben sie ihm denn auch, glaube ich, weil sie wegen seiner in Furcht, wegen ihrer selbst aber voll Hoffnung sind. – Ja wohl, gar sehr. – Nicht wahr also, wenn dieses ein Mann sieht, welcher Vermögen besitzt und zugleich mit dem Vermögen auch mit der Anschuldigung behaftet ist, ein Feind des Volkes zu sein, so wird dieser dann wohl, mein Freund, entsprechend dem Orakelspruche, welcher dem Krösus zu Theil ward,
»zum kieselreichen Flusse Hermos fliehen,
und nicht mehr bleiben, noch auch sich scheuen, als Feigling zu gelten«Aus einem Orakel, welches, wie Herodot (I, 55) berichtet, dem Krösus von Delphi aus ertheilt wurde.. –
Allerdings möchte er schwerlich, sagte er, ein zweitesmal in den Fall kommen, sich scheuen zu können. – Wer hingegen, sagte ich, ergriffen wird, dieser wird wohl, glaube ich, dem Tod überliefert. – Ja, nothwendig. – Jener Vorsteher selbst aber wird kläglich nicht »als ein Riese riesig hingestreckt am Boden liegen«Ilias XVI, V. 776, u. Odyssee XXIV, V. 40.. sondern Andere gar viele wird er zu Boden strecken und auf dem Streitwagen des Staates stehen, nunmehr ein vollendeter Gewaltherrscher, nicht ein Vorsteher, – Warum sollte er auch nicht? sagte er. –
17. Wollen wir denn nun, sagte er, jene Glückseligkeit durchgehen, sowohl des Mannes, als auch des Staates, in welchem ein derartiger Sterblicher sich findet? – Ja, allerdings, sagte er, wollen wir sie durchgehen. – Wird er also nicht, sprach ich, in den ersten Tagen und der ersten Zeit gegen Alle, mit welchen er zusammentrifft, lächeln und sie liebkosen, und sowohl sagen, er sei kein Gewaltherrscher, als auch gar Vieles den Einzelnen und dem Staate versprechen, von Schulden sie befreien und Ländereien unter das Volk und unter seine eigene Umgebung vertheilen, und gegen Alle sich sanft und mild stellen? – Ja, nothwendiger Weise, sagte er. – Wann er hingegen in Bezug auf die äußeren Feinde mit den einen derselben Frieden geschlossen und andere auch wirklich vernichtet hat, und hiemit seitens jener es ruhig geworden ist, dann wird er vorerst immer irgend Kriege anregen, damit das Volk stets das Bedürfniß nach einem Führer habe. – Ja, so scheint es. – Nicht wahr also, auch damit sie durch Geldbeiträge arm werden und hiemit genöthigt seien, beim Erwerbe des täglichen Unterhaltes zu verbleiben, und demnach ihm selbst weniger nachstellen. – Ja, klärlich. – Und ja auch, falls er, glaube ich, bei einigen argwöhnen muß, daß sie Selbstvertrauen besitzen und ihm die Herrschaft nicht belassen wollen, damit er dann diese unter einem scheinbaren Vorwande verderbe, indem er sie den Feinden preisgibt; – aus all diesen Gründen also muß ein Gewaltherrscher nothwendig stets Krieg anzetteln. – Ja, nothwendig. – Und wenn er dieses thut, wird er hiemit stets geneigter werden, sich mit den Bürgern zu verfeinden? – Wie sollte er auch nicht. – Nicht wahr also, nothwendig müssen auch Einige von denen, welche bei seiner Einsetzung thätig waren und nun in hoher Geltung stehen, sich freimüthig sowohl gegen ihn, als auch unter sich äußern, indem sie, was geschieht, tadeln, jene nemlich, welche noch die tapfersten sind. – Ja, so scheint es. – Aus dem Wege räumen muß also der Gewaltherrscher, woferne er seine Herrschaft behaupten will, alle diese, so lange bis er unter Freunden und Feinden keinen mehr übrig hat, der irgend etwas nütz ist. – Ja, klärlich. – Einen scharfen Blick also muß er darüber haben, wer tapfer, wer hochherzig, wer verständig, wer reich sei; und in so hohem Grade beglückt ist er, daß er nothwendig gegen alle Diese, mag er wollen oder nicht, Feind sein und ihnen nachstellen muß, so lange, bis er den Staat gereinigt hat. – Gewiß eine herrliche Reinigung, sagte er. – Ja, allerdings, erwiederte ich, die entgegengesetzte derjenigen, welche die Aerzte bei dem Körper vornehmen; denn jene nehmen das Schlechteste weg und lassen das Beste zurück, dieser aber umgekehrt. – Wie es scheint, sagte er, muß er nothwendig so, woferne er herrschen will. –
18. Also in einer glückseligen Nothwendigkeit, sprach ich, ist er gebunden, welche ihm gebietet, entweder mit der Masse der Schlechten zu hausen und dabei von ihr gehaßt zu werden, oder überhaupt nicht zu leben. – Ja, in einer solchen Nothwendigkeit, sagte er. – Wird er also nicht, je mehr er durch solche Handlungen sich mit den Bürgern verfeindet, desto mehrere und getreuere Schildträger bedürfen? – Wie sollte er auch nicht? – Wer also sind ihm die Getreuen, und woher wird er sie sich kommen lassen? – Ganz von selbst ja, sagte er, werden Viele im Fluge herbeikommen, wenn er ihnen Sold gibt. – Wieder Drohnen ja, beim Hunde, sagte ich, scheinst du mir hiemit zu meinen, Fremdlinge und Leute aller Art. – Mit Recht, sagte er, scheine ich dir diese zu meinen. – Die Eingebornen aber, sollte er etwa diese nicht wollen? – Wie so? – Die Sklaven wird er den Bürgern nehmen, sie freilassen und unter die ihn umgebende Leibwache aufnehmen. – Ja wohl, gar sehr, sagte er, weil ja diese ihm auch die getreuesten sind. – Wahrlich ein glückseliges Wesen, sprach ich, bezeichnest du hiemit im Gewaltherrscher, wenn er sich derartiger Freunde und getreuer Männer bedient, nachdem er jene obigen Anderen zu Grunde gerichtet hat. – Aber er bedient sich ja, sagte er, auch wirklich derselben. – Und diese seine Genossen nun bewundern ihn und diese neuen Bürger bilden seine Umgebung, die Tüchtigen aber hassen und meiden ihn.. – Warum sollten sie auch nicht? – Nicht umsonst also, sagte ich, scheint sowohl die Tragödie überhaupt etwas sehr Weises zu sein, als auch Euripides hierin noch besonders sich hervorzuthunDarüber, daß eine gewisse sophistische Tendenz in den Euripideischen Tragödien hervortritt, s. m. Anm. 10 z. »Gastmahl«; was den hier in den sogleich folgenden Worten angeführten Ausspruch betrifft, so findet sich ähnliches in den »Phönissen« des Euripides V. 527; hingegen der Ausdruck »göttergleiche Gewaltherrschaft« steht wörtlich so in dessen »Trojanerinnen« V. 1177.. – Wie so? – Weil er auch dieß in Folge seines tiefen Nachdenkens aussprach, daß »weise die Gewaltherrscher sind durch Umgang mit Weisen«, und hiemit in klaren Worten sagte, daß jene, mit welchen der Gewaltherrscher in Umgang steht, weise seien. – Und als eine »göttergleiche« preist er ja, sagte er, die Gewaltherrschaft und auch noch viel Anderes, er sowohl, als auch die übrigen Dichter. – Demnach, sprach ich, werden die Tragödien-Dichter, weil sie ja weise sind, es uns und allen jenen, welche ähnlich wie wir den Staat einrichten wollen, wohl verzeihen, daß wir sie in unseren Staat nicht aufnehmen werden, weil sie eben die Gewaltherrschaft besingen. – Ich glaube, sagte er, daß wenigstens die Feineren unter ihnen es uns verzeihen werden. – Aber in den übrigen Staaten ja gehen sie umher und versammeln den Pöbel, und verführen, indem sie gar herrliche und hochtrabende und glaubhafte Sprüche zu leihen nehmen, die Staaten zur Gewaltherrschaft und Demokratie. – Ja wohl, gar sehr. – Nicht wahr also, auch Lohn bekommen sie noch dazu und werden geehrt, zumeist wohl, wie es kaum anders sein kann, von Gewaltherrschern, und zweitens auch von Demokratien; je höher aber sie in dem aufwärts gehenden Wege der Verfassungen nach Oben kommen, desto mehr läßt sie diese Ehre im Stiche, indem dieselbe gleichsam aus Beklemmung des Athems nicht mehr gehen kann. – Ja, allerdings. –
19. Aber wir sind ja hiemit, sagte ich, auf einen Nebenweg gekommen; wir wollen aber nun wieder von Vorne in Bezug auf jenes Heerlager des Gewaltherrschers, jenes herrliche und zahlreiche und bunte, welches niemals das nemliche ist, angeben, woher es denn erhalten werde. – Klar ja ist, sagte er, daß wenn Tempel-Vermögen sich im Staate findet, er dieses verwenden werde, so weit nemlich immer das Veräußerte reichen wird, indem er dann dem Volke weniger Geldbeiträge auferlegt. – Wie aber, wenn dieses nicht reicht? – Dann ist klar, sagte er, daß aus dem Vermögen seines Vaters sowohl er selbst, als auch seine Trinkgenossen und seine Gefährten und Gefährtinnen werden erhalten werden. – Ich verstehe, sprach ich, daß dann das Volk, welches der Erzeuger des Gewaltherrschers ist, ihn und seine Gefährten ernähren wird. – Ja, durchaus nothwendig, sagte er, ist dieß für ihn. – Wie meinst du aber dann? sagte ich, wenn das Volk hierüber entrüstet wird und sagt, es sei nicht gerecht, daß der in der Kraft der Jahre gehende Sohn von seinem Vater ernährt werde, sondern umgekehrt von dem Sohne der Vater, und es habe ihn nicht deshalb erzeugt und eingesetzt, um, wenn er groß geworden, dann ein Sklave seiner Sklaven zu sein und ihn nebst den Sklaven und anderem Gesindel zu ernähren, sondern nur um von den Reichen und von denjenigen, welche im Staate als die»Guten und Trefflichen«Gewöhnliche Bezeichnung der Anhänger der aristokratischen Partei in Athen, entsprechend dem »optimates« bei den Römern. – Uebrigens ist auch die Vergleichung des attischen Demos mit einem läppischen alten Herren, welcher von seinen Söhnen oder Sklaven am Narrenseile herumgezogen wird, bei den Komikern eine ziemlich häufige. bezeichnet werden, unter seiner Vorsteherschaft befreit zu werden; und dann nun heißt das Volk ihn und seine Genossen aus dem Staate sich entfernen, sowie auch ein Vater seinen Sohn nebst lästigen Trinkgenossen desselben aus dem Hause jagt. – Zur Einsicht, bei Gott, sagte er, wird dann das Volk kommen, welch ein Ungethüm es erzeugt und liebkost und gefördert habe, und daß es als der Schwächere den Stärkeren fortjagen will. – Wie sagst du da? sprach ich; wird er es wagen, dem Vater Gewalt anzuthun, und, wenn er ihm nicht Folge leistet, ihn zu schlagen, er der Gewaltherrscher? – O ja, sagte er, indem er es entwaffnet. – Als einen Vatermörder, sprach ich, bezeichnest du hiemit den Gewaltherrscher und als einen gefährlichen Pfleger des Greisenalters, und, wie es scheint, möchte nun bereits zugestanden sein, daß solcher Art die Gewaltherrschaft sei, und daß nach dem Sprüchworte das Volk, indem es schon vor dem Rauche einer Knechtschaft unter Freien flieht, in das Feuer der Herrschaft von Sklaven gerathen ist, indem es statt jener reichhaltigen und unvermischten Freiheit in die drückendste und bitterste Sklaverei unter Sklaven sich schmiegt. – Ja wohl, gar sehr, sagte er, findet dieß auf diese Weise statt. – Wie nun also? sprach ich, werden wir nicht passend sprechen, wenn wir behaupten, wir hätten es nun genügend durchgegangen, auf welche Weise eine Gewaltherrschaft in ihrem Uebergange aus der Demokratie entstehe und wie sie beschaffen sei? – Ja wohl, durchaus genügend, sagte er. –