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Gefoppt!

Es war in der beschaulich ernsten Fastenzeit. Von den Dächern rannen die »Schortropfa«, denn die Märzsonne schien warm, und die Lüfte wehten lau. Der Tannenwald hatte bereits seinen schweren Schneemantel abgelegt und seine Nadeln prangten im freundlichsten Grün. Durch die Natur ging ein freudiges Lenzahnen wie verheißungsvolles Auferstehen aus Todesbanden.

Soeben sank die Nacht aufs Dörfchen hernieder, als die leichtlebigen Waldmänner der »Tanne« zuwanderten, um dort zu trinken und zu »dischkurieren«, wie sie das Ding nannten.

»Monna«, sagte der Korlbauer zu seinen Zechgenossen, »Monna, dos »Lusen« wird ma schon zwida! Wett ma um wos!«

»No um wos denn?« höhnte der Dorfschmied.

»Dos woaß i soist no net!« polterte der »resche« Korlbauer zurück.

»I hätt's!« versicherte der als Spaßvogel bekannte Dorfrichter.

»Aussa damit!« dröhnte es im Chorus.

Der Richter aber schmunzelte und schwieg.

»No so sog's!« herrschte ihn endlich der Korlbauer an und rückte seine dickbauchige Holzpfeife in den linken Mundwinkel.

In diesem Augenblicke ging die Türe auf und der »Tomerl« trat ein. Sein Gesicht lächelte selig, als er der lustigen Gesellschaft gewahr wurde, und mit einem herzlichen »Grüaß enk God, Lentl!« setzte er sich zu den Bauern an den Tisch.

Nun wird man wissen wollen, wer dieser »Tomerl« war? Kein Geringerer, als der Pfarrer! Er war ein geborener Dörfler und Jugend- und Spielgenosse der Waldbauern, und bei allem sonstigen Respekt, den diese vor der heiligen Weihe hatten, konnten sie es doch nicht übers Herz bringen, ihn anders zu nennen als »Tomerl«, was eigentlich Thomas heißen sollte, denn Thomas war des Pfarrers Taufname. Nur in kirchlichen Angelegenheiten beehrten ihn die Männer mit dem salbungsvollen Titel »Houwürden«, und die Weiber küssten ihm auch die willig dargereichte Hand. Übrigens wollte es der Pfarrer im gesellschaftlichen Verkehre selbst so haben, und so blieb es denn beim vertraulichen »Tomerl«.

Recht so, Waldmänner! Der Pfarrer ist ja auch nur ein Mensch! –

»Tomerl«, sagte der Richter, »da Korlbauer hot heut wieda san lustinga Tog; er woi mit uns wett'n.«

Der Pfarrer lächelte vergnügt, denn er war allezeit ein Freund von gemütlichen Späßen und lustigen Hetzen.

»No so wett ma hoit mit eam!« sagte er freundlich, zog aus den Schoßtaschen seines langen Rockes die silberne Dose hervor und ließ die Waldmänner daraus schnupfen, während er zuletzt mit großem Geräusche die schmachtende Nase labte. Sodann setzte er den mittlerweile vom Wirte zur Verfügung gestellten Steinkrug an und machte einen langen, tiefen Zug daraus, strich sich dann lächelnd sein »Wämplein« und sagte vergnügt: »Ah!«

»Korlbauer«, begann nun der Richter unter allgemeiner Aufmerksamkeit, »i wett mit Dir um an Eima Bier, dass Du heut noch g'foppt wirst.« Alles lachte hell aus.

Der Korlbauer, der gerne in die Hitze geriet und alles eher ertrug, als gefoppt zu werden, bekam ob dieser Rede »einen Gift« und schlug mit der schwieligen Faust in den Tisch hinein, dass die Bierkrüge zitterten und schrie: »Dos bist Du Dei Lebta net im Stond, Du Feazler Du! 's goit! Do mei Hond, a Eima Bier!«

Er schrie es und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Wette war geschlossen.

»Gemach, Monna!« hatte der Pfarrer zu bedenken, »wo und wann wird denn das Bier trunk'n? Unsareina möchte auch dabei sein!«

»Moring af d' Nocht!« versicherte der erhitzte Korlbauer.

Von der Wette wurde weiter nicht mehr gesprochen; alles ging wieder seinen ruhigen Gang. Der Gerstensaft schäumte, die Männer »dischkurierten«. Der Korlbauer aber schnalzte mit den Fingern und begann zu singen:

»'s Diandl is harb af mi,
Hon ihr nix ton,
Hon ihr an Kirta kaft,
Nimmt mia'n net on!«

Dann jodelte er ganz burschenkeck und die Waldmänner stimmten lustig ein, während der Pfarrer mit der rechten Fußspitze den Takt dazu stampfte.

Dann sang der Richter in rauem Bierbass:

»Unsa Herr Pforra
Is a kreuzbrava Monn,
Weil er aus an Diandl
A Weib mocha konn.«

Das gefiel dem Pfarrer ganz prächtig. »Spitzbub!« rief er aus und lachte dazu, dass der stattliche Bauch hüpfte.

So wurde es zehn Uhr, und der Korlbauer verließ die Wirtsstube, denn sein »Uilei« (Juliana) hatte um ihn geschickt.

»Monna, iatzt goit's!« sprach der Richter, »iatzt hoift's ma spekulier'n, wia ma den Grabschopf am best'n fopp'n kannt'n!«

Lange rieten sie her und hin, keiner konnte das Richtige finden. Endlich blitzte es in des Pfarrers Auge auf. »Ich hab's!« triumphierte er laut, »stoßt's an!« Und sie tranken sich Bescheid zu. Dann rückten sie zusammen, um den Rat, den ihnen der Pfarrer flüsternd erteilte, zu vernehmen. Dieser aber begann, seiner Gewohnheit zuwider, in der Schriftsprache seine originelle Idee darzulegen.

»Jetzt wartet, bis der Korlbauer ruhig schläft. Dann nehmt ein Schaff voll Kalk und weißet damit dem Korl seinen Rappen an, dass er ausschaut wie ein Schimmel. Der Korl, der viel auf Gespenster glaubt, wird glauben, der Teufel habe ihm diesen Schabernack gespielt und wird zeitlich in der Früh bei mir sein, um mir diesen Spuk zu berichten. Der Richter wartet derweil in meinem Nebenzimmer, und wenn ich huste, so tritt er herein zu uns und das Rätsel löst sich auf. So mein' ich!«

Und die Waldmänner lachten herzlich über diesen »Einfall« und tranken noch einige Krüge schäumenden Bieres.

»A Gschudirta darot hoit uwei dos Rechte«, beteuerte der Schmied und die Männer sagten: »Wohr ist's eh!«

Dann ließen sie den wackeren Volksfreund, ihren Pfarrer nochmals leben, und als der Nachtwächter die Geisterstunde »ausrief«, herrschte im Wirtshause tiefe Ruhe.

*

Nur der Richter und der Schmied schlichen mit einem Kalkkübel und Pinsel an der Stallseite des Korlhauses hin. Mit Leichtigkeit ward die lose verriegelte Stalltür geöffnet. Eine alte, einhornige Kuh begrüßte die nächtlichen Störenfriede mit leisem Gebrumm, während die übrigen Rinder vergnügt der Ruhe pflegten. Im hintersten »Viehstand« lag der hagere Rappe und gab kein Lebenszeichen, nicht einmal beim Scheine der Laterne, von sich. Nur das schnatternde Völklein der Gänse, welches in einem »abgelegenen« Winkel des Stalles hockte, begann ein protestartiges Geschrei, welches indessen bald wieder verstummte.

»Schmied«, flüsterte der Richter, »wir hängen den Gaul da vorn her af den larn Stond; da Korlbauer wird glaub'n, dass sich a fremd's Ross oder gor da Tuifl soist einag'schlicha hot.«

Der Schmied nickte beifällig, und geduldig ließ sich das »verschlafene« Tier an den bezeichneten Ort führen und anhängen. Ein kleines Quantum Hafer ward in den »Born« geschüttet und bald war der Gaul in ein gesegnetes Fressen vertieft, während dessen die beiden Männer ihr Werk vollführten, das auch in der Tat prächtig gedieh. Nach einer halben Stunde waren sie mit dem seltsamen Anweißen fertig; der Rappe hatte über Nacht eine originelle Metamorphose durchgemacht, er hatte sich in einen Schimmel verwandelt.

Lächelnd entfernten sich die Spaßvögel, und bald wachte nur mehr der Vollmond allein, während die Wipfel der Bäume leise rauschten.

*

In der Frühe gab es im Korlhause große »Lamentation«. Der Korlbauer wollte seinen Rappen einspannen, um den Felddünger in die »Reut« zu führen. Pfeifend betrat er den Stall, da blendete sein Auge ein ungewohnter weißer Schein. Er fuhr zurück. »A Geist!« war sein erster Gedanke. »A Schimmel!« rief er gleich darauf aus, als das arme Tier den Herrn vertraulich anwieherte.

»Hoisakra, a Schimmel, a fremda Schimmel! Leutl, hoift's ma dos Viah ausjogn!« Er schrie es mit ganzer Kraft in das Haus hinein und alsbald kamen dessen Insassen herbei.

»Marion und Josefi!« schrie das Uilei, »dos geht net mit recht'n Dingen zua!«

»Da Tuifl!« schrie die hinkende Inwohnerin, die Mariandl, »da Tuifl ift's!« Und bald lärmte es im ganzen Hause: »Da Tuifl!«

Entsetzt eilte das Uilei um den »Weihbrunnkessel«, die Mariandl holte den »Himmelschlüssel«, während der Korl nach der Peitsche langte. Die »Teufelaustreibung« begann. Die Bäuerin besprengte den vermeintlichen Höllenfürsten mit Weihwasser, die Mariandl keuchte Beschwörungsformeln, und der Korlbauer war mit Schlägen und Flüchen eifrig bemüht, das mittlerweile losgelassene Tier aus dem Stalle zu jagen.

»Aussi mit dia, du hoivadunnerts Rob'nviah!« schrie er hitzig und ließ die Geißel fleißig auf dem Rücken seines Pferdes tanzen.

»Oille guatn Geista!« beschwor die Mariandl.

»Omei Godei!« wimmerte das Uilei.

Doch alles half nichts. Der Schimmel blieb standhaft und wich nicht einen Schritt vom Platze. Er fühlte sich ja in seiner rechtmäßigen Behausung. Geduldig ließ er sich schlagen. Endlich fing er gar an, laut und lustig zu wiehern. Das wirkte furchtbar! »Da Tuifl ist's!« schrie der Korl, »er locht uns nua aus, spürt nix! Lafts's!«

Und alle liefen, am meisten er selbst, der gefoppte Korlbauer.

Er suchte Hilfe beim Pfarrer, fand aber dort den triumphierenden Richter, der ihm das dunkle Rätsel aufklärte.

»Gefoppt!« rief der Pfarrer aus und lachte aus Leibeskräften.

»Vafluacht!« sagte der Korl und stürmte wild davon. Am Abend desselben Tages wurde in der »Tanne« der Eimer Bier getrunken, und der Korlbaner musste sich so manchen »Trumpf« gefallen lassen, was ihn indessen nicht ärgerte. Wohl aber war er der Verzweiflung nahe, als ihm bald darauf die Dorfburschen allnächtlich vor seinen Fenstern das Liedl sangen:

»Korl, steh af,
Da Tuifl is do!
Jog'n davon
Und schlof net so!«

III.
Der Lehrer erzählt:

»Ein Wandertag«

Im Kruge zum »Osser« saß ich beim bayerischen Braunbier und scherzte mit Else, der flachshaarigen Tochter des gemütlichen Wirtes. Die Sonne ging zur Rüste und vergoldete das herrliche Talbecken von Eisenstein mit ihrem rosigen Scheine. Endlich erblasste ihr letzter Schimmer, und im milden Glanze der Abendröte lagen die sommerlich prangenden Fluren und Wälder, aus deren Grunde der majestätische Arber hoch hinaufstieg in frn friedseligen Bereich des heiterblauen Äthers. Schön Else verließ mich, um die nach und nach erschienenen Gäste zu bedienen. Ich aber saß im Anblicke dieser wunderschönen Gebirgswelt versunken und ließ die stumme, wie es heißt, nur Sonntagskindern verständliche Sprache der gütigen Mutter Natur auf mein Gemüt wirken. Der ganze abendrotverklärte Westen war mit dunklem Hochwald besetzt, aus dem die Kuppe des großen Arber ehrfurchtgebietend emporragte; im Süden blickte der gigantische Falkenstein aus einer unbegrenzten Waldwildnis ins abendliche Dunkel hinauf, während ringsherum grüne Matten und freundliche Villen das Auge entzückten. In meiner Seele regte sich des Sanges Trieb, und so schrieb ich ins Taschenbuch folgende Verse:

Vom Teufelssee ein Blümlein fein
Hab ich Dir mitgebracht;
Es leuchten seine Äugelein
Wie Sterne in der Nacht.

Ich hab es an den Mund gedrückt
Mit froher Zuversicht
Und sprach, im Herzen tief entzückt.
Ganz leis' – »Vergissmeinnicht!« –

Vom Teufelssee, einem der wildschönsten Hochwaldseen des Böhmerwaldes, kam ich und dachte an mein fernes Lieb.

Während ich diese schlichten Verse noch einmal las, setzte sich mir gegenüber jemand mit großem Gepolter nieder. So ward ich aus meinen Träumen geweckt, und rasch wandte ich mich um.

»Schönen Abend!« redete mich der Fremde, ein Geistlicher, an. Ich erwiderte zuvorkommend den Gruß, und bald waren wir gute Freunde. Was mich an diesem Priester am meisten freute, waren sein offenes, ungeschraubtes Wesen, sein heiterer Humor, sein trefflicher, oft köstlicher Witz und seine launigen Schnurren, mit denen er mich unterhielt. Ich ward ihm bald recht gut geneigt, und auch er schien Gefallen an mir zu finden. So unterhielten wir uns bis gegen elf Uhr, während ein sternheller Himmel sich über den leis rauschenden Hochwald ausbreitete.

»Woher kommen Sie, und wohin geht die Reise?« fragte er mich.

»Ich bereise meinen Heimatwald, um ihn besonderer Zwecke wegen gründlich kennen zu lernen. Heute kam ich vom Teufelssee, und morgen geht's über den Arber zum Arbersee, nach Zwiesel und von da nach Deggendorf.

»Herrlich!« rief er aus, »ganz wie bei mir! Ich habe heute denselben Reiseplan entworfen!«

»Dann sind Sie also auch ein Tourist?« fragte ich.

»Auch«, erwiderte er. »Ich habe in der rebenreichen Ostmark so viel Schönes von diesem herrlichen Waldgebirge gehört, dass ich mich endlich entschloss, mir dasselbe gründlich anzuschauen. Und ich muss sagen, dass die tausend schönen Eindrücke, die ich in diesem wildromantischen Bergstriche gewonnen, nie in meiner Seele erlöschen werden.«

Das zu hören, tat mir wohl; denn ich liebte meine waldige Heimat, wie ein gutes Kind die treffliche Mutter liebt.

»Wenn es Ihnen Vergnügen macht«, sagte er beim Aufstehen, »so machen wir morgen die Partie mitsammen; es würde mir ein besonderes Vergnügen sein, in Ihrer Gesellschaft zu reisen.«

Mit Freuden gab ich meine Zustimmung, und dann begab er sich, mir eine ruhsame Nacht wünschend, ins Gasthaus, um der nächtlichen Ruhe zu pflegen.

Im Nachschauen war ich bemüht, sein Äußeres zu studieren. Er trug noch die altmodische Kleidung der Landgeistlichen, die langen »Kanonstiefel«, die lederne Kniehose, den fast zur Erde reichenden langschoßigen Schwarzrock und den weitkrämpigen »Kalabreser«. Wiewohl ich diesem Mann während unserer Unterhaltung äußerst gut wurde, so fand ich doch jetzt an der ganzen Erscheinung etwas ungemein Komisches.

Vom Turme schlug es zwölf, als ich in meinem Schlafgemache ankam. Die mondbeglänzte Waldnacht war zu verlockend. Kein Leben rührte sich, durch das geöffnete Fenster klang das silberhelle Plaudern des Regen, der hier noch ein kleines Bächlein; von Elisental her verhallten die schrillen Pfiffe der Grenzbahn. Lange noch lehnte ich am Fenster und atmete die kräftige Waldluft in vollen Zügen. Ein sanfter Schlummer nahm mich sodann auf in seine weichen Arme.

*

Ein sonniggoldener Morgen folgte der milden Nacht. Die Vögel sangen dem Schöpfer ihr Morgenlied, und durch die Wälder klang der Dengelhammerschlag. Die Wäldler rüsteten sich zur Heuernte. Da klopfte es an die Türe, und herein trat die wunderliche Gestalt meines Reisegefährten.

»Brechen wir auf?« fragte ich.

»Möchte doch noch gerne der Messe anwohnen«, gab er zur Antwort.

»Das können wir auch im Walde tun!« tröstete ich mit Klugheit, »unter den tausendjährigen Tannen wollen wir auf grünem Moose unsere Morgenandacht verrichten. Versuchen Sie es nur einmal, Sie werden sich überzeugen, wie so gut es sich im grünen Walde betet!«

Wir brachen auf. Bald wanderten wir auf der herrlichen Landstraße dem Dorfe Bayerisch-Eisenstein zu, von wo aus der Arber am häufigsten bestiegen wird. Nachdem wir uns im dortigen Kruge mit einem kühlen Trunke gestärkt, rüsteten wir uns zum Aufstieg. Liebreich nahm uns der nachtdunkle Hochwald in seine traulichen Schatten auf, und ein hundertstimmiger Chor von Waldsängern begrüßte uns mit frohen Weisen. Mein Reisegefährte war entzückt über die Herrlichkeit der Waldnatur, und plötzlich stimmte er in tiefem Baß das schöne Geibel'sche Lied an:

»Wer recht in Freuden wandern will,
Der geh' der Sonn' entgegen ...«

in welches ich begeistert einstimmte. Doch bald nahm unser Gesang ein Ende, denn die Bergwand stieg jetzt steil auf, und schweißtriefend erreichten wir des Arbers baumlosen Gipfel. In der kleinen, einsamen Bergkapelle sprachen wir ein inniges Gebet zum Herrn der Welt, und dann labten wir uns an dem herrlichen Fernblick, der sich uns hier bot. Nach einer Stunde angenehmen Verweilens stiegen wir abwärts zum romantischen Arbersee, mit dessen Seerosen wir uns schmückten, und pilgerten dann dem freundlichen Flecken Zwiesel zu, wo wir uns zu weiterer Fahrt stärken wollten. Die Sonne sandte ihre glühenden Brände auf den Wald hernieder, die reichen Saatenfelder reiften unter ihrem belebenden Strahl. Uns plagte ein großes Dürsten, und Zwiesel war noch weit entfernt. Da erreichten wir ein niedliches Dörfchen, dessen steinbeschwerte Flachdächer unsere besondere Aufmerksamkeit erregten. Im kleinen Gärtlein vor dem Dorfkruge machten wir Rast, bestellten zwei Steinkrüge Bayerisch, leerten sie mit wohligem Gefühl und ließen gleich wieder einschenken. In unserer Behaglichkeit sollten wir jedoch seltsam gestört werden. Soeben trieb der Hirt seine Herde heimwärts, unter welcher sich auch ein stattlicher Bock mit gewaltigen Hörnern befand. Wir saßen knapp an der Dorfstraße und betrachteten das muntere Treiben der Tiere; da plötzlich hielt der Bock inne, starrte mit trotzigen Augen, den Kopf zum Stoße gerichtet, die Beine stramm in den Boden gestemmt, meinen Gefährten an, und bevor wir uns in Sicherheit bringen konnten, erfolgte schon der gewaltsame, rechtswidrige Angriff. Mit wahrer Höllenwut warf sich das Tier auf den unschuldigen Ostmärker und war nicht mehr von demselben loszubringen. Dreimal ging die ergötzliche, originelle Jagd um Stühle und Bänke, mein Reisegenosse verteidigte sich wacker mit Stühlen und Scheltworten, er sprang, dass die »Schössel« seines langen Rockes flogen – alles half nichts. Der Bock, der ihn wie einen Todfeind zu hassen schien, hörnte ihn mit einer geschickten Manipulation zwischen Bauch und Weste auf, hob ihn in die Höhe und streckte ihn nicht gerade sanft auf den Grasgrund nieder. Der Hirt und die anwesenden Gäste konnten sich vor Lachen zu keiner Rettung entschließen; da sprang ich hinzu und packte das tolle Vieh mit kräftiger Faust beim – Schwanze und zog aus Leibeskräften zurück.

So erlangte der schwerbedrängte Freund die Freiheit wieder, er packte den Bock an den Hörnern und nun – hielten wir ihn fest und starr.

Diese Gruppe hätte einem nach originellen Stoffen jagenden Künstler als Musterbild dienen können, neu wäre so ein Kunstwerk immerhin gewesen! – Erst die kräftig geschwungene Geißel des Hirten verschaffte dem Tiere Respekt vor – uns, und hüpfend und meckernd tollte es mit der anderen Herde von dannen.

Mein Reisegefährte hatte ein unangenehmes Abenteuer bestanden, er schwemmte seinen Groll mit dem köstlichen Gerstensafte hinab. Dann brachen wir auf, stärkten uns in Zwiesel zu Mittag, bestiegen die bayerische Staatsbahn und rollten auf dem Schienenwege der lieblichen Donaustadt entgegen.

*

Es war noch lange vor Abend, als wir in das ob seiner unvergleichlichen Lage ungemein liebliche Deggendorf einzogen. In den »Drei Mohren« machten wir halt. Der ganze große, von Linden beschattete Garten war voll durstiger Zecher, vor denen bauchige Steinkrüge standen und kopfgroße »Radi« lagen, welch letztere einer eingehenden Analyse unterzogen wurden. In einer Ahornlaube inmitten des Gartens spielte eine Musikkapelle herzerheiternde Weisen auf, und die urgemütlichen Bajuwaren waren dabei guter Laune. Mir gefiel das Leben in Bayern immer, und lieb hatte ich dieses Land stets wie mein Heimatland, weil es wirklich ein schönes, gottgesegnetes Land ist; deshalb fühlte ich mich in der schattigen Kühle des Gartens erquickt. Ich machte meinem Reisefreunde den Vorschlag, mit mir die Stadt, besonders vom sogenannten »Ölberg« aus zu besichtigen. Allein er hatte frömmere Gedanken. In der Nähe von Deggendorf liegt der Gnadenort Klostermetten, wo die heilige Gottesmutter mehreren Glückskindern erschienen sein soll und wohin aus diesem Grunde tausende von Wallfahrern pilgerten. Diese geweihte Stätte wollte mein Ostmärker besuchen, und ich war bereit, ihn zu begleiten. Wir bewunderten auf dem Wege dahin die gesegneten Weinberge und die herrlichen Gefilde des bayerischen Waldes sowie die dichten Scharen singender und betender Wallfahrer, die uns begegneten, beteten selbst mit Andacht an dem Wunderorte tief im Walde, tranken aus dem Gnadenbrünnlein und später aus dem Steinkrug in der Klosterschänke, denn in der Nähe eines Klosters wird man ein Wirtshaus nie vermissen. Nach langem Beten und Singen müssen sich die Pilger ja doch auch stärken! Das ist so notwendig wie das »Amen« im Gebete. Stark ermüdet kehrten wir bei Sonnenuntergang nach Deggendorf zu den »Drei Mohren« zurück. Schon brannten die Lichter im Saale, jedes Plätzchen war besetzt, die Kellnerinnen, diese reizenden, hochbusigen Dinger, flogen ein und aus, Bier floss in Menge, der Unterhaltung fließender Strom drang wie dumpfes Brausen an unser Ohr. Wir wandelten Tisch auf, Tisch ab, konnten jedoch zu unserem Leidwesen keinen Platz finden.

Alles starrte die wunderliche Gestalt meines Genossen an, der in der Tat in seiner seltsamen Kleidung auffallend von der uns umgebenden, den besten Kreisen der Donaustadt angehörenden Lebewelt abstach. Hin und wieder klang ein verstohlenes Lachen an unser Ohr, das uns indessen nicht im Geringsten beirren konnte, keck und scheinbar nachlässig nach einem Sitze zu suchen. Endlich gewahrten wir in der hintersten Ecke des Saales ein ganz kleines, noch freies Tischchen, das wie geschaffen für uns schien. Der Priester winkte mir zu folgen, und bald saßen wir, vergnügt unsere Hände reibend im Sicheren und erwarteten die Kellnerin.

Ich summte leise die Melodie eines Wanderliedes vor mich hin, während mein Begleiter sich mit seinem Tornister zu schaffen machte.

Hatte unsere Erscheinung schon beim Eintritte in den Saal die Aufmerksamkeit der Gäste erregt, so steigerte sich dieselbe jetzt bis zur Neugierde. Alles rückte die Stühle und kehrte sich uns zu. Mit peinlicher Aufmerksamkeit wurden wir vom Kopf bis zum Fuße fixiert, der brausende Lärm verstummte, Kirchenstille ergoss sich in den Saal, kein Wörtlein war zu vernehmen. In mir stieg eine furchtbare Ahnung auf. Wie, wenn uns diese Leute gar als Gaukler oder sonst dergleichen ansähen? Ich teilte diese Besorgnis meinem wackeren Reisegenossen mit. Dieser aber lächelte mit der überlegenen Miene eines erfahrenen Weltmannes und meinte: »Das geniert uns nicht. Nur gemütlich! Soll'n gaff'n!«

Auf einmal aber drang ein furchtbarer Lärm an unser Ohr. Wie auf ein gegebenes Zeichen fingen alle Anwesenden stürmisch zu applaudieren an, aller Augen waren erwartungsvoll auf uns gerichtet, »anfangen! anfangen!« donnerte es uns aus biernassen Kehlen entgegen. Ich wollte vor Verlegenheit versinken, mein Reisefreund wechselte die Farbe, solch Rätselhaftes war mir noch nie in meinem Leben passiert!

Da öffnete sich die Tür, wie eine Sylphide schwebte eine Kellnerin herein, ein schalkhaftes Lächeln umtänzelte ihr küssliches Mündlein, als sie uns erblickte. Mit artiger Verbeugung trat sie zu uns und sagte halb lächelnd, halb ernst: »Entschuldigen Sie, meine Herren, dieser Tisch ist für die – Zitherspieler bestimmt, die sich heute produzieren werden!« –

Uns traf diese Hiobspost wie ein Donnerschlag. Wie von einer Viper gestochen, schnellten wir beide von unserem Sitze empor und suchten halb schleichend und halb eilend das Weite. Ein hundertstimmiges Gelächter gellte uns nach – wir aber dankten Gott, die mondscheinverklärte Stille des Gartens erreicht zu haben, wo wir bei Speise, Rettich und Trank die unliebsame Verwechslung zu vergessen suchten.

Also für Zitherspieler hatte man uns angesehen! Jetzt war uns das Rätsel klar. Und war nichts Schlechtes. Tags darauf trennten wir uns nach herzlichem Abschiede. Ich wandte meine Schritte wieder waldwärts, mein Ostmärker verlor sich im Innern Bayerns. Als ich ihn vor zwei Jahren in seinem rebenumrankten Pfarrhause besuchte, fand ich nichts mehr von der altmodischen Kleidung, denn ein bildsauberes, ziemlich dickes »Fräulein« führte die Wirtschaft, und ihrem Einflüsse war es jedenfalls zuzuschreiben, dass sich der biedere Romantiker nach und nach – »zivilisierte«.

Des Böhmerwaldes, sowie des kampflustigen Ziegenbockes und der vermeintlichen Zitherspieler ward beim perlenden Weine fleißig gedacht.

IV.
Der Schmied erzählt:

»Der Jaga.«

»Wenn »da Jaga« klein und dick ist wie ein Hackstock und »d' Jagarin« lang und dünn wie ein Zaunstecken, so gibt das keinen guten Klang!«

So meint der »Krautjogl« beim Maßkruge und »Radi« im »Grünen Baum« zu seinen Zechkumpanen.

»Abalei«, meint er weiter, »dos is koa rechta Z'somnistond net; unsa Jaga kug'lt voili af da Dread daher wiar-a Igl, und d'Jagarin fuchtl't mit ihr'm Kochlöfflkopf in da Luft umadum, dass oan voili schiach wird. Sogt's wos woit's, dos is koa rechta Z'sommstond net!« Und schnupft dabei seinen fetten »Schmalzl« aus dem blaugestreiften »Bixl« mit großem Geräusche.

»I moa's a«, stimmt der Brettschneider-Luisl bei, »is und bleibt koa rechta Z'sommstond net! Da Jaga wia-r-a Dachs und d 'Jagarin wia-r-a Krautstecka« – und schnupft mit dem Jogl.

»Hätt' uis nix z'sog'n«, lässt sich jetzt der lange Zill vernehmen, »wenn er nur a Schütz' wär' und a Kurraschi hätt! Trifft koan Hos'n, koan Rehbock, und von a-r-an Auerhohn is schon goa koa Red'.«

»Owa 's Schwadroniern konn er aus'm F«, versichert jetzt der Brunngrober-Michl, »do tuat eahm 's koana owa; do is er der G'scheiteste und der Kurraschiert'ste af da gonz'n Woit und neamd is eahm gleich.«

»Und stoiz is er, dass's stinkt!« beteuert jetzt der Pechbrenner-Wastl. »Dö ondern Jaga sand unter uns gonga und hom mit uns dischkriert, hom a Aug' zuadruckt, wenn unsa Viach in' Herrschaftswoid eini kemma is oder wenn a Grosweib koan Groszedl g'hobt hot – owa der schaut jo koan Mensch'n on und laft glei wia-r-a Bummerl ins Forstomt, wenn er wos z' vaklog'n hot!«

»Dofür zoigt eahm 's d'Jagarin«, tröstet jetzt der Krautjogl; »dö lest eahm tägli a paarmol d'Levit'n, dass 's dunnert; und wenn er donn fuchti wird, donn vasteht sie koan Spoaß net und zaust eahm den rout'n Bort – und Herr wird s' eahm, Monna, Herr wird s' eahm!«

»Hm, möcht' man's kaum glaub'n«, wundert sich auf diese Red' der Dorfälteste, der neunzigjährige »Veizei«, »so a Wurm, Brüst' wia a Zwieflhäup'l und Füaß wia Kloftastongen.« –

Und alle lachen dazu und trinken aus den großen, bauchigen Steinkrügen des Gerstensaftes belebendes Nass.

*

Während die Dörfler dieses teils auf Wahrheit, teils auf Hass und Verleumdung beruhende Gespräch führten, saß draußen im nächtlich-stillen Tann der »Jaga« in der Waldhütte, um dem berüchtigten Holzdiebe, dem verwegenen »Raffer-Hanes« aufzulauern. Es war eine friedvolle Waldnacht, der Vollmond blickte so lieblich durch die stolzen Buchen- und Ahornkronen und die bleichbärtigen Fichtenäste des Hochwaldes, der Kubani stieg wie ein himmelstürmender Titan auf in das sternerhellte Blau des Universums, und die Waldbächlein in den farrigen Schluchten und Waldhängen plauderten in die ruhsame Nacht hinaus. Über die Wipfel der Waldriesen zog ein geisterhaftes Sausen und Rauschen.

»Da Jaga« zog seine Uhr aus der Tasche und warf einen flüchtigen Blick darauf.

»Elf!« murmelte er verdrießlich. – »Jetzt muss er bald kommen, der Lumpenkerl! Will ihn einmal derb begrüßen, den Diebsbock!« Strich dann seinen fuchsroten Schnurrbart, nahm die Flinte in die Hand und verließ die Hütte, um draußen lange und aufmerksam in die nächtliche Hochwaldstille hinauszulauschen.

Nichts rührte sich – nur die nadelreichen Zweige der Fichten und Tannen bewegten sich leise im Wehen der Nachtluft.

»Der verdonnerte Bursche! Lässt lang auf sich warten! Dass ihn der Teufel ...«

Er konnte den Satz nicht vollenden, denn mit einem Male verschlug es ihm die Rede. In kleiner Entfernung verhallte soeben das schrille Geschrei einer emsig geführten Baumsäge, und gleich darauf war der Schlag einer kräftig geschwungenen Holzaxt hörbar. Die Holzdiebe hatten sich verraten.

»Aha, hab ich Dich, Raffer?« flüsterte der Jäger, »jetzt gilt's!« Und mehr schleichend als eilend näherte er sich der Schallquelle. Der Hochwald lichtete sich – eine mondbestrahlte, fichtenumsäumte Waldwiese lag vor seinen Augen. Am jenseitigen Rande der Waldlichtung sah er zwei Männer in geschäftiger Arbeit, wie sie eine gefällte Fichte in Stöcke zerschnitten und die Stöcke in Scheiter zerhackten.

»Kreuzschwerenot!« fluchte der »Jaga« ärgerlich, »die schönste Fichte im Hochwald, bare hundert Gulden wert, haben sie mir »wegg'stibitzt«! Gibt ausgezeichnetes Zünderholz! Mord und Brand und Blei! Verflucht!«

Jetzt wollte er die Holzdiebe anrufen – aber er war allein, und sie waren ihrer zwei, das bedachte er wohl – und doch drängten ihn Ehre und Pflicht, seine Rechte hier geltend zu machen. Lange überlegte er, dabei seine doppelläufige Flinte prüfend. Sie war scharf geladen.

»Rufen!« sprach sein Gewissen zu ihm.

»Schweigen!« ermahnte die Furcht.

»Wozu die Kugeln?« das Gewissen zu ihm.

»Bist ein Schütz?« höhnte die Furcht.

Und er stand in peinlicher Verlegenheit und konnte sich zu nichts entschließen. Auf einmal aber flammte es in seinem Gesichte auf – das Gewehr ward schussfertig angelegt und weitin durch die nächtliche Stille schallte sein donnerndes: »Halt, Ihr Lumpen!« – –

Nun wird der Zuhörer auf eine sensationelle Wirkung gespannt sein – aber nichts damit!

»Hot do net da Jaga g'schrian?« höhnte der Raffer-Hanes.

»Jo, wo steckt er denn, dieser Goliat?« feazlte der Genosse des Holzdiebes, »er wird jo schon größer wia-r-a Tonna (Tanne)!«

»Jaga!« rief jetzt der Raffer, »wo host denn d'Jagarin?«

»War eahm eh liaba, wenn er iatzt ba-n-ihr sa kannt!« spottete der zweite.

Dem »Jaga« stieg die Schamröte ins Gesicht. Er, der gebildete Akademiker, der Hüter des Gesetzes, sollte sich von zwei so rohen, einfältigen Holzdieben verhöhnt sehen? Sein Blut kochte, die Finger umklammerten krampfhaft das Gewehr, die Augen glühten in unheimlichem Feuer.

Warum hasste ihn das Dorfvolk so? Seiner unansehnlichen Gestalt wegen oder seines »schwadronierenden« Mundwerks halber? Oder vielleicht gar seines einer Hopfenstange nicht unähnlichen Weibes wegen? Dieses Weib, rockendünn und zaunsteckendürr, war eigentlich sein Fluch; das »Ewig-Weibliche«, die Anmut, der Liebreiz fehlten ihr, auch blieb die Ehe kinderlos, ein Schmerz, der den »Jaga« oft rasend machte, und wie oft gab es noch mit diesem ihm aufgedrungenen Weibe häuslichen Zank und Streit! Wie quälte sie ihn unausgesetzt mit ihrer fürchterlichen Eifersucht! Wie oft schalt sie ihn einen Säufer – einen Feigling! Denn er hatte tatsächlich nicht den Mut, den sein Stand erforderte, er nahm Reißaus vor dem »langen Zill« und mied überhaupt die Begegnung mit einem Wilderer oder Holzdieb aufs Ängstlichste und brachte nur zu oft statt des verfolgten Rehbockes eine – Eichkatz nach Hause.

Aber heute wollte er sich aufraffen zu einer Tat, die die Dörfler und seine »Jagarin« stutzen machen sollte, die sie belehren sollte, mit wem sie es zu tun haben, Was in einem »stillen Wasser« versteckt sein könne!

»Elendes Diebsgesindel«, donnerte er den Holzdieben entgegen, »stillgestanden und stillgeschwiegen, oder ich brenn' Euch nieder wie eine Katz'!«

Höhnisches Gelächter wurde ihm zur Antwort.

»Kurrasch hob'n!« reizte der Raffer-Hanes.

»Schneid hob'n!« verdeutschte sein Genosse.

Und sägten und hackten lachend weiter. –

Das war dem »Jaga« schließlich zu viel und er näherte sich keck und verwegen den zwei Holzdieben bis auf zehn Schritte Entfernung.

Plötzlich aber packte der Raffer-Hanes die schwere Hacke und stürzte sich wutschnaubend auf den Forstmann. Dieser aber zielte ruhig – ein Knall – und der Raffer war nicht mehr.

Durch die stille Nacht ging ein dumpfes Sausen und Rauschen, die Mitternachtsstunde lag über dem Hochwalde, in den Lüften raunte und flüsterte es, als begrüßten die »Geister« des Jenseits einen neuen Genossen, den zu Abraham gegangenen Raffer-Hanes.

Nun hielt es der zweite Holzdieb an der Zeit, den erschossenen Kameraden zu rächen. In der Meinung, der zweite Gewehrlauf des Jägers wäre nicht geladen, stürmte er mit der Holzaxt aus den »Jaga« ein. Dieser zielte abermals, aber der Schuss ging fehl – und der reckenartige Holzdieb war dem »Jaga« auf dem Leibe.

Jetzt begann ein entsetzliches Ringen und »Trosseln«, wobei sich der als Feigling verrufene »Jaga« wacker verteidigte. Aber gar bald begannen seine Kräfte zu schwinden, die Herkulesgestalt des Widersachers war unüberwindbar. Da suchte sich der »Jaga« mit seinem Hirschfänger zu verteidigen, allein der Holzdieb, der diese Absicht wohl erriet, entwand ihm demselben mit einem kräftigen Ruck, und nun wäre es um den Jägersmann geschehen gewesen, wenn nicht rechtzeitig – Hilfe erschienen wäre.

Soeben wollte der Holzdieb mit dem Hirschfänger zum verhängnisvollen Stoß ausholen, als er sich rückwärts derb »am Kragen« angefasst fühlte; gleichzeitig sauste ihm der Gewehrkolben des mittlerweile frei gewordenen Försters um den Kopf, nebelhaft flirrte es vor seinen Augen und bewusstlos sank er nieder.

Aber auch der »Jaga«, der heute ausnahmsweise, ja zum ersten Male eine so heroische Probe seines Mutes abgelegt hatte, war vor Aufregung und Erschöpfung einer Ohnmacht nahe; allein den Bemühungen seines Waldhegers, der in den nahen Lusenfilzen Nachtdienst hatte, und durch die beiden Schüsse aufmerksam gemacht, rechtzeitig zur Hilfeleistung herbeikam, gelang es, den »Jaga« unversehrt zu der »Ja – garin« zurückzubringen, die, von dem Geschehnis unterrichtet, noch um eine Spanne länger wurde und einen Lärm schlug, dass das ganze Dorf zusammenlief. Hat aber von der Stunde an ihren Herrn Gemahl keinen Feigling mehr gescholten.

*

Von diesem Zeitpunkte an war der »Jaga« das angestaunte Wunderkind des Hochwaldes. Alles sprach jetzt mit Ehrfurcht von ihm; in mitternächtlicher Waldeinsamkeit, so ganz allein, mit zwei verwegenen Holzdieben den ungleichen Kampf aufzunehmen, das deuchte den Waldbauern mehr denn Heroismus. Nur der »lange Zill« lächelte spöttisch und meinte: »Dem Raffer hat er leicht oans affi bracka' können – mit mir wird er's wohrscheinli net probier'n.«

Kam aber gar nicht zur Probe. Das Forstamt versetzte den »Jaga« in ein anderes Revier, und sein Nachfolger verstand es so recht, sich mit Nachsicht und Wohlwollen die Sympathien aller Dörfler zu erringen, ja selbst der »lange Zill« gab für eine gewisse Zeit das Wildern auf. – Seit dieser Zeit heißt es im Dorfe nicht mehr: »da Jaga«, – sondern: »der Herr Förster!« –

V.
Der Heger erzählt:

Ein Frauenmord im Erdstall.

Betritt man einen Weinkeller in der rebenreichen Ostmark, so nehmen die oft riesigen Fässer, welche sich in stattlicher Reihe vor unserem Blicke ausdehnen und so köstliches, feuriges Nass bergen, wohl in erster Linie unser ganzes Interesse in Anspruch. Wenn dann der gastfreundliche Winzer, hier »Hauer« genannt, solch ein Riesenfass besteigt und mit dem glitzernden Heber den goldfunkelnden Traubensaft ans Tageslicht befördert, dann erwacht beim deutschen Manne ein mächtiges Dürsten und mit kräftigem Zuge leert er das gefüllte Glas, dessen Inhalt in ihm tausend Lebensgeister, Freude und Frohsinn erweckt.

Doch auch eine zweite Spezialität ist in einem solchen Keller mitunter zu finden: die sogenannten »Erdställe«. In einer Seitenwand befindet sich zuweilen eine ungefähr halbmeterweite Öffnung, die vom Hauer gar nicht bemerkt zu werden scheint, die aber den Eingang zu einem sogenannten »Erdstall« bildet, der sich in der Form eines unterirdischen Ganges oft in gebrochenen Linien weit dahin zieht, sich hie und da zu sogenannten »Kammern« erweitert und erhöht, und der nach der Meinung der Landbevölkerung als Sicherheitsort in den »Schweden- und Türkenkriegen« gedient hatte. Doch soll hier der Zweck dieser unheimlichen, teilweise schon sehr verfallenen Höhlen nicht erörtert, vielmehr aber konstatiert werden, dass sie in neuester Zeit emsig durchforscht werden, was nicht ohne Mühe und Gefahr möglich ist.

Ein wackerer »Aufnehmer« solcher »Erdställe« war auch ein Bahnkassier, der diese Erdlöcher mit staunenswertem Mute und großer Geschicklichkeit, oft auf dem Rücken sich fortschiebend, oft auf der Seite kriechend, gleich einem Maulwurf durchwandelte. Es war an einem schönen Herbstmorgen, als der Kassier erwachte. Gerade hatte er das Glück, seine viellieben Schwiegereltern als Gäste zu bewirten, und der Tag war dienstfrei. Die Frau des Hauses nebst Schwiegermama beschlossen, einen Ausflug nach Wien zu unternehmen, während die beiden Herren einen Erdstall in einem nahen Dörfchen aufnehmen wollten. Weil sich in der Nähe dieses Dorfes eine Haltestelle der Bahn befindet, so bestimmten die Männer, dass die Frauen mitwandern und die Fahrt von dieser Haltestelle aus unternehmen sollten, was auch die Zustimmung der beiden Damen fand.

Frohgemut wanderte die kleine Gesellschaft durch die rebenschweren Weingärten dem Dörfchen zu und wurde von dessen Krug gar zu lockend begrüßt; zudem plagte die beiden Höhlenforscher schon großer Frühdurst.

»Hier ist gut sein!« beteuerte der joviale Alte, »hier wollen wir rasten!« Und der Kassier, welcher einem kühlen Tropfen gerade auch nicht abhold war, stimmte beifällig zu. Bald saß man plaudernd und schlürfend in der Weinstube, um sich zur bevorstehenden Maulwurfsarbeit genügend zu stärken.

Neugierig, wie die Dörfler sind, wurden besonders die beiden Frauen schon beim Einzuge ins Dörfchen gemustert, und namentlich war es ein altes Weibsen, die sogenannte »Klatschpumpe« des Ortes, welches sich die Fremdlinge nicht genug betrachten konnte.

»Wer die nur sein müssen?« quälte sie sich.

»Schmecks!« rief ihr ein vorbeieilender Halterbub' zu.

»War auch eine Antwort«, seufzte sie.

Nahm dann das Grastuch auf den Rücken und ging hinaus in die »G'stetten«, um für die Ziegen Weinlaub zu streifen.

Mittlerweile aber hatten auch die lustigen Zecher im Dorfkruge ihren Durst gestillt, und die Zeit ermahnte die beiden Frauen zur Abfahrt nach Wien. Die Männer begleiteten sie zur Haltestelle, wobei sie an der »G'stetten« vorbei mussten, in welcher sich der Erdstall befand, dem ihr Besuch heute galt. Wieder wurden sie von den Argusaugen des alten Weibes gesehen und neugierig gemustert.

Während nun die Damen auf dem eisernen Schienenwege der Residenz an der schönen blauen Donau zueilten, ging der Kassier mit seinem Jagdhunde, der ihm bei seinen Erdstallbesuchen als Bahnbrecher dienen musste, zum Metzger, um des Tieres Schwanz stutzen zu lassen. Nach dieser nicht gerade notwendigen Prozedur machten sich die zwei Herren auf die Beine, um endlich den Erdstall aufzusuchen. Sein Eingang befand sich auf freiem Felde in der »G'stetten«, wo der weibliche Spion Weinlaub abstreifte. Nachdem sie die beiden Herren und Damen zum letzten Mal an dem betreffenden Orte gesehen, kümmerte sie sich nicht mehr um dieselben, sondern setzte emsig ihre Arbeit fort. Ein leichter Regen fiel und sie schickte sich an, irgendwo Schutz zu suchen, als gerade die beiden Männer im Begriffe waren, in das finstere, gähnende Erdloch hineinzukriechen. Das war für sie ein welterschütterndes Ereignis! Schnell war sie fertig: Diese beiden locken ihre Weiber da hinein, um sie darinnen »abzumurxen«. Da heißt es jetzt aufpassen, bis sie wieder zurückkommen!

Und sachte huschte sie unter einen Dornbusch und wartete eine gute lange Stunde. Endlich kamen die beiden Höhlenforscher mit ihrem stark blutenden Hunde zurück und schlugen ihren Weg heimzu ein ... Wohl noch einmal so lang mochte des Weibes faltenreiches Gesicht geworden sein, als sie die zwei »Mörder« nun allein – ohne Frauen! – erscheinen sah.

»Josef und Marion! Die haben ihre Weiber da drinnen umbracht!« jammerte sie, und flugs eilte sie zur verhängnisvollen Stelle ... Da gewahrte sie Blut, rotes, frisches Blut ... »Wendelin und Leonhard, steh' uns bei! Da ist ein Mord geschehen!« rief sie in höchster Ekstase aus, dabei die dürren Hände über dem Kopf zusammenschlagend. Und so schnell, als es die alten Beine vermochten, eilte sie ins Gemeindeamt, um diesen furchtbaren Vorfall zur Anzeige zu bringen. »Sie hätte zwei fremde Herren, einen mit schwarzem, den anderen mit weißem Bart und Kopfhaar, mit zwei Frauen in den Erdstall kriechen gesehen und nach einer Stunde wären die Männer allein zurückgekommen, während die Weiber in ihrem Blut dort drinnen lägen ... Blut wäre in Menge zu sehen!« So lautete ihre Anklage, lief dann zu dem hochwürdigen Pfarrer hin und zahlte fünfzig Kreuzer auf eine Seelenmesse für die beiden unglücklichen Evastöchter.  ...

Der Bürgermeister aber befahl dem Gemeindediener, im Sturmschritt bei den würdigen Dorfvertretern eine »Sitzung anzusagen«. Bald darauf gab es in der Gemeindekanzlei eine lebhafte Debatte. Einstimmig wurde der Beschluss gefasst, in corpore sich beim Erdstalle Überzeugung von dem Verbrechen zu schaffen.

Im Dorfe war die Aufregung über diese ruchlose Tat groß, alles fluchte den Mördern und bedauerte die armen Weiber, während das Gemeindeamt umgehend die Anzeige bei der Behörde erstattete.

Nach drei Tagen erschien im Auftrage seitens der Behörde der Wachtmeister im Dorfe, um den rätselhaften Vorfall zu untersuchen. Zuerst wurde die »Klatschzunge« einem scharfen Verhöre unterzogen, wobei sie die ersten Angaben wortgetreu wiederholte. Alsdann begab sich der Wachtmeister an der Spitze der »Kommission« ins Gasthaus, wo die vermeintlichen Mörder vor der grausigen Tat ihre Opfer – berauscht hatten.

»Waren nicht vor drei Tagen zwei Herren, ein schwarzer und ein weißer, mit zwei Frauen da?« fragte der Wachtmeister den Wirt in scharfem Tone.

»Dass ich nicht wüsste«, antwortete der Wirt, setzte aber schnell hinzu: »Ja doch! Sie tranken in den ersten Vormittagsstunden vier Humpen Wein bei mir.«

Ob er die Herren gekannt?

»Sehr wohl«, versicherte der schmunzelnde Wirt.

Des Wachtmeisters Augen blitzten auf.

»Heraus mit der Sprache! Wer waren sie?«

»Hm, der Bahnkassier und sein Schwiegervater.«

Man denke sich nun dieser Worte Wirkung.

»Was, der Kassier?« schrien alle wie aus einem Munde.

»Furchtbarer Mensch!« jammerte der »erste Gemeinderat«.

»War immer ein so feiner, leutseliger Herr!« wusste der Bürgermeister zu berichten.

»Hat ihn auf einmal der Teufel reiten müssen!« ärgerte sich ein Dritter, der mit dem »Schutzengelgesicht«, weil er immer so fromm dreinschaute und zweiter »Kirchenvater« des Dorfes war.

»Oder ist er plötzlich übergeschnappt!« versicherte der aufgeblasene Müller-Lorenz.

Doch alles Reden half nichts – der Wachtmeister, ein persönlicher Freund des Kassiers, musste seines Amtes walten, wie sehr es ihn auch schmerzte.

Es war an einem freundlichen Herbstmorgen, als der Kassier in der Kanzlei den Dienst antrat. Gerade verzehrte er sein Frühstück, als sich die Türe öffnete und der Wachtmeister mit einem Führer hereintrat. Zuvorkommend wie immer trat ihnen der Kassier entgegen und lud sie in freundlichster Weise ein, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Aber die Miene des Wachtmeisters blieb heute kalt, und dankend lehnte er ab.

»Es ist mir sehr unangenehm, Herr Kassier«, begann er, »dass ich heute in einer sehr ernsten Angelegenheit zu Ihnen komme.«

»Aber ich bitte, nur zur Sache. Was wünschen Sie? Womit kann ich dienen?«

»Haben Sie eine Frau?« fragte der Wachtmeister.

»Jawohl.«

»Lebt sie?«

»Freilich.«

»Könnte man sie sehen?«

Jetzt machte der Kassier große Augen.

»Ja, um Gotteswillen, was kümmert Sie denn eigentlich meine Frau?«

»Ich bitte, ich handle nach Pflicht und Auftrag«, betonte der Wachtmeister scharf. Dabei nahm der zweite Gendarm hinter dem Kassier vorschriftsmäßige Stellung.

»Nun, wenn Sie meine Frau so sehr interessiert, so wollen Sie mir folgen.« Dabei trat er hinaus auf die Anfahrt und rief hinauf: »Berta!«

»Ja!« klang es von zwei rosigen Lippen zurück, und gleich darauf erschien ein schöner, blonder Frauenkopf am Fenster.

»Das meine Frau«, sagte der Kassier mit einem feinen Lächeln zum Wachtmeister.

»Gut!« erwiderte dieser.

Als sie in die Kanzlei zurückgekehrt waren, begann der Wachtmeister wieder:

»Haben Sie auch eine Schwiegermutter?«

»Was? Um meine Schwiegermutter kümmern Sie sich auch? Welch eine Ehre!«

»Lebt sie?«

»Jawohl, jawohl! Ist gesund, isst gut, trinkt nicht Schnaps, schläft lange, mag den Kaffee nicht, trägt noch keine Brillen, hat noch keine falschen Zähne, ist bei mir auf Besuch, streitet nicht mit mir, ist brav, hat noch keine.«

»Genug«, wehrte der Wachtmeister energisch ab, »die Tugenden sind hier Nebensache! Kann ich sie auch sehen?«

»Wenn es Ihnen Vergnügen macht, mit Enthusiasmuss!«

Und wieder beschwor er vor dem Fenster seine Schwiegermama, die denn auch nicht lange auf sich warten ließ und dem Wachtmeister ihr Vorderprofil zeigte.

»Das meine Schwiegermutter!« Und ein sarkastisches Lächeln lag auf seinen Lippen ...

*

Und dann saßen sie auf dem Sofa in der Kanzlei, und der nunmehr wieder freudig gestimmte Wachtmeister erzählte jetzt seinem Freunde die Ursache seines heutigen »Besuches« und eröffnete ihm, welch ein furchtbares Gewitter sich über seinem Haupte zusammengezogen hatte, wobei der Kassier in einen förmlichen Lachkrampf verfiel.

»Gut ist es nur, dass die beiden Frauen gestern Abend aus Wien zurückgekommen sind!« meinte der Kassier.

»Ich hätte Sie sonst verhaften und mitführen müssen!« versicherte der Wachtmeister.

»Woher aber rühren diese Blutspuren?« fragte jetzt der Postenführer.

»Von meinem Hunde, dem ich den Schwanz stutzen ließ!«

Und ein kühler Trunk besiegelte die alte Freundschaft, nachdem es sich herausgestellt hatte, dass der Kassier kein »Frauenmörder« war.

»Schade um meine fünfzig Kreuzer!« jammerte die »Klatschzunge«.

VI.
Der Forstadjunkt erzählt:

»Was der »Veizei« erzählt«

Es war im Jahre 1878. Frühherbst breitete seine Schwingen über die waldigen Bergriesen unseres Gebirgszuges aus, die fortziehenden Schwälblein ermahnten an das herbstliche Fest Maria Geburt.

Ein wundersamer Abend – es war Vollmondzeit – kündigte das weihevolle Liebfrauenfest an. In den Lüften herrschte heiliges Schweigen, kein Blatt, kein Zweiglein rührte sich. Schon stieg des Mondes Silberleuchte aus dem dunkelwaldigen Bergstöcke des Schreiner empor, tausend Sterne begannen ein magisches Leuchten und Schimmern – und von den Bergen erklangen im weiten Umkreis die Abendglocken der friedlichen Walddörfer. Da begann es plötzlich ringsum auf den imposanten Höhen aufzuflammen – riesige Feuergarben loderten himmelwärts, und ein gesunder Volksschlag feierte bei dem Lichtscheine das dreißigjährige Jubelfest der Bauernbefreiung, der deutschesten Tat des deutschesten Patrioten Hans Kudlich. War das ein Jubel der vollbärtigen Hochwaldsöhne, deutsch und markig wie Wodans Eichen, treu und beständig wie die festgrundigen Hochwaldtannen. Rings um den brennenden Holzstoß, der auf dem Dachsstein zwischen der Lusen- und Rachelwildnis loderte, saß singend und schäkernd die Waldjugend, feurige Besen schwingend wie zur Sonnwendzeit; pfeifenrauchende, sinnende Männer schritten im Gespräche durch die grünen mondbeglänzten Fichtenbestände des Berggürtels, und rosige Dorfdirnen sahen mit ihren Vergissmeinnichtaugen der ruhsamen Herbstnacht ins milde Gesicht. Ja, die Waldbauern fühlten es, dieser Tag gehörte ihnen, dies war der Tag, den Gott für sie gemacht – dies war der ewig denkwürdige Tag der Bauernbefreiung aus dem erdrückenden Joche jahrhundertlanger Knechtschaft, der Erlösungstag von Robot und Zehent, welch letzteren Tag einst in dunkler Zeit eine kirchliche Gesetzgebung auf Grundlage der mosaischen Bücher 585 ins Leben rief und den sodann der große Karol 779 bestätigte. Also eine uralte Last, die der frei geschaffene Bauer, auch der liebevollen, gerechten Gottheit Ebenbild, eines Menschen Bruder, mit Hilfe eines edelsinnigen Mannes, eines geborenen Bauernsohnes, von sich Abwarf. Die Feuer brannten, Lieder und Erzählungen erklangen und hitzige Reden, durchtränkt von schmerzlichen Erinnerungen an das schwarze Einst, durchhallten den asenbelebten Wald, und der Strom der Begeisterung und innigster Dankbarkeit, der Flug der hehren Freiheit riss alles mit fort.

Da näherte sich der fröhlichen Jugend eine ehrwürdige, tiefgebückte Greisengestalt in silbernem Haar und sah lange ernsten Blickes auf den blühenden Nachwuchs des Waldvolkes; dann stützte er sich auf seinen knorrigen Bergstock, ließ sich langsam, einige Male sich räuspernd, auf einen moos- und flechtenüberzogenen Baumstumpf nieder, und in feierlich gebietendem Tone sprach er: »Stad!« (Still.) Sogleich herrschte tiefe Ruhe und beim heimlichen Geprassel des Waldfeuers und geisterhaften Geflüster der Bergluft begann der neunzigjährige »Veizei« (Veit), der bewährte Dorfprophet, folgende Rede:

»Ihr jungen Leut', das Alter spricht, habt Ehrfurcht vor dem Alter! Vor grauer Zeit, wo der Erdkreis noch keinen Christenmenschen trug – Ihr wisst ja, dass ich einmal etliche Schulen mitgemacht – da gab's ein Volk da drunt' im Griechenland, bei welchem die Jugend vor dem erfahrenen Alter die größte Achtung haben musste. So war es Sitte bei den weisen Spartanern! Heut' ist es anders. Das Alter ist der Jugend unbequem, es soll ins Grab sinken, damit Raum für die Jugend werde. Ach Gott, es ist ja einmal so der Kreislauf des Lebens! Meine Jahre sind gezählt; vielleicht schon wölbt sich übermorgen der Hügel über meiner Grube. Ich hab' lang gelebt, viel gesehen und erfahren, viel gelitten und wenig genossen. Nur eine einzige Freude ward mir im Leben beschert, die Befreiung der armen Bauernschaft von Robot und Zehent, die besonders schwer auf mir lasteten.

Ich frag' Euch, Ihr jungen Leute, was war denn der Bauer früher? Ein Vieh, ja noch weniger als ein Vieh und doch, Ihr lieben Leute, hört's, ein gottentstammtes Menschenkind! Zur Zeit der unglückseligen Türkenkriege und noch weit früher war der Bauer noch ein Leibeigener, Sklave seines Gutsherrn, willen- und wesenloses Werkzeug adeligen und geistlichen Übermutes. Er durfte ohne Zustimmung seines »Herrn« kein geliebtes Dirndl heiraten, durfte seinen Ort nicht verlassen, musste die gröbste körperliche Züchtigung erdulden, die heute keinem Tier angetan werden – darf und hatte bei alledem keinen gerechten Richter, wo er Schutz suchen konnte, da der Grundherr zugleich sein – Richter war.

Da ging Gott, der Allerbarmer, mit sich selbst zu Rate; es war ihm klar, dass er sein treuestes Kind, den glaubens- und opferfreudigen Bauernstand, von einem himmelschreienden Unrechte erlösen müsse – und da sandte er uns in seiner unermesslichen Milde den unvergesslichen, ruhmreichen Volkskaiser, unsern Josef, den Bauernvater, den Schutzpatron des Bauernstandes, der die schwarzen Höllenbande der Leibeigenschaft mit der unendlichen Macht der Liebe seines Herzens zerriss und dem geknechteten Bauern das Licht der Freiheit, das menschliche Recht der Selbständigkeit gab.

Leute, lobpreiset den Herrn, danket Gott vom Herzen, dass er so gnädig über unser Los entschieden! Gedenket in Eurem täglichen Gebet des unvergleichlichen Volkskaisers, der uns treu geliebt wie ein besorgter Vater, der uns das Höchste gab, die Freiheit! Lehret Eure Kinder und Kindeskinder die große Erlösungstat unseres unsterblichen Schätzers kennen und erkennen, lehret sie, dass sie Josef lieben und verehren, dass sie für ihn beten und sein Gedächtnis treu bewahren, weil er ein deutscher Kaiser gewesen! –

Und doch, Ihr Leute, werdet Ihr es nicht fassen und glauben können, wenn ich Euch sage, dass dieser Volksheilige, dieser Märtyrer auf dem Throne, so viele Todfeinde unter den Menschen hatte. Die Hohen und Frommen, denen er den Bauern und einige Klöster nahm, grollten ihm, suchten sein Erlösungs- und Beglückungswerk zu untergraben wie einstmals der gottlose Türk die Stadt Wien – und noch heute gibt es unter unseren angeblichen »Freunden« Leute, denen der Name Josef ein Gräuel ist, die ihn deswegen anfeinden, weil er den Bauern die Freiheit gab, aus den aufgehobenen Klöstern den Religionsfond gründete und aus diesem – Kirchen, Armenhäuser und Schulen erstehen ließ. Ich frage euch: Was denkt ihr von diesen Undankbaren? Wir kennen sie und trauen ihnen nicht mehr.«

Der »Veizei« hielt inne und atmete tief auf. Weihevoll lauschte die Menge seinen beredten, überzeugungsvollen Worten, und die Augen der Waldjugend erglühten in einem eigentümlichen Feuer.

Nachdem der Alte einige Minuten geschwiegen, nahm er den Faden seiner Rede wieder auf:

»Ja, ihr jungen Leute, die Leibeigenschaft ward aufgehoben, aber noch musste der Bauer Robot und Zehent leisten. Erst war er des Gutsherrn Sklave, jetzt war er der Knecht; er musste die Felder bestellen helfen, musste hinaus mit der blanken Sense zur Heumahd, musste im finsteren Walde die herrschaftlichen Bäume fällen, musste dem Gutsherrn, ähnlich wie die Hunde, das Wild auftreiben – wie es noch heutzutage die fürstlichen Holzhauer tun müssen, wenn es Sr. Durchlaucht beliebt, mit den armen Tieren des Waldes frevles Spiel zu treiben – und wenn des Bauers Kräfte erlahmten, so sauste ihm die Peitsche des Schaffners um die Ohren oder über den Rücken, dass die Blitze vor seinen Augen tanzten und die »Riegel aufsprangen«. Und bei solchen Misshandlungen fand er keinen gerechten Richter! Wollte er vor die Herrschaft kommen, so musste er die Gunst des Schaffners, der ihn gestern viehisch misshandelt, erwirkt haben. »Der Bauer stinkt«, sagte der barbarische Gutsherr, »er soll mir hundert Schritte vom Leibe bleiben!« Und war das Gespann des Bauers zu schwach, den steinigen Weidegrund aufzupflügen, so hieß es: »Hund, spanne dich und dein Weib ein, dann wird es gehen!« So, ihr jungen Leute, sah es aus in der traurigen Zeit der Robot und des Zehents. Der Faulenzer von einem Herrn fuhr in der prächtigen Kutsche, der arme Bauer musste ihm die Arbeit und den Zehent leisten. Wie traurig es da mit uns bestellt war, das sagen uns die Worte, die ein ungarischer Bauer zu Kaiser Josef sprach: »Barmherziger Kaiser! Vier Tage Frondienst, den fünften Tag auf der Fischerei, den sechsten mit der Herrschaft auf der Jagd, der siebente gehört Gott – erwäge, barmherziger Kaiser, wie ich Steuern und Abgaben geben kann!«

Da kam das Lichtjahr 1848. Eine neue Zeit brach an für uns – der Kudlich gab nicht früher nach, bis auch die Robot und der Zehent trotz des Sträubens der »Herren« in den Schlund der Hölle stürzten – und nun, nun waren wir leiblich frei! Aber nicht genug des Glückes, unser barmherziger Kaiser Franz Josef, der zweite gute Josef, gab uns auch die geistige Freiheit durch seine schönste und erhabenste Schöpfung, die »Neuschule«, und so ist denn das großartigste Erlösungswerk, das Kaiser Josef begonnen, nun ganz und gar vollendet durch unseren gnädigen Kaiser.

Danket Gott, Ihr lieben Brüder, dass er es so gefügt hat, haltet treu zu Kaiser, Vaterland und Deutschtum, haltet fest das Banner der Freiheit und des Fortschrittes, und keine Hölle wird es fürder zu Stande bringen, uns das teuflische Joch der Knechtschaft und – Dummheit wieder aufzuerlegen!«

Der alte Veizei hatte geendet, ein tosender Beifallssturm durchgellte den uralten Bergwald, hundert Stimmen riefen: »Wir schwören es!« Und dann klangen Lieder, die Alten erzählten Geschichten von Kaiser Josef und Roboterlebnisse, bis das Feuer nach und nach erlosch.

Die Burschen aber fertigten aus Tannenzweigen eine Tragbahre an und trugen den erleuchteten »Veizei« laut jauchzend nach seiner Hütte am Fuße des Berges.

VII.
Der Zolleinnehmer erzählt:

Der »Pfeiferl«

Diandl steh' auf, oda kennst mi' net?
Oda san dos Deine Fensta net?

Er sang es – nein! Er pfiff es durch die mondhelle Sommernacht, dieses altbekannte Liedl, er, der »Pfeiferl«-Muckl. Muckl hieß man ihn, weil er auf den Namen des Patrons desjenigen Völkleins getauft war, das durch seine Fruchtbarkeit bekannt ist.

In einer mondhellen Frühsommernacht war es, wo ich ihn kennen lernte. Lange schon hatten sich die singenden Dorfburschen vor den Kammerfensterln ihrer Dirnen verloren, und der Vollmond stand im Zenit, als ich noch, die nachtumschleierte, herrliche Waldlandschaft bewundernd, in meinem Stübchen am offenen Fenster lehnte und hinaus sah in den Bergstock der Drei-Sessel. Alles schwieg, es war, als könnte man den Herzschlag der Ewigkeit vernehmen. Nur in den dunklen Wipfeln der Siebensteinfelsen-Waldung war geisterhaftes Rauschen hörbar.

Da klang es plötzlich an mein Ohr wie Zeisigton und Amselsang. In Doppelklängen, die sich bald in Sekunden, bald in Terzen, Quarten, Quinten und selbst Sexten bewegten, pfiff jemand mit viel Gefühl und bewunderungswerter Fertigkeit das oben zitierte Volksliedlein durch die heilige Nacht, und mein Ohr konnte nicht müde werden, zu lauschen und zu vernehmen. Dann schwieg das helle Pfeifen, und an einer Gassenbiegung, unweit des Röhrbrünnleins, wo der uralte Ahornbaum sein ehrwürdiges Kronenhaupt himmelwärts streckt, tauchte vor einem niederen, epheuumsponnenen Fenster eine schlanke, aber sehnige Gestalt auf, die leise an das blanke Fensterlein klopfte, und als ihr nicht gleich Einlass gewährt wurde, abermals jenes zauberische Pfeifen anhub. Und jetzt wirkte es wie ein Wunder. Sachte öffnete sich der eine Flügel, ein kornährengelber Mädchenkopf erschien am Fensterl, ein geschäftiges Raunen und Wispeln drang an mein Ohr, dann sah ich, wie sich vier jugendfrische Lippen begegneten, und urplötzlich war die Gestalt mit der Behändigkeit einer Forelle mit kräftigem Schwunge im dunklen Kämmerlein drinnen beim Mägdelein.

Des anderen Tages fragte ich, wie der Bursche heiße, der so schön pfeifen könne, und da gab mir das alte Everl-Julei die Antwort: »Morion und Josefi! Dos is jo da Pfeiferl, der sunst nix konn und tuat, ois wia pfeif'n.« Ich stopfte meine Holzpfeife und ging ins Bierhaus hin auf ein Krüglein Passauer Stoff. Wie ich das Glas ansetzen will, trat Pfeiferl herein und wünschte mir einen schönen Morgen. Bald waren wir gute Freunde, und ich bat ihn, mir ein Liedl in Doppeltönen vorzupfeifen. Da sah er mich schmunzelnd an, wischte sich dann mit dem groben Filz den biernassen Mund ab und begann mir die seelenvollen Volksweisen der teuren Waldheimat vorzupfeifen, bald in Terzen, bald wieder in anderen Intervallen, immer zweistimmig; zweistimmig sage ich, weil mir solches ganz und gar neu war, dass ein Mund zwei Töne zu gleicher Zeit hervorbringen konnte. Ich staunte ihn wie einen Wundermann an, eine gewisse Ehrfurcht für ihn wurde in meiner Seele rege, und endlich bat ich ihn, mich zu unterweisen, wie man es zu solcher Kunst bringe. Und in der Tat gelang es ihm, mir das doppelte Pfeifen nach und nach beizubringen, doch blieb ich immer nur der Stümper, während er der unerreichte Meister war.

Während er im Bierhause seine gemütlichen Volksweisen zum Besten gab, nahm ich des Wirtstöchterleins Gitarre mit dem blauen Seidenbande von der rauchgeschwärzten Wand herab und begleitete mit Saitenklängen seine doppelpfiffigen Lieder. Im Waldlande gibt's alleweil fröhlichen Sinn – alsbald strömten einige Finanzer, Burschen und Diandln, ja selbst der Forstgehilfe herbei, und im Nu gab's ein munteres Reigen und Stauben, dass sich der Wirt vor Lachen den stattlichen »Schmerbauch« halten musste.

Und so kam die Zeit, wo er zur Stellung musste. War ein prächtiger Kerl, gefiel ihnen und wurde »behalten«. Als ihn der Oberst fragte, ob er von Musik etwas verstünde, bejahte er diese Frage mit etwas zu gefälligem Selbstbewusstsein. Was er könnte? fragte der Stabsherr wieder. »Pfeifen«, erwiderte er stolz.

Der Oberst glaubte, er pfiffe die Flöte, weil er schon von früher wusste, dass man im Böhmerwalde das Flötenspiel eigentlich Pfeifen, die Flöte »'s Pfeiferl« und den Spielmann »Pfeifer« nennt; so wurde er zur »Banda« bestimmt. Als er einrückte, gab ihm der Kapellmeister eine vielklappige Flöte in die Hand, ihn auffordernd, etwas zur – Probe zu blasen. Er machte, wie er mir nachher erzählte, anfangs ein sacklanges Gesicht und wusste nicht, was er mit dem »Röhrl« anfangen sollte. Dann erklärte er, dass er zwar auf den Lippen, nicht aber auf diesem Holz da pfeifen könnte, und gleichzeitig ließ er ein doppelstimmiges Regina aus einer ihm wohlbekannten Litanei los. Jetzt war die Reihe des Erstaunens an dem Kapellmeister; aber als Kenner »entdeckte« er an ihm ein musikalisches Genie, und so musste er das liebliche Waldhorn wohl nicht pfeifen, sondern – blasen lernen. Pfeiferl wurde ein Blaserl, und rührend waren die Briefe, die er seiner Mutter, der dicken Mirl, die in den Beinen fort das Reißen und Zwicken hatte, geschrieben.

»Das Hörndl«, schrieb er einmal, »richtet mich z'Grund, es ist mein Tod; es geht so viel auf die Brust, dass ich ganz blau werd' und keinen Atem krieg'! Es ist mein Tod, das höllisch' Hörndl.«

Seine besorgte Mutter fürchtete um sein teures Leben, lief hin zum Oberst, weinte und flehte händeringend um seine Erlösung vom Hörndl, und richtig wurde er zur Waffe übersetzt. Und hier brachte er es zum Gefreiten, als welcher er nach dreijähriger Dienstzeit auf Urlaub ging. Das ganze junge Dorfvolk zog ihm freudejauchzend bis zum Anger entgegen, als er, ein lustiges Soldatenlied pfeifend, dem Heimatsdörfchen zuschritt. Abends gab es im Bierhause großen Jubel. Ein Leierkasten und wandernde Harfenisten spielten lustige Weisen auf, hin und wieder pfiff oder sang er ein Liedlein, die Gitarre tat wacker mit und der »Goaswenzl« handhabte seine Mundharmonika gar wacker, indessen das junge Lebevölklein jauchzte und reigte bis zum Morgenanbruch. Überall hieß es: »Juche, da Pfeiferl is do, hiatzt gibt's wieder a Leb'n!«

Und nun sollte es auch mit seiner Nandl Ernst werden. Seine Mutter, von Jahr zu Jahr immer mehr vom Zipperlein geplagt, sehnte sich nach Ruhe und wünschte, dass er sich das »süße« Joch der Ehe auferlege. Pfeiferl war gleich dabei. Heute Nacht wollte er der Nandl die glückliche Mär beim Fensterl mitteilen und wollte sich mit ihr über das Weitere besprechen.

Allein:

»Gedreht ist Frauenhuld auf Radesflügeln,
Und Wankelmut wohnt unter den Lilienhügeln.«

So sagt nämlich ein frommer Mann, der schwedische Erzbischof Tegner, über das Weibsvolk.

Als er sich dem wohlbekannten Fensterl näherte, pfiff er wie gewöhnlich das Liedlein:

Diandl steh auf, oda kennst mi net?
Oda san dos Deine Fenster net?

Aber es schien, als läge die Nandl in tiefem Schlafe, denn es rührte sich nichts. Plötzlich jedoch fasste ihn jemand von hinten am Kragen und schnürte ihm das Halstuch derart zusammen, dass er dem Erstickungstode nahe war. Nur mit größter Not konnte er sich dieses widerrechtlichen Angriffes erwehren, und nun hub er mit seinem verdonnerten Nebenbuhler, dem Bocksepp, ein Ringen auf Leben und Tod an. Doch diesmal hielt er sich nicht tapfer genug – der Sepp brachte ihn auf die Erde und prügelte ihn jämmerlich durch. Als die Nandl solche unlautere Nachtstörung vernahm, sprang sie auf, und da sie ihn auf der Erde sah, bekam sie einen gar bösen Zorn auf ihn, so dass sie in ihrem gerechten Missmute hinausrief: »Toikata Bua, was haust denn net zua? Bist ma rein wia-r-a Bamzapfa!« Dieser wohlverdiente Spott tat ihm weher als die harten Püffe des Bocksepp, und als er wieder auf seinem Gestell war, eilte er, die Nandl und die ganze Welt verfluchend, hin ins Bierhaus, trank, ja soff wie ein Ochs – bis er endlich ein Trumm Rausch hatte, dass er sich nicht mehr erkannte. So torkelte er gegen Morgen heimzu, und was tat er dann? Den Strick nahm er, auf den Hochboden stieg er hinauf, die Schlinge legte er in sündhafter Eifersucht um seinen schlanken Hals – und dann zappelte er frei in der Luft wie eine Hasenscheuche im Krautfelde, bis ihm nach und nach die Sinne vergingen.

Die Mutter suchte ihn. Mit einem gellenden Schrei stürzte sie zusammen und fing ein grauenerregendes Lamentieren an, dass die Leute von der Gasse herbeikamen. Der Schmied war der gescheiteste unter den vor Erstaunen sprachlosen Gaffern, er schnitt den Strick ab und plumps, da lag er, zwar leblos, aber noch ganz warm, auf dem Boden. Jetzt ging es mit ganzer Eile an die Wiederbelebungsversuche. Seine Mutter blies ihm den »Atem« in den offenen Mund hinein, der Schmied hieb mit ganzer Kraft mit seiner breiten Faust unausgesetzt in seinen Rücken, Andere rieben ihm Füße, Hände und Schläfe, und die mittlerweile auch herbeigeeilte Nandl schrie unaufhörlich in sein rechtes Ohr: »Muckl, mein Muckl, werd' wieder lebendig!« Allein er rührte sich nicht. Da packten ihn einige derbe Fäuste und schleppten ihn zur Pumpe hinab und begannen emsig auf ihn loszupumpen. Das wirkte.

Die Nandl bat ihn tausendmal händeringend um Verzeihung und beteuerte ihre Unschuld in rührenden Worten. Und er, von Haus aus eine gute Seele, grollte nicht mehr, und in fünf Wochen darauf hieß es: »Juchhe, heut' wird's a Leb'n, der Pfeiferl hat Houzat!« Das ganze Dorfvolk tanzte an seinem Ehrentage, und heute ist er der allgeliebte Pfeiferl-Muckl, der im Dorfe die Würde eines ersten Gemeinderates einnimmt.

 


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