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Die Sichel klang, die Sense klirrte, der Bursche jauchzte, die Dirne sang. Da war's um den Sommer geschehen – sie hatten ihm den Garaus gemacht! Zuerst ging es über die farbenbunten Wiesen, es fiel das junge, frische Grün, stattliche Heuschober bedeckten die kahlgeschorene Fläche und würzten die Luft mit köstlichem Dufte, dann wanderten sie in den »Stadl« hinein, um ein Opfer der nimmersatten Wiederkäuer zu werden. Der Herbst setzte einen Fuß ins Land.
Jetzt ging es über das herrliche, lerchen- und wachtelbelebte Kornfeld her, dessen ährenschwere Halme, himmelblauen Cyanen, rotsternigen Raden und glutsprühenden Mohne sich so unmutsvoll im Sommerlüftchen wiegten – die Sense klang, die Dirne sang und Tausende von Halm- und Blumenleichen deckten das Stoppelfeld. Es war, als weinte die Natur um ihre lieblichen Kinder, Flora verhüllte ihr gramvolles Antlitz, graue Wolkenschleier bedeckten den Himmel; der Herbst war im Begriffe, den zweiten Fuß ins Waldland zu setzen. Nur die Leinfelder standen noch im üppigsten Grün, und eine Meerflut lichtblauer Blütensterne ergoss sich über deren Fläche.
Es war ein gutes Jahr, der Bauer hatte seine Rechnung gemacht, und er war zufrieden. Wenig Mehltau, schweres »Kernl« und viel Stroh! Warum sollte er da nicht lustig sein nach so viel Glück und Segen? Vor dem Erntetanze aber musste an den Spender dieser reichlichen Gaben, an den lieben Herrgott, gedacht werden, und so versammelte sich das Dorfvolk im kleinen, friedhofumgürteten Holzkirchlein, um in Lied und Gebet den »Bettag« abzuhalten. Der würdige Pfarrer, ein silberhaariger Greis in den Siebzigern mit freundlichem Gesichte und treuherzigen Augen, der im schlichten Walddorfe seine Priestertätigkeit begonnen und auch beenden wollte, der mit freudigem Pflichtbewusstsein auf eine ganze, unter seiner Fürsorge gezeitigte Generation blicken konnte, betrat die einfache Kanzel und las mit bewegter Stimme die Stellen aus dem Psalm vor:
»Danket dem Herrn, ihr Bewohner der Erde, danket ihm, denn seine Güte währet ewig. – Bestrebet Euch, ihm mit Freuden zu dienen, denn seine Vatersorge hört nie auf. – Erscheinet vor ihm mit Dankliedern; von Freude durchdrungen, rühmet seine Größe. – Wie soll ich also dem Herrn danken für so viele Wohltaten, welche er mir erwiesen hat? Liebe, liebe, meine Seele, den Herrn; alle Deine Empfindungen drücken Liebe und Dankbarkeit gegen ihn aus! – Nur in der Seele desjenigen wohnet dankbare Liebe gegen Gott, der Gottes Gebote treu erfüllt.«
Klein und Groß lauschte diesen erhabenen Psalmworten mit ehrfurchtsvoller Andacht, und als der Priester geendet, sprach das Volk im Chorus: »Ehre sei dem Vater, dem Sohne und dem heiligen Geiste, von allen Menschen und zu allen Zeiten. Amen!«
Dann ertönten süß und mild die weichen Akkorde der Orge, und die Wäldler sangen mit kräftiger, wohlklingender Stimme das uralte Erntelied.
In gehobener Stimmung ging man nach der Andacht aus der Kirche, und alles rühmte die väterlich-wohlwollende Weise des Pfarrers, der mit seiner Gemeinde Freud und Leid zu teilen gewohnt war.
In jeder Bauernstube war der Tisch festlich gedeckt; es galt, den »Amboß« (Ernteschmaus) würdig abzuhalten. Besonders reich war der Tisch im »Fichtenhofe« bestellt, denn der Fichtenbauer »hatte es« und er setzte seinen Stolz darein, seinen Schnittersleuten einen »fetten Amboß« aufzutischen. Die große Stube wimmelte von Männern, Mädchen und Kindern. Alle überragte die Hünengestalt des Fichtenbauern, der einen bis an den Gürtel reichenden Bart trug, welcher seiner Person etwas Ernstes, Herrisches verlieh. Und ernst und herrisch war er trotz seiner anerkannten Herzensgüte, und er duldete in seinem Hause keine Schlechtigkeit, keine Nachlässigkeit, sondern spornte Knechte und Mägde zur Arbeit und Frömmigkeit an. Und alle gehorchten ohne Widerrede.
Jetzt trat er an den großen Fichtentisch und faltete die Hände. Alle folgten seinem Beispiel. Wie es im Böhmerwalde üblich, betete er vor dem Mahle den englischen Gruß vor, während das Gesinde laut nachbetete. Dann ging es an ein ungewöhnlich gesegnetes Essen: Rindfleisch, Schweinsbraten mit Knödeln und Sauerkohl, in Rindschmalz gebackene Topfennudeln, Krapfen und Kaffee bildeten den »Amboß« im Fichtenhofe, und im hintersten Stubenwinkel lag ein frisch angeschlagenes Bierfass, aus welchem sich die Schmauser nach Durst und Gelüste ihre steinernen Maßkrüge füllten.
Alles war froher Laune. Nur Veferl, des Hauses einziges Kind, ein schönes Mädchen von zwanzig Jahren, saß bleich und abgehärmt ihrem Vater gegenüber und beteiligte sich nur wenig am köstlichen Schmause. Zeitweilig traf sie ein finsterer Blick des Vaters.
Nachdem das Mahl beendet war, entfernten sich die Knechte und Mägde, und der Bauer zündete sich seine silberbeschlagene Holzpfeife an und paffte, leise mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte trommelnd, behaglich vor sich hin, während Veferl den Tisch abräumte.
»Also, Diandl« – begann jetzt plötzlich der Vater – »was ist's? Geh'n wir heut' zum Erntetanz? He!«
Keine Antwort.
»Was? Keine Red' hast Du für mich? Mord und Blei und Türkenhunde! Keine Red' für den Vater? Jetzt hab ich an Deinem Starrsinn genug! Du wirst heute tanzen, tanzen mit dem Valentin, verstehst Du? Und noch heute wirst Du dem Valentin sagen, dass Du die Seine werden willst! So wahr ich der Fichtenbauer heiß'! He?«
Ein Tränenguss stürzte aus Vefis dunkelbraunen Augen, und schnell verließ sie die Stube.
Der Bauer wollte nach – da öffnete sich die Tür, und der Valentin, ein stattlicher, stolzer Bursch mit aufgedrehtem Schnurrbärtchen, trat mit seinem Vater, dem Grubenbauer, ein. Flugs schwanden die Wolken von des Fichtenbauers Stirn, und bald standen drei schäumende Maßkrüge auf dem Tische, denen die Männer sogleich wacker zusprachen.
»Freut mich, dass Ihr da seid!« – begann der Fichtl – »wollen die Geschichte gleich in Ordnung bringen. Noch heute muss die Verlobung, das »Versprechen« gefeiert werden. Noch heute beim Erntefest! He?«
»Deswegen sind wir da!« – entgegnete der Grubner freudig und schüttelte dem Fichtl herzlich die Hand.
»Werd dem Stoanschädl schon seine Faxn anstreiben – verfluchte G'schicht! Ist der Schlingl schon vier Jahr aus dem Haus, weiß kein Mensch, wo er sich herumschlägt, und doch will die Dirn nicht von ihm lassen. He!«
»Aha, noch immer Euer einstiger Großknecht, der Friedl!« – verwunderte sich der Valentin.
»Ja, der Friedl, der Friedl!« – Und alle drei tranken die Krüge leer.
Jetzt sprang der Fichtl auf und schrie zur Tür hinaus: »He, Alte, herein da, Gäst' sind hier, haben Wichtiges zu reden mitsamm'! He!«
Die Fichtenbäuerin folgte der Aufforderung ihres Mannes; doch als sie die beiden Ankömmlinge erblickte, verfinsterte sich ihr Gesicht, und sichtlich unwillig sprach sie: »Gebt Euch keine Müh, Nachbar, mein Diandl mag nicht, und ich mag auch nicht!«
Damit wollte sie sich wieder entfernen, aber der Bauer sprang auf sie zu, sah ihr mit drohender Gebärde in die Augen, seine Augen selbst traten aus ihren Höhlen, die Fäuste ballten sich krampfhaft, und mit brüllender Stimme schrie er das Weib an: »Hex, still bist, sonst ... He?«
»Fichtl« – antwortete das Weib in ruhigem, aber strengem Tone – »Du magst mit Deinen Kameraden da trinken und – heiraten, aber mich und das Veferl wirst Du in Ruh lassen! Du musst wissen, dass ich dabei auch ein Wörtl mitzureden habe.«
Und schnell verließ sie die Stube.
Der Bauer aber begann ein furchtbares Lärmen. Schüsseln, Töpfe, Teller, kurz, was ihm zur Hand kam, flogen an die Wand, und bei jedem Wurfe schrie er sein schmetterndes »He!«, so dass selbst dem Grubner bang wurde.
Die zwei Weiber aber weinten im »Extrastübl« und ließen ihn ruhig gewähren. Da erinnerte sich Veferl an den treuen Hausfreund, den würdigen Pfarrer, der den Fichtl schon oft bei derartigen Auftritten in die Schranken des häuslichen Anstandes zurückgewiesen hatte. Schnell lief sie ins Pfarrhaus und bat den freundlichen Greis, doch sogleich in den Fichtenhof zu kommen, weil der Vater heute wieder seinen »bösen Tag« hätte.
In leutseligster Weise sagte der Pfarrer zu, und das Dirndl eilte erleichterten Herzens heimzu.
Noch immer befand sich der Fichtenbauer in höchster Aufregung, als der silberhaarige Pfarrherr mit einem herzlich warmen »Grüß Gott!« die Stube betrat. Augenblicklich verstummte der tobende Bauer, während die zwei anderen sichtlich erbleichten.
»Ah, der Herr Pfarrer!« – sprach der Grubner etwas verlegen. – »Fichtl, da wollen wir net stör'n, wenn so vornehme Gesellschaft hier ist, wir red'n ein anderes Mal«, und bevor es noch zu einer Antwort kam, war er schon mit seinem Valentin verschwunden.
»Fichtl, Fichtl!« begann jetzt der würdige Greis in väterlich verweisendem Tone. – »Was soll das heute am Erntefesttage, wo wir dem lieben Gott gedankt für den so reichen Segen, den er uns heuer beschert? Was sollen Zank und Streit im Hause, wo Liebe und Eintracht heimisch sein könnten?«
Der Bauer, wieder ganz beruhigt, erzählte nun dem Pfarrer, wie das Veferl sich entschieden weigere, die Hand des reichen Valentin, der nebenbei auch ein sehr braver Bursche sei, anzunehmen, und wie sie in ihrem Eigensinn von der »Alten« unterstützt werde.
Ruhig hörte der Geistliche zu. Dann schüttelte er das greise Haupt und sprach beinahe feierlich: »Fichtl, mit Verlaub! In Herzensangelegenheiten soll man keine Gewalt anwenden! Was Gott im Himmel will, das muss und wird auf Erden geschehen, und es wird schon im göttlichen Ratschlusse bestimmt sein, dass Euer Veferl nicht auf den Grubenhof kommt, der, nebenbei bemerkt, schuldenhalber vergantet werden soll.« –
Der Fichtenbauer schnellte empor. – »Was? Der reiche Nachbar? Schulden? Gant? He? He?«
»Ja, Fichtl, so ist's! Ich hab es vor drei Tagen in der Stadt erfahren. Der Grubner hat innerhalb vier Wochen hohe Wechselsummen an einen Advokaten zu zahlen, widrigenfalls die Gant zu erwarten ist – und aus dieser argen Verlegenheit soll ihm das Geld Eurer Tochter helfen. Diese soll mit ihrem väterlichen Erbteil gut machen, was seine Spielwut und seine Trunksucht verdorben haben.«
Der Fichtl wühlte mit den Fingern in dem langen Barthaare und zitterte vor Aufregung am ganzen Körper.
»Und der Valentin ist eines so braven Weibes, wie er's an Eurem Veferl bekäme, schon gar nicht würdig. Er tritt schon ganz in die Fußstapfen des alten Grubner, spielt, trinkt, rauft und betreibt noch dabei die verderbliche Unsitte des Wilderns. Erst gestern soll er wieder einen Rehbock geschossen haben. Der Förster hat ihn ertappt und deutlich erkannt, und die Untersuchung ist eingeleitet. – Also nichts mit diesen Leuten, Fichtl! Ihr habt es nicht notwendig, Euer Kind unglücklich zu machen, seid doch sonst ein gescheiter Mann!«
Der Priester sprach es mit zitternder Stimme, und Tränen standen in seinen Augen.
Der Fichtenbauer stand auf, drückte dem Pfarrer die Hand und versprach, sein Kind nicht mehr mit dieser Angelegenheit belästigen zu wollen.
»Es wäre mir recht gewesen« – setzte er hinzu – »wenn ich einen braven Eidam ins Haus bekommen hätt'. Ich bin alt und sehne mich nach Ruhe; eine junge Kraft hätt' den Fichtenhof besser regieren können.«
»Der Eidam wird ja nicht lange ausbleiben« – tröstete der Pfarrer. – »Er wird da sein, sobald Ihr ihn ruft und wird ein guter, dankbarer Sohn sein.«
Der Fichtl stutzte. Er sah den Pfarrer forschend an und sagte dann: »Ich weiß nur einen, dem mein Veferl wirklich gut wäre, und dieser wird nie und nimmer auf den Fichtenhof kommen, solange ich lebe! He?«
»Aber was hat Euch denn eigentlich der Friedl getan?« – beschwichtigte der Pfarrer. – »Er war doch ein braver, gesetzter Bursche, und seine Armut kann ihm doch nicht als Schuld beigemessen werden.«
»Er hat's gewagt, des reichen Fichtenbauern einziges Kind zu begehren, und das ist sein Vergehen!«
»Sind wir denn nicht alle vor Gott, dem Vater aller Menschen, gleich?« – belehrte der Pfarrer. – »Und wäre es Euch denn gar so unmöglich, zu verzeihen? Wie könnt Ihr dann beten: »Und vergib uns unsere Schulden, als auch wir vergeben unseren Schuldnern!« Fichtl, Fichtl, in Euch steckt der Geist der Hoffart, und ich rate Euch, ernstlich zu beherzigen, was in I. Sirach steht: »Sei demütig vom Herzen und trage, was Dir Gott auferlegt. Denn Silber und Gold wird durchs Feuer geprüft, die Lieblinge Gottes aber im Ofen der Demütigung.«
Lange stand der Bauer vor der ehrwürdigen Gestalt des Priesters, kein Laut ward hörbar, nur das einförmige Tick-tack der Wanduhr unterbrach die heimliche Stille, da glänzte es in Fichtls Augen – eine Träne rollte in den Bart hinab, und mit dem Ausrufe: »Dank, würdiger Freund«, fasste er des Pfarres Hand, um sie kräftig zu schütteln.
»Amen« – hauchte der Priester – »meine Mission habe ich erfüllt. Ich wünsche Euch und Eurem braven Kinde alles Gute!«
Fast zu gleicher Zeit, in welcher sich das bisher Erzählte im Fichtenhofe ereignete, spielte sich im fernen Westen jenseits des Ozeans an den fischreichen Gestaden des Huronsees in Kanada eine andere Begebenheit ab, die mit unserer Geschichte in innigem Zusammenhange steht.
In seiner Farm lag der reiche Farmer Werner im Sterben. An seinem Bette saß sein blasses Weib und weinte still in ein weißes Tuch hinein, zeitweilig einen ängstlichen, gramvollen Blick auf den Kranken werfend. Am Fußende des Bettes stand ein stattlicher, sehniger Bursche von etwa achtundzwanzig Jahren und blickte leidvoll in des Sterbenden Auge. Tränen standen in seinen Augenwinkeln, und tiefe Trauer lag auf dem schönen Angesichte. Auf den ersten Blick erkannte man an ihm den Deutschen. Goldblondes, in dem Nacken geringeltes Haar, zwei unsäglich freundliche Blauaugen und ein keck gedrehtes Schnurrbärtchen zierten die schlanke Jünglingsgestalt.
Im Zimmer herrschte Grabesstille, welche nur zeitweise durch das schwere Ausatmen des Kranken unterbrochen wurde. Da schlug plötzlich der Farmer die Augen auf, sah mit einem Seufzer auf sein trauerndes Weib und dann auf den Jüngling zu seinen Füßen, und leise begann er zu reden: »Friedl, bevor ich aus der Welt gehe, muss ich Dir noch etwas eröffnen, wovon Dein zukünftiges Lebensglück abhängt. Vor vier Jahren kamst Du aus der lieben deutschen Heimat fremd und verlassen zu mir, und begehrtest Dienst oder Arbeit auf kürzere Zeit. Ich, froh, wiederum nach langer Zeit voll Kampf und Mühe den süßen deutschen Mutterlaut zu vernehmen, versuchte es mit Dir, und ich habe mich wieder überzeugt, dass deutsche Treu und Redlichkeit nicht aussterben auf der Welt. Du warst eine ehrliche selbstlose Seele, hast es gut mit mir und meinem treuen Weibe gemeint, rettetest mich aus den Fluten des Huron, als ich beim Fischen verunglückte, wehrtest die Pfeile der Huronen von mir ab und liebtest uns wie ein treues Kind. All diese treuen Dienste müssen Dir belohnt werden, und nachdem ich weiß, dass Du in der heiligen deutschen Heimat, im wilden Waldgebirge an der Moldauquelle, ein braves, Dir treuergebenes Mädchen ob Deiner Armut hoffnungslos liebst, so habe ich Dir in meinem Testamente mit Zustimmung meiner guten Gattin ein Legat von 10.000 Dollars vermacht, mit dessen Hilfe Du den harten Sinn des geldstolzen Fichtenbauers erweichen magst. Bleib brav, mein Sohn, trau auf Gott, liebe Deinen Nächsten, tue Deine Pflicht, bete für mich, wenn ich nicht mehr wandle in diesem irdischen Paradiese, und bewahre treu und heilig in Deinem reinen Herzen die herrlichen Dichterworte:
»Sohn, übe Treu und Redlichkeit
Bis an Dein kühles Grab,
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab!
Dann wirst Du wie auf grünen Au'n
Durchs Pilgerleben geh'n.
Dann kannst Du sonder Furcht und Grau'n
Dem Tod ins Auge seh'n!«
»Amen!« – flüsterte die Farmerin, die während der Rede ihres Gatten die Hände gekreuzt hatte. – »Es ist so, Friedl, Du hast's verdient!«
Friedl aber, bewältigt von der Macht des so plötzlich über ihn gekommenen Glückes, sank vor dem Sterbenden nieder und bedeckte dessen Hände mit glühenden Küssen, dabei seinem lauten Schluchzen ungehindert Lauf lassend; dann stürmte er die Treppe hinauf, um in seinem Kämmerlein dem lieben Gott den Dank darzubringen für die unendliche Gnade, womit er ihn heute so väterlich bedacht hatte. Vor dem Christusbilde sank er auf die Knie und betete mit gefalteten Händen: »Mein lieber Gott, Du heil'ger Christ, ich danke Dir aus tiefstem Grunde meines Herzens für die unendliche Wohltat, die Du mir heute so gnädig erwiesen, und ich bitte Dich, schenke meinem edlen Herrn wieder die Gesundheit und dereinst das ewige Leben in Deinem Himmel!«
In drei Tagen darauf trug man den reichen Farmer zur Grube, und Friedl warf ihm die letzte Scholle auf den Sarg. Dann nahm er Abschied von seiner ihn segnenden Herrin und trat die Rückreise nach der alten, waldigen Heimat an, wo ein treues Herz seiner gedachte und um ihn trauerte.
Winter war es mittlerweile geworden, und das Fest der Geburt des Erlösers war nahe.
Im kleinen Walddörfchen hatte sich indessen vieles geändert. Der Grubnerhof ward vergantet, weil der Grubner die Wechsel nicht zahlen konnte, Valentin musste seinen Wildfrevel mit einer Freiheitsstrafe büßen, und der reiche Fichtenbauer lag auf dem Krankenbette. Beim Holzfällen hatte er das Unglück, von einer stürzenden Waldbuche gestreift zu werden, dass er fast leblos nach Hause getragen werden musste, wo er sich nur schwer und langsam erholte. Veferl, das stille, leidvolle Kind, das einen großen Schmerz im Herzen eingesargt trug, musste nun auch das Leid über des Vaters Unglück tragen. Sie war mit dem Fichtenbauer nun ganz versöhnt, und oft standen in des Mannes Augen Tränen der Reue, wenn er sein bleiches Kind sah, wie es sich alle Mühe gab, selbst den verborgensten Wunsch von des kranken Vaters Augen abzulesen. Und dieses schuldreine, aufopferungsfreudige Herz hatte er durch seinen nichtigen Stolz so schwer gekränkt! Diesem treuen Herzen raubte er seinen Liebesfrühling durch eine raue, unwirsche Handlungsweise! Dieses Herz musste seinetwegen bluten, verbluten!
Auch den würdigen Pfarrer traf ein schwerer Schlag. Der Tod raubte ihm seine liebevolle Schwester, die ihm von Jugend auf treu und gewissenhaft die Wirtschaft im Pfarrhofe führte, weil er das Köchinnenunwesen hasste. Er war ein würdiger Diener des Herrn, ganz Liebe, wie Christus, der Heiland!
Es war eine ruhsame Winternacht. In goldenen Strömen floss das Mondlicht auf den winterlichen Wald hernieder, undMillionen von Sternaugen blickten mild und freundlich auf das glitzernde Schneegefild herab. In der großen Stube des Fichtenhofes prasselte das Feuer, der Kienspan flackerte auf dem »Spanleuchter«, und Mutter und Tochter spannen den goldig schimmernden Flachs, während der genesende Fichtl etwas aufgerichtet im Bette lag. Es war eine trautwonnige, ungemein anheimelnde Stille in der geräumigen Stube, und der Bauer fühlte sich äußerst gehoben.
»Veferl, mei liabs Diandl«, – begann er plötzlich feuchten Auges – »kannst mir's verzeih'n, daß ich den Friedl, Deinen Buam aus'm Haus getrieben?«
Eine brennende Röte überflog des Mädchens Gesicht. – »Vater, ich hab' keinen Zorn mehr! Im Herz drin lebt ja der Friedl doch, wenn er sich sollt längst ein Leid antan haben!« – erwiderte sie sanft.
Die Mutter warf einen wehmütigen Blick auf ihr schönes, einziges Kind und unterdrückte einen Seufzer.
»Veferl« – begann der Vater wieder – »sei ruhig! Vielleicht kann ich alles wieder guat mach'n! Der liebe Gott hat mir in jüngster Zeit so viel Guat's erwiesen, vielleicht schenkt er mir auch noch die Gnad', dass ich Dir Dein Friedl wieder geben kann!«
Ein seliges Lächeln umschwebte das rosige Lippenpaar des Mädchens. Es war ihr, als vernehme sie mit dem Namen »Friedl« aus Vaters Munde den Sphärengesang der Himmel ...
»Veferl, sing mir das Liadl von der heiling' Nocht!« – bat jetzt der Vater.
Und die Tochter nahm die Gitarre von der Wand, entlockte derselben einige Akkorde und begann dann mit heller schöner Stimme zu singen, während sie auf der Gitarre dazu begleitete:
»Stille Nacht, heilige Nacht!
Alles schläft, einsam wacht
Nur das traute, hochheilige Paar.
Holder Knabe im lockigen Haar',
Schlaf' in himmlischer Ruh'!
Stille Nacht, heilige Nacht,
Hirten erst kundgemacht;
Durch der Engel Halleluja
Tönt es laut von fern und nah:
Christ, der Retter ist da!
Stille Nacht, heilige Nacht!
Gottessohn, o wie lacht
Lieb' aus Deinem göttlichen Mund,
Da uns schlägt die rettende Stund',
Christ, in Deiner Geburt!«
Noch bevor die letzten Töne verklungen waren, verfiel der Bauer in einen sanften Schlaf, und ein glückliches Lächeln umspielte seinen Mund. Veferl aber stand auf, trat aus Fenster und schaute lange schweigend hinaus zur ewigen Sternenwacht, dabei ein stilles Gebet für den sprechend, dem ihr ganzes Denken, Fühlen und Träumen galt, für den fernen und doch so nahen Friedl ...
So kam der Hl. Weihnachtsabend heran. Frischer Schnee war gefallen und hatte die ganze Gebirgslandschaft in ein ungemein reizendes Gewand gehüllt. Soweit das Auge streifte, schimmernde Lichtungen, verschneite Dörfer und Gehöfte, dunkelgrüne Nadelwälder, schneebedeckte Berge und Höhenzüge grüßten demselben wintertraulich entgegen. Im Walddorfe herrschte Festtagsstimmung. Die Weiber bereiteten das Festessen für den Hl. Abend vor, während die Männer Häckerling und Holz über die Feiertage besorgten. Die Burschen wateten fröhlichen Sinnes dem ewiggrünen Hochwalde zu, um für die jüngeren Geschwister das Hl. Wahrzeichen der Kindheit, den Christbaum, zu holen. Auch der Großknecht im Fichtenhofe hatte auf des Bauers Befehl einen schwanken Tännling zu besorgen, nicht etwa für die Kinder des Fichtenhofes, denn solche waren nicht da – sondern für die armen Schulkinder des Dorfes. Der Fichtl war in letzter Zeit ganz Liebe geworden. Durch barmherzige Werke und Almosen wollte er gut machen, was er an seinem einzigen Kinde verbrochen, und diese milde Gesinnung zu betätigen, fand sich im Dorfe Gelegenheit in hinlänglicher Fülle. Da gab es arme Kinder, denen es an Bekleidung und Beschuhung mangelte, so dass sie während des Winters ihrer Schulpflicht nicht Genüge leisten konnten. Diesen sollte geholfen werden! Das Veferl wurde mit dem geldschweren Lederbeutel in die Stadt auf den »Weihnachtsmarkt« geschickt, um die nötigen Einkäufe zu besorgen, und entledigte sich dieser Aufgabe mit großer Liebe und Umsicht, gehoben von dem Bewusstsein, ein Werk der christlichen Nächstenliebe zu verrichten. Freudestrahlenden Auges lief sie zum Lehrer hin, um die Namen der würdigsten und dürftigsten Kinder zu erfahren, die beschenkt werden sollten, und freudestrahlenden Gesichtes ging sie dann an die Ausstattung des Weihnachtsbaumes, die ihr auch vortrefflich gelang. Am Christmorgen sollten die armen Kindlein, die bisher noch nie die strahlende Pracht und Herrlichkeit eines Christbaumes geschaut, gerufen und beglückt werden. So hatte es Veferl beschlossen.
Der Fichtenbauer hatte sich inzwischen soweit erholt, dass er in seinem »Schlafsessel« sitzen und wieder seine »Silberbeschlagene« rauchen konnte, was er auch mit großem Appetit tat, während die runde Bäuerin fleißig besorgt war, das prasselnde und knisternde Herdfeuer mit neuem Kien zu speisen.
So brach der Heilige Abend an. Es war eine »lichte« Nacht, eine »lichte Mette«, wie der Wäldler sagt, denn der Vollmond leuchtete vom tiefblauen, sterngekrönten Himmel hernieder, dass der Schnee in wundervollen Farben glitzerte. Der Hochwald rauschte ernst und feierlich, und eine heilige Stille und weihevolle Stimmung schwebten über den Gefilden, nur zeitweilig unterbrochen von dröhnendem Pöllerknall, den die Dorfburschen der heiligen Familie zu Ehren veranstalteten.
In den Waldhäusern begann der Heilige-Abend-Schmaus, der die köstlichsten Gerichte umfasste, die der Wäldler kannte. So auch im Fichtenhofe. Das ganze Gesinde war in der Stube versammelt, Veferl hatte sich heute besonders »herausgeputzt«, eine liebliche Röte lag auf ihrem zarten Gesichtlein, und die Augen erglänzten in einem milden Feuer der Freude. Schon war der große Tisch gedeckt, die Fischsuppe sollte aufgetragen werden – da sprach der Fichtl zu seiner Tochter: »Veferl, bevor wir die Mahlzeit beginnen, wirst Du uns das Kapitel von den Hirten bei der Krippe aus der Hausbibel vorlesen! Das passt zum heutigen Abend gut und stimmt.«
Und Veferl holte aus dem Schranke im Tischwinkel das Buch der Bücher hervor, faltete die Hände und begann mit warmer Stimme zu lesen: »Nicht weit von Bethlehem waren einige arme Hirten auf dem Felde und hielten Nachtwache bei ihren Herden. Auf einmal erschien ein Engel des Herrn vor ihnen, und himmlischer Glanz umleuchtete sie. Da fürchteten sie sich sehr. Der Engel aber sprach zu ihnen: »Fürchtet Euch nicht; denn ich verkünde Euch eine große Freude, die allem Volke zu Teil werden wird. Heute ist Euch in der Stadt Davids der Heiland geboren worden, welcher Christus der Herr ist. Und dies soll Euch zum Zeichen sein: Ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln eingewickelt ist und in der Krippe liegt.« In demselben Augenblicke war bei dem Engel eine Menge himmlischer Heerschaaren, welche Gott lobten und sprachen: ...
›Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind!‹ – ließ sich in diesem Augenblicke eine ernste Stimme im Vorhaus hören, und gleich darauf ging die Tür auf, und die aufs äußerste Erstaunten schauten die Gestalt des silberhaarigen Pfarrers und eines fremden Jünglings in feiner Kleidung. Während der Pfarrer wie segnend die Hände erhob, gellte durch die Stube ein Freudengeschrei, dass alle von ihren Sitzen emporschnellten: »Friedl, mein Friedl!« – Und im nächsten Augenblicke lag das heftig zitternde Mädchen an der Brust des wackeren, wiedergefundenen Burschen, der vor freudiger Aufregung keines Wortes mächtig war ...
Da eilte endlich der Fichtl mit ausgebreiteten Armen auf Friedl zu und mit dem Rufe: »An mein Herz!« schloss er den schmucken Freier an seine Brust. Die Hausmutter aber stand stumm und gerührt im Hintergrunde und trocknete sich mit dem Schürzenzipfel die Tränen aus den Augen.
Endlich löste sich der Fichtenbauer aus Friedls Umarmung; er nahm den stattlichen Jungen an der Hand, näherte sich mit ihm dem selig lächelnden Veferl, und mit freudebewegter Stimme sprach er: »Veferl, mein Goldkind, ich bin heut' der glücklichste Vater auf der Welt, weil ich Dir Dein Glück wiedergeben kann! Nimm ihn hin, Deinen treuen Friedl, aus meiner Hand, er wird das beste Christgeschenk sein, das ich Dir heute geben kann!«
Und alles jubelte diesen Worten aufrichtigen Beifall zu, während Veferl und Friedl dem Vater die Hand küssten.
Dann sprach Friedl zu seinem Veferl: »Mein Dirndl, vier Jahr' lang hab' ich drüben in Amerika um Dich getrauert; Dein Bild trug ich stets im Herzen, Tag und Nacht warst Du bei mir! Ich war brav und arbeitsam, und der liebe Herrgott schenkte mir auch ein kleines Vermögen, das ich Dir heute mit meiner Liebe zu Füßen lege. Nimm beides hin zum Christgeschenk!«
Und dann kam die zärtliche Mutter herbei und schloss ihre glücklichen Kinder herzlich in die Arme, während Knechte und Mägde dem Brautpaare gratulierten.
Beim Heiligen-Abend-Mahle, dem auch der Pfarrer beiwohnen musste, erzählte Friedl seine Erlebnisse bis zu seiner Rückkehr ins Walddörfchen, wo sein erster Besuch dem alten Gönner, dem Pfarrer, galt, der ihn von der milden Gesinnung des Fichtenbauern unterrichtet und hierher geführt hatte.
Und alle tranken sie dem wackeren Priester zu, in dessen Augen zwei Freudentränen erglänzten, der im Dorfe nur die »Politik« der Liebe und Eintracht trieb und sich nicht kümmerte um die »brennenden Fragen« des Tages wie so viele seiner Genossen.
Um zwölf Uhr führte der schmucke Friedl sein Veferl in die Mette, und am anderen Tage, als die armen Kinder um den reichbestellten Christbaum im Fichtenhofe jubelten, ging es von Haus zu Haus: Der Friedl sei als Millionär zurückgekehrt und hätte um des Fichtenbauers Veferl gefreit.
In drei Wochen soll die Hochzeit sein.
Und in der Tat waren Friedl und Veferl das erste Brautpaar, das in diesem Fasching von der Kanzel verkündet wurde, und die Hochzeit ließ an Pomp und Lustbarkeit nichts fehlen – der alte Fichtl tanzte selbst mit seiner »Alten« den »Mariandl-Walzer« und Heller denn je ließ er sein schmetterndes »He!« auf dem Tanzboden erschallen.
»Vater«, – sagte eines Tages Friedl, der Jungbauer, zum alten Fichtl – »wie wär's, wenn wir dem armen Grubner die Bruderhand reichten, dass er sein vergantetes Gut wieder zurückkaufen könnte?«
»Herzensjunge« – schrie der alte Fichtl heraus – »Du hast meine Gedanken erraten! Schön von Dir! Wir borgen ihm das nötige Geld ohne Zinsen gegen ratenweise Zurückzahlung. He!«
Und zu Ostern, als die Dotterblumen an den Bachufern in den Bergwiesen ihre sonnengelben Köpflein erhoben, war der Grubner wieder Herr seines väterlichen Erbes, und er begann mit Valentin eine kluge Wirtschaft.
Als dann dieser im Sommer das blonde Nannerl, Friedls Schwester, als Weib heimführte, sprach der alte Fichtl zu seinem Schwiegersöhne: »Hör', Friedl, über die Forderung, die wir auf dem Grubenhof haben – Schwamm drüber!«
»Schwamm drüber!« – erwiderte Friedl gerührt, – und zwei glückliche Familien lebten fortan in inniger Freundschaft und Liebe nebeneinander.
Der Weihnachtsgruß des alten Pfarrers hatte sich so recht bewährt, und Friedl und Veferl lehrten ihn auch ihren Kindern, den heiligen Gruß: »Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens find!«