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Bekanntlich ist Böhmen das Land der Musikanten, während das benachbarte Bayern an dieser Spezialität verhältnismäßig arm ist. Besonders fühlt man diesen Mangel in den bayerischen Walddörfern längs der Grenze. Aus diesem Grunde sind die »Böhm« auf den bayerischen Tanzböden gesuchte und geschätzte Leute, und oft kommt es vor, dass böhmische Dorfmusikanten in fünf bis acht Stunden weit entfernte bayerische Walddörfer geholt werden zum »Aufspielen« beim lustiglauten Faschingstanz.
Und den »Böhm« wiederum macht es die größte Freude, den Bayern eine oder zwei Nächte lang »vorzublasen« und »vorzupfeifen«, denn das ist einmal gewiss: gute Zahler, starke Trinker, geübte Raufer und »heißblütige« Kerle sind sie alle, die gemütlich-deutschen, reckenhaften Bayernburschen. Und erst die frischblühenden, apfelwangigen, hochbusigen Dirnlein im bayerischen Walde!
»Juchheisa, juchhei! Bei so einem Faschingstanz wär' ich auch gern dabei!«
So dachte der Schneider-Hiasl, ein Mann von vierzig Jahren, der das Unglück hatte, eine echte »böse Sieben« zu besitzen. In seiner Waldheimat war er als »geschulter« Musikant berühmt, der auch eine eigene »Erfindung« hatte, wenn es der Augenblick erforderte. Er spielte die Trompete, strich den Brummbass, dass die Saiten surrten und die Fensterscheiben klirrten und die Bogenhaare flogen, und auf der einklappigen Terzflöte gab er oft mit staunenswerter Fingergeläufigkeit seine mit magischer Gewalt zum Tanz lockenden Gebirgsländler zum Besten, wobei das übermütige Burschenvolk förmlich außer Rand und Band zu geraten schien. Auch auf der Gitarre war er »zu Hause«, und köstlich war es anzuhören, wenn er dazu seine schnurrigen Liedlein und »Gstanz'ln« sang.
Und dies alles bedeutete noch nicht den ganzen Umfang seiner reichen Begabung. Erst die Königin aller Instrumente, die Geige, war es, auf welcher er wahre Wunder wirkte. Man muss ihn nur einmal gesehen haben, den Schneider-Hiasl, wie er die alte Fiedl – rot war sie angestrichen – an das linke Schlüsselbein gedrückt hielt, wie er hurtig den straff gespannten schwarzhaarigen Bogen strich – die Haare zu demselben entlehnte er bei passender Gelegenheit mit kluger List den Pferdeschweifen des Dorfes – und wie er beim »Auffiedeln« mit den Fußspitzen den Takt zur »Weise« stampfte, während die kleinen, grauen Augen, brillenversehen, wie zwei leuchtende Glaskugeln durch das verworrene Tanzgewühl blitzten! Wenn da seine »Gebirgsstreiche«, sein »Vogelhupfauf«, seine »Sepperl«- und »Mariandl«-Polka erklangen, gab es kein Widerstehen. Alles wurde vom Tanzfieber geschüttelt, und unter weithin vernehmbarem Jauchzen und Schreien begann ein so entsetzlich wildes Stampfen und Drehen, Schleifen und Wiegen, Poltern und Krachen, dass der auf schwachen Fundamenten ruhende Tanzboden einzustürzen drohte. Und alles jubelte und trank dem Wundermanne zu: »Hiasl, Hoisakramentsfiedler! Noch ein solch's, dos mocht hoaß!« Und der so Geehrte begann aufs Neue zu streichen und zu fiedeln, dass die Rosshaare flogen und die Saiten sprangen, und dafür gab es Geld, blanke Münze und »Guldenzettel«, Bier in bauchigen Steinkrügen, echt bayerischen, dunkelbraunen Münchener Saft, Schweizerkäse, Semmeln, »Kudlsuppe« und saures »G'schling« und schwarzen Kaffee und Schnupftabak und Zigarren in unvertilgbarer Menge, dass der Schneider-Hiasl samt seinen Genossen oft nicht wusste, wie und wo diese reichlichen Spenden unterzubringen ...
So emsig der Hiasl sonst geigte, so litt es ihn doch nicht immer auf seinem Platze, wenn es rings herum so toll reigte. Oft gingen ihm seine »Weisen« selbst so zauberisch mächtig in die Füße, dass er die Fiedel wegwarf und mitten ins Tanzgewühl eilte, um bei den von seiner »Banda« fortgesetzten Klängen mit einer »stehen«-gebliebenen Dirne den Hopser oder Ländler mitzumachen. Und da fügte es der Zufall, dass er immer nur das entbehrliche »Julei-Resei« fand, welches, weil mit einem schweren Kropfe behaftet, von den Dorfburschen unberücksichtigt blieb. Dem Hiasl war sie aber doch lieber als seine »alte Zange« daheim, und dem männergemiedenen Resei schmeckte es auch, an eines Männleins Seite einige Male auf dem Tanzboden »auf und ab zu wacheln«. So kam es auch, dass sich der Hiasl und das Resei bald zusammenfanden, und aus dem harmlosen Schweben und Wiegen entwickelte sich bald eine ganz respektable Liebschaft, wobei wiederum beiden Teilen geholfen war.
Und nun fügte es der Zufall, dass das Resei nach Bayern dienen ging. Der Schneider-Hiasl, der zu Hause die lebendige Hölle hatte, fühlte deshalb öfters das Gelüste nach dem Himmel des Tanzbodens, und weil ihm daheim seine Gesponsin durch ihre scharfe Kontrolle auch diesen Himmel raubte, so erachtete er es als das höchste Glück, wenn er ins Bayerische spielen gehen konnte.
Es war an einem wetterstürmischen Faschingstage, als sich die niedere Tür zu Hiasls Stube öffnete und der Lärchenwirt von den Schmelzhäusern eintrat. Der Hiasl empfing ihn freundlich und bot ihm eine Priese »Ordinari« an, die der Bayer mit großem Behagen zur Nase führte. Nachdem sich dieser auch noch mit einer Schnitte Schwarzbrot gestärkt hatte, die ihm die Schneiderin als Willkommgruß präsentierte, rückte er mit seinem Begehren heraus und forderte den Hiasl auf, am nächsten Dienstage im Lärchenwirtshause »aufzuspielen«. Der Hiasl hätte beinahe einen Freudensprung gemacht, denn das Resei diente in den Schmelz-Häusern, allein der verwarnende Blick seiner besseren, gestrengen Hälfte belehrte ihn eines anderen, und so sagte er trocken zu.
Und nun kam der bedeutungsvolle Dienstag mit einem echten Faschingswetter. Die Spielpässe waren in Ordnung, die Bassgeige ward im zottigen Fell wohl verwahrt, die Pfeifen waren sauber gewaschen, neu beledert und gehörig eingeölt und die Fiedeln frisch besaitet. Der Schneider-Hiasl träumte von den Wonnen des Edens – er hoffte Geld und Liebestribut zu erwerben, und nebenbei erstreckte sich seine Begierde auch auf den dunkelbraunen bayerischen Gerstensaft, der so wohl tut, ach, so wohl, wie das Leben in einem – Pfarrhofe.
In solchen Erwartungen ward der Marsch nach den Schmelzhäusern angetreten, wobei sich alle wohl fühlten, bis auf den Bassgeigenträger. Dieser jedoch keuchte, watend im hohen Waldschnee, unter seiner erdrückenden Last.
Nach zweistündigem Steigen im Schnee war das Lärchenwirtshaus erreicht, wo sich schon das ganze Dorfvolk auf dem Tanzboden versammelt hatte. In der linken Vorderecke war der Musikantentisch aufgeschlagen. Hier nahm nun der Schneider-Hiasl mit seiner »Kapelle« Platz, und alsbald näherte sich ein stämmiger Bursche mit weißem, steifem Haar und keck gedrehtem Schnurrbärtchen, den zottigen Filzhut herausfordernd ans linke Ohr gedrückt, und hielt an der Hand sein Diandl, das – Julei-Resei, welches, um des Kropfes Dasein zu verleugnen, um den Hals ein buntseidenes Tüchlein kunstvoll geschlungen hatte. Dieser Bursche, Namens Sebast, diente mit dem Resei auf dem Fischerhofe, und weil der Sebast gerade nicht der Schönste im Dorfe war, so verlangte er auch nicht die Schönste, sondern »zwickte« sich das freudig dreinschlagende Resei auf, das an den Schneider-Hiasl nicht mehr denken mochte.
Sebast schwenkte den steinernen Bierkrug hoch, tat mit den eisenbeschlagenen Juchtenstiefeln einige Stampfer in den Fußboden hinein und stieß drei trommelfellerschütternde Jauchzer aus, dass der Resonanzkasten der Bassgeige mitzubrummen begann, drehte dann etliche Male, dabei lustig mit Zunge und Fingern schnalzend, die dralle Dirne im Kreise herum und begann zu singen:
»Grüaß Gott, Musikont'n,
Im boarisch'n Landl!
Und wenn 's ma koa Guat toat's,
So kriagt 's Enk're Handl!«
Das klang nicht übel; dieser Vierzeilige eröffnete gerade nicht die günstigsten Perspektiven auf das Ende des Tanzes. Indes, der Schneider-Hiasl war ein wohlerfahrener Musikant, er wusste, wie die Bayern zu behandeln wären, und so setzte er, seinen Grimm über die ungetreue Dirne verbergend, gelassen die Fiedel an, und bald war dem Sebast sein Streitg'sangl nachgespielt. Der Bursche war zufrieden damit, er zahlte sogleich ein Markstück und ließ den Spielleuten drei Maßkrüge Passauer vorsetzen. Dann begann er abermals zu singen:
»Spielleutl, Spielleutl,
Halt's Enk heut' brav,
Und spielt's ma hiatzt sauber
An Landlerisch'n af!«
Und nun begann der Ländlertanz, und alles reizte und jauchzte auf dem Tanzboden, und der Hiasl machte seine Sache so gut, dass es förmlich Geld regnete. Immer zufriedener zeigten sich die Mienen der Spielleute, und nur der Hiasl hatte einen geheimen Groll, den er jedoch mit Bier in die Tiefen der Vergessenheit »hinabzuwaschen« suchte, und weil dieses sonderbare Experiment nicht recht gelingen wollte, so trank er so lange, bis er total berauscht war. Jetzt legte er die Fiedel hin, fasste die Bassgeige am Kragen an und strich den Brummbass, dass die Saiten rasselten. Das machte den Bayerburschen großes Vergnügen, und alles jubelte diesem musikalischen Genie Beifall zu. Aber nur zu bald sollte dieser Jubel in einen argen Tumult übergehen. Soeben walzte der Sebast mit seinem »Mensch« an der Bassgeige vorbei, als der gekränkte Hiasl in Folge seines labilen Gleichgewichtes mit der Bassgeige der Länge nach auf den Boden hinkollerte, und alsbald wälzte sich ein Dutzend Paare auf dem Fußboden, die alle durch die verhängnisvolle Bassgeige zu Fall kamen. Der Sebast meinte, Hiasl hätte ihm einen Possen gespielt, sprang auf, erfasste den derben Bassgeigenbogen und begann ganz entsetzlich wild auf dem Kopfe des Hiasl den Takt zu schlagen. Weil sich aber die Musikanten einen solchen Dirigenten nicht gefallen lassen wollten, kam es zur blutigen Rauferei, welche erst durch das Einschreiten der Sicherheitsorgane geschlichtet wurde. Der Sebast wurde hinausgesteckt, Hiasl in ein Bett gebracht, während der Faschingstanz bei erneuter Musik bis zum Morgen fortdauerte.
*
Es mochte in der dritten Stunde nach Mitternacht gewesen sein, als der Schneider-Hiasl mit schmerzendem Kopfe erwachte. Der Sturm draußen wurde flügelmatt und ein sternlichter Himmel überwölbte die verschneite Gegend. Die Fensterscheiben des kleinen Bodenstübchens, wo der Hiasl schlief, waren mit zierlichen Eisblumengebilden bedeckt, ein Zeichen, dass es draußen stark fror.
Der in seiner Musikantenehre empfindlich gekränkte Hiasl saß lange sinnend auf dem Bettrande und überdachte die Schmach, die er heute einer nichtssagenden Dirne wegen erlitten; er, der weit und breit gerühmte Musikus, wurde mit seinem eigenen Geigenbogen so derb geprügelt! Voll Ingrimm machte er sich auf, verließ heimlich die kalte Stube und enteilte ins frostige Freie. Hu! Wie da die scharfe Winterluft in seinen Leib fuhr! Wie ihn da der grimme Frost schüttelte, dass er zu zittern begann! Vom Tanzboden her vernahm er die lustigen Klänge der Musik und helle Jauchzer und ungestümes Stampfen drangen an sein Ohr. Dem Schneider-Hiasl wurde »brennheiß« zumute. »Die Schande! Die Schande!« murmelte er einige Male und eilte dann heimzu nach seinem Dörfchen. In Bayern hatte er nichts mehr zu suchen. Das »Mensch« war verloren, und statt der Triumphe hatte er nur Spott und Schande eingeheimst. Weil aber der »Bierdunst« noch immer nicht ganz aus seinem Kopfe gewichen war, so ging es mit dem Fortkommen verhältnismäßig langsam von statten. Wohl war der Frost eine bewegende, anspornende Macht, allein die steifen Beine wollten und konnten nicht recht »ausgreifen«, und als endlich mühsam die Mitte des Grenzwaldes erreicht war, versagten sie gänzlich den Dienst. Der Hiasl rastete eine Zeit lang auf einer Rohne, allein der Frost spornte zu erneutem Schritte an.
So kam es, dass der halb wache, halb schlaftrunkene Musikant bald den Weg verfehlte und sich in der schneetiefen Waldweite verirrte. Jetzt wurde er gänzlich nüchtern; zu rufen und beten begann er, dass es weithin wiederhallte; alle Heiligen im Himmel, die selige Gottesmutter und die »vierzehn Nothelfer« flehte er um Rettung an – vergebens. Erschöpft sank er unter einer hochragenden Tanne nieder und schloss die Augen. Nicht lange währte dieser todbringende Schlummer; der Frost war stärker als die Natur des Hiasl und machte denselben wieder lebendig. Der Dorfmusikant wollte sich nun aufrichten, allein die Beine waren steif und versagten den Dienst. Um nicht ganz umkommen zu müssen, umklammerte er den Baumstamm und umkreiste denselben, auf den Knien rutschend, wohl eine gute Stunde lang. Jetzt aber fuhr es ihm wie Feuer in die Finger, er wollte sie biegen, umsonst! Steif und starr blieben sie wie Horn und Eisen – sie waren total gefroren.
Soeben säumte sich der Osten mit purpurnem Gewölk, da vernahm der erstarrende Musikus aus der Ferne einen Waldhornruf und nach einer kleinen Pause ein Trompetensignal – seine heimziehenden Kameraden waren nahe. »Helft's ma!« war er noch im Stande auszurufen – dann sank er hin auf den hart gefrorenen Schnee und gab kein Lebenszeichen mehr.
*
Der sonst so lebenslustige Mann war furchtbar gedemütigt. Nachdem ihn die Kameraden durch energische Wiederbelebungsversuche zu sich gebracht und nach Hause geschafft, zeigte es sich, dass die Beweglichkeit seiner Finger für immer verloren war – und von nun an war es aus mit seiner vielbewunderten Kunst. Jetzt hatte er nur noch eine Wahl, nämlich als Klarinobläser auf dem Chore mitzutun, und er saß bis an sein seliges Ende in der Trompeterbank und ließ beim Gloria und »Dona« hell sein Instrument mitschmettern.
Dem Julei-Resei schwur er zwar, ihr den Kropf »auszulassen«, wenn sie ihm unterkäme, hat aber dies schwarze Vorhaben nicht ausgeführt, sondern blieb zeitlebens der ehrliche wackere »g'frert Schneider«, – wie er im Dorfe nach seinem Unglück fortan hieß.