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»Christ ist erstanden!
Freude dem Sterblichen,
Den die Verderblichen,
Schleichenden, erdlichen
Mängel umwandten!«
Goethe und – Kohlenbrenner! Welch ein gewaltiger Gegensatz! Und doch kannte der Kohlenbrenner-Seppl seinen Goethe besser als so mancher, der sich einbildet, die Weisheit mit dem – Löffel gegessen zu haben. Natürlich! Hatte er doch »acht Schulen« und zwei Jahre »Theologie« gemacht – und da sollte er nicht den Goethe kennen? Besser als mancher mit dem Doktorhut!
Josef Weidenreicher war der Sohn des Dorfrichters von Hinterwald. Aufgezogen mit einer einzigen Schwester, der braunhaarigen Nani mit den schmachtenden Rehaugen, legte er frühzeitig außergewöhnliche Talente zutage, so dass der Dorfschulmeister von Anno dazumal eines Tages dem alten Weidenreicher gegenüber sich äußerte: »Mit Eurem Jungen bin ich jetzt fertig. Was ich kann, kann er auch, von mir hat er nichts mehr zu erlernen!« Dieses Geständnis, so ehrlich es auch gemeint war, kennzeichnet so recht den alten »Dorfschulmeister« und den traurigen Schulgeist der Concordatsschule ...
Dem alten Weidenreicher war es selbst schon aufgefallen, dass der »verdunnerte Bub'« sich weniger mit Ochsen und Mistaufen beschäftigte als vielmehr mit Landkarten und Büchern, und so sagte er eines Tages, als er mit seiner Sippschaft bei der dampfenden Krautschüssel am Mittagstische saß, zu seiner Alten, der Kathi: »Oite, wos moast dazua: Wir loss'n den Löffl do goar in d' Studie geh'n! Zan Bauern taugt er eh net.«
Die Richterin geriet darüber in eine so hochgradige Aufregung, dass sie den gezupften Krautlöffel auf das grobleinene Tischtuch fallen ließ und mit einem tiefen Seufzer »Goit's God!« stammelte. Dann ließ sie ihrem Wortschwall freien Lauf: »Herr Jegasl, hon i's jo uwei g'sogt, da Seppl passt nua zar an Pforra – o mei' Godei, d'Seligkeit is ma g'wiss, wenn mei Büawei die heilige Weih' kriagt! Do wird er predinga und d' Mess wird er les'n, und an schön' Pforrhof wird er krieg'n und a schöne Köchin wird er sich hoit'n, und sei' oite Muada wird eahm in da Kircha zuahörn und wird wuin' vor lauta Freud und Soiligkeit, und er wird bet'n für seine Oitan, dass eah' da Herrgod im Himmel s' Fegfuija schenkt und d' Soiligkeit gibt! Net wahr, mei Sepperl, du tust's deina Muada z'Liab und wirst a Pforra?«
Dem Hirtenbuben, denn als solcher wurde er häufig verwendet, stieg die Schamröte über diese Rede auf – von ihm sollte die Seligkeit seiner Eltern abhängen! Wer war denn er, und wer waren sie? Überwältigt von den Gefühlen tiefster Dankbarkeit und reinster Liebe versprach er der glückseligen Mutter alles, und als der Spätherbst kam und die Beeren der Ebereschen im brennendsten Scharlach erglühten und dichte Schwärme von Krammetsvögeln in den nebeldüsteren Lüften kreischten, da schnürte ihm das fürsorgliche Mütterlein das Ränzlein, der Vater nahm den »Hagelstecka« und die – schwere lederne Geldtasche und fort ging es in die Studie, dem heiligen Ziele entgegen, während das Mütterlein mit dem Schürzenzipfel sich die Tränen trocknete und dem Lieblinge so lange nachschaute, bis er im Walde verschwunden war.
*
Und der Seppl war brav! Er war die Freude seiner Professoren und seiner Mutter, und alljährlich, wenn er in seine schöne Waldheimat auf Ferien ging, brachte er das beste Zeugnis mit, das seinen stolzen Vater immer außer Rand und Band brachte. Mit zitternder Hand bemächtigte sich in solchen Fällen der Dorfrichter des Dokuments, ins Wirtshaus lief er damit, und das ganze Dorf musste es erfahren, wie brav sich der Seppl wieder gehalten, und dann ging ein Trinken und Häringessen los, wobei alle Gäste wacker auf des Richters Rechnung mittaten. Er hatte es ja, der Weidenreicher, und was tut ein Vater nicht alles in der Freude über sein Kind? –
So kam die Zeit, wo der Seppl das Gymnasium verließ und ins Seminar übertrat. Bisher hatte sich in der Jünglingsseele nicht viel weltlicher Sinn geregt – nur dem Wald blieb Seppl ein treuer Freund, und auch des edlen Waidwerks pflegte er mit sichtlichem Vergnügen. Wiewohl oft auf dem strammen Gebirgswäldler manches holde Mädchenauge mit stiller Sehnsucht geruht, wiewohl er oft von seinen lebenslustigen Kameraden aufgefordert wurde, in Saus und Braus das goldene Zeitalter zu genießen, so war doch sein Inneres zu sehr gefestigt gegen die Anstürme der Außenwelt, und immer schwebte ihm in schwachen Stunden das liebevolle Bild der Mutter vor Augen, das ihn zu bitten schien: »Seppl, vergiss nicht, was Du Deiner Mutter versprochen!«
Und so legte er geduldig, ja freudig das ernste Priesterkleid an und wurde ein frommer Theologe.
Da plötzlich, wie über Nacht der Frühling kommt, zog in Seppl's Herz die – Liebe ein, und nun gab es schwere Kämpfe zwischen Herz und Verstand, wobei jenes unterlag.
Bei der Fastenpredigt erblickte er in seiner unmittelbaren Nähe ein Mägdelein, so hold und minnig wie die Buschwindröslein auf grünem Plane, und das leicht empfängliche Herz des Waldsohnes loderte in helle Flammen aus. Durch List gelang es ihm, Marie zu sprechen, und bald schlossen zwei unschuldige Seelen den Bund der Liebe, der für Seppl von Nachteil werden sollte.
Seppl hatte seinen Entschluss gefasst. In einer lauen Juninacht schwang er sich über das Fenstergesims hinaus, ein mächtiger Lindenbaum, der den Hof beschattete und seine wuchtigen Äste bis an das Fenster reckte, begünstigte seine Flucht.
Soeben senkte sich der holde Sommerabend über den herrlichen Grenzwald hernieder, als die Dorfrichterin am Wiesenraine vor dem heiligen Kreuzbild kniete und für ihren Seppl betete, als sie jählings aus ihrer Andacht empor geschreckt wurde durch den Ruf: »Mutter!«
Sie wandte sich um und erblickte den Seppl in schmucker Kleidung ohne – Kutte!
Ein Schrei des Entsetzens entrang sich ihrer Brust, der Körper begann heftig zu zittern, dann sank sie hin ins Gras und war eine Leiche. Ein Herzschlag vernichtete ihr Leben ...
*
Und nun?
Groß war die Aufregung im Walddorfe über die »unglückselige« Tat des »missratenen« Seppl, und alle Leute gönnten es dem Weidenreicher, der mit seinem Studenten so hoch hinauswollte.
»Da Herrgott sorgt schon dafür, dass d'Bam net in' Himm'l wochs'n«, meinte der Wagnerhansl schadenfroh. »Is eahm eh recht g'scheh'n, dem houhnosinga Richter!« jubelte der Waldheger.
»Sündhofte Leut' führ'n a sündhoft's G'red!« verwies der »Mühl-Ferdl-Jogei«. »Wer wird's dem ormen Monn gunna? Hot eahm der nixnutzi Streich eh 's Weib kost'!«
Und die Lästerzungen schwiegen.
Der Weidenreicher jagte seinen armen Seppl mit dem Stock fort von Haus und Hof und betrauerte ehrlich sein armes Weib, das er »in allen Ehren« bestatten ließ.
Der Seppl aber versuchte es, in der Stadt sich eine Existenz zu gründen, allein es schien, als laste der Eltern Fluch auf ihm, zumal sich auch seine Geliebte von ihm lossagte und einem Postbeamten Herz und Hand reichte.
Diese herben Schicksalsschläge waren für den Seppl zu vernichtend. Fortan hegte er nur den einen Wunsch, im Hochwald, in seinen heimatlichen Bergen sein freudenarmes Leben zu beschließen.
Er wusste es durchzusetzen, dass ihm sein mütterliches Erbteil ausgefolgt wurde, und nun trat er mit den Kohlenhändlern der Stadt in Verbindung, sich verpflichtend, ihnen jährlich ein entsprechendes Quantum von Schmiedekohlen zu liefern, und so wurde aus dem vermeintlichen Pfarrer der »Kohlenbrenner-Seppl«. –
Eine Meile weit von seinem Heimatsdörfel ließ er sich tief im Hochwalde nieder. Der Förster lieferte ihm gegen Barzahlung das erforderliche Holz, und nun begann er nach dem Muster seines Schwagers, des breitnackigen Dorfschmiedes, der seine Schwester, die braune Nani, geheiratet, die Kohlenbrennerei, die ihn schon in der Jugend so sehr interessiert hatte.
In der schaurigen Wildnis der waldreichen Tafelberge, wo die Felsen wie Straßensteine herumlagen, wo ganze Strecken von Wildfarren, Erdscheiben, Waldmeister, Himbeer- und Preiselbeersträuchern überwuchert waren, wohin sich selten ein menschlicher Fuß verirrte, wo der Fuchs sein Jagdrevier und der Uhu sein Versteck gesucht, legte er seine Meiler an. Tiefe Schwermut bemächtigte sich seiner Seele – er sang kein Lied, er pfiff keinen Ton und betete kein Vaterunser. Er war mit sich und der Welt zerfallen. Das Bild der heimgegangenen Mutter schwebte drohend, zürnend und weinend vor seiner Seele, und die treulose Geliebte, derentwillen er so unglücklich wurde, erfüllte sein Herz mit namenloser Bitterkeit. Er verkehrte außer dem Förster und den Waldhirten mit niemandem, wie er auch nie sein Dörfchen besuchte. Unter einer riesigen, ehrfurchtgebietenden Wettertanne baute er sich aus rohen Baumstämmen eine Hütte, welche sich an eine gigantische Felsenstirn lehnte. Eine Ziege, einige Hühner, ein Hund und ein Kreuzschnabel teilten seine Einsamkeit. Die Bedürfnisse waren gering: Milch, Brot, Eier und Früchte des Waldes bildeten seinen Morgen-, Mittags- und Nachttisch, das klare, prickelnde Waldwasser, das in nächster Nähe aus einem Granitfelsen quoll, war sein Tischwein, und der weiche, sonnendurchwärmte Moospolster sein Ruhekissen.
Stundenlang lag er im leisrauschenden Hochwald vor seinen rauchenden Meilern und ließ die erhabene Majestät des endlosen Waldes auf sein Gemüt wirken. Und dieser heilige Waldfriede tat ihm wohl – hier fand er seinen Gott, seine Lebenslust wieder. Nach und nach zog er seine Klassiker wieder aus dem Verstecke hervor, und der Kohlenbrenner fühlte sich in seiner waldheiligen Einsamkeit glücklich wie nie in seinem Leben.
Wenn am Sonntag die Leute in den Walddörfern zum Kirchlein wandelten, stieg der Seppl hinab zum dickichtumschatteten, rotkehlchenumklungenen Waldbächlein, setzte sich am farrigen Ufer, geschmückt mit den himmelblauen Augen der Vergissmeinnicht, nieder und lauschte dem geheimnisvollen, traulichen Gemurmel der über Granit und Kiesel dahintollenden Wellen. Und dann rezitierte er leise und feierlich:
»Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran ...«
Und dann konnte er wieder beten, so innig und wahr wie nie im dumpfen Klosterstübchen.
Bald war er in seinem Waldrevier der glücklichste Mensch im Leben. Nur ein Schmerz, der Mutter Tod, nagte noch an seinem Herzen, doch hoffte er durch Entsagung und fromme Lebensführung Verzeihung vom Himmel zu finden.
Fünf Jahre lebte er so abgeschlossen von aller Welt in seinem Hochwalde, und sein Geschäft brachte ihm bei seinen bescheidenen Bedürfnissen ein schönes Ersparnis. Mit seinem Vater war er noch immer nicht zusammengekommen, denn der Vater grollte wie zuvor.
Es war an einem herbststillen Sonntagnachmittag. Die Meiler rauchten, die Waldvöglein sangen, die Rehlein sprangen, und die Bächlein plauderten frisch und keck in die traumhafte Waldesstille hinaus. Der Seppl lag unter einer uralten Buche und las Goethes »Faust«. Da klang es wie Himmelsbotschaft vom nahen »Pfannerschlage« her an sein Ohr:
»Herzal, mei Herzal,
Wos is denn dö Liab?
A Schmerzal, a Schmerzal,
Recht bitter und trüab!«
Dieses G'sangl traf ihn wunderseltsam. Auf sprang er, Tränen umflorten seine Augen, fort stürmte er, von tiefgeheimer Sehnsucht erfasst, und bald stand er vor dem Holzhauer-Reserl mit den flachsfarbenen Haaren und vergissmeinnichtblauen Augen, welches im Waldschlage Preiselbeeren sammelte. Er war dereinst ihr liebster Schulkamerad.
»Reserl«, redete er das Mädchen an, »wos singst so schwermütige Weisen?«
»Seppl, Du do?« fragte das Mägdelein.
»Reserl, denkst noch monchmol an d' Schulzeit, wia-r-i di oft über'n Schnee in d'Schul g'führt hab'?«
Das Mädchen schwieg, und sinnend ruhte ihr Auge auf dem unglückseligen Seppl.
»Alles vorbei, Jugend und Glück!« klagte der Kohlenbrenner.
»Bist denn goar so unglückli?«
»Recht unglückli!«
»Wos fait da denn, Seppl?«
»Ein treu's Herz, wia Du oans host, und a liab's Weib, wia Du oans warst?«
»So nimm da oans! D' Leut sog'n jo, dass d' Monna af an niad'n Finga zehni kriag'n! Greif zua, Seppl!«
»Wer wird den Kohlenbrenner mög'n?« zweifelte er.
Das Mädchen unterdrückte einen Seufzer.
»Reserl, Host nia an mich 'denkt, wia-r-i in da Studie g'wesn bin?«
»Oja, Seppl, oft, uilli Tog!« erwiderte das Dirndl rasch.
»Reserl, i hob a treu's Herz, a schön's G'schäftl, a boar's Geld und später amal wird a da Weidenreicherhof mei san. Möcht'st Du die meine werd'n? Möcht'st Du den »Kohlenbrenner-Seppl« wieder glückli mocha? Red', Reserl, red'!«
Dabei fasste er das freudig überraschte Waldkind am Kinn an und hob das schimmernde Flachsköpflein langsam in die Höhe. Zwei sonnenhelle Äugelein ruhten leuchtend auf ihm. Der Seppl verstand diese Sprache, zog das Mädchen rasch an sich und küsste stürmisch dessen Mündlein, während zwei warme Lippen sich ihm wacker entgegenpressten.
Und dann saßen die Glückseligen im Preiselbeergesträuch und küssten und kosten, bis »auf am Himmelsbogen die gold'nen Sternlein zogen«.
Und am nächsten Sonntag kam mit Reserl dessen Vater, der Holzhauer-Simon, und die Hochzeit ward für die erste Zeit nach Ostern anberaumt, weil es sich im Frühlinge, wenn die Vöglein sich paaren, am schönsten hochzeiten soll.
Fortan war der Seppl nicht mehr allein; er stieg hinauf in die Holzhauerhütte, und die Jungfer kam zu den Meilern herab; zum zweiten Male war ihm der Stern der Liebe aufgegangen, der ihn fortan nie mehr verließ.
*
Der Ostersonntag war da, und die Glocken klangen wieder, die zwei Tage lang geschwiegen. Der Frühling, »der schöne Junge«, meldete sich im Walde an, Huflattich, Leberblümchen, Schneeglöcklein und Tausendschön erhoben ihre leuchtenden Köpflein zur winterbezwingenden Sonne. Da, in solcher Wonnezeit, sollte der Kohlenbrenner-Seppl jäh aus seiner Waldeinsamkeit herausgerissen werden. Ein Bote brachte vom Dorfe die Trauernachricht, dass der alte Weidenreicher im Sterben liege und noch seinen Sohn zu sehen wünsche; aufs Schmerzlichste betroffen, eilte Seppl, ohne auf seine rauchenden Meiler zu achten, ans Sterbebett seines Vaters – und als die Auferstehungsglocken jubelten und der Ostergesang der gläubigen Menge erklang, schloss der Dorfrichter die lebensmüden Augen, nachdem er noch vorher seinem Seppl verziehen und das Stammgut zugesichert hatte ...
Und so wurde aus dem »Kohlenbrenner« wieder ein »Weidenreicher«, welcher vier Wochen nach Ostern – »Trauer« kennt das Waldvolk nicht – das Reserl als Weidenreicherin heimführte, während der Holzhauer-Simon die Besorgung der Meiler übernahm. Seppl ließ seinen Eltern ein würdiges Grabmal setzen und bekleidete wie sein Vater lange Jahre die Richterwürde im Dorfe.
Aber man nannte ihn niemals, wenn man von ihm sprach, den Richter, sondern den »Kohlenbrenner-Seppl« – scherzweise wohl auch den »Herrn Kaplan«. –