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Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 7
(1905) S. 890– 893
An dem neuen Werke des Verfassers des von mir im Jahrbuch III lobend anerkannten Romans »Ercole Tomei« werden alle Liebhaber guter homosexueller Belletristik ihre Freude haben, obgleich ich den »Jungen Kurt« nicht so hoch werte, wie den ersten homosexuellen Roman Pernauhms.
Auch in dem »Jungen Kurt« fällt als eigenartiges Merkmal die Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit in der Schilderung der Homosexualität auf; nur ist, wie mir scheint, Pernauhm in dieser Auffassung zu weit gegangen.
Während im »Ercole Tomei« die Charakteristik der Personen unter dieser Darstellungsweise nicht gelitten haben, kann man das gleiche nicht von dem neuesten Roman sagen.
Hehrmeister, der vielgereiste Junggeselle, läßt sich wieder für einige Zeit in seiner Vaterstadt Riga nieder. Als intimer Bekannter der Eheleute Krusenstein befreundet er sich mit ihrem 17jährigen Sohn Kurt. Kurt besucht den Familienfreund öfters und dieser nimmt sich gern des scheuen, eigenartigen, aber intelligenten Jungen an. In diesem Verhältnisse besteht anfänglich auf Seite Hehrmeisters nur eine Art väterlichen Interesses des ältern Mannes, der gern den Ratgeber und Erzieher des aufgeweckten Jungen spielt. Allmählich gewinnt aber Hehrmeister den Jungen immer lieber, und als der reizbare, wetterwendische Kurt auf einen verdienten Vorwurf hin seine Besuche einstellt, empfindet Hehrmeister aufrichtige Sehnsucht nach ihm. Diese Sehnsucht wird noch gesteigert, als Kurt einige Zeit Riga verläßt, um auswärts sich auf das Abiturientenexamen vorzubereiten; ja eines Tages wird Hehrmeister durch einen Traum, der ihm verführerisch die Schönheit des Jungen vorgaukelt, erschreckt. Während Kurts Abwesenheit wird Hehrmeister der Geliebte der Frau Krusenstein. Zwar ist er mehr der Verführte, als der Verführer der Provinzialin, die mit Freuden die Gelegenheit ergriff, ihr Zerstreuungs- und Liebesbedürfnis zu befriedigen und von Anfang an ihr Augenmerk auf den erfahrenen und geistreichen Gast geworfen hatte, aber trotzdem zeigt sich Hehrmeisters Natur als heterosexuelle, und innerliche Begierde war es, die ihn in die Arme der Frau trieb. Seines wahren Gefühls zu Kurt wird sich Hehrmeister erst bewußt gelegentlich eines Aufenthalts des Jungen in Riga. Kurt hat im Café die Bekanntschaft eines durchreisenden Barons gemacht, mit dem er gleich in auffallend intimem Verkehr steht. Der Baron, Hehrmeister vorgestellt, glaubt in ihm, als den Freund von Kurt, einen »Eingeweihten« zu sehen und erzählt ihm in nicht mißzuverstehender Weise von seinen vielen »eingeweihten« Bekannten. Hehrmeister errät jetzt die Beziehungen zwischen Kurt und dem Baron und manches Rätselhafte im bisherigen Benehmen Kurts wird ihm dadurch klar. Noch in derselben Nacht gehören sich Hehrmeister und Kurt in Liebe an.
Hehrmeister hat jetzt den Freund für's Leben gefunden, beide werden sich nicht mehr trennen. Doch Hehrmeister muß für eine Zeit Riga verlassen; sein Verhältnis zur Mutter Kurts, die in aufdringlicher Leidenschaft an Hehrmeister hängt, würde jede Intimität hindern. Kurt errät an Hehrmeisters widerspruchsvollen Reden und an seinem Zögern das Geheimnis. Er sucht den freiwilligen Tod im Wasser.
Hehrmeister zeigt sich als der Bisexuelle, der, bis zum Mannesalter heterosexuell fühlend, sich unter dem Einflüsse einer Freundschaft mit dem jugendfrischen Kurt zum tardiv Homosexuellen entwickelt. Diese Verwandlung vollzieht sich ohne irgendwelche seelische Konflikte, ohne Widerstand gegen das neue Gefühl, trotzdem die bisher unbekannte Liebe eine erschütternde Umwälzung in der Psyche Hehrmeisters zur Folge haben mußte, ähnlich wie sie Gide in seinem »Immoraliste« geschildert hat. (Vgl. Jahrbuch V.)
Auch Kurts Natur ist nicht leicht zu entziffern, auch bei ihm gehen beide Triebrichtungen nebeneinander her. Er verkehrt mit Dirnen, es wird sogar angedeutet, daß seine kräftige Natur diesen Ausweg bedarf und andererseits bedeutet seine Hingabe an homosexuelle Leidenschaft mehr als überschäumenden Pubertätsdrang, denn wahres geistig-sinnliches Empfinden zieht ihn zu Hehrmeister.
Bei beiden, Hehrmeister und Kurt, ist das homosexuelle Moment in die normale Gefühlsskala eingereiht, die Gegensätzlichkeit zwischen homosexueller und heterosexueller Empfindungswelt in einer Weise aufgehoben, welche das Verständnis ihres Wesens und ihre Charakteristik erschwert. Diese Schilderung der Homosexualität als einer im Normalen liegenden Entwicklungsmöglichkeit hat allerdings auch mehrere Vorteile zur Folge. Es verschwindet jeder anhaftende Makel des Krankhaften, Lasterhaften, Widernatürlichen und die geschilderte Leidenschaft erweckt den Eindruck des Natürlichen, Gesunden, Normalen.
Diese Auffassung gibt Pernauhm des weiteren auch das Mittel an die Hand, die homosexuelle Empfindung reichlich und in der verschiedensten Motivation zu verwenden. So bietet ein Hauptinteresse des Romans der seelische Konflikt und der tragische Schluß, die aus den durch beide Gefühlsarten verursachten Verwicklungen herauswachsen.
Was den Roman an psychologischem Eindringen, das man zur logischen Gestaltung der Hauptpersonen tiefer gewünscht hätte, einbüßt, gewinnt er an Frische und Lebendigkeit in der Darstellung, an die auch Stil und Ausdrucksweise, weil ausgefeilter als in »Ercole Tomei«, angepaßt sind. Alles ist in Handlung aufgelöst, nirgends längere Exkurse oder überflüssige Abschweifungen; in eleganter Knappheit, die geschmackvoll manches nur andeutet und erraten läßt, strebt die Erzählung in geschickter Spannung dem dramatischen Schlusse zu.
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Als weitere Neuausgaben liegen vor:
Fritz Geron Pernauhm (Guido Hermann Eckardt),
Ercole Tomei (Bibliothek rosa Winkel, Band 54, 2010)
Fritz Geron Pernauhm (Guido Hermann Eckardt),
Die Infamen Mit einem Nachwort von Wolfram Setz (Bibliothek rosa Winkel, Band 56, 2010)
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