Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Hehrmeister erwachte am nächsten Morgen zeitig und war sogleich zufrieden mit seinem Entschluss, sogleich im ersten Augenblick des Wachseins, noch ehe er von neuem überlegt hatte. Er stand rasch auf, sichtete und ordnete unter seinen Sachen und machte einige Einkäufe in der Stadt. Um vier Uhr ging er zu Frau Krusenstein, um Abschied zu nehmen. Um diese Zeit war sie gewöhnlich allein zu Hause. Er klingelte. Die Tür sprang sogleich auf, und er fand sich einem Herrn von ziemlich kleiner, etwas breiter Statur gegenüber. Eine Sekunde vielleicht standen sie so da, dann trat Hehrmeister zur Seite und der Herr ging an ihm vorbei, zeremoniös und freundlich den Hut lüftend.
»Mille pardon,« sagte er langsam, mit einem höflichen, natürlichen Lächeln.
»Bitte sehr,« erwiderte Hehrmeister. Er sah ihm nach, aber es war sehr dunkel im Flur. Als er abgelegt und Frau Krusenstein begrüsst hatte, setzte er sich und fragte: »Wer war das?«
»Ein Freiherr von Thilemann, Kammerherr einer mecklenburgischen Grossherzogin. Er hat sie nach Petersburg begleitet und nun Urlaub angetreten. Er will mit dem Schiff wieder nach Deutschland zurück. Er reist nur so durch Riga, um die Stadt einmal zu sehen und weil Riga doch eigentlich auf dem Wege liegt.«
»Nun ja. Aber woher diese Beziehungen zu euch?« fragte Hehrmeister natürlich sehr erstaunt.
Seine Verwunderung gefiel ihr allem Anschein nach.
»Rein zufällig habe ich ihn kennen gelernt,« sagte sie. »Durch Kurt.«
»Wie? Durch Kurt?«
»Verhältnismässig für so einen Jungen machte er es ja ganz gut. Nur zuerst wusste er nicht so recht, was er eigentlich tun sollte, und wollte, glaube ich, an uns vorübergehen.«
»Wieso? Vorübergehen?«
»Sie begegneten uns, Kurt und dieser Freiherr von Thilemann. Im Schützengarten nämlich. Hans und ich, wir promenierten. Auf einmal kommen die beiden die Treppe von der Speiseveranda herunter. Wahrscheinlich hat Freiherr von Thilemann uns alle drei schon früher im Garten zusammen gesehen und gewusst, dass Kurt zu uns gehört. Und durch ihn hat er es denn eingeleitet, auf diese Weise. Thilemann blieb stehen und bat Kurt, ihn vorzustellen.«
»Wie haben denn aber die beiden Bekanntschaft gemacht?« fragte Hehrmeister, sie nachdenklich ansehend.
»Ach so. Kurt erzählte es mir später. Auch im Schützengarten, im Restaurant. Irgendwie beim Zusehen, wie Billard gespielt wurde. Dieser Herr von Thilemann langweilt sich ganz einfach hier im Städtchen während der paar Tage, die er hier ist, und versucht Bekanntschaften zu machen. Glaubst du nicht?«
Hehrmeister schwieg. Ohne ersichtlichen Grund erhob er sich plötzlich und stiess dabei mit dem Arm an ein Tischchen, das neben ihm stand. Eine kleine Blumenvase geriet ins Schwanken und fiel zu Boden. Das Glas zerbrach nicht, doch lief das Wasser aus und auf dem Teppich lagen dicke, kugelige Tröpfchen ausgespritzt.
»Entschuldige,« sagte er. Aber er bückte sich nicht, um die Vase und die Blumen aufzuheben, sondern sah auf Frau Krusenstein.
Etwas betroffen erhob sie sich ebenfalls. »Du findest diese Art, Bekanntschaft zu suchen, aufdringlich?« fragte sie.
Er fasste sich schnell und meinte: »Eigentlich doch nicht. Warum denn? Auf der Reise. Die Leute sind doch nicht überall so steif im Umgang, wie man es in Riga ist.«
»Als Baron Thilemann eben da war, hatte ich das Gefühl, dass ich ihn einladen müsste. Ich bin aber zu Hause gar nicht auf so etwas vorbereitet. Solche Menschen sind gewiss schrecklich verwöhnt. Kurz, ich bat ihn, mit uns ins Theater zu gehen, später essen wir dann in der Schwarzsehen Weinstube. Und du kommst auch hin, nicht wahr? Es ist gerade noch ein fünfter Platz frei, Hans, Kurt, er und wir beide.
Er sagte zu. Nach wenigen Minuten verabschiedete er sich. Sie folgte ihm ins Vorzimmer und fragte: »Du bist doch nicht unzufrieden? Du wirst sehen, wie er ist. Es ist wirklich ein Vergnügen, sich mit ihm zu unterhalten.«
»Aber ich freue mich sehr, ihn kennen zu lernen,« antwortete er.
Sie hofft, mich eifersüchtig machen zu können, dachte er, als er draussen war. Aber er war nicht in der Stimmung, um über das Missverständnis zu lächeln. Er rief eine Droschke an und wollte ins Gymnasium fahren. Doch fiel ihm ein, dass jetzt am Nachmittag natürlich keine Schule war, und er liess unterwegs halten vor dem Schützengarten, stieg aus und ging ins Restaurant und in den Billardsaal. Niemand befand sich dort ausser zwei jungen Advokaten. Wieder auf der Strasse, blieb er unschlüssig vor dem Wagen stehen. Wenn ich Kurt im Winter suchte, ging ich immer auf die Schlittschuhbahnen, fiel ihm ein.
Er fuhr nach Hause. Seine Schwester sass beim Tee. Er setzte sich zu ihr an den Tisch, ganz durstig nach dem heissen Getränk.
»Also länger hast du es doch nicht ausgehalten,« sagte sie freundlich und niedergeschlagen. »Aber doch fast ein ganzes Jahr.«
»Wie? Was denn?« fragte er erstaunt.
»Aber du hast doch nach deinem Pass geschickt?«
»Ach so, gewiss. Ich habe es dir noch gar nicht erzählt.«
Er lächelte gezwungen. »Verzeihe mir, ich hatte es eben ganz vergessen. Wer weiss übrigens, ob ich sogleich reise. Ich hab' ihn eigentlich nur so der Sicherheit wegen bestellt. Es ist nämlich möglich, dass ich Nachrichten bekomme, die mich dazu bestimmen könnten, ins Ausland zu reisen. Über Berlin natürlich.«
»Für längere Zeit?«
Er zuckte die Achseln.
»Ja, wie du willst und wie du musst. Wenn du aber kannst, so bleibe nicht zu lange aus.«
Auch er war bewegt. Ich bin der einzige Mensch, der ihr nahe steht und so wenig weiss sie von meinem Leben, dachte er. Und doch liebe ich sie, meine herbe, kluge Schwester.
Er nahm ihre Hand. »Wir sehen uns ja schon wieder, gewiss. Und später einmal werde ich dir viel von mir zu erzählen haben,« sagte er plötzlich. »Aber jetzt kann ich nicht. Die Sprache hält nicht immer Schritt mit dem Leben. Es gibt in ihr so viele alt gewordene Worte, deren wahre Bedeutung kaum noch zu erraten ist. Ich müsste mich erst auf andere besinnen, ich käme nicht zurecht, wenn ich jetzt reden wollte.« Unwillkürlich kam das so aus ihm heraus und die Stimme bebte ihm. Sie weinte. Er hielt ihre Hand fest in seinen beiden und sie schwiegen.
»Man soll sich nicht gehen lassen, und auch Briefe sind eine grosse Freude,« sagte sie ruhiger. Sie beherrschte sich, sie trocknete ihre Tränen, und sie besprachen allerlei nicht sehr Wichtiges, wehmütig froh im Gefühl, einander anzugehören.
Als er sein Zimmer betrat, verliess ihn diese Stimmung sofort. Er sah nach der Uhr, es war sechs, das Theater begann um sieben. Aus seinem Schrank holte er einen neuen, sehr eleganten schwarzen Anzug, den er bisher noch nicht getragen hatte, weil er ihn zu auffallend modisch für Riga fand. Er wollte für alle Fälle seine Vorkehrungen treffen, vollständig gerüstet auf dem Platze sein. Aber er kam gar nicht dazu, sich genauer darauf zu besinnen, was er denn erwartete, sondern wandte seine ganze Energie daran, sich trotz seiner Aufregung sehr sorgfältig zu kleiden. Als er fertig war und, endlich zufrieden mit seiner Toilette, vom Spiegel zurücktrat, ging er an sein Schreibpult, wo er Geld verwahrte. Er schloss auf und steckte zu sich, was er fand, Gold und Papier, viele hundert Rubel.
Etwa zehn Minuten, bevor die Vorstellung beginnen sollte, begegnete er Baron Thilemann in einem Wandelgang des Theaters. Sie schritten aneinander vorbei und Hehrmeister streifte ihn mit einem Blick. Baron Thilemann war ein kleiner, vornehmer Herr von 40 Jahren. Behaglich interessiert sah er sich die Leute an und spähte aufmerksam nach allen Seiten. Aus seinen Augen spiegelte eine ausdrucksvolle Fröhlichkeit und Zufriedenheit wider, und die ganze Erscheinung atmete eine gepflegte, aristokratische Gesundheit aus und war elegant, trotzdem alles etwas dicklich und rundlich ausschaute, Hände, Kopf und Gestalt. Er ging mit strammen, kleinen Schritten und setzte die Füsse zierlich nach aussen. Jeden Augenblick liess er sein Monokel fallen, um es mit einer geschmeidigen Handbewegung sogleich wieder einzuklemmen. Ein paar Schmisse entstellten das Gesicht keineswegs.
Hehrmeister trat auf ihn zu und fragte verbindlich: »Baron Thilemann, nicht wahr? Hehrmeister. Ich hatte die Ehre, Ihnen zu begegnen.«
»Gewiss, heute Nachmittag, im Vestibül bei den Krusensteins,« unterbrach ihn der Baron mit einer liebenswürdigen Verbeugung und reichte ihm die Hand.
»Nun, Sie sind auch hier gebürtig, wie sagt man doch? Rigenser, nicht wahr? So wie die Familie Krusenstein. Ich bin auf der Durchreise, habe meine Herrin nach Petersburg geleitet. Eine sehr angenehme Stadt, Riga. Man sieht Pferde, Equipagen, keinen Korso natürlich, aber es scheint doch, dass die Patrizier sich in guter Assiette befinden.«
»In der Tat, namentlich die Kaufmannschaft ist wohlhabend. Übrigens habe ich meist im Auslande gelebt.«
In der ersten kleinen Pause, die in ihrem Gespräch entstand, fragte Hehrmeister plump, aber doch nicht so, dass es unhöflich herauskam: »Sie spielen gern Billard, nicht wahr?«
Einige Sekunden des Schweigens folgten. Nach einem misstrauischen Aufhorchen und einem nicht ganz geradeaus spähenden Blick lächelte der Baron sehr liebenswürdig und vergnügt, und um Hehrmeister besser ins Auge fassen zu können, klemmte er sich sein Monokel vor. Offenbar hatte er sofort erraten, dass Hehrmeister und Kurt miteinander befreundet waren, und dieses Faktum belustigte ihn. Baron Thilemann, der etwas asthmatisch zu sein schien, schnappte mehrmals nach Luft und lächelte noch immer, bis er endlich antwortete: »C'est ça! Sie haben recht gehört.«
Und er begann Hehrmeister nach seinen Beziehungen in der Welt auszufragen. Wahrscheinlich hatte er es schon seit einiger Zeit vermisst, mit einem Eingeweihten plaudern zu können und freute sich nun dieser Gelegenheit und wollte sie benutzen. Hehrmeister, der ja aber gar nicht so recht zu den Eingeweihten gehörte, erriet das erst allmählich. Zuerst begriff er durchaus nicht, was es mit dem fortwährenden Fragen und Augenzwinkern auf sich hatte. Übrigens kannte er dem Namen nach und oft sogar persönlich sehr viele von den Künstlern und von den Mitgliedern berühmter Adelsgeschlechter, über die die Rede ging, die im Zusammenhang erwähnt wurden und von deren Schicksalen er so mit einem Male erfuhr.
Als das letzte Glockenzeichen vor Beginn der Vorstellung ertönte, empfahl er sich mit einem freundschaftlichen Händedruck und eilte auf seinen Platz. Ganz dumm blieb Hehrmeister stehen. Dann betrat er ebenfalls den Zuschauerraum und setzte sich. Während der Vorhang aufging, noch ehe der Kronleuchter auslöschte, sah er nach rechts in die Orchesterloge. Frau Krusenstein, Hans und Baron Thilemann sassen in einer Reihe, sonst befand sich dort niemand.
Man spielte ›Mamsell Nitouche‹, eine französische Operette. Als der erste Akt zu Ende war und es hell wurde, blickte er sogleich wieder hin. Doch war Kurt auch jetzt noch nicht gekommen.
Er erhob sich und ging zu ihnen. Es überraschte Frau Krusenstein sichtlich, dass Hehrmeister und Baron Thilemann schon Bekanntschaft gemacht hatten und dass Baron Thilemann ihn sofort ungezwungen anredete, fast mit Kameradschaftlichkeit im Ton. Sie begriff das nicht und war etwas verstimmt. Hehrmeister setzte sich neben sie und sagte halblaut: »In der Tat, du hattest Recht. Ein sehr angenehmer Mensch. Solche Leute durchwandern die halbe Welt, pflegen ihre Gesundheit und ihre Beziehungen, und es ist ein Vergnügen, sich mit ihnen zu unterhalten.«
Er überhörte eine Frage, die sie an ihn richtete, und blickte apathisch zu den Rängen hinauf. Im zweiten Range gewahrte er zu seinem Erstaunen Kurt. Dort oben stand er mit verschränkten Armen und sah hinunter. Er schien Hehrmeister und die anderen zu erkennen, aber offenbar schlecht gelaunt, dachte er gar nicht daran, zu grüssen. Neben ihm sassen ein paar junge Leute und plauderten, gewiss Freunde von ihm. Ohne sich zu entschuldigen erhob sich Hehrmeister und ging hinauf. Er trat auf ihn zu und bat ihn, einen Augenblick auf den Korridor zu kommen, er hätte mit ihm zu sprechen. Erstaunt folgte ihm Kurt dorthin.
»Nun, was ist denn?« fragte er.
»Aber warum bist du denn nicht in der Loge? Sie erwarten dich dort.«
»Ich mag aber nicht dieses ewige Familiensimpeln.«
»Und wo warst du denn am Nachmittag? Ich habe dich gesucht und dich erwartet.«
»Ja, aber warum denn?« fragte Kurt, ungeduldig werdend. »Wir hatten ja nichts mit einander verabredet.«
»Nein, aber trotzdem. Wo warst du den ganzen Nachmittag?«
»Mit Kameraden zusammen. Warum fragst du immerfort danach?«
Hehrmeister schwieg. Niedergeschlagen und ganz anders im Ton bat er: »Sei doch nicht so unfreundlich zu mir.«
»Ich bin ja gar nicht unfreundlich,« sagte Kurt ernsthaft und verwundert.
Sie schwiegen. Kurt betrachtete ihn, mass ihn von Kopf bis zu Fuss und rief: »Herr Jesus! Wie du dich fein gemacht hast. Warum denn? Ich weiss gar nicht, was mit dir los ist. Warum bist du heraufgekommen und sprichst jetzt kein Wort?«
Hehrmeister drehte sich mit einem Male herum und tat ein paar Schritte zur Treppe hin. Er wollte hinuntergehen. Aber er blieb stehen und wandte sich wieder.
Kurt sah ihn an, ganz sprachlos vor Erstaunen und mit angespannter Neugierde. Doch verschwand dieser fragende Ausdruck aus seinem Gesicht, und er lächelte, erst ein wenig, dann etwas mehr. Endlich rief er: »Komm, sei gut, sei doch nicht so verrückt!«
Der überlegene, freundliche Ton brachte Hehrmeister auf. Er wurde ganz wütend. Er fühlte sich ausgeliefert und von dem Jungen belächelt. Und nach einem bösen Blick, den er auf Kurt fallen liess, sprang er die Treppen hinunter und lief auf die Strasse.
Er schritt in die Anlagen vor dem Theater und setzte sich dort auf eine Bank. Zornig verschränkte er die Arme und erschöpft und an allen Gliedern zitternd verharrte er so, ohne sich zu rühren. Als die Vorstellung zu Ende war, fing er Krusensteins und Baron Thilemann vor dem Theater ab und sie gingen speisen. Während Emmy und Hans mit dem Kellner sprachen, fragte Thilemann halblaut nach Kurt. »Nein, ich glaube, er wird nicht kommen,« sagte Hehrmeister, ohne seine Stimme zu senken. Er wollte verstehen lassen, dass er durchaus nicht zu tuscheln oder mit einer gewissen Heimlichkeit zu verhandeln wünschte.
Anfangs sprach Krusenstein sehr viel. Einen nervösen Menschen musste seine Unterhaltung, der etwas rücksichtslos Einstürmendes anhaftete, ungeduldig machen. Doch Thilemann hielt aus und liess sich nichts merken. Als es Emmy erreicht hatte, dass ihr Mann etwas stiller wurde, zeigte sie sich vor Hehrmeister in einem gewiss ganz geistreichen und hübschen Gespräch mit dem Baron.
Krusensteins waren nach Hause gefahren, Hehrmeister und Thilemann standen allein an der Tür.
»Sono affaticato. Ich eile ins Bett. Es ist sehr zu bedauern, dass er nicht kam.«
»In der Tat, es ist zu bedauern,« sagte Hehrmeister und reichte ihm höflich und rasch die Hand. Sie verbeugten sich und der Baron stieg in eine Droschke.
Es hatte zu regnen angefangen, trotzdem ging Hehrmeister zu Fuss. Nach einigen Minuten trat er in ein Restaurant, das auf seinem Wege lag, musterte mit einem raschen Blick die Anwesenden und kehrte dann auf die Strasse zurück. Er rief eine Droschke an und fuhr in die Vorstadt, wo der Wagen vor einem eingezäunten, weitläufigen Ring hölzerner Gebäude hielt. Es war das grösste und bekannteste Frauenhaus Rigas.
Er legte Hut und Mantel in der Garderobe ab, der Diener öffnete die Tür zum ersten Saal und Hehrmeister trat ein. Im sehr grossen Gemach befanden sich zur Zeit keine Gäste, sechs oder sieben Mädchen sassen um einen Tisch herum und spielten Domino. Die meisten von ihnen waren einfach und ganz hübsch gewandet, nur eine trug ein lächerlich ausgeschnittenes, mit Glasstücken besetztes grünes Kleid sowie eine Schleppe dazu, die so lang war, wie man sie bei sehr feierlichen Hofempfängen sehen mag. Als er eintrat, unterbrachen sie ihr Spiel für einige Sekunden und betrachteten ihn misstrauisch aufmerksam, böse und mit Mündern, die rund wurden und einfältig dreinschauten. In einem Nebenzimmer sah er Kurt mit zwei anderen Mädchen und zweien seiner Freunde zusammen. Sie tranken Kaffee und unterhielten sich.
Hehrmeister kehrte sich um und grüsste den Wirt, der hinter dem Likörausschank sass und den er nach langen Jahren wieder einmal wiedersah. Es war ein ausserordentlich dicker, brünetter Herr, der in seinen grossen, runden, mit Edelsteinen besetzten Fingern im Augenblick gerade ein winziges Kognakgläschen eingeklemmt hielt. Mit einem plötzlichen Ruck führte er es an seinen Mund und goss den Kognak in sich, den Kopf weit zurückbiegend. Hierauf erst erwiderte er Hehrmeisters Gruss mit einem kameradschaftlich devoten Lächeln und einer Verbeugung, trat aus seinem Verschlage hervor, erkundigte sich, seit wann der Herr wieder in Riga wäre und fragte, ob irgend etwas zu trinken beliebt werde.
Er bestellte zwei Flaschen Sekt, dann ging er bis zur Stufe, die zum Nebenzimmer führte und blieb dort stehen. Kurt erhob sich und sah ihn zornig an. Hehrmeister hatte ein halbes und ängstliches Lächeln auf den Lippen und blickte gerade auf die Mitte des kreisrunden Tisches, um den die Gesellschaft versammelt war. Mit einemmal erriet Kurt, dass er nicht gekommen war, um ihn wegzuholen und ihm Vorwürfe darüber zu machen, dass er sich an diesem Ort aufhielt. Und nun fühlte er sich nicht mehr ganz sicher, er begriff, dass die Situation von ihm abhing, wusste aber nicht gleich, was er sagen sollte. Auch die beiden Freunde, die Hehrmeister von Ansehen und dem Namen nach kannten, erhoben sich sehr höflich, der eine nach dem andern, von ihren Sitzen, standen da und warteten. Hehrmeister trat noch immer nicht vor und sah durch die Tür ins Zimmer.
Plötzlich brach eines von den Mädchen in ein ungezogenes, schallendes Gelächter aus, warf Kopf und Arme über den Tisch vor und lachte wie toll, quietschend und dem Ersticken nahe. Ihre Nachbarin schrak zusammen, wurde wütend und schimpfte und fluchte auf ungarisch. Alle sonst wandten den Blick auf das ausgelassene Balg und waren im Begriff, mitzulachen und angesteckt zu werden von dieser nicht ganz verständlichen Heiterkeit, die aber durchaus nicht gemacht klang.
Als sie sich einigermassen beruhigt hatte, ging Hehrmeister endlich hinein. Wie es schien erfreut, stellte Kurt seine beiden Kameraden vor, den Herrn von Machutsky und Herrn Schnaab. Er sprach die Namen schnell und undeutlich, die anwesenden Damen durften sie nicht hören, das war so Brauch. Der Wein wurde gebracht, man trank ihn mit langen Schlucken, und es ward ganz behaglich. Die beiden Mädchen betrugen sich manierlich und lärmten und zankten nicht wie der Schwarm draussen. Die vorhin so gelacht hatte, eine schlauäugige kleine Brünette, sah noch einigemal starr und ernsthaft während einiger Sekunden auf Kurt und richtete alsdann denselben neugierig fragenden Blick auf Hehrmeister. Und dann versteckte sie den Mund eilig hinter dem Taschentuch, in das sie sich festbiss, um einen neuen Lachkrampf zu unterdrücken.
Herr Machutsky war ein langaufgeschossener, junger Pole, der aber deutsch fliessend und rein sprach. Hehrmeister richtete seine Worte meistens an Schnaab: der war ihm sympathischer. Er trug einen Hornkneifer, durch dessen Gläser seine Blicke lustig und scharf herausstachen, redete mit lebhaften Gesten und versuchte fortwährend dumme Witze zu reissen. Gelang es ihm damit nicht so recht, so wartete er auch keineswegs, dass man lachen würde, sondern schwätzte rasch weiter. Hehrmeister bemerkte, dass die beiden Damen, wenigstens für diesen Abend, zu Schnaab und Machutsky gehörten. Kurt leistete seinen Kameraden bloss Gesellschaft. Es war natürlich, dass Hehrmeister zum Mittelpunkt des Kreises wurde, und die jungen Herren fanden es am Platze, dem älteren Manne so viel an Aufmerksamkeit und Höflichkeit zuzuwenden, dass die Unterhaltung nicht ganz auf den lustigen Ton gestimmt war, der sonst in diesen Räumen zu herrschen pflegte. Die Mädchen begannen sich zu langweilen. Und als Gounods Walzer vom Tanzsaal herklang, schuppsten sie ihre Kavaliere in die Seiten und wollten hin. Die entschuldigten sich und standen auf und die Mädchen hüpften an ihren Armen zum Zimmer hinaus.
Als sie allein waren, veränderte sich der Ausdruck auf Hehrmeisters Gesicht sogleich und ward ernst und erregt.
Kurt besah sich ihn mit einem Lächeln und zuckte die Achseln. Bist du denn ganz verrückt geworden, hierherzukommen – sollte das ungefähr heissen. Dann legte er ihm die eine Hand leicht auf die Schulter und drückte etwas. Hehrmeister nahm seine andere, legte sie vor sich auf den Tisch und dann seine Stirn auf sie. Seine Gebärde war die eines Niedergeschlagenen, ganz Unterlegenen.
»Was war denn mit dir los im Theater eben?« fragte Kurt. »Es geht doch nicht gleich die Welt unter. Zweimal im Leben bin ich mit diesem Menschen zusammengewesen, im Restaurant.«
»Ja, was ist da zu machen. Ich verliere immer gleich den Kopf. Verzeih mir.«
»Aber ich bin ja sehr froh. Jetzt hab' ich doch ordentlich gesehen, wie du bist.«
Sie kamen unbemerkt aus dem Hause. Es regnete nicht mehr, sie gingen zu Fuss und ganz langsam.
Es war 1 Uhr, als sie Hehrmeisters Zimmer betraten. Er zündete in seinem Schreibzimmer zuerst die beiden Kerzen auf dem Kamin an, dann die Lampe auf seinem Arbeitstisch, die Armleuchter und sodann das Wandlicht über dem Sofa, eine Laterne aus Schmiedeeisen, die an einem Drachenkopf hing. Das dunkelgrüne Glas der Fenster war kugelförmig ausgebauscht und leuchtete matt und blass im allgemeinen Lichtglanz.
Er sah sich um und überzeugte sich davon, dass auch richtig alles brannte. Kurt stand da, hatte seinen Mantel noch immer nicht abgelegt und hielt den Hut bescheiden in der Hand. Er betrachtete alles in der Stube sehr aufmerksam und etwas verwundert und so, als wäre er zum erstenmal im Leben an diesen Ort mitgenommen. Auch Hehrmeister schaute erstaunt und mit neuen Augen auf Kurt. Zum erstenmal war Kurt am Abend bei ihm, nur im Tageslicht hatte er ihn sonst hier vor sich gesehen, und so schienen sie sich fremd, sich unbekannt im gewohnten Raum, in dieser lautlosen Helligkeit, die so feierlich strahlte, während in den anderen Stuben des Hauses und auf der Strasse dunkle, stille Nacht war.
Kurt befreite sich zuerst von diesem Eindruck, indem er sich blitzschnell den Mantel herunterriss und ihn recht jungenhaft mit einem Bogen, der die Flammen der Kerzen schaukelte, aufs Sofa warf.
Und dann, als ihn ein Blick Hehrmeisters traf, sprang er auf ihn zu und warf sich an ihn, sich ausliefernd wie ein Kind, das gespielt hat, nun aber müde dessen seinem Verfolger entgegenläuft, um auszuruhen in seinen Armen.
Sie entflohen der Helligkeit und suchten das Nebenzimmer auf, in das der Schein der Lampen und Kerzen durch die offene Tür in einem breiten Strom hineinzog, die Stube durchquerte und zuletzt in einen hohen, länglichen Wandspiegel fiel, aus dessen Tiefe er weither zurückglänzte. Wohin das Licht nicht traf, war im Gemach Halbdunkel, an das sich die Augen bald gewöhnten.
Als Hehrmeister nach Stunden sein Schreibzimmer wieder betrat, brannten die Lampen und Kerzen noch, still und hell. Er bückte sich nach einer Flasche Malaga, die neben dem Sofa stand und ging nun, in der einen Hand den Wein und die Gläser, Prinz Albert-Kuchen, Zigaretten und Feuerzeug in der anderen, ins Schlafzimmer zurück. Er nahm sich eine Decke um, zog das Tischchen heran, auf dem er die kleine Mahlzeit aufgemacht hatte und setzte sich auf den Rand seines Bettes, in dem Kurt lag. Sie stiessen an, tranken und rauchten und verharrten so lässig und friedlich eine Weile im Schweigen.
Hehrmeister hielt den Blick auf Kurt gerichtet. Aber das Licht aus dem hellen Nebenzimmer war noch in seinen Augen, vor denen bunte und schwarze Flecken tanzten und kreisten, sich verdichteten, auseinanderzuckten und wieder zu Klumpen verschwammen. Erst allmählich traten die Umrisse heraus. Zuerst ein Ausschnitt von der Brust, der sich farbig abhob gegen das offene schneeweisse Hemd mit dem blauen Besatz, der vom Halse in zwei Streifen hinunterlief und das mattgelb schimmernde Fleisch einsäumte. Der linke Arm, frei bis zum Ellbogen, war hart und fest zusammengebogen und stützte mit der Hand den Kopf. Dann erblickte er unter dem krausen Haar das Antlitz, das mit einem freundlichen, ernsten Ausdruck ihm zugekehrt war, mit den Lippen, die noch halb offen standen und dem leisen Flaum über ihnen. Und als die letzten Nebel von Hehrmeisters Augen wichen, die nun im Halbdunkel zu Hause waren, sah er alles mit einmal; die herbe, gelenkige Kraft, die wohlig gebettet vor ihm ausruhte, eine Schönheit, die ihn erstaunte und ihn bewegte, eine Jugend, deren Hauch voll in seinen Atem strömte. Und er hob die Arme, warf sie nach ihm aus, ohne ihn zu berühren, seinem Jubel mit dieser schnellen Geste einen Ausdruck gebend.
Er trank sein Glas aus und schob es zur Seite. Der Rausch des Glückes liess seine Gedanken laut werden, es trieb ihn, die Grenzen des neuen Landes, das vor ihm lag, im Geist auszumessen, von allem, was kommen musste, Besitz zu nehmen, schon in diesem Augenblick.
»Du gehörst mir,« sprach er. »Weisst du das? Ich gebe dich nicht mehr weg.«
»Ich bleibe immer bei dir,« sagte Kurt ruhig und leise.
»Nur noch für dich will ich leben. Die Welt will ich dir zeigen, die ganze Welt. Und ich will nichts mehr als sehen, wie du alles siehst und will dich führen. Niemand soll geleitet werden, wie du. Ich kenne dich noch nicht ganz, ich weiss nicht, was in dir ist, aber ich finde es mir heraus, und ich mache dich zu dem, was du sein kannst. Du sollst sehen, was dein Leben wird unter meinen Händen, wenn wir miteinander draussen in der Welt sind. Livland ist ja nur ein Teich, den man in ein paar Minuten durchschwimmt, um an einem Ufer zu landen, das man längst kennt. Aber wir wollen gemeinsam aufs Meer hinaus und du sollst sehen, wie schön und tief und unermesslich das Leben ist, wenn der Sonnenschein auf ihm leuchtet.«
Er presste die Hände vor die Stirn und überstürzte die Sätze im Jubel. Dann hielt er inne. Kurt lag ruhig da und blickte ihn an, willig hingegeben wie es schien dem Strom seiner freudigen Worte, und doch mit einer gewissen lächelnden, fast mokanten Überlegenheit.
»Zunächst muss ich nun wohl mein Examen machen,« sagte er. »Daran hast du wohl nicht gedacht.«
Hehrmeister war ein wenig verwirrt. Freilich: das kam erst. Natürlich hatte er daran gedacht.
»Gewiss, das Examen musst du machen, du wirst irgendetwas studieren wollen. Es ist ja nicht mehr lange. Das wird sich finden.«
Aber es schien Kurt Freude zu machen, Hehrmeister Schwierigkeiten entgegenzuwerfen, um zu sehen, wie der sie überwand.
»Und wenn ich nun durchfalle?« fragte er lächelnd. »Das ist nämlich gar nicht unmöglich.«
»Das darf nicht geschehen,« widersprach Hehrmeister eifrig. »Du musst in diesen Monaten arbeiten, wie du noch nie gearbeitet hast, und wenn es dir auch noch so langweilig ist. Um unseretwillen musst du es tun und deine ganzen Kräfte daransetzen.«
»Und dann?« fragte Kurt hartnäckig. »Meinst du, dass man es zu Hause ohne weiteres zugeben wird, dass ich mit dir ins Ausland gehe? Mein Vater will, dass ich in Dorpat studieren soll, er hat doch immer davon gesprochen, erinnere dich doch. Und Mama will es auch so. Da wäre ich in ihrer Nähe und unter der Aufsicht von Bekannten, sagt sie. Was werden sie überhaupt von alledem denken? Es wird schwer sein, ihnen unsere Pläne begreiflich zu machen. Ich bin neugierig, wie du das anfangen wirst.«
Hehrmeister schwieg. Ein heisser Strom von Angst, er wusste nicht wovor, durchlief ihn, und er schloss die Augen.
»Nicht davon reden, jetzt nicht,« bat er leise. »Es findet sich.«
»Warum sollen wir nicht davon reden?« fragte Kurt. »Was bist du für ein Phantast. An das Nächste muss man doch zuerst denken. Mir scheint, du wirst es mit meiner Mutter versuchen müssen. Wir haben ja noch Zeit, monatelang. Inzwischen musst du sie gewinnen.«
»Das nicht. Das geht nicht. Ich kann nicht hier sein in nächster Zeit, ich muss reisen,« sagte er schnell heraus und ohne festen Ton.
Auf keinen Fall wollte Hehrmeister in Riga bleiben, jetzt erst recht nicht. Und er erfand rasch etwas und erzählte: »Ein Freund von mir in Paris schreibt eine Oper, und ich muss ihm dabei helfen. Ich soll den Text machen. Er ist sehr abhängig von mir, es ist sehr wichtig für ihn, dass ich da bin und ihm zur Seite stehe. Ich kann es ihm nicht gut abschlagen.«
Kurt richtete sich halb auf, mehr noch, wie es schien, über die plötzliche Änderung des Tons und der Stimmung betroffen, als darüber, dass Hehrmeister fort wollte.
»Reisen willst du? Wie ist das möglich? Gerade jetzt? Wie soll ich hier fertig werden ohne dich. Und so auf einmal wegen einer Oper? Früher sagtest du nichts davon. Bleibe da, bleib bei mir.«
»Quäle mich nicht,« bat Hehrmeister, »es kann nicht sein.« Er war ganz ratlos und wusste nicht, was er sagen sollte. Und in einem Anfall von Verzweiflung, von Unbesonnenheit:
»Hör' zu, Kurt. Komm mit mir, gleich. Das Examen ist Unsinn, du brauchst es nicht. Du bist ein anderer Mensch als die, die ein Examen machen müssen, um etwas zu sein. Du wirst Künstler oder etwas anderes, gleichviel, es wird sich finden, wenn wir nur erst fort sind aus Riga. Deine Eltern werden es doch nicht verstehen und werden es niemals zugeben wollen. Lass alles, komm mit mir.«
Er schwieg, überrascht von seinen eigenen Worten. Kurt sah ihn starr und aufmerksam an, mit grossen Augen.
»Wie ist es möglich, dass du so redest?« fragte er endlich. »Das glaubst du doch selbst nicht, was du sagst. Das können wir doch nicht. Mir schien alles so einfach. Du würdest mit meinen Eltern sprechen und sie allmählich überzeugen und für unsern Plan gewinnen. Wenn du mich lieb hast und das für recht hältst, was wir tun, und du hältst es doch für recht, so brauchst du doch kein böses Gewissen vor meinen Eltern zu haben. Warum fürchtest du dich vor ihnen und sagst: wenn wir nur erst fort sind aus Riga? Meine Mutter würde sicher auf dich hören. Warum willst du nicht mit meiner Mutter – «
Er hörte auf. Er hatte lebhaft gesprochen und sich ein wenig im Bett aufgerichtet und sich in die Ellenbogen gestützt. Als er dann mit einem Ruck stillschwieg, verharrte er genau in dieser Stellung, die sehr unbequem sein musste, aber die er gerade eingenommen hatte, als seine Gedanken abbrachen. Er war betroffen worden, überrascht worden in dieser Haltung und kein Glied seines Körpers rührte sich mehr.
Hehrmeister sah ihn stutzen und verlor die Herrschaft über sein Antlitz. Ihre Blicke liefen ineinander. Er wollte reden, aber er fühlte seine Zunge gross und schwer im Munde und umklammert von den Zähnen. Er sah, wie Kurts Lippen sich fest zusammenschoben, wie zu einem längeren Schweigen, und wie seine Mundwinkel ein wenig heruntersanken, während sich sonst nichts an ihm rührte und die Augen still auf die Wand hinsahen.
Hehrmeister versuchte zu lächeln, doch es wurde etwas ganz anderes daraus, und er trank rasch einen Schluck Wein aus dem vollen Glase. Draussen zählte ein Regentropfen, in gleichmässigem Abstand aus der Dachrinne fallend und aufs Fensterbrett anklatschend, die Sekunden. Er fing an zu reden. Gewiss, es war ein unmöglicher Einfall gewesen. Kurt hatte recht, man musste die Eltern gewinnen, brieflich vielleicht, wenn Hehrmeister nun doch reisen müsste. Man würde überlegen. Dann versicherte er, dass er heute morgen erst diesen Brief erhalten hätte, diesen Brief, in dem der Freund ihn bat, nach Paris zu kommen. Und er wäre schon darauf vorbereitet gewesen, hätte aber mit niemandem darüber gesprochen, es sei das schon einmal seine Art so, er täte das nicht, ehe eine Sache entschieden wäre. Er brauchte viele Worte und erschöpfte sich in Sätzen, die sich wiederholten.
Kurt hatte sich wieder in die Kissen zurückfallen lassen, lag da und hörte zu und fragte nichts. Als Hehrmeister geendet hatte, kehrte er das Gesicht zur Wand und sagte: »Ich bin müde.«
Hehrmeister griff rasch nach der Uhr. »Aber es ist ja auch gleich fünf. Gewiss, du musst noch schlafen. Ich gehe hinüber und lege mich auf den Diwan.«
Er trug das Tischchen, auf dem Kuchen, Weinflasche und die Gläser standen, wieder beiseite und schob mit den Füssen den Betteppich zurecht. Dann stellte er Streichhölzer und eine Kerze für Kurt bereit und ging ins andere Zimmer. Die Lampen und Leuchter brannten noch, das Licht stach ihm scharf in die Augen.
Während einiger Minuten stand er ganz ruhig da und blickte hierhin und dorthin in die Flammen. Dann wandte er sich, ging zur Tür zurück und sagte: »Hör', Kurt, vielleicht reise ich nicht, es findet sich ein anderer Ausweg. Wir werden noch sehen. Auch kann ich es nicht so lange aushalten ohne dich. Ich will doch immer sein, wo du bist. Wir können es vielleicht anders einrichten irgendwie.«
Er stockte und wusste gar nicht, was er noch sagen sollte.
Kurt schien gar nicht auf ihn zu achten. Dann sprach er: »Morgen.«
»Gut, ja, wir reden morgen darüber,« rief Hehrmeister eilig und ganz einverstanden und trat wieder zurück. Er löschte alles aus, bis nur noch die Laterne am Drachenkopf mit ihrem blässlichen Grün schimmerte. Halb entkleidet streckte er sich auf den Diwan und zog die wollene Decke fest an die Schultern.
Die Tür zwischen den Zimmern stand auf. Etwa nach fünfzehn Minuten achtete er auf Kurts Atemzüge, ihm schien, dass Kurt nicht schlief.
»Schläfst du?« rief er leise.
Und nun ward es ganz still. Er hörte seinen Atem nicht mehr gehen. Nichts rührte sich.
Hehrmeister wartete. Warum antwortete er denn nicht? Warum nicht? Und tat so, als ob er schliefe? Warum tat er so?
Der Schrecken band Hehrmeister mit festen Klammern ans Lager. Woran dachte Kurt?
Nach einigen Minuten befreite er sich mit einem Ruck und taumelte zur Tür. Kein Laut aus Kurts Zimmer. Eine Zeitlang stand er da und hörte hin ins Dunkle, Stille.
Was war denn, was ist denn gewesen? Ich hab doch nicht ein Wort geredet –
Dann sagte er sich, dass Kurt schläfrig war und im Einschlafen und nicht gestört sein wollte, und er ging wieder zum Diwan und legte sich nieder.