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Der Warschauer Internationale Kongreß zur Bekämpfung des Mädchenhandels

(1930)

An den Vorstand des Jüd. Frauenbundes, z.Hd. Von Frau Bettina Brenner, Leipzig.

Es scheint mir nicht nur für die im J.F.B. organisierten Frauen, sondern für die jüdische Welt im allgemeinen wichtig zu erfahren, wie sich der VIII. Internationale Kongreß zur Bekämpfung des Mädchenhandels in Warschau dargeboten hat. Ich berichte deshalb.

Um zuerst von dem Rahmen der Veranstaltung zu sprechen, ist zu erzählen, daß die bekannte polnische Gastlichkeit sich in liebenswürdiger Weise gezeigt hat. Die Gastlichkeit des polnischen Nationalkomitees, die besonders durch die »Dames Chauvinesses« (Stiftsdamen) in dem Stiftungshaus der Gräfin Potocka Formen so feiner, persönlicher Kultur trug, ließ alle begeisterten Worte des Dankes in den drei Kongreßsprachen nur eben das ausdrücken, was alle Teilnehmer empfanden. Auch große Empfänge in prächtigen kunstgeschmückten Räumen brachte die offizielle Note, die solchen Zusammenkünften eigen ist, ihre äußere Wirkung wenn auch nicht ihre innere Bedeutung zu unterstreichen.

Vom allgemeinen Standpunkte gesehen, bewegten sich die Verhandlungen in den bekannten herkömmlichen Geleisen von Frauen- und Kinderschutz: Paßfragen, Repatriierung von Prostituierten, Schutzalter, Auslandsstellungen für Mädchen, besonders als Artistinnen usw.

Neu aufgenommen war der nicht fernliegende Gedanke der Bekämpfung des Zuhälterwesens, der nach den Wegen und Umwegen, die einer Resolution vorgeschrieben sind, noch vieler Jahre bedürfen wird, um seine Keimfähigkeit zu beweisen!

Auch die Abolition der Reglementierung, die Aufhebung der Bordelle, diese Grundforderung jeglicher ernst gewollten Bekämpfung des Mädchenhandels, ist nach vieljährigen Kämpfen noch nicht in allen Ländern anerkannt. Es war nur ein winziger Ansatz einer etwas lebhafteren Bewegung in der Versammlung als Prof. Uhde (Graz) mit dem ihm eigenen Pathos eine Entschließung verlangte, derzufolge der Völkerbundskommission für Frauen- und Kinderschutz kein Antrag empfohlen werden sollte, der nicht mit der abolitionistischen Linie übereinstimmt. Aber auch dieser Wunsch, der im Augenblick, da er ausgesprochen wurde, nur von ideologischer Bedeutung war, konnte sich durch die Stellung der lateinischen Länder (die wie der Osten, der Balkan u. a. nicht ohne Bordelle auskommen zu können glauben) und durch die ängstliche Haltung einiger Nationalkomitees in der Abstimmung nicht einmal zu einer warmen Einstimmigkeit, zu einer Resolution verdichten.

Mit diesen wenigen, uninteressanten Worten wäre der Kongreß im allgemeinen genügend charakterisiert, und indem ich noch beifüge, daß der nächste Kongreß in Berlin stattfinden soll, wäre der Bericht erschöpft, wenn nicht gerade von diesem Kongreß für die jüdische Welt mehr und anderes zu erwarten gewesen wäre.

Wenn ich nun in diesem Zusammenhang den in unserem Frauenkreise zum Kennwort gewordenen Begriff der Sysiphos-Arbeit gebrauche, so wissen Sie, daß ich damit die Stellung der Juden im Mädchenhandel und zu seiner Bekämpfung meine.

Ich setze als bekannt voraus, daß der Internationale Kongreß zur Bekämpfung des Mädchenhandels in Warschau 1930 der Ausgangspunkt hätte werden können, sich jüdischerseits zu unleugbaren Tatsachen zu bekennen und einen sauberen Bekämpferwillen zu dokumentieren, in einem Lande und in einem Kreise, in dem die Teilnahme von Juden am Mädchenhandel mit voller Sicherheit gewußt ist.

Statt dessen, war jüdischerseits (von Mr. Cohen, London) seit einem Jahre aller Einfluß daran gesetzt worden, für den Kongreß wieder eine nebelhafte Atmosphäre zu bereiten, in der die Fehler, die der jüdische Vertreter in Genf gemacht hatte, weichlich und schwächlich verhohlen blieben, auch ein Bericht über eine Reise in Argentinien konnte den Eindruck prinzipieller Verantwortungslosigkeit an führender Stelle nicht auslöschen.

In Privatgesprächen mit Christen hielt man auch mir gegenüber nicht zurück, zu betonen, wie schlimm es polnischerseits empfunden wird, daß die käuflichen Jüdinnen vielfach Polinnen sind.

Von autoritativer Seite erzählte man mir, daß eine Liste von 450 Mädchenhändlern bekannt sei, von denen 8/9 Juden sind: bei den Zuhältern bestehe das umgekehrte Verhältnis.

Im Warschauer Judenviertel sah ich in einem großen Hof zwei Sukkaus, in denen laut gebetet und gesungen wurde, und in den zugehörigen Wohnhäusern ringsum befinden sich nach lokalkundigster Angabe in verschiedenen Stockwerken 4 Freudenhäuser mit durchaus jüdischem Betrieb. (Dies ist nur als eine Stichprobe unerwünschter Verhältnisse anzusehen.)

Von jüdischer Seite war der Kongreß als solcher völlig unvorbereitet geblieben, trotzdem Sie (als J.F.B.) sich doch monatelang bemüht hatten, eine Vorbesprechung mit den jüdischen Frauenvereinen in Polen herbeizuführen.

Daß eine jüdische Frau eine kurze polnische Begrüßung, eine zweite einen Vereinsbericht vortrug, deckte sich absolut nicht mit Ihrem Vorschlag einer ausführlichen mutigen Stellungnahme zu dem ganzen Fragenkomplex des Mädchenhandels, der nun einmal von jüdischer Seite den anderen Konfessionen gegenüber einer differenzierten Bearbeitung bedarf.

Daß am Tage vor der Kongreßeröffnung sich eine Anzahl polnisch-jüdischer Frauenvereine zu einer Besprechung trafen, ist in dem vorgesehenen Zusammenhang belanglos.

Warschau ist eine Stadt mit 300 000 jüdischen Einwohnern, und da der Hauptrabbiner Universitätsprofessor Dr. Schorr krank war, hatte sich für die Reihe der Begrüßungsreden keine offizielle Persönlichkeit eingefunden, die neben der katholischen Geistlichkeit und der evangelischen Gemeinschaft einige Worte gesprochen hätte! Das kann nur an dem Mangel einer verantwortlichen Vorbereitung gelegen haben, denn die Gemeinde sowohl wie die Loge hätte sicher einen Vertreter delegieren können.

Kurz vor Schluß der Tagung konnte erst der Rabbiner ein paar Sätze zum Gruß sagen, in denen er berechtigterweise vorbrachte, daß die sozialen Verhältnisse unter den Juden im Lande an ihrer sittlichen Verwahrlosung mitschuldig seien, und daß das jüdische Gesetz sich scharf gegen Prostitution und Mädchenhandel ausspreche.

Ich hatte Einsicht in den französischen Text der kleinen Ansprache genommen, weil »man« in bedauerlicher Leisetreterei den ebenso berechtigten wie ohne jede Schärfe vorgebrachten Hinweis des Rabbiners auf die sozialen Verhältnisse im Lande als einen »überflüssigen Angriff auf die Regierung« bezeichnen zu müssen glaubte!

Was nun meine Anwesenheit auf dem Kongreß betrifft, so war sie wegen gewisser Imponderabilien und vielleicht auch sachlich nicht ganz unwichtig.

Als älteste Kongreßteilnehmerin und als einzige Frau, die seit dem Beginn der Bewegung zur Bekämpfung des Mädchenhandels als »habituée« aller VIII Kongresse in Warschau anwesend war, wurde mir der ehrende Auftrag zuteil, die Tagung in kurzer Rede zu schließen. Das war mir Gelegenheit, daß ich, nebst einem kleinen Rückblick auf die Kongreßarbeit und ihre hervorragendsten Träger, sagen konnte, daß bei allem Respekt vor den Aufgaben die sich die Kongresse von je her gestellt hatten, ich persönlich von ihnen nicht immer restlos befriedigt war. »Oft war mir das Tempo zu langsam, ebenso fehlte mir auf den verschiedenen Tagesordnungen immer die Besprechung von Erziehungsfragen, sozialen Fragen, Wirtschaftsfragen und Fragen der Duldsamkeit und Unduldsamkeit.«

Dieser Mangel bestand auch, allen guten Willen zugegeben, bei dem Kongreß in Warschau.

Restlos zufrieden mit dieser Tagung werden nur die Mädchenhändler gewesen sein, die wie man mir erzählte, zur gleichen Zeit in Warschau eine Tagung abgehalten haben sollen.

Mit bestem Gruß unveränderlich Ihre

Bertha Pappenheim
Isenburg 10.10.1930


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