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Noch ein Wort zum Frauenstimmrecht

Von P. Berthold

(1897)

Die Entgegnung, die Frau Stritt mir auf mein in der Nr. 14 der E. K. ausgesprochenen Ansicht über Frauenstimmrecht gab, ist ein Beweis, daß Theorie und Praxis sich oft gegenüber stehen, scheinbar als ließen sie sich nie vereinigen. Doch hat ein übereiltes, überlautes Betonen einer Theorie ihrer Praxis schon oft großen Schaden zugefügt. Daß Frau Stritt in Verkennung der vorhandenen Thatsachen sich darüber erregt, daß nicht jeder die Dinge nur so sieht, wie sie sein sollten, ist psychologisch nicht unerklärlich. Frau Stritt lebt in einem relativ kleinen Kreise von Frauen, in dem in Bezug auf Frauenfrage im Augenblick nichts Neues mehr gesagt und geschrieben werden kann, ein Kreis gebildeter, weitblickender Frauen, in dem die Frauenfrage theoretisch gelöst ist, und die folgerichtig beim Frauenstimmrecht angelangt sind. Mein Berufs- und Pflichtenkreis als Leiterin eines Mädchen-Waisenhauses sowohl als meine Beobachtungen in der sogenannten guten Gesellschaft lehren mich täglich, daß der weitaus größte Teil der Frauen noch keine Ahnung davon hat, daß ein kleiner Prozentsatz ihrer »Geschlechtsgenossinnen« für sie im Kampf steht und welcher Art dieser Kampf ist. Die Reife und Kampffähigkeit der Frau besteht auch meiner Ansicht nach nicht in ihrem Bildungsgrade sondern in ihrer Fähigkeit selbständig zu denken und zu urteilen. Der Glaube an die männliche Autorität muß einer individuellen Auffassung der Dinge überhaupt weichen und damit ein Urteil auch in politischen Dingen vorbereiten.

Als die berühmte Frauenpetition in meine Hände gelegt war, damit ich Unterschriften sammeln sollte, da legte ich sie erst einer Reihe von Damen vor, die sich Alle vorsichtig weigerten, sie zu unterzeichnen (Eine wollte es thun vorbehaltlich der Erlaubnis ihres Mannes!) Nachdem ich dann einer kleinen Versammlung von »Frauen aus dem Volke«, Näherinnen, Schneiderinnen, Putzfrauen ec. den Zweck der Petition erklärt hatte, unterschrieben diese sie, »Weil es doch nichts schaden kann«, weil sie nichts zu verlieren hatten,« und weil sie in mich das Vertrauen setzten, daß ich ihnen »nur gut raten« würde. Wie viele Unterschriften sind auf diese Art zu stande gebracht worden, für diese Petition, die dann als »ein vieltausendstimmiger Aufschrei aus dem Herzen der deutschen Frau« dargestellt wurde. Wie würden diese Frauen sich mit einem Wahlzettel in der Hand verhalten?

Die meisten Frauen stehen in sozialer Beziehung noch auf dem Punkte ihrer Entwickelung, daß sie auf ihre nächsten Pflichten hingewiesen und für ihre höchsten Pflichten erzogen werden müssen. Als Erziehungsmittel für die Arbeiterin nenne ich eine aufklärende Propaganda über die nächstliegenden Ziele der Frauenbewegung (gleiche Arbeit, gleichen Lohn ec.) Organisation zu Gewerkschaften und Anbahnung eines Vereinslebens; für die besitzende Frau: Vereinsleben und Arbeit an einer großen, möglichst centralisierten Armenpflege. – Also Propaganda der That im besten Sinne; für beide mit einander der beständige, unermüdliche Hinweis darauf daß die Arbeiterin und die Bürgersfrau in der Erziehung des heranwachsenden Geschlechtes gleiche Leiden, gleiche Freuden und gleiche Pflichten habe.

Ich glaube nicht, daß dieses mein Programm »die Entwickelung der Frauenpersönlichkeit hemmt« oder uns zu niedere Ziele steckt, wie Frau Stritt fürchtet, ich glaube aber, daß der vorzeitige Gedanke an politische Freiheit, aktives und passives Wahlrecht, viel Unheil anstiften kann. Die oberflächlichen Frauen werden ihn unverstanden auffangen und darüber fruchtlos schwatzen, die unter guter Leitung leistungsfähigen und leistungswilligen Frauen werden, in der ehrlichen Einsicht einer zu großen Anforderung, sich geistig in ihr Schneckenhaus zurückziehen.

Wer sich bemüht, seine Kinder nach ethischen Prinzipien zu erziehen, wird ihnen, so lange sie in ihrem Denken noch unreif sind, Blätter und Schriften, die pädagogische oder ethische Streitfragen behandeln, nicht zu lesen geben, weil unverstandene, halb- oder gar mißverstandene Weltweisheit dem jungen Menschen sehr ungesund ist. Deshalb können und sollen aber Eltern und Erzieher sich doch über die letzten Ziele ihres Strebens aussprechen und verständigen.

Ebenso in der Frauenbewegung.

Den Führerinnen der Frauenbewegung mag als letztes Ziel unser Stimmrecht vorschweben; aber in dieser Beziehung heute schon Forderungen aufzustellen und Propaganda machen zu wollen, ist sicher verfrüht. Die Frauen müssen erst sehen und lesen, hören und sprechen lernen – zielbewußt und selbständig. Ernst, Gewissenhaftigkeit und Gründlichkeit sind nicht spezifisch männliche Eigenschaften, die man sich erst auf dem Forum aneignet, sondern Tugenden, die Mann und Frau gleicherweise vom Hause auf die Öffentlichkeit überträgt.

Erst wenn der größereTeil der deutschen Frauen aus dem Stadium des Erzogenwerdenmüssens in das Stadium der Selbsterziehung getreten ist, dann mögen sie daran gehen ihre politischen Rechte in Anspruch zu nehmen. Solange aber die besten und strebsamsten der deutschen Frauen und Führerinnen einer Partei noch nicht so viel Selbstzucht erworben haben, daß sie eine Debatte nicht ohne persönliche Ausfälle führen können, geben sie sich selbst das Zeugnis politischer Unreife.


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