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Von P. Berthold (Frankfurt a. M.)
1899
Diejenigen, die einer Partei angehören und darum parteiisch sind, können es meist gar nicht begreifen, daß es Menschen geben kann, die lange Zeit lebhaftes Interesse für gewisse soziale Regungen und Bewegungen haben, sogar an einzelnen Arbeitsgebieten teilnehmen können, ohne Gelegenheit zu haben, die Parteien als solche kennen zu lernen und darum unparteiisch geblieben sind. Von solch parteilosem Standpunkt aus betrachtet bot der Königsberger Frauentag (vom 1. bis 4. Okt.) und im Anschluß an diesen die Delegiertenversammlung der Vereine »Frauenwohl« in Berlin (vom 5. bis 7. Okt.) ein sehr schönes, man könnte fast sagen großartiges Bild der deutschen Frauenbewegung. Mit langsamer, feierlicher Sicherheit, eingeleitet und begleitet von allerlei bürgerlichen Ehren wurde in Königsberg der Frauentag abgehalten zugleich mit der 20. Generalversammlung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins. Die Leitung der ganzen Veranstaltung lag in den Händen jener Frauen, die seit Jahrzehnten autodidakt und mit Gegnerschaften aller Art kämpfend vorwärts gedrungen waren, bis sie endlich einen Höhepunkt erreichten, der ihnen heute nicht nur das für die größere Hälfte des Menschengeschlechts erstrebenswerte Ziel deutlich zeigt, sondern auch schon einen schönen Rückblick auf gethane Arbeit gestattet.
In ihrer »Verteidigung der Rechte der Frau«, in dem Kapital über nationale Erziehung sagt Mary Wollstonecraft:
»Um den sozialen Aufbau im Gleichgewicht zu erhalten und um aufklärende Lehren zu verbreiten, von denen allein das bessere Schicksal der Menschen abhängig ist, muß es den Frauen gestattet sein, ihre Kraft in der Erkenntnis zu finden. Das kann aber erst geschehen, wenn sie an den Bestrebungen der Männer teilnehmen.«
Die Wege, um zu Erkenntnis und zu Einsicht zu gelangen, sind verschieden. Man kann von praktischen Erfahrungen ausgehend Regeln und Gesetze abstrahieren, die zu allgemeinen Grundsätzen führen, und man kann lediglich auf dem Wege der Spekulation zu demselben Resultate gelangen.
Der Allgemeine Deutsche Frauenverein ist seit Jahren den Weg der praktischen Erfahrung gegangen und jeden Fußbreit der neuen Bahnen für die Frau hat er in stetiger Arbeit errungen und verdient. Das Recht auf Arbeit, auf selbständigen Erwerb, das Louise Otto Peters als Deutsche zuerst auch für die deutsche Frau in Anspruch nahm, ist als Forderung langsam in der Bewegung lebendig geworden, die wir heute als Tendenz der sozialen Hilfsarbeit zu so bedeutender Wichtigkeit herangewachsen sehen. Auf diesem Boden der Arbeit, die den Zweck hat die Frauenwelt zur Selbsthilfe zu mobilisieren und sozialen Schäden vorbeugend und heilend zu begegnen, – auf diesem Boden stehend haben die Gründerinnen des Allgemeinen Deutschen Frauen-Vereins zuerst eine Frauenfrage in Deutschland geschaffen und fortschreitend eine Frauenbewegung herbeigeführt.
Generationen von Frauen und unzählige Frauen-Vereine sind seither von dieser Strömung, die von Leipzig ausging, erfaßt worden und sind die Wege gegangen, die sie als Resultierende zwischen individuellen und lokalen Einflüssen einschlagen mußten. Sie haben sich ihr Ziel teils näher teils ferner gesteckt, teils ideelle teils praktische Erfolge angestrebt und das Programm des Königsberger Frauentages bot in knappem Auszug ein Bild der umfassenden Thätigkeit und der weitgehenden Beeinflussung von Intelligenzen, die der Allgemeine Deutsche Frauen-Verein zu seiner Interessensphäre heranzuziehen verstanden hat.
Im Laufe der Verhandlungen und Versammlungen in Königsberg kamen ausnahmslos alle Gebiete zur Sprache, die in Sachen der Frauenfrage Mittel oder Zweck, Weg oder Ziel sein können: die Frau in der bürgerlichen Gemeinde, Rechtschutz und Arbeiterinnenschutz (Fabrikinspektion), Gymnasialbildung und Fortbildungsschulen für Mädchen, Bestrebungen zur Hebung der Sittlichkeit, Volksunterhaltung, Reform des Kostkinderwesens, Fürsorge für jugendliche Gefangene, Armenpflege, Erschließung neuer Erwerbsquellen für die Frau, – alle diese Gegenstände wurden entweder in Vorträgen und Referaten oder auch nur im Laufe lebhafter Diskussionen der Versammlung zu geistiger Anteilnahme vorgeführt und haben zweifellos in einen großen Kreis von Zuhörern und Zuhörerinnen neue Anregung getragen. Die Aufgabe, die ein solches Arbeitsprogramm an die Frauen stellt, das sich in seiner Zusammenfassung als das Streben der Frau nach politischer Freiheit in rechtlicher Gleichstellung mit dem Manne zusammenfassen läßt, ist eine so große, daß sie alle Kräfte für sich in Anspruch nehmen muß um in einheitlicher Front sich das Vorwärtskommen zu sichern.
Bei der Größe der Aufgabe und den vielfachen äußeren und inneren Schwierigkeiten, die sie darbietet, einerseits, bei dem aber von jedem Standpunkte aus sich gleichbleibenden letzten Ziel, ist die Thatsache einer Spaltung innerhalb der Frauenbewegung selbst eine sehr zu bedauernde Wahrnehmung.
Statt daß heute, wo das Verständnis für die Pflichten und Recht zu wachsen beginnt, statt daß heute alle Führerinnen ihren ganzen Einfluß daran setzen, das Interesse der großen Masse einheitlich auf die wichtigsten praktischen und idealen Ziele der Bewegung zu konzentrieren, statt einmütig zusammen zu stehen, sehen wir seit kurzem, wie innerhalb des Bundes der Deutschen Frauen-Vereine eine Anzahl von Vereinen im Begriffe stehen, sich unter der Führerschaft des Berliner Vereins »Frauenwohl« abzulösen, um als »Verband« gesonderte Wege zu gehen. Dieses Fähnlein von Streitern nennt sich gerne die »Radikalen« oder »Jungen« und blickt voll Geringschätzung auf die »Alten« oder »Gemäßigten«. Das Hühnchen verachtet das Ei, aus dem es geschlüpft ist.
Die Notwendigkeit der Gründung dieses Verbandes wurde in der Berliner Delegiertenversammlung in einigen »Thesen« dargethan, in deren erster »die kraftvolle Vertretung der neuen Ideen und der neuen Formen des Handelns« für den weiteren Fortschritt der deutschen Frauenbewegung gefordert wird.
Die »neuen« Ideen sind die Aufnahme der Sittlichkeitsfragein das Programm der Frauenarbeit, die Forderung des Stimmrechtes , die Gründung von Mädchengymnasienresp. Mädchenrealschulen und die Förderung des Arbeiterinnenstandesdurch eine gemeinsame Arbeit der bürgerlichen Frau mit der Arbeiterin.
Einige vorzügliche Rednerinnen beleuchteten mit Geist und Wärme die einzelnen Gegenstände; doch was sie sagten, war nur insofern neu, als sie verschwiegen, daß jede der »neuen« Ideen auch in Deutschland schon Vertreterinnen gefunden hatte.
Für die Sittlichkeitsfrage hat Frau Bieber-Böhm schon lange und viel gekämpft. Fräulein Mellien hat ihre Studien über Gefängniswesen und ihre Vorschläge zur Erziehung der Jugendlichen unter den Verbrechern schon vor 2 Jahren zur Weiterbearbeitung der Oeffentlichkeit übergeben. Die Forderung des Stimmrechtes für die Frau als Equivalent für die Erfüllung unserer bürgerlichen Pflichten ist als letztes Ziel allen Frauenrechtlerinnen ein vertrauter Gedanke; und der Hinweis des Vereines »Frauenwohl« auf die Notwendigkeit der Errichtung von Mädchengymnasien ist der Frauensache selbstredend sehr günstig, doch wenn in dem bez. Referat die Erfolge der schon bestehendenMädchengymnasien ebenso wie diese selbst nicht ignoriert worden wären, hätte die Forderung noch bedeutend an Relief gewonnen.
Was nun die Aufforderung zur Organisation der Arbeiterinnen betrifft, so war es ein Mann, der der Frauenversammlung im Reichstagsgebäude die Beschämung ersparte, daß in Berlin dieser Gegenstand berührt wurde, ohne daß man der Frau gedachte, die die Arbeiterinnenfrage thatsächlich als neueIdee in das Programm der Frauenbewegung einführte, der Frau Jeannette Schwerin .
Vergleicht man unbefangen die beiden Arbeitsprogramme, wie sie sich in Königsberg und in Berlin zeigten, so muß man sie prinzipiell identisch finden, und man könnte zu der Annahme gelangen, die »radikale« und die »gemäßigte« Frauenbewegung stelle zwei Versuche zur Lösung der Frauenbewegung dar: die Vertreterinnen der einen wollen den Berg an der steilsten Stelle kühn erklimmen, die Andern wollen ihn auf Serpentinen sicher ersteigen. Für einzelne Kraftmenschen mag ja so eine wagemutige Erstbesteigung großen Reiz haben, aber eine große untrainierte Menschenmenge soll man nicht auf Pfade führen, wo die Wahrscheinlichkeit besteht, daß der größere Teil marode wird und marschunfähig liegen bleibt. Und die Frauensache braucht eine große, leistungsfähige Gefolgschaft.
Aber mit der Erklärung für das Bestehen einer radikalen Richtung in der Frauenbewegung ist für die Verschweigungssünden in der Berliner Delegiertenversammlung noch keine Erklärung, noch viel weniger eine Entschuldigung gefunden, und diese läßt sich auch nicht finden, da die psychologischen Gründe den Thatsachen gegenüber nicht ausreichend sind. Da die Zweiteilung in der Frauenbewegung der Sache selbst durch Kraftverlust schadet und Parteihader sie in den Augen der Welt herabsetzt, so wäre es sehr wünschenswert, wenn die zaudernden und die stürmenden Elemente in absehbarer Zukunft sich nicht mehr störend, sondern ergänzend und sich gegenseitig fördernd treffen wollten.
In beiden Lagern dürfte man bald einsehen lernen, daß die Frauenbewegung heute schon einen sozialen Faktor darstellt, der an Wichtigkeit und Bedeutung schon weit über die Persönlichkeit einzelner Führerinnen hinausgewachsen ist.
Wem die gerechte Sache lieb ist, trete bescheiden an den Platz, wo aus einfacher, gewissenhafter Pflichterfüllung ein Anspruch auf Rechte folgerichtig und unabweislich eintreten muß. –