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Einige Stunden später, nachdem das frühe Abendbrot in den Zimmern der Königin vorüber war, finden wir in einem etwas entlegenen Gemach zwei Damen wieder, von denen die eine Frau von Marseeven ist.

Ihr gegenüber in der breiten und tiefen Fensternische, die ein kleines Zimmer für sich bildete, ruhte eine Dame, die wir näher beschreiben müssen, da Jugend und Schönheit ihr dazu ein volles Recht geben.

Es war Urica, Gräfin von Casambort. – Wir erinnern an die Beschreibung des Herrn von Marseeven, und sie war so richtig, daß man fast augenblicklich bei ihrem Anblick an das wundervolle Titianische Meisterwerk erinnert ward, wodurch der stolze Vater seine Tochter der Nachwelt erhalten hat.

Die Gräfin Urica hatte ein bewundernswürdiges Maaß der Größe und es verhielt sich zu der jugendlichen Fülle ihrer Formen in dem schönsten Verhältnis

Sie hatte die Farbe des Haar's, welches das Geheimniß der venetianischen Schönheiten ist, da nur die Bilder dieser Frauen dies goldene Blond zeigen, welches zugleich den warmen Teint zu geben scheint, der bei leuchtender Weiße von wallendem Blute durchströmt wird.

Urica trug die reiche Fülle dieser goldenen Flechten mit Perlen durchzogen, weit von der Stirn zurückgestrichen, um den Hinterkopf gewunden und durch zwei goldene, mit Smaragden und Rubinen verzierte Nadeln gehalten. Die Wellen dieses üppigen Haares waren auf der Mitte des Kopfes durch einen schmalen Reifen von großen Smaragden und Rubinen gehalten, woran eine Tropfen-Perle von unschätzbarem Werthe auf dem Rande der Stirn hing. Vielleicht war es die Absicht, diese frei zu erhalten, aber es hatten sich von dem weggestrichenen Haare kleine Ringeln losgelöst – kaum Löckchen zu nennen, so durchsichtig, so wie Goldfäden glänzend, so leicht, daß der Athem des Nachbars sie zittern machte.

Die Stirn war hoch und rund – ein Sitz des Nachdenkens; eine lichte Tafel, worauf das Leben schon eine stolze Schrift geschrieben. Die Form des Kopfes, das volle Oval des Gesichts mit der kleinen feinen Nase war entzückend – das Kinn rund und etwas gehoben, darüber ein voller blühender Mund, der mit gesenkten Mundwinkeln, trotzig geschlossen, doch wie der Bogen des Amors auf alle Männerherzen wirkte, und der, wenn er sich öffnete, wenn ein Lächeln ihn milderte, einen wunderbaren Liebreiz aufschloß – die Augen waren jene runden, halb geschlossenen Venusaugen, blau mit langen braunen Wimpern – ein tiefer, unergründlicher Brunnen – eine Qual – weil man ihnen Alles zutraute und immer voll Erwartung hineinsah, um das Geheimniß nicht zu versäumen, wenn es auftauchen werde – darüber standen die feinen Linien der Augenbraunen, sie thaten auch, als wären sie bloß da, den schönen Bau der Stirn zu begrenzen, aber wie verstärkte ihre ebenmäßige Linie den Eindruck dieser Schönheit.

Sie trug ein rosenfarbenes Unterkleid, welches mit Silber gestickt war und darüber von goldbraunem Sammt ein offenes Ueberkleid, worauf die Stickerei von Gold war – die Aermel bildeten über dem feinsten Spitzengrund ein Netz von braunem Sammt, den am Handgelenk ein breites Band von Rubinen und Smaragden hielt – die schönste jugendliche Büste war mit einem kaum wahrnehmbaren Schleier überspannt, der sich in den mit reichen Spangen von den erwähnten Steinen gehaltenen Busenlatz verlor.

Der kleine Fuß in dem goldenen Schuh war auf ein sammtnes Kissen gestemmt – zurückgebogen in ihre Kissen stützte sie den gesenkten Kopf, während das Kinn in der reizenden Hand ruhte. Wolken lagen verständlich auf ihrer Stirn, der Mund zeigte hartnäckigen Widerstand und wir können außer Zweifel darüber sein, wovon Frau von Marseeven mit ihrer sanften, bittenden Stimme zu ihr redete.

»Was kann es euch schaden, wenn ihr die arme bekümmerte Frau sprecht,« fuhr sie so eben fort – »es liegt oft in dem Anblick einer Person eine Ueberredung, gegen die alle andern Beweisgründe gering sind.«

»Ich will mich aber nicht überreden lassen!« rief die Gräfin von Casambort, einen Augenblick den Kopf aufrichtend – »ich hasse es, mich durch diese unbestimmten Eindrücke leiten zu lassen; ich kann mein Gefühl bezwingen, wenn die Anerkennung der Wahrheit dies von mir fordert; aber ich will zur Wahrheit auf anderm Wege kommen, als auf diesen lügenhaften Mitleids- und Gefühlswegen. – Auch irrt ihr euch, Muhme, wenn ihr glaubt, ich erführe leicht von persönlichen Eindrücken Umwandlung meiner Ueberzeugungen, vielleicht könnte ich – wenn ich so unglücklich sein müßte, solchen gemeinen Menschen verwandschaftliche Rechte zugestehen zu müssen – ihnen eher gerecht werden, wenn ich sie nie zu sehen brauchte – mein Widerstand wird aber unüberwindlich werden, wenn ich den Greuel solcher persönlichen Berührungen ertragen muß.«

»Urica,« sagte hier Frau von Marseeven, so streng die sanfte Frau es vermochte, »habt ihr auch das Recht, euch so eigenwillig Zugeständnisse zu machen, und habt ihr allein Rechte? Haben diese vom Leben gemißhandelten Frauen nicht ein noch heiligeres Recht nach so langer, schwerer Verschuldung des Schicksals gegen sie?«

»Das ist es eben,« sagte Urica und nahm ihre vorige Stellung wieder ein – »Heil'ger Gott! wenn ich denke, sie wären es! und ich – ich, die vom ersten Bewußtsein meiner Kindheit an für ihr grausames Schicksal die Gerechtigkeit des Himmels anflehte – die mit der ganzen lammherzigen Sippschaft haderte, die zu verzagt war, sie aufzusuchen, zurückzufordern – und jetzt – jetzt, da ich sie finde, gemißhandelt, unterlegen dem fürchterlichen Einfluß – jetzt erfüllt mich ihre Nähe mit Abscheu, Widerwillen und mit dem heißen Wunsche, sie verleugnen zu können; das ist fürchterlich – fürchterlich!«

»Nun also,« sagte Flavia – »wenn ihr das Unrecht fühlt, dem ihr unterliegen könntet, so wahrt euch, überwindet euch – denn so bleibt ihr in Widersprüche verstrickt.«

»Und diese sind nicht für mich« – sagte Urica, sich gegen das Fenster biegend – »Unentschlossenheit entsteht daraus und ich will lieber einen Irrthum zu bereuen haben, als dies entnervende Gefühl herrschen lassen. – Aber ich schwöre euch zu Gott, Muhme, noch bin ich unschuldig; mein Widerstand ist Ueberzeugung – ich glaube fest, das sind geraubte Papiere; Alle sind Betrüger. Wer weiß, wo meine theuren rechten Verwandten schmachten oder gar als Märtyrer zum ewigen Schlafe in kühler Erde ruhen.«

»Arme Urica!« sagte Frau von Marseeven, zu ihrer alten Sanftmuth zurückkehrend – »das müssen schreckliche Bedenken sein – und wie soll man euch darin noch ferner zu Hülfe kommen. Cornelius Hooft, der die Mutter der jungen Frau sah, ist ganz bezaubert von der edlen Erscheinung.«

Urica hatte sich forschend zu Flavia vorgebogen – sie prüfte ohne bösen Willen die Angabe. »Ja,« sagte sie dann muthlos zurückfallend – »wenn nur dieser weise, kluge, erfahrene Cornelius Hooft nicht ein so unerträglicher Narr mit Frauen wäre, daß er ihnen gegenüber all' seine Kardinaltugenden umsonst hat – eine weiße Stirn – ein breites Augenlied – weg ist er.«

Flavia konnte ein Lächeln nicht bezwingen; aber sie schüttelte den Kopf – es sollte eine kleine Vertheidigung sein. Urica aber streckte ihr beide Hände entgegen und sagte mit ihrem gewinnendsten Blick: »Muhme, du bist ein wahrer Engel und um deinetwillen zermartere ich mein armes Herz, um es nachgiebig zu machen.«

Die edle Frau wollte nun gerade nicht bitten, da Urica ihr die Gewalt dieser Bitten verrathen – sinnend nahm sie eine der kleinen, schönen Hände Urica's und betrachtete sie, wie man ein Kunstwerk anschaut und tuppte in die zart gerötheten Grübchen unter jedem Finger.

»Sonderbar,« sagte sie dann – »ihr, Urica, habt dasselbe Zeichen, wie alle Frauen des Hauses Casambort – euch fehlt an eurem niedlichen kleinen Finger jeder Hand das dritte Glied. Eure Urahnfrau, wird erzählt, habe dies Glied eingebüßt, indem ihr eine Elfenkönigin, welcher sie in ihrer Geburtsnoth beistand, einen kleinen Rubinring an den Finger steckte, der so klein und zierlich war, daß die kleine Königin das Fingerchen der Ahnfrau darnach einrichtete. So lange ich die Frauen eurer Familie kannte, fehlte ihnen immer, wie auch euch, dies dritte Glied, ja, was noch mehr ist, man erzählte, immer die älteste Casambort bekäme den Ring vererbt, aber sie könne ihn bei Lebzeiten nicht verschenken, denn er wiche nie wieder von dem Finger, dem er einmal angesteckt wäre – erst der Leiche zog man ihn ab, und dann paßte er der Aeltesten, welche der Entschlafenen nachkam, sie mochte nun eine Frau, ein Mädchen oder ein Kind sein.«

»Solche Familien-Legenden finden sich fast in allen alten Geschlechtern vor, aber sie haben etwas Geheimnißvolles, was sie der Wahrheit näher bringt, wenn forterbende äußere Zeichen in der Familie wahrnehmbar werden. Kanntet ihr diese Üeberlieferung?«

»Ob ich sie kenne,« rief Urica lebhaft, indem sie rasch aufstand – »ob ich sie kenne? Wie oft ist sie mir erzählt worden. Jetzt – jetzt, Muhme Marseeven, will ich die beiden Frauen sehen – morgen so früh als möglich. Hier – hierher kann die jüngere Frau kommen – dann – wenn das gewiß ist, gehe ich und sehe die andere.«

»O, es wäre entsetzlich – entsetzlich!« – rief sie und warf sich der Frau von Marseeven in die Arme – »aber eben so entsetzlich, wenn ich sie verleugnete!«

»Das denke ich auch und bin froh, daß euer besseres Gefühl ohne Ueberredung zum Durchbruch gekommen ist,« sagte Frau von Marseeven, ahnungslos, daß sie doch die Entscheidung herbeigeführt hatte.

Beide Frauen behielten keine Zeit zu Erklärungen, denn die Gräfin Comenes trat ein und kündigte ihnen an, daß die Königin wünsche, die Damen zur Nachtruhe zu entlassen.

Beide gingen nun nach den Zimmern der Königin, wo bereits die englischen und holländischen Herren und Damen des Gefolges aufgestellt waren und die Königin erwarteten, die mit Herrn von Marseeven in ihrem Geheimzimmer eine Unterredung hatte, welche die Ungeduld der Hofleute in Bewegung setzte.

Jetzt aber öffneten sich die Thüren und die unglückliche Henriette trat an der Seite des Herrn von Marseeven, dessen letzten Worten sie noch mit gesenktem Kopfe zu horchen schien, langsam in die Versammlung.

Sie hatte den unverkennbarsten Ausdruck der Erschütterung, und ihre auffallende Blässe hob sich gegen ihr dunkles Haar noch mehr, welches ohne Schmuck war – wie beklommen ihre Brust war, verriethen die Alles beobachtenden Hofleute an den aufgenestelten Agraffen ihres Mieders – wie zerstreut sie war, an den entblößten Armen und dem feuchten Schnupftuche, welches sie in der Hand behalten hatte.

Aber Alle, die ihre dermalige schwierige Lage kannten, mußten gerührt sein von der Selbstüberwindung, womit sie ihren Schmerz niederzudrücken schien, um der Gegenwart und den versammelten Personen gerecht zu werden. Jedes Wort, was sie sprach, bebte leise und war so rührend und weich, wie der Ton, mit welchem eine Mutter ihr Kind entläßt.

»Meine edle, liebe Casambort« – sagte sie und legte auf Urica's Arm ihre Hand, so erschöpft, als wolle sie sich stützen – »du bist meinem müden Herzen Erquickung – du blühst wie eine Rose im Juni – und man könnte an unvergängliche Reize glauben, wenn man deine Schönheit betrachtet. Der Sonnenschein, meine Liebe, glüht noch über deinem Scheitel – du hältst Mißgeschick noch für eine Fabel alter Leute oder für eine Dummheit einiger Schwachköpfe, die du nicht zu fürchten hast.«

»Und Euer Majestät gelten für die größte Menschenkennerin?« entgegnete die Gräfin herausfordernd –

»Nun,« sagte die Königin und blickte noch einmal und prüfender auf Urica – »willst du sagen, ich habe das eben nicht bewiesen? O, geh – geh, was du wohl Kummer nennst? Wollte dein Schooßhündchen heute keinen Biscuit essen – oder bellte er aus Eifersucht den unglücklichen Argyle an, als er dir knieend sagte: du seiest schön wie die Göttin der Liebe?«

»Solche Veranlassungen zum Kummer wollten wir uns schon verbeten haben,« unterbrach fast zu hastig die Gräfin diese Scherzrede – »eure unterthänige Dienerin hält sich ziemlich entschlossen Thorheiten vom Herzen ab – aber ernstere Veranlassungen bleiben dem Leben keines Menschen fremd und der Kummer erreicht früh oder spät das festeste Herz.«

»O, du hast Recht – du hast nur zu Recht!« rief die Königin mit einem so erschütternden Tone, als strömte sie darin die ganze Qual ihres Herzens aus. – »Sonst – sonst träumte man von einzelnen Menschen, die Gott auf eine Höhe stellte, wo der Schmerz sie nicht erreichte, damit sie geschickt blieben, den Kummer und die Leiden Anderer zu lindern; aber das ist lang her – oder immer eine Fabel gewesen – und doch sind wir so schlechte Tröster, wenn wir selbst unglücklich sind!« Sie hielt noch immer den Arm Urica's, und man fühlte, sie war wieder zerstreut von eignen Gedanken.

Urica bückte voll Theilnahme auf die unglückliche Frau, die nun eben ihre Augen zu ihr aufschlug – »Vergieb mir,« sagte sie, ihre Hand zurückziehend – »das Alter möchte sich an der Jugend erwärmen – der arme Mensch will so gern das Glück entdecken und irgendwo, wenn auch nur für einen Andern festhalten können, aber es bebt wie Blütenstaub durch die Luft – jeder streckt nach seinem Besitze die Hand aus, aber in jedes Hand wird es zum Staube, der höchstens in einem leicht verschwindenden Duft unsere Sinne auf kurze Zeit belebt. Ach! Urica – es ist lang her, daß ich jung war – ich dachte, als ich dich sah, Jugend bekäme vielleicht mit dem Duft die Blume.«

»Jung bin ich,« entgegnete Urica, um die Königin abzulenken – »aber Alle habe ich begraben, die zu mir gehörten – und bin eine Witwe! Welch ein Irrthum, die Jugend für glücklich zu halten! – Jedes Leiden, was wir zuerst erleben – und sei es gering – findet einen tieferen Eingang in unserm weichen ungeprüften Herzen – o wie schwer – mit welchem leidenschaftlichen Schmerz fügen wir uns grade in das erste Unglück! – ein Unglück, so klein und gering, daß, wenn wir es am Abend eines Lebens wieder erkennen, es uns so wichtig erscheint, wie das, was Euer Majestät erwähnten: daß etwa das Schooßhündchen keinen Biscuit essen wollte.«

»Argyle,« sagte die Königin zu dem jungen Herzog, der an ihrer Seite stand – »ist sie nicht weise wie eine Matrone? Aber hat sie auch Recht?«

»Die Gräfin hat das Unglück geschildert, und ihm zu einer Gerechtigkeit verholfen, die mich zweifeln läßt, ob sie es wirklich kennen lernte,« sagte der junge Mann – »ich im Gegentheil behaupte, nichts ist klein und unbedeutend, was wir in der Jugend erleben, und nur die Jugend kennt den Schmerz – das Unglück! sie spielt mit Allem, Gewinn und Verlust um Leben und Tod – nicht mit halber Resignation erfaßt sie, was sie begehrt – ganz oder nichts ist ihre Loosung! – und dieser Sinn erweckt auch große Widersprüche im Leben und die chaotischen Umwälzungen, deren Gestaltung sie handhabt. Nein! auf das wahre Unglück in unserer Jugend werden wir auch im Alter nicht mitleidig hinblicken, als wäre es eine Thorheit des Augenblicks gewesen!«

»Wenn man diese jungen Leute sprechen hört, Gräfin Comenes,« sagte die Königin lächelnd – »so müssen wir alten Leute bei ihnen in die Schule gehen, denn sie wissen durchaus Alles zu nennen, was wir Zeit unseres Lebens mit stiller Prüfung ansahen. – Aber trotz ihrer vorgeschrittenen Gedanken suchen sie doch gern Schutz unter unsern ruhenden Flügeln – was würde aus ihnen, wenn wir sie eben so ausgebreitet hielten, als sie? – Vertraut mir doch, liebe Comenes, ob das stolze Kind hier auch, wenn sie handeln soll, so von Weisheit strotzt, wie wir eben vernahmen?«

»O, in Wahrheit,« sagte die Gräfin Comenes – »diese junge Dame beschämt das Alter. Euer Majestät sehen in mir, als Rathgeberin, eine sehr unnütze Person – ich behalte blos das Vergnügen, zuzusehen, wie Jugend und Verständigkeit so schön neben einander kleiden.«

»Und du willst, so begabt, nicht glücklich sein?« sagte die Königin fast zärtlich, indem sie einen Augenblick die Hand auf Urica's Stirn drückte.

»Die Gräfin vergißt das einzige Mittel, glücklich zu werden!« rief Argyle – »sie will nicht glücklich machen! Wer das übersieht, wozu er bestimmt ist, wird das auch nicht für sich selbst nützen können, was eben erst dadurch volle Kraft für den Besitzer gewinnt, daß es zum wahren Leben gelangt!«

»Welche Anklage, Argyle?« rief die Königen lachend – »Heil'ger Gott, Mann! Du läßt mich fürchten, daß du Richter und Partei in einer Person bist! – Und womit vertheidigst du dich, schöne Witwe!«

»Vertheidigen?« rief Urica, und wendete sich halb zum Herzog von Argyle, um ihren vollen Stolz von der Königin ab, und ihm zuwenden zu können – »vertheidigen? Kann davon die Rede sein, wo keine persönliche Beziehung stattfindet, und jede Bemerkung unpassend wird, die dies Gespräch aus der Allgemeinheit der Betrachtungen heraus lenken will? Euer Majestät haben gewiß allein das Recht, meine Antworten zu erwarten, wenn sich diese Unterhaltung auf mich zu beziehen anfängt!«

»Nun haben wir sie böse gemacht! – Frau von Marseeven, helft mir, eure reizbare Muhme besänftigen!«

»O, Verzeihung!« sagte Urica schnell, indem sie sich zu der Hand der Königin niederbeugte – und diese ging lächelnd und ihr drohend vorüber, um dann Alle zu verabschieden, und sich in ihre Gemächer zurückzuziehen. –

Auch Urica betrat ihr Zimmer und eilte, nach Luft sich sehnend, zu dem großen Bogenfenster, dessen weit geöffnete Flügel den Blick gewährten in den Hof. Es war der wärmste duftendste Sommerabend, und über die niedrige Häuserreihe der gegenüber liegenden Hofseite wehte ein belebender Wind von der See her, deren weißes Spiegelbild gegen den dunklen Himmel zu entdecken war. Auf dem Hofe selbst herrschte jetzt tiefe Stille, aber in der Stadt lebte noch eine heitere Aufregung fort, und ferne Musikchöre wechselten in muntern Weisen mit einander ab. Urica's Auge hing an dem hellen Streifen am Horizont, der ihr das Meer verkündigte, und ein tiefer Seufzer drang aus ihrer Brust, und sie drückte dann einen Augenblick ihre Hände gegen die heiße Stirn.

»Er hat Recht! er hat Recht!« sagte sie dann gepreßt – »aber ich kann nicht – ich kann nie anders! Eine geheime Stimme sagt mir, er ist nicht der Rechte – was ich fühle, ist keine Liebe! Er ist so stolz und selbstsüchtig, so eitel und sicher mit Frauen! Es geht nicht! Wenn er das Recht hätte, so stolze und anmaßende Worte sagen zu dürfen, wie eben – wenn ich schweigen müßte, wegen seines Rechtes an mir – ich würde todt hinstürzen vor Qual!« – Sie setzte sich in eine der Fensterbänke und ihre Blicke richteten sich in den Hofraum. Der Mond verklärte den weiten Raum mit seinem klarsten Licht und die ganze Ausstattung desselben, wie sie heute der glänzenden Empfangsscene gedient hatte, war davon erhellt. Urica wurde gegen ihren Willen davon angezogen; die Scenerie machte jetzt – leer von all' den treibenden Menschen, die sie vorher belebt, einen wunderlichen Eindruck. Die Stadt hatte nicht für nöthig gefunden, ihre glänzenden Ausstattungen gegen die Nacht zu schützen, denn in dem gewölbten Bogen des Portals stand eine Ehrenwache der Bürgermiliz. Um den goldenen Thron hingen die golddurchwirkten Vorhänge, der Boden und die Sitze waren bedeckt mit ihren kostbaren Kissen und Teppichen, und vor Allem die leeren Armstühle, welche den Thron umgaben, in der magischen Beleuchtung des Mondes, machten einen unheimlichen Eindruck. Sie schienen ein Geistergericht zu erwarten, und sie machten auf Urica den Eindruck, als wäre ihr Anblick mehr ernsthaft drohend, als erheiternd festlich.

Dies waren ihre Empfindungen, als sie sich in den Anblick vertiefte, und sie hatte Mühe, ein kleines Grauen zu überwinden, denn ihre Phantasie war heute nicht zu zügeln. Alte Eindrücke erwachten – so in der Mitte eines Platzes pflegte man das Schaffot zu errichten – da saßen die Richter umher – »mein Gott, wohin gerathe ich,« rief sie plötzlich schaudernd – »wie konnten diese Wahnsinnigen gerade so ihre Huldigung anordnen – so gerade in einem Halbkreis umher die Richter – Gott, so – so muß es gewesen sein, wie sie mir's so oft beschrieben, als Barneveldt fiel und du – armer, schuldiger Gröneveld!«

Ihr sinnendes Auge suchte durch festen Blick die Geister zu verscheuchen, die aufgestiegen waren, und unter den leblosen Gegenständen, die sie angeregt, bewegten sich jetzt zwei Personen, welche von ihr früher unbemerkt, aus dem Seitengebäude getreten sein mußten und so geräuschlos wie möglich hinter dem Throne herumschlichen und sich der Haupttreppe nahten. Die Schildwache an den ersten Stufen rief sie an und sie hörte die Parole »Königin« von einer bekannten Stimme erwidern. Als sie auf der weißen Marmortreppe emporstiegen, bog sich Urica vor und sah neben dem jungen Herzog von Argyle eine große männliche Gestalt, die einen Mantel verhüllend, um sich geschlagen hatte, aber dennoch das Priesterkleid einen Augenblick verrieth. »Es ist der Beichtvater der Königin,« sagte sie traurig – »o, Henriette, bist du nicht aus den Fängen dieser unerbittlichen Partei zu retten? Du ahnst ihren verderblichen Einfluß – du fühlst, daß sie dich auf Abwege lenken – du suchst andern Rath, weil du das Verderbliche des ihrigen fürchtest; aber kaum hast du dich ihnen gegenüber gestellt, so packt dich die Reue – tief halten sie dich fest – du hoffst vergebens, dich von ihnen loszumachen. Alvari – kalter, stolzer Heuchler – du wirst alle Weisheit des edlen Marseeven einpacken und sie in deiner Kutte mit dir forttragen. Du hast die arme, schwache Königin mit dem Lichte spielen lassen, du wußtest es vorher, sie sank mit gebrannten Flügeln zur Erde – wer einmal sich in eure trügerischen Arme warf, dem habt ihr die Kette angeschmiedet, die kein Hammerschlag, keine Feile wieder trennt – ihr macht sie lang und kurz und laßt euren Gefangenen daran forttaumeln, daß er sich frei wähnt – endlich zieht ihr sie an und er fühlt, es ist keine Rettung – das ewige Zeichen der Knechtschaft würgt an seinem gesunden Leben und er muß sich ergeben, um nicht von euch geopfert zu werden.«

Schmerzlich bewegt sank Urica in ihre Kissen zurück – wie viel Erfahrungen hatten der früh Gereiften die bittern Worte eingegeben!

Da öffnete sich die Thür und eine der Frauen Urica's trat ein und meldete, der Herzog von Argyle sei mit einem Befehle der Königin vor der Thür.

Urica schreckte empor – »um diese Stunde?« fragte sie erstaunt – »und von der Königin?«

»Von Ihrer Majestät der Königin,« erwiderte das Mädchen – »der Herr Herzog haben einen Auftrag an Euer Gnaden – es sei auf Befehl.«

»Ich zweifle nicht,« sagte Urica, von einer unbezwinglichen Empfindlichkeit erfaßt – »aber die Stunde ist dennoch nicht passend. – Wo ist die Gräfin Comenes?«

»Sie hat sich gleich zur Ruhe begeben und klagt über Unwohlsein – «

»Bitte den Herrn Herzog, dir seinen Auftrag mitzutheilen – ich werde ihn durch dich erfahren können,« sagte Urica nach einer Pause – »doch,« setzte sie schnell hinzu – »merke dir wohl jedes Wort – er kommt von der Königin.«

»Der Herr Herzog müssen diesen Befehl Euer Gnaden vorausgesehen haben, denn er hat mir gleich gesagt, er könne seinen Auftrag nur Euer Gnaden selbst abgeben.«

»Wie hartnäckig!« sagte Urica vor sich hin – »er ahnt meinen Widerstand – aber auch hier wie überall will er seinen Willen durchsetzen und doch – wenn die Königin etwas Dringendes wünschte – darf ich mich ihren Befehlen entziehen?«

»Gertha,« sagte sie entschlossen – »führe den Herzog ein – und du und Ulla nehmt mit eurer Spindel an jenem Fenster nach dem Wall hinaus Platz. Doch erst zünde die Kerzen über dem Kamin an und setze dem Herzog hier vier Schritt vom Fenster ab einen Sessel hin.«

Schnell hatte Gertha Alles besorgt und der eintretende junge Mann bedurfte nur eines Blickes, um alle Anordnungen der vorsichtigen Urica zu überschauen. Ein kaum merkliches ironisches Lächeln zog um seinen Mund – an dem Lehnstuhl vorüber, den ihm Urica, indem sie aufstand ihn zu begrüßen, andeutete, ging er, ohne darauf zu merken, vorüber und dem Fenstersitz gegenüber Urica sich nahend, verneigte er sich, kniete nieder und sagte zwischen Spott und Zärtlichkeit: »Hetzet nicht euer Schooßhündchen auf mich, gestrenge Schönheit – ich habe den Auftrag von der Königin, euch diese Rose zu bringen.«

»Von der Königin?« sagte Urica und in ihrem Tone lag ein unwillkürlicher Zweifel –

»O, zweifelt nicht! Argyle hätte nie den Muth zu so verwegener That – es ist auf Befehl, ich bin der Bote.«

Die Gräfin Urica fühlte sich ungemein gekränkt durch dies ganze Verfahren – sie sah sich wie verspottet und in ihrer weiblichen Zartheit gekränkt an – stolz erhob sie sich, und indem sie die Rose mit einer Verbeugung nahm, sagte sie: »Da der Herr Herzog Botendienst übernommen hat, so bringt er wohl der Königin meinen unterthänigsten Dank – und nun, Herr Herzog, haben wir Beide den Befehl Ihrer Majestät erfüllt.« – Damit verneigte sie sich abermals und schritt langsam gegen die Thür des Nebenzimmers vor, und der Herzog konnte natürlich nicht in Zweifel sein, daß gemeint sei: sie habe nun auch mit ihm weiter nichts zu sprechen und er sei verabschiedet.

Doch dieser junge Mann war einer von den gefaßten Gegnern der schönen, stolzen Gräfin, und er begleitete sie daher, ruhig neben ihr herwandelnd, bis zur Thür, wo sie stehen blieb – dies that er auch – Urica fühlte, daß er ihre Ruhe bravire und der Zorn stieg kaum bezähmbar in ihr auf.

»Auf morgen denn, Herr Herzog,« sagte die Gräfin und legte ihre Hand auf den Drücker der Thür –

»O nein, theure Gräfin,« sagte er jetzt in leichtsinniger Weise – »nicht das war die Absicht der Königin, als sie mir in dieser Rose den Schlüssel zu eurer Thür übergab – sie wollte mir Gelegenheit geben, euch zu sehen und zu sprechen.«

»Wenn die Königin eine Unbesonnenheit beabsichtigte,« sagte Urica und biß unwillkürlich in ihre Lippen – »so bedingt das nicht, daß ich sie durch mein Betragen anerkenne.«

»O, um Gotteswillen!« rief der Herzog im selben Ton – »haltet ein; wie entstellt dieser Tugendaufwand eure Schönheit – ich – der ich verschmachte nach einem Lächeln eures göttlichen Mundes, ich, der ich diesen schrecklich langweiligen Tag hingekeucht habe unter diesen gesteiften Bürgern mit ihren vergoldeten Späßen und gellendem Jubelgeschrei – ich verdiente in Wahrheit eine kleine Erquickung, um nicht auch den Abend hinzusterben an Ueberdruß und ungewohnter Plage.«

»Ich glaube, Mylord,« sagte Urica mit gleichem Stolz – »daß euch der Anblick eines freien Volkes ein ungewohnter Anblick ist – und ich bedaure, daß euch die Ergießungen harmloser Freude, welche meine edlen, stolzen Landsleute blos nach dem Willen ihres Herzens abmessen, langweilig waren – freilich ist in dem Lande, woher ihr kommt, die Stimme des Volkes erstorben und statt der gesteiften Bürger ziehen zürnende Rotten durch die Straßen – und nicht vergoldete Späße, wie ihr es nennt, sind zu sehen, nicht Jubelgeschrei wird gehört – sondern der traurige Ton eiserner Waffen.«

Urica hatte sich gerächt – aber es ist eine alte Erfahrung, daß, wer seinem zürnenden Herzen vollständig genug thut, schon das Maaß der Vergeltung überschritten hat, und daß wir zu unserer Strafe fast in dem Moment, wo wir unserm Zorn genug gethan, schon einsehn, daß wir zu weit gegangen, und daß wir dadurch gegen den in Nachtheil getreten sind, der uns herausforderte.

»Woran erinnert ihr mich so schonungslos?« sagte Argyle und wendete sich von ihr – langsam ging er dem Fenster zu, sank auf dem Sitz darin nieder und stützte den Kopf in die Hand.

Argyle war eine männliche Schönheit, die geistreichen Frauen am gefährlichsten wird. Er war keine von jenen regelmäßigen Antinousbildungen, die in ihrem vollkommenen Ebenmaaß, ihrer reinen Farbenpracht fast zugleich den unerläßlichen Anspruch ihrer makellosen Schönheit zur Schau tragen und durch die sich schonende pflegende Sicherheit, womit sie jeden Triumph über weibliche Herzen ohne weitere Bemühung erlangt glauben, ein sittsam stolzes Herz zu einem meist glücklichen Widerspruch reizen, der ihre Schönheit unschädlich macht.

Argyle mußte man erst häufiger sehn, um zu begreifen, daß er gefährlich sein konnte, und sein gleichgültig anspruchsloses Wesen, was alle Aufmerksamkeit von sich abzuhalten schien, bewirkte grade bei den Frauen, daß sie sich, ohne Gefahr zu fürchten, mit ihm beschäftigten.

Er war von mittler Größe, und obwohl noch jung, doch mehr kräftig und fest, als zierlich gebaut – diese Figur konnte aber seinen Jahren voraus in der Haltung etwas hochmüthig gebietendes haben, wenn auch gewöhnlich eine gleichgültige Nachläßigkeit diese Eigenschaft verdeckte.

Er hatte langes, rabenschwarzes Haar, welches schlicht von der Stirn gescheitelt niederfiel. Diese Stirn war hoch und schmal und eine charakteristische Nase, die fein gebogen und lang, fast zu schmal erschien, gab der Stirn eine noch größere Bedeutung – die langen, weitgeschnittenen Augen waren dunkel, mit langen Augenwimpern, graden Augenbrauen – ihr Ausdruck war nicht im Zusammenhang mit dem des Mundes, der, schmal aber schöngeformt, etwas geheimnißvolles hatte. Sie konnten hinreißen in Weichheit, in Güte und Zärtlichkeit – sie konnten Flammen und Blitze schleudern und es blieb in ihnen etwas tückisch Lauerndes zurück – sie konnten höhnen und in Kälte und Uebermuth schauen – sie waren nie dieselben, aber sie zogen eben deshalb an und man war neugierig bei jeder Veranlassung zu erfahren, was sie sagen würden. Seine Farbe war blaß und gelblich von der Stirn bis zum Kinn – nur selten rötheten sich bei Gemüthsbewegungen seine Wangen – er ward dann fast schön. Er hatte noch etwas unregelmäßiges, was ihm nicht zum Nachtheil gereichte – ungewöhnlich schmale, fein gebaute Hände, die aber eine überraschende Muskelkraft besaßen.

Aehnlich seiner ganzen Erscheinung war seine Kleidung; man hätte ihn nicht besorgt darum halten können, und dennoch verstärkte sie immer die Bedeutendheit seiner Erscheinung.

Heute trug er ein schwarzes Sammtwamms mit Gold gestickt und mit violetter Seide durchzogen – der Mantel von violettem Sammt mit Goldstoff gefüttert – Beinkleid, Strümpfe und selbst Schuhe nach der damaligen Mode von weißer Seide mit Goldstickerei – das Degenband war eine bunte Mosaik von Edelsteinen – Kragen und Manschetten von feinen Spitzen – das Barett mit einer weißen Feder geschmückt.

Urica hätte Zeit gehabt, diese Bemerkungen selbst zu machen, denn so wie der Ausbruch seines Schmerzes die höhnenden Stachelreden Beider unterbrochen hatte, ging in ihrem Herzen eine mächtige Veränderung vor. Auch sie sandte immer erst den Pfeil ab, ehe sie über die blutende Wunde sich entsetzte und mit dem heißen Verlangen erfüllt ward, sie heilen zu können.

Urica blieb an der Thür stehen und blickte zu ihm hinüber, und in ihren Augen lag eine Offenbarung der Gewalt, die ihr geworfener Gegner eben darum über sie erlangt hatte. Aber sie kämpfte mit der Nachgiebigkeit nicht mehr aus Stolz, sondern aus Beschämung.

Da richtete sich Argyle auf – seine Augen suchten sie – o, wie schön war sie, als er sie fand; so blaß wie der Schnee ihrer Schultern, die Arme niederhängend, und diese Augen, die so groß, so mächtig werden konnten, auf ihn gerichtet mit einer rührenden Bitte um Verzeihung.

»Urica,« rief er und im Augenblick war er bei ihr und führte sie zu ihrem Sitz zurück und knieete vor ihr nieder und sie blickten sich versöhnt in die Augen.

Beide verhärteten sich so leicht und es bedurfte dann erst eines mächtigen Schlages, daß die weicheren Quellen des Herzens flossen; solche Menschen und solche Situationen bekommen dann leicht etwas überschwengliches, sie fühlen sich in ihrer endlichen Niederlage wohl, die Anstrengung des Widerstandes macht einer süßen Hingebung Platz, in der sie sich ausruhen, und als ob sie fühlten, der Zustand werde nur vorübergehend sein, ergründen sie ihn wie zum Andenken; Leidenschaften hat Jeder nur wider Willen.

»Könnt ihr mir vergeben, Argyle?« sagte Urica mit bebender Stimme – »ich fühle es tief, was ich gethan, darum bitte ich euch, hindert meine Reue nicht – sie ist groß – «

»Urica!« rief er mit der höchsten Weichheit – »edles hochherziges Weib – erst vergebt mir, denn ich bin allein der Schuldige – ich habe euch muthwillig gekränkt, verletzt – ich habe wie ein roher Knabe euer edles Blut gereizt, bis ihr den edlen Schrei der Rache ausstießet. Nein, nicht ihr,« fuhr er fort, Urica unterbrechend – »ich – ich muß eure Vergebung anflehen.«

Argyle bewies, daß harte Männer am hingebendsten sind, wenn sie endlich den Uebergang gefunden – auch klagen Männer überall sich dann am heftigsten und unerbittlichsten gegen Frauen an, wenn sie ihres zärtlichen Widerspruchs gewiß sind und sie ihre Rechtfertigung kaum zurückweisen können, und sich nur zu erleichtern brauchen, uns ihre Liebenswürdigkeit darzulegen.

»O,« sagte endlich Urica mit der tiefen Wahrheit ihres Gefühls – »es wird mich nie rechtfertigen, daß ich – die Freundin, die Vertraute eurer edlen Schmerzen um euer unglückliches Vaterland – daß ich diesen Schmerz benutzte, um euch zu strafen für eine kleine Neckerei.«

»Hab' ich euch nicht selbst herausgefordert, indem ich euer Geburtsland angriff, ja lächerlich zu machen suchte, gegen meine Ueberzeugung, da Alles, was ich heut gesehn, erlebt, mir so ehrwürdig, ach – so beneidenswerth erschien?«

»Durfte mich das irren?« sagte Urica – »sah ich euch nicht? stand ich nicht an eurer Seite bei unserm Einzug – mußte ich nicht Alles wissen, was in euch vorging – ach und konnte ich den Tadel über mein freies gesegnetes Vaterland wohl so tief empfinden, als ihr den leisesten Vorwurf über das eure, an dessen Gebrechen ich euch krank darnieder liegend weiß?«

»Ja eben, weil ihr wußtet, wie ich empfand, mußten meine Ausfälle noch persönlicher werden – euch noch tiefer kränken, denn sie galten nicht der Sache, sie galten als Mittel meiner bösen Laune gegen euch.«

Dies Eingeständniß war zu wahr, als daß es nicht Urica ohne Erwiderung hätte lassen sollen – nach einer Pause sagte sie mit einer Milde, die sie unendlich verschönerte: »Und womit hatte ich euren bösen Willen verdient?«

»Mit nichts – als mit eurer göttlichen Schönheit selbst – mit Allem, was mich entzückt, elend, glücklich, verzweifelnd und berauscht macht! Ich, der ich das Murmeln der Bewunderung höre, wo ihr erscheint, die bezauberten Männer sehe vom Höchsten bis zum letzten Knecht im Volke, und daß selbst Frauen in euch verliebt werden wie diese Königin, die euch liebkost, als wäre sie euer Geliebter; das macht mich rasend – weil ich fühle – ich – ich unter Allen liebe, bete euch am meisten an und zürne mir doch deshalb, weil ich mich in meiner Kraft dadurch gebrochen fühle – weil meine Gedanken von Allem, was sie denken sollten, umwenden, um über das Löckchen auf eurer Stirn, über das Blinzeln eurer Venus-Augen nachzudenken. Mit Verzweiflung fühle ich mich so verstrickt durch euch, so ums Leben gebracht durch euch und will es zuletzt nicht dulden; ich versuche es, euch zu hassen – ich will euer Götterbild zertrümmern, um wieder frei zu werden – ein Mann, wie ich vorher war – dem Glück entsagend, dem Vaterlande geweiht, gefaßt, mit ihm und seinem Geschick verschlungen zu werden. Dann suche ich durch harte Worte euch zu reizen, daß ihr zürnen, mich wieder kränken sollt – aber wie schön seid ihr in eurem Zorne – zu euren Füßen möchte ich niedersinken, wenn ich euch zu kränken scheine, und mich selbst verwünsche ich im geheim, weil es Einen giebt – obgleich ich es selbst bin – der euch zu widerstehen unternimmt.«

Er hatte bei den letzten Worten sein Angesicht verhüllt und der leidenschaftliche Ausbruch seines Gefühls hatte ihn verhindert, die Wirkung auf Urica zu beobachten. Sie war nicht durch die ungestüme Darlegung einer so glühenden Leidenschaft zu gewinnen. Es zog sich etwas in ihrem Herzen wieder zusammen, welches erweicht gewesen war durch den Vorwurf unedler Rache, den sie sich glaubte machen zu müssen. Ihr nur in Freiheit leicht athmendes Herz fühlte die Leidenschaft Argyle's wie heiße, schwere Luft, wie eine ihr aufgebürdete Last, wie eine Verantwortlichkeit. Gewohnt Liebe zu erregen und überall bewundert zu werden, hielt sie in ihrer wahrhaft jungfraulichen Sprödigkeit doch die Annäherungen der Männer, wozu die Meisten Lust hatten, von sich ab und darum grade hatte sich die stolze, kalte Seite ihres Aeußern mehr noch entwickelt. Sie würde erstaunt, vielleicht gekränkt gewesen sein, wenn ihr irgendwo die Huldigung versagt worden wäre – aber diese sollte wie ein Cultus aus weiter Ferne sie berühren.

Dennoch hatte Argyle eine andere Stellung gegen sie angenommen – und dennoch sprach er zum ersten Male von seiner Liebe zu ihr – und nachgiebiger mußte er Urica geträumt haben.

Urica hatte den Grafen in England kennen lernen und in ihm einen weitläufigen Verwandten gefunden.

Der Zustand Englands war so auf die Spitze getrieben, daß seine Verwickelungen jedes Privatverhältniß berührten und das herrschende Gespräch des Tages waren.

Argyle mißbilligte im höchsten Grade die Schritte des Hofes und war dennoch ein Anhänger der königlichen Familie. Er hatte Verstand, Scharfsinn und ihm war durch frühere glückliche Entwickelung eine richtige und vorurtheilsfreie Beurtheilungskraft zu Theil geworden. Urica's ganze Richtung zog sie zum Nachdenken über politische Zustände hin – und der junge Herzog fand in ihr eine aufmerksame, teilnehmende Zuhörerin, und erstaunte über ihre Auffassung, die sie weit über die gewöhnliche Bildung ihres Geschlechts erhob.

Hier glaubte Urica den Mann gefunden zu haben, der es nicht sein erstes Geschäft sein ließ, einer Frau zu huldigen. Sie glaubte ihn so von höheren, heiligeren Vaterlandsgefühlen beherrscht, daß er ein junges Weib zu seiner Vertrauten machen könne und ihre Reize darüber vergessen. Dies war die Art der Huldigung, die sie noch nicht erlebt, und sie fühlte gegen den Mann, der sie ihr mit Behauptung seiner eigenen Würde darbrachte – zum erstenmale das schöne weibliche Gefühl der Hochachtung, der Demuth. – So sollte der Mann sein, dem sie ohne Entwürdigung sich unterordnen konnte – frei, wie sie sich selbst fühlte und behaupten wollte – über das kleine persönliche Interesse der Liebe hinweg, von großen Weltinteressen bewegt und ihnen zugewendet in That und Gedanken – das mußte die Atmosphäre sein, in der sie ein innigeres Verhältniß zu einem Manne denken konnte. Argyle schien es ihr zu bieten – er hatte, glaubte sie, den ersten Eindruck ihrer Schönheit überstanden, ohne, wie alle Andern, in eine jämmerliche Auflösung von Liebesnoth zu gerathen – er hatte ihr statt Liebe Geist – statt der Verse Politik – statt Heirathsanträgen Verbindungen geboten für die höchsten Interessen des bedrängten Vaterlandes. Ja, das war der Mann, der endlich fest stand für sich – nicht abhängig von dem Zucken ihres Mundes – und das war der Mann, von dem sie ohne Erröthen die Liebe wollte kennen lernen, wie sie dies Gefühl verstand – die großartige, feste, erhabene Liebe, die uneigennützig, ohne Pläne und Wünsche für den Besitz in der Freude über die Eristenz des Gegenstandes besteht.

Wenn Argyle nicht auf dieser ersten kühlen Höhe des Gefühls zu bleiben vermochte – bemerkte doch Urica die Uebergänge nicht, die ihn schon davon entfernt hatten, denn ihr Verhältniß war noch von ihrem Charakter beschützt, in dessen Natur Selbstständigkeit, Freiheit und Unabhängigkeit lag. Durch die Vertraulichkeit, die der Austausch ihrer Gedanken, ihrer Sorgen, ihrer Pläne veranlaßt, war aber unwillkürlich eine Reibung entstanden, die gefährlicher als Jugend und Schönheit die Leidenschaftlichkeit in ihnen reizte. In dem Maaße, wie Argyle fühlte, daß Urica zugleich ein vollkommen schönes Weib sei und das erste Gefühl glühender Liebe in ihm werde, in dem Maaße war er fast erzürnt über seine Niederlage und bestrebt, das Wesen zu beherrschen, dessen Herrschaft er fürchtete.

So wie Urica sich durch Argyle in gewöhnliche Männerkünste, Wechsel der Laune, unberechtigte Vertraulichkeiten, kalte Zurücksetzung und launenhafte Wiederkehr der früheren schöneren Haltung verflochten sah, unterlag sie nicht wie so Viele und so viele Liebenswürdige ihres Geschlechts, sondern sie nahm mit Fassung den Kampf an – und das Strankett in der sichern Hand flogen die Federbälle des guten Herzogs meist auf seine Stirn zurück.

Dennoch blieb Urica über diese Kämpfe hinaus im Verbande einer Freundschaft zu ihm, die aber schon mehr dem gemeinschaftlichen Interesse angehörte und ihm noch immer das beglückende Verständniß erhielt, das nur eines Blickes bedarf, um die Uebereinstimmung zu verrathen. Die letzte Zeit hatte Urica in dieser Beziehung wieder sicherer zu ihm gestellt, weil sie ihm bereits auf dem vaterländischen Boden Dienste zu leisten vermocht hatte und Worte und Handlungen nun in ihr sich vereint zeigten und den festen Ernst, den starken Willen eines Mannes beglaubigten.

Urica wollte nicht von Argyle geliebt sein, und sie mußte es sich immer mit züchtigem Ernste wiederholen, daß es nicht Liebe sein könne, was sie ihm zu bieten habe – sie wollte daher sein Gefühl – großmüthiger als der stolze egoistische Sinn eines Mannes es zu ahnen vermag – sie wollte sein Gefühl für sie nicht zur Liebe steigern, nicht um den Preis seiner männlichen Selbstständigkeit erweckt sehen.

Wir kommen nun auf den Moment zurück, der plötzlich den von einer lang unterdrückten Leidenschaft überwältigten Mann vor Urica verrieth – und wir werden sie jetzt vielleicht verstehen, wenn wir sagen: Urica fühlte sich durch diesen Ausbruch, der sie zur Herrscherin über ihn setzte, weder erfreut noch erhoben – sondern merklich abgekühlt, und die Wahrheit ihres Charakters und die damit so leicht vereinte Rücksichtslosigkeit ließen sie nur daran denken, diese Scene zu beendigen.

»Steht auf, Mylord von Argyle,« sagte sie – »ihr vergeßt meine und eure Stellung – lassen wir diese gewöhnlichen Ausbrüche des Gefühls, die uns Beide auf einen Boden hintreiben möchten, auf den wir nicht hingehören und auf dem die großen Interessen, die uns vereinigen und beschäftigen, sich schlecht ausnehmen möchten.«

Argyle horchte auf diese Worte, und der jähe Uebergang, den sie in ihm bewirkten, drohte ihn zu ersticken. Er sprang auf und sah sie an, als müsse ihr Anblick ihm die Wirklichkeit des eben Gehörten erst bestätigen – er fand, was er fürchtete – die Ruhe, die ohne allen Kampf erlangt wird und auf Kälte schließen läßt. Und er hatte sich eben ihr hingegeben wie noch nie, er hatte sich schwach ohne allen Rückhalt gezeigt, er war nichts gewesen als ein verliebter Knabe, der alle seine Mittel, sie zu quälen, ihr verrathen und sie ihr selbst als Ursache der Ausbrüche seiner rasenden Leidenschaft aufgedeckt. Nach diesen Geständnissen mußte sie ihm für immer mit dem vollsten Gegengeständniß ihrer Liebe angehören – oder das seinige blieb eine unerträgliche Profanation, ein ewiger Widerhaken in seiner Brust, der die Wunde aufgerissen erhalten mußte. Ha! dachte er – ist es nicht möglich, sie zu hassen – dann wäre ich zu retten – hassen! hassen – verfolgen – mich dann rächen für diese verschmähten Augenblicke – das schien ihm Rettung – aber sie war auch aufgestanden und lehnte über den Sitz am Fenster, als habe sie weder gesehn noch gehört, was ihn stachelte. Der Mond warf sein volles Licht auf ihr Gesicht – und darin war keine Spur von Hohn, Triumph oder Verachtung – es war ein rührender Ausdruck von Trauer darin, ein Kummer fast und ein Nachdenken so ernst und tiefsinnig.

»Heil'ger Gott!« mußte er gegen seinen Willen denken – »und dies Weib konntest du mit dem Wahnsinn der Liebe zu rühren hoffen – von dieser erhabenen Seele die Hoffnung der Erwiderung fordern. Sie soll fühlen, wie Tausende um sie her – an Empfindungen sich verlieren, die sie der großen Sphäre des Gedankens entreißen! – Ha! welch ein Wahnsinn, das zu wollen!« – stieß Argyle gegen seinen Willen laut heraus –

»Was?« fragte Urica und wendete sich ernst zu ihm –

»Ha!« rief Argyle – »zu wollen, daß ihr fühlen sollt wie ein liebend Weib.«

Urica senkte die Augen und schwieg einen Augenblick – »Argyle,« sagte sie dann sanft, aber mit einem Ehrfurcht gebietenden Ausdruck – »verwirrt nicht die einfachen Anschauungen, die mich mein Geist, mein Herz lehren. Macht mich nicht wankend durch eure Aeußerungen in dem, was ich für Liebe halte – das Eine müßte ich fürchten als eine gemeine Knechtschaft der edlen menschlichen Natur – das Andere möchte ich gern festhalten als eine heiligende Kraft der Seele, in deren Besitz der Mensch sich erst recht seiner göttlichen Natur in freier Thätigkeit zu seiner Selbstvollendung entwickeln kann – ich möchte diese letzte Art der Empfindung gern als Liebe anerkennen, ich möchte sie empfinden und festhalten – ob für euch? Vergebt mir – aber ich weiß es noch nicht und muß bezweifeln, daß meine antheilvollen Gefühle für euch so zu nennen sind – aber ich widme sie auch bis jetzt keinem andern Manne.«

»Urica!« rief der Herzog überwältigt und versöhnt. –

»Entfernt euch,« sagte Urica – »kein Wort weiter.«

Die Frauen erhoben sich, ihm das Geleit zu geben. Als Urica allein war, hob sie Hände und Augen gen Himmel und verdeckte dann ihr Angesicht damit, »O, daß es keinen Mann giebt, der es werth ist, geliebt zu werden!« rief sie dann mit dem schneidendsten Ton des Schmerzes – und lange hing sie noch, vom Monde beschienen, in dem einsamen Fenstersitz, und als sie aus ihrem Sinnen erwachte, fiel ihr mit Erstaunen auf, daß ihr Tuch feucht war und sie geweint haben mußte.

*


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