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Wir wollen den nun folgenden Zeitabschnitt und die darin sich langsam gestaltenden Verhältnisse in dem alten Hause der Purmurand nicht in der Reihenfolge kleiner Begebenheiten mit durchlaufen, die hier besonders nöthig waren, um einen andern Zustand der Dinge herbeizuführen.

Wenn wir nach Verlauf von zehn Jahren dies Haus wieder betreten, werden wir das Verhältniß, was wir vorfinden, leicht in seiner Entstehung beurtheilen können, und es wird uns weniger ermüden, wenn wir nur einzelne Data nachzuholen nöthig haben werden.

Es war wieder Herbst und jene graue, neblige Zeit, wo der Morgen kaum Licht bringt und die Häuser die feuchte Kälte annehmen, die empfindlicher als Frostluft, den Körper durchdringt.

Susa, die etwas blasser und hagerer geworden war, und deren Kleidung grob und abgetragen, sogar geflickt war, kniete fast, wo wir sie verlassen, vor dem großen Kamin in dem Banquetsaal. Sie hatte ein kleines Feuer vor einem großen starren, eichenen Holzklotz gemacht, woran die Flamme vergeblich nagte, denn das Wasser lief zischend an ihm nieder und nur das sehr fein gespaltene Holz, was sie daran lehnte, gab so viel Flamme, um die Morgensuppe daran zu kochen. – Kraft und Heiterkeit waren aus diesem Antlitz verschwunden, und tiefe Schwermuth und Schüchternheit waren darauf ausgeprägt.

Der Raum, den wir kennen, hatte in seiner Ausstattung gewonnen. Es stand in der Mitte ein passender eichener Tisch, mit eben solchen Stühlen umgeben; einige Schränke waren zu sehen und gegen das Fenster stand ein tiefer gepolsterter Lehnstuhl, ein Paar Kissen mit verblichener Stickerei, ein Arbeitskörbchen und einige dürftige Spielsachen auf dem Boden daneben. Alte gewirkte Tapeten, die nur mit Mühe durch Susa's nicht ruhende Nähnadel zusammen gehalten waren, hingen vor den Fenstern und waren mit einigen Versuchen von Geschmack aufgenommen.

Die Scheiben der Fenster waren noch eben so erblindet als früher, und keine Ueberredung hatte die Erlaubniß erwirken können, sie zu reinigen, so daß sie fast undurchsichtig geworden waren und die vollständigste Trennung von der Straße veranlaßten. In einem der Schränke standen einige Geschirre und ein anderer enthielt leinen Zeug.

Ein dürftiger Vorrath von Holz lag hinter dem Vorsprung des Kamins und war in kleine Bündel gebunden; nur eins dieser Bündel durfte den Tag über verbrannt werden, und das Steigen der Kälte machte darin keine Veränderung.

Noch war Susa allein; aber sie hörte Schritte über den Gang, der von Jakobs Kammer hierher führte, und daß sie schnell zusammen zuckte, ihre sinnende Stellung verließ und ein paar Brände zurückwarf, verrieth eine Gemüthsbewegung.

Sogleich trat Jakob van der Nees ein. Sein erster Blick fiel auf den Heerd und er erwiderte Susa's Morgengruß nicht, sondern näherte sich, um die Brände, die noch vor dem Suppentopf lagen, zurückzuwerfen. »Die Suppe ist fertig« – rief er – »und du verschwendest noch den theuren Brand! Das alte feste Zimmer enthält noch die Hitze vom Abendfeuer, und jetzt überheizest du es noch durch deine Verschwendung.«

Susa löschte schweigend die kaum glimmenden Brände, und Jakob, der dies erst abgewartet, wendete nun sich gegen das Zimmer in der Hoffnung, sich über neue Uebertretungen erzürnen zu können, indem er schon immer den Kopf schüttelte, obwohl er zu seiner Täuschung nichts entdecken konnte.

Susa war bereits aus dem Zimmer geschlüpft und die Treppen hinauf zu dem Schlafzimmer ihrer Gebieterin, um ihr und der kleinen Angela beim Aufstehn und Ankleiden behülflich zu sein.

Unterdessen wollen wir Jakob van der Nees betrachten, der jetzt ungefähr dreißig Jahr alt war, den man aber für viel älter halten mußte, da sein Rücken schon gekrümmt war und sein scharrender, schlurrender Gang ihn zum alten Manne machte.

Sein Gesicht war noch düsterer, und gewöhnlich hing, wie bei allen speculirenden Leuten, der Kopf auf die Brust über. Noch immer besaß er die riesige Körperkraft und eine Abhärtung, welche unterhalten wurde, indem er sich jeden Morgen in das ummauerte Wasserbecken des kleinen Hofes stürzte und sich von der eiskalten Flut baden ließ. Er war nicht mehr der armselige Spediteur, den wir damals kennen lernten; er fand sich auf dem Kaufhause ein und war vereideter Kaufmann.

So lange er gezaudert hatte diesen Schritt zu thun, der ihn einer Unbedeutendheit entriß, die ihm viel Vortheil brachte, ließen sich doch größere Unternehmungen, nach denen es ihn seither gelüstet hatte, nur auf diesem Wege erlangen. Sein Ansehn war in Folge der Jahre und einer ganz zuverläßigen kaufmännischen Thätigkeit jetzt ungefährdet, und trotz seiner Vorsicht und den immer erneuten Versuchen, sich als armen Mann darzustellen, oder Verluste anzudeuten, welche er erlitten haben wollte, ließen sich die gewiegten Handelsleute durch solche Mittel nicht verblenden, und wie es öfter zu gehen pflegt, den, welchem man früher kaum so viel Mittel zugetraut hatte, seine betheerte Jacke zu bezahlen, ihn war man jetzt geneigt, grade wegen seiner Heimlichkeit, für einen Millionair auszuschreien.

Wie früher, betrieb er all seine Geschäfte allein. Kein Comptoir, kein Schreiber war bei van der Nees zu finden und unmöglich, in dem hermetisch verschlossenen Hause eine Bestellung zu machen.

Jakob van der Nees war nur auf dem Kaufhause und auf den Kornmärkten zu sprechen; nur allein dort machte er Geschäfte, nahm Bestellungen an und unterhandelte mit seinen Mitbewerbern, und kein Mensch durfte ihn um seine häusliche Lage befragen, ohne einem solchen Ausbruch von Grobheit zu unterliegen, daß einige Erfahrungen hinreichten, Alle davon abzuschrecken.

Während Susa an diesem Morgen, wie fast an allen vorhergegangenen, sich entfernte, ihre Gebieterin zu holen, arbeitete van der Nees mit großer Schnelligkeit an ein paar mächtigen Schlössern, welche eine Thür öffneten, die in der Wand einen eisernen Geldschrank verwahrten. Hastig, immer die Augen wieder auf dem Rücken, und in dem Zimmer umherspähend, leerte er die Taschen seines groben Oberrocks und legte leise die schweren Rollen Gold zu den übrigen, und ein scheußlich verzerrtes Lachen und ein kleiner Luftsprung verrieth die Seligkeit, mit der ihn der Anblick des gehäuften Goldes erfüllte. Eben so schnell waren die Thüren wieder geschlossen und er blieb horchend stehn – und ein Glinzern von Erregtheit glitt über das steinerne Gesicht, als er eine jugendliche Stimme hörte und ein kurzes heiteres Lachen.

Er rieb sich die Hände und steckte sie beide zwischen die Knie, indem er sich krümmend, und die Augen auf die Thür gerichtet, einer Art Lustigkeit überließ. Sie ging auf, und vor den Frauen her flog die junge zehnjährige Angela mit einem fröhlichen Satz gerade auf van der Nees zu, der einen kurzen Schrei der Freude ausstieß und sie in seinen beiden Armen empfing und mit der Habsucht, worein sich auch dies einzige Gefühl der Liebe, was er kannte, verwandelte, an sein Herz drückte.

»Nees! mein lieber Nees!« rief das Kind und strich mit ihren feinen Händchen sein starres Gesicht – und küßte seine niedrige Stirn und spielte mit der völligsten Gleichgültigkeit gegen sein abschreckendes Aeußere mit dem ihr ganz hingegebenen Manne.

Unterdessen hatte die unglückliche Mutter Angela's, von Susa geführt, an dem eichnen Tische, zunächst dem Kamin, Platz genommen, und bog sich nun zu der Gruppe, die van der Nees mit ihrem Kinde bildete, und lächelte Beide an.

Aber dies Lächeln hätte dem, der es zuerst sah, das Herzblut stocken machen können, und Nees schien das noch jetzt etwas zu fühlen; denn er richtete sich auf und machte ein wenig verlegen den einzigen Versuch einer Verbeugung, dem er sich überhaupt unterzog.

»Verbergt sie, Nees!« flüsterte sie leise – »verbergt sie, damit sie Niemand sieht – denn ihr wißt, sie ist eine Renier de Gröneveld – und das taugt nicht. Unter den Tisch wollen wir sie setzen, wenn sie kommen, und dann essen wir unsere Suppe und ich und wir Alle lachen, damit Keiner merkt, daß sie unten sitzt. Hört ihr, Nees! so wollen wir es machen!«

»Ja, ja, gestrenge Frau!« sagte Nees – »so wollen wir es machen!«

Seit acht Jahren vielleicht sagte die arme Mutter dies jeden Morgen, und Nees antwortete ihr so, womit sie sich dann beruhigt zeigte.

Brigitta de Casambort – eine Waise – welche nach dem Tode ihrer Eltern mit einer eben geborenen Schwester in das Haus der Barneveldt als Pflegetochter überging, war einst von so bezaubernder Schönheit gewesen, daß sie selbst die Bewunderung des Prinzen von Oranien auf sich zog, und daß vielleicht nur ihre entschiedene Abneigung und ihre spätere Vermählung mit Renier de Gröneveld eine glänzendere Lage von ihr abhielt; denn die Casambort waren ein edles Geschlecht, von großem Kriegsruhm, dem Hause Nassau durch wichtige Dienste verbunden, und daher eine Vermählung mit demselben nicht unmöglich.

Dagegen war Brigitta ihrem Herzen gefolgt, und nur eins hatte das Glück der geschlossenen Ehe getrübt – sie hatte nach einander zwei todte Kinder geboren.

Kurz vor dem Verrath der Verschwörung entdeckte sie dieselbe, und da alle Versuche, ihren Gatten davon abzuhalten, mißglückten, erklärte sie mit dem alten Muth der Casambort, sie theilen zu wollen, denn sie war von Anfang an überzeugt, daß sie nicht gelingen werde, und wollte das Schicksal, welches dann ihrem Gatten nur zu gewiß war, zu dem ihrigen machen.

Obwohl im Begriff, zum dritten Male Mutter zu werden, glaubte sie dennoch ihrem Gatten überall folgen zu können, bis die Beschwerden und Leiden der Flucht die Katastrophe beschleunigten, welche Angela das Leben gab – und so in dem schmerzlichsten Augenblick den lange vergeblich hoffenden Eltern das erste lebende Kind geboren wurde.

Renier de Grönevelds Schicksal ist bekannt, und diese Katastrophe gehört der Geschichte. Wir deuten nur an, daß er grade da, wohin er durch die Hülfe des Jakob van der Nees gelangt war – auf der Insel Vlieland im Begriff nach England zu gehen erkannt, gefangen genommen und nach dem Haag gebracht wurde.

Als van der Nees diese Nachricht empfing, gerieth er in wahnsinnige Wuth. Ohne alle Besinnung und wenig bekannt mit der Schonung Anderer, stürzte er zu der unglücklichen Gattin, welche unter den traurigen Umständen in diesem Hause sich nicht zu erholen vermocht hatte und sprudelte – in wilde Verzückungen verfallend – das entsetzliche Schicksal des Gatten vor ihr aus. Die Folgen zögerten nicht einzutreten; die verzweifelnde Gattin verfiel in eine schwere Krankheit, die um so länger und zerstörender wirkte, da ihr wegen der Gefahr des Verraths kein Arzt zu verschaffen war. Von dieser Zeit an erwartete sie nur noch den Tod des Gatten; auch zeigte sich eine bestimmte Abnahme ihrer Geisteskräfte, und als Jakob endlich nicht anstand, ihr den Henkerstod Reniers mitzutheilen, brach auf kurze Zeit ein entschiedener Wahnsinn aus, der im Lauf der Jahre zu der stillen Geistesstumpfheit überging, die ihre Gedanken und Gefühle kindisch vereinfachte und den Erinnerungen, die ihr geblieben, den Stachel und die wahre Bedeutung benahm.

So finden wir sie fast heiter in den traurigen Umgebungen wieder. Ihr todtenblasses Gesicht ist abgezehrt und eingefallen, und ihr schönes, braunes Haar liegt, erbleicht zum Schnee des Alters, um die hohe Stirn der den Jahren nach noch jugendlichen Frau. Eine grobe, wollene Trauerkleidung deckt den feinen abgezehrten Körper, und vorzüglich sind die mageren Hände noch schön, die leuchtend aus dem groben wollnen Aermel sehen.

Susa sucht noch immer die angebetete Herrin, die von sich selbst so wenig mehr weiß, in ihrer Kleidung dem Range gemäß zu erhalten, den sie gegen Jakobs rohes Ansinnen für sie behauptet – und unter der schwarzen Sammtkappe, die das zarte Oval umschließt, und die schönen, silberweißen Flechten trägt, zeigt sich noch eine kleine Spitze oder ein fein gefaltetes Häubchen.

So ist ihre Erscheinung mit dem ewigen süßen Lächeln um den blassen Mund, mit den arglos sanften, kindlichen Augen immer noch ein schönes, rührendes Bild, was nicht ganz ohne Eindruck auf Jakob bleibt, und die einzige Stütze der armen Susa ist, die allen Schmerz und alles Glück aus diesem Anblick saugt und das Bild der uneigennützigsten Aufopferung darstellt, da die zahllosen großen und kleinen Dienste, welche sie täglich leistet, nicht mehr von ihr anerkannt werden können, und nur eine Art Angst, wenn Susa sich zu lange von ihrer Gebieterin entfernt, ihr die Hoffnung läßt, daß ihre Nähe derselben lieb ist.

Wenn Susa die moralische Kraft des Herzens besaß zu jeder Hingebung an Mutter und Kind, so fehlte ihr doch die Entwicklung der Begriffe, welche ihr Einsicht gegeben hätte, für die bessere Existenz Beider nach außen die geeigneten Maaßregeln zu ergreifen. Nach den schrecklichen Eindrücken, die Susa bei der Flucht und Verfolgung ihres Herrn damals empfangen hatte, ward es Jakob leicht, sie durch die Gefahren, die er ihr bei jedem Schritt nach außen für Mutter und Kind schilderte, von dem kleinsten Versuch abzuschrecken, ihre abgeschlossene Lage zu verändern.

Erst nach Jahren ward es ihr erlaubt, sich auf die Straßen Amsterdams zu wagen, und nun war ihre Einschüchterung und Hoffnungslosigkeit schon zu sehr befestigt, als daß sie einen andern Verkehr gesucht hätte, als den nothwendigen für den Bedarf des Tages.

War sie in dieser Hinsicht ganz in den Händen ihres berechnenden Wirthes, so war er doch auch nicht frei geblieben von dem Widerstande, den Susa seinen empörenden Einschränkungen entgegensetzte. Sie hatte sich gleich zu Anfang des Hauses bemächtigt und ihre erste noch ungeschwächte Kraft benutzt, um ihm Zugeständnisse zu entreißen, die er ihr mit seinem verletzten Gewissen und der Furcht, welche es ihm einflößte, sein Geheimniß von ihr gekannt zu wissen, nicht ganz zu verweigern wagte. In dieser Zeit war die Einteilung des Hauses geschehen, und Susa hatte ein Schlafzimmer für ihre Gebieterin und Angela eingerichtet, eine Kammer daneben für sich; auch hatte das Wohnzimmer die Ausstattung erhalten, die wir erwähnten.

Ihre Gebieterin besaß damals noch einen Vorrath von Geld, den die schlaue Dienerin – welche so bald Jakobs Leidenschaft erkannt hatte – sorgfältig vor ihm verbarg, aber doch so viel nach und nach davon trennte, daß Jakob die Bedürfnisse an Lebensmitteln, Kleidern und Wäsche herbeischaffen konnte, die dringend nöthig waren.

Eine unbezwingliche Scheu verhinderte sie dabei, ihn zur Bestreitung der Kosten von demjenigen aufzufordern, wovon sie wußte, daß es das Eigenthum ihres Herrn war, was er zu sich genommen. Der Blick, den er ihr an jenem schrecklichen Morgen zugeworfen hatte, war in ihre Ueberzeugung gedrungen als ein Todesurtheil für sich und die ihr Anvertrauten, wenn sie wagen würde, ihn daran zu erinnern, und sie fühlte sich nur bestätigt in ihrer Furcht, als sie sicher war, er selbst wolle keinen Gebrauch davon machen zu dem Unterhalt derer, die Anspruch daran zu machen hatten. Mit widerlicher Hast strich er jedes Mal das Geld ein, wenn sie seine Hülfe brauchte, um es in die nöthigsten Bedürfnisse umzusetzen, und leicht konnte sie sehen, wie er diese Dinge so schlecht als möglich anschaffte, um für sich noch Einiges zu erübrigen.

Auch Jakobs Zustand war in dieser Periode nicht beneidenswerth, und man kann in Wahrheit sagen, daß ihm plötzlich völlig unerwartet alles das über den Hals gekommen war, was ihm immer als das entsetzlichste Schicksal erschienen war, was er sich hatte denken können. Er besaß mit einem Male Frau, Kind und Dienerin; damit einen Hausstand voll Bedürfnisse, die ihn anekelten. Und an dem allen doch kein Eigenthumsrecht! Fremd, ohne seine Wahl befand er sich mitten darinnen, bloß von den ihm entsetzlich scheinenden Lasten dieses Verhältnisses gequält.

Oft wenn er Abends seine Kammer betrat, wälzte er sich vor Wuth und Verzweiflung auf der Erde und heulte seinen Zorn in schauerlichen Tönen aus. Hundertmal beschloß er sein und Grönevelds Vermögen zusammen zu thun und davon zu gehen, um an einem andern Orte sein wildes einsiedlerisches Leben wieder anzufangen. Aber der Geizige ist durch den kleinsten Vortheil an die unerträglichste Lage gebunden und ist unfähig, zu einem Entschluß zu kommen, da ihm wohl die Dinge vorgaukeln, die er haben möchte, er aber sich dennoch zentnerschwer gefesselt fühlt durch die Furcht, etwas von dem zu verlieren, was er schon sein nennt.

So ertrug er beim Erwachen, wenn seine Geschäfte ihm sogleich einfielen, auf's Neue die Qualen seiner Umgebung, bis der Tod Grönevelds und der Wahnsinn seiner Gemahlin ihn zu dem Punct führten, sich andere Vortheile zuzugestehn.

Bis dahin hatte er das ihm anvertraute Gut unangerührt liegen lassen, und der Zweifel, der über diesen Punct in ihm herrschte, war eine von den Martern, die ihn verfolgten. Denn indem ihn das teuflischste Gelüste reizte, dies Vermögen unterzuschlagen, beschlich ihn immer wieder ein Grauen, wenn er sich den Besitz ausmalte, und er verwünschte namentlich, daß es dieser Familie angehörte, gegen die er eine so unbezwingliche Schwäche fühlte, wie er es nannte, und immer noch fehlte ihm der Muth des wahren Verbrechers, der sein Gewissen nicht mehr fürchtet.

Auch war es dies nicht allein, was ihn abschreckte, denn er hatte durch die Ansammlung von kleinen Vergehungen diese im Geheim dem Bösen entgegenwirkende Macht schon hinlänglich entkräftet, um endlich ihr gänzliches Verstummen hoffen zu können; es war eben so sehr die Furcht vor Susa's Kenntniß der Sache, wie andern Theils das Ungeschick, was er fühlte, mit so großen Mitteln auch die rechte Stellung dafür zu finden.

Der heimliche Wucher, den er trieb, das Belügen und Betrügen der Andern, die Niedrigkeit, in der er sich erhielt und die so wenig kostete, das waren ihm so reizende Situationen, daß er an dem größeren Genüsse offen zur Schau stehender Reichthümer zweifelte.

Und doch war mit der Besitznahme eines solchen Vermögens dies unvermeidlich, und dieser Kampf zehrte ihn bei seinen wilden Trieben fast auf.

Als der Tod Grönevelds und die Wirkung auf seine Gemahlin eintrat, übersah er augenblicklich alle sich ihm dadurch fast aufnöthigenden Vortheile. Er konnte sich jetzt sogar überreden – was er nicht unterließ – er müsse nun Vaterstelle an der Waise vertreten und ihr Vermögen verwalten, obwohl es nur der Frage bedurft hätte, ob er gesonnen sei, es ihr dereinst auch auszuzahlen, um den jähen Blitz, der ihm das Nein seiner Seele gezeigt hätte, in das schwarze Vorhaben zu senden. Es war ein fürchterlicher Augenblick, als er das Erbe des Geächteten, nachdem er es so oft in Gedanken geraubt hatte, nun wirklich ergriff, und zu den Maaßregeln schritt, die ihm endlich die vorerwähnte Stellung als wirklich vereideten Kaufmann von Amsterdam zuertheilten.

Susa hatte zu dieser Zeit aufgehört, eine gefürchtete Beobachterin seines Treibens zu sein, denn ihr von Schmerz beladenes Herz hatte alle Aufmerksamkeit auf ihre wahnsinnige Gebieterin gerichtet und entzog selbst der kleinen Angela einen Theil der früheren Sorgfalt.

An diesen letztern Umstand knüpfte sich ein neues unerwartetes Verhängniß für Jakob van der Nees an. Susa, die das arme kleine Mädchen nicht immer Zeuge von dem Wahnsinn der Mutter wollte sein lassen, hatte für sie von kleinen Stecken mit daran geknüpften Fäden eine Art Gehege gemacht, wo hinein sie das arme Wesen auf eine Decke setzte und sie bedrohte, oder durch Bitten bewog, nicht aus diesem Bereich heraus zu kommen.

Allein gelassen und von wenigen kleinen Spielereien schlecht unterhalten, fing das Kind oft bitterlich zu weinen an und schaute betrübt nach der Thür, aus der Susa verschwunden war.

Da traf es sich einst, daß Jakob zu derselben Thür hereintrat und das arme Kind, froh über ein Menschenantlitz, und an sein Gesicht längst gewöhnt, zu lächeln begann und die Aermchen nach ihm ausstreckte.

Jakob blieb so erschrocken vor der verständlichen Zumuthung der Kleinen stehen, daß er bis zur Stirn roth wurde. Er setzte sich, etwas näher tretend, in einiger Entfernung von ihm nieder und vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben sah er das verlassene Kind an, das er beraubt hatte.

Gott wollte, daß ihm dies einfiel. Es ging dabei eine große Erschütterung in ihm vor; er rang die Hände und gebärdete sich ganz ungestüm. Angela war aber dadurch unterhalten und lachte, und lallte seinen Namen, und streckte immer wieder die Arme nach ihm aus und drängte gegen das kleine Gehege, um ihn zu erreichen; dadurch strauchelte sie, fiel und verletzte die Wange an einem der Stäbe so, daß sie blutete.

Dieser Anblick brachte Jakob in Verzweiflung. Er stürzte neben ihr nieder und nahm sie vom Boden auf. Zuerst im Leben hatte er vielleicht ein Kind im Arme, und dies Kind schmiegte sich an ihn und er mußte es – verlassen und allein damit – zu beruhigen suchen. Gewiß konnte Jakob van der Nees nichts Wichtigeres erleben, denn er fühlte plötzlich wie ein guter Mensch. Er weinte auf eine gräßliche Weise mit dem Kinde um die Wette – er drückte es an sich – er lief damit umher – er dachte nicht an die kleine Wunde – an Mittel dagegen – er war wie berauscht von dem, was er fühlte, zuerst im Leben fühlte! Er fiel mit dem Kinde auf seine starren Knie – wie die Seele im Fegefeuer schrie er zu Gott um Gnade – er schwur bei seiner Seele Seligkeit, er wolle das Kind nicht berauben – er nannte, sich selbst unbewußt, die lang verkappte That beim rechten Namen, und rief immer fort, sie solle Alles haben, was er besäße, sein Eigenthum dazu!

Und das Kind beruhigte sich, zerstreut durch das Umherspringen Jakobs, durch sein lautes Geschrei, durch sein merkwürdiges Weinen und daß er sie dabei liebkoste; und ermüdet vom Weinen senkte sie das blonde Lockenköpfchen und plötzlich waren alle seine Bewegungen gebunden, denn das Kind schlief. Wie unbegreiflich überraschend kam es ihm vor, daß dies kleine hülflose Wesen ruhig auf seinen Armen eingeschlafen war. Aber er fühlte davon eine Einwirkung, die ihn in einen fast träumenden Zustand versetzte.

Ein schlafendes Kind, sagt man, habe zwei Engel bei sich, einen, – der mit ihm spiele, den andern, der die Menschen beschwichtige, daß ihm kein Leid geschehe.

Jakob fühlte sich in wunderbarer Gesellschaft und ward ganz still, und dachte an gar nichts, als daran, ob er das Kind recht halte und ob er nicht noch leiser athmen könne.

Für die Dauer seines ganzen Lebens entwickelte sich hier das beste Gefühl seines Herzens, und wenn es gegen die stärkeren Verlockungen, deren er nur zu lange schon Gewalt über sich gegönnt, nicht überall Kraft behielt, sich zu behaupten, ward es doch in diesem felsigen Boden die Oase, auf welcher einige bessere Samenkörner aufgingen. Erst als Susa ihre endlich schlafende Gebieterin verließ und leise zur Thür hereintrat, sah sie die unerwartete Gruppe vor sich, und Jakob war in dem Anblicke des schlafenden Kindes so vertieft, daß er die Eintretende nicht eher bemerkte, als bis sie ihn anredete.

Da erwachte er und hätte denken können, ein Zauber habe ihn bethört. Seine rauhe Gewohnheit wollte ihn überfallen, sich das abzuschütteln, was ihm so fremd scheinen mußte; aber sein verbannter Engel war schnell zurückgekehrt und hatte ihm das kleine Zeichen gemacht, was ihn das eben Gewonnene nie wieder gänzlich verlieren ließ.

Als er Angela der erstaunten Susa etwas beschämt überließ, blieb er zögernd stehen und sagte halb zankend und doch ganz leise, aber die Augen immer auf das Kind gerichtet: »Das arme Kind – Susa, du sorgst nicht dafür – es fehlt ihm – vielleicht – sieh nur das dünne, kurze Röckchen!«

»Es ist sein einziges,« sagte Susa trübe – »wenn ich es reinige, bleibt es so lange in seinem Bett, und weint dann immer sehr.«

Jakob verzerrte sein Gesicht und Susa wußte nicht ob er weinen oder lachen wollte – er hüpfte ein paar Mal in die Höhe und schlug gegen seine Tasche – er ward roth und blaß und seine Augen irrten im Zimmer umher, als fürchte er Beobachter – endlich preßte er Susa's Hand, daß sie kaum einen Schmerzensschrei bewältigen konnte und schrie wild, aber immer noch leise: »Susa, schaff' ihr ein neues, warmes Kleid – ein recht liebes, schönes Röckchen – aber sei vorsichtig,« fuhr er hastiger fort – »geh nicht nach einem großen Laden – dinge vorher – nimm auch nicht zu viel – das Kind ist klein – und wächst – bald kann sie es nicht mehr tragen.«

»Ja,« erwiederte Susa, »aber Geld, Herr! Geld für Kleider habe ich nicht übrig; die Nahrung verschlingt Alles!«

»O Susa! warum willst du es leugnen, daß du noch mehr hast, als du angiebst – du bist verschlagen, du kannst es gut verbergen – ich habe nichts finden können,« setzte er sich verrathend hinzu.

Susa lächelte schwermüthig und sagte: »Bald ist das Wenige, was die Herrin mitbrachte, verzehrt, und dann müßt ihr Rath schaffen, denn verhungern können wir nicht, daran denkt bei Zeiten.«

Ein Schrei, von dem Angela erwachte, entriß sich Jakobs Munde, als er diese Worte hörte und ein schneller Anfall von Wuth gab ihn seiner alten Natur wieder hin.

Drohungen, Verwünschungen entsprudelten ihm und die gräßlichsten Schwüre, weder geben zu wollen, noch zu können.

Da faßte ihn Susa dies eine Mal mit der Kraft des Zorns an dem starken Arme und nöthigte ihn, still zu stehen – dann bohrte sie ihm ihre starren, kummervollen Augen in die Seele und schrie mit heiserer, bebender Stimme: »Hüte dich, Räuber! ich weiß, daß du uns ernähren kannst!«

Die feige Seele des Geizigen hält nur so lange den Trotz fest, bis er fühlt, der Andere hat Macht, ihm seinen Besitz zu verkürzen.

Lauernd blieb Jakob stehen und unsicher überlief er die zürnende wackere Magd. »Was träumt dir?« sagte er verzagt; denn nachgerade hatte er sich überredet, Susa, welche immer schwieg, ihn nie hatte ahnen lassen, wie weit ihre Kenntniß reichte, wisse vielleicht nichts und er habe unnütze Furcht genährt.

Jetzt konnte er sie nicht mißverstehen und er wußte gleich, mehr durfte er sie nicht reizen, wenn er eine Erklärung abhalten wollte, die ihm fürchterlicher, wie alles Andere schien, weil er dann keinen Hinterhalt mehr hatte.

»Ist das eine Art, von mir den Lebensunterhalt zu fordern?« sprach er, jetzt nur anscheinend noch scheltend – »denkst du, ich werde euch hungern lassen, so lange ich selbst noch arbeiten kann? Darf ich mir aber gefallen lassen, daß man mir mit Unverschämtheit begegnet?«

Susa hatte ihre Energie schon wieder verloren. Eine tiefe Furcht, ein unbezwingliches Grauen schloß ihr den Mund auf's Neue – ja sie bereute vielleicht, sich dem entsetzlichen Menschen verrathen zu haben.

Als er sah, daß sie schwieg, wuchs ihm der alte rohe Muth und seine Augen blitzten, denn er hatte sich müssen sagen lassen, daß er ein Räuber war, und er kannte zwar nicht die Ehre, aber er kannte den durch diese Worte angegriffenen Besitz. Ihn gelüstete nach Rache und er überlegte und wußte, daß er Susa niederschlagen konnte mit dem Schwingen der Faust, die er schon geballt hatte. Sie sah ihn nicht an, sie bewegte sich nicht; todtenblaß mit gesenktem Kopf stand sie in so tiefen Gram versunken, daß er sie umsonst durch drohendes Näherrücken zu erschrecken suchte. Dies reizte den Feigen immer mehr – und gewiß lag ihr ganzes Schicksal auf seinem Gesicht; denn jetzt blickte Susa auf und stieß einen lauten Schrei des Schreckens aus, ergriff das vor ihr auf dem Tische sitzende Kind mit beiden Armen und wollte entfliehn.

Aber das Kind wollte nicht fort und streckte die Händchen nach Jakob aus, der, so wie er sie ansah, das eben gelernte Glück ihres Besitzes sich wieder regen und alle rohen Triebe niedersinken fühlte.

»Thu' dem Kinde nichts!« schrie er wie im letzten Nachhall seines Zustandes – »das arme Würmchen soll von deiner Bosheit nicht leiden.« Er nahm es ihr ab, und Susa sah mit Erstaunen, wie Angela seinen Hals umfaßte und sich an ihm festhielt.

Sie schwieg zwar, aber sie faltete die Hände und brach in Thränen aus und so beherrschte den unglücklichen Jakob das kaum empfangene Gefühl, daß er auf's Neue in ein kurzes gräuliches Weinen ausbrach.

Er setzte das Kind auf den Tisch, wo es mit einem alten zerbrochenen Topfdeckel spielte, und mit krampfhaftem Zucken in seinen tiefen Westentaschen grabend, holte er mehrere große Geldstücke heraus und sagte: »Hier, Susa! hier schaff' dem Kinde ein Kleid, daß es nicht liegen muß, wenn du das hier waschen willst.« Dann stürzte er plötzlich wie gejagt aus dem Zimmer, und Susa hörte, wie er in großen Sätzen den Gang nach seiner elenden Kammer zurücklegte.

Von da an war Jakobs Wesen getheilt und er hatte eine weiche Seite, die Susa bald mit weiblicher Schlauheit zum Nutzen ihrer Anbefohlenen gebrauchen lernte. Er gewöhnte sich, an den Mahlzeiten Theil zu nehmen, weil Angela jauchzte, wenn er eintrat, und neben ihm sitzen wollte und von ihm bedient sein. Die Kämpfe, denen er unterlag, wenn Susa Geld forderte, endeten, wenn die nächste Mahlzeit so dürftig war, daß Angela vor Hunger weinte – dann stieß Jakob oft selbst eine Art Angstgeschrei aus und schüttete Geld ohne zu zählen vor Susa hin. Aber wenn die Nacht kam und das Kind schlief, duldete es ihn nicht auf seinem Lager; er durchschlich das Haus, um das Geld zu suchen, was er ihr gegeben, und bis zu ihrem Bette kam die gräßlich drohende Gestalt, und zitternd erwartete sie oft den Todesschlag, der ihm wieder zu nehmen gestattete, was er wohl wußte, daß sie versteckt hielt. Aber Susa hatte den einzig sichern Ort dazu gewählt, und das war Angela's kleines Bettchen. Dies, war sie sicher, berührte er nie. Hatte er Alles durchsucht und nichts gefunden und sein Institut führte ihn zu diesem Puncte, so verlor er den Muth, seine Nachforschungen fortzusetzen; ja! zu Zeiten, wo der Mond ihm gestattete, seinen Liebling zu erkennen, sah sie ihn mit abgöttischem Entzücken vor dem Bettchen niederfallen, seine Finger küssen und es belauschen in seiner unschuldigen Ruhe. Fast jedes Mal war es dann mit den Nachforschungen vorbei und sie hörte ihn oft laut schluchzend seinen Rückweg antreten. Aber dies hinderte nicht, daß er nun jeden Tag die Verwendung des Geldes tadelte und beklagte, daß er die arme Susa an den Vorräthen bestahl, die sie einholte; ihr Vorwürfe machte über den schnellen Verbrauch, und ihr das, was er ihr gestohlen, wieder zum Verkauf anbot, um ihr so einen Theil des gegebenen Geldes wieder zu entlocken.

Susa wußte das Alles; aber sie mußte es ruhig dulden, denn sie hatte keine Mittel, ihre und der Mitleidenden Lage zu ändern, und das Kind mit seiner Gewalt über ihren Peiniger schützte sie wenigstens gegen den Hunger, und so schleppte sie die Tage hin, die, von der schwersten Arbeitslast erfüllt, ihr wenig Zeit zur Uebersicht des ganzen Zustandes ließen.

Daß bei Jakob van der Nees Frauen wohnten und ein Kind – das wußten die Nachbaren längst; aber vorsichtig hatte er ihnen dennoch den Zeitpunct dieser Veränderung zu verbergen gewußt, und so blieben zwar die Bemerkungen über den Ruf des van der Nees weder aus, noch stellten sie sich günstig – aber doch gefahrlos für die Betheiligten.

Angela war ziemlich spät in einer fernen Kirche auf den Elternnamen von Susa – Altkomm – getauft worden. Die arme züchtige Magd hatte den Verdacht ihrer Unehre ruhig hingenommen und Jakob hatte man für den Vater gehalten.

Sah man die noch rüstige jugendliche Magd durch die kleine Hausgasse, die sorgfältig mit dem Gitter verschlossen war, ausgehn, so hielt man sie für die Geliebte Jakobs und beneidete ihr Loos nicht, weil alle Nachbaren ihn nachgerade als Geizhals kannten. Ihn selbst aber zu necken oder auszuforschen, lief immer schlecht ab, weil er eine wüthende Grobheit besaß und die Zungenfertigkeit roher Rücksichtslosigkeit.

Dennoch sahen die Nachbaren gegenüber mit viel größerer Neugier in dem hölzernen Laubgang der Gallerie eine hohe schlanke Gestalt, die bei noch jugendlichen Zügen weißes Haar hatte und doch alle Spuren großer Schönheit. Bei mildem Wetter führte die Magd sie auf die Gallerie und bereitete ihr einen Sitz, und da sahen die Nachbaren das bleiche Engelsbild mit dem ewigen Lächeln auf dem ausdruckslosen Gesichte, oft unverrückt den ganzen Tag unbeschäftigt vor sich hinblickend sitzen, oder ein kleines, schwächliches Mädchen, was zu ihren Füßen spielte, liebkosen.

Was auch für Gedanken dem Beobachtenden kommen mochten, es war überhaupt eine unsichere Zeit. Verfolgung, Ungerechtigkeit und Kränkung an allen besessenen Gerechtsamen klopften an jede Thür – und daraus entstand ein stilles Uebereinkommen, daß jeder Bürger geneigt war den andern schützen zu wollen, und ein Hauptübel – die Schwatzhaftigkeit – sich in der allgemein unsicheren Zeit verlor. Später hatte man sich daran gewöhnt, und da alle Versuche, das Haus zu betreten, fehlschlugen, überließ man Jakob van der Nees und seine geheimnißvollen Mitbewohner ohne weitere Verfolgung ihrem Schicksal.

Zur Zeit, wo wir dies wenig erfreuliche Hauswesen wieder finden, war Angela, wie gesagt, zehn Jahr, und so unwissend Susa selbst war, wußte sie doch sehr wohl, daß Mädchen von Angela's Stande lernen mußten. Angela konnte aber weder lesen noch schreiben, und ihre ganze Bildung beschränkte sich auf die Geschicklichkeit, die ihr die Natur gegeben, und die sie Alles thun und begreifen ließ, was man ihr überlassen wollte. Doch fehlte es selbst in den meisten Fächern weiblicher Künste an jedem Unterricht, denn Susa hatte zwar fein Nähen, Spitzen klöpfeln und noch manche andere weibliche Geschicklichkeit verstanden, aber wo sollte jetzt die Zeit dazu herkommen und das Material, da das Geld, was ihr Jakob gab, ja kaum für die Bestreitung der rohsten Bedürfnisse hinreichte – und Susa mit der Pflege von Mutter und Tochter, mit den ihr dabei obliegenden häuslichen Arbeiten und dem Säubern und Ausbessern der Kleider mehr denn genug zu thun hatte.

So war denn dies der vorliegende Streitpunct geworden zwischen Jakob und Susa; denn wie sehr auch das niederbeugende Leben, zu welchem letztere verdammt worden, ihren Geist nachgrade abgestumpft hatte, war ihr doch ein so strenges religiöses Pflichtgefühl eingeprägt, und dieses in den Leiden, die ihr auferlegt waren, eher zu größerer Entwickelung gelangt, als daß sie nicht zu Zeiten sowohl die Dumpfheit ihres Geistes damit zu überwinden, als ihrem gefürchteten Peiniger entgegen zu treten vermocht hätte.

Sie forderte also, der armen kleinen Angela solle Lesen und Schreiben gelehrt werden und eine ordentliche christliche Religion, wie die ihrer Eltern, womit sie die der Arminianischen Secte meinte. Sie verlangte, Jakob solle dazu den geneigten Lehrer suchen, und das Kind solle entweder zu einem solchen täglich hingeführt werden, oder diesem das bis jetzt allen Menschen verschlossen gebliebene Haus geöffnet werden.

Hätte man auf Jakob van der Nees ein Pistol abgefeuert, er hätte sich nicht tödtlicher getroffen fühlen können, als bei dieser ernsten und strengen Eröffnung der armen traurigen Magd.

Mit der Habsucht eines Geizigen hatte er für Angela, das Kleinod seines Herzens, das einzige rein menschliche Gefühl, was in ihm aufgekommen war, fest gehalten, und wenn er sie verlassen mußte, die schweren eichenen Thüren gesegnet, die sich für Niemand öffneten, und mit listigen Andeutungen bei Susa die Furcht vor Gefahr und Verfolgung unterhalten, um dieser einzigen, von der er klarere Einsicht zu befürchten hatte, jeden Verkehr mit der Außenwelt abzuschneiden. Dies war ihm Alles zehn Jahre lang wohl gelungen; denn Susa hatte theils im Hause genug zu thun, um wenig nachzufragen, theils verleitete sie ihre Unwissenheit, den Befürchtungen Glauben zu schenken, welche die eigene Erfahrung, die sie im Hause Barneveldts gemacht, bestätigten.

Plötzlich fand nun Jakob die alten Mittel gegen Susa's Pflichtgefühl unwirksam geworden. Sie blieb dabei, daß Angela im Lesen und Schreiben und in der christlichen Religion unterrichtet werden solle. Nachdem er ihr alle Gefahren riesengroß vorgemalt, mußte er gewahren, daß dies gerade anfing, entgegengesetzt zu wirken.

Prinz Moritz war gestorben. Sein edler, milder Bruder Friedrich von Nassau hatte seinen Platz eingenommen und Niemand wollte jetzt noch an Verfolgung und harten Druck glauben, und Alle bis zu den Geringsten waren voll Hoffnung eines neuen besseren Lebens, und davon hatte Susa auf dem Markt und in den Läden auch erfahren. Erschrocken sah Jakob ein, daß, wenn er ihr größeren Widerstand entgegensetzte, sie zu größeren Wagnissen verleitet werden könnte, und sie abzuschließen und von dem geringen Verkehr mit Menschen, den sie hatte, abzuhalten, mit zu großen Schwierigkeiten verknüpft schien und bei der düstern Entschlossenheit, die sie zeigte, vielleicht ihn selbst in Gefahr bringen konnte. Wie nah ihm dies nun auch den Entschluß rückte, in Susa's Forderung einzuwilligen, so war dieselbe doch wie ein Versuch auf Leben und Gut und Blut, und er mußte immer wieder darauf zurückkommen, daß es ein Versuch sei, den er nicht machen könne.

Er überwand sich nur nach den heftigsten Stürmen und suchte Susa durch andere Mittel hinzuhalten oder zu beruhigen. Er schlug ihr vor, den Unterricht im Lesen und Schreiben selbst an Angela zu ertheilen; aber Susa wollte darauf nicht eingehen, weil ihr der Unterricht in der Religion die Hauptsache war und mit diesem konnte dann auch das Andere gleich verbunden werden, und dies fühlte Jakob selbst; denn – mußte er in dem einen Puncte nachgeben, dann war nichts gewonnen. Wie nahe ihm die Sache ging, war zu ersehn, da er anfing, Susa weniger streng mit Geld zu halten, ihr ein Regentuch schenkte und zuweilen eine greinende Freundlichkeit gegen sie an den Tag legte, mit der er sie zu beschwichtigen hoffte.

Aber mit weiblicher Schlauheit erkannte Susa nur darin ihr gutes Recht und die damit über ihn erlangte Gewalt; und da sie nach langem, vergeblichen Harren einsah, er werde nie die nöthigen Schritte für Angela's Unterricht thun, faßte sie eines Tages den für sie selbst überraschenden Entschluß, sich eigenmächtig Hülfe zu suchen.

Susa hatte unter ihren Handelsleuten Lieblinge, und da sie bei ihren Einkäufen oft die Nachsicht der Andern nöthig hatte, indem sie jeden Artikel sorgsam prüfen und bedingen mußte, so bedurfte sie die Zuneigung der Menschen, die ihr auch zu Theil ward, da man sie so treu und redlich fand und Jeder wußte, sie sei in dem Hause des bösen Geizhalses, des Jakob van der Nees.

Da war denn vorzüglich eine Bäckerfrau, zu der Susa Vertrauen gefaßt hatte, obwohl dies nie bis zu Mittheilungen über ihre Verhältnisse ging. Die gute Frau Lievers besaß ein kleines, eignes Haus von einem Stockwerk mit einigen Mansardenstübchen, die sie gelegentlich vermiethete. Den Vorderraum nahm das Bäckerhandwerk ein; aber nach dem Lusthof zu lag die Stube zur Ruhe; diese war gemächlich und wohlhabend eingerichtet, und die große Reinlichkeit des ganzen Hauses hatte hier ihren Höhepunct erreicht.

Wenn wir etwas suchen, so scheint es häufig, daß uns Auge und Ohr erst aufgehn für die Dinge, die wir nöthig haben und an denen wir vielleicht schon lange vorübergingen, ohne sie zu gewahren.

So kam es, daß Susa jetzt schon zweimal einem jungen Geistlichen begegnet war, der die kleine, braune, eichene Treppe, welche zu den Mansarden führte, herunter kam, gerade wenn Susa Brod kaufte oder Mehl. Er sah so still und milde aus und grüßte so freundlich die Frau Lievers, wenn er sein schwarzes Prädikantenkleid zusammen nahm und an den feindlichen Mehltonnen vorüberstrich, daß in diesem Gruße schon die Güte seines Herzens ausgedrückt war.

Nun hatte Susa vielleicht ihn schon oft daher kommen sehen, aber vertieft in ihren Gram und in der Angewöhnung, mit Niemand zu reden, um selbst so unbeachtet als möglich zu bleiben, war ihr die ganze Erscheinung verloren gegangen.

Nach dem vorerwähnten Entschlusse, sich nun selbst zu helfen, stand sie eines Morgens in dem Laden der Bäckerin und diese sagte, durch das tief bekümmerte Gesicht Susa's aufgeregt: »Susa! Susa! sie zieht sich was zu Sinn – der Gram schnürt ihr das Herz vom Leibe ab – das thut nicht gut – sie müßte was leichter Blut haben.«

»Ach, Frau!« entgegnete diese, und ein paar Thränen stürzten aus ihren Augen – »es hat alles sein Maaß – und für den wird's am schwersten, der still halten muß und doch einsieht, die Hülfe wär' an der Zeit!«

»Nun,« entgegnete Frau Lievers – »es geschieht uns öfter, die wir aufwachsen unter der täglichen Last, daß uns der Rath ausbleibt, wenn der Gram kommt und wir der Hülfe bedürften. Hat sie denn gar Niemand, der ihr beistehen thut, wo's Verstand kostet?«

»Nein!« sagte Susa – »ich hab' gar Niemand in der Welt, auf dessen Verstand und Herz ich nur so viel Vertrauen setz', als dies Mehlstäubchen werth ist.«

Diese Wahrheit nöthigte der armen Verlassenen einen bittern Thränenstrom ab; denn sie hatte nun einmal der Erweichung nachgegeben, was ihr selten kam. Den Regenmantel vor die Augen haltend, hörte sie plötzlich hinter sich eine sanfte Stimme sagen: »Sollte die arme Kranke, Frau Hoope, schicken, seid dann so gut und laßt es mir durch den Knaben nach dem Seminar sagen; ich gehe dann noch vor der Mahlzeit hin, die arme Frau hat den Trost so nöthig.«

»Ganz recht, Hochwürden! Soll Alles besorgt werden – Gott segne ihr mildthätig Herz!«

Indem ließ Susa den Regenmantel fallen und blickte mit ihren in Thränen schwimmenden Augen zu dem jungen Geistlichen auf, der bereits vor ihr stehen geblieben war und dessen fragend theilnehmendem Blick sie jetzt begegnete.

Im selben Augenblick wußte Susa, daß dies der Rechte sei. Aber zu lange von allem Verkehr mit Personen höheren Ranges entfremdet, wußte sie ihren Gefühlen keine Worte zu geben. Der junge Geistliche aber war geübt, die Stimmungen der Seele zu errathen, und er fragte daher seine Wirthin, ob die arme Frau vor ihnen, Gram habe.

»So scheint es,« sagte diese – »und Hochwürdiger möchten wohl gut thun, das kranke Herz zu erleichtern, denn ihr wird das Vertrauen schwer!«

Damit öffnete sie eine starke eichene Thür, die noch außerdem ein Vorhang deckte, und während sie Susa den Regenmantel abnahm, lud sie beide ein, in das kleine zierliche Ruhezimmer zu treten, was auf den reinlichen Hof mit zwei schattigen Bäumen und einem Blumengestell hinsah.

Als sie hier Beide zum Sitzen genöthigt, ging sie zur Bedienung ihres Ladens zurück, und Herr Harsens, der nun Susa's Zustand näher beobachtete, that liebevoll eine und die andere Frage, um der jetzt maaßlos gewordenen Erweichung des armen Mädchens eine Ableitung zu geben.

Endlich brachte Susa schluchzend die Worte hervor:

»Sagt, Herr, ob ihr mir helfen wollt – ob ihr wollt – ob ihr wollt?«

»Gern! gern, arme Frau,« sagte Harsens – »sobald meine geringen Kräfte ausreichen und mein guter Wille!«

»Ja!« schluchzte Susa – »aber ihr müßt das gewöhnliche Gewand des Menschen austhun; wenn ihr mir helfen wollt, und wenn ihr nicht anders, ganz anders als die Andern sein wollt, so helfe mir Gott, aber ihr werdet es nicht können!«

Etwas verlegen schwieg Harsens einen Augenblick – dann sagte er milde: »Liebe Frau! es wäre Vermessenheit, wenn ich, der sündige Mensch, auftreten wollte und mich über meine Brüder erheben, indem ich verspräche, besser als alle Andern sein zu wollen. Aber vielleicht übertreibt euer großer Schmerz die Bedingungen; vielleicht reicht ein Mensch zu, der redlichen Willen hat und um der Liebe Christi gern seinen Brüdern nachwandelt, wenn ihr Weg schwer und voll Versuchung ist!«

»Herr!« rief Susa, welche ihre thränenschweren Augen auf seinem milden Antlitz wurzeln ließ – »Ihr seid demüthig! ihr seid der Rechte!«

»Ach!« sagte Harsens – »setzt die Krone aller christlichen Erkenntniß nicht so schnell auf meine Stirn!«

Doch Susa überhörte das. »Herr!« rief sie, sich vorbiegend – »seid ihr uneigennützig wie die Sonne am Himmel, die Alles giebt und nichts empfängt – seid ihr ohne Neugier – könnt ihr schweigen wie das Grab?«

Der Geistliche schlug einen Augenblick die Augen zur Erde – von diesen Sünden fühlte er sich rein und konnte bei aller Demuth doch die freudige Zusage seines Herzens nicht überhören. Dann sagte er sanft: »Gott wird mich nicht versuchen! Laßt euch nicht abhalten, mir zu sagen, wie ich euch nützlich werden kann.«

»So hört!« sagte Susa feierlich – »Es giebt hier ein Kind – ein Mädchen von zehn Jahren, über die Gott – ihr unbewußt – ein schweres Loos verhängt hat. Dies Mädchen ist zwar getauft, aber in der Taufe schon grausam beraubt worden – dann ist sie aufgewachsen in Druck und Elend und außer was eine so geringe Magd als ich selbst sie zu lehren vermochte – hat ihr Ohr keine Lehre gehört. Sie weiß von der Kunst der Schriftsetzung nichts – sie kennt die Buchstaben nicht, und alle heiligen Bücher sind für sie umsonst da, und das Christenthum ist ihr so fremd als alle andern Freuden des Lebens!«

Harsens hob Aug' und Hände zum Himmel und sagte: »Warum habt ihr euch an der euch anvertrauten Unschuld so vergangen?«

»Ich nicht, Herr!« erwiderte Susa, zu ihrer starren Fassung zurückgekehrt – »ich nicht, Herr! Gott hat viel Anderes während dem von mir gefordert, und ich mußte froh sein, daß ich ihr das Leben fristete.«

»Ich muß euch eurem Gewissen überlassen,« fuhr Harsens milde fort – »und jedenfalls wollt ihr, wenn ich euch recht verstehe, jetzt das schwer Versäumte nachholen und fordert dazu meinen Rath.«

»Rath! Herr!« rief Susa – »nein, euer Rath müßt ihr selber sein – euch fordere ich dazu. Nun ich euch gefunden, kann ich euch nicht wieder frei geben, denn so wie ihr beschaffen seid, muß der sein, der mir hilft – aber selbst!«

»Auch dazu bin ich bereit, arme Frau, und es kommt nur auf euch an, mir zu sagen, wenn ihr meine Hülfe fordert, und wie ich sie anwenden kann.«

Susa seufzte tief. »Ach das ist schwer zu sagen! Aber hört erst. Ihr dürft nicht daran denken, es um Lohn zu thun, denn ich weiß nicht, ob ihr ihn je empfangen werdet, sicher aber jetzt nicht. Dann dürft ihr nie forschen, wer das arme Kind ist, das ich euch anvertraue – wie ihr es bekommt, so denkt, es sei ein Geschenk des Heilandes; denn so wird es sein. Auf welche Weise ich nun das arme Geschöpf in eure Hände liefern werde, weiß ich noch nicht. Aber wollt ihr, wenn es mir gelingt, in Alles willigen, was ich eben forderte?«

»Das will ich,« sagte Herr Harsens fest – »denn was ihr fordert, hat noch nie eine christliche Handlung verhindert, die der Herr mir auferlegte – und ihr werdet wohl thun, eure große Aufregung zu beherrschen, welche mit daraus entstehen mag, daß ihr euch für allein unglücklich haltet, welches immer eine sehr falsche Stellung zu Gott und zu der Welt giebt, und eben so oft aus Unkenntniß der allgemein verbreiteten Menschennoth entsteht, als aus einem Mangel an Antheil für die Schicksale Anderer, wodurch uns ihre Zustände leicht geringer als die eigenen erscheinen.«

»In welchem Fall der Sünde ich bin, weiß ich nicht,« sagte Susa dumpf – »aber gewiß werdet ihr gut thun, mir gelegentlich das Christenthum in Erinnerung zu bringen – und findet ihr mich dann zur besseren Erkenntniß gekommen, dann stärkt mich durch das Liebesmahl des Herrn, denn ich bin eine hungernde und durstende Seele.«

Der junge Geistliche sah nicht ohne Antheil den tief erregten Zustand der Leidenden, und weit entfernt, ein fanatischer Eiferer zu sein, fühlte er wohl, er habe es hier mit ungewöhnlichen Lebensumständen zu thun, welche er lieber erst kennen wollte, ehe er das kranke Gemüth anzugreifen versuchte.

Auch erhob sich Susa und entzog sich dem ferneren Gespräch durch eiliges Davongehen; denn ihre Zeit war so knapp gemessen, daß sie schon dies Gespräch für zu lang geworden hielt.

Susa fühlte vielleicht nur dunkel, daß sie im Begriff stand, eine Katastrophe für ihre bisherigen Verhältnisse herbei zu führen, denn sie hatte weder große Naturgaben, noch waren ihre Gedanken zu klarer Entwicklung gelangt. Aber in dem vorliegenden Falle erhielt es vielleicht ihren Muth aufrecht, daß sie nicht vollständig übersah, wie schwer es Jakob nach dem bisher beobachteten System werden mußte, in ihre Forderungen zu willigen; auch hatte er den gewöhnlichen Fehler der Tyrannen gemacht, er hatte Susa zu unglücklich werden lassen, ihr zu sehr alle Hoffnung des Lebens geraubt, sie hatte weder zu verlieren, noch zu gewinnen. Deshalb entstand die feste Empörung in ihr dem Peiniger gegenüber, der zehn Jahre grenzenloser Hingebung mit dem unermüdlichen Bestreben bezahlt hatte, ihr das Leben so schwer als möglich zu machen.

Als Susa am Abend in das gemeinsame Zimmer trat, wo eine düstere Lampe, kaum bis zum Ende des großen Tisches, in dessen Mitte sie stand, ihr spärliches Licht versendete, und wo Jakob seine Riesenbücher aufdeckte, wenn Angela und die Mutter zu Bett waren, um seine Berechnungen zu machen – schaute Jakob erschrocken von seiner Arbeit auf, denn jede abweichende Bewegung Susa's, welche er gewohnt war, wie ein Uhrwerk ihr schweres Tagewerk ablaufen zu sehn, hemmte den Athem in seiner Brust, weil er es nie aus dem Auge verlor, daß sie mit schweren Forderungen umging.

Mit ihrer gewöhnlichen trüben Kopfbeugung und der tonlosen Stimme, die ihre einsame Lage ihr gegeben, trat sie an der andern Seite des Tisches vor Jakob hin und sagte:

»Nees! die Hülfe für Angela ist gefunden! Ich habe einen Geistlichen gesprochen, der das Kind unterrichten wird, und ich will nur von euch erfahren, wie ihr es gehalten haben wollt, ob ich das Kind zu ihm bringen soll, oder er zu uns gelassen werden kann.«

Sie hätte noch mehr sagen können, denn Nees hatte die Sprache verloren. Seine Augen drängten sich aus der Höhle, seine Lippen waren so aschfarben wie sein Gesicht, und die Feder lag mit der vollen Dinte unbeachtet auf dem reinlichen Blatt.

Grade im selben Augenblick erhob sich van der Nees langsam von seinem Sitz – die starren Augen auf Susa gerichtet, bog er sich allmählig über den Tisch, und so oft sie ihn auch in seiner schauderhaften Wuth gesehn, so furchtbar war er ihr noch nicht erschienen; ihr erster Gedanke war, er habe den Verstand verloren, und es sei um ihr Leben geschehen. Sie schauderte zusammen, daß ihre Zähne klappten, und hielt sich beide Hände vor die Augen.

»Ungeheuer! Scheusal!« röchelte es dumpf an ihr Ohr – »fühlst du, was du verbrochen – fühlst du, daß dir die Strafe naht, die du selbst herbeigerufen?«

Susa ließ die Hände von ihrem entstellten Gesicht fallen und schrie laut auf. Jakob hatte in der krampfhaften Wuth, die ihn verzerrte, die Füße nachgezogen – er kroch eben über den Tisch wie ein zum Mordsprung bereiteter Schakal.

»Du willst mich morden, Unmensch!« schrie Susa – »und deine Schandthaten vollenden?« – Sie sprang zurück bis an die Wand; aber er war ihr in einem Satze nach, und jetzt brach eine Raserei aus, die ihn gewiß bis zum Morde fortgerissen hätte, wenn nicht das schreckliche Geheul, das er selbst dabei ausstieß, und das Hülfeschrein Susa's, was diese aus natürlichem Trieb der Erhaltung damit vermischte, obwohl sie wußte, daß kein Mensch zu ihrer Rettung da sei, zu laut und heftig geworden wäre, um die Scene nicht im gefahrvollsten Augenblick zu verändern.

Er hatte Susa wie einen Halm zur Erde gebogen – seine Faust donnerte auf ihrem Rücken – seine Füße hielten sie nieder und er sah und hörte nicht und war sich dessen nicht mehr bewußt, was er that. Da kehrte dies im Wahnsinn der Wuth untergegangene Bewußtsein zurück, in dem Augenblicke, als er einen andern zarteren Gegenstand unter seinen Fäusten fühlte und das Schmerzensgeschrei nicht mehr aus Susa's, sondern aus dem Munde des einzigen Wesens drang, was ihn bezwingen konnte.

Im selben Augenblicke sprang er entsetzt zurück. Heiliger Gott! die mißhandelnden Hände hielten Angela, das Kind seines Herzens, aber blutend, mit entstellten Zügen und wie es schien, ohne Leben. Riesengroß stand jetzt der Gedanke vor ihm, er sei ein Mörder – ein doppelter Mörder vielleicht geworden, denn Susa lag am Boden und gab keinen Laut mehr von sich.

Die Wuth war erloschen, und ihm graute zuerst vor sich selbst. Die kleinen, langsam schleichenden Verbrechen hatte er sich erlaubt und sich noch in behaglicher Selbstzufriedenheit erhalten. Den Mord des Glückes, den er über sie Alle nach und nach verhängt, hatte er sich nicht angerechnet, weil er sich vorlog, er sorge so am besten für sie. Wenn aber die heimlich verwilderte Natur endlich keck und roh hervorspringt und das durch vorangegangene Handlungen vorbereitete Verbrechen begangen wird – dann deckt sich der Abgrund vor dem Verblendeten auf, und er fühlt, das habe er nicht gewollt. Dann glaubt er, daß er sich zuerst verschuldet habe und rechnet sich, überrascht durch sich selbst, bloß diesen letzten Augenblick an, übersehend, daß dieser gar nicht möglich gewesen wäre, wenn er sich nicht langsam durch die ganze Vergangenheit vorbereitet hatte.

So war es nur eine viel zu späte Erkenntniß seiner selbst, die ihn jetzt sich als Verbrecher bezeichnen ließ; aber sie hatte doch einen erschütternden Erfolg.

Das Haar sträubte sich ihm zu Berge, und die Augen erloschen in ihren Höhlen – vielleicht hätte er sich selbst im nächsten Augenblick gemordet – wenn nicht ein leiser Schmerzenslaut aus Angela's Munde seinen Gedanken eine andere Richtung gegeben hätte.

Mit der Hoffnung ihres Lebens kehrten alle Sinne zurück und lenkten ihn vielleicht nur zu schnell von dem harten Selbstgericht ab, was über ihn gekommen war. Er trug sie an Susa vorüber auf den Lehnstuhl der Mutter und sah nun, daß der Blutstrom aus ihrer Nase drang, daß sie mit bloßen Füßen, nur mit ihrem dürftigen Nachtröckchen bekleidet war, daß eine dicke rothe Beule auf ihrer Stirn hervortrat, die seine Faust ihr geschlagen. Wir müssen uns sagen, daß die Strafe des Himmels hier mit großer Strenge eingetreten war; denn was konnte Jakob van der Nees erleben, was ihn furchtbarer züchtigte, als die Gewißheit, daß er das geliebte Kind nicht allein selbst gemißhandelt, sondern sie zum Zeugen seiner kannibalischen Wuth gegen Susa gemacht.

Ihr Leben und ihre Liebe standen auf dem Spiele, und wenn der Augenblick ihn auch dies beides nicht ruhig erwägen ließ, waren es doch Stacheln, die seine Verschuldung wieder aufregten.

Er kniete laut jammernd vor dem geknickten Kinde nieder; er rang die Hände und wußte ihm in seiner rohen Unbehülflichkeit keine Hülfe zu schaffen – und sank doch fast vor Schreck zusammen, als sich über ihm eine hagere Hand erhob, um den niedergesunkenen Kopf des armen Kindes zu heben. Er sprang entsetzt auf, und so entstellt auch das Wesen vor ihm war, er erkannte doch die arme Susa, die, blutend und halb ohnmächtig, dennoch dem Liebling zu Hülfe kam, dem sie ihrerseits wahrscheinlich das Leben dankte.

»Wasser!« stammelte sie, nur an die Rettung Angela's denkend – »sie verblutet sich!« Wie ein Rasender stürzte Jakob fort und brachte sogleich das eisige Wasser, was nun Susa versuchte, mit einem eingeweichten Tuche auf Stirn und Kopf zu legen. Nach kurzer Zeit stand das Blut, und bald darauf schlug das arme Kind die Augen auf.

Jakob hatte vor dem Kinde gekniet wie ein Gerichteter; er hatte nicht an ihr Wiederaufleben geglaubt; als er das Aufschlagen der Augen bemerkte, ergriff ihn die Freude fast noch wahnsinniger, als der Schmerz. Er schrie und weinte, er küßte Angela's Füße, er holte seinen Mantel herbei und wickelte das todtkalte Kind hinein.

Angela schien nicht gleich ihre volle Besinnung wieder zu haben, denn sie sah starr und theilnahmlos auf alles sie Umgebende; aber plötzlich, nachdem sie begierig das dargereichte Wasser getrunken hatte, schien sie Alles mit einem Male zu wissen. Ihre erste Bewegung war, daß sie Jakob mit ihren kleinen Füßen von sich stieß und, obwohl sie noch keine Worte finden konnte, ihn mit einem Blicke ansah, in welchem seine ganze Verurtheilung lag; dann warf sie seinen Rock von sich, und als er ganz vernichtet sie flehend umfassen wollte, schrie sie so heftig auf und stieß mit Händen und Füßen so giftig nach ihm, daß er entsetzt zurückwich.

Jetzt sprang sie von dem Stuhle herunter, um Susa zu suchen, deren Dienste sie nicht wahrgenommen. Als sie sie nicht mehr auf der Stelle fand, fing sie jämmerlich zu weinen an, und nun erwachte Jakob aus seiner starren Verzweiflung und fand früher, was Angela vermißte. Die arme Susa war leise neben dem Stuhle niedergesunken, als sie Angela's wiederkehrendes Leben gewiß hatte – nur so lange dauerten ihre grausam erschütterten Kräfte.

Sie war ein Bild des Jammers, und Jakobs Erschrecken groß, als er sah, was er angerichtet. Das Kind verhinderte dabei, etwas für sie zu thun, denn es warf sich über sie und schützte sie gegen ihn, wie er wohl unterscheiden konnte, und stieß das fürchterlichste Geschrei aus, so wie er sich Susa nahen wollte.

In dieser Todesangst wußte Jakob keine andere Hülfe,als die arme wahnsinnige Mutter, gegen die Angela stets gehorsam war, und die mild und nachgiebig zu kleinen mechanischen Diensten leicht zu bewegen war. Eben raffte er sich auf, um sie herbei zu holen, da öffnete sich die Thür, und sie trat selbst ein, denn auch sie war von dem Geschrei ihres Kindes instinctmäßig herbeigezogen, wie Angela früher durch Susa's Stimme.

Jakob schauderte zusammen, als er diese blasse Leidensgestalt leise und mit dem stehenden Lächeln des Wahnsinns auf dem Schauplatz seiner Vergehungen ankommen sah. Er hätte sich sagen können, daß sie ihn nicht richten werde; aber er sah sie nie ohne eine unheimliche Bewegung, und heute, fühlte er, schürte ihre unschuldsvolle Nähe die Glut der Schuld auf seinem Haupte.

Sie glitt nach der Stelle hin, wo ihre Angela schrie, und blieb dann verwundert stehen und schlug die Hände ein paar Mal zusammen.

Als Angela ihre Mutter erkannte, schrie sie: »Mutter! Mutter! Jakob hat Susa geschlagen! Halt ihn ab – halt ihn ab – er will ihr noch mehr thun!«

Die Mutter lächelte wieder und schüttelte den Kopf; da ermannte sich Jakob; er faßte die arme, geistesschwache Frau an der Hand und machte es ihr klar, daß sie ihm beistehn müsse, Susa zu Hülfe zu kommen und zu dem Ende Angela vom Boden aufheben.

Wie er gehofft, so geschah es. Angela widerstand nie dem Willen der armen Mutter; aber sie weinte herzzerreißend fort, als Jakob Susa nun wie ein Kind auf den Arm nahm und auf den Stuhl trug. Diese kindlichen Thränen brannten ihn aber wie das Feuer der Hölle, und als er Susa mit blutendem Kopf und bleich wie eine Leiche vor sich sah, verwünschte er sich und schien sich selbst ein Teufel.

Susa erholte sich nur langsam von ihrer Ohnmacht, an der Schrecken und Kummer noch größeren Antheil als die Verletzungen hatten, da der blind Wüthende oft sein Ziel verfehlt hatte. Als sie erwachte und ihr Bewußtsein früher wiederkehrte als ihre Kraft, sah sie Jakob und Angela Beide vor sich knien und um die Wette herzzerreißend schreien, während die arme Wahnsinnige die Hände rang und immerfort ihren Namen rufend, sichtlich mit ihrem Geiste um das Verständniß dieser Scene rang.

Susa sammelte in der lähmenden Ermattung, welche sie fühlte, ihre Gedanken, und indem sie sich klar machte, was Alles geschehen sei und mit Grauen und Schrecken den erschütterten Verbrecher vor sich sah, überwand sie mit einem Heldenmuth, der den größten Geist geziert haben würde, ihren Abscheu vor Jakob, um den Zweck zu erreichen, um deswillen sie dies Alles gelitten, und nachdem sie still ihren Entschluß gefaßt hatte, richtete sie sich auf und bog sich zu Angela.

Diese stürzte in ihre Arme und erdrückte sie fast mit Liebkosungen, indem sie immer ein zürnend wachsames Auge auf Jakob gerichtet behielt und diesem die unverholene Strafe des größten Mißtrauens zeigte.

»Vergieb ihm,« sagte Susa endlich zu Angela mit der größten Selbstbeherrschung. Aber Angela zog sich vor Jakob zusammen und verbarg sich ganz in Susa's Armen.

Dies ertrug der Verzweifelnde nicht länger; er stürzte vor Angela nieder und flehte mit wahrer Todesangst, ihm ihre Liebe wiederzuschenken.

»Susa! Susa!« schrie er dazwischen – »rette mir die Liebe des Kindes – rette mich – rette mich! wenn du willst, daß ich den Verstand behalten soll!«

Da richtete sich Susa wie ein gefaßter Richter auf und rief: »Wollt ihr dem armen Kinde gerecht werden und ihm Unterricht ertheilen lassen, wie ich euch vorher gesagt – wollt ihr weder Hindernisse erheben, noch fernere Bosheiten erdenken, sie davon abzuhalten?«

Jakob schlug hart mit dem Kopf auf die Stuhllehne – dies kam ihm auf's neue wie ein Todesurtheil vor, was er unterzeichnen sollte; aber er hörte einen Schrei aus Angela's Munde, und dieser überstürzte seinen zagenden Willen. »Ja! ja!« rief er fast erstickt – »ich will – ich will Alles, was du willst, Susa! – nur das Kind! – sorge, daß das Kind Alles vergißt!«

»Nun gelobt sei Gott!« sagte Susa – »so schwört in die Hand des Kindes, daß ihr Wort halten wollt – schwört bei dem Andenken an ihren gemordeten Vater – bei dem Schwur, den ihr einst auf dieser selben Stelle ihm geschworen und den ihr in keinem Stücke gehalten, daß ihr jetzt Wort halten wollt und mich nicht weiter hindern!«

Susa mußte sich mit dem Nicken seines Kopfes begnügen, mit dem matten Festhalten von Angela's Hand. Zu viel sträubte sich dagegen in seinem Herzen; er haßte zu sehr irgend ein bindendes Wort, einen Handschlag zu geben; er hatte sich die welke Fingerberührung, die unbestimmte Kopfbewegung dafür angewöhnt, die immer noch für Freund und Feind eine Hinterthür offen hielt; er konnte sich auch jetzt zu nichts Anderem verstehen, wie brennend heiß er auch die Versöhnung mit dem Kinde wünschte.

Auch erreichte er nichts weiter bei demselben, als daß ihre Thränen versiegten, und Susa nahm sie auf ihren Arm und betrieb es, daß Alle noch die grausam gestörte Ruhe der Nacht nachzuholen suchten. Ehe sie sich aber entfernte, sagte sie, ihr Uebergewicht benutzend, drohend zu Jakob: »Seid gewiß, Nees, wenn ihr nicht gut macht, was in dieser Nacht hier geschehen ist, so werde ich mir Hülfe suchen und sie finden, verlaßt euch drauf!«

Jakob van der Nees blieb noch lange in dem jetzt einsamen düstern Saale unbeweglich auf der Stelle sitzen, wo ihn Angela ohne Nachtgruß, an Susa's Busen vor ihm verhüllt, verlassen hatte. Er horchte auf das Geräusch, was über ihm entstand, in dem Schlafzimmer, was die Frauen nun betreten hatten, ob er noch einmal Angela's Stimme oder ihre kleinen, tappenden Schritte hören könnte. Als alles endlich verstummte, blieb er dennoch sitzen. Nicht wie sonst, wenn er seinen wilden Neigungen Zwang angethan, raste er in der Einsamkeit nach, was er hatte zurückhalten müssen. Man hätte auch ihn erschöpft nennen können, und wer ihm als Zeuge des eben Geschehenen eine Strafe gegönnt, hätte sich befriedigt halten können; denn Jakob hielt sich für den Unglücklichsten der Menschen und wünschte sich eher den Tod, als den morgenden Tag zu erleben. Doch müssen wir leider hinzusetzen, er klagte nicht sich deshalb an, sondern Susa – Renier – Alle – er wußte nicht, was und wen – nur Angela nicht! Er sagte: »Wie sollte sie anders? wußte sie doch nicht, wie gerecht mein Zorn war; also mußte sie mich fürchten – das arme Kind!«

Dann wollte er noch Pläne machen, um Susa's Hartnäckigkeit zu überwinden; aber sein intriguanter Geist verließ ihn dabei. Alles hatte zwei Seiten und seine Schlauheit und Menschenkenntniß sagte ihm – er beuge sie nicht. Wie ein Blitz durchzuckte ihn der Gedanke, sie bei Nacht und Nebel zu entführen, Schiffern mitzugeben weit ab – ha! welch' eine Lust war dieser Gedanke! Aber er mußte vor der Verlockung muthlos umkehren, wenn er dann an Angela's und der armen Wahnsinnigen Hülflosigkeit dachte, und wie er ohne sie Beide nicht erhalten könne – ach! und Angela's Schmerz – er hatte ihn gewiß! und damit war die Sache für ihn als unausführbar abgethan. So wollte es ihm vorkommen, als hätte die Welt nun keinen Trost mehr für ihn, und fast taumelnd schlich er mit der verglimmenden Lampe an den Wänden fort nach seiner elenden Schlafstelle. Da streifte seine Schulter die großen Schlösser des Geldspindes und ein Lebensfunke sprang davon über in die todte Brust. Ein widriges Grinsen verzog sein starres Gesicht und er legte sich viel behaglicher nieder, als er gehofft, und indem die Lampe erlosch, begann er zu zählen und die Resultate hoben sein Selbstgefühl; er schlief sanft ein und wir verfolgen seine eklen Träume nicht.

*


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