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So war Angela neunzehn Jahr alt geworden und wir übergehen alle in diese Zeit fallenden politischen Bewegungen Hollands, welches noch immer nicht den Riesenkampf um seine Souverainität ausgekämpft hatte, da wir diese Beziehungen nur berühren werden, wo sie sich mit den Privatverhältnissen vermischten, welche wir mitzutheilen haben.

Auch besaß Jakob ein wahrhaftes Talent der List, womit er von sich und den Frauen seines Hauses die fast auf alle Bürger Amsterdams einwirkenden Zustände abzuhalten wußte, und so wurden bei dem nie dafür in Angela erweckten Interesse auch die hinzukommenden Veränderungen kein Gegenstand der Neugier oder des Antheils für sie.

Es waren aber nicht allein diese öffentlichen Verhältnisse, welche Jakob's Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen und seine Tätigkeit weckten, es waren ihn näher angehende Umstände eingetreten, welche, wenn er nicht die Gewandtheit behielt, sie von sich abzuhalten, sein ganzes, mühsam aufgebautes Glück zu verschlingen drohten.

Wir haben erwähnt, daß die Gattin Grönevelds als eine Waise, aber bereits erwachsen, mit einer eben geborenen Schwester in das Haus der edlen Barneveldt übergegangen war.

Obwohl Gröneveld vor seinem Tode langen Verhören ausgesetzt war und das grausame Geständniß von ihm verlangt wurde, den Zufluchtsort seiner vom Prinzen Moritz gehaßten Gattin anzugeben, blieb doch Renier unerschütterlich dabei, ihm denselben zu verschweigen, und behauptete diese Festigkeit auch gegen seine Mutter und Verwandte, um sie nicht den inquisitorischen Verfolgungen auszusetzen, welche die Ahnung ihrer Mitwisserschaft ihnen zugezogen haben würde. Er verschwieg ihnen aber nicht, daß ihm in der entsetzlichen Stunde der ewigen Trennung ein lebendes Kind geboren sei, und daß er Mutter und Kind in den besten Händen gelassen habe.

Gröneveld zweifelte an Jakob nicht. Er war überzeugt, daß dieser ruhig die besseren Zeiten, auf die Renier so bestimmt hoffte, abwarten und dann Weib und Kind ihren Rechten zurückgeben werde; und diese Hoffnung versüßte seine Sterbestunde und überzeugte seine Familie, daß er das Schicksal der Seinigen gesichert hielt.

Obwohl der Prinz Friedrich von Oranien dem entflohenen Bruder Renier's – Wilhelm von Stoutenberg – welcher in Brüssel unter dem Schutze der Erzherzogin Isabella lebte, wiederholentlich die Rückkehr nach Holland verweigerte, war er doch zu edel und milde gesonnen, um dies länger als nöthig auf die übrig gebliebenen Mitglieder der unschuldigen Familie beider Verschwörer auszudehnen. Die Schwester der Brigitta Gröneveld, das Fräulein von Casambort, war daher unangefochten, aber unter den Kummerthränen der Familie Barneveldt, zu der sie durch die Vermählung ihrer Schwester mit Gröneveld gehörte, aufgewachsen.

Das Schicksal dieser zärtlichen Schwester Brigitta, deren Erinnerung durch alle Verwandte, Wärterinnen und Freunde des Hauses in dem kleinen Mädchen erhalten blieb, war die Spindel, um die das heftig fühlende Kind sein ganzes Leben drehte. Schon als schwaches, unmündiges Wesen wollte sie selbst gehen, sie aufzusuchen. Als kaum erblühte Jungfrau kniete sie vor Friedrich von Oranien und begehrte so stolz und heftig, daß ihre Freunde zitterten und Friedrich lächeln mußte, die Amnestie für ihre Schwester und für das Kind Grönevelds. Aber diese war schon längst in dem Statthalter beschlossen und die Gelegenheit ihm willkommen, sie zu gewähren. Mit befestigtem Selbstgefühl erhielt Urica de Casambort was sie begehrt, und ihr unternehmender Geist überbot mit seinen Plänen zur Auffindung der Schwester alle Beschlüsse ihrer Umgebungen. Es war die Leidenschaft, die sie sich gestatten durfte, und um die sich zuletzt Alles in dem jungen Mädchen drehte, und unbeachtet und ungelenkt in diesem Gemüthe Furchen zog, die manches mit fortrissen, was zur Milderung ihres heftigen Blutes bestimmt gewesen wäre.

Dabei stachelte sie ein Widerspruch in ihren Verhältnissen. Als ob man sie zur Rache und zur Sühnung des erfahrenen schweren Geschickes auferziehen wollte, so hatte man in Gegenwart des frühreifen Kindes all' die Gewaltthaten aufgezählt, welche das Haus Barneveldt erlitten. Wenn aber das arme Kind dadurch bis zur thätigsten Rachsucht gereizt war, so fühlte sie stechend den Widerspruch, welcher diese Aufregungen ohne Unterstützung ließ; denn die, welche diese Gefühle erweckten, waren alte, kranke, in Gram dahinwelkende Menschen, die dem eignen Schmerze genug thaten, ohne in der finstern Beschränkung, die der unausgesetzte Gram giebt, zu ahnen, was sie damit in dem jungen Herzen für Gluten anfachten. Dabei hörte sie von der Thatkraft, von dem Widerstande Olden Barneveldts, von der Rache ihres Schwagers und dessen Bruders – und indem sie glaubte, sie könne ihnen das Alles nachmachen, sie würde dasselbe vermögen, sah sie um sich untätige, hochbejahrte, von Gram und Kummer geschwächte Menschen, die keinen Gedanken mehr an Widerstand hatten, der auch in Wahrheit in der Gegenwart keinen Gegenstand mehr finden konnte. So mußte das glühende zürnende Mädchen zwischen Krankenbetten verschmachten und behielt keinen andern Trost, als Pläne für die Rettung und Wiederauffindung ihrer Schwester zu machen.

Mit ungemessenem Stolze schlug sie alle Verbindungen aus, welche der Statthalter selbst ihr mit den ersten Familien vorschlug, und vermählte sich endlich vor dem Krankenbette ihrer Wohlthäterin, der Witwe Olden Barneveldts, mit dem Grafen von Casambort, ihrem Vetter aus der älteren begüterten Linie ihrer Familie, welcher das lang zögernde Jawort seiner Braut nur mit dem Versprechen eintauschte, nach dem Tode der Witwe des Großpensionairs sich in alle Pläne seiner Gemahlin zu fügen, wodurch diese die Wiedererlangung ihrer Schwester oder deren Tochter zu erreichen hoffen könnte.

Ohne die Liebe zu kennen, hatte Urica sich ihrem Vetter vermählt und nach wenigen Jahren, welche noch an dem Krankenbette der kummerbeladenen Greisin verflossen, sah sie sich an der Bahre derselben zu gleicher Zeit, als die Witwe des jugendlichen Gemahls, den ein schneller Tod auf der Jagd erreichte.

Durch beide Todesfälle ward die Gesundheit der Gräfin Urica so ernstlich erschüttert, daß eine schwere Krankheit und ein langes darauf folgendes Siechthum die Pläne, mit denen sie ihre Jugend genährt, zurückdrängten. Doch blieb sie, nachdem ein Aufenthalt in Italien sie in etwas gekräftigt, nicht ganz unthätig und entschloß sich endlich zu einem öffentlichen Aufruf in allen Ländern, und namentlich in ganz Holland, worin die Amnestie-Erklärung für die Familie Grönevelds mit den Aufforderungen der einzigen Schwester der Verschollenen der verwitweten Gräfin von Casambort sich vereinigten. Große Belohnungen waren darin denen zugesagt, welche über den Aufenthalt von Mutter und Kind Nachricht zu geben vermöchten – und der Verschwundenen die liebevollste Aufnahme der zärtlichen Schwester verheißen.

Es konnte natürlich nicht fehlen, daß Amsterdam zu den ersten Städten gehörte, wo diese Aufforderung verbreitet ward; denn außerdem, daß ein so großer Ort und eine so bedeutende Hafenstadt viele Hoffnungen auf sich dort sammelnde Nachrichten geben mußte, blieb der Gräfin Urica Aufmerksamkeit besonders auf diese Stadt gerichtet, weil aus den Verhören Grönevelds eine Schlußfolge hervorging, er könne von dort aus seine mißglückte Flucht nach England bewirkt haben. Nie zwar bestätigte eine Antwort des eisernen Renier diese Wahrscheinlichkeit; aber sie war seinen Richtern nicht entgangen, war in den Acten, deren Abschrift sich Urica verschafft hatte, hervorgehoben, und wurde ihr jetzt der Anhaltpunct, auf den sie immer wieder zurückkam, da es erwiesen war, daß Gröneveld seine Flucht zur See allein fortgesetzt habe.

In welchen Zustand obige Bekanntmachung Jakob van der Nees versetzte, wird aus dem bisher Mitgetheilten ziemlich zu errathen sein. Er hielt im ersten Augenblick Alles verloren und steigerte die Gefahren, die hieraus für seine Existenz erwuchsen, höher als er zu erwarten hatte.

Aber der verwegene Speculant, der den unredlichen Muth hat, jedes Mittel zur Förderung seiner habsüchtigen Pläne zu ergreifen, wird zu seiner ihn verfolgenden Strafe von der Feigheit belauert, die ihn bei der kleinsten Gefahr mit ihren Schreckbildern geißelt, und von deren Eingebungen er sich fast mit Willen beherrschen läßt, um die Größe seiner Verzweiflung zu rechtfertigen.

Glücklicherweise war er allein, als er auf dem Kaufhause von dem Huissier diese Bekanntmachung empfing, und er behielt Zeit, seine erste fürchterliche Erschütterung den Augen seiner Bekannten zu entziehen.

Doch war er außer Stande, an diesem Orte, der ihn der Beobachtung bloßstellte, zu bleiben oder sich auf den Kornmärkten zu zeigen. Er stürmte nach Hause und vergrub sich, von Niemand gesehn, in eins seiner Packhäuser. Hier stürzte das volle Maaß der hierdurch entstehenden Gefahren auf ihn nieder, und er blieb noch lange unfähig, seine Gedanken zu ordnen oder zu einem Entschluß zu kommen.

Die Zeit war ihm schnell vergangen und er hörte plötzlich, wie der Schiffer durch den heulenden Sturmwind die Stimme des rettenden Piloten – Angela's klangreiche Worte und den alten zärtlichen Ruf: »Nees! Nees! lieber Nees!«

Er sprang vom Boden auf und that einen fürchterlichen Schwur, um jeden Preis sich zu bewahren, was er bis jetzt sein genannt – dann rannte er der lieblichen Stimme entgegen.

Angela war jetzt neunzehn Jahr und eine jugendkräftige, blühende Jungfrau. Sie war nicht schöner geworden; ihre Züge hatten im Gegentheil immer mehr hervortretende Unregelmäßigkeiten bekommen; Stirn und Augen allein konnten den edlen Ursprung verrathen. Dem übrigen Gesicht war wie Gewalt geschehen; der feinere Beobachter hätte sagen müssen: sie ist nicht zur Reife gekommen, die Verhältnisse haben die zarteren Keime vergraben, sie haben sich hinter gröbere Stützpuncte zurückgezogen.

Gewiß ist es aber nöthig, daß wir hier die Veränderungen hervorheben, welche Angela mit und ohne ihren Willen im Hause bewirkt hatte.

Zum Theil wenigstens war eingetreten, was Nees immer gefürchtet, so wie er den Einfluß Anderer nicht mehr von Angela abzuhalten vermochte – ihr Gesichtskreis hatte sich erweitert, und damit hatte sie einen vergleichenden Blick bekommen und den schauderhaften Mangel erkannt, in welchem Alle schmachteten. Es entstand dadurch ein merkwürdiger Kampf zwischen Angela und Nees, den Nees mit dem entschiedensten Nachtheil führte; denn Angela war, ohne es zu ahnen, ein völlig verzogenes, ungestümes, hartnäckiges Mädchen geworden, und Nees hatte sich an diese Fehler, die er selbst entwickelt, allmälig so gewöhnt, daß er ihre Existenz gar nicht merkte. Als nun Angela auf Verbesserungen drang und Alles so gut und so heimlich und so wohlhabend wie bei dem guten Pastor haben wollte, schlug ihm das Gewissen, was sich unter keiner andern Berührung als der ihrigen regte. Ihm fiel ein, wie viel besseres sie verlangen könnte, als jene kleine beschränkte Wirthschaft, die das Ziel ihrer Wünsche war, und er zögerte zwar und kämpfte gegen ihre Ansprüche; aber er ließ sich eines nach dem andern entreißen und fühlte selbst eine sich furchtsam zugestandene Lust, wenn Angela, statt der von ihm noch immer so bitter gehaßten Susa, die Einrichtungen betrieb und sich im Vortheil träumte und ihre Zufriedenheit äußerte.

So war von eigentlichem Hunger nicht mehr die Rede, und Kleidung und Geräth trat dazu in anständigere Verhältnisse, und es fehlte bloß Angela an dem Bedürfniß mehr haben zu wollen, so würde sie auch dies nach und nach erreicht haben.

Dessenungeachtet blieb dies Haus ein öder und trauriger Aufenthalt, und Nees würde in immer gleich unerbittlicher Strenge jeden Umgang davon abzuhalten gewußt haben. Dies Bedürfniß kannte Angela auch kaum und vermißte es nicht, da sie täglich zur Pastorin ging, mit ihren Kindern spielte, oder von der Bäckerin über den ganz gewöhnlichen Betrieb des Marktes und der Schiffer und Fischer ihre Unterhaltung schöpfte. Kam Nees nach Haus, so war das der Glanzpunct des Tages, denn er brachte jedesmal etwas zu erzählen mit und hatte eine natürliche Komik, die er nicht verlernte, da Angela jeden Tag darauf rechnete, und wenn er sich von verdrießlichen Gedanken wollte beherrschen lassen, mit einem sehr hartnäckigen Schmollen auftreten konnte, was er unfähig war zu ertragen.

Seit langer Zeit war der Zustand der armen Mutter derselbe geblieben; aber seit den letzten Monaten schüttelte Susa oft den Kopf, wenn sie die rasche Abnahme der Kräfte gewahrte und auch die wenige ihr gebliebene Wahrnehmungskraft nach und nach erlosch und das Lächeln in eine starre Mienenlosigkeit überging, die ihr bei geschlossenen Augen das vollständige Ansehn einer Leiche gab.

In Angela waren durch die Lehren und das Beispiel der guten Frau Harsens – der Einzigen, welche zuweilen dies öde Haus betrat – alle Empfindungen kindlicher Liebe geweckt und wahres Pflichtgefühl, wie auch eine schöne weibliche Thätigkeit entwickelt. Mit großem Geschick und unermüdetem Fleiße sorgte sie für diese von ihr zärtlich geliebte Mutter, und die gute Susa, für welche sie nicht minder zärtlich fühlte, und welche sich bei einstellender Kränklichkeit oft von ihren Geschäften belästigt fand. Ihre jugendliche Kraft, die nicht mehr durch Hunger zurückgehalten wurde, ließ Angela jede Anstrengung leicht ertragen, und sie war nie heiterer und zufriedener, als wenn sie recht viel zu beschaffen hatte.

An dem Tage, den wir eben bezeichneten, wo Nees den drohenden Angriff auf sein Glück erlebte, sollten sich die Umstände sammeln, um auch ihn die überall und in jedes Menschen Leben vorkommende Erfahrung zu lehren, daß kein Unglück allein kommt.

Angela kam ihm in Thränen entgegen und bat ihn, zur Mutter zu kommen. Als er den Saal betrat, der viel an seiner Ausstattung gewonnen, sah er Susa neben dem Stuhl der Mutter knieen, welche leblos mit allen Zügen des Todes darin niedergesunken lag. Jakob glaubte wirklich im ersten Augenblick, sie sei verschieden, und Schreck und Entsetzen erfaßten ihn, denn er übersah schnell eine neue durch ihren Tod entstehende Gefahr. Aber Susa's Ruhe und die Ueberzeugung, daß ihr Körper noch warm und biegsam sei, zerstreuten diese Furcht, und er schlug Angela vor, sie auf seinen Armen nach ihrem Bette zu tragen. Dort kam die arme bewußtlose Dulderin zwar wieder zum Leben zurück, aber ihr Zustand blieb zu schwach und zu gelähmt, als daß man sie wieder aus dem Bette hätte bringen können; denn ein zweiter Nervenschlag, der wie der erste unbenannt blieb, weil Niemand daran dachte, einen Arzt zu fragen, hemmte noch mehr die Tätigkeit dieser langsam Sterbenden.

Nach mehreren Stunden erst gelang es den vereinten Bitten von Nees und Susa, Angela dahin zu bringen, daß sie mit ihm hinunter ging, und nachdem sie ihr einsames Mahl allein und traurig zu sich genommen hatte und ihre Thränen zu fließen aufhörten, da die Mutter in einen natürlichen Schlaf gesunken war, wollte Nees eben ein zerstreuendes Gespräch mit ihr beginnen – da erhob sich plötzlich ein Tumult auf der Straße, und in einem Zuge von Straßenjungen und geschäftslosen Müßiggängern kam ein Reiter daher, der sich mit einer Trompete Achtsamkeit verschaffte und dann bei jedem zehnten Hause die uns bekannte Aufforderung der Gräfin von Casambort ablas.

Angela horchte einen Augenblick und lief dann gegen die Fenster. Dadurch gewann Jakob Zeit, sich zu fassen, denn der Athem stockte ihm bei dem ersten Schmettern der Trompete in der Brust, weil er sehr wohl die beobachtete Procedur bei solchen Ankündigungen kannte und keinen Augenblick zweifelte, es sei die von ihm gefürchtete.

Obwohl Angela zum Fenster gelaufen, blieb sie doch nicht lange daran stehen und erzählte Jakob, wie sie den Ausrufer heute Morgen schon bei der Bäckerin gehört habe: wie eine vornehme Dame ihre Schwester und ihre Nichte suchen lasse, und große Belohnung an diejenigen verspräche, die ihr Nachricht über beide geben könnten. »Ach, Nees! begreifst du, wie das zugeht?« fuhr sie fort – »wie Menschen von so hohem Range, was man sagen kann, verloren gehen können, wie eine kleine unbeachtete Stecknadel?«

Nees schwieg, und die Qualen, die ihn durchwühlten, raubten ihm ganz die Gedanken. Angela war auch in ihre eigenen Betrachtungen vertieft und achtete nicht auf ihn. »Ich fragte schon den Pastor,« sagte sie noch. –

»Den Pastor?« schrie Nees und ergriff krampfhaft Angela's Arm – »du fragtest den Pastor?«

»Nun ja!« sagte Angela, sich unwirsch losmachend – »er hat so viel Einsicht! Da erzählte er mir, was vor meinen Lebtagen für Verfolgung im Lande gewesen, und wie ganze Familien um schlechter Gründe willen auseinander gesprengt worden wären und sich nie wieder zusammen gefunden hätten; auch Viele elendiglich umgekommen seien in fremden Landen oder unter fremden Namen noch wie Bettler umherschlichen; denn nicht Allen lebe eine so gute Schwester und Tante wie die Frau Gräfin, welche so eben ihre Verwandten ausrufen läßt. Ach, Nees! wir mußten die Kinder recht herzen und küssen, und konnten uns gar nicht denken, wenn sie so verloren gehen könnten, was das für ein Schmerz sein müßte! Sieh, Nees! könnte ich der armen Schwester die Ihrigen auffinden helfen, da wollte ich weit drum gehen, und du sicher auch!« rief sie, sich gegen ihn wendend. –

Doch sie fuhr zurück vor dem gerichteten Verbrecher, der eben den fürchterlichen Schwur gethan, dieser unglücklichen Schwester die Ihrigen, die er in Mangel und Elend fast hatte zu Grunde gehen lassen, während er ihr geraubtes Eigenthum für sich zu großen Schätzen aufgesummt, nie zurück zu geben. Die Nichte dieser durch Rang und Reichthum so mächtigen Gräfin von Casambort saß in Magdsgestalt, ahnungslos über ihre angeborenen Rechte, vor ihm, und ihr Herz regte sich teilnehmend bei der ersten Kenntniß von dieser ihr entzogenen Tante – und ihn fragte sie, ob er ihr helfen wolle, die Verschollenen aufzufinden. »Nees, lieber Nees!« rief sie, als sie seine Bewegung sah.

»Du willst mich verlassen?« schrie er, halb erstickt von seiner Qual – »du willst für Andere leben – du willst mich tödten?«

Angela war, obwohl solche Anfälle sich verringert hatten, doch nicht unbekannt damit, und wußte wohl, daß sie die Macht besaß, ihn zu beruhigen. »Nees,« sagte sie ermahnend – »sei nicht so wirr und unvernünftig! Heißt das dich verlassen, wenn ich die suchen möchte und gern wieder vereinigen, die ein trauriges Geschick getrennt hat? Wie trennt mich denn das von dir selbst, wenn ich suchte – mit wem soll ich mich denn vereinigen – wo gehöre ich denn anders hin als hierher zu dir, mein guter Nees?«

Er hatte sich bald gefaßt, aber sein Dämon trieb ihn heute, zu neuen Qualen selbst die Hand zu bieten. »Ach,« sagte er – »Angela, wirst du so immer denken? Wirst du nicht doch einmal Neigung bekommen, dies Haus und uns zu verlassen?«

»Du meinst,« sagte Angela ruhig – »wenn ich mich verheirathen werde?«

Nees polterte von seinem Stuhle auf, als schnellte er ihn in die Luft – dann stürzte er darauf zurück, und schrie, während er die Hände über dem Kopfe rang: »Heirathen – du willst heirathen?«

»Nun ja!« sagte Angela – »was meinst du denn? – wie soll ich denn sonst aus dem Hause kommen? Pfui!« rief sie dann barsch, als sie Nees um den Tisch herum setzen und sich die Haare raufen sah – »sei gleich vernünftig und setz dich hierher, damit wir ein verständig Wort sprechen können!« und Nees folgte ihren Worten, aber er zitterte wie ein Espenlaub. – »Nun sprich,« fuhr Angela fort – »meinst du das nicht? Die Bäckerin und auch Frau Harsens sagt: das bliebe nicht aus, daß wir Mädchen heiratheten – und mir wäre das sehr zu wünschen, denn ich könnte nicht glauben, wie viel besser es Frauen hätten, die gute Männer bekämen, als solche Mädchen, die so lebten, wie ich!«

Jakob wand sich auf seinem Stuhle und winselte wie unter Schmerzen, aber er rührte sich nicht, denn Angela hatte ihre Hand auf seine Faust gelegt; nur eine grimmige Wuth gegen die beiden Verführerinnen entstand in seiner ungezähmten Brust.

»Und nicht wahr,« sagte er giftig – »sie haben dir schon einen Bräutigam ausgesucht – und werden hinter meinem Rücken, ehe ich es ahne und weiß, dich rauben – mir wegnehmen?« – die Stimme schnappte ihm ab.

»Ja freilich,« sagte Angela sorglos lachend. »Jede hat einen, den sie mir empfehlen möchte! Die Bäckerin hat ihren Sohn – Frau Harsens ihren Bruder! Aber den Bäcker, der noch in der Fremde ist, den mag ich nicht, obwohl die Wirthschaft viel schöner ist, als bei uns, und solche Luststuben, wie die der Frau Lievers, mein ganzes Glück wäre. Aber ich mag die Last nicht mit dem Verkauf und den vielen fremden Leuten, die da kommen und gehn. Mir wäre so ein künftiger Pastor lieber – so eine stille Wirthschaft wie die Harsenssche.«

»O mein Gott, mein Gott!« schrie der verzweifelnde Nees.

»Aber der junge Mann, den ich nur einmal gesehen habe,« erzählte Angela weiter – »ist blutarm und dient noch im Seminar als Unterlehrer, – dem müßtest du also ein gutes Stück Geld geben, wenn du den lieber als den Bäcker zu meinem Manne haben wolltest. Uebrigens« – fuhr sie hastig fort, da Nees sie zu unterbrechen trachtete – »die Bäckerin sagte auch, bei der Gelegenheit würdest du wohl bekennen müssen, ob mir was von deinem Reichthum zugehörte; denn sie glaubt, du seist sehr, sehr reich!«

Das war zu viel. Wüthend sprang Nees auf. – »Reich, reich! – ich reich – reich! – ich Geld geben – du Vermögen – du heirathen? Die Ungeheuer! Die Bestien! Die wilden Thiere! Wollen sie mich denn zerreißen – zerfleischen? In welchen Händen bist du? Du, die ich von meinem Herzblut genährt – du – du hast dich mit diesen Nichtswürdigen verschworen, mich ins Grab zu stürzen – mehr wie das – du willst mich berauben – du willst mich um Alles bringen, was ich erworben – was ich um deinetwillen erworben habe!« Er brach in ein wildes Geheul aus. »Angela,« schluchzte er – »Angela, du willst so gleichgültig von mir gehen – du willst diesen Höllenweibern trauen – und glauben, daß es anderswo besser ist, als bei mir? Angela! Angela ich überlebe es keine Stunde, wenn du weg gehst! Ich stürze mich in die Amstel – ich renne mir den Kopf an der Wand ein, wenn du mich verläßt! Bleibe, bleibe!« schrie er wie wahnsinnig und stürzte vor ihr auf's Knie – »ich will dir Alles geben – Alles, was du willst – du sollst reich sein – du sollst es tausendmal besser haben, als diese Teufelsweiber! Auch eine Luststube, schöner wie die Bäckerin, sollst du haben – ich kann das Alles geben – ich will es dir geben, aber bleib bei mir – bleibe bei mir! Auch reich sollst du sein – reich! – reich! Da sieh' her« – rief er wie ein Rasender in Convulsionen – »da sieh' – das Alles soll dir gehören!« Damit riß er die Schlüssel hervor und wollte die Geldspinden öffnen, aber er erreichte die Wand nicht, sondern fiel in seiner Aufregung schwindelnd davor nieder.

Angela blieb noch einige Augenblicke unbeweglich auf ihrem Platze sitzen; denn Schreck und Betrübniß, den armen Nees so gekränkt zu haben, hatten sie ganz überwältigt. Dann kniete sie weinend neben ihn, stützte seinen Kopf auf ihre Arme und erweckte ihn durch ihre Thränen, durch ihre zärtliche Stimme. – Als er sich auf der Erde von ihren Händen gehalten sah, brach er in einen Strom von Thränen aus. Er sprang vom Boden auf, er breitete seine Arme ihr entgegen, und sie stürzte an seine Brust, und er hielt sie fest an sich gedrückt, indem er sie mit aller Sanftmuth, die ihm möglich war, fragte: ob sie bei ihm bleiben wolle.

»Ach, Nees,« sagte sie – »wie konnte ich denken, daß du mich so lieb hättest? Wie möchte ich doch je wo anders lieber leben, als bei dir – ich habe ja auch Niemand lieber als dich – wollte blos heirathen, weil ich dachte, es müßte so sein, und du würdest es auch wollen.«

Nees fragte sich nicht, ob er das Glück, das er empfand, verdient hatte; er vermochte es, unter der Last seiner Gewissensbisse glücklich zu sein, da ihm Angela gelobt, sie wolle ihn nicht verlassen.

Es war aber eine natürliche Gedankenfolge, daß Nees, als er wieder allein war, aus dieser vorübergehenden Beruhigung zu der Ueberzeugung erwachte, daß dieses Versprechen Angela's ihm keine Sicherheit gäbe, sobald ihr Aufenthalt verrathen werde, und daß er gegen die Verwandtin der armen Brigitta Gröneveld keine Macht besitze, daß Angela schwerlich gegen ihn so wie jetzt gesinnt bleiben werde, wenn ihr durch die vornehme reiche Tante ein Verständniß für dasjenige aufgehen werde, was er ihr bis jetzt so sorgfältig entzogen hatte. Was für Fragen mußten da zur Sprache kommen! Susa wußte, daß das Vermögen Grönevelds in seine Hände übergegangen war; also der Verrath war zu erwarten, denn – durfte er zweifeln, daß Susa ihn eben so haßte, wie er sie? Was er auch gethan, seinen Reichthum zu verbergen, er wußte, daß eine Frage bei der Kaufmannsgilde über sein Vermögen ihn zum reichen Manne stempeln würde, wenn er sich auch mit heimlicher Lust gestand, er war es noch mehr, als sie ihm nachrechnen konnten. Aber dann blieb keine Ausrede für die Rechenschaft über das empfangene Gut und damit trat die entsetzliche Verantwortung hervor, daß er die ihm als das heiligste Gut anvertrauten Erben dieser Schätze, in Elend und Mangel hatte zu Grunde gehen lassen. Zu seiner Strafe fiel ihm Alles ein, was diese Rechenschaft Fordernden sagen könnten. Ob die arme Wahnsinnige nicht zu retten gewesen wäre bei ärztlichem Zuspruch und besserer Pflege, welches er Beides ihr aus Geiz entzogen – ob Angela nicht ihrem Range nach und als reiche Erbin zu einer diesen Ansprüchen gemäßen Erziehung berechtigt gewesen wäre. – Und zuerst verglich er das arme unschuldige Wesen mit den edlen hochgebildeten Frauen aus dem Hause Barneveldt, die er in seiner Kindheit mit scheuer Ehrfurcht bewundert, und schauderte zusammen, als er sich gestehen mußte, er habe aus der Enkelin dieses Hauses eine geringe Magd werden lassen, welche die rohesten Arbeiten ohne Rücksicht für ihn zu thun bereit sein mußte! Wie wenig haltbar war dagegen der einzige Grund, womit er die Ansprüche der armen kurzsichtigen Susa verscheucht, gegen Personen, die ihm leicht beweisen konnten, daß nach dem bald erfolgten Tode des Prinzen Moritz von Gefahr überhaupt gar keine Rede mehr sein konnte, und Jakob jedenfalls verpflichtet war, der Familie die Anzeige von dem Leben und Aufenthalt dieser nahen Verwandten zu machen. – Wie viel unabweisbarer ward aber dieser Vorwurf für ihn, wenn er nicht jetzt diese Anzeige machte, da der Aufruf ihm durchaus bekannt geworden sein mußte, und wenn er es dennoch unterließ, sein böser Wille entschieden und Verantwortung und strenge Strafe unausbleiblich war. Und wie war die Gefahr des Verraths hierdurch gestiegen, wie unwahrscheinlich, daß bei der erregten Aufmerksamkeit, die sich gewiß auf alle Häuser wenden würde, sein geheimnißvolles Treiben der Nachforschung entgehen werde, da er so viele Feinde und Neider hatte, und von den Besseren selbst als ein sündhafter, hinterlistiger Mensch angesehen wurde.

Wenn sein scharfer richtiger Verstand ihm keine der Gefahren verschwieg, die durch diesen Schritt der Gräfin von Casambort ihm fast überwältigend nahten – würden wir uns doch sehr irren, wenn wir erwarteten, daß sein hartnäckiger Charakter dadurch zu einer Veränderung seiner Beschlüsse getrieben worden wäre. Sein ganzes Nachdenken ging nur darauf aus, wie er seinen Besitz schützen und befestigen sollte, und er schlich allen Möglichkeiten dazu mit einer Sorgfalt und einem Scharfsinn nach, um endlich vor dem einzigen Rettungsmittel stille zu halten, welches allein im Stande war, alle ihm drohenden Gefahren abzuhalten. Aber wir dürfen die psychologische Merkwürdigkeit nicht verschweigen, daß der Gedanke an dies Mittel ihn wie ein Fieber ergriff, sein Körper zitterte, seine Zähne schlugen zusammen und sein Haar sträubte sich zu Berge. Aber er überwand diese Erschütterung und setzte nun als Vorsatz das fest, was ihn als erster Gedanke fast überwältigt hatte – er beschloß: Angela zu heirathen.

Sie, das arme ahnungslose Wesen, hatte selbst den Weg zu dieser Gedankenfolge gebahnt. Ihr unschuldiges Geständniß, daß sie überhaupt daran gedacht habe, hatte plötzlich den Vorhang zerrissen, hinter dem Jakob mit Angela gelebt hatte, und die noch bis jetzt für ihn ein Kind gewesen war. Auch da, als er diese Ansicht durch ihr Gespräch aufgehoben fühlte, wäre Angela vor seinen weiterschreitenden Gedanken gesichert geblieben, hätten nicht die Umstände seinen Verstand gespornt, auf Rettungsmittel zu denken.

Es war ausreichend, das mußte er sich triumphirend gestehen. Es sicherte ihm seine habsüchtige Gier auf das angeeignete Vermögen; es entkräftete jeden Angriff der zürnenden Familie; es band Angela's Willen gegen jede Versuchung, die ihr von dort bevorstand – und – es sicherte ihm ihren Besitz fürs Leben! Dieses einzige Glück, das in ihm einen höheren Werth hatte – dieses einzige Gefühl, das nicht so verdorben und beschmutzt wie seine übrigen Neigungen war – und das er vielleicht grade deshalb mit der ganzen fürchterlichen Energie seines Charakters fest hielt, weil er dabei ausruhte, wenn ihn alle übrigen Regungen hetzten und versuchten und die Qual des bösen Gewissens beimischten. Erst heute war ihm eine Ahnung seiner Verschuldung auch gegen Angela aufgetaucht. So sehr hatte er sie geliebt, daß er geglaubt, gegen sie habe er nichts zu bereuen.

Auch diese Ahnung der Schuld blieb nicht ohne Einwirkungen, und er kam endlich mit einem bis in die kleinsten Nebendinge wohlgeordneten Plane zu Stande, welcher ihm allerdings viele kaum für möglich gehaltene Zugeständnisse entriß – »aber nicht umsonst!« setzte er lächelnd hinzu – »denn sie sichern mich alle in meiner, dadurch unbezwinglich werdenden Stellung!«

Erst jetzt fiel ihm ein, ob Angela ihn werde heirathen wollen. Wie schwer mußte es Jakob van der Nees werden, sich selbst zu prüfen mit der von ihm so grenzenlos verachteten Frage, ob er so viel äußere Annehmlichkeiten besitzen möchte, um sich die Liebe einer Braut zu erwerben. Er lachte höhnisch auf, als er seiner Häßlichkeit gedachte, von der er eine feste aber gleichgültig bei Seite gelegte Ueberzeugung hatte. Er verspottete sich selbst, indem er sich rieth, dies vernachläßigte Aeußere durch etwas mehr Sorgfalt zu heben, und er mußte sich bei diesen Betrachtungen gewiß schauderhaft ausnehmen, denn es war Nacht und er saß bei der düsteren Lampe auf einem Haufen alten Leders, das seine Schlafkammer einnahm, und sprudelte sein kurzes höhnisches Lachen dabei vor sich hin.

Und dennoch hielt er den verachteten Gedanken fest. In diesem felsenharten Charakter, in dessen tiefem Schacht nur nach Geld gegraben wurde, rührte sich plötzlich der Feind der Menschheit, die Eitelkeit – und der Geiz hatte in diesem Augenblicke den einzigen Feind gefunden, von dem er jemals bezwungen worden ist. Zuerst fing er an, seine Jahre zu zählen, Angela war neunzehn Jahr, er war vierzig, die Rechnung schien ihm nicht übel, darin lag nichts unmögliches. Er stand auf und ging mit festen Schritten auf und ab, er vertiefte sich so, daß er sich nicht mehr verhöhnte, und doch prüfte er sein ganzes Aeußere wie die koketteste Frau, die mit den verblühenden Reizen noch Herzen erschüttern will. Er fühlte sich unverbildet – – ohne Fehler – seine rohen Begriffe waren damit beschwichtigt – etwas bessere Kleider – das Haar unter Kamm und Scheere – den Bader zum Zustutzen des Bartes – neue feinere Wäsche – das wird einen Mann geben wie alle andern! sagte er nicht mehr lachend, sondern sich hochmüthig aufrichtend, denn die Eitelkeit saß mit ihrer Geißel auf seinem Rücken und lachte behaglich den Geiz aus, der zitternd auf seine gefüllten Säcke blickte; denn sie war gesonnen, ihren neuen Zögling so toll als möglich zu machen und die Schlingen der Goldsäcke zu lösen und das Gold dahin rollen zu lassen.

Dann lass' sie kommen – fuhr er in seinen Gedanken fort – die hohen Verwandten – die Barneveldt und Casambort – , was wird denn geschehen sein, worüber sie mir zu Leibe dürften? Das Vermögen Grönevelds hat sich hundertfach verdoppelt – und wer kann sagen, daß es der Erbin nicht gehört – bloß, setzte er mit einem Sprunge und einem kurzen Lachen hinzu, daß die Erbin mir gehört! Dagegen wird die Spur bald verschwunden sein, wie man bisher hier gelebt – brauche ich doch nur das Lager aufzuschließen und die Tapeten aus Arras und Brügge an den Wänden aufzuhängen – die Gläser von Venetia – die Geschirre aus Frankreich und England – ich brauche ja nur van der Nees auf die Ballen und Kisten zu schreiben, so werden sie nicht weiter versendet. Und meine Braut! Ha! kann ich nicht Sammet und Seide und Stickereien haben wie alle Andern – und ist der Schmuck ihrer Mutter nicht bloß versetzt, und kann ich ihn nicht wieder holen, so wie ich eingestehe, daß ich das Geld habe ihn einzulösen? Dann mögen sie kommen – dann wird die Gattin des reichen Nees in dem schönen Hause in Wohlhabenheit und mit allem Anstande lebend, keine Person sein, deren sie sich zu schämen haben werden; und wollen sie mir ein Wappen geben, so mögen sie an meinen Namen anhängen, was ihnen beliebt – ja! desto besser, wenn der, welcher im Luxus lebt, ein Anderer heißt, als Jakob van der Nees, der die Geschäfte betreibt!

Morgen muß Alles ausgerichtet und entschieden sein – denn – er hielt inne – und einen Augenblick war er wieder der lauernde, finstere Geizhals, der mit Grauen und Schrecken prüfte, ob keine andere Rettung für ihn, keine andere Sicherheit für das schmählig erworbene Eigenthum sei. Aber sein Verstand war ein treuer Referent – er sagte nein – und abermals nein! Er sagte ihm, das Feuer brenne ihm auf den Nägeln – und wäre es auch nur durch die Bäckerin – verrathen mußte er jetzt werden. In diesem Hause, von dem es vielleicht noch nicht ganz vergessen war, daß es ein Eigenthum der Barneveldt gewesen, hier mußten gewiß die Spione zuerst Nachfrage halten und dann war Alles verloren.

Nein! Angela – die Erbin – sie mußte sein Weib werden und die stattliche Frau des Kaufherrn van der Nees. Dann, wenn die Zeit die erste Aufregung beruhigt, ließ sich vieles nach und nach wieder einschränken, was jetzt nicht geschont werden durfte, was ihn vertreten helfen mußte. Und der Gedanke, Angela sein Weib zu nennen, war von großem Einflusse dabei. Seit diesem Morgen, wo das unglückselige Wort »heirathen« über Angela's Lippen gedrungen, hatte er erkannt, was sie ihm war. Er liebte sie von dem Augenblicke an, daß er es sich eingestanden, mit der heftigsten Leidenschaft, mit der ganzen fürchterlichen Energie seines Charakters. Es war ihm, als hätte er das zehnjährige Mädchen schon so geliebt, als wären die Gefühle, die ihn damals antrieben, den Unterricht des armen Kindes zu verhindern, brennende Eifersucht gewesen, als habe er nie anders als so ungestüm für das Kind, das Mädchen, für die Jungfrau gefühlt. Und doch hatte ihm die Sicherheit ihres Besitzes und seine in Geiz und habsüchtige Speculationen versunkene Seele so lange seinen eigentlichen Zustand verdeckt. Was war natürlicher, als daß, jetzt eingestanden und von allen wichtigen Beziehungen seines Lebens getrieben und genährt, dies Gefühl die höchste Kraft erhielt und er die zögernde Nacht verwünschte, welche ihn von der Ausführung seiner Pläne noch abhielt.

Alles stellte sich indessen am andern Morgen zu ihrer Ausführung günstig. Die arme Mutter bedurfte Susa's ungetheilte Pflege; sie kam nicht mit Angela herunter, und als Nees um die Thüre sprang – kniete die Enkelin der Barneveldt, die Tochter der Casambort, vor dem dürftig genährten Kamin und kochte die grobe Brodsuppe für Nees.

Doch für die ihre Erniedrigung nicht Ahnende war der Anblick Jakobs die einzige Erheiterung, und Beide sahen sich freudig an. Angela war nach der durchwachten Nacht traurig von dem Bette geschlichen, auf dem die Mutter endlich entschlummert war, und auch Susa hatte sich, erst jetzt einige Ruhe findend, auf ihrem Lager niedergestreckt. Nees war freilich die einzige Hoffnung, welche Angela hegen konnte, um ihre Gefühle zu erleichtern und dieser verschlang wie ein hastig abzumachendes Geschäft die ihm vorgesetzte Suppe und schritt dann ohne alles Zagen zur Ausführung seines wohlgeordneten Plans.

Zuerst mußte er aber Angela's Thränen fließen machen, denn er stellte ihr den nahen Tod der armen Mutter vor; und nachdem er ihr mit großer Ungeduld einige Zeit zu ihrem Schmerze gegönnt, fing er an, sie mit dem Gedanken für ihre Zukunft zu ängstigen; »denn sieh,« fuhr er fort, als Angela erschrocken zu ihm aufsah: »du bist weder meine Schwester, noch meine Anverwandte – also könnte ich dich nicht im Hause behalten!«

»Nees!« rief sie lautweinend – »nun willst du mich verstoßen? du mein einziger Beistand und Schutz, wenn die arme Mutter sterben sollte. Aber sage mir doch, wer bin ich denn eigentlich? Ist es denn wahr, daß Susa's Bruder mein Vater war – und daß ich nach ihm hieße? Und sag' mir auch, wie es zugegangen ist, daß Susa nie gewollt hat, daß ich sie Tante nenne und doch ihren Namen führe?«

Nees kam dies etwas unvorbereitet – er räusperte sich und gerieth dann in folgende schwülstige Auseinandersetzung: »Hör' Angela – sag' mal – hat dich der kluge Herr Pastor nicht das vierte Gebot gelehrt? He! wie heißt es, wenn ich bitten darf?«

»Du sollst Vater und Mutter ehren,« erwiderte Angela, imponirt von diesem Anfang –

»Nun, nun!« fuhr Nees triumphirend fort – »da haben wir es! Vater und Mutter ehren, das heißt ihnen gehorsam sein – ihnen gehorsam sein heißt, die Nase weghalten von dem, was die Kinder nichts angeht – und Kinder, die sollen Gott danken, daß sie geboren sind – wie und wo – von wem und weshalb – fragen bescheidene, gehorsame, demüthige Kinder niemals ihre Eltern. – Hast du's jetzt weg, Angela?«

Diese schwieg beschämt, wiewohl sie nicht recht einsah weshalb – und Jakob, der mit diesem Eindrucke zufrieden war und sich etwas mehr gesammelt hatte, fuhr nun fort: »die Hand kannst du uns allen küssen, daß wir dir verschweigen, was dir Kummer machen würde – Brigitta ist deine Mutter – damit Basta! Dein treuer, dich liebender Nees hat mit Gefahr seines eigenen Lebens gewacht, daß du nie mehr erfahren sollst, und, wenn es von ihm abhängt, wirst du darüber so unschuldig aus der Welt gehn, wie du hinein gekommen bist! Nun sei hübsch dankbar dafür – und quäle weder dich noch mich mit solchen Gedanken und halte dir die bösen Schwätzer ab – ich meine die Bäckerin und die Pastorin.«

»Lieber Nees« sagte die arme Angela weich – »ich werde dir gehorsam sein; aber sage mir nur, was aus mir werden soll, wenn die Mutter stirbt – und warum ich nicht vor wie nach bei dir bleiben kann?«

Nees wollte das Herz springen. »Du liebe Unschuld du« – sagte er und rückte ihr näher – »weißt du nicht, daß ich noch ein junger Kerl bin, der alle Tage heirathen kann?«

»Du bist noch jung, Nees?« fragte Angela erstaunt, und als sie ihn ansah, lachte sie trotz ihrer Betrübniß laut auf und sagte: »Ich habe immer gedacht, wie du, so sähen die alten Männer alle aus.«

Das war allerdings nicht sehr ermunternd für Nees; aber er war auf einiges der Art gefaßt und fest entschlossen, sich durch nichts von seinem Plane abwendig machen zu lassen. Er lachte daher auf und klopfte Angela auf die Schulter, dann sagte er: »Ja, Angela, das kommt dir so vor, weil du mich von Klein auf kennst – aber ich bin darum doch erst grade in das Alter getreten, wo man an's Heirathen denkt.«

»Und denkst du denn daran, Nees?« sagte Angela unruhig – »und muß ich deßhalb aus dem Hause, weil du eine andere Frau für die Wirthschaft nehmen willst?«

»Nun,« sagte Nees, »warum sollte ich nicht an's Heirathen denken, da du doch daran denkst – und deine Freunde, die Frau Bäckerin und die Pastorin, doch für dich schon den Bräutigam ausgesucht haben! Dadurch sind mir erst die Heirathsgedanken gekommen – denn was sollte denn aus mir werden, wenn du mich verläßt?«

»Aber ich verlasse dich ja nicht,« rief Angela eifrig – »wir hatten es gestern ja schon ausgemacht und heute quälst du mich nun auf's Neue!

»Hör', Angela! du weißt nichts von der Welt und wie es darin zugeht,« sagte Nees. »Ein junger heirathsfähiger Mann wie ich – und ein junges, heiratsfähiges Mädchen können nicht in einem Hause beisammen bleiben, wenn die Mutter stirbt, bei der die Tochter ein anständiges Unterkommen hatte. Verstehst du mich, mein Kind?« und dabei sah er Angela sehr sonderbar an und diese wurde, vielleicht zum ersten Male in ihrem Leben, vor Jakob blutroth; denn sie hatte durch die geschwätzige Bäckerin grade Tags vorher einige Andeutungen bekommen, die jetzt ihr Verständniß für die dunkle Rede Jakobs öffneten.

Da sie schwieg, wurde Jakob muthiger. »Du kannst, Susa, deine Bäckerin und deine Pastorin fragen, sie werden dir Alle sagen müssen, daß Jakob van der Nees wie ein rechtschaffener Mann handelt, daß er dich auf die Gefahren aufmerksam macht, und nicht will, daß dein Ruf von unnützen Schwätzern angegriffen werde.«

»Mein Gott!« rief Angela – »das ist ja schrecklich! Mein Gott! mein Gott! wie unglücklich werde ich dann sein – wo soll ich dann hin? Wie verlassen werde ich auf der Welt ohne dich sein!« Dabei hielt sie beide Hände vor's Gesicht und weinte bitterlich.

»Du machst mir rechten Kummer, Angela,« sagte Nees, der mit Wohlgefallen beobachtete, wie sie der offenen Falle, die er aufgethan, immer näher taumelte. »Wenn ich dir helfen könnte, mit meinem Herzblute wollte ich es thun – sag' mir nur, was du wünschest, ich will Alles, Alles thun!«

»Ach, Nees!« rief Angela trostlos – »thue es – hilf mir! hilf mir – gewiß du kannst es, wenn du mich lieb hast, denn du bist ja klüger als alle Andern!«

»Angela,« sagte Nees – »zwar wird es mir das Herz brechen – aber sage mir offen, willst du den Bäcker oder den Bruder der Harsens heirathen?« Er wußte genau, sie wollte es nicht mehr und hörte auch sogleich, wie sie heftig rief: »Nein! nein! Nees! ich will nichts thun, was dir das Herz brechen kann. Nein! nein! ich laufe heute noch hin und sage, daß ich sie nicht will.«

»Also das wäre abgemacht,« fuhr Jakob fort – »und ich weiß, wenn du einmal etwas so bestimmt gesagt hast, da bleibst du fest dabei. Aber sieh, armes Mädchen, damit verschließt du dir auch das einzige Haus, wo du außer dem Meinigen noch Zuflucht finden könntest; denn natürlich kannst du nicht bei diesen Leuten leben, wo du bald mit zwei Männern zusammen kommen müßtest, die dich heirathen wollten. Oder meinst du doch, daß du dahin könntest? – Möchtest du zur Frau Lievers ziehen und ihr ein wenig im Laden helfen, oder bei der Frau Harsens wohnen, wo der Pastor dir noch weitere Wissenschaften beibringen könnte?«

»Ach nein! ach nein!« rief Angela außer sich, denn der Laden und die Wissenschaften waren ihr gleich sehr zuwider, wie das Nees richtig vorausgesehn – »nein! nein! ich will zu keinem von Beiden – und überhaupt ich will nicht fort von hier. Ach Gott! Nees! verstoße mich doch nur nicht! Was habe ich dir denn gethan seit gestern, daß du so grausam bist? Ich habe ja Alles widerrufen, was dich so kränkte – und von Heirathen hast du gestern noch nicht gesprochen und heute sagst du das nun auch, um mich recht unglücklich zu machen.«

Nees riß die Augen weit auf; aber obwohl er schon im Begriff war die Falle zuschlagen zu lassen, doch zweifelte er noch an seinem übermäßigen Glücke und bezwang sich auf's Neue und sagte, so ruhig er konnte: »Warum macht dich denn der Gedanke so unglücklich, daß ich eine Frau nehmen könnte? Vielleicht könnte ich sie bereden, daß sie dich im Hause behielte – und dann ginge es, daß du bliebest – wie etwa Susa bei deiner Mutter!«

»Nein, nein!« rief Angela – »das will ich auch nicht! ich will deine Wirthschaft führen, Nees – nach wie vor – keine andere soll für dich sorgen – keine Andere soll hier zu befehlen haben.«

»Nun,« sagte Nees – »ich habe jetzt all' meine Vorschläge erschöpft – alle hast du verworfen – immer bestehst du darauf, hier im Hause bleiben zu wollen. Was soll ich nun als treuer redlicher Mann thun? mir bleibt gar keine Ausflucht übrig – du müßtest mich denn selbst heirathen wollen – « setzte er leicht und mit einem ironischen Lächeln hinzu.

Angela fuhr hoch empor – doch lächelte sie auch, verfiel in Gedanken, ward sehr roth und rief endlich: »Sag', Nees, ginge das wohl? thätest du das wohl?«

»Ach geh!« sagte Nees und konnte kaum sprechen vor Aufregung – »ich bin dir ja zu alt – du würdest mich bald verachten und denken, du hättest einen hübscheren und jüngeren Mann kriegen können.«

Angela schwieg und Nees glaubte zu ersticken. Auch überlegte sie wirklich, daß sie immer gedacht habe, ihr Mann müsse jung und hübsch sein und jedenfalls – daß es ihr nie eingefallen war, sie könne Nees heirathen, der ihr sehr alt erschienen war. »Aber,« dachte sie weiter, »Nees sagt doch selbst, daß er noch jung ist, und er hat doch so viel Erfahrung – dann könnte ich doch bleiben, wo ich bin. Ach, dachte sie plötzlich, wenn er mich doch heirathen wollte und die fremde Frau dann nicht einzöge, der ich gehorchen soll, und die die Wirthschaft führen würde – und all' das Unglück,« setzte sie, von unbestimmten Sorgen ergriffen, hinzu.

Jakob störte sie mit keinem Laut in ihrem Nachdenken, denn er wußte, es würde ihm günstig sein; aber er wollte in seiner Heftigkeit vergehn und biß sich die Zunge blutig und krallte die Nägel in den eichenen Tischfuß.

Plötzlich sagte Angela: »Ach, Nees, ich habe das ja nicht verstanden mit deinem Alter. Du sagst, daß du nicht so alt bist, wie ich dachte, und dann ist es ja gut; überhaupt wenn ich es mir recht überlege, wen könnte ich wohl lieber haben, als dich, Nees! Darum, weil ein Anderer hübscher und jünger wäre – hätt' ich ihn sicher noch nicht lieber wie dich.«

»Angela,« sagte Nees jetzt und ließ den Zügel etwas schießen – »Angela, was giebst du mir da für einen prächtigen Gedanken ein. Du willst mich heirathen, meine Frau sein, wir sollen Zeit des Lebens bei einander bleiben? Angela! liebes Mädchen, ist das dein Ernst?«

Angela freute sich, wie sie Nees so vergnügt sah, und reichte ihm die Hand, die er wie in einem Schraubstock festdrückte, und lächelte ihn dabei liebevoll an.

»Hör,« rief Nees und sammelte noch einmal seine taumelnde Besinnung, denn er hatte sich gelobt, seinen Plan bis zum letzten Ende durchzuführen, ohne sich von seiner heftigen Leidenschaft hinreißen zu lassen. »Hör' mich, Angela, weißt du, daß du da was höchst Wichtiges gesagt hast? Weißt du, daß du deinen besten treusten Freund, der dich zärtlich liebt, in eine schreckliche Versuchung geführt hast? Denke dir, wenn ich jetzt auf deine Vorschläge eingehe, wenn ich mich dadurch rasend glücklich fühle und nun, um dich als meine Frau zu ehren und recht glücklich zu machen, dies ganze alte Haus umwandele, daß es strahlt von Glanz, Reichthum und Schönheit – wenn ich nun mich gewöhne, ein glücklicher Mann zu sein, und du bereust dann, was du mir gelobt, du hörst auf Susa, auf deine Freunde, die dir abrathen, die dir bange machen vor mir – und du folgst ihnen und kommst einen Tag zu mir und sagst: »Nees! ich kann dir mein Wort nicht halten, es ist mir Alles wieder leid geworden!« Nees schwieg – er erstickte fast bei dem bloßen Schattenbilde, das er selbst malte.

Aber Angela ließ ihm keine Zeit – »O, Nees!« rief sie – »wie kannst du das denken? Nein, wenn du mich zur Frau haben willst, dann will ich dich zum Mann nehmen, und die Andern können reden, was sie wollen.«

»Ha!« schrie Nees, indem er aufsprang und Angela mit in die Höhe riß – »schwöre mir das! schwöre mir, daß du auf Keinen hören willst, als auf mich – Keinem vertrauen willst als mir – daß du fest dabei bleiben willst, mein Weib zu werden – schwöre es Angela – und brichst du den Schwur, so hast du mich gemordet – keine Minute überlebe ich das – darum schwöre, schwöre!«

»Ich schwöre es!« sagte Angela – aber sie wurde todtenblaß dabei, denn sie war vor Jakobs Heftigkeit erschrocken und verstand ihn nicht, weil jetzt erst die lang bezähmte innere Leidenschaft hervorbrach und sie nicht wußte, ob er glücklich oder wüthend war.

Als er ihren Schwur hörte, faßte ihn eine wahnsinnige Freude – er riß sie in seine Arme – er stürzte ihr zu Füßen – er erdrückte sie fast und lief dann wieder jauchzend im Zimmer umher! Angela hatte sich indessen zufrieden wieder in ihren Stuhl gesetzt und sah ihm höchst heiter zu und sagte immer: »Nees, lieber Nees! da haben wir uns recht unnütz gequält – mir sind Berge vom Herzen herunter – und nun du so vergnügt bist, da bin ich auch so sehr zufrieden! Könnten wir's nur der armen Mutter begreiflich machen, und daß Susa nicht schilt – ich fürchte mich etwas davor.«

Dieses Vorgefühl war nicht ohne Grund, denn Susa hatte beständig mit ihrem tiefen Widerwillen gegen Nees zu kämpfen; und hatte sie nicht zugleich gefühlt, daß er dennoch der einzige Schutz für Angela war und diese wenigstens durch seine Liebe gegen allzu große Leiden gesichert blieb, würde sie nicht angestanden haben, ihr schon längst Alles zu entdecken, was ihr Herz oft bis zum Rande schwellen machte.

Aber wir finden bei ungebildeten und beschränkten Personen, daß – was sie aus Gewohnheit stetig fortthun, ihnen den Anschein von Charakter und Grundsätzen giebt, was häufig auf nichts Besserem beruht, als daß sie in der Richtung, die ihnen oft ganz gegen ihren Willen und gegen ihre Ueberzeugung aufgedrungen ward, weiter leben, weil ihnen der freiere Blick fehlt, sich eine andere Stellung zu ersehen, und die Kraft der Gesinnung, das zu ergreifen, was sie erkennen.

Man hätte Susa's Stillschweigen bewundern können, da ihr weder bei Angela noch bei den Bewohnern des Lieversschen Hauses die Veranlassung zu Mittheilungen gefehlt hatte – aber es war dennoch nichts weiter, als die Angewohnheit zu schweigen, die sie zu Anfang aus Furcht angenommen hatte, und die dann von der langsam sich einstellenden Dumpfheit ihres Geistes unterstützt wurde, und jetzt nach beinah zwanzigjähriger Entwöhnung, ihre Gedanken auf das Erlebte zu richten, nur noch einen unvollständigen Zusammenhang in ihr hatte, woran sie nicht anders, als an ein müßiges Grübeln, das zu keines Menschen Nutzen und Hülfe gereichen könnte, dachte.

Aber an die Möglichkeit, daß der edle Name, den Angela trug, in dem kleinen Krämernamen van der Nees untergehen sollte, daß Angela, die hochgeborene Jungfrau, mit diesem niedrigen verachteten Geizhals, mit dem Räuber ihres Vermögens sich vereinigen sollte, daran hatte sie doch nie gedacht, und es empörte sie bis zu einem Grade, der ihr dumpfes Bewußtsein weckte und das jahrelange Stillschweigen brach, obwohl sie kaum wußte, wie sie ihr Geheimniß los werden sollte, da sie es aus so verschütteten Schachten der Erinnerung hervorholen mußte.

War es nun der verworrene Vortrag Susa's, der hieraus entstand, oder lag es noch mehr in Angela's Charakter und Erziehung – genug – die Wirkung, die Susa erwartete, blieb aus. Angela haftete mit tausend Thränen an dem Schicksal ihres Vaters, ihrer Mutter; aber von der Bedeutendheit ihres Namens und Ranges ging nicht viel in sie über – und Susa erstaunte nicht wenig, als sie Angela nach dieser schwerfälligen Entdeckung, mit der sie Alles gegen Nees hoffte entschieden zu haben, noch eben so entschlossen fand, ihn zu heirathen wie vorher.

»Denn Susa,« sagte sie – »was hat Nees nicht für meinen Vater gethan, als er ihn verbarg und mit eignen Händen hinüber ruderte nach dem Fischerdorfe, von wo er weiter floh – dann daß er uns so sorgfältig verbarg und uns damit das Leben erhielt. – O! Nees ist sehr gut – sehr gut! und wie kannst du sagen, er habe mir mein Vermögen gestohlen? Hat er uns denn nicht ernährt, gekleidet – hat er nicht, wenn er reich ist, dies Vermögen doch allein für uns gesammelt, da er sich nie etwas Besseres erlaubt hat, als wir selbst hatten? Und warum hat er es denn gesammelt? Um mich jetzt zu einer reichen Frau zu machen! Hör' nur, was er Alles vorhat – wie schön es hier werden wird – Alles für mich – ich werde es besser haben wie die Bäckerin und die Harsens – das ganze Haus wird umgekehrt – die Mutter bekommt ein seidenes Bett mit Daunen und ein ganz neues Zimmer – wir beide haben eine Magd wie die großen Kauffrauen – werden Sonntags öffentlich in die Kirche gehn in Seide und Sammt und im Winter in Pelz. – Siehst du! das will Nees Alles aus Freude thun, weil ich seine Frau werden will; also sind alle deine Vorwürfe ungerecht, alle deine Beschuldigungen treffen ihn nicht, denn er hat es immer nur gut mit uns gemeint, und wir sind sehr undankbar, wenn wir ihn nicht dafür lieben.«

Susa war betäubt, wie sie das Alles hörte und am Rande mit ihren Einwendungen. Da dies eine Mittel nicht geholfen hatte, was sie für eine Pulvertonne gehalten, die Alles in Angela in die Luft sprengen würde, fühlte sie sich um den ganzen Vorrath ihres Widerspruchs gebracht und blickte muthlos auf die Zukunft, die sie nicht mehr zu lenken vermochte. Dabei stand ihr Verstand förmlich still, als sie von Jakobs Versprechungen und Plänen in Bezug auf so viel Glanz, so viel eingestandenen Reichthum hörte. Es verwirrte sie völlig über ihre Pflichten, denn sie kam gegen ihren Willen zu dem Gedanken: vielleicht ändert er sich, vielleicht hat sie Gewalt über ihn und es geht ihr gut. Manches war ja schon geschehen, seit sie herangewachsen; warum konnte nicht, war sie erst seine Frau, dieser Einfluß noch steigen. Ihr Mißtrauen und ihr Widerwille gegen Nees machte aber doch, daß sie der Wahrheit ziemlich nahe kam; denn sie sagte immer: »was muß denn geschehen sein, was muß ihn denn drängen, daß er losläßt von seinen Lastern.«

Nees war ein so vortrefflicher Menschenkenner, daß er ohne die kleinste Sorge diese Unterredung Angela's mit Susa erwartete; denn selbst, wenn Susa sprach, was er voraussetzte, wußte er, daß der Eindruck auf Angela nicht groß sein könnte. Ihre Erziehung hatte ihr keinen Maßstab für die Vorzüge der hohen Stände, zu denen sie sich dem Namen nach zählen konnte, gegeben; und Dank der Vernachläßigung und Beschränkung, worin er sie hatte aufwachsen lassen, ihre Begriffe und ihre Neigungen gingen so Hand in Hand, daß sie einen Wohlstand, der sich über das Lieverssche Haus erheben sollte, fast ihre Wünsche übersteigend fand, und seit lange den von Nees empfangenen Gedanken nährte, daß mit den höheren Ständen nur auszukommen sei, wenn man die Wissenschaften inne habe – und dieser verworrene Begriff schien ihr die größten Quälereien des Lebens zu umschließen. Er lachte sogar vor sich hin, als er sich dachte, welchen neuen Vortheil es ihm bringen mußte, wenn Angela – in Kenntniß gesetzt von ihrem Namen und Stande – ihm dennoch freiwillig ihre Hand gäbe; denn dann wußte er, sie werde bei ihrem festen Charakter und ihrer unbestechlichen Wahrhaftigkeit später bei der Entdeckung nie ihre freiwillige Zustimmung zu ihrer Ehe verläugnen – und wo blieb dann der letzte Schatten des Vorwurfs oder des Unrechts!

Dabei arbeitete ihm der Zufall offenbar in die Hände. Die Krankheit ihrer Herrin, an deren Bett Susa seit jenem verhängnißvollen Morgen gefesselt blieb, hatte verhindert, daß sie in ihrem geringen Verkehr mit der Außenwelt geblieben war, und so hatte sie in dem nach dem Hofe liegenden Krankenzimmer nichts von dem Aufruf der Gräfin von Casambort gehört, welcher gewiß größere Erschütterungen bei Susa und vielleicht auch bei Angela erregt haben würde, wenn er zu ihrer Kenntniß gekommen wäre. Angela hatte aber an demselben Morgen so viel wichtigere Dinge erlebt, daß sie hiervon wenig mehr wußte, und Nees hatte außerdem mit großer Verschlagenheit ein Mittel ergriffen, auch Angela's Verkehr mit dem Lieversschen Hause abzuschneiden, wenigstens für die erste Zeit nach dem Aufsehn, welches jener Schritt der Gräfin von Casambort erregen mußte. Auch wünschte Nees, daß Angela mit der Nachricht von ihrer Verlobung mit ihm, zugleich von den Veränderungen im Hause erzählen könnte, welche das Erstaunen der Frauen sehr wahrscheinlich in eben dem Maaße aufregen mußte, als die Verlobungsnachricht selbst, und die Angriffe darauf schwächen.

Es ist eine alte sehr merkwürdige Erfahrung, daß der wahre Geiz sehr häufig für Augenblicke als Verschwender auftreten kann – wenigstens daß es ihm leichter wird, Hunderte und Tausende sich zu entreißen, um irgend einen Zweck zu erreichen, als daß er sich die Bequemlichkeit des täglichen Lebens zugestände. Dem Gebildeten scheint der Besitz des Geldes werthvoll, weil er es als Mittel ansieht, eine Menge kleinlicher Störungen von sich abzuhalten, die dem Unbemittelten Zeit und Gedanken kosten, auf deren freien Gebrauch ohne Druck und Zerstückelung der höhere Geist so vielen Werth legt. Wogegen der Geizige sich in lange Grübeleien vertieft, wie er der Ausgabe einiger Kreuzer entgehen soll, und durch allerlei kleine Listen und Kniffe, die selbst die Ehre verletzen und sicherer noch die Feinheit des Gefühls, sich losmacht von der Beisteuer einer kleinen Summe – und wir wollen dies oft von derselben Person kaum glauben, die ohne Zaudern große Summen Preis giebt. Gewiß sind diese sich so oft widersprechenden Erfahrungen schon häufig ein Gegenstand des Nachdenkens für die Psychologen gewesen, und wir erwähnen in diesem Falle blos die bekannte Erfahrung, die wir eben in unseren Mittheilungen bestätigt finden.

Es ist gewiß, daß Jakob van der Nees am Abend seines Verlobungstages, als er wieder allein war, seine Geldspinden öffnete und mit dem schauderhaften Lächeln, welches ihm der Anblick dieses baaren Bestandes jedesmal abnöthigte, ein paar schwere Säcke mit Goldstücken herausriß, sie mit dem Fuße auf der Erde vor sich hin stieß, als verachtete er ihren Inhalt – und doch im Kamin einige Späne vom Verbrennen gerettet hatte, als ihn Angela verlassen.

Er bestimmte diese Summe ohne Zaudern für die neue Einrichtung des Hauses; er beschloß, sie durch jede Aufopferung zu beschleunigen, und in wenigen Wochen der Gatte Angela's zu sein. Wenn er die Gefahr, Alles wieder zu verlieren, was er erreicht hatte, von sich abwenden wollte, sah er ein, daß diese Eile nöthig sei, und er war zu klug und erfahren, um nicht zu wissen, daß man in schwierigen und gefahrvollen Verhältnissen nicht mit halben Maßregeln einschreiten muß. Sein eiserner Sinn, der sich noch mehr stählte, wenn er einmal einen Entschluß gefaßt hatte, kam ihm zu Hilfe, seinen Geiz zum Schweigen zu bringen, und wir haben schon früher gesagt, daß seine Eitelkeit plötzlich erwacht war, und diese findet sich am häufigsten neben dem Geiz ein, und entreißt ihm die lächerlichsten und widrigsten Zugeständnisse. –

Angela erstaunte nicht wenig, als sie am andern Morgen, wie sie im Saal erschien, um die grobe Suppe zu kochen, Jakob neben einer jungen rüstigen Magd am Kamine fand, der er Anleitung gab, diese zu bereiten.

Er hatte sich beim Grauen des Tages mit einigen kräftigen Ruderschlägen nach einem kleinen Fischerdorfe auf einer der Amstel-Inseln gebracht und aus einer ihm wohl bekannten Fischerfamilie die älteste Tochter geholt, von der er wußte, daß sie eben aus Brüssel zurückgekehrt war, wo sie in der Küche eines Prälaten gedient hatte. Diese folgte ihm gern, als er sie mit bedeutendem Lohn anwarb, und sie sollte statt seiner Braut die Einkäufe übernehmen, wodurch dieser die Besuche in dem Hause der Frau Lievers erschwert wurden, was er ihr auch übrigens durch neue Zerstreuungen aus dem Sinne zu bringen trachten wollte.

Angela ward von ihm mit einer gewissen Würde empfangen und die neue Magd ihr vorgestellt, als zu ihren Befehlen. Aber seine Braut konnte sich schwer in diese Veränderung finden; sie war blöde und verlegen mit der jungen raschen Magd, die so wenig unter ihr zu stehen schien in Kleidung, Betragen und Bildung. Sie mußte immer von Nees unter dem Tische festgehalten werden, denn sie wollte sich immer erheben, um den neuen Ankömmling zu bedienen.

»Bessere Kleider muß sie haben,« schmunzelte Nees – »das hebt das Selbstgefühl; sie wird, so lange sie denselben Rock und dasselbe Mieder trägt wie die Magd, nie glauben, daß sie mehr ist.«

Er nahm sie daher mit sich zu einer Schneiderwerkstatt und ließ ihr mehrere Anzüge anmessen von kostbarem Camblot und schwerem gemustertem Seidenzeuge, wie es damals von Italien aus über alle Luxus treibende Länder verbreitet war. Dazu kamen Spitzen aus Brabant, und eine Mützenmacherin lieferte sammtne Käppchen mit Stickerei und feinen Barben.

Als sie zurückkehrten, war feine Wäsche angekommen, welche damals in großen Vorräthen von Amsterdam, als von einem Stapelplatze, nach England gesendet wurde, und Nees wählte an Menge und Schönheit – wie es Angela erschien – wie für eine Fürstin aus, wobei die Mutter und Susa nicht vergessen wurden.

Dann fanden sich Arbeitsleute ein, welche das Holzzimmer ausbesserten, reinigten und mit glänzendem Ueberzug wieder zu seiner alten Holzfarbe zurückbrachten. Dann wurden die Tapeten zugeschnitten, neue Fenster mit bunten Scheiben eingehängt, der Estrich mit dicken wollenen Teppichen bedeckt. War man bei vielen Arbeitern, hohem Taglohn und einigem Treiben Jakobs mit den unteren Räumen bald zu Stande, da schöne und bequeme Meubles von Außen hinzu geschleppt wurden, so ging nun der Tumult in den oberen Räumen an, wo Jakob, vielleicht mit wenig Geschmack, aber desto mehr Prunksucht, sein und seiner künftigen Gattin Privatzimmer einrichten ließ, und endlich durch die abermalige Genesung der armen Mutter, welche nun wieder das Bett verließ, in Stand gesetzt wurde, auch hier alle Reste der grausamen Dürftigkeit zu entfernen, welche ihm bei der immer über ihm schwebenden – Entdeckung gegründete Vorwürfe zuziehen mußte.

Auch die Treppe und der große düstere Hausflur waren der Reform nicht entgangen. Arbeiter gingen durch die in ihren Angeln verrostet gewesene große Eingangsthür – und die arme Wahnsinnige glitt lächelnd, mit dem Fuße fühlend, und in warme seidene Kleider gehüllt, über die mit weichen Decken belegten Stufen und den Vorflur zu dem prächtig neu eingerichteten Wohnzimmer, wo der weichste Lehnstuhl mit seidenem Sitz sie am Kamine aufnahm, an dessen polirten Stäben der von der Magd genährte Kohlenberg lehnte, der nicht mehr die Mahlzeit zugleich kochte, welche reichlich und verbessert an dem früher erwähnten gastlichen Heerd der Purmurand bereitet ward.

Man kann den Eindruck dieser Veränderungen auf Angela und Susa betäubend nennen, und, wir müssen hinzusetzen, in Beiden eine Art Widerspruch erzeugend. Susa hatte sich in ein so tief begründetes Zürnen mit Nees eingelassen, daß sie sich durch den Anspruch, den er jetzt auf ihren Beifall machte, gekränkt und halb geärgert fand. Sie sah Alles mit finsteren tadelnden Blicken, war mehr abweisend als annehmend in ihren Handlungen, hielt Alles für Heuchelei, »um das Hühnchen zu pflücken,« sagte sie, auf Angela anspielend, und nahm gegen Nees gelegentlich den Ton an, daß dies nur seine Schuldigkeit, ihm längst zugekommen sei, und sich nicht Alles gut machen lasse, was er bis dahin verschuldet habe.

Anders war der Eindruck bei Angela, aber darin ähnlich, daß ihr auch nicht ganz wohl dabei war.

Um einen schönen Besitz zu lieben, um Bedürfnisse des Luxus zu haben, muß der Mensch auf einem gewissen Punct der Bildung stehen. Wird der Ungebildete mit den Gegenständen des höheren Wohllebens umgeben, oder umgiebt er sich selbst damit, gedrängt fast von seinen Geldmitteln, die den materiellen Besitz fordern, sehen wir doch, daß damit das Geheimniß des Wohllebens nicht ergründet ist. Der Ungebildete schafft an, wie dieser oder jener es besitzt; er entwickelt Thätigkeit, ja selbst Geschick bei dieser Aenderung, aber es bleibt eine Handwerksthätigkeit, in der er zuletzt stecken bleibt. Was dem Gebildeten nur der lästige Uebergang ist zu einer ruhigen Form, worin er sich dann mit dem Besitz seines geistigen Lebens niederläßt, befreit von jeder Störung, belebt von dem Gebrauch der Gegenstände, deren Anwendung sein höheres Bedürfniß sucht – erlahmt der Ungebildete sogleich, wenn das Beschaffen beendigt ist, worin eigentlich die Würze lag und die seiner Bildung angemessene Beschäftigung. So wie er aus seiner Handwerksthätigkeit heraustritt, weiß er nicht mehr, was er mit dem Entstandenen machen soll, und wir finden ihn entweder unlustig, darin zu dem geringen geistigen Leben zurückkehren, aus welchem er sich heraus gelockt hat, was nun überdies ihn ärgert, und sich schlecht in der äußeren Veränderung ausnimmt; oder wir finden ihn summend in dieser Handwerksthätigkeit forttaumeln, zu dem Vorhandenen das Neue fügen, oder es umändern, immer in der Hoffnung, ein Ziel zu finden, welches er aber nie erreicht, da seine Bestrebungen nicht in den Forderungen höherer Bedürfnisse wurzeln, die zu ihrem Endpunkt genußreiche Ruhe in dem Gebrauch des Besitzes suchen, der dem Besitzer nicht imponirt, sondern ihm dienstbar ist.

So konnte Nees der armen Angela wohl die Bedürfnisse des höheren Lebens geben, aber er konnte ihr nicht zugleich das geben, was er beinah bis zu ihrem zwanzigsten Jahre consequent in ihr unterdrückt hatte – die Bildung, die den Wohlstand nöthig hat zu ihrer Befriedigung, die Bedürfnisse, die aus einem geistigen Anspruch hervorgehn, und von selbst die materielle Beschränkung und Thätigkeit zu entfernen suchen.

Angela ging scheu und unruhig in den kostbar gewordenen Räumen umher; sie sah neidisch auf die Thätigkeit der Magd, die das that, was ihr sonst oblag; denn sie hatte keine andere Beschäftigung an die Stelle zu setzen, und beengt von neuen und schönen Kleidern dachte sie immer an einen Vorwand, sie wieder auszuziehen, und gab Nees nicht sehr Acht und schalt gelegentlich, so fand er sie lieber bei dem Geschäft, in ihrem armen groben Rock und Jäckchen die schönen Sachen in die Schränke zu packen und fest zu verschließen. Man hätte denken können, Nees habe mit Angela die Rollen getauscht. Er gab sich die größte Mühe, sie an den beabsichtigten Wohlstand zu gewöhnen und ihn überall einzuführen, während Angela jede Ausgabe mit einer Art Schrecken sah, die Einkäufe namentlich der armen Magd – die in dem Hause ihrer Eltern an bessere Nahrung gewöhnt war, als Angela kannte, und der Nees alle Bedürfnisse der Haushaltung nannte und vorschrieb – immerfort tadelte, und aus einer Mahlzeit wenigstens drei oder vier machen wollte. Sie weinte fast, wenn Nees dazu kam und es hinderte, und Alles verbraucht wissen wollte, und so kam es natürlich, daß die Magd sagte: »Der Herr ist wohl gut, aber die Braut ist schrecklich geizig.«

Keiner schien unter diesen Umständen zufriedener, als die arme Wahnsinnige. Sah man den Eindruck, den dies Wohlleben auf sie machte, konnte man Susa's unversöhnliches Herz wohl begreifen, und die Frage konnte nicht ausbleiben: ob dies arme erschütterte Wesen, was plötzlich aus allen Gewohnheiten des Reichthums bis zu so grausamen Entbehrungen hatte heruntersteigen müssen, nicht bei einiger Pflege zu retten gewesen wäre.

Es erschütterte Susa – ja nicht selten Nees selbst – wenn sie so freundlich lächelte und ihnen Allen die schönen feinen weichen Stoffe, das warme Feuer, das schöne Bett und den bequemen Stuhl zeigte – wenn sie, von den guten Speisen auf ihrem Teller überrascht, den Andern davon mittheilen wollte, und sie so lange fragend ansah, ob sie ihr Vergnügen dabei theilen würden.

Nees fühlte recht gut den entsetzlichen Vorwurf, der darin für ihn lag, und er schlug die Augen nieder, um Susa's düsterem, anklagenden Blick zu entgehen, oder ihre Thränen zu übersehen. Angela aber, die in der neuen Lage so vielen Irrthümern anheim fiel, fand in diesen Aeußerungen der geliebten Mutter den einzigen Grund der Freude daran, und die natürliche Folge war, daß sie gegen Nees die größte Dankbarkeit fühlte, und ihn den besten Mann der Erde nannte, und sich die glücklichste Braut dazu.

»O Nees! lieber Nees!« sagte sie oft, wenn sie die arme Mutter mit all' diesen kleinen Gemächlichkeiten versehen hatte – »daß du die arme Mutter noch so glücklich machst; ach! das ist doch mehr werth als Alles, was du mir giebst. Sieh, mein ganzes Leben lang will ich es dir danken und dich dafür lieben, so viel ich nur kann; denn das große Glück, die gute Mutter so lächeln zu sehn – das, dachte ich, würde ich nicht mehr erleben!«

Nees ließ sich das gern gefallen, ja er ward ohne seinen Willen etwas besser dadurch, und vielleicht kann Niemand so glühend lieben, als er Angela liebte, ohne etwas gereinigt zu werden.

Hatte er dagegen zu Anfang listig vorgebeugt, daß Angela nicht zu ihrer Freundin ging, konnte er sie jetzt nicht dazu bewegen, da er es heimlich wünschte.

Mit einem Worte, Angela schämte sich, in den guten Kleidern über die Straße zu gehen und das Erstaunen und das Anblicken der Bäckerin wie der Frau Harsens zu erleben. Und doch wollte Nees, daß sie den Pastor zuerst um die Trauung ansprechen sollte und dabei Alles erzählen und bei zu erwartendem Widerspruche auf ihrer Meinung beharren, was er ihr zutrauen konnte. Endlich mußte er, nachdem er alle andern Versuche durchgemacht hatte, auf ein für ihn sehr merkwürdiges Mittel fallen, indem er ihr kleine Geschenke für die Bäckerin, wie für Frau Harsens und ihre Kinder gab und sie aufforderte, sie hinzubringen.

Dieses Mittel hatte sogleich Erfolg; über die Freude, die zu bereiten, sie ganz taumelnd war, vergaß sie den neuen Anzug, nahm den schönen Straßenmantel an, den Nees um ihre Schultern hing und lief mehr, als sie ging, nach dem gefürchteten Hause.

Allerdings hatte sie hier noch mehr zu erfahren, als sie fürchtete; denn die Bäckerin wollte Angela gar nicht kennen, während sie das arme Mädchen mit kalten, scharfen Blicken überlief – da sie es endlich doch thun mußte, überschüttete sie sie mit Vorwürfen über ihr langes Ausbleiben, über ihr Vergessen der alten Freunde, die doch manches Loch in dem hungrigen Magen zugemacht hätten – nun der Hochmuth eingekehrt sei, aber vergessen würden. Dabei ward Nees nicht geschont, die bereits bekannte Verlobung verspottet, ihr eigennützige, hochmüthige Absichten untergelegt, und sehr zweideutige Anspielungen auf Jakobs mit einem Male hervortretenden Reichthum gemacht, welche Angela, Gottlob! nicht verstand, weil sie, schon in Thränen gebadet, vor ihrem eigenen Schluchzen die Worte der Bäckerin nicht mehr hörte.

Endlich ermannte sich die arme Gemißhandelte und stürzte an ihrer zürnenden Freundin vorüber die Treppe hinauf zu der guten Pastorin.

Schon daß die Kinder, als sie sie erkannten, Alle über sie herfielen und sie mit der alten Liebe begrüßten, erleichterte das Herz der armen Angela. Auch die Eltern reichten ihr mild die Hand und hießen sie willkommen, wenn auch in beider Wesen ein gewisser Ernst lag, den Angela in ihrer Aufregung übersah. Das Herz der Frau Harsens wurde auch noch weicher, als Angela die kleinen Geschenke selbst an die Kinder vertheilte; und so fand Angela, als sie ihre Augen trocknete, sie liebevoll wie immer an ihrer Seite sitzen und ihr mit dem alten Antheil die Fragen über ihre neue Lage vorlegen, die so den Ausdruck wahrer und besorgter Freundschaft trugen, daß der armen Geängstigten das Herz aufging und sie beiden Ehegatten alles Erlebte mittheilte, wobei nicht fehlte, daß Angela durch die Beleidigungen der Backerin gegen Nees noch lebhaft aufgeregt, dahin strebte, gerade ihn und seine Güte und Liebe, wie sie ihr erscheinen mußte, hervor zu heben.

Die beiden Eheleute schwiegen, nachdem Angela zu Ende war, und selbst der Pastor mußte bei größerer Erfahrung doch gestehen, daß er Nees nicht verstände und überhaupt das ganze Verhältniß ihm wohl ein Geheimniß bleiben werde. Nur das Eine war klar, daß Angela eine große, aufrichtige Liebe zu Nees habe – hier von Zwang und Ueberredung nicht die Rede sein konnte; daß bei Nees eine gleiche Empfindung vorauszusetzen war, da nicht einzusehn war, warum Nees das arme unbemittelte Mädchen hätte wählen sollen, wenn es ihm nicht eine Herzenssache war. Als daher Angela höchst schüchtern mit dem Antrage hervorrückte, daß Herr Harsens die Ehe einsegnen und alle Formalitäten besorgen möge, sah der gute Mann nicht ein, wie er das verweigern sollte; er fand selbst den geheimen Widerspruch in sich unrecht und ging um so bereitwilliger auf Angela's Bitte ein, da er sich seine Abneigung gegen Nees zum Vorwurf machte. Nur über Angela's Taufschein hatte er Bedenken, da es offenbar ein erborgter Name war, den sie führte und der darin verzeichnet stand. Aber Angela bat den Pastor, unter diesem Namen alles Nöthige einzuleiten und gestand ihm, daß sie ihren rechten Namen kenne, aber aus höchst wichtigen Gründen, die Susa nicht unterlassen hatte, geltend zu machen, ihn nie dürfe bekannt werden lassen, da er ihr Gefahr und Anderen Kummer bereiten würde.

So verlangte denn endlich Herr Harsens bloß noch mit Nees zu sprechen, und Angela wagte die ihr von ihm eingegebene Bitte schüchtern vorzutragen, daß der Herr Pastor sich selbst einmal in das erneute Haus begeben möchte, was er ihr zusagte, da es ihm Pflicht schien, sich so weit als möglich von dem Thatbestande selbst zu unterrichten.

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