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In der Genesung Angela's trat kein nachzuweisendes Hinderniß hervor, und dennoch wollte die junge Frau noch nicht wieder in die gewohnten Kreise eintreten. Es war natürlich, daß man Alles auf körperliche Schwäche schob, und da Angela dieser Annahme nicht widersprach und Nees Furcht hatte, sie gänzlich erkranken zu sehen, wie er es nach dem Wochenbette der unglücklichen Mutter erfahren hatte, so ward sie nicht eigentlich gehindert zu leben, wie es ihr Bedürfniß war, und Nees raste lieber seinen Unmuth darüber in der Stille aus, da es ihm eine unerträgliche Last war, eine Kranke im Hause zu haben und plötzlich der harmlosen kameradschaftlichen Gesellschaft Angela's entbehren zu müssen.

Angela trug aber nicht allein die Folgen ihres unglücklichen Wochenbettes – der Tag, der ihr diese Hoffnungen genommen, war überhaupt von entscheidenden Folgen.

Körperliche Leiden dürfen sich nicht mit geistigen Erschütterungen vereinigen, sonst halten beide einander fest, und die vermittelnde Kraft, die das Eine oder Andere zu heben vermöchte, ist gebunden.

Wie weit Angela mit ihren Schmerzen über die Behandlung, welche sie und Nees erfahren hatte – gekommen wäre, wenn ihr körperliches Befinden ihr den Gebrauch ihrer alten Thätigkeit gelassen hätte, ist nicht vorher zu entscheiden; jetzt aber, wo sie von nie gekannter Schwäche, wie es schien, halbtodt und unbeweglich in ihrem verhangenen Bette lag, entwickelte die geistige Kraft, als sie früher zurückkam wie die körperliche, ungestört von dem gewöhnlichen materiellen Getriebe, ein schärferes Denken.

Der Schmerz um den Verlust ihrer Hoffnungen leitete sie zu einer Schlußfolge, die eben so kränkend war – sie sagte sich nämlich: wie groß muß das Unglück, wie schwer die Beleidigungen gewesen sein, die ich an diesem Tage erfahren habe, da sie sogar mein armes Kind getödtet haben und mich fast zur Leiche gemacht; sie fühlte sich wie verpflichtet, das Erfahrene groß und schwer anzusehen, da die Folgen das Härteste schienen, was sie erleben konnte.

Diese Betrachtungen nicht loslassend, kam sie zu Schlüssen, die eben dadurch wichtig wurden, daß sie Zeit hatte, sie zu prüfen. Frau von Marseeven war die erste Frau höheren Standes, die ihr je vorgekommen war; sie faßte im ersten Augenblick eine an Anbetung grenzende Liebe zu ihr, aber dies Gefühl, was sie überhaupt noch nicht gekannt, was ihr Herz in seiner größten Qual empfangen, was sie erhoben und beglückt hatte, ward ihren Gefühlen für Nees sehr nachtheilig, denn während sie der sanften edlen Frau die Erhabenheit und Untrüglichkeit einer Heiligen beilegte, ward sie niedergebeugt und gedemüthigt durch die Erinnerung, wie unverholen sie ihre Verachtung gegen ihn ausgesprochen habe, wie grade sie die Verbindung mit ihm als eine Schande für ihre Geburt gehalten habe und ein Mitleiden gezeigt, welches sie als eine unglückliche Person bezeichnet habe. Sie mußte sich sagen, daß es ihr bis jetzt nicht eingefallen war, es könne ihr etwas fehlen, etwas abgehen von den Ansprüchen, die sie zu machen habe – also – grübelte sie weiter, es muß etwas da draußen in der Welt, zu der ich bisher nicht gehörte, vorhanden sein, was ganz anders ist, als Nees es mich gelehrt, etwas, wozu Nees gar nicht paßt, etwas, was Nees entweder selbst nicht gekannt hat, oder – was Nees mir verborgen hat, setzten plötzlich ihre Gedanken fast gegen ihren Willen fort, und damit fühlte dies arme Herz den ersten Anhauch von Bitterkeit, diesen Fluch der Welt.

Nees hatte nicht für möglich gehalten, daß Angela sich durch das Bewußtsein ihres angeborenen Ranges erheben könnte, jetzt trat es hervor. Was sie an Frau von Marseeven gesehen, hatte ihr, als der niedrig geborenen Gattin Jakobs van der Nees den Eindruck einer unerreichbaren Höhe gemacht, und sie hätte sich dadurch in ihren Verhältnissen nicht gestört und beunruhigt fühlen können. Durch die Ueberzeugung, demselben Stande anzugehören, dieselben Ansprüche machen zu können, traten diese Eindrücke eines höheren bürgerlichen Standpunctes für sie als ein Verlust hervor, und als sie weiter kam und ihr Blut stärker wallte, sagte sie: »Es ist ein Raub, der an mir gemacht worden ist, ich wäre dasselbe, was Sie sind, wenn mich Nees nicht über meine Verhältnisse getäuscht und,« fügte sie – ihren eignen Willen nicht dabei zur Entschuldigung nehmend – hinzu, »mich nicht geheirathet hätte.« Sie weinte sehr lange und heftig, als sie diese Kluft zwischen sich und Nees ausgedehnt hatte, und als er an ihr Bett geschlichen kam, stellte sie sich schlafend, um ihn weder zu hören noch zu sehen.

Unter diesen Umständen war es nur die verhängnißvolle und natürliche Folge, daß sie die von Nees an jenem Tage zuerst erfahrenen Rohheiten so nachwirkend empfand und sie zu den Ursachen rechnete, die ihr den Verlust ihrer Hoffnungen bereitet. Endlich kam es ihr vor, als habe sie Niemand, zu dem sie wahrhaft gehöre, als ihre arme wahnsinnige Mutter – und damit schlich ein tiefer Gram in ihr krankes Herz und den vertreibt ein erschöpfter Körper nicht wieder.

Mit der Genesung, die fast gegen ihren Willen eintrat, erfuhr dieser bitter aufgeregte Zustand in Angela doch einige Milderung. Das Wiederkehren der Gesundheit nach gefährlichen Leiden ist an sich eine begütigende Kraft, die auf die Verhältnisse mildernd einwirkt, die wir uns häufig schmeicheln nun besser zu benutzen, oder umzuwandeln, nachdem wir an uns selbst eine kaum noch zu hoffende Umwandlung erfahren. Obwohl nun Angela dadurch Freundlichkeit und Milde wieder gewonnen, war sie doch bei weitem eine Andere, als die bei dem Aufruf der Tante Casambort ihre Blumen begoß.

Aber es verstand und beobachtete sie Niemand, und das war das zweite Unglück, denn es vergrub sie immer tiefer in ihre eigenen nicht allzu klaren Betrachtungen.

Nees dagegen glaubte sich nun für's Leben fertig mit all' den künstlich geleiteten Angelegenheiten und wir müssen sagen, daß nun der alte Feind seines Innern, der in seiner äußeren Erscheinung zurückgedrängt war, durch die Furcht vor der ihm nahenden Verantwortlichkeit mit neuer Stärke erwachte, und er auf den ihm abgedrungenen Wohlstand um sich her mit neidischen Augen blickte und mit der Hoffnung, daß, wenn nur erst die lästige Tante Casambort durch das aufgerichtete Schaugerüst gehörig getäuscht worden wäre, er dann seine Weiber, wie er sie bezeichnete, an ihre frühere ausreichende Oekonomie zurück verweisen werde. Dies nun bald herzustellen, plagte ihn die wildeste Ungeduld und der Zwang, den er noch über sich fühlte, machte ihn heftig, mürrisch, zänkisch und so unliebenswürdig wie möglich – und er verblieb in dieser Stimmung; denn das versöhnende: »Nees, lieber Nees!« der früheren Angela ertönte nicht mehr, sondern diese saß still und beobachtend ihm gegenüber, und wenn sie ihm auch keinen Widerstand leistete, trachtete sie auch nicht, ihn zu versöhnen oder verlangte wie früher zu ihrer Erheiterung eine andere Stimmung, die er dann um ihretwillen so oft in sich bewirkt hatte. Nees fürchtete auch, entschlossen zu der neuen Gewaltthat an ihrer Gemächlichkeit und ihren kleinen Freuden, ihren Einfluß auf sich, der ihn so oft ganz gegen seinen Willen bezwungen und ihm für seine Kasse so nachtheilige Zugeständnisse entlockt hatte. Er ließ es lieber geschehen, daß sie sich entfernt von ihm hielt und er etwas weniger verliebt in sie ward, und hoffte, wenn er erst durchgesetzt, was ihm nöthig schien, solle sich das gute Vernehmen schon wieder finden.

Den höflichen Anfragen des Oberschulzen und seiner Frau nach Angela's Befinden folgte nun, da Angela wieder aus dem Bette war, die Anmeldung des Besuchs der Frau von Marseeven, und diese Nachricht, die mit dem gebührenden Danke erwidert ward, erschütterte die arme Angela so heftig, daß sie fast ohnmächtig wurde.

Nees dagegen sprang aus einem Winkel in den andern, um zu sehen, wie sich sein Haus ausnähme, und ob alle die so widerwillig angeschafften Gegenstände nun auch ihren Zweck erfüllen würden. Endlich mußten alle Frauen bis auf Susa hin sich in ihre guten Kleider stecken, und es war ein gemischtes Gefühl, wenn er an das Erstaunen der Nachbaren dachte, da ein so hoher Besuch nicht ohne Aufsehn abgehn konnte, der seinem Stolze zwar schmeichelte, aber ihn doch auch beunruhigte, denn der Geizige liebt nicht Aufsehn zu erregen; er fürchtet den Anspruch, der ihm dadurch kommen könnte, und möchte die Menge, die ihn bedürfen möchte, überreden, er habe nichts und doch seines Gleichen weiß machen, er vermöge viel.

Diesmal mußte er es kommen lassen, wie es wollte, und er hatte sich in der letzten Zeit überredet, die ganze Komödie, wie er es innerlich nannte, dauere nur noch kurze Zeit – dann, dachte er, dürfe er nur noch von Verlusten sprechen, dieser ewig gehandhabten Ausflucht des reich werdenden Geizhalses, um Entschuldigung zu finden für das Wiederzusammenkrümmen seiner Verhältnisse.

Die gute Frau von Marseeven hatte zu ihrem Besuche kaum die Erlaubniß ihres Gemahls erhalten können; denn obwohl er eben so wenig wie sie selbst an der Identität der Flüchtlinge zweifelte, wünschte er doch, dieser Schritt, der offenbar eine officielle Anerkennung ihrer Seits war, wäre ausgesetzt geblieben, bis die stolze Gräfin von Casambort diese ausgesprochen, da er dieser dreisten Frau keinen Anlaß zum Tadel geben wollte, womit sie niemals zurückhaltend war. Dennoch schien ihm diese Befürchtung nicht wichtig genug, seiner edlen milden Gemahlin bei ihrem gütigen Vorhaben ganz hinderlich zu werden und so begab sich dieselbe mit seiner Bewilligung nach dem Purmurandschen Hause.

Angela gefiel ihr heute besser, als das erste Mal; sie hatte durch Krankheit und geistige Leiden etwas edleres bekommen und die rothe entstellende Farbe der Haut verloren. Sie war nicht beladen mit Kleidern und Schmuck, sondern einfach, wie es ihr als Wöchnerin zukam, gekleidet.

Frau von Marseeven war durch den Anblick des merkwürdigen Hauses in so großes Erstaunen versetzt worden, daß sie Nees und Angela übersah, die ihr bis an den Schlag des Wagens entgegen gekommen waren.

»Mein Gott, welch' merkwürdiges Haus!« rief sie und ließ ihre Augen vom Giebel bis zum letzten Balken gleiten – »wer kann das gebaut haben – und wie alt muß es sein!«

»Zu Befehl, Hochmögende Frau,« schnarrte Nees – »das Haus baute unter Wilhelm dem Ersten, dem Schweigsamen, sein Schatzmeister, ein Herr von Purmurand – ein Verwandter meiner Gemahlin, welche mit der letzten weiblichen Nachkommin in das Haus Barneveldt überging, woraus die Frau van der Nees entsprossen.«

Angela hatte während dieser Rede das Gesicht der edlen Frau Flavia scharf beobachtet, sie wollte sehen, ob dies noch eben so viel Verachtung gegen Nees ausdrückte wie früher, und der Augenblick war unglücklich genug gewählt, denn die großsprecherische Art des so auffallend gemein aussehenden Nees hatte so das Zartgefühl der edlen Frau beleidigt, daß sie sich mit auffallendem Widerwillen von ihm wendete – aber sogleich Angela freundlich an die Hand nahm und dem Hause zuging, nicht ohne daß ihr eine Ahnung kam von der Bedeutung des Blicks, den sie in Angela's Augen noch aufgefangen.

So viel nun auch für die innere Ausstattung dieser alten Wohnung geschehen war, paßte sie doch wenig für das höhere Bedürfniß der Frau des Oberschulzen, daß sie dadurch ganz gegen Jakobs Hoffnungen eher bestürzt und traurig ward und sein Hauptlaster, welches er damit verhehlt glaubte – sein Geiz – ihr klar ward.

Jedes Wort der edlen Frau gegen Angela war nur von Güte und Liebe eingegeben. Sie sah auf diesem kranken Gesicht, wie es ihr schien, den Ausdruck tiefen Grams, und ihr schien, es habe kaum ein Weib mehr Ursache dazu, als sie, wobei sie in den Irrthum verfiel, Angela's Leiden nach ihrem Standpunct zu schätzen, wodurch sie höher stiegen, denn Angela fehlte die durch Erziehung gewonnene Feinheit des Gefühls und ihre bisherige Unbekanntschaft mit den edleren Verhältnissen des Lebens nahm erst ihren Anfang. Aber auch dies Zusammensein mehrte die Erfahrungen der armen Angela und der Drang, die Räthsel, in die sie sich gerathen fühlte, aufzuklären, überwand ihre Schüchternheit so weit, daß sie mit einigen Fragen an Frau von Marseeven sich zu wagen beschloß, welche Nees ungeschickt genug durch die dreiste Frage einleitete, ob der Herr Oberschulze an die Gräfin von Casambort geschrieben habe, und welche Antwort darauf erfolgt sei.

Flavia sah, daß Angela bei dieser Frage blutroth ward, aber unwillkürlich ihren Stuhl näher zog und fragend zu ihr aufsah. Nun unterdrückte die gute Frau ihre Empfindlichkeit über die rohe, fast Rechenschaft fordernde Art des Mannes, um die Erwartung der armen Angela nicht zu täuschen und sagte milde: »Ich würde diese Auskunft sicher nicht unterlassen haben, euch zu geben, Herr Nees, wenn ihr mir Zeit dazu gelassen hättet, denn ihr könnt denken, daß mein Gemahl die einmal übernommene Pflicht nicht versäumt haben wird. Seit einigen Tagen ist die Antwort der edlen Gräfin von Casambort auf die ihr gemachte Anzeige zurück.« Sie hielt hier etwas ein; denn es that ihr doch leid, daß sie so wenig eingehendes Vertrauen zu berichten hatte – aber als Angela sich den Schweiß von der Stirn trocknete, sagte sie schnell, da sie glaubte, Angela erriethe schon das Folgende: »Faßt nur Muth, liebes Kind, wenn die gestrenge Frau herkommen wird, kann sich vieles in ihrer Ueberzeugung ausgleichen. Mein Gemahl und ich selbst werden alles mögliche thun, euch zu eurem Rechte zu verhelfen.«

»Hochmögende Frau,« erkühnte sich nun Angela zu fragen – »zweifelt denn die Frau Gräfin, daß meine arme Mutter ihre Schwester ist?«

»So ist es zwar,« sagte Frau von Marseeven – »ihr müßt aber nachsichtig sein, denn diese Dame ist eine der vornehmsten Personen des Hofes, und Herr Nees wird hinreichend wissen, daß ihr da manches in den Verhältnissen, wie sie nun einmal sind, anstößig sein muß.«

Nach diesen Worten schrak die gute Frau Flavia zusammen, denn Nees lachte roh auf und sagte höhnisch: »Die Gnaden wird sich aber doch darein finden müssen, denn geheirathet ist geheirathet – ihre Nichte ist mein liebes Weibchen und dabei bleibt es.«

»Und wollt ihr mir wohl sagen,« stammelte Angela – »ob dies gerade die Frau Gräfin so beleidigt – und warum ich mit dieser Heirath so viel Unrecht an meiner Familie gethan habe?«

Das war eine gefährliche Frage, der sich Frau von Marseeven wenig gewachsen fühlte; sie sah verlegen zur Erde und sagte nach einiger Zeit: »Ihr habt nun jetzt einen andern Namen und der ist mit einem andern Range verbunden, als der eurer Familie.«

»Ja,« sagte Angela unschuldig – »Nees meinte aber, als er mich heirathete, mir ein Opfer zu bringen, denn er durfte nicht sagen, wer ich sei, weil er es noch für gefährlich hielt, und nun dachten die Leute schlecht von meiner Geburt – sie hielten mich für die uneheliche Tochter der Magd Susa.«

Da richtete die Frau von Marseeven ihre Augen zürnend auf Nees und sagte: »Nehmt euch in Acht, Nees! daß dieser Punct nicht näher untersucht wird! Ihr konntet nicht denken, daß ihr diesem edel geborenen Fräulein eine Ehre erzeigtet – ihr hättet sie als ehrlicher Mann nicht ohne Einwilligung ihrer Familie heirathen dürfen – und ihr wußtet, wo diese Familie zu finden war, und daß keine Gefahr mehr obwaltete, da vor eurer Vermählung der erste Aufruf der Gräfin erging, wenn ihr nicht, wie alle Menschen, es schon früher gewußt hättet, daß die Grönevelds Amnestie hatten.«

»Schon vor unserer Heirath hatte die Tante uns ausrufen lassen?« rief Angela und wendete ihre Augen erschrocken auf Nees – »und das wußtest du und sagtest es nicht?«

Nees war um alle Fassung – dies nachträgliche Examen kam ihm grade von diesen beiden gleich gering geachteten Frauen völlig unerwartet – und diente nun der beobachtenden Frau von Marseeven zu traurigen Aufschlüssen.

»Wer kann mir beweisen, daß ich den ersten Aufruf gehört habe – ich war verreist – hatte auf den Inseln Geschäfte!« rief er, äahrend Wuth und Verlegenheit in ihm kämpften und durch rohe Dreistigkeit jetzt verdeckt werden sollten. »Was bildet sich denn diese vornehme Frau Tante ein, was sie mir bieten kann? He! bin ich der Mann, der verachtet werden darf? Ist van der Nees nicht ein Name wie die Casamborts? Sie soll mir nur kommen, diese vornehme Sippschaft – dann soll sie erfahren, wer Nees ist.« – Er vergaß sich so, daß er die Faust ballte, seine Augen schossen wilde Blicke, und Frau von Marseeven stand erschrocken auf, denn da ihr ein solches Betragen völlig fremd war, fürchtete sie, hier in Gefahr zu gerathen, und die Unsicherheit ihres Gemahls über den Erfolg ihres gewünschten Besuchs fiel ihr jetzt als ein Vorwurf für ihren Ungehorsam ein.

Schüchtern trachtete sie nur, die Thür zu erreichen, und hörte die schwache flehende Stimme der armen Angela nur unsicher, welche schon so viel traurige Erkenntniß gewonnen hatte, um zu fühlen, daß sich ihr Mann vergangen habe.

Als Beide auf dem Hausflur standen, und Nees, welcher unter den Dämonen seiner Leidenschaften halb vor Wuth und Scham, halb vor Schrecken und Verlegenheit, zu keinem Entschluß kommen konnte, durch die Thür von ihnen getrennt war, sammelte sich Frau von Marseeven, als sie Angela bitterlich weinen hörte, und wendete sich noch einmal mitleidig zu ihr hin; aber sie war von den vielen Vorstellungen, die sie ergriffen hatten, zerstreut, und konnte nicht wählen, was die arme leidende Frau erleichtern konnte. »Armes, armes Kind,« sagte sie daher, ihre Hand auf Angela's Schulter legend – »das sind schlimme Verhältnisse! Mein Gott, die arme Gräfin von Casambort – was soll sie anfangen – mein Kind! wie hast du die Gemüthsart deines Mannes nicht einsehen können!«

Angela weinte fort – ach! was hätte sie sagen können – wie kurz war erst die Zeit, seit ihr Bewußtsein erwacht war – wie unvollständig noch ihre Begriffe – wie nur noch Ahnung und von dem täglichen Leben immer wieder unterdrückt. Und doch – das Gefühl ist früher vorhanden, als der Begriff, der es benennt – für dies traurige Geschenk, das ihr die Berührung mit der Welt gegeben, hatte sie noch keinen anderen Ausdruck, als Thränen. O, hätte Frau von Marseeven ahnen können, wie unglücklich ihr Besuch die arme Angela machen werde, zu welchem Abgrunde ihres Glücks die Erkenntniß ihres Mannes, die ihr heute erweitert wurde, sie führen mußte – wie sie bisher an seiner rohen Gemeinheit bewußtlos vorüber gegangen war, und sie erst fühlte durch den Gegensatz in der edlen Natur ihrer neuen Bekannten. Hätte Frau von Marseeven – diese so traurige Wirkung ihres Besuchs auf Angela ahnen können, sie würde sich noch mehr Vorwürfe gemacht haben, den Wunsch ihres erfahrenen Gemahls überhört zu haben.

Obwohl sie dies nun nicht erkannte, fühlte sie doch tiefes Mitleiden, und nur die Furcht, Nees könne ihnen nachkommen, ließ sie bei milden Worten dennoch der Hausthür sich nähern.

»O,« seufzte Angela – »und meine arme Mutter? Wollt ihr sie nicht sehen – sie, die zu mir gehört, und euch gewiß überzeugte, daß wir die Rechten sind.«

Grade dies zu vermeiden, hatte sie ihrem Gemahl versprochen – und außerdem, wenn Nees jetzt hervorbrach! Die schwache kränkliche Frau fühlte eine unbestimmte Furcht, unwillkürlich richteten sich ihre Augen auf die Thür. – Angela sagte dagegen, sie errathend: »Die Mutter ist im Hofe – da kommt Nees nicht hin!«

Der halbe Wunsch der armen jungen Frau, ihre Bitte nicht abzuschlagen, hatte Frau von Marseeven vielleicht bestimmt, nachzugeben, aber indem ward die Thür aufgerissen und Nees trat rasch hervor, und rannte ungeschickt auf Frau von Marseeven zu, in der Absicht, sie um Verzeihung zu bitten, da er endlich zu der Ueberzeugung gekommen war, sein rohes Auffahren könne ihm schaden, und diese Furcht seine Wuth gezügelt hatte.

Aber so wie die gute schwache Frau Flavia ihn so ungeschickt hervorbrechen sah, zuckte sie zusammen, unterdrückte nur mit Mühe einen Schrei und lief unaufhaltsam nach ihrem Wagen, nur gefolgt von Nees, denn Angela sank, im Hausflur zurückbleibend, auf die Bank hin, und ein düsteres trostloses Brüten erfaßte ihren schwachen Geist.

Als Nees von seiner fast verfolgenden Begleitung der fliehenden Frau von Marseeven zurückkehrte, verwahrte er sorgsam die Hausthür und wendete sich dann gegen die arme Angela und überschüttete sie mit einer Flut von Vorwürfen, worin er so lächerlich tolle Unwahrheiten anbrachte, daß die Unglückliche ihm nicht zu folgen vermochte, und er selbst nicht mehr wußte, was er sprach, denn er hatte blos seine Wuth los sein wollen, die, gegen die Frau des Oberschulzen mäßigen zu müssen, ihn so tief gekränkt hatte.

Endlich sagte Angela: »Warst du es denn nicht, der mich gegen meinen Willen zu diesen vornehmen Leuten hinzwang – ich wollte es ja so ungern, wie du weißt!« .

Hier schwieg Nees verdutzt – denn er bemerkte nun, er habe ihr die Bekanntschaft mit diesen Personen vorgeworfen, und es mußte seinem Plan nach doch scheinen, als habe er dies gewollt und betrieben.

»Ich – ich bin derjenige, der es gewollt!« rief er nach einer Pause – »denn ich habe dies nicht zu fürchten – ich bin aber der Mann darnach, und weiß, wo ich hingehöre! Du aber – du machst mir Schande, wo du auftrittst, und sogar Vorwürfe, Anklagen in Gegenwart dieser Aufpasser, dieser Spione der gnädigen Frau Tante! Aber gieb Acht, was geschehen wird – laß sie erst fort sein, dann denke an Nees! Dann sollst du's erleben, du ungehorsames, undankbares Weib! In meiner Gewalt bist du – in keines Andern – hörst du? Da können sie vor der Thür bleiben – du hast kein anderes Dach, als dies – dafür giebt es Gesetze! Und nun geh – thue was – viel zu lange hast du schon die Hände im Schooß – aber das muß anders werden! Du sollst wieder arbeiten lernen, das vertreibt böse Gedanken, und die hast du! Die hast du, ich weiß es, und gegen mich, gegen Nees, der dich groß gezogen und vor dem Verbrecher-Tode deines Vaters bewahrt hat!«

Wüthend stürzte er fort, und man hörte ihn noch lange in seiner Kammer brüllen und schreien, und Angela war nach dem Hofe geschlichen und kniete vor der armen Wahnsinnigen, und barg ihre weinenden Augen in den Schooß der Mutter, die kein Mittel hatte, die Leiden ihres Kindes zu lindern, und nur von unbestimmten Ahnungen geleitet, sanft mit ihren Händen über Angela's Kopf strich, und wenn sie zu ihr aufsah, ihre Thränen trocknete, und ihr milde zulächelte.

»Ach,« stöhnte Angela – »wenn ich dich nicht mehr haben werde, dann werde ich ganz elend sein!«

*


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