Publius Ovidius Naso
Metamorphosen
Publius Ovidius Naso

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Achtes Buch

Scylla und Minos

            Als nun heiteren Tag, fortscheuchend die nächtlichen Stunden,
Lucifer wieder erschließt, da legt sich der Ost, und es hebt sich
Feuchtes Gewölk. Dem Cephalus beut und des Äakus Söhnen
Rückfahrt friedlicher Süd, von welchem getrieben sie glücklich
Vor der erwarteten Zeit anlangen am Ziele des Hafens.
Minos indessen verheert die Gestade lelegischer Stämme,
Und er versucht die Stärke des Heers an Alkathoës Mauern
Erst zum Beginn, wo Nisus gebot, dem mitten am Scheitel
Haftete zwischen dem Grau des Ehrfurcht heischenden Hauptes
Glänzend von Purpur ein Haar, die Bürgschaft mächtigen Reiches.

Sechsmal war's, daß Luna erhob aufgehend die Hörner:
Immer noch schwankte das Glück des Krieges, und zwischen den beiden
Schwebete lange der Sieg unschlüssig mit irrenden Flügeln.

Eigen dem König erhob sich ein Turm an der tönenden Mauer,
Wo der Letoische Gott nach der Sage die goldene Leier
Ehdem niedergelegt. Ihr Klang blieb haften am Steine.
Dorthin pflegte sich oft zu begeben die Tochter des Nisus
Und mit kleinem Gestein nach dem hallenden Quader zu werfen,
Als noch Frieden bestand. Im Krieg auch pflegte sie oftmals
Dort vom Turme zu schau'n auf die Kämpfe des grimmigen Mavors.
Schon in des Krieges Verlauf auch lernte sie kennen der Fürsten
Namen und Ross' und Waffen und Tracht und kydonische Köcher;
Aber vor allen zumeist die Gestalt des Europische Führers
War ihr bekannt, mehr als ihr gefrommt. Nach ihrem Erachten
War, wenn das Haupt ihm deckte der Helm mit den buschigen Federn,
Minos schön in dem Helm, und hatte den Schild er genommen,
Der hell strahlte von Erz, sah stattlich er aus mit dem Schilde.
Wenn er den schwankende Speer ausholend er hob in der Rechten,
Lobte die Kunst im Verein mit der Kraft die bewundernde Jungfrau.
Hatt' er, das Rohr auflegend, gekrümmt den geschweifeten Bogen,
Schwur sie, wie er, so stehe, den Pfeil in der Rechten, Apollo.
Wenn er das Erz nun erst abnahm und entblößte das Antlitz
Und auf schneeigem Roß, das prangte mit buntem Gedecke,
Saß im Purpurgewand und das schäumende Maul ihm zurechtwies,
War kaum ihrer bewußt, kaum mächtig der Sinne des Nisus
Tochter. Sie nannte beglückt den Spieß, den Minos berührte,
Nannte die Zügel beglückt, die er in den Händen bewegte.
Oft schon war sie gewillt, jungfräuliche Schritte zu lenken –
Ziemt' es sich nur – durch die feindliche Schar; oft war sie gewillt auch,
Hoch vom Turme den Leib in das gnosische Lager zu stürzen
Oder das eherne Tor gar aufzuschließen dem Feinde
Oder was Minos von ihr sonst forderte. Wie sie nun dasaß,
Schauend das weiße Gezelt des diktäischen Königs, begann sie:

»Ob mich der traurige Krieg mehr freu'n soll oder betrüben,
Zweifl' ich im Sinn. Mich betrübt, daß Minos der Liebenden Feind ist.
Und doch ohne den Krieg wie wär' er bekannt mir geworden?
Aber er könnte dem Krieg absteh'n, mich nehmen als Geisel
Und zur Begleiterin mich, mich haben zum Pfande des Friedens.
Wenn sie ähnlich wie du, o schönster von allen, gewesen,
Die dich gebar, ward Liebe mit Recht in dem Gotte entzündet.
O, wie wär' ich beglückt, wenn ich könnte mit Schwingen die Lüfte
Teilen und schweben hinab in das Lager des gnosischen Königs,
Daß ich gestände die Glut und ihn fragete, was er zur Mitgift
Fordere. Nur nicht dürft' er die Feste des Vaters begehren.
Eher entsag' ich dem Glück des erwarteten Lagers, als daß mir
Dazu hülfe Verrat, obwohl schon oft die Besiegung
Vielen zum Heile gewandt großmütige Milde des Siegers.
Sicherlich führt er den Krieg mit Fug für des Sohnes Ermordung;
Ihn macht mächtig das Recht und das Recht verfechtende Waffen.
Ihm wird, glaub' ich, der Sieg. Wenn dieses Geschick zu erwarten,
Warum sollte denn Mars, nicht unsere Liebe dem König
Öffnen die Mauern der Stadt? Viel besser, er hätte die Obmacht
Ohne Verzug und Mord und Aufwand eigenen Blutes.
Denn stets bin ich in Furcht, daß einer die Brust dir verwunde,
Minos, ohne Bedacht. Wer wäre so harten Gemütes,
Daß er es wagte, den Speer auf dich vorsätzlich zu richten?
Wohl denn, es sei! Fest steht der Entschluß, samt mir ihm zur Mitgift
Zuzubringen die Stadt und ein Ende zu setzen der Fehde.
Was hilft Wollen jedoch? Stets hütet die Wache den Zugang,
Und von dem Vater geschützt ist der Tore Verschluß. Vor dem Vater,
Wehe mir, bangt mir allein; nur er setzt Schranken den Wünschen.
Machten mich doch die Götter verwaist! Doch wahrlich, ein Gott ist
Jeder sich selbst, und das Glück ist abhold feigen Gebeten.
Längst schon hätte gewiß, von solchem Verlangen entzündet,
Freudig ein anderes Weib, was hemmte die Liebe, beseitigt.
Sollt' ich einer an Mut nachsteh'n? Durch Feuer und Schwerter
Würd' ich wagen zu geh'n. Und Feuer so wenig wie Schwerter
Sind ja vonnöten dabei; ein Haar ist vonnöten vom Vater.
Das gilt höher für mich denn Gold; dies purpurne Haupthaar
Soll mir schaffen das Glück und des sehnlichen Wunsches Gewährung.«

Während sie redete, war die Pflegerin heimlicher Sorge
Leise gekommen, die Nacht, und es wuchs ihr im Dunkel die Kühnheit.
Ruhezeit nun hub an, wo der Schlaf von den Sorgen des Tages
Matte Gemüter befängt. Da tritt in die Kammer des Vaters
Schweigend sie ein und entreißt – o Schande! – die Tochter dem Vater
Sein hochwichtiges Haar. Wie den ruchlosen Raub sie begangen,
Nimmt sie des Frevels Gewinn mit sich und entschritten dem Tore
Geht durch die Feinde sie hin – so gibt ihr Vertrauen die Großtat –
Kommt zum König und spricht zu dem höchlich Verwunderten also:
»Liebe bewog mich zur Tat. Ich, fürstliche Tochter des Nisus,
Scylla, ich bringe dir hier des Landes und meine Penaten.
Anderen Lohn nicht heisch' ich, als dich. Zum Pfande der Liebe
Nimm dies purpurne Haar und glaube: das Haupt des Erzeugers
Geb' ich, das Haar nicht bloß, dir hin.« Und es bot ihm die Rechte
Dar das verruchte Geschenk. Doch weigernd entwehrt sich der Gabe
Minos, entsetzt vor dem Bild unglaublicher Tat, und erwidert:
»Daß dich aus ihrem Bereich ausstießen die Götter, du Schandmal
Unserer Zeit! Daß Länder und Meer dir würde verboten!
Wenigstens leid' ich nie, daß die Wiege des Jupiter, Kreta,
Wo ich habe das Reich, solch Ungeheuer betrete.«

Minos sprach's, und nachdem den Besiegten der billige Herrscher
Ordnung bestellt und Gesetz, ließ gleich er die Taue der Flotte
Lösen und rudern vom Land die kupferbeschlagenen Schiffe.
Da nun Scylla gewahrt, wie ins Wasser gelassen die Kiele
Schwammen und nicht ihr den Lohn des Verbrechens gewährte der Führer,
Wandte sie sich, als Bitten erschöpft, zu gewaltigem Zorne;
Rasend mit fliegendem Haar und die Hände gestreckt in Verzweiflung
Rief sie: »Wo fliehest du hin, die dir geholfen, verlassend,
Du, den höher ich hielt als das Heimatland, als den Vater?
Wohin willst du entflieh'n, Hartherziger, welchem den Sieg gab
Unser Vergehn und Verdienst? So rührete unsere Gabe,
Unsere Liebe dich nicht, doch daß ich einzig auf dich nur
All mein Hoffen gesetzt! Wohin nun soll ich Verlaßne?
Heim in die Stadt? Die liegt ja besiegt. Und gesetzt, sie bestände:
Durch den Verrat ist mir sie gesperrt. Vor die Augen des Vaters?
Dir ja gab ich ihn preis. Die Schuldige hassen die Bürger;
Furcht weckt allen umher das Beispiel. Selbst mir verschlossen
Hab' ich die Lande gesamt, daß Kreta nur offen verbliebe.
Wenn du mir das auch weigerst und mich, Fühlloser, verlässest:
Nicht Europa, fürwahr unwirtliche Syrte, Charybdis,
Die stets geißelt der Süd, ein armenischer Tiger gebar dich;
Jupiter zeugte dich nicht, noch wurde vom Bilde des Stieres,
Die dich geboren, berückt – so lügt ein Märchen die Abkunft –,
Sondern ein wirklicher Stier, der grimmig zu keiner der Färsen
Liebe gefühlt, war's, der dich gezeugt. Vollziehe die Strafe,
Vater, an mir! Frohlockt ob unserer Qualen, ihr Mauern,
Die ich verriet! Ich bekenne, den Tod zu erleiden verdient' ich.
Einer von ihnen jedoch, die ich ruchlos habe beleidigt,
Bringe mich um. Warum willst du, dem unsere Schuld nur
Sieg gab, rächen die Schuld? Ein Verbrechen dem Land und dem Vater,
Muß es ein Dienst dir sein. Dich wahrlich verdient zum Gemahle
Sie, die buhlend betrog mit dem Holze den trotzigen Farren
Und mißleibige Frucht in dem Schoß trug. Aber mein Rufen,
Dringt es zu Ohren dir auch? Wie, oder entführen die Winde,
Wie sie entführen dein Schiff, Fühlloser, die eitelen Worte?
Nun, nun wundert es nicht, daß Pasiphaë lieber dem Stiere
War zu Willen als dir; du hattest noch größere Wildheit.
Wehe mir! Sorglos eilt er davon, und zerteilt von den Rudern
Rauschet die Flut, und mit mir bleibt unser Gestade dahinten.
Eitles Bemüh'n, o du, der meiner Verdienste vergessen!
Dir nachfolg' ich zum Trotz, und den bauchigen Spiegel umklammernd
Lass' ich mich zieh'n durchs Meer.« Sie sprach's, und im Nu in die Wogen
Springt sie und kommt an das Schiff, da Kraft ihr verleiht das Verlangen,
Und an dem gnosischen Kiel hängt fest die verhaßte Gefährtin.
Wie sie der Vater erblickt – denn er schwebte bereits in den Lüften,
Da er sich wandelte jüngst zum bräunlich befiederten Fischaar –
Kommt er geschossen und will sie zerreißen mit hakigem Schnabel.
Jene geschreckt läßt fahren das Schiff, doch während des Falles
Schien sie zu halten die Luft, daß nicht sie berührte die Wellen.
Federn vermehrten den Fall; durch Federn zum Vogel gewandelt
Heißt sie Ciris und führt vom geschorenen Haare den Namen.


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