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Die Lieder, die über Berlin gesungen werden und die auch die Berliner selbst singen, sind meist ebenso voller Spottlust, wie die Scherze und Anekdoten. Der Berliner nimmt den Spott nicht übel und singt die Lieder lachend mit. Das war schon immer so. Das Lied des genügsamen Lenchens im »Fest der Handwerker« wurde schon vor hundert Jahren in Berlin bejubelt. Und das Weißbierlied sowie krittelnde Verse von Kalisch und allen seinen Mitläufern und Nachfolgern waren nirgends mehr beliebt, als in Berlin.
Aber nach allem Spott kommt doch auch die Erkenntnis vom eigenen Wert zu Worte: Durch Berlin fließt immer noch die Spree! ... Auch an seinen Liedern ist der Urberliner zu erkennen. Ja, ein ganzes Buch ließe sich mit solchen Liedern füllen. Doch das ist eine besondere Aufgabe, die ich mir als eine meiner nächsten Arbeiten vornehme.
Aus L. Angely, »Fest der Handwerker«.
Ei, was braucht man, um glücklich zu sein,
Das wird ja den Hals nicht kosten,
Wir mieten uns en Stübeken ein,
Da setzen wir en paar Stühleken 'rein.
En Stübken, en Stuhl.
Mehr braucht man nich, etc.
En Tischken wird dann noch nötig wohl sein,
In 'n Spindeken hangen die Kleider wir 'rein.
En Tischken, en Spindken, en Stübken, en Stuhl.
Mehr braucht man nich, etc.
Zum Schlafen tut uns en Bettken auch not,
En Spiegel brauchen wir, wie's liebe Brot.
En Spiegelken, en Bettken, en Tischken, en Spindken,
en Stübken, en Stuhl.
Mehr braucht man nich, etc.
Zum Kaffee muß auch en Känneken sein,
In'n Töppken koch' ich das Mittagbrot d'rein.
En Töppken, en Känn'ken, en Spiegel, en Bettken,
en Tischken, en Spindken, en Stübken, en Stuhl.
Mehr braucht man nich, etc.
An vier KIederkens hab' ich genug,
Drei Häubken, zwei Hütken, en Umschlagtuch,
Vier Kledken, drei Häupken, zwei Hütken, en Düchken,
en Töppken, en Känn'ken, en Spiegel, en Bettken, en
Tischken, en Spindken, en Stuhl.
Mehr braucht man nich, etc.
Schöne Ohrbummeln, das ist mein Gout,
Und zum Tanzen grohnapelne Schuh.
Zwee Schühken, zwee Bommeln, vier Kledken, drei
Häubken, zwee Hütken, en Düchken, en Töppken, en
Känn'ken, en Spiegel, en Bettken, en Tischken, en Spindken,
en Stübken, en Stuhl.
Mehr braucht man nich, um glücksich zu sein,
Und das kann ja den Hals nicht kosten.
*
Von David Kalisch.
Es sind im deutschen Vaterland
Berliner überall bekannt;
Kaum hat man uns nur angesehn,
So heißt es gleich: »Aus Spree-Athen!«
Ruft einer an der Table d'hote:
»He! – Kellnähr' Himmel Saperlot!
Was ist mich dieses für ein Wein!«
Das kann nur ein Berliner sein.
So trifft man oft auf Reisen an,
Ein Dämchen auf der Eisenbahn.
Kaum stiegt sie ein in den Waggon,
So geht's gleich los im hohen Ton:
»Ne, – was des hier ooch enge is!
Was des für een Jedränge is!
Hier setz' ick mir noch lang' nich hin!«
Das nennt man 'ne Berlinerin!
Kommt man in München oder Wien
Und sonst wo ins Theater hin,
Wird uns zur Seite dann placiert
Ein Mensch, der alles kritisiert,
Der, wenn ein Stück auch sehr behagt,
Doch spricht: »Das ist jar nichts gesagt,
Was das für faule Künstler sind!«
Das nennt man ein Berliner Kind.
Bei Hofrats wird's sehr fein zum Tee,
Man invitiert U. A. W. G.
Steht auf der Kart'. Man denkt, das heißt
Gewiß: Und Abend wird gespeist.
O Täuschungsjammer! Ach – es gibt
Nur Butterbemmkens, eingestippt
In heißes Wasser mit Pecco-Saft:
Das ist Berliner Gastfreundschaft.
*
Von Otto Stotz.
Trinke Weißbier, liebe Jugend, höre achtsam mein Gebot,
Dann erreichst du jene Tugend, die dem guten Bürger not.
Hätten doch nur die Franzosen dies Getränk gekostet schon,
Wär keen Unglück zugestoßen,:,: kam gar keene Revolution.:,:
Sitzt man nach des Tages Hitze, schmachtet so 'ne Weiße an,
Es ist erst der Mensch was nütze, wenn er einen Zug getan.
Mögen Völker revoltieren, mag die Welt zugrunde geh'n,
Das soll mich nicht mehr genieren,:,: schmeckt die Weiße doch so schön.:,:
Führt ein schlanker Leutnant mir mein Weibchen auf den Ball,
Ei, das ist ja sehr charmante, spar ich mir dadurch die Qual.
Trink mein Glas in vollen Zügen, denk' gemütlich hinterm Tisch:
Hast, Lowiseken, Vergnügen –:,: schmeckst du prächtig! Gott! wie frisch!:,:
Porter ist ein schwer Getränke, bairisch Bier geht ins Geblüt.
Lob ich mir die Weißbierschenke; Weißbier, dir sing ich mein Lied.
Looft der Schaum ooch manchmal über, kommt in Gärung mit Gewalt;
Doch das alles geht vorüber,:,: und der Aufstand setzt sich bald.:,:
Wär ich gar ein Hochgestellter und ich red'te auch mit drein,
Oder ein Beportefeuillter, ach wie würd' ich pfiffig sein!
Ich würd' ein Gebot erlassen. Keiner tränke mir noch Wein.
Ganz Berlin mit Plätz' und Straßen:,: müßt'ne Weißbierkneipe sein!:,:
*
Von Erdmann Graeser.
Herr Krause – in Feldgrau – steht vor dem Haus
Und schaut mit Muttern nach Alberten aus.
»Nanu?« sagt Herr Schmitt, »sind Sie noch hier?
Ich denke, Sie sind längst in Feindesquartier!« –
»Nee – immer noch nich, die Kränk' könnt' ick kriejen,
Det ick noch immer bei Muttern muß liejen!« –
»Na warte«, sagt die, »du kommst ja hin,
Aber laß dir da nich mit die Weiber in,
Mit Franktireusinnen und sonne Sorte –
Hat der Mensch Worte!«
»Und nu« – fragt Schmitt – »jeh'n Se Kaffee kochen?«
»Na, denken Se, in'n Krieg wird damit jebrochen?
Erst recht nicht!« – Sie holt den Strickstrumpf vor
Und haut ihn Albert, dem Jüngsten, ums Ohr:
»Wo bleibsten? Mach'n Jesicht – 'n jescheit's –
Du kriegst im Leben kein eisernes Kreiz,
Und wenn s'es dir auf die Brust würden schnieren,
Wird'stes verlieren!«
»Na, denn viel Vergnügen – machen Se's jut!«
Herr Schmitt empfiehlt sich und zieht den Hut,
Und Krauses – die Kinder mit Albert voran –
Treten den Sonntags-Spaziergang an.
»Vata – da kommt een hoher Off'zier –
Nimm nich die Mitze ab – salutier.«
»Ei weih – au Backe« – sagt Albert vergnügt –
»Wenn der Vatan jetzt in die Mache kriegt!«
Nein, alles klappt. – »Und wie der jedankt –
Und zuallererst hat er anjefangt.«
(Denkt Frau Krause.) – »Laßt det sein –
Kiekt euch nich um – det is nich fein!«
»Wat sehen die Meechens denn meinen Mann
Von hinten und vorne so auffällig an?
Und wie der jleich mit die Brust 'rausjeht –
Als wenn er bei Namur 'n Ding schon jedreht!«
»Wa'm hasten dir eben so ausjelegt?
Bekiekt wird jetzt jeder, der Uniform trägt –
Da brauchst dir janich so dicke zu tun –
Ick find' det kommuhn!«
»Wat is denn die, Emma – wat schreit denn det Kind?
Jöhre – wirste jleich stille sind –
Vata hat schon den Säbel parat
Und stecht dir jleich tot – denn hast'en Salat!
Aba – wat soll ick alleine mir plagen –
Vata, jetzt kannst du se mal tragen,
Hachjott – nu hat se verheddert sich's Haar –
An deinen Rockknopp –
– Oller Barbar!
Dir könn' se nich jebrauchen ins Feld!
Nu hör' bloß, wie det Meechen jellt!« – –
»Und sind denn die neuen Strimpe warm?«
Herr Krause nickt nur (Emma im Arm).
»Ick weiß nich, det du die Liebesgaben
Hier in die Stadt an die Beene mußt haben –
Wo doch noch keene Sümpfe sind!
Sei stille, Emma! Du drückst ja das Kind –
Wie haste's denn ooch – es is doch keen Moppel –
Nu hakt's mit's Been mang die Säbelkoppel!« –
»Kommandier nich,« sagt Krause, »wie Hindenburch –
Ick muß doch mit's Kind durch's Jedrängel durch.
Warte man, wennste mir wirst nich mehr haben,
Wenn mir im Jraben picken die Raben!«
Frau Krause fängt zu weinen an:
»Wie kannste jleich so jrob sind, Mann –
Wo ick so mächtig stolz auf dir,
Du wirst jewiß noch Unteroffizier!«
Doch Krause denkt in seinem Sinn:
»Wär' ick bloß inne Schlacht wo drinn' –
Ick haue allens um mir platt –
Hier – die Kaleika – hab ick satt.«
Und dann – wie in den Friedenswochen –
Zog die Familie Kaffee kochen.
*
Aus: »Leute von Berlin«. Spottverse von Sigmar Mehring.
Mutter, stopp' den Kober voll,
Wurscht- und Käsestullen!
's jeht nach Wannsee – siehste woll?
Stech' man in die Pullen!
In det Freibad woll'n wir heit,
Und der Zuch steht schon bereit.
Trude, Fritze, Wally –
Fix! 'n bißken dalli!
Waschen braucht'r eich nich jroß,
Denn w'r jehn ja baden.
Rin man in de Klundern bloß,
Un denn fort mit Schaden!
Kieck! Der Zuch hält dichte bei!
Jotte doch – die Drängelei!
Trude, Wally, Fritze –
Sucht mal flink nach Sitze!
Siemundzwanßig im Kupee –
Mutter, halt' de Luft an!
Bloß ick hab' – det dhut mir weh –
Meine jutste Kluft an.
Na, man iebersteht's ja bald ...
Achtung, Station Wannsee – halt!
Fritze, Wally, Trude –
Raus man aus die Bude!
Nach'm Strande wird marschiert,
Her mit die Futt-rage!
Ran, ihr Jöhren – nich jeziert,
wech mit die Kleedage!
Wie eich Jott geschaffen hat,
Splitterfasernackt ins Bad!
Trude, Fritze, Wally –
Fix! 'n bißken dalli!
Und die Sonne meent et jut.
Mutter, zieh den Proppen!
Wenn man so im Sande ruht,
Schmeckt 'n feichter Droppen.
Jott! Die Jöhren sind wie doll,
Spritzen's janze Ufer voll.
Trude, Wally, Fritze –
Macht nich sonne Witze!
Keen Radau is nich erlaubt!
Muckst ihr, jibbt et Schoten!
Schrei'n darf keens und ieberhaupt,
Froh sein is vaboten!
Denn die hohe Pollezei
Wacht und kommt jeschwind herbei,
Fritze, Wally, Trude –
Rickt eich uff de Bude!
Platsch! Ick habe wat verspiert –
't jibbt 'n Bad von oben!
Kaum, det man'n Feez riskiert,
Pladdert's – nich zu jlooben!
OIle, biste jut beschirmt?
Rasch den nächsten Zuch jestirmt.
Trude, Fritze, Wally –
Kommt zu Hause! Dalli!
*
Von Alexander Moszkowski.
Wenn ick schon höre:
Telephon,
O Gott, o Gott, wie wird mir schon!
Bin falsch verbunden jedesmal.
Un zahl, un zahl, un zahl, un zahl
Für Falschverbindung hin und her,
So ville Nickel jibt's nich mehr!
Wenn ick schon hör':
Familienjlück!
Dann packt's mir hinten am Jenick,
Ick schrei, sie schreit, sie schreit, ick schrei,
De Nerven jehn kaputt dabei.
Et kriecht ja jeder uff den Leim,
Ick danke für so'n trautes Heim,
Ick wünschte, ick lebt' jahrein, jahraus
Janz solo im Kein-Küchenhaus!
Wenn ick schon höre:
Aus Prinzip!
Wer mir det sagt, den hab ick lieb.
Er soll mal helfen, aber schnell,
Det tut er niemals, prinzipiell;
Ick will was pumpen, janz intim,
Er pumpt nischt, is Prinzip bei ihm.
Triffst du den Kerl, tu mir's zu lieb,
Hau ihm 'ne Watsche – aus Prinzip!
Wenn ick schon höre:
Landpartie!
Krieg' ick jleich die Melancholie,
Von früh um acht bis Nacht o'clock,
Wird jeder Mensch zum Schauerbock;
De Beene in den Leib jerennt,
De Alte zankt, der Junge flennt,
Un Mückenstiche uff'n Deez,
Un eener überjibt sich stets:
Un abends weeß keen Mensch jewiß,
Weshalb er dajewesen is!
(Aus den Lustigen Blättern.)
*
Von Josef Wiener-Braunsberg.
Ihm anvertraut vom Kaschemmenmaxe.
Wat, heer ick recht? Der Pirsedente vom »Alex« hat,
wie't neckisch heißt, verordnet, det sich de Polente
fortan de Heeflichkeit befleißt?
Det is ne Sache, Menschenskinna!
Der, wat der Sipo, schnauzt nich mehr,
Und fiehrt er mir zur »jrünen Minna«,
»Nach Ihnen«, saacht er, »bitte sehr!«
Und bringt er lächelnd, wie zum Spaße,
Die Lu, die Tauentzien bekannt,
In det »Hotel zur Barnimstraße«,
Denn kißt er ihr jalant die Hand.
In dieset Zeichen wird se siejen
De Pollezei, det walte Jott,
Und schließlich wird's noch een Vajniejen,
Steckt mir de Sipo in't Kaschott!
(Ulk.)
*
(Aus: »Freibad der Musen« und »Meine verstimmte Flöte«. Verlag der Lustigen Blätter, Dr. Eysler & Co., Berlin.)
Von Alexander Moszkowski.
Wo die Panke mit Gestanke
Sich durchs enge Bette wälzt,
Wo der Blaue nach der Haue
Siegreich durch die Straßen stelzt,
Wo der Preiße trinkt die Weiße
Mit 'ne kleene Strippe zu,
Wo die Blonde zur Rotonde
Dir bestellt zum Rendezwous,
Wo die Waden uff Prom'naden
Jeder Kennerblick begafft,
Wo die schönsten Kavalkaden
Uns die Polizei verschafft,
Wo die Spatzen, wenn se atzen,
Nutzlos kratzen im Benzin,
Wo nischt los is, wenn kein Moos is,
Sehste wol, det is Berlin!
Wo mit Ratter und Geknatter
Fauchend schiebt der Autobus,
Wo Destillen uns enthüllen
Nutrimentum Spiritus,
Wo det Eisen zwischen Gleisen
In de Mutter Erde dringt,
Det man purzelt und entwurzelt
In den Untergrund versinkt,
Wo die Wanda und Amanda
In der Kneipe animiert,
Bis der Dusel keenen Fusel
Von Bewußtsein mehr verspürt,
Wo die Dame aus Reklame
Kocht für Arme Suppenjrün,
Und die Kleider pumpt beim Schneider,
Sehste wol, det is Berlin!
Wo die stramme Spreewaldamme
Tändelt in der bunten Kluft,
Wo die Segel über Tegel
Lenkbar jondeln in der Luft,
Wo die Gilden Ringe bilden.
Wo in jeglicher Gestalt
Alle Leite streiken heite,
Ausjenommen Staatsanwalt,
Wo der Himmel voller Kümmel
hängt und voller Sekt und Bier,
Wo die Menscher den Messenscher
Schicken zu dem Kavalier,
Wo die Misses mang die Bisses
Mit dem Cookschen Wagen ziehn, –
Mitmensch, wiß es, ja det is es,
Ja, det is mein Groß-Berlin!
*
Musik von Robert Gilbert. Rondo-Verlag, Berlin-Wilmersdorf.
1. Früher, da sagte man kreuzvergnügt im Juli der Heimatstadt ade.
Heute hat mancher genau wie'n armer Kuli ein Loch im Portemonnaie.
Soll man darüber verzweifelt sein?
Kinder, Berliner Luft ist auch ganz fein,
Und habt ihr bei Muttern
noch irgendwas zu futtern,
dann seht doch endlich ein:
Refrain: Durch Berlin fließt immer noch die Spree,
Dichte bei ist noch der Müggelsee!
Ringsherum liegt noch der Grunewald,
Wo's was Grünes gibt für jung und alt!
Wenn die
tollsten Dinge in der Welt passier'n,
Der Berliner wird nicht den Humor verlier'n,
Er hält stolz die Nase in die Höh',
Denn durch Berlin fließt immer noch die Spree!
2. Zoppot, Ostende, das hat für den ein Ende,
Der nicht mehr blechen kann!
Gleichfalls im Winter das schöne Skigelände,
Das geht uns nichts mehr an.
Muß man denn immer die Jungfrau seh'n?
Schließlich, der Kreuzberg ist ja auch ganz schön,
Und wenn auch die andern bis Honolulu wandern,
Dann laßt sie ruhig geh'n:
Refrain: Durch Berlin fließt immer noch die Spree ...
3. Mädels aus England, die schrei'n, was Wunderbares
wär' nur der Themsefluß!
Mädels aus Spanien, die schrei'n, der Mazanares,
der wär' en Hochgenuß!
Die aus Italien behaupten froh,
Daß es nichts Schön'res gibt als ihren Po.
Dagegen die Mädchen aus unserm lieben Städtchen, die sagen bloß oho!
Refrain: Durch Berlin fließt immer noch die Spree ...
*
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