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Die Ahnen des Urberliners

 

Berliner Kind,
Spandauer Wind,
Charlottenburger Pferd,
sind alle drei nichts wert.

Altes Sprichwort.

 

Die schlechtesten Ahnen hat der Urberliner nicht. Von Lessing und Humboldt an dürfen wir bis auf unsere Tage viele bedeutende Männer nennen, die in Berlin an die Entwicklung der Geister ihre Lebenskraft gewendet haben. Vorher haben allerdings nur die höfischen Kreise sich ernsthaft geistig beschäftigt. Sophie Charlotte und Leibniz, Friedrich II. und Voltaire aber hatten keine allzu große Liebe für die verhältnismäßig arme Stadt, die zwischen Sand und Sumpf lag.

Aber wenn auch Friedrich der Große sein Berlin nicht allzusehr liebte, er hat doch auf das Wesen der Berliner stark gewirkt. Seine philosophische Tafelrunde, sein skeptisches Auftreten, seine Freude an der Schlagfertigkeit hinterließen in jedem echten Berliner ihre Spuren. Vor allem aber packten sie seine Toleranzabsichten.

»Jeder soll nach seiner Fasson selig werden!«

Dieser Spruch entsprach so recht der Berliner gefühlvollen Vernunft. Praktisch wurde die Toleranz zwar schon seit mehr als hundert Jahren vor Friedrich II. geübt. Ob sie wollten oder nicht: in Berlin mußten sich die Lutheraner drein finden, daß die Kalvinisten die gleichen Rechte hatten, daß um 1685 die französischen Hugenotten und im 18. Jahrhundert noch viele Katholiken hinzukamen. In keiner anderen Stadt wurde wohl die Bevölkerung schon zeitig so duldsam miteinander, wie in Berlin. Als Symbol dafür kann man Chodowieckis Stich »Toleranz« bezeichnen. Er ist aus dieser Eigenschaft des vernunftvollen Gefühls heraus entstanden, das in jedem echten Berliner seine Heimat hat. Alle verschiedenen Bekenntnisse, Lutheraner, Katholiken, Mohammedaner, Heiden, alle beugen sich vor einer Idealgestalt: vor der Toleranz.

Das unmittelbare Beieinanderleben mit vielen wertvollen Männern, das ständige Zuströmen von Auserwählten aus allen möglichen Gebieten der Betätigung muß doch seine Spuren hinterlassen. Die Flut der Ereignisse und Vorgänge, der rücksichtslose Lebenskampf, in den jeder Berliner verwickelt wird, schärft natürlich den Blick und das Urteil, ja, fordert geradezu zur Schärfe heraus. Und so mag denn diese Eigenschaft, die eine Notwendigkeit ist, dazu führen, den Berliner als einen unangenehmen Patron zu empfinden, als einen Alles- und Besserwisser, als einen Frechdachs, als ein Großmaul.

Gewiß, der richtige Berliner ist manchmal schnoddrig. Er läßt sich nicht gern an den Wagen fahren und wehrt sich seiner Haut; jedoch meist erst dann, wenn er gründlich verletzt worden ist, während andere schon vorher grantig werden, die wegen ihrer scheinbaren Gutmütigkeit überall grob und laut auftreten dürfen. Der Berliner soll durchaus als Großmaul gelten. Er wird aber fast immer überschrien, wenn er wirklich einmal großmäulig wird.

Zum Gemütlichsein hat der Berliner allerdings wenig Anlage. Dazu wird das Leben auf dem harten Berliner Steinpflaster zu schwer. Nur die Männer, in deren Blut auch einige Tropfen südlicher Herkunft gemischt ist, setzen sich über die allgemeine norddeutsche kältliche Würde hinweg und bringen in die frostige Reflektion des Berlinertums ein wenig Lebhaftigkeit hinein, so daß es neben ganz nüchternen und vernünftigen auch stets temperamentvolle Berliner gibt. Aber zugleich brachte diese Mischung von Nüchternheit und Lebhaftigkeit jenen eigentlichen Grundzug im Wesen des Berliners hervor, den man mit Respektlosigkeit bezeichnet. Kein Mensch, der einige Zeit in Berlin und seinen Kreisen gelebt hat, kann sich diesem Grundzug entziehen. Er lernt alles mit kritischen und skeptischen Blicken zu betrachten. Wer eine würdevolle Stellung einnimmt, wird oft geschätzt und geachtet. Aber die Kritik macht nicht halt vor ihm. Der begüterte und beamtete Mann wird häufig mit einer gewissen Scheu betrachtet. Aber kein Berliner erstirbt vor ihm. Das ist nur zu natürlich in einer großen Stadt, wo das Schicksal oft so willkürlich mit den Menschen umspringt, wo es wirklich schwer hält, vor den Menschen und ihrem Tun und Treiben den Respekt zu behalten. Das ist auch begründet in der Zusammensetzung der Bevölkerung. Alle möglichen rücksichtslosen Elemente, die sich in ihrer Heimat nicht durchsetzen konnten, zahllose Gebrochene und Gescheiterte wurden von der Großstadt angelockt. Die einen kamen mit rücksichtsloser Eroberungslust, die andern konnten sich nur in einer verzweiflungsvollen Lebensstimmung über Wasser halten. Alle mußten im Erwerbsleben herzhaft zupacken. So wurde der Berliner Witz schlagfertig und abwehrend, ätzend und lachend zugleich.

Das Zusammenströmen von verschiedenen Elementen und verschiedenen Rassen hat sicher dazu beigetragen, den Typus des Berliners zu erzeugen. Unter den Zugewanderten stammte stets ziemlich die Hälfte aus der Provinz Brandenburg. Diese an den Havelseen und Spreeufern großgewordenen, auf dem dürftigen Sandboden, in den Heiden mühsam ihr Brot suchenden Menschen gaben den Teig für den kecken und verwegenen Menschenschlag ab. Sie lebten draußen so kümmerlich, wie vielleicht später auch in der großen Stadt, waren aber doch voll von einem Heißhunger nach Besserem und hatten bald heraus, ihre Ellbogen gründlich zu gebrauchen. Zu ihnen kommen schon zeitig zahlreiche Franzosen und Juden.

Viele von ihnen waren aus gutem patrizischem Hause, die sich der Unduldsamkeit des französischen Königtums nicht unterwerfen wollten. Das beeinflußte die Berliner, wenn es sich auch nicht ganz mit jenem Geiste mischte, den man »berlinisch« nennt. Aber er regte an. Denken wir an Chamisso, an Fouqué, an Theodor Fontane und an unzählige feine Geister, die direkt oder indirekt aus der französischen Kolonie hervorgingen. Das Französische wurde auf dem sorgenvollen Berliner Pflaster nicht leichter. Auch mögen es die Märker mit ihrem härteren Wesen oft vergröbert haben – wie das Französische auch wohl anstachelnd auf die schwerfälligen Söhne der Mark wirkte. Und das Judentum brachte seine Lust zur Kritik, seine Lebhaftigkeit, seine Unruhe, seine Unternehmungslust hinzu. Ja, die Juden haben vielleicht einen größeren Einfluß auf das Berlinertum ausgeübt als man ahnt. So entstand denn eine Mischung: »Das Berlinische«.

Ich denke hierbei nicht nur an den sogenannten Weißbierphilister. Dieser Weißbierphilister war eine berlinische Ausgabe des überall vorhandenen Biedermeier- und Stammtischmenschen. Mit engbegrenztem Gesichtskreis, auf eine gewisse proletarische Einfachheit der Lebenshaltung angewiesen, ohne jeden Schwung und Drang, glaubt er sich doch berufen, Räsoneur über alle denkbaren Angelegenheiten sein zu müssen. Die in Berlin besonders aufs Räsonnement ausgebildete Art brachte uns den Weißbierphilister, eine zum größten Teil ausgestorbene Art des Biedermeiermenschen.

Beachtet muß werden, daß in den Hof und in das Heer der Preußenkönige sich allerlei wagemutige, abenteuernde Elemente aus ganz Europa drängten. Tausende schreckten nicht zurück vor dem preußischen Krückstock. Verkrachte Studenten und allerlei Intelligenzen suchten und fanden ihr Heil in den Regimentern und in den Büros. Sie förderten die Lust zur Freigeistigkeit, zur Unerschrockenheit und zum skeptischen Witz, die von Sanssouci und seiner Tafelrunde herüberwehte.

Der Hang zum Kritisieren erklärt sich ebenso aus der Blutmischung wie aus dem harten Erwerbsleben.

Der Berliner hatte es schwer, emporzukommen. Das schärfte seinen Verstand und brachte ihn dahin, alles Gefühlsmäßige als schwächlich und überflüssig anzusehen. So entwickelte sich bei ihm eine härtere und rauhere Form, unter der allerdings auch oft ein gemütvoller Kern herauszuschälen ist. Denn die vielgeschmähte Berliner Schnoddrigkeit ist oft nur ein Mittel, das eigene Gefühl nicht hervorsehen zu lassen. Wer den Berliner gründlich ansieht, wird deshalb nicht nur Kaltschnäuzigkeit, sondern auch stets gefühlvolle Vernunft finden.

Übrigens befleißigt sich der Berliner in letzter Zeit außerordentlich, die rauhe Form zu mildern. Der moderne Typus des Berliners hat nur noch ganz wenig von jenem Volkstümlichen, das meist in den alten Berliner Possen und in dem noch viel von uns in persönlicher Erinnerung stehenden urkomischen Bendix zum Vorschein kam – und das uns heute so kleinbürgerlich erscheint. Es ist aber noch, nur in neuer Tonart, im Unternehmer so gut wie im sozialistischen Agitator und im Fabrikarbeiter zu finden. So ein gewisser, leicht in ironische Schärfe übergehender schneller Blick, ein rasch verstehender, meist nicht übelgenommener, sondern klärender und versöhnender, beißender Witz ist Gemeingut. Hier gilt häufig das Wort: Lachen tötet nicht, sondern macht lebendig.

Seine Ironie, die in Berlin nicht übelgenommen, sondern lächelnd verstanden wird, zeigte sich schon in dem Urahnen des Berliners, in Hans Clauert, einem um 1566 gestorbenen märkischen Bruder des Till Eulenspiegel, von dessen Neckereien und Späßen hier eine Anekdote mitgeteilt sei:

Wie Clauert beim Kurfürsten zu Brandenburg von seinem Weibe verklagt ward, und wie er den kurfürstlichen Befehl in die Spree warf.

Hans Clauerts Weib predigte ihm täglich so viel von dem verspielten Gelde, daß er ihr oftmals mit einem Prügel zu folgen versucht ward. Welches sie besser zu machen vermeinet und verklaget ihren Mann gen ihrem Herrn, dem Kurfürsten zu Brandenburg. Welcher vorhin von Clauert viel gehöret hatte, derhalben ihm solche Klage angenehm war und ließ Clauerten auf einen gewissen Tag vor sich bescheiden, der als ein Gehorsamer auf den bestimmten Tag erschien und nach Verhör der Sachen an Eustachium von Schlieben, der dazumal Hauptmann auf Trebbin und Zossen war, einen Befehl bekam, daß der von Schlieben wegen des verspielten Geldes bis auf des Kurfürsten zukünftigen Befehl sollte Clauerten gefänglich verwahren lassen; dann der Kurfürst in wenig Tagen hernach ein Nachtlager zu Trebbin zu halten Willens war. Darneben befahl der Kurfürst, daß Clauert den Brief je eilend dem von Schlieben bringen sollte. Clauert vermerkte aus etlichen Umständen wohl, daß der Befehl ihm nicht zuträglich sein würde, darum er den Brief aufbrach und gab einem Knaben drei Pfennige, der ihm denselben las, und als er den Inhalt vernommen, warf er den Brief in die Spree und ließ ihn schwimmen, ging hin in den Bernauischen Keller und verharrete noch drei Tage daselbst. Den fünften Tag hernach kam der Kurfürst gen Trebbin und fragte Eustachium von Schlieben, wie es um Clauerten stünde, ob er ihn noch gefangen hielte oder ihn ledig gezählet hätte. Der von Schlieben gab dem Kurfürsten zur Antwort, daß ihm Clauerts Gefängnis nicht bewußt wäre. Der Kurfürst fraget weiter, ob ihm Clauert nicht einen Befehl gebracht hätte, welches dem von Schlieben viel weniger wissend war.

Der Kurfürst schickte nach Clauerten, stellet sich sehr zornig und sagte: »wo hast du den Brief gelassen, den Wir dir gegeben haben?«

Clauert antwortete: »Hoho, gnädigster Herr, ist derselbe Brief noch nicht hie?«

Der Kurfürst sagte: »wie soll er hie sein, wenn du ihn nicht hast hergebracht?« und fraget noch einmal, wo er denselben gelassen hätte.

Clauert sagte: »Gnädigster Kurfürst und Herr, Eure kurfürstliche Gnaden haben mir befohlen, daß ich den Brief ja eilend her gen Trebbin sollte bringen; nun hatte ich zu Berlin noch viel auszurichten, daß ich in zween Tagen noch von dannen nicht kommen konnte, darum warf ich denselben auf die Spree, daß er vorher schwimmen und desto zeitlicher ankommen möchte, und wundert mich nicht wenig, daß er über Zuversicht so lange ist außen blieben.«

Der hochlöbliche Kurfürst, ob er schon einen Ernst wider Clauerten zu gebrauchen willens war, vermochte doch vor Lachen nichts fürzunehmen, sondern ließ Clauerten mit seiner Sache hinfahren. Und von dem Tage an ward Clauert vom Kurfürsten also bekannt, daß er zu ihm kommen konnte, wann er wollte.

*

Ein Jahrhundert später, in der Mitte des 17. Jahrhunderts, als Berlin durch den Dreißigjährigen Krieg zwar nicht ganz verarmt, aber doch sehr mitgenommen war, lebte in Berlin ein Ratsherr Schönbrunn, der schon manche scharfen Züge des Urberliners zeigt. Von ihm wird erzählt:

Beim ersten Aufkommen der doppelten Groschen fragte der Goldschmied im Güldenen Arm Schönbrunnen, woher es doch käme, daß dieses Geld so bald dergestalt rot geworden. Dem antwortete er, es schämte sich, daß es so arm von Silber wäre.

*

Daß Schönbrunn von sehr großer Schlagfertigkeit war, bezeugt folgende artige Begebenheit. Ein weißansichtiger Zimmermann sagte einstmals zu ihm: »Herr Schönbrunn, Ihr sollt ja ein sehr weiser Mann sein; wisset Ihr denn auch, warum das Bauholz viereckicht beschlagen wird?« Dem gab er zur Antwort: »Weil das Holz rund gewachsen ist, so machet ihr Tagediebe, desto mehr Geld zu verdienen, es viereckicht; und wann es viereckicht wäre, so würdet ihr es vielleicht rund machen.«

*

Es war dieser Johann Schönbrunn sonst niemals verheiratet, ungeachtet er ein wohlhabender Mann gewesen. Doch hatte er auch ein vieles von seinen Gütern verloren, indem er wegen der schweren Kriegskontribution Schulden machen und nachgehends das Seinige wohlfeil hingeben müssen. Dannenhero als Kurfürst Georg Wilhelm bei Übergebung einer Supplik ihn fragte, warum er denn vor andern so sehr lamentiere, da er ja von seinen Eltern so viel schöne Mittel und Güter überkommen, auch ohne Weib und Kind wäre, hat er zur Antwort gegeben:

»Gnädigster Herr, der Bär hat mir alles hinweggekratzet.«

Der Kurfürst fragt weiter: »Habt Ihr's denn im Schwarzen Bär (so hieß derzeit ein Wirtshaus am Molkenmarkt zu Berlin) verbankettieret und versoffen?«

Sagte Schönbrunn: »Nein, gnädigster Herr«, zeucht zugleich ein Bund Exekutionsbefehle heraus, darauf des Rats zu Berlin Wappen, der Bär, gestanden, und fügte hinzu: »Diese Bären habe ich mir nicht von der Haut jagen können.«

*

Auch zu Lessings Zeit äußerten sich manche Einwohner Berlins schon ganz wie Urberliner. Das bezeugt eine Anekdote, die Rodenberg erzählt: Lessing traf sich gern mit seinen Freunden in der »Baumannhöhle«, einem nach dem Küfer Baumann benannten Weinkeller in der Brüderstraße. Dort las der Philosoph Mendelssohn eines Abends seinen »Phaedon, Über die Unsterblichkeit der Seele« vor. Ein Berliner, der sich auch in dem Weinkeller befand, hörte aufmerksam zu und trat nach der Vorlesung an den Tisch, an dem Lessing, Mendelssohn und Nicolai saßen.

»Ick jloobe nich an ihr«, meinte er.

»Woran glauben sie nicht?« fragte Lessing. –

»Nu, an de Unsterblichkeit.« –

»Warum denn nicht?« –

»Ja, sehn Se, wenn ich dran jloobte und se kommt nich, denn ärgerte ich mir. Wenn ick dran jloobe und se kommt ooch nich, so finde ick weita nischt dabei; wenn ick aber nich dran jloobe und se kommt, so freie ick mir. Merken Se wat? Drum jloobe ick nich an de Unsterblichkeit.« Sprach's und verließ das berühmte Dreigestirn.

Hier mögen noch einige Ausdrücke über den Berliner folgen, die zeigen, daß er immer mit seinem Witz das Urteil über sich herausgefordert hat:

Der Wiener Pöbel ist gottesfürchtig, bigott, und fastet, wenn er soll; der Berliner Pöbel fürchtet weder Gott noch Teufel, ist atheistisch und fastet, wenn er muß, d. h. wenn er nichts zu essen hat.

»Berlin, wie es ist« 1832.

*

»Da die unruhigen querulierenden Einwohner von Berlin meine Gnade zu sehr mißbrauchen und sie mir sogar mit Undank belohnen und sie mit Verdruß verbittern, so habe ich beschlossen, für sie nicht mehr bauen zu lassen, und dieser Beschluß soll Ihnen bekanntgemacht werden.«

Friedrich der Große.

*

»Die eigentlichen Berliner, mit Spreewasser getauften Kinder sind ein kluges, aufgewecktes Völkchen; dabei gutmütig und in hohem Maße wohltätig und mitfühlend bei fremdem Unglück. Wird ein Ereignis im Publikum bekannt, wo schnell Hilfe nottut, so eilt alt und jung, arm und reich herbei, zu helfen und zu geben. Der verstorbene Klaviervirtuose Lauska, damals Lehrer der königlichen Prinzen, pflegte im Hinblick auf dieses werktätige Wohlwollen zu sagen: »Wer in Berlin erst arm ist, der ist dicke durch!« ...

Felix Eberty (Jugenderinnerungen eines alten Berliners, 1878).

*

»Der Witz und Sarkasmus der Berliner entspringt aus einer großen unvergeßlichen Quelle preußischen Ruhmes: aus dem Kopfe Friedrich des Großen. Was sich früher davon zeigt, darf nicht in Betracht kommen. Selbst derjenige Witz, der uns aus dem Tabakskollegium bekannt wurde, ist so plumper Natur, daß er mit dem heutigen Kernwitz der Berliner, der fast immer die Ähnlichkeit der kontrastierenden Dinge auffindet und dem selten der tiefere Bezug fehlt, nicht zu vergleichen ist. Aber auch das leichteste Berlinische Bonmot wird so besonders wirksam durch die Ruhe und Absichtslosigkeit, mit der es wie aus heiterem Himmel herausblitzt. Größtenteils gegen alle Nüancen der Bedrückung, der Ungerechtigkeit und der trotzenden Dummheit gerichtet, niemals gegen den Leidenden, ist der Witz der Berliner auch oft nur sich selbst Zweck: eine lustige Unterhaltung mit der stillen Voraussetzung, daß auch die schärfste Spitze nicht verwunden darf ...«

Adolf Glaßbrenner.

*

»Die Geschichte kennen Sie wohl, wie der Alpenwirt den Berliner Jüngling fragt, ob es in Berlin auch solche Berge gäbe, und der antwortet: »Nein, solche Berge haben wir nicht! Aber wenn wir welche hätten, wären sie noch höher.« – Nun, mir ist dasselbe wirklich passiert. Ich habe einmal längere Zeit in Hannover gewohnt und ging eines Tages mit einem Berliner Besuch die schöne Allee nach Herrenhausen entlang. »Sehen Sie nur diese Prachtbäume!« sagte ich. »I wo! Det is jarnischt jejen die Linden in Berlin.« – Ein Jahr später ging ich mit dem Mann Unter den Linden. Sie hatten ihr sommerliches Aussehen, das Sie wohl hinreichend öde und traurig kennen. »Na, was sagen Sie nun?« fragte ich meinen Begleiter. »Denken Sie einmal an die Allee nach Herrenhausen.« – »Ach lassen Sie mich jehen«, sagte er wieder, »ich kann mich nicht jenug ärgern, wenn mir was Besseres jezeigt wird als in Berlin.«

»Da haben Sie den Berliner.«

Fürst Bismarck.
(Gespräch mit dem Stadtrat Penzig.)

*

Der Berliner nimmt es nicht übel, wenn er nicht verstanden wird. Er hat es auch Bismarck nicht übelgenommen, der sicher nicht gemerkt hat, wie der Berliner gewaltsam übertrieben hat, um seine nicht überall schöne Heimat durch Witz und Humor zu verklären.

Die nächsten Kapitel und unzählige Beispiele werden beweisen, daß der Berliner es nicht übelnimmt, wenn er auch angeulkt wird, sondern daß er oft mithilft und scherzhaft über sich selbst spottet und lacht.


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