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»Unser Gast scheint nicht in sehr behaglicher Stimmung«, bemerkte Lady Tresham.
Irene blickte über ihren Fächer zum anderen Ende des Zimmers. »Ich habe noch nie bei einem Menschen eine derartige Veränderung in so kurzer Zeit gesehen. Heute morgen hat er mich geradezu in Staunen versetzt. Er kannte die Menschen, die er kennen muß, und tat, was sich schickte – er betrug sich wie einer, der sich seines Wertes durchaus bewußt ist. Heute abend aber erscheint er plump und ungewandt.«
»Vielleicht macht das der Frack, an den er sich gewiß noch gewöhnen muß.« Lady Tresham erhob sich und lächelte freundlich ihrem Tischherrn zu, der sie zur Tafel geleiten sollte. »Jedenfalls untersteht er heute deiner Obhut,« fügte sie hinzu. »loh hoffe, er ist unterhaltender, als er aussieht.«
Das Abendessen war früh angesetzt worden, weil die Gesellschaft im Anschluß daran ein Theater besuchen wollte. Vor wenigen Stunden noch hatte sich Trent nach diesem Abend gesehnt; jetzt war er wie betäubt. Er konnte seine Lage mit den veränderten Umständen nicht vereinen. Er wußte sehr gut, daß es sein Reichtum war, der die Standesunterschiede zwischen ihm und den anderen Anwesenden auslöschte. Er sah die Reihe der Tischgäste entlang. Was würde man sagen, wenn man alles wüßte! Man würde ihn wie einen Eindringling vor die Tür setzen. Ihm gegenüber saß ein Lord, der vor seinem finanziellen Zusammenbruch stand. Aber wer kümmerte sich darum? Niemand! Er blieb ein Mitglied ihrer Kreise, auch wenn er arm war. Ihn selber jedoch machte nur das Geld ebenbürtig. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit steigender Bitterkeit. Er ließ die Suppe passieren, ohne sie auch nur zu versuchen, und hatte nicht den Mut, die Frau neben sich anzureden, die ihn wie ein Irrlicht in seine prekäre Lage gelockt hatte. Endlich ging sie selbst zum Angriff über.
»Herr Trent!«
Er schaute sie an.
»Muß ich Sie vielleicht daran erinnern, daß es Sitte ist – wenn auch nur der Form wegen –, seiner Tischdame einige Aufmerksamkeit zu widmen?«
»Ich bin nicht an Konversation gewöhnt, daher bitte ich um Verzeihung. Gibt es etwas auf der Welt, das Sie augenblicklich zu interessieren vermöchte?«
Sie nahm eine Krachmandel aus einer silbernen Schale und lächelte. »Mein Himmel, wie ungehalten das klingt! Versuchen Sie es nur nicht, wenn Sie in dieser Stimmung sind! Was ist geschehen, seit ich Sie das letztemal sah? Haben Sie Geld verloren oder quält Sie irgendeine Laune – oder beides?«
Er verneinte mit seltsamem Lächeln. »Wenn ich mein Geld verloren hätte, würde ich aufhören, eine gewichtige Persönlichkeit für Ihre Bekannten zu sein.«
Sie hob die Schulter. »Sie machen nicht den Eindruck eines Mannes, der ein Vermögen auf der Rennbahn einbüßen kann.«
»In dieser Hinsicht haben Sie recht. Ich glaube sogar gewonnen zu haben. Wenn ich nicht irre, zweitausend Pfund.«
»Zweitausend Pfund!« Sie seufzte und vergaß die Pastete auf ihrem Teller.
Trent blickte sich um. »Ich möchte Ihnen etwas beichten, gnädiges Fräulein«, sagte er leise, »das ich nicht gern zu jemand anders sagen möchte. Ich habe, wie Sie wissen, ziemliches Glück gehabt und viel Geld verdient – eine ganze Menge sogar. Heute nun stand ich zum erstenmal vor der Möglichkeit, das Blatt sich wenden zu sehen.«
»Haben Sie sich verändert? Werden Sie kleinmütig?«
»Es ist kein gewöhnlicher Schicksalsschlag. Es bedeutet vollständigen Zusammenbruch!«
»Ach!« Forschend sah sie ihn an. Ihr Herz pochte. Wäre er nicht durch die Sorge, von niemandem belauscht zu werden, in Anspruch genommen gewesen, würde ihn der veränderte Ausdruck ihres Gesichtes überrascht haben.
»Sie sprechen in Rätseln!« raunte sie. »Derlei könnte ihnen doch nicht zustoßen. Man hat mir erzählt, die Bekwando-Aktien seien Gold wert, und Sie müßten Millionen scheffeln.«
Er hob sein Glas an die Lippen und leerte es. »Heute muß ich auf dem Rennplatz in Ascot eingeschlafen sein. Ich hatte mich auf eine stille Bank zurückgezogen und versank in Schlummer. Im Traum vernahm ich heftiges Summen und fand mich meines gesamten Besitzes beraubt. Wie das kam? Ich weiß es nicht. Eine Konzession, die zurückgezogen wurde, ein Fallissement – was tut es schließlich! Das Geld war fort, und ich war wieder der alte, einfache Scarlett Trent – ein Arbeiter ohne Geld und Ansehen.«
»Das muß eine eigenartige Empfindung für Sie gewesen sein«, meinte sie nachdenklich.
»Ich werde Ihnen verraten, woran es mich denken ließ. Ich bin dabei, mich an eine Welt zu binden, der ich persönlich nichts gelte. Ich werde nur meines Reichtums willen geduldet. Was würde wohl mit mir geschehen, wenn ich meinen Reichtum verlöre?«
»Sie sind ein Mann! Sie haben Verstand und Elastizität. Was Sie früher taten, können Sie doch aufs neue beginnen.«
»Inzwischen wird man mich aus der sogenannten guten Gesellschaft verbannen.«
»Manche Leute ohne Zweifel.«
Er schwieg eine Weile, aß und trank, was vor ihm stand. Er war sich wohl bewußt, daß sein Benehmen heute nicht an eine Abendtafel paßte. Er war zu zurückhaltend, zu ernst. Von hier und dort blickte man zu ihnen hinüber, und Irene knüpfte ein Gespräch mit ihrem Nachbar zur Linken an. Es dauerte einige Zeit, ehe Trent wieder sprach und den Faden dort aufnahm, wo er ihn fallengelassen hatte. »Selbstverständlich die Mehrzahl. Ich habe mich gefragt, ob es wohl jemand geben würde, der eine Ausnahme bildete.«
»Ich würde es bedauern,« sagte sie ernst.
»Bedauern! Das tun die Geschäftsleute auch, die Geld an mir verdienen, und die Leute, die sich meine Freunde nennen und vergessen, daß sie meine Schuldner sind.«
»Wie ironisch Sie sind!«
»Ich kann es nicht ändern. Mein Traum trägt Schuld daran. Heute habe ich dem Unglück ins Auge geschaut.«
»Ich hätte Sie nie für einen Träumer gehalten. Ist denn in Wirklichkeit etwas geschehen, das Sie so sprechen läßt?«
Er warf ihr unter seinen schweren Brauen einen flüchtigen Blick zu. Nichts in ihrem Antlitz verriet mehr als gewöhnliches Interesse für seine Worte. Von nun an hegte er jedoch besorgte Zweifel, ob es wohl noch einen Grund für die Nachgiebigkeit und das Interesse, das sie für ihn gezeigt, geben könne. Die Vermutung allein erschütterte ihn bereits. Er verfiel wieder in düsteres Schweigen. Irene gähnte, und die Hausfrau sah sie mehr als einmal teilnahmsvoll an.
Kurze Zeit später begab sich die ganze Gesellschaft ins Theater. Manche der Gäste hatten ihre eigenen Wagen vor der Tür stehen, andere nahmen eine Droschke. Irene kam als letzte die Treppe hinab und fand Trent in der Halle ihrer wartend. Er sah sie an, während sie langsam die Stufen herabkam und sich die Handschuhe zuknöpfte.
»Die andern sind bereits fort«, sagte er. »Lady Tresham gab mir zu verstehen, Sie zu begleiten.«
Sie sah auf die große antike Standuhr in der Ecke. »Wie lächerlich ist diese Eile! Wir hätten gut und gern noch bei Tisch sitzenbleiben können.«
Sie trat mit ihm hinaus. Vor der Tür wartete Trents Wagen. »Ich hoffe, die Zigarette hat Ihre Stimmung etwas gebessert«, sagte sie, als Trent neben ihr Platz nahm. »Sie werden doch hoffentlich nicht den ganzen Abend über so in sich gekehrt sein wie an der Tafel?«
Er seufzte bedrückt. »Ich hätte gern mit Ihnen gesprochen, aber es scheint mir nicht recht zu gelingen. Es war viel leichter, als Sie Journalistin waren.«
»Das bin ich doch immer noch!« lachte sie. »Man kann aber nicht bei einem Berufswechsel seine alten Bekannten im Stich lassen. Übermorgen nehme ich meine Tätigkeit wieder auf.«
»Tatsächlich?« fragte er ungläubig.
»Tatsächlich! Sie glauben doch nicht, daß ich dies Leben des Nichtstuns besonders angenehm finde? Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, daß eine schreckliche Gleichförmigkeit unter den Menschen herrschen muß, die in derselben Umgebung aufgezogen wurden und das Dasein vom gleichen Standpunkt aus zu betrachten lernten?«
»Aber Sie gehören zu ihnen, Sie haben die gleichen Neigungen – –«
»In mancher Hinsicht wohl – aber trotzdem bin ich ein Rebell. Habe ich das nicht deutlich genug gezeigt? Habe ich mir nicht mein eigenes Leben geschaffen? Und trotzdem haben Sie so schweigsam neben mir gesessen.«
»Es ist wahr. Um uns herum sprach man von so vielen Dingen, von denen ich nichts verstehe.«
»Wie töricht von Ihnen! Sie hätten mir von Fred erzählen können, von der Straße in Afrika. Das würde mich viel mehr als alles andere interessiert haben.«
Das Licht einer elektrischen Straßenlampe fiel in diesem Augenblick in den Wagen und beschien sein energisch geschnittenes Gesicht, die buschigen Brauen und den zusammengepreßten Mund. Er lachte heiser. Bildete sie es sich ein, oder war er wirklich in den wenigen Stunden ein andrer geworden?
»Ich habe Ihnen doch schon verschiedenes erzählt. Man müßte annehmen, daß Sie von Fred und mir nun alles Erzählenswerte über Afrika vernommen haben.«
Sie schüttelte den Kopf, und ihre nächste Bemerkung klang ziemlich rätselhaft. »Es bleibt noch sehr viel zu erzählen. Einmal hoffe ich, alles zu erfahren.«
Ohne den Blick von ihrem Antlitz zu wenden, antwortete er: »Das hoffe ich auch.«