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Fünfzehntes Kapitel.
Vetter Cecils Beichte

»Irene,« begann Cecil gemessen, »ich möchte mit dir über deinen Vater sprechen.«

Sie blickte erstaunt. »Ist das notwendig?«

»Ich glaube doch. Was ich dir erzählen muß, ist nicht gerade erfreulich. Du wirst zu der Annahme gelangen, daß man dich schnöde hintergangen hat, und das stimmt. In einer schwachen Stunde hatte ich den anderen mein Wort gegeben. Ich werde es jetzt brechen.«

»Also los!« drängte Irene.

»Du bist getäuscht worden. Man hat dir stets weisgemacht, dein Vater sei im Gefängnis gestorben. Das ist aber nicht die Wahrheit.«

»Was faselst du da?« Ihre bestürzte Stimme schrillte durch den kleinen Raum. Cecil spürte den heraufziehenden Sturm, und das Amt, mit dem er sich betraut hatte, lastete schwerer und schwerer.

»Laß es mich dir in Ruhe klarlegen!« bat er. »Ich muß da einiges wiederholen, was dir bereits bekannt ist, damit anderes, was du noch nicht weißt, deutlicher wird. Dein Vater war der zweite Sohn verschwenderischer Eltern. Er besaß buchstäblich nichts und verstand in keiner Weise, sich Geld zu verdienen. Ich tadle ihn nicht deswegen – wer auch hätte ein Recht dazu? Mir würde es wahrscheinlich unter gleichen Umständen ebenso ergangen sein.«

Das junge Mädchen preßte die Lippen zusammen und schluckte hörbar.

»Du kennst ja die Geschichte mit der Regimentskasse, Irene. Natürlich machte man deinen Vater für alles verantwortlich, obwohl er nicht mehr als ein Werkzeug gewesen war. Sieben Jahre Gefängnis waren sein Los. Du warst damals noch ein Kind. Deine Mutter war gestorben. Als die sieben Jahre um waren, schmiedeten deine und meine Familie einen Plan, den ich immer für egoistisch und ungerecht gehalten habe. Auch Notar Cuthbert riet davon ab. Aber dein Vater stimmte leider zu – deinetwegen. Man erzählte dir, er sei tot. Aber er hat die Strafzeit abgesessen und legte sich am Tage seiner Entlassung einen anderen Namen bei. Bereits achtundvierzig Stunden später hatte er das Land verlassen.«

»O Gott! Und wo ist er jetzt?«

»Er lebt nicht mehr – aber höre erst zu Ende! Jener Plan stammte von meinem Vater und deinen beiden Onkeln. Ihre Auffassung war folgendermaßen: Die Gesundheit deines Vaters schien untergraben, und wenn er die sieben Jahre überstand – was blieb ihm, wenn er wieder in die Welt hinaustrat? Er war, wie du weißt, ein Mann mit aristokratischen und luxuriösen Ambitionen. Von allem wollte er für sich das Beste haben – Gesellschaften, Klubs, Sport. Nun war ihm dies alles verschlossen. Er hätte sich nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen können, und sein Dasein hier würde ein ewiges Spießrutenlaufen durch Demütigungen und Kränkungen geworden sein. Und dann du! Du warst ein hübsches Kind, und der Graf hatte keine leiblichen Erben. Blieb dein Vater ausgeschaltet, so würde die dunkle Geschichte allmählich in Vergessenheit geraten. Du konntest eine glänzende Partie machen, und ein häßliches Blatt in der Familiengeschichte wurde dadurch beseitigt. So betrachtete man die Angelegenheit, und so stellte man sie auch deinem Vater vor.«

»Und er fügte sich?«

»Ja. Er sah ein, daß es vernünftig war um deinet- und um der Familie willen, ebenso auch für ihn selbst. Der Graf setzte ihm ein Jahresgeld aus. Er verließ heimlich England, und erst vor wenigen Wochen erhielten wir die Nachricht von seinem Ableben.«

Irenes Wangen brannten von einem inneren Feuer. Ihre Hände waren geballt. »Ich danke dem Himmel, daß er mir die Energie lieh, mir allein und unabhängig ein eigenes Dasein aufzubauen. Das kannst du allen sagen, wenn du magst, Cecil –: meinem Onkel, Lord Davenant, deiner Mutter und jedwedem, der an dieser trüben Sache beteiligt ist! Bestelle ihnen in meinem Namen, daß ich jetzt die Wahrheit weiß und sie allesamt für Feiglinge halte. Bestelle ihnen auch, daß ich Zeit meines Lebens mit ihnen kein Wort mehr wechseln werde!«

»Ich fürchtete ja, daß du es so auffassen würdest«, seufzte er bedrückt.

»Es so auffassen?« entrüstete sie sich. »Wie könnte eine Frau dergleichen anders auffasssen? Was würdest du empfunden haben, wenn du gehört hättest, man habe dich betrogen, dich deiner Kindespflicht beraubt, das Herz eines alten Mannes gebrochen, nur um Namen und Ansehen einer degenerierten Adelssippschaft zu retten? Oh, ich beneide euch nicht um diesen traurigen Mut!«

»Es war ein übler Fehler«, stimmte er zu.

Irene hielt es nicht länger auf ihrem Stuhl. Sie wanderte auf und ab, die Nägel in die Handflächen gedrückt, flammensprühenden Auges. »Mir vorzulügen, daß er tot sei und ihn den Rest seiner tragischen Tage unbehütet in der Fremde darben zu lassen! Immer und immer, Cecil, habe ich meinen Vater geliebt. Vielleicht nimmst du an, ich sei damals zu jung gewesen, um mich seiner zu erinnern. Du irrst dich. Ich habe ihn nie vergessen. Und als ich älter wurde und man mich von seinem Vergehen unterrichtete, betrübte mich das tief, aber meiner Verehrung für ihn tat es keinen Abbruch. Und jetzt muß ich erfahren, die ganze Zeit über das Opfer einer Heuchelei gewesen zu sein! Man ließ den Ärmsten ohne einen Freund, der ihm beistand, den Kerker verlassen, und zwang ihn, stehenden Fußes außer Landes zu gehen. Und ich, die ich eigentlich bei ihm hätte sein müssen, habe kein Wort von dem allen gewußt!«

»Du warst doch noch ein Kind, Irene! Zwölf Jahre sind darüber verstrichen.«

»Ein Kind? Alt genug jedenfalls, um zu wissen, wo mein Platz war. Gott sei Dank, daß ich von der Verwandtschaft und ihrer engstirnigen Auffassung von Ehre und Anstand endgültig mich trennte!«

»Wie heftig du bist!« tadelte er sanft.

»Du begreifst es nicht«, grollte sie geringschätzig. »Wie könntest du auch? Du bist von gleichem Schlage – kein Mann! Wie gut, daß meine Mutter aus dem Volke stammte! Ich hätte ein solches Leben des falschen Scheins mit einem steinernen Herzen und Milch und Wasser statt Blut in den Adern nicht ausgehalten. Von allem, was ich bisher vernommen, war dies wohl das unverzeihlichste Verbrechen.«

»Es war nicht gerecht«, räumte er ein. »Aber ich bin überzeugt, man wollte nur dein Bestes.«

Sie ließ sich mit verzweifelter Gebärde in einen Sessel sinken. »Verlaß mich jetzt, Cecil! Wenn du noch länger so redest, müßte ich dich ohrfeigen. Mein Bestes? Eine faule Ausrede! Der gute, liebe Vater!«

Sie barg ihr Antlitz ins Taschentuch und brach zum zweitenmal seit ihren Kinderjahren in heftiges Schluchzen aus. Davenant war so vernünftig, keinen Tröstversuch zu unternehmen. Auch er legte die Hand vors Gesicht. Als Irene endlich aufsah, war sie ruhiger und ihr Ton weniger bitter.

»Jetzt möchte ich nur noch wissen, warum du dich veranlaßt fühltest, mir endlich und gerade heute reinen Wein einzuschenken?«

»Weil du mir erzähltest, bei Scarlett Trent gewesen zu sein.«

»Was hat der damit zu schaffen?«

»Trent weilte bei deinem Vater, als er starb. Sie waren auf einer Expedition im afrikanischen Urwald – jenem Unternehmen, das zu Trents Wohlstand den Grundstein legte.«

»Weiter, weiter!« rief sie ungeduldig. »Sage mir alles, was du weißt!«

»Es macht mich glücklich, dir wenigstens dies erzählen zu können. Ich schätzte deinen Vater und begleitete ihn, als er England verließ, auch habe ich mich öfters mit ihm geschrieben. Außer seinem Sachverwalter dürfte ich wohl der einzige gewesen sein, der mit ihm korrespondierte. Er hat ein abenteuerliches und, wie ich fürchte, nicht allzu glückliches Leben geführt. Seine Briefe ließen erkennen, daß er den größten Teil seiner Einkommensbezüge verspielte. Daraus sei ihm kein Vorwurf gemacht. Ein Mann bedarf eines Etwas für das er verantwortlich ist, um ihn auf dem rechten Wege zu halten. Und, offen gestanden, ich glaube nicht, daß er auf dem rechten Wege blieb. Ich bin überzeugt, auch ich wäre einen falschen Weg gegangen, hätte man mich so behandelt. Er streifte durch die halbe Welt und kam schließlich an die Goldküste. Dort verlor ich ihn eine Zeitlang aus den Augen, und der Ton seiner spärlichen Schreiben ward verzweifelter denn je. In seinem letzten Brief teilte er mir mit, er rüste mit einem Landsmann eine Expedition nach dem Innern. Sie wollten versuchen, von einem Negerpotentaten bestimmte Konzessionen zu bekommen, die ihnen das Recht geben, eine Goldgrube in der Nähe des Dorfes Bekwando auszubeuten.«

»Die große Bekwando-Gesellschaft, für die jetzt Scarlett Trent ein Syndikat gebildet hat!«

Davenant nickte. »Ja. Es war ein lebensgefährliches Unternehmen, denn die Neger dort sind noch wild und das Klima gefährlich. Doch klang gerade dieser Brief ziemlich zuversichtlich. Mit einem Kompagnon, der kräftig und energisch sei, hätte er zusammen Geschenke gekauft, die ihn seinen letzten Pfennig kosteten. Vielleicht sei es ein vergebliches Bemühen, aber sollte es gelingen und er reich werden, werde er nach England zurückkehren und dich aufsuchen. Er selbst sei so verändert, daß niemand ihn wiedererkennen würde.«

»Und weißt du bestimmt, daß Trent sein Begleiter war?«

»Ganz bestimmt. Trents eigener Bericht in dem Prospekt der Gesellschaft stimmt völlig damit überein. Die Konzession wurde von dem Negerherrscher im gleichen Monat erteilt, in dem dein Vater mir schrieb.«

»Und welche Nachrichten erhieltest du seitdem noch?«

»Nur diesen Bericht von einem Missionar der Baseler Missionsgesellschaft. Da ich so lange nichts hörte, ließ ich Nachforschungen anstellen. Hier das Ergebnis!«

Sie las hastig:

»Sehr geehrter Herr!

Infolge einer Anfrage über den Verbleib des britischen Untertanen Richard Wendermot, die mir durch die Agenten der Herren Castle übermittelt wurde, habe ich persönlich Buchomari aufgesucht, das Dorf, aus dem die letzten Nachrichten von ihm kamen. Es scheint, daß er im Februar 19.. mit einem Teilhaber namens Trent eine Expedition unternahm, in der Absicht, von einem inländischen Fürsten Grundbesitz zu erwerben oder sich die Genehmigung zur Ausbeutung von Goldgruben zu verschaffen. Dieses letztere Ziel dürfte erreicht worden sein, doch Trent kehrte allein zurück und gab an, sein Gefährte sei auf dem Rückmarsch vom Sumpffieber hinweggerafft worden. Ich bedaure sehr, Ihnen für Ihr reiches Geschenk an unsere Missionskasse solch traurige und unvollständige Nachricht übermitteln zu müssen. Ich habe von allen Seiten Erkundigungen eingezogen, konnte aber nirgendwo etwas von Papieren oder sonstigem Eigentum des Verblichenen entdecken. Herr Wendermot war hier in der Umgegend allgemein unter dem Namen Monty bekannt.

Ihr ergebener
Ch. Addison.«

Irene barg den Brief in ihrer Tasche. »Laß mich jetzt bitte allein, Cecil! Du darfst morgen um die gleiche Stunde wiederkommen. Ich möchte alles in Ruhe überdenken.«

Davenant ergriff seinen Hut. »Es gibt noch etwas, Irene! Der Brief des Missionars enthielt außerdem eine kurze Notiz, die ich jedoch auf seine Bitte hin verbrannte. Er schrieb, daß er stundenlang gezögert habe, die wenigen Zeilen hinzuzufügen, und er appellierte an mein Ehrgefühl, sie sofort nach dem Lesen zu vernichten.«

»Und was meldete er?«

»Er hielt es für seine Pflicht, mir mitzuteilen, daß über die Art, in der dein Vater sein Ende gefunden, dunkle Gerüchte umliefen. Trent stand anscheinend im Ruf eines gewissenlosen, unbarmherzigen Mannes, und infolge einer Klausel im Vertrag zog er aus deines Vaters Tod unermeßlichen Nutzen. Es mag freilich nicht genügend Grund für das Gerede vorhanden gewesen sein, abgesehen davon, daß man die Leiche nicht an der Stätte fand, an der Trent den Sterbenden zurückgelassen haben wollte, und von dem Umstand, daß in jenen Bezirken ein Menschenleben nicht viel gilt. Obwohl dein Vater schwach und kraftlos war, scheint sein Tod unter diesen Umständen doch Verdacht erregt zu haben.«

»Ich danke dir! Ich hoffe, alles richtig verstanden zu haben.«


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