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Zehntes Kapitel.
Überraschende Kunde

Der Lärm eines Automotors auf dem Anfahrtsweg riß Trent am nächsten Morgen aus seinem Schlummer. Er klingelte. Zwei Diener erschienen zugleich.

»Wessen Wagen entfernt sich da unten?« fragte er.

»Eine Droschke für Herrn Da Souza.«

»Wie? Ist er schon weg?«

»Jawohl, Herr Trent. Auch die gnädige Frau und das junge Fräulein.«

»Und Fräulein Montressor und ihre Freundin?«

»Die Damen schlossen sich der Familie Da Souza an. Alle haben ihr Gepäck mitgenommen.«

Trent ließ ein spöttisches Lachen hören. »Hallo, Jacobs, passen Sie auf: Sollte jemand von den Herrschaften wiederkommen, so darf er nicht eingelassen werden. Begriffen? Wenn Gepäck gebracht wird, so nimmt man es nicht an. Ist Ihnen das klar?«

»Sehr wohl, gnädiger Herr!«

»Gut. Bereiten Sie jetzt mein Bad und sagen Sie der Köchin, daß ich in einer halben Stunde frühstücken möchte. Die Gesellschaft, die eben abgegondelt ist, wird am Bahnhofskiosk ein Morgenblatt kaufen und dann wahrscheinlich umkehren. Seien Sie aber auf der Hut und benachrichtigen Sie das übrige Personal! Auch ist's besser, wenn Sie das Gartentor schließen.«

»Wie Sie wünschen, Herr Trent!«

Der Diener, der über den Verlust einer guten Stellung und vielleicht noch eines Monatsgehaltes schon untröstlich gewesen war, beeilte sich, im Souterrain seine beruhigenden Nachrichten zu verbreiten. Es war nur ein Scherz ihres Herrn – höchstwahrscheinlich eine List, sich der anmaßenden Gäste zu entledigen. Ein Chor lebhafter Zurufe folgte seinen Ausführungen. Hausmeister Groves, der jeden Morgen mit würdevollem Ernst den Kurszettel studierte und den man der heimlichen Spekulation verdächtigte, gab kund, daß, soweit er es beurteilen könne, Herr Trent gestern ein hübsches Sümmchen verdient haben müsse. Worauf die begeisterte Köchin ein Frühstück herrichtete, das den festlichen Umständen angemessen war.

Trent kleidete sich sorgfältiger an als gewöhnlich, wenn auch mit Unlust. Bisher hatte er sich's beinahe zur Ehre angerechnet, sein Äußeres zu vernachlässigen, und er ähnelte, was Schnitt und Stoff seines Anzugs betraf, einem Arbeiter im Sonntagsstaat. Heute zum erstenmal betrachtete er seine Erscheinung mit kritisch tadelndem Blick. Sein Anzug war ihm zu weit, die Farbe zu auffallend, der Kragen altmodisch und die Kravatte geschmacklos. Fröstelnd entsann er sich seines Stadtspaziergangs vom Vortag und fragte sich, ob wohl auch sie gleich jenen arroganten Straßenpassanten der Meinung sei, daß jedermann, der etwas gelten wolle, sich den starren Gesellschaftsregeln unterwerfen müsse.

Die frische Morgenluft, die durch die geöffneten Fenster des Eßzimmers strömte, das helle Sonnenlicht, das Freiheitsgefühl versetzten ihn bald wieder in behaglichere Stimmung. Mit gesundem Appetit gesegnet, der herrlichen Gabe eines regelmäßigen Lebens, ließ er dem Meisterwerk der Köchin alle Ehre angedeihen.

Falls etwa noch eine pikante Zutat fehlte, so hielt das Schicksal selber sie für ihn bereit. Denn er hatte kaum zu speisen begonnen, als stürmisches Läuten an der Gartenpforte bewies, wie richtig seine Vermutung gewesen. Da Souza mußte aus der Zeitung ersehen haben, daß ihr Wirt sie genasführt hatte. Anscheinend war man entschlossen, die ganze Sache als einen vorzüglichen Spaß aufzufassen und ihm zu trotzen; denn die Schar harrte vollzählig in einer offenen Autodroschke vor dem Eingang.

Trent schob seinen Stuhl in eine Stellung, in der man ihn von draußen sehen mußte, und widmete sich unbekümmert seinem Frühstück. Die Gäste im Wagen zeigten verdrossene Mienen. Da Souza verhandelte erregt mit dem Hausmeister – die Damen schienen interessiert zuzuhören.

Trent wandte sich zu dem Diener hinter ihm. »Gehen Sie hinaus und sagen Sie Herrn Da Souza, daß ich ihn allein sprechen möchte. Niemand sonst darf herein. Geben Sie mir erst noch den gerösteten Toast, bevor Sie gehen!«

Wenig später trat der Portugiese ein, kriechend-höflich und offensichtlich bereit, sich jeder Bedingung zu fügen. »Mein lieber Freund, das war eine köstliche Komödie! Sie sehen, wie wir darauf eingegangen sind – alle, ohne Ausnahme. Wir haben vor dem Frühstück eine gemeinsame Ausfahrt gemacht und sind nun wieder da. Sie konnten sich doch denken, daß wir Sie nicht auf solche Weise sitzenlassen würden. Meinen Sie nicht auch, daß der Scherz jetzt weit genug getrieben ist? Geben Sie doch, bitte, Auftrag, das Tor zu öffnen!«

Trent rührte nachdenklich in seiner Kaffeetasse. »Sie haben recht: Es ist ein gelungener Spaß. Und das Überraschendste daran, daß ich es wirklich so meine: Weder Sie noch eine der Damen werden je wieder an meinem Tisch sitzen!«

»Das kann nicht Ihr Ernst sein!«

»Ihr seid mir höchst gleichgültig. Ihr glaubtet, daß ich ruiniert sei, und habt mich spornstreichs aufgegeben, wie die Ratten ein sinkendes Schiff. Alles, was ich noch zu sagen habe, ist: Machen Sie, daß Sie hinauskommen! Je eher, desto besser!«

Da Souza heuchelte nicht länger den Unterwürfigen. In seinen stechenden Schwarzaugen glomm der Giftblick einer tückischen Viper. »Ich stehe hier für meine Frau, für meine Tochter und für mich selbst. Und ich gebe Ihnen die Versicherung, daß wir nicht daran denken, fortzugehen.«

Zornflammenden Auges fuhr Trent auf. Da Souza prallte vor seiner ausgestreckten Hand zurück, aber der boshafte Zug der Entschlossenheit wich nicht von seinem bleichen Antlitz. Trent fühlte, daß es zu einer Aussprache kommen mußte. Der Portugiese hatte schon früher ein paarmal geheimnisvolle Andeutungen vorgebracht. Es wurde Zeit, mit offenem Visier zu kämpfen. Der Löwe war bereit, den Schakal abzuschütteln.

»Ich gebe Ihnen dreißig Sekunden, sich aus dem Staube zu machen. Wenn ich Sie dann noch hier sehe, wird es Sie gereuen.«

»Dreißig Sekunden werden nicht genügen, Ihnen auseinanderzusetzen, weshalb ich mich weigere. Hören Sie lieber ruhig zu, Trent – in Ihrem eigenen Interesse! Sie werden selbst zu dieser Erkenntnis kommen.«

»Schießen Sie los! Aber ich bin heute morgen etwas kurz angebunden. Gebe Ihnen daher den guten Rat, sich Ihre Worte wohl zu überlegen.«

»Seien Sie unbesorgt!« grinste der andere. »Ich möchte Sie ersuchen, lieber Freund, sich unserer ersten Begegnung zu erinnern.«

Trent nickte. »Die werde ich nicht so leicht vergessen.«

»Ich kam von Elmina, um mit Ihnen Geschäfte zu tätigen; hatte in Aschanti mit Palmöl und Mahagoni Geld gemacht. Sie besaßen Land, wiesen eine Konzession vor zur Ausbeutung von Goldgruben und zur Herstellung eines Weges nach der Küste. Eine gewagte Sache, aber wir haben uns trotzdem geeinigt. Ich begleitete Sie nach England – verdiente noch etliches hinzu.«

»Sie haben sich ein Vermögen errafft. Ich brauchte damals dringend Betriebskapital, und Sie haben mir für eine Kleinigkeit einen Anteil abgeluchst, der Ihnen im Handumdrehen eine Viertelmillion Pfund einbrachte.«

»Möglich. – Vielleicht aber sind auch Sie, statt ehrsamer Industriekapitän, ein Schwindler und Abenteurer.«

»Wenn Sie nun nicht innerhalb einer halben Minute sagen, was Sie noch hier hält, dann reiße ich Ihnen die Zunge aus dem Munde!« schrie Trent in mühsam beherrschter Wut.

»Ich bin schon dabei. Sie hatten damals einen Kompagnon. Die Konzession war Ihnen beiden gemeinschaftlich erteilt.«

»Er ist gestorben. Mir als Überlebendem fielen laut Vertrag die Gesamtrechte zu.«

»Ein feiner Kontrakt«, höhnte Da Souza mit teuflischem Lächeln. »Der andere war alt und gebrechlich. Sie waren mit ihm in Bekwando, wo es keine Weißen gab – niemanden, der Sie kontrollieren konnte. Sie haben ihm massenhaft Alkohol eingeflößt – in einem Gebiet, in dem das Sumpffieber wütet. Und siehe da: Sie kehrten allein zurück. Wenn das die Leute hören, werden sie sagen: Auf solche Weise wird man Millionär!«

Er hielt einen Augenblick inne, holte tief Atem; denn Trents Gesicht war fürchterlich anzuschauen.

»Sonst noch etwas?«

Da Souza raffte allen Mut zusammen. »Ja. Sie ließen Ihren Teilhaber schmählich im Stich!«

»Das ist Lüge! Zwanzig Stunden hindurch habe ich ihn auf dem Rücken getragen, mit einer Horde blutgieriger Teufel hinter uns. Wir hatten uns verirrt, und ich selbst war mehr tot als lebendig. Wer an meiner Stelle würde unter diesen Umständen noch einen Leichnam weitergeschleppt haben? Scheren Sie sich zur Hölle!«

Da Souza stand neben der Tür, und in seiner Haltung, vornübergebückt und heiser flüsternd, erinnerte er Trent an ein abstoßendes Götzenbild in den heiligen Wäldern Bekwandos.

»Ihr Teilhaber war noch keine Leiche, als Sie ihn verließen!« zischte der Portugiese. »Es war töricht von Ihnen, sich dessen nicht zu vergewissern. Die Neger haben ihn gefunden und vor den König gebracht, aus dessen Gewalt ihn Hauptmann Francis befreite. Er lebt heute noch!«

Trent stand einen Herzschlag lang wie betäubt. Monty noch am Leben?! Aber wie eine Erleichterung kam ihm sofort der Gedanke, daß das Unmöglichkeit war. Der Mann hatte im Sterben gelegen, als er von ihm schied, und die Zeit der Wunder war vorüber.

»Sie reden irre, Da Souza! Glauben Sie, mich mit Altweibergeschwätz einschüchtern zu können?«

»Was ich erzähle, ist Wahrheit; und ich kann Ihnen ein halbes Dutzend Beweise beibringen. Sie waren ein Idiot.«

Trent dachte in blitzhaftem Erinnern an den Abend, da er nochmals in den Urwald zurückgewandert war und keine Spur von Montys Verbleib hatte feststellen können. Wie aus weiter Ferne wehte seine Stimme. »Vorausgesetzt, daß Ihre Mitteilung den Tatsachen entspräche: Wo steckte Monty dann die ganze Zeit? Weshalb ist er nicht hervorgetreten, um seinen Anteil zu fordern?«

»Er ist halb geistesgestört. Hat sein Gedächtnis verloren und arbeitet jetzt auf einer Missionsstation unweit Attra.«

»Und warum haben Sie mir das alles nicht eher gesagt?«

Da Souza hob die Achseln. »Es schien mir nicht notwendig. Bisher waren unsere Interessen die gleichen. Und ich hielt es für besser, daß Sie es nicht wußten.«

»Vermag er sich wirklich an nichts mehr zu erinnern?«

Da Souza zögerte. »Mein Halbbruder Sam hält ein Auge auf ihn. Manchmal gebärdet er sich sehr unruhig und schwatzt alles mögliche. Aber was schadet es? Er hat kein Geld und wird wohl bald das Zeitliche segnen. Er ist ja mittlerweile ein Greis geworden.«

»Ich werde ihn holen lassen«, sagte Trent langsam. »Er soll haben, was ihm zukommt.«

Das war es nun gerade, was Da Souza fürchtete. Jahrelang hatte er mit Trent zusammengearbeitet, ohne sich einen festen Begriff von dessen Charakter bilden zu können. Und nur das Bewußtsein, daß er ihn nicht zu ergründen vermochte, hatte ihn schweigen lassen. Nun war die Krisis da: Er hatte gesprochen, und das konnte seinen Untergang bedeuten.

»Ihn holen lassen?« wiederholte er. »Warum? Seine Erinnerungskraft ist versiegt – abgesehen von den seltenen Jähzornanfällen, in denen er ab und zu seinen Geifer gegen Sie spritzt. Man wird argwöhnen, daß Sie ihn absichtlich mit Alkohol vergifteten, daß die Klausel im Vertrag ein unmittelbarer Anreiz war, sich seiner zu entledigen, und daß Sie ihn wenige Kilometer vor Buchomari in die Wildnis stießen, damit ihm die Nigger den Rest geben sollten. Kommt hinzu: Wie wollen Sie ihn halbpart bezahlen? Ich bin einigermaßen über Ihre Angelegenheiten orientiert. Auf dem Papier sind Sie ohne Zweifel Millionär. Aber wenn Ihnen nun sämtliche Forderungen auf einmal präsentiert würden? Sicherlich könnten Sie heute ohne weiteres eine Million englische Pfund in der City bekommen. Aber, Herr Scarlett Trent, wenn ich ein einziges Wörtchen verlautbare, dann dürfte es Ihnen schwer fallen, auch nur tausend Pfund mobil zu machen. Nun ist da zwar das Syndikat, dessen Riesenplan Sie gestern in die Tat umgesetzt haben, und von dem Sie mich sorgfältig fernhielten. Aber ist Ihnen nicht klar, daß Montys Existenz das ganze Unternehmen glatt auseinandersprengt? Denn Sie haben verkauft, was nicht Ihr Eigentum war. Und dafür berappt man nicht. Das nennt man Schiebung!«

Trent gab keine Antwort. Er begriff durchaus, daß dies der härteste Schlag war, der ihn treffen konnte. Mit wachsendem Unbehagen erinnerte er sich an Montys ungestümes Verlangen nach dem Leben, nach Genuß – an seine Gier, noch einmal, wenn auch nur für eine kurze Zeitspanne, die Freuden seines Reichtums kosten zu können. Monty – jetzt mittellos, halb verblödet, schlecht bezahlter Angestellter, der täglich um seinen Unterhalt sich abrackern mußte, das Ende seines Daseins in grausamer Nähe! Vielleicht war es doch besser, alles aufs Spiel zu setzen und ihn herzuschaffen, koste es, was es wolle!

Doch da trat ein noch fürchterlicherer Gedanke vor Trents geistiges Auge: Was würde sie von dem Manne denken, der seinen Gefährten, einen hilflosen Kranken, schnöde aufgab, unweit einer schutzspendenden Niederlassung? Würde er sich je vom Makel der Feigheit und Treulosigkeit reinigen können – angesichts der schicksalsschweren Bestimmung im Vertrag, dieses zerschmetternden Zeugnisses seiner Niedertracht?

Mühsam rang er nach Luft, wanderte ruhelos im Zimmer auf und ab. Hundert Gedanken jagten durch sein Hirn. Er war sich bewußt, daß auch er anders geworden. Durch das Jonglieren mit Riesensummen und die Mehrung seines Reichtums war etwas von dem Geldfieber des Börsianers in ihn gedrungen. Er galt als einflußreiche Persönlichkeit. Sollte er jetzt ohne Gegenwehr von seinem hohen Sockel stürzen, Ansehen und Vermögen einbüßen, sich als moralischen Mörder brandmarken lassen? Und mußte ihn nicht gerade die Frau grenzenlos verachten, deren Bild er seit Jahren verehrte und deren Erscheinung vor wenigen Stunden sein ganzes Innere aufgewühlt? Er stierte über die Rasenfläche nach dem Garten, mit kalten Augen und gerunzelten Brauen.

Da Souza beobachtete ihn nervös. »Wenn Sie ihn kommen lassen,« sagte er langsam und nachdenklich, »sind Sie so gut wie ruiniert. Ihre Neider werden vor Jubel rasen, die Zeitungen sich mit Wonne auf dies gefundene Fressen stürzen. Und warum der ganze Unsinn? Um einem Menschen ein Vermögen in den Schoß zu schleudern, der viel zu kindisch geworden ist, es noch genießen zu können. Wie wollen Sie vor sich selber solchen Wahnwitz rechtfertigen?«

Der andere verzog krampfhaft das Gesicht. »Jedenfalls werde ich mir die Sache überlegen«, knurrte er unvermittelt. »Bringen Sie Ihre Frau und Tochter her, und lassen Sie mich eine Weile allein!«

»Ich wußte, daß Sie meinen Vernunftgründen folgen würden. Doch wie steht's mit den anderen Damen?«

»Schicken Sie sie zum ...«

»Ich werde sie dahin zurückbeordern, woher sie kamen!« fiel ihm Da Souza diensteifrig ins Wort.


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