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Als die Glocke zum viertenmal anschlug, standen Cecil und Forrest oben in der Halle, nur wenige Schritte von der Haustür entfernt. Cecil starrte ins Leere, als ob er einen Geist sähe, und Forrest verfluchte ihn heimlich.
»Zum Donnerwetter, so machen Sie doch endlich auf«, flüsterte er ihm ins Ohr. »Stehen Sie doch nicht da wie eine alte Vogelscheuche! Zeigen Sie sich vor allem wütend, daß man Sie noch so spät stört, und schicken Sie die Leute einfach fort.«
Cecil biß die Zähne zusammen, drehte den großen Schlüssel um und riß die schwere Türe auf.
Aber er atmete erleichtert auf, als er eine weibliche Gestalt vor sich sah. Er leuchtete ihr mit der Taschenlampe ins Gesicht und trat dann einen Schritt zurück.
»Aber Kate, was willst du denn um diese Zeit hier? Was soll das heißen, daß du fast die Klingel abreißt?«
Das Mädchen trat in die Halle.
»Schließe die Tür, sonst bläst der Wind die Gemälde von der Wand. Ich kann kaum hören, was du sagst.«
Cecil gehorchte widerwillig.
»Mache doch Licht! Ich will nicht immer von deiner Taschenlampe geblendet werden.«
»Aber Kate, warum kommst du denn nicht am Tage?«
»Das ist jetzt ganz gleich«, erwiderte sie scharf. »Ich bin nicht deinetwegen hergekommen, aber ich habe ein ernstes Wort mit dir zu reden.«
Forrest machte Licht. Kate zeigte keine Furcht, als sie den Major erblickte. Sie sah beiden fest ins Gesicht.
»Also deshalb sind wir beide mitten in der Nacht aufgeweckt worden«, bemerkte Forrest mit einem ironischen Lächeln, das aber seine Wirkung auf Kate vollständig verfehlte. »Cecil, Sie haben hier eine kleine Liebesaffäre. Warum zeigen Sie denn dem Mädchen nicht einen anderen Weg, damit sie nicht diese entsetzliche Kuhglocke läuten muß?«
Kates schwarzes Haar war vom Winde zerzaust, und ihre Augen leuchteten düster. Ihr dunkelrotes Kleid, Schuhe und Strümpfe waren durchnäßt. Mit der einen Hand hielt sie sich an der Tischplatte fest, die andere war in den Falten ihres Kleides verborgen.
»Was willst du, Kate?« fragte Cecil. »Was soll das heißen, daß du so spät kommst. Wenn du mich sprechen willst, weißt du doch, wie du hereinkommst, ohne das ganze Haus zu alarmieren.«
»Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß ich komme, um deinen falschen Worten zu lauschen und mir von dir etwas vorlügen zu lassen? Ich will heute wissen, wen du dort unten in der Schmugglerhöhle versteckt hältst!«
»Was für einen Unsinn redest du da! Dort unten ist doch niemand!«
»Du lügst«, sagte sie ruhig. »Du lügst wie immer, wenn es deinen Zwecken dient. Erst vor einer Viertelstunde lag ich draußen auf dem Rasen über dem Gewölbe, und ich hörte, wie dort unten jemand stöhnte und ächzte. Sage mir jetzt die Wahrheit, Cecil. Ich will dir keinen Schaden zufügen, obwohl du es verdient hättest. Aber wenn du mich nicht sofort zu dem Mann bringst, den du dort unten eingeschlossen hast, und wenn du ihn nicht vor meinen Augen freiläßt, so bringe ich das halbe Dorf dorthin und lasse ihn ausgraben.«
Forrest wandte sich jetzt liebenswürdig zu ihr, aber Kate sah wohl, daß seine Augen unheimlich und gefährlich aufleuchteten.
»Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber sicher hören Sie doch auf Vernunftgründe. Dort unten ist niemand. Wahrscheinlich haben Sie Ratten gehört.«
»Sie sind ein ebenso gemeiner Lügner wie er, ich sehe es an Ihrem Gesicht. Ich traue keinem von Ihnen.«
Forrest zuckte die Schultern und sah mit gerunzelter Stirne auf Cecil.
»Ihre Freundin, mein lieber Cecil, ist wie alle Frauen. Da sie uns keinen Glauben schenkt, müssen Sie sie wohl in Teufels Namen hinunterführen. Das ist zwar eine merkwürdige Exkursion mitten in der Nacht, aber ich werde Sie begleiten. Als Anstandswauwau«, sagte er mit einem sarkastischen Lachen.
Cecil schaute ihn einen Augenblick an, dann wandte er sich zum Gehen. Eine neue Furcht hatte ihn befallen. Was bezweckte Forrest mit diesem Vorschlag?
»Wenn sie darauf besteht, kann sie mitkommen. Aber es ist schon seit langer Zeit niemand mehr dort gewesen. Die Luft wird fürchterlich sein.«
»Glaube nicht, daß du mir durch derartige Redensarten Furcht einjagen kannst. Vielleicht bildest du dir auch ein, daß du mich leicht zum Schweigen bringen kannst, wenn du mich erst dort unten hast. Aber ich werde ruhig mit dir gehen.«
»Willst du vor oder hinter uns gehen?« fragte Cecil, als er die Geheimtür in der Bibliothek öffnete.
»Die Tür geht ja sehr leicht auf, trotzdem sie solange nicht benützt worden ist! Ich werde zuletzt gehen.«
»Wie du willst. Kommen Sie, Forrest, Sie können sich die Sache da unten auch einmal ansehen.«
Als sie den Gang entlang gingen, flüsterte Cecil mit Forrest.
»Was haben Sie eigentlich vor?«
»Weiß ich noch nicht. Wer ist sie denn?«
»Ein Mädel aus dem Dorf, ein altes Verhältnis von mir. Es sind merkwürdige Leute, diese Caynsards. Sie haben nur wenig Freunde. Ich möchte bezweifeln, ob überhaupt jemand weiß, daß sie heute abend ausgegangen ist.«
»Wenn wir nun schon einmal einen kühnen Streich unternehmen, kommt es auf eine Kleinigkeit mehr oder weniger auch nicht mehr an.«
Sie machten vor der Tür halt, und Kate betrachtete das Vorhängeschloß.
»Das Schloß ist auch neu, wie ich sehe. Aber hören Sie!«
Seufzen und Stöhnen drangen zu ihnen heraus.
»Sind das etwa Ratten?« fragte Kate. »Cecil, du hast dich von diesem Mann verleiten lassen. Ich möchte dir keinen Schaden zufügen. Wenn du wenigstens jetzt das Richtige tust, will ich zu dir halten. Laß diesen Mann frei und höre nicht auf diesen Kerl.« Sie zeigte auf den Major.
Cecil zögerte einen Augenblick, und Forrest, der ihn scharf beobachtete, wußte nicht, ob dieses Zögern echt war, oder ob es nur Kate täuschen sollte.
»Ach, die ganze Sache ist doch nur ein Scherz, Kate. Allerdings haben wir ihn etwas zu weit getrieben. Geh jetzt hinein und sieh selbst nach.«
Cecil öffnete die Tür, und sie trat kühn hinein. Forrest folgte als letzter und hielt sich in der Nähe des Eingangs. Engleton fuhr in die Höhe, als er die drei kommen sah.
»Wir haben Ihnen Besuch gebracht«, rief Forrest. »Sie haben sich doch vorher darüber beklagt, daß Sie so allein seien. Sie werden jetzt nicht mehr länger einsam bleiben.«
Kate wandte sich scharf um.
»Was wollen Sie damit sagen? Wir verlassen diesen Raum miteinander – und zwar sofort.«
»Das glauben Sie doch wohl selbst nicht«, erwiderte Forrest höhnisch. »Sie haben sich hier in eine Angelegenheit gemischt, die Sie gar nichts angeht. Nun müssen Sie eben die Konsequenzen tragen.«
»Welche Konsequenzen sind denn das?« fragte Kate langsam.
»Das hängt von dem da ab.« Er zeigte auf Engleton. »Er war bis vor einigen Tagen unser Freund, dann hat er uns plötzlich angeklagt, daß wir Falschspieler seien. Wenn wir ihn laufen lassen, wird er uns beide ruinieren. Deshalb haben wir ihn hier gefangengesetzt, aber er kann seine Freiheit jeden Augenblick wieder erhalten, wenn er uns auf sein Ehrenwort verspricht, Frieden zu halten. Das hat er abgelehnt, und jetzt können wir ihn nicht länger hier lassen. Noch diese Nacht werfen wir ihn ins Meer, wenn er nicht nachgibt.«
»Und was wollen Sie mit mir anfangen?« fragte Kate.
»Sie teilen selbstverständlich sein Schicksal«, erwiderte Forrest, »wenn er verrückt genug ist, auch Ihr Leben zu riskieren.«
Engleton erhob sich langsam.
»Wer sind Sie?« wandte er sich an Kate.
»Ich heiße Kate Caynsard und wohne hier im Dorf. Heute abend hörte ich von draußen, wie Sie hier unten hämmerten. Haben Sie meine Rufe nicht gehört?«
»Ja, ich weiß alles.«
»Ich will Ihnen alles erzählen. Früher einmal war ich töricht genug, diesen Mann hier« – sie zeigte auf Cecil – »im Park zu treffen. Das ist nun längst vorbei. Aber eines Abends fand ich keine Ruhe, wanderte wieder hier umher und kam auch in die Schonung. In der Nähe des Entlüftungsschachtes hörte ich plötzlich Stimmen von unten heraufdringen. Am nächsten Tag wurde über das Verschwinden Lord Ronald Engletons gesprochen. Das sind Sie, wie ich vermute.«
»Ja«, erwiderte Lord Ronald verbissen. Dann wandte er sich plötzlich an Cecil. »Wenn Sie tatsächlich das Leben dieses Mädchens bedrohen, dann gebe ich meinen Widerstand auf. Ich will dieses niederträchtige Schriftstück unterzeichnen.«
Ein triumphierendes Lächeln spielte um Forrests Mund, aber es dauerte nicht lange. Kate hatte sich mit dem Rücken an die Mauer gelehnt und die Hand, die solange in ihrem Kleid verborgen war, ausgestreckt. Plötzlich ertönte eine Explosion.
»Ich habe noch weitere fünf Patronen im Revolver«, rief sie. »Diesen Schuß habe ich zur Warnung abgefeuert, daß ich es ernst meine. Wenn Sie uns jetzt nicht sofort freilassen, und zwar ohne irgendwelche Bedingungen, werden Sie hierbleiben, nur mit dem Unterschied, daß Sie eine Kugel im Kopf haben!«