E. Phillips Oppenheim
Das Mädchen mit den Millionen
E. Phillips Oppenheim

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Kapitel 4.
In Red Hall.

Cecil de la Borne atmete erleichtert auf. Seine Gäste betonten einmütig, daß das Abendessen hervorragend sei, und daß es ihnen ausgezeichnet hier gefalle. Und als er einen Blick auf die Prinzessin warf, dachte er dankbar an seinen älteren Bruder. Andrew war im Grunde genommen doch ein vernünftiger Kerl! Außerdem hätte er sich in dieser Gesellschaft sicher nicht behaglich gefühlt.

»Mein lieber Cecil«, sagte die Prinzessin in ihrer liebenswürdigen Art, »Ihre Küche ist geradezu superb! Jeanne und ich haben uns schon lange darauf gefreut, Sie einmal in Ihrem eigenen Heim zu sehen. Jeanne, ist es nicht noch viel entzückender, als wir uns jemals vorgestellt haben?«

Jeanne, die ihr gegenübersaß, sah sich mit großem Interesse um.

»Ach ja, es ist sehr gemütlich hier. Man merkt, daß es wirklich ein Heim ist. Es ist eine wahre Wohltat nach diesen vielen Gesellschaften in London.«

»Da haben Sie vollkommen recht«, pflichtete Major Forrest bei. »Mr. de la Borne hat uns nur in einer Beziehung enttäuscht. Wir finden hier nicht diese Einfachheit, die wir nach seinen Schilderungen anzutreffen glaubten. Wir trinken den besten französischen Sekt, und sicherlich ist auch der Koch ein Franzose.«

»Nun, Sie können noch genug Einfachheit genießen, wenn Sie einmal aus dem Fenster schauen wollen«, erwiderte Cecil trocken. »Sie sehen zwei Reihen zerzauster, unansehnlicher Bäume, und dahinter dehnen sich meilenweit die Marschen aus, und dann kommt das graue Meer.«

Der brausende Nordwind fegte über die Küste dahin, und ein Regenschauer schlug gegen die Fenster.

»Es ist ein wundervolles Idyll. Man hat das Gefühl, ein letztes Raffinement zu durchkosten«, erklärte der Major. »Wir sitzen hier bei einem luxuriösen Diner, und um die Genüsse noch mehr zu unterstreichen, hören wir draußen das wilde Wetter toben. Im Ritz Carlton speist man wie hier, ohne darüber erstaunt zu sein. Aber in dieser rauhen Umgebung wird man um so mehr zur Anerkennung, ja zur Bewunderung gezwungen.«

»Leider ist es hier nicht so komfortabel, wie es sein müßte«, meinte Cecil. Er klemmte das Monokel ins Auge und sah zu der Wand hinüber.

»Sehen Sie dort die Bilder meiner Ahnen? Keiner meiner Vorfahren hatte genug Geld, die Bilder ordentlich in Stand zu halten. Dort hängen zwei leere Rahmen – früher hätten Sie darin einen Reynolds und einen Gainsborough bewundern können. Aber man hat sie herausgeschnitten und verkauft, weil man eben Geld brauchte. Ich kann Ihnen in dem großen Hause viele vollständig unmöblierte Zimmer zeigen, in denen die Vorhänge und Tapeten vor Alter verkommen sind, und ich versichere Ihnen, daß es nicht nur draußen so wüst aussieht.«

»Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich einmal durch das Schloß führen würden, Mr. de la Borne«, sagte Jeanne interessiert.

»Ich fürchte nur, daß Sie sehr enttäuscht sein würden. Wir besitzen keinerlei wertvolle Schätze hier. Seit vielen Generationen haben die de la Bornes dieses Schloß geplündert und ein Feld nach dem anderen verkauft, um standesgemäß leben zu können. Ich bin der letzte meines Stammes, und leider haben sie mir nichts übriggelassen, was ich verkaufen könnte!«

»Hatten Sie nicht – einen Halbbruder?« fragte die Prinzessin.

Cecil zögerte einen Augenblick. Es erschien ihm so selbstverständlich und natürlich, die Rolle des Familienoberhauptes zu spielen, daß er Andrew im Augenblick ganz vergessen hatte.

»Ja, aber der zählt nicht. Es tut mir leid, daß ich das sagen muß. Sie werden ihm wahrscheinlich nicht begegnen, er verkehrt nicht in unseren Kreisen.«

Seine Gäste fühlten, daß ihm dieses Thema peinlich war, und sprachen nicht weiter darüber.

»Sie äußerten eben den Wunsch, einmal das Schloß sehen zu wollen, Miß Le Mesurier, und ich sagte Ihnen, daß es sich kaum der Mühe lohnte. Aber etwas Interessantes haben wir doch hier.«

Die Prinzessin lehnte sich vor.

»Das klingt ja sehr spannend«, meinte sie. »Was ist es denn, Cecil? Ein Turmgemach, in dem die Geister spuken?«

»Nein, etwas viel Greifbareres. Vor mehr als hundert Jahren war das Schmuggeln nicht nur ein Lebensunterhalt für die Armen, auch die Wohlhabenderen gaben sich damit ab. Ich hatte einen Ahnen, der dadurch sogar eine gewisse traurige Berühmtheit erlangte. Trotzdem hat man ihn nie gefaßt, oder wenn man ihn ertappte, hat man ihn jedenfalls nicht bestraft. Dieser Mann baute einen unterirdischen Gang vom Hause bis hinunter zu einer der Buchten. Der Gang mit den großen Kellern für die geschmuggelten Waren existiert noch, ebenso ein Raum, in dem sich die Schmuggler versammelten.«

Jeanne sah ihn erstaunt an.

»Ach, könnten Sie mir diesen Gang und die Keller einmal zeigen?«

»Ja, natürlich. Aber es ist häßlich dort unten, die Wände sind feucht und die Keller dumpf. Die steinernen Decken haben mich immer an Grabgewölbe erinnert. Wenn wir Flut haben, können Sie die Brandung der See über Ihrem Kopf hören. Wenn es Ihnen recht ist, gehen wir morgen früh hinunter.«

»Das würde mir das größte Vergnügen machen«, rief Jeanne. »Gibt es auch einen Ausgang?«

»O ja«, entgegnete Cecil. »Der Gang beginnt in einem Raum, der früher als Bibliothek diente, und endet in der hohen Klippe, etwa zehn Meter über dem Boden. Aber sie hatten dort eine Vorrichtung, um die schweren Stückgüter hinaufzubefördern, und eine Strickleiter, auf der man nach oben klettern konnte. Wenn die Zollbeamten vom Land aus ein Boot in die Bucht einbiegen sahen und vom Dorf herunterkamen, fanden sie es stets leer. Sie haben natürlich immer Verdacht geschöpft und vermutet, daß die Waren ins Schloß gebracht wurden, aber sie konnten es nicht beweisen. Und da mein Vorfahre selbst Friedensrichter war und eine geachtete Stellung einnahm, durften sie es nicht wagen, sein Haus zu durchsuchen.«

Die Prinzessin seufzte.

»In diesen Zeiten hätte man leben sollen«, sagte sie. »Damals konnte man sich doch noch rühren, damals ereignete sich noch etwas. Heute würde man Ihren Ahnen einfach einen Dieb und Schmuggler nennen.«

»Ich glaube nicht, daß er es um des Geldes willen getan hat«, erwiderte Cecil. »Der Reiz des Abenteuers hat ihn sicher gelockt.«

»Aber wenn sich auch die Zeiten geändert haben, so sind doch die Neigungen der Menschen dieselben geblieben«, meinte der Major. »Sie äußern sich vielleicht nur in anderer Weise. In der ganzen Welt sucht nur einer den anderen zu übervorteilen und ihm sein Geld abzunehmen. Auch wir sind in gewisser Weise Diebe, nur üben wir unsere Tätigkeit innerhalb der Grenzen des Gesetzes aus.«

Die Prinzessin lächelte leicht, als sie Forrest über den Tisch hin ansah.

»Ich fürchte, Sie haben nur allzu recht. Ich glaube kaum, daß wir uns im Lauf der Jahrhunderte gebessert haben. Meine Vorfahren haben ganze Städte gebrandschatzt, die Einwohner verschleppt und schweres Lösegeld für sie verlangt. Heute setzen wir uns an einem Bridgetisch einem Mann mit einer gefüllten Brieftasche gegenüber, und wenn wir ehrlich sein wollen, so haben wir doch nur den Wunsch, ihn etwas zu erleichtern. Ich bin davon überzeugt, daß nur die Furcht vor der Strafe uns zur Einhaltung der Moralgesetze zwingt.«

»Wir werden Miß Le Mesurier zu sehr abschrecken, wenn wir so sprechen«, sagte Lord Ronald. »Sie zieht natürlich die Schlußfolgerung daraus, daß wir und alle anderen Menschen nur die eine Absicht haben, sie um ihr Vermögen zu bringen.«

»Nun, dann bin ich ja vollkommen sicher«, erwiderte Jeanne lächelnd. »Ich spiele nicht Bridge, und selbst meine Unterschrift auf einem Schuldschein würde noch keinen Zweck für Sie haben.«

»Aber Sie glauben doch, daß wir nur auf den Zeitpunkt Ihrer Volljährigkeit warten, um unsere niederträchtigen, gemeinen Pläne gegen Sie auszuführen?« fragte Lord Ronald.

Jeanne schüttelte den Kopf.

»Sie können mich nicht bange machen, ich fühle mich sicher. Aber ich freue mich wirklich auf diesen interessanten unterirdischen Gang.«

»Hoffentlich ist Ihre Enttäuschung nicht zu groß«, entgegnete Cecil. »Die Zeiten des Schmuggels sind vorüber, und die Romantik jener Tage ist tot. Wahrscheinlich werden Sie nach wenigen Minuten schon den Wunsch haben, möglichst bald wieder hinauszukommen.«

»Das glaube ich kaum. Ich werde mich in die früheren Zeiten zurückversetzen und mir vorstellen, wie sie in der Nähe des Ausgangs gespannt warteten, als sie das leise Geräusch der Ruderer hörten und von ihren Wachtposten aus die Schmuggler mit ihren Booten und die Zollwächter aus dem Dorf näherkommen sahen.«

»Sie haben wirklich eine wundervolle Phantasie«, sagte Cecil leise und neigte sich zu ihr.

Aber Jeanne lachte nur.

»Die Menschen, die interessante und schöne Dinge besitzen, kümmern sich nicht darum. Erst andere müssen sie darauf aufmerksam machen. Aber sehen Sie denn nicht, daß meine Mutter jetzt zu gern eine Partie Bridge spielen möchte?«

 


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