E. Phillips Oppenheim
Channay rechnet ab
E. Phillips Oppenheim

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Zehntes Kapitel.
Das Glück kommt Harold Rodes entgegen

Gilbert Channay kehrte von einer Fußwanderung in den Bergen oberhalb Beau Soleil zurück und mußte in einer der Straßen anhalten, die in einen Vorort Monte Carlos führten und in denen kleine Geschäfte in einem bunten Durcheinander mit Cafés abwechselten. Vor ihm spielte sich eine Szene ab, in ihrer Art widerlich, aber nicht ungewöhnlich selten in diesem kleinen Fürstentum. Ein junger Mann, der von dem muskulösen Besitzer eines Restaurant-Cafés herausgeworfen worden war, protestierte dagegen in einem schimpfenden Englisch zwischen umgelegten Tischen, die wegen des eintretenden Abendnebels von den Gästen erst kurz zuvor verlassen worden waren. Channay wich beim Vorbeigehen der Kampfzone etwas aus und würde weitergegangen sein, wenn ihm im Gesicht des jungen Mannes nicht etwas aufgefallen wäre, das ihn zum Stillstehen veranlaßte. Der Besitzer, noch erhitzt von dem vorangegangenen Kampf, wandte sich nun Channay erregt zu.

»Einer Ihrer Landsleute, Monsieur!« rief er aus. »Kommt her, ißt vom Besten, trinkt meinen guten Rotwein, meinen Champagner, einen Kaffee und Likör – und als es ans Zahlen geht, hat er kein Geld!«

»Kann jedem passieren!« unterbrach ihn der junge Sünder, der sich wohl hütete, dem Manne nahezukommen.

»Einmal – vielleicht, aber nicht zum zweitenmal!« sagte der Besitzer. »Monsieur muß nämlich wissen,« fuhr er fort, »daß sich das zweimal in drei Tagen ereignet hat. Und womit entschuldigt dies der Halunke. ›Er habe nicht bemerkt, daß er am selben Platz sei!‹ Haben Sie schon so etwas gehört? Ich habe nicht übel Lust, ihn dem Gendarm zu übergeben. So ein Gesindel kommt her und erschwert das Gewerbe eines ehrlichen Mannes!«

Gilbert Channay sah sich den jungen Mann noch einmal an. Er machte auf ihn keinen besonders guten Eindruck, aber immer bestimmter trat eine Ähnlichkeit mit einem Manne zutage, den er einst gekannt hatte und die ihm gleich aufgefallen war, je länger er ihn ansah. Channay zog seine Geldtasche hervor.

»Der junge Mann scheint ein Landsmann von mir zu sein. Ich werde also Ihre Rechnung begleichen«, sagte er entschieden.

Der zornige Mann mit seinem wilden Schnurrbart, der seiner Entrüstung so geläufig Ausdruck verliehen hatte, war wie verwandelt. In einer Sekunde war aller Ärger und aller Zorn verflogen. Das gewinnende Lächeln des vollendeten »Maître d'Hôtel« überglänzte seine Züge.

»Wenn Monsieur schon so gütig eingreifen wollen – dann dürfte es für alle Beteiligten am besten sein. Ich bitte Monsieur, das eine zu verstehen, daß das Fortkommen in dieser Gegend nicht so einfach ist, weil Herrschaften, die über Geld verfügen, sich nur selten hierher verlaufen. Das bißchen, was man also verdient, kann man nicht noch verlieren, und es ist für unsereins ein großer Verlust, wenn ein solches Menü nicht bezahlt wird, wie es der Herr dort bestellt hatte.«

»Bitte, wie hoch ist die Rechnung?« erkundigte sich Gilbert Channay.

»Einhundertundachtzehn Franken und fünfundsiebzig Centimes, Monsieur«, erwiderte der Mann.

Channay händigte ihm einhundertundvierzig Franken ein.

»Das Trinkgeld ist mit einbegriffen. Die Sache ist also erledigt.«

»Meinen aufrichtigen Dank, Monsieur«, sagte der Mann, während er, sich verneigend, rückwärts ging. »Wenn Monsieur mir mal abends die Ehre seines Besuches geben will, soll ihm das Beste vorgesetzt werden, das Monte Carlo zu bieten hat. Ich werde persönlich dafür sorgen.«

Channay nickte ihm dankend zu, worauf sich der Wirt empfahl. Der junge Mann hatte inzwischen seine Halsbinde geordnet und ließ sich von einem kleinen Jungen, der aus dem Café herausgelaufen kam, Hut und Stock bringen.

»Das war sehr freundlich von Ihnen!« wandte er sich nun Channay zu. »Der Mensch konnte mein Französisch nicht verstehen, und je mehr ich ihm die Sachlage zu erklären suchte, desto wütender wurde er.«

»Was war überhaupt los?« fragte Channay.

»Ich hatte ganz vergessen, daß ich kein Geld bei mir hatte, um die Rechnung zu bezahlen«, war die wenig überzeugende Erklärung.

Channay betrachtete sich den Gegenstand seiner Großmut nochmals genau.

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie es nicht bei sich hatten, oder daß Sie überhaupt über kein Geld verfügen?« fragte er forschend.

Der Gefragte zögerte mit der Antwort.

»Wenn Sie es absolut wissen wollen – ich bin pleite«, gestand er ihm.

Sie befanden sich nun auf dem Wege nach Monte Carlo. Channays Schützling hatte den Hut tief ins Gesicht gedrückt und schwang herausfordernd seinen Stock. Channay, die Hände auf dem Rücken, wie gewöhnlich gemächlich gehend, schien in Gedanken versunken.

»Am Spieltisch?« fragte er schließlich.

Sein Begleiter nickte.

»Hatte verdammtes Pech«, klagte er. »Kam erst vor drei Tagen mit dem größeren Teil von zweitausend Mark in meiner Tasche hier an. Alles ging fehl. Wenn ich nicht heute abend noch meine Freunde finde, muß ich sehen, daß ich das Geld für eine Fahrkarte nach Hause auf dem Schleichwege erlange.«

»Darf ich wohl um Ihren Namen bitten?«

»Rodes – Harold Rodes.«

»War Ihr Vater vielleicht auf der Börse?«

»Stimmt. Er war ein Aktienmakler. Eric Rodes hieß er«, gab der junge Mann zu. »Er starb, währenddem ich mich auf dem Kontinent befand. Dummer Narr, der ich war – ging ich nach Südafrika, in der Hoffnung dort Stellung zu finden.«

»Und wer sind Ihre Freunde hier?«

»Der Mann heißt Fogg, Martin Fogg. Hat auch eine Tochter, waren gute Kameraden zusammen. Ich habe mich schon in einem halben Dutzend Hotels nach ihnen erkundigt – alles vergebens.«

»Ich fürchte, daß Sie den größten Teil Ihrer Zeit im Kasino zugebracht haben«, bemerkte Channay.

»Das fürchte ich auch«, antwortete der andere zynisch.

»Mr. Fogg und seine Tochter pflegen im Sport-Klub zu spielen. Sie sind im Hotel de Paris abgestiegen. Sie werden sie dort ohne Mühe finden.«

»Also, Sie sind ein Samariter erster Güte!« rief der junge Mann aus. »Wie heißen Sie denn, wenn ich fragen darf?«

»Channay – Gilbert Channay. Schon gehört?«

Der junge Mann runzelte nachdenklich die Stirn.

»Klingt mir bekannt – wo habe ich doch nur –« sagte er, »haben Sie vielleicht zufällig meinen Alten gekannt?«

»Ich kannte Ihren Vater sehr gut. Mr. Fogg versuchte Sie auf mein Betreiben ausfindig zu machen.«

»Da schlag einer hin!« rief der junge Mann aus. »Und ich dachte noch, daß es das Mädel sei, Catherine Fogg und ich wollten uns, noch bevor ich nach dem Ausland ging, verloben.«

»Wie bitte?« fragte Channay etwas schroff.

»Cathie – das ist nämlich die Tochter – und ich«, setzte Rodes auseinander. »Wir waren uns schon über alles ganz einig, aber der Alte war widerspenstig. Er bestand darauf, daß ich eine Stellung oder sonstwie Mittel vor der Verlobung erwerben müßte. Ich versuchte dann mein Glück in Südafrika.«

»Das scheint Ihnen aber nicht geglückt zu sein«, warf Channay ein.

»Verfluchtes Pech auf der ganzen Linie!« gab Rodes zu. »Das kostete harte Arbeit, bis ich das Geld zu meiner Heimfahrt zusammen hatte. In der ersten Zeitung, die ich nach meiner Ankunft in London in die Hand kriegte, las ich Foggs Aufruf. Da ich nun wußte, wo er sich aufhielt, gondelte ich hierher. Was er eigentlich will, ist mir schleierhaft«, setzte er düster hinzu. »Er wird mich schwerlich als Schwiegersohn in die Arme schließen wollen . . .«

Channay schwieg einige Minuten. Einem scharfsinnigen Beobachter – der aber sein Begleiter nicht war – wäre die Veränderung, die mit ihm in den letzten paar Minuten vorgegangen war, nicht entgangen. Die leichte Schwungkraft war aus seinem Gang gewichen und das Leuchten war aus seinen Augen verschwunden. Es war, als ob irgendeine trübe Vorahnung, die ihn schon seit Monaten zeitweise bedrückt hatte, sich nun wirklich erfüllen sollte. Er wandte sich nach einer Weile dem jungen Manne wieder zu und ließ seine Blicke prüfend über ihn gleiten. Man konnte ihn in seiner Art stattlich nennen, denn er war wohlgebaut und sah wie ein Soldat aus. Das Gesicht aber war ohne Charakterstärke, denn die Nase war zu nichtssagend, der ganze Gesichtsausdruck verdrießlich und die Augen zeitweise trübe und wäßrig. Das Haar war stark und von tiefbrauner Farbe.

»Wo haben Sie Miß Fogg kennengelernt?« fragte Channay.

»Ein wenig neugierig«, meinte der junge Mann. »Immerhin, es ist kein großes Geheimnis. Ich lernte sie im Hastings Spital kennen, wo ich mal vier Wochen an einem Armschuß lag. Dann begegnete ich ihr wieder, als ich auf Urlaub zu Hause war.«

»Und da haben Sie sich wohl verlobt?«

»Man kann es wohl so nennen«, gab er zu. »Sie rechnete darauf, daß ich die nötigen Vorbereitungen treffen würde, aber der Krieg hatte meinem Vater übel mitgespielt, er starb, und als der ganze Betrieb aufgelöst und es zu einem Abschluß gekommen war, blieben für mich, den einzigen Erben, ungefähr sechstausend Mark, die ich dann mit mir nach Südafrika nahm.«

»Hatten Sie mit ihr korrespondiert?«

»Ich bin furchtbar faul mit der Feder«, vertraute Rodes ihm an. »Immerhin, dann und wann habe ich ihr auch geschrieben.«

»Haben Sie ihr wissen lassen, daß Sie heimkommen würden?« fragte Channay hartnäckig weiter.

»Das schien mir unnütz«, antwortete er düster. »Was sollte ich da erst noch groß reden, ich hatte mein Glück nicht gemacht, wie ich es gehofft – also! Ich dachte ihn und Catherine einfach kurzerhand zu überraschen, vorausgesetzt, daß sie mich überhaupt sehen wollen.

»Also so ist die Sache«, sagte Channay leise vor sich hin. »Sie hängen wohl sehr an Miß Fogg?«

»Wie ich mich noch an sie erinnere – ist sie ein verteufelt nettes Mädel«, erwiderte der junge Mann begeistert. »Mit der ist es kein Spaß – ich fürchte, daß ich nicht immer Gnade vor ihren Augen gefunden habe. Die ist ein feiner Kerl, das dürfen Sie mir glauben. Nun hat der alte Mann auch vor ein paar Jahren geerbt.«

»Wenn Ihnen, sagen wir so sechshunderttausend Mark in den Schoß fielen,« fragte Channay, »würden Sie Miß Fogg heiraten?«

Channays Schützling lachte etwas bitter auf.

»Ich habe nicht einen einzigen Verwandten in der Welt, der mir etwas hinterlassen könnte«, erwiderte er. »Meine Chance, sechshunderttausend Mark zu kriegen, ist ungefähr so groß wie einen fetten Posten am Kriegsamt.«

»Sie sollen mir jetzt die Frage beantworten«, sagte Channay hartnäckig, während er seinen Schritt verlangsamte, als sie sich den Gärten näherten.

»Aber natürlich würde ich sie heiraten!« gab er zu. »Wenn sich sonst nichts mit ihr ereignet hat. Sie sind aber mächtig in der Sache interessiert,« fuhr er jetzt neugierig fort, »sie ist doch wohl noch wie früher, was?«

»Ich dachte ja«, erwiderte Channay. »Was die sechshunderttausend Mark angeht, so will es der Zufall, daß sie Ihnen gehören, da ich Ihrem Vater diesen Betrag schuldete. Wenn Sie sich also darüber ausweisen können, daß Sie der Sohn von Eric Rodes sind, dann können Sie von dem Gelde abheben, soviel Sie wollen. Der Rest kann dann bei Ihrem Bankier deponiert werden.«

Der junge Mann griff nach dem Eisengeländer, an dem sie vorbeikamen, und stand überwältigt still und blickte Channay mit offenem Munde und vorstehenden Augen an.

»Mr. Channay,« brachte er endlich hervor, »Sie werden mich doch nicht zum besten halten wollen?«

»Ganz und gar nicht«, versicherte Channay ruhig. »Mr. Fogg ist gewissermaßen mein Agent. Seine Nachforschungen geschahen nicht im Namen seiner Tochter, sondern lediglich in meinem. Auffällig ist nur, daß er Sie niemals erwähnte, wiewohl ihm doch bekannt war, daß ich an Ihrem Vater ein besonderes Interesse nahm.«

Rodes empfand bei diesen Worten einiges Unbehagen.

»Sehen Sie, Mr. Channay,« setzte Rodes auseinander, »Tatsache ist, daß mein Vater bankrott gegangen ist, und während meiner Spitalzeit wurde mein Name mit ›h‹ geschrieben und –«

»Ich sehe, so ist das«, unterbrach Channay fast beruhigend. »Ich habe Zimmer Nummer 64 im Hotel de Paris. Kommen Sie in einer halben Stunde zu mir, und dann sollen Sie so viel bekommen, daß Sie sich jetzt richtig instand setzen können. Das übrige kann dann Ihrer Anweisung gemäß beim Bankier hinterlegt werden. Ich bitte Sie aber um eines, suchen Sie die Fogg-Leutchen nicht eher auf, als bis Sie mich noch einmal gesehen haben.«

»Wieviel werden Sie mir jetzt geben?« fragte Rodes begierig.

»Fünfzig Milles, wenn Sie wollen. Das dürfte gerade noch vernünftig sein.«

Die Lippen des jungen Mannes öffneten sich gierig. Eine unedle Begehrlichkeit drückte sich in seinem Gesicht aus.

»Also Nummer 64«, wiederholte er. »Gut, ich werde in einer halben Stunde da sein.«

 

Catherine kam Channay eilig in der Halle entgegen. Sie war offenbar von innerer Unruhe erfüllt, und ihre Augen suchten fragend die seinen.

»Was geht nur vor?« fragte sie. »Vater erzählt mir soeben, daß Sie uns verlassen würden.«

»Ich werde nur auf ein paar Tage nach Cannes gehen«, vertraute er ihr an. »Dieser Ort geht mir auf die Nerven. Zwar freue ich mich immer, hierher zu kommen, aber zuweilen hat man genug von diesem Rummel.«

»Das alles sieht Ihnen so gar nicht ähnlich«, sagte sie langsam.

Er zuckte die Achseln.

»Der Regen hat nachgelassen, wollen wir noch ein bißchen auf die Terrasse gehen?«

»Gern«, willigte sie ein.

Keiner sprach, ehe sie die Terrasse erreicht hatten, die zu dieser Abendstunde fast menschenleer war. Die untergehende Sonne spiegelte sich im Meer. Von den Hügeln strichen weiche Duftwellen über das Gelände hin.

»Ich verstehe nicht, warum Sie weggehen«, sagte sie endlich.

»Die Sache ist sehr einfach«, sagte er schlicht. »Einmal muß es wohl sein.«

»Das schon – aber ich dachte, daß wir dann alle zusammen gehen würden. Ich liebe diesen Fleck Erde, aber er wird ohne Sie für mich seine Reize verlieren. Ich würde jeden Augenblick von hier fortgegangen sein, wenn Sie es vorgeschlagen hätten.«

»Sie werden für meine Anwesenheit entschädigt werden«, bemerkte er.

Sie wandte ihm ihr Gesicht voll zu.

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte sie. »Wie stellen Sie sich das denn vor? Erstens kennen wir hier kaum jemand, und dann wird auch Vater ohne Sie nicht hierbleiben wollen.«

»Wenn nicht,« antwortete er, »dann werden wir uns bald wieder treffen. Ihr Vater kennt meine Adresse in Cannes.«

Sie seufzte traurig. »Das ist ein unschöner Ausklang einer unvergeßlichen Zeit«, klagte sie. »Ich bin bitter, bitter enttäuscht. Soll ich Ihnen sagen, weshalb?«

»Ich bitte darum.«

Sie lehnten über die Brüstung und beobachteten das Ersterben der leuchtenden Farben auf dem ruhigen Meer.

»Seit ich Sie kenne,« begann sie, »konnte ich über eine Sache nicht hinwegkommen. Da waren alle diese Männer, deren Vernichtung – einer nach dem anderen – Sie sich zum Ziel gesetzt hatten. Einige dieser Abenteuer hatten wirklich den gruseligen Zauber des Märchens – recht war es von Ihnen aber nicht. Wenn auch keiner Sie tadeln konnte, so konnte aber auch keiner Ihre Handlungen billigen. Ich bin nicht gerade ein religiöser Mensch, das wissen Sie. Aber vom ethischen Standpunkte aus ist das Christentum eine wunderbare Lehre.«

»Das Christentum schert alle Sünder über einen Kamm«, sagte er leise vor sich hin.

»Ich bestreite das«, gab sie ernst zurück. »Vergebung schmerzt oftmals tiefer als Rache. Denken Sie nicht, daß ich mich mit Ihnen streiten will. Ich versuche nur, Ihnen meine Empfindungen zu erklären. Gestern abend noch sagten Sie, daß Sie mit Ihrer Herkulesarbeit fertig seien und daß Ihnen noch eine Aufgabe bevorstände, in der die Belohnung eines Mannes und nicht seine Strafe Ihr Ziel ist.«

»Ganz recht – eine Belohnung«, wiederholte er.

»Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie glücklich ich darüber war,« fuhr sie fort, »weil ich das Gefühl hatte, daß das viel mehr Ihrer eigentlichen Natur entspricht, und daß die Schatten, die Sie mitunter befallen, auf immer weichen und Sie der dunklen Bürde endlich ledig würden. Ich richte nicht über das, was Sie getan haben, schon weil ich überhaupt nicht über Sie richten will. Ich beweise meine echte weibliche Einstellung dadurch, daß ich alles ganz fraglos annehme. Nur hoffte ich, daß nun alles vorbei sei, Sie sich im Gemüt leichter und glücklicher fühlen und daß wir hier zusammen eine schöne Zeit verleben würden.«

»Es tut mir ehrlich leid, Sie zu enttäuschen,« sagte er, indem er sein Gesicht von ihr wendete, denn er hatte in ihren Augen einen eigenen Schimmer entdeckt und fürchtete um seine Selbstsicherheit, »aber selbst dann würde diese Zeit einmal ein Ende nehmen, finden Sie nicht auch? Ihr Vater sehnt sich nach der Themse, nach dem Strand und seinen alten Kameraden.«

»Mag sein«, gab sie zu. »Er hat aber nichts gesagt. Er schien ganz zufrieden zu sein. Sie verlangten nach einer Veränderung.«

»Aus einem bestimmten Grunde«, sagte er sanft. »Welcher, kann ich Ihnen nicht genau sagen, aber ich kann Ihnen die Versicherung geben, nicht etwa, weil ich Sie oder Ihren Vater verlassen will.«

»Weshalb aber dann?« fragte sie leise.

»Das wird Ihnen bald begreiflich werden«, versicherte er. »Die gegenwärtige Lage kann kaum so bleiben. Wenn wir uns wiedersehen, werden die Dinge anders liegen.«

»Ich werde unsere Gespräche vermissen«, seufzte sie.

»Ich nicht weniger . . . Sie sind ja ein wundervoll taktvoller Mensch.«

»Inwiefern?«

»Weil Sie in der ganzen Zeit, die wir zusammen verbracht haben, das Gespräch immer in die Zukunft lenkten, es nie in die Vergangenheit zurückleiten ließen; denn meine Vergangenheit hätte kaum einen angenehmen Gesprächsstoff geliefert.«

»Ich kann Ihnen nur sagen, daß die meine ebenso unerfreulich war«, sagte sie lachend. »Sie haben ja keine Ahnung von der Eintönigkeit unseres Lebens, ehe Vater zu Geld kam! Wenn das nicht gewesen wäre, würde ich wahrscheinlich heute irgendwo mein Zepter über Abc-Schützen schwingen, und würde diesen Beruf hassen, denn ich bin nun einmal nicht für die Arbeit geschaffen. Ich bin erzfaul, liebe schöne Kleider, angenehme Tage und frische Luft.«

»Sie müssen heiraten.«

»Heiraten«, wiederholte sie nachdenklich. »Diese Möglichkeit hat ja wohl immer bestanden.«

»Waren Sie jemals verlobt?« fragte er geradeaus.

Sie zögerte: »In gewisser Weise, ja . . . Ich wollte es Ihnen schon immer mal sagen, dann ließ ich es aber wieder, weil es mir wirklich nicht wichtig genug schien. Er war ein Soldat, den ich in Hastings gepflegt hatte.«

»Liebten Sie ihn sehr?«

»Ich glaube nicht, daß ich ihn überhaupt liebte. Ich hätte die ganze Sache nicht soweit kommen lassen sollen, aber damals ging alles drunter und drüber. Man hatte jeden Maßstab verloren. Als er mich dann später in London aufsuchte, wollte Vater nichts davon wissen. Er hatte kein Geld und ging nach Südafrika, um sein Glück zu versuchen.«

»So waren Sie eigentlich gar nicht richtig verlobt?« fragte Channay hartnäckig weiter.

Sie schüttelte den Kopf.

»Vater wollte nichts davon wissen, und ehrlich gestanden, auch ich habe selbst wohl nicht recht gewußt, was ich wollte. Wir waren uns aber darüber einig, daß, wenn er innerhalb einer gewissen Zeit zurückkommen und dort Geld gemacht haben würde –«

»So ist die Sache«, unterbrach Channay. »Haben Sie in der letzten Zeit von ihm gehört?«

»Schon längere Zeit nichts mehr. Warum fragen Sie aber?«

»Ja, sehen Sie,« erwiderte er, während sie den Heimweg einschlugen, »meine dunkle Vergangenheit ist Ihnen bekannt. Jetzt möchte ich die Ihre ein bißchen untersuchen. Darf ich noch eine Frage an Sie richten?«

»So viele Sie wollen.«

»Nehmen wir einmal an, er würde in diesem Augenblick zu Ihnen treten – was würden Sie dabei empfinden – so im allgemeinen?«

Sie gingen einige Augenblicke schweigend weiter. Dann wandte sie sich ihm zu und ihre Augen blickten ehrlich und unerschrocken in die seinen.

»Offen gestanden, ich weiß es nicht«, sagte sie. »Er sah recht hübsch aus und war auch ein ganz anständiger Kerl. Ich sehe nicht ein, weshalb man ihn nicht auch hätte recht gern haben können. Wenn ich ihn öfters gesehen hätte, was aber nicht der Fall war, wäre das vielleicht auch so gekommen. Nun ist er aber weggegangen und ich habe jetzt keine Verbindung mehr mit ihm. Wenn er jetzt auf mich zukäme, wenn er meine Hand in die seine nähme, dann wüßte ich es, aber so . . .«

»Nun?«

»Wenn ich überhaupt in mir irgendwelche Gefühle für ihn entdecken würde, wäre ich wahrscheinlich recht erstaunt.«

Sie trafen plötzlich Martin Fogg und einige seiner Bekannten und gingen vereint mit ihnen zum Hotel. Channay verabschiedete sich von Catherine in der Halle. Vergebens suchte sie einen Vorwand, um ihn noch bis zur Tür zu begleiten. Der Abschied unter den Augen so vieler Gaffer ließ in ihr eine Leere zurück, deren Schmerz sie doppelt empfand nach all den Tagen, die sie kameradschaftlich miteinander verbracht hatten. Ihr war, als sei eine Saite gesprungen, als er weggegangen war. Einer plötzlichen Eingebung folgend, begab sie sich über den Platz und eilte zum Bahnhof und schritt mit selbstsicherem Lächeln über das Geleise. Eine unbestimmte Erregung hatte sich ihrer bemächtigt. Sie hatte das bestimmte Empfinden, daß sie einem neuen Erlebnis entgegengehen würde. Plötzlich blieb sie stehen – Channay und die Fürstin Variabinski, gefolgt von seinem Diener und ihrer Zofe, gingen langsam auf dem Bahnsteig auf und ab, dieselbe Fürstin, deren Befreier er war und die ihm noch am Abend zuvor gesagt, daß die Langeweile sie aus Monte Carlo treiben würde. Der Lärm des herannahenden Zuges vermochte sie aus ihrer Betäubung zu wecken. Ein klarer Gedanke beherrschte sie, weit fort von hier zu entfliehen. Als sie das Freie wieder erreicht hatte, bestieg sie einen kleinen Wagen, der sie zu den Hügeln vor der Stadt führte, während der Zug nach Cannes raste . . .

Martin Fogg konnte in solchen Fällen kaum als ein scharfer Beobachter gelten. Als seine Tochter und er vor dem Diner noch einen Cocktail nahmen, drängte es ihn, die Ursache ihrer Bleichheit zu erfahren.

»Kopfschmerzen?« erkundigte er sich.

»Ich glaube, daß mir ein Ortswechsel ganz gut tun würde«, antwortete sie. »Ich habe nichts dagegen, wenn wir nach London zurückkehren.«

»Bleiben wir noch ein oder zwei Tage«, bat er mit rätselhaften Andeutungen; »vielleicht ereignet sich etwas, das dich umstimmt.«

Sie schüttelte den Kopf und betrachtete gleichgültig die Leute: »Ich möchte nur wissen, ob die Fürstin einen wirklich tiefen Eindruck auf Mr. Channay gemacht hat?«

»Kann mir nicht vorstellen, daß überhaupt eine Frau ernstlich einen Eindruck auf ihn macht«, erwiderte ihr Vater, wobei er über die Zeitung hinweg zu ihr hinüberblickte. »Daß die Fürstin sich Hals über Kopf in ihn verknallte, ist leicht erklärlich, nachdem was er für sie getan hat. Sie ist ja eine wunderschöne Frau. Es wäre auch nicht das schlimmste, wenn Channay sich zu einer ruhigeren Lebensweise entschließen würde, nachdem die Reihe seiner Heldentaten nun abgeschlossen ist. Ich wette darauf, daß sie ihn heiraten würde. Was ich übrigens sagen wollte – wir werden heute abend einen Gast zu Tisch haben.«

»Einen Gast?« wiederholte sie. »Wie lästig!«

»Einen alten Freund . . . Hier ist er ja!«

Catherine wandte sich um und sah Harold Rodes auf sie zukommen, und das Gespräch auf der Terrasse fiel ihr plötzlich heiß ein.

»Harold!« rief sie aus. »Das ist aber eine Überraschung! Ich hatte ja nicht die leiseste Ahnung, daß du wieder in Europa bist.«

Der junge Mann war von ihrer Schönheit so benommen, daß er sie mit seinen Augen verschlang. Alle Treulosigkeit, das fühlte er, gehörte der Vergangenheit an!

»Ich hatte mir vorgenommen, nicht eher zu schreiben, als bis ich wußte, daß ich nach Hause kommen und dir meine Erfolge zu Füßen legen könnte. Ich bringe genug Geld für die Gründung eines Hausstandes mit. Dein Vater weiß schon alles!«

»Ich freue mich wirklich riesig für dich, Harold. Es ist nämlich heutzutage gar nicht so einfach, schwer Geld zu verdienen.«

»Wenn man aber ein Ziel hat, Catherine!« flüsterte er ihr bedeutungsvoll zu.

Dann begaben sie sich zum Diner.

 

Catherine sah in der folgenden Woche ihren Verehrer täglich, sie spielten zusammen Tennis oder Golf, oder unternahmen kleine Ausflüge ins Land. Sie war ehrlich bestrebt, Cannes zu vergessen, und daß es überhaupt etwas Schöneres gäbe als das Bewußtsein treuer Freundschaft, das sie zuweilen für Harold Rodes empfand. Seine Zuneigung für sie wuchs stündlich, denn selbst in dieser Heimat schöner Frauen, konnte Catherines eigenartige Anmut den Vergleich wohl aushalten, und weil er nicht feinfühlig genug war, bemerkte er auch nicht, daß ihre Fröhlichkeit oft etwas Gezwungenes hatte. Er versuchte jeden Tag, sie zur Annahme des Ringes zu bewegen. Aber immer wieder lehnte sie ab.

»Wir müssen uns erst noch besser kennenlernen. Wir sind einander ganz fremd geworden.«

»Wieso kennenlernen?« sagte er ärgerlich. »Mein Fehler ist es doch nicht, daß ich solange weg war. Jedenfalls habe ich die Bedingungen erfüllt.«

»Du hast mir aber noch gar nichts über dein Leben in Afrika erzählt, auch nicht, wie du das Geld erworben hast.«

Er runzelte die Stirn.

»Ist das nötig? Ich habe es. Dein Vater weiß das. Ich habe sechshunderttausend Mark. Damit kann man doch was anfangen. In London – da kann ich irgendwo als Direktor oder so etwas Ähnliches eintreten . . .«

»Sechshunderttausend Mark«, wiederholte sie gedankenvoll. »Komische Summe das!«

»Weshalb komisch?«

Sie zuckte die Achseln.

»Ich weiß nicht recht, aber sie erinnert mich an etwas.«

»Laß mich deinem Vater heute abend bei Tisch sagen, daß wir uns verlobt haben«, bat er sie.

»Noch nicht, Harold, du darfst mich nicht drängen. Ich weiß, daß du einen Anspruch hast, sogar einen großen. Du gingst nach Südafrika, und wir waren uns darüber einig, daß wir über den Heiratsplan sprechen wollten, wenn du Erfolg gehabt hättest und heiraten könntest.«

»Aber spreche ich denn nicht die ganze Zeit davon?« protestierte er. »Ich will jetzt endlich Gewißheit haben.«

»Das weiß ich. Aber ich muß mir erst über mich selbst klar sein. Dränge mich also nicht. Es ist doch riesig nett, wie wir es jetzt haben, findest du nicht auch?«

»Noch lange nicht so nett, als es sein könnte«, klagte er. »Ich habe dich noch nicht einmal küssen dürfen – nicht einen einzigen Kuß!«

»Wenn ich mich überhaupt von dir küssen lasse,« versprach sie ihm, »darfst du das so lange und so oft du willst.«

»Schon meinetwegen hoffte ich, daß es bald soweit wäre.«

»Ich bin auch nicht besser dran als du. Aber wenn du nicht zufrieden bist, weshalb flirtest du nicht ein bißchen mit den anderen jungen Mädchen; es sind doch so viele da.«

»Du weißt genau, daß ich das nicht könnte, – sozusagen vor deiner Nase«, antwortete er gekränkt.

»Dann laß uns vernünftig reden; erzähle mir von Afrika – und wie du dein Geld verdient hast.«

»Das kann dich ja gar nicht interessieren; durch Geschäfte halt.«

»Landesspekulation?«

»Tja, so etwas Ähnliches«, erwiderte er unklar. »Dein Vater weiß schon, daß ich es ehrlich erworben habe.«

Diese Bemerkung hatte sie etwas verletzt.

»Daran habe ich keinen Augenblick gezweifelt. Wirklich nicht. Aber von der Art deiner Arbeit hätte ich etwas wissen wollen, denn schließlich muß man heutzutage schon einen hellen Kopf haben, um auf einen grünen Zweig zu kommen.«

Harold stotterte einige zerfahrene Erklärungen, bis sie ihn unterbrach. Als sie an diesem Abend vor dem Essen in der Halle auf ihren Vater wartete, kam General Breckenfield vorbei, ein älterer Verehrer, der ihr viel ritterliche Aufmerksamkeiten bezeugt hatte, trat zu ihr heran und nahm neben ihr Platz. Er blickte umher, ob sie ungestört wären. Dann begann er: »Miß Fogg, ich bin so alt, daß ich Ihr Vater sein könnte.«

»Wollen Sie damit sagen, daß ich für etwas ausgescholten werden soll?« fragte sie lachend.

Er schüttelte den Kopf.

»Ich will ganz offen zu Ihnen sein. Ich habe Sie die ganze letzte Woche in der Begleitung eines jungen Mannes gesehen, dessen Namen ich nicht kenne.«

»Nun, und?« fragte sie, neugierig gemacht.

Der General hustete: »In Monte Carlo macht man leicht Bekanntschaften – so im Kasino – im Klub – fast überall. – Bei uns Männern ist das nicht so gefährlich, was aber unsere Damen betrifft, da liegt die Sache schon anders. Darf ich fortfahren?«

»Ich bitte darum.«

»Ich werde mich also mit Mut wappnen! Ich glaube nicht, daß der junge Mann – nach den Orten, die er nachts aufsucht, zu urteilen – die richtige Gesellschaft für Sie ist. Ich will Ihnen sagen, wo ich ihn zum erstenmal sah. Es war in einem kleinen Café-Restaurant, dessen Besitzer ich sehr gut kenne, weil er im Metropole länger als Kellner tätig war. Ihr Freund wurde aus dem kleinen Restaurant an die Luft gesetzt, weil er seine Rechnung nicht begleichen konnte. Der Besitzer, den ich, wie gesagt, gut kenne, gab mir die Versicherung, daß dies schon der zweite Prellversuch des jungen Mannes sei, und daß er keine Rücksicht mehr auf ihn nehmen wolle.«

»Das muß aber ein Irrtum sein, denn Mr. Rodes hat sehr viel Geld.«

»Ach, wirklich«, bemerkte er trocken. »Ich habe aber gesehen, wie Ihr Freund Mr. Channay, der gerade vorüberkam, die Zeche bezahlte, und daß man den jungen Mann beinahe zwischen zwei Gendarmen abgeführt hätte.

»Mr. Channay kannte ihn? Und zahlte seine Rechnung?« wiederholte Catherine atemlos.

»Ich habe Ihnen die reine Wahrheit gesagt, liebe Freundin«, erwiderte der General ernst. »Kredit wird in Monte Carlo leicht gewährt. Niemand braucht, wenn er mal vorübergehend knapp an Barmitteln ist, zu den kleinen Budiken in den Bergen zu gehen und dort Zechprellereien zu verüben . . . Doch hier kommt ja Ihr Vater und meine Frau. Sie sind mir aber nicht böse – nein?« fügte er hinzu, während er aufstand.

»Böse nicht«, versicherte sie ihm. »Nur verstehe ich das alles einfach nicht, das ist alles.«

 

Catherine stellte ihrem Vater während des Diners eine recht unerwartete Frage: »Vater – hast du eine Ahnung, wie Harold zu seinem Gelde kam?«

Martin Fogg hustete. Nicht, daß er darauf unvorbereitet gewesen wäre. Nur erschwerte ihm der ungewöhnliche Augenblick der Fragestellung die Antwort.

»Nicht genau, mein Kind«, sagte er ausweichend.

»Vater, du sprichst nicht die Wahrheit. Die Sache ist mir sehr wichtig. Kannst du das nicht einsehen? Du mußt mir alles sagen, was du weißt!«

Ausflüchte waren nutzlos und Martin Fogg konnte nicht lügen: »Es handelt sich hier um eine alte Schuld, die auf sein väterliches Vermögen zurückbezahlt wurde.«

Mit einem Schlage wurde Catherine die Sache klar.

»Vater,« rief sie aus, »nun verstehe ich den Sinn des Ganzen. Harolds Vater war jener Eric Rodes, der sich geweigert, den Vertrag zu unterzeichnen und nach dessen Erben Mr. Channay forschen ließ.«

»Hat keinen Zweck, lange zu leugnen«, gab Fogg zu. »Ich habe alles erfüllt, was ich versprochen hatte.«

»Wem versprochen«, verlangte sie zu wissen. »Warum wurde mir nicht gleich die Wahrheit mitgeteilt?«

Martin Fogg wurde es etwas unbehaglich. Vor dem Funkeln in den Augen seiner Tochter fühlte er sich wie ein schuldiger Schuljunge.

»Es war ein törichter Einfall, liebes Kind. Channay war bekannt, daß zwischen dir und dem jungen Mann ein gewisses Übereinkommen bestand. Er traf ihn ganz zufällig, hörte, daß nur die glückliche Lösung der Geldfrage eine Verlobung ermöglichen könne, also überredete er mich, dich – bis du deine Gefühle für Harold geklärt habest – in dem Glauben zu belassen, daß die sechshunderttausend –«

»So, danke schön!« unterbrach sie ihn mit Tränen in den Augen. »Ich finde es direkt abscheulich von euch beiden!«

»Unsere Beweggründe . . .« wollte ihr Vater beruhigend fortfahren.

»Ich hasse alle Beweggründe!« unterbrach sie ihn noch einmal tief empört.

 

Die Saison in Cannes war inzwischen vorgeschritten. Aber noch saßen genug Gäste an kleinen Tischen unter buntgestreiften Schirmen vor dem Kasino. Catherine und ihr Vater beobachteten das Kommen und Gehen der Gäste.

»Wenn du Mr. Channay wirklich sehen willst,« schlug er vor, »dann solltest du ihn entweder verständigen oder ihn in seinem Hotel aufsuchen. Auf jeden Fall ist es zwecklos, ihm böse zu sein. Soviel ich begreifen kann, hat er dir doch kein Unrecht zugefügt.«

»Woher weißt du das?« fragte sie ernst. »Angenommen, ich hätte mich während der letzten Woche bis über die Ohren in Harold verliebt und müßte nun entdecken, daß er mich betrogen hat?«

»Dafür kannst du aber doch Channay nicht verantwortlich machen?« protestierte er. »Gewiß, er selbst hat dir nichts mitgeteilt, weil er natürlich voraussetzte, daß der junge Mann das tun würde.«

»Damals kannte er Harold noch nicht«, erwiderte sie trocken. »Es war auf jeden Fall eine niederträchtige Verschwörung.«

Plötzlich leuchtete ihr Gesicht auf. Channay kam, scheinbar etwas gelangweilt, von der Hafenseite herangeschlendert. Als er Catherine bemerkte, ging er sofort auf sie zu. Sie dankte kaum.

»Nehmen Sie dort Platz«, sagte sie, auf einen Stuhl weisend.

Channay fügte sich schweigend.

»Vater,« sagte sie, »wir werden heute kaum noch einen Cocktail zu sehen bekommen, wenn du dich nicht selbst mal danach umtust. Sollte der Wink aber noch nicht deutlich genug sein – ich möchte mit Mr. Channay zwei Minuten ungestört reden.«

Martin Fogg, dieser wohlerzogene Vater, entfernte sich sofort widerspruchslos.

»Nun?« fragte Catherine.

»Haben Sie irgendwelche Nachricht für mich?« erkundigte er sich.

»Ich habe Ihnen etwas zu sagen«, antwortete sie bestimmt, »oder vielmehr, ich möchte Sie zuerst etwas fragen. Also, wo ist die Fürstin?«

»Welche Fürstin?«

»Fürstin Variabinski. Ich sah Sie beide auf dem Bahnhof in den gleichen Wagen steigen.«

»Wir reisten nicht einmal im gleichen Abteil«, versicherte er sie. »Sie fuhr gleich bis Paris, während ich hier ausstieg. Auf dem Bahnhof haben wir uns ganz zufällig getroffen.«

Catherine schwieg einige Augenblicke, ehe sie fortfuhr. »Zweite Frage: Sagen Sie mir ganz genau, weshalb Sie auf und davon gingen und mich mit Harold Rodes und seinen sechshunderttausend Mark allein ließen?«

»Weil Harold Rodes dem Alter nach der richtige Mann für Sie ist. Sie selbst waren sich über Ihre Gefühle aber nicht ganz klar, darum mußte ich Ihrer Entscheidung freien Spielraum lassen.«

»So ist das. Jetzt hören Sie mich mal an. Wollen Sie, daß Ihnen verziehen wird?«

»Aber was geschieht mit Harold Rodes?« fragte er sie.

»Der befindet sich entweder auf dem Rückwege nach England oder er tröstet sich bei einer kleinen Tänzerin. Wie es in Wahrheit steht, war mir vom ersten Augenblick seiner Ankunft bekannt. Sie aber hätten dies schon vorher wissen müssen.«

Channay beugte sich auf seinem Platz vor.

»Ja, ich bitte mir zu verzeihen«, sagte er. »Wie sind Ihre Bedingungen?«

»Sind Sie bereit, heute nachmittag mit uns im Auto nach Monte Carlo zurückzufahren?«

»Mit Freuden!« beteuerte er eifrig.

»Wollen Sie mir versprechen, dort wieder wie früher mit mir auf die Terrasse zu gehen und mir liebe Dinge zu sagen?«

»Ich verspreche Ihnen zu sagen, was ich vom ersten Augenblick an empfunden habe, als ich Sie auf meinem Boot in Blickley sitzen sah . . .«

»Und wenn Sie dies alles schön brav getan haben,« sagte sie mit leicht verschleierter Stimme, »dann laden Sie mich zum Tee zu sich ein?«

»Catherine!« – rief er aus.

Sie winkte ihrem Vater, der gewissenhaft noch im Hintergrund blieb.

»Du darfst wiederkommen,« rief sie ihm lachend zu, »und lasse jetzt die Cocktails bringen. Mr. Channay und ich –«

»Gilbert«, unterbrach er sie sanft.

»Barmherziger Gott!« seufzte Martin Fogg, als er den Kellner heranrief.

 


 


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