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Als die Domuhr zehn schlug, wurden die Türen der Norwich- und Norfolk-Bank langsam und gewichtig zurückgeschoben und eingehakt. Bevor die Uhr ausgeschlagen hatte, trat ein schlanker, gutgebauter Mann, der auf der gegenüberliegenden Seite auf und ab gegangen war, über die Schwelle. Er blickte sich um wie einer, der sich freut, nach langer Zeit eine altbekannte Umgebung wiederzusehen.
»Ich bitte um ein Scheckbuch,« sagte der frühe Kunde, »eines mit hundert Blankos.«
Man sah ihn forschend an.
»Gestatten Sie, haben Sie ein Konto bei uns?« fragte man ihn.
»Versteht sich«, war die schnelle Erwiderung. »Ich dürfte ein ganz nettes Sümmchen bei Ihnen liegen haben. Mein Name ist Gilbert Channay.«
»Mr. Channay! Nein – endlich, Mr. Channay!« rief der Direktor aus, ihm beide Hände entgegenstreckend.
»Ich kam sobald es möglich war«, gab sein Besuch versichernd zurück.
Der Direktor hustete.
»Kommen Sie in mein Privatbureau, bitte«, bat er. »Ich habe viel Geschäftliches mit Ihnen zu bereden.«
Gilbert Channay folgte ihm und sagte nach einer Weile: »Ich bin gleich hierhergekommen, ohne erst meinen Rechtsbeistand zu besuchen, dem ich Vollmacht, für mich zu handeln, erteilt hatte, oder meinen Börsenmakler gesehen zu haben, ich dächte aber, daß mein Saldo ungefähr zwei Millionen Mark erreicht.«
»Er stellt sich auf zwei Millionen vierhundertvierzigtausend Mark«, war die eindrucksvolle Erklärung. »Wir sind kein großes Bankinstitut, Mr. Channay, und die Verantwortung für ein solches Konto hat uns manchmal heiße Köpfe bereitet. Ihnen ist doch natürlich bekannt, daß im Namen des Channay-Syndikates zwei Verfahren gegen uns eingeleitet worden sind mit der Absicht, einen Teil dieses Saldos an einen angeblichen Trust-Fundus abzuführen.«
Der Gründer des Syndikats lächelte.
»Wie dies nicht anders zu erwarten war, sind die Verfahren wohl abgewiesen worden«, bemerkte er. »Das Geld ist mein. Ich nehme jetzt zwanzigtausend mit mir und werde mich mit der Angelegenheit weiterer Geldanlagen erst befassen, wenn ich mich mit meinem Börsenmakler beraten habe.«
»Wenn unsere Leute Ihnen von irgendwelchem Nutzen sein können,« schlug der Direktor vor, »höchst achtbare Firma hier . . . Ah, Morgan,« fügte er hinzu, indem er den jungen Mann, der das Scheckbuch hereinbrachte, anredete, »bringen Sie noch zwanzigtausend Mark herein, na, sagen wir ein paar Tausender, Hunderter, und was meinen Sie, Mr. Channay, auch ein paar Schatzscheine . . . Ich hoffe, daß Sie noch eine Zeitlang in dieser Gegend verweilen werden.«
»Ich werde mir ein Haus in den Blickley-Marschen nehmen,« sagte Channay, »und dort gedenke ich einige Zeit zu verbleiben. Beauftragen Sie Ihren Makler, mir eine Liste von guten Kapitalsanlagen nach Seamans Grange, Blickley, zu senden. Sie werden dann in ein bis zwei Tagen von mir hören.«
»Je eher, desto bester«, bat der Direktor. »Solch ein Barsaldo wie dieser ist für ein Bankgeschäft nicht gerade heilsam. Es erfüllt uns mit Stolz, der aber durch Angst und Unruhe reichlich aufgewogen wird. Wir werden also Ihre Anordnungen über Kapitalsanlage mit einem Gefühl großer Erleichterung willkommen heißen.«
»Sie werden sie bald erhalten . . .«
Channay schlenderte nun durch sonnenerleuchtete Straßen, Tausende von Mark in seiner Brusttasche. Er sprach beim Büchsenmacher vor, bei dem er große Einkäufe machte, suchte und fand eine Garage, wo er ein Auto mietete, seine Sachen hineinpackte und sich zum Hotel zurückbegab, um seine Rechnung zu bezahlen. Als er sich dort dem kleinen Kassenschalter näherte, fühlte er plötzlich seinen Arm berührt. Er wandte sich um, instinktiv mit der Rechten nach seiner Tasche fassend, in der er seine Einkäufe beim Büchsenmacher versenkt hatte. Sein Unbehagen sollte jedoch nur von kurzer Dauer sein, denn der Mann, der sich ihm genähert hatte, war nicht die Sorte von Mensch, um Unruhe einzuflößen. Er war weniger als mittelgroß, von zart rötlicher Gesichtsfarbe, hatte schwarze Augen, dunkles welliges Haar; er war offenbar ein Jude, und einer, der keinen Versuch machte, dies zu verbergen.
»Sie sind's, Mr. Channay!« rief er aus. »Also das freut mich!«
»Ach, wirklich?« war die gleichmütige Erwiderung. »Weshalb?« Mr. Mark Levy fühlte sich etwas verletzt.
»Weshalb?« wiederholte er. »Sind wir nicht Freunde, sogar Teilhaber? Bestehen für mich nicht viele Gründe, mich über dies Wiedersehen zu freuen?«
»Die sind mir nicht bewußt«, war die kurze Antwort.
»Aber mein lieber Herr,« setzte nun Levy mit der Miene eines Menschen, der ein verärgertes Kind beschwichtigen will, auseinander, »Sie sind noch ein bißchen verstört. Alles ist Ihnen noch etwas fremd – Sie haben eine schreckliche Zeit hinter sich, ja, ja, das ist's. Nehmen Sie's mal ganz ruhig. Wissen Sie, weshalb ich hier bin? Ich hab nämlich herausgefunden, daß Sie wahrscheinlicherweise nach Blickley kommen würden, und da hab ich mir's in den Kopf gesetzt, Sie als einer der ersten Ihrer Associés an Ort und Stelle zu begrüßen. Ja, ja, das mußte ich tun . . .«
»Associés?« forschte Channay. »Ich wußte gar nicht, daß ich welche hatte. Wenn ich aber welche hatte,« fuhr er vielsagend fort, »dann hätten Sie meine unglückliche Zurückgezogenheit unbedingt mit mir teilen müssen.«
»Das war aber nicht unser Fehler – meiner mal ganz gewiß nicht«, protestierte Levy.
»Nun, die Zeugenaussage von ein oder zwei von Ihnen bei meinem Verhör –« begann Channay.
»Halt«, unterbrach ihn Levy. »Weshalb war gerade meine Aussage so notwendig, wenn all die anderen in London waren. Ich selbst befand mich ja in New York. Sie dürfen nicht zu hart mit uns sein, Mr. Channay, ich meine mit einigen von uns. Ihnen steht ein schönes Sümmchen zur Verfügung, und da hab ich mir fest vorgenommen, unter den ersten zu sein, wenn's ans Verteilen geht.«
»Und dann habe auch ich noch mit ein paar abzurechnen«, bemerkte Channay.
Levy hustete.
»Lassen Sie uns einen ruhigen Platz finden,« schlug er vor, »wo wir unsere Geschäfte besprechen können.«
Channay lächelte nachsichtig und zeigte den Weg nach einem kleinen Lesezimmer, wo sie eintraten und die Tür hinter sich schlossen.
»Nun, Levy,« begann er, »welche Geschäfte haben wir miteinander zu besprechen?«
»Mein lieber Channay,« bat der andere, »lassen Sie uns ganz freundschaftlich miteinander reden. Die Sache, die wir zu besprechen haben, ist nämlich durchaus nicht unangenehm, denn es handelt sich ja nicht um Verluste. Die Nyasas standen gestern ungewöhnlich hoch. Wir haben also Geld gemacht, kolossal viel Geld, dank Ihres Scharfsinns – eine unerwartet große Summe.«
»Wir?« wiederholte Channay kühl.
»Aber, mein lieber Herr, natürlich ›wir‹«, bestätigte Levy verwundert. »Wir waren doch unserer elf, nicht wahr, und die Transaktion wurde in Ihrem Namen unternommen, es herrschte über alles völlige Klarheit. Sie sollten Geld aufnehmen und um Zuteilung von fünfzehntausend Aktien nachsuchen. Der Gewinn sollte in fünfzehn gleiche Teile fallen, Ihnen sollten fünf zuerkannt werden, während die anderen zehn unter uns aufgehen würden. Mein Anteil dürfte sich auf sechshunderttausend Mark belaufen. Ich hatte kürzlich nicht sehr viel Glück, Mr. Channay. Mies, mies, brauch schwer Geld, und so sechshunderttausend kämen mir wie gerufen.«
»Wenn sie gerufen kämen«, bemerkte Channay lächelnd.
Mr. Levy trocknete seine Stirn. Er befand sich in großer Sorge. Etwas in Channays Verhalten erfüllte ihn mit einer unbestimmten Beunruhigung.
»Sie stellen unser Abkommen doch nicht in Abrede?« rief er aus.
»Und die nette Verschwörung, die darauf zielte, mich und meine fünf Anteile loszuwerden und alles an sich zu reißen, was war denn damit?« verlangte Gilbert Channay zu wissen.
»Mein Ehrenwort,« sagte Mr. Levy mit fieberhaftem Ernst, »also wirklich mein Ehrenwort, ich schwöre Ihnen, daß ich nichts damit zu tun hatte. Das waren Ihre wanstigen Freunde, die das versucht hatten.«
»Sooo! Nun und warum sind Sie denn nicht hervorgetreten und haben für mich gezeugt?« forschte Channay. »Sie wußten doch, daß wir uns alle darauf geeinigt hatten, den Bilanzbogen der Siamese Corporation zu zeichnen.«
»Ich war doch in New York«, beteuerte der andere. »Ich hatte also gar nichts mit der Sache zu tun.«
»Sie hatten Zeit zurückzukommen«, erinnerte ihn Channay. »Wenn Sie zurückgekommen wären und die Wahrheit gesprochen hätten, würde das vielleicht etwas bedeutet haben. Aber so . . .«
Der Mann krümmte sich förmlich vor Übereifer.
»Aber da waren doch andere, verstehen Sie denn nicht, andere in England, die an Ort und Stelle waren,« protestierte er, »und ich hätte es mir ja nie träumen lassen, daß die als Zeugen auftreten würden. Ich habe nie Ansprüche gemacht. Nichts wollte ich haben, als was mir von Rechts wegen zukam. Als ich von Ihrer Verurteilung hörte, war ich einfach wie aus den Wolken gefallen . . .«
Gilbert Channay zündete sich eine Zigarette an und warf sich in einen tiefen Sessel. Die Sonne spielte jetzt durch die Fensterscheiben. Es war Markttag und der Lärm belebter Straßen drang von außen herein.
»Tja, Mr. Levy«, verkündete er nun kühl besonnen, »schade, aber ich habe mich nun einmal entschlossen, aus dem rechtsgültigen Aspekt der Lage Vorteil zu ziehen und den Gewinn schön für mich zu behalten, der sich während meiner zeitweiligen Abwesenheit vom Getriebe der Welt angesammelt hat. Ich hatte um die Aktien in meinem Namen, statt in dem des Channay-Syndikates nachgesucht. Dies geschah lediglich aus praktischen Gründen, und ich beabsichtigte, die Zuteilung der Aktien sofort nach ihrem Eintreffen vorzunehmen. Unter den gegebenen Umständen habe ich mich jedoch anders besonnen. Ich habe einige davon abgestoßen und den Rest auf meinen Namen eintragen lassen. Ihre Treulosigkeit, Mr. Mark Levy, kostet Ihnen auf Heller und Pfennig fünfhundertachtzigtausend Mark.«
»Sie wollen mir meinen Anteil also nicht auszahlen?« keuchte Mr. Levy.
»Nicht einen Pfennig«, war die unverblümte Antwort. »Ich will Ihnen im Vertrauen sagen, daß ich drüben auf der Bank einen Saldo von zwei Millionen Mark flüssig liegen habe. Wie Sie sehen, habe ich auch ein Scheckbuch. Hier.« Gilbert Channay zog es aus der Tasche und legte es auf den Tisch. »Ich könnte Ihnen in dieser Minute einen Scheck auf sechshunderttausend Mark ausschreiben, ohne es zu spüren – tu's aber nicht!«
Mr. Levy war, als müsse er zusammenbrechen. Ihm war das Weinen nahe, und wenn er sicher gewesen wäre, daß es einen Zweck gehabt hätte, so würde er auf die Knie gefallen sein . . . Er zitterte am ganzen Leibe. Sechshunderttausend hingen in der Luft . . . Nicht zum Ausdenken!
»Aber Mr. Channay – lieber, bester Herr,« bettelte er, während er im Augenblick der Erregung seine gedrechselte Redeweise fallen ließ, »ich bin pleite, wenn ich das Geld nicht sofort erhalte . . . Die andern sind alle reich, manche von den'n. Alles, was ich angerührt habe, ist schief gegangen. Ich werde ärmer und ärmer, Mr. Channay. Dreihunderttausend von dem Gelde schulde ich jetzt schon, und werde bankrott sein, bis ich gezahlt habe. Meine Gläubiger haben mir Zeit gegeben, weil ich ihnen gesagt habe, daß Sie kommen und daß ich dann Geld hätte. Mr. Channay, Sie wollen mich doch nicht ruinier'n?«
Gilbert Channay lächelte, als fände er die Idee höchst amüsant.
»Sie haben sich aber keinen Augenblick darüber Gedanken gemacht, daß Sie mir noch Schlimmeres zufügen, als mich zu ruinieren«, bemerkte Channay.
»Das war aber doch nicht meine Idee«, schrie Levy hysterisch. »Ich war dagegen! Ich unterzeichnete die beschworene Zeugenaussage nur, weil die anderen das Geld eingesteckt hätten, wenn ich es nicht getan hätte und nichts für mich übriggeblieben wäre. Auf meine Ehre, Mr. Channay, das ist die volle Wahrheit!«
Levy machte eine Pause, um die Schweißtropfen von seiner Stirne zu wischen. In seinen Augen standen Tränen, und seine starken roten Lippen waren ein ununterbrochenes Zittern.
»Sagen Sie mir genau, was sich ereignet hat«, sprach Channay nach einiger Überlegung.
»Die Sache war also so«, begann Levy auseinanderzusetzen. »Ich befand mich in New York und versuchte einige der Aktien zu verkloppen. Es wollte mir aber kein Makler dabei helfen. Sind alle so mißtrauisch dort. Dann bekam ich einen Brief.«
»Von wem?« fragte Channay.
»Von Sinclair Coles«, fuhr Levy fort, wobei er seine Stimme etwas senkte, als fürchte er, von jemandem im leeren Zimmer belauscht zu werden. »Jetzt ist er ja ›Sir‹ Sinclair Coles. Der schrieb mir also, daß in diesen Nyasa-Aktien ein Vermögen stecken würde, obwohl sie es zu Anfang nicht geglaubt hätten, und daher zugunsten des Channay-Syndikates in unserer aller Namen um deren Zuteilung nachgesucht worden war. Er sagte auch noch, daß Sie mit der Gesellschaft nicht ganz anständig umgegangen wären, daß fünf Anteile zuviel für Sie seien und Kulse mich in New York besuchen wolle, um neue Vorschläge mit mir zu besprechen.«
»Und Kulse kam?«
»Schon am nächsten Tag. Er brachte die eidliche Zeugenaussage und blieb bei mir, bis ich zum Anwalt ging und gleichfalls unterzeichnete.«
»Sagen Sie mir ganz genau, was er gesagt hat«, sagte Channay hartnäckig.
»Ich will Ihnen alles sagen, lieber Herr«, versprach Levy, indem er sich noch einmal die Stirn wischte. »Nachher müssen Sie mich aber auch gerecht behandeln. Kulse erzählte mir, daß alle miteinander Ihre fünf Anteile gegen je einem als zuviel fänden und daß sie einen Plan hätten, um Sie loszuwerden. Sie zeichneten doch die Bilanzbogen für die Siamese Corporation, und gingen dadurch die Verpflichtung ein, das Auflagegeld für die Nyasa-Aktien zu zahlen. Das war noch, bevor sie so stiegen. Kulse sagte mir, daß die anderen Syndikatsmitglieder in London eine Versammlung einberufen hätten, weil sie alle das Gefühl hatten, von Ihnen nicht gerecht behandelt worden zu sein. Man kam also überein, Ihnen einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen, um dann, wenn Sie in Nummer Sicher säßen, die Aktien gleichmäßig unter sich zu verteilen.«
»Ist Ihnen dabei gar nicht eingefallen, daß das eine dreckige Art zu handeln ist?« fragte Channay scharf. »Sie lassen mich also ruhig einer technischen Übertretung wegen ins Gefängnis wandern, einer Übertretung, deren ich mich nicht mal aus rein persönlicher Gewinnsucht, sondern im Interesse des Syndikats schuldig gemacht habe, und während ich im Gefängnis säße, gedachten Sie alle, sich zu den Geldern zu verhelfen! Wie finden Sie das, Mark Levy . . .? Anständig?«
Der Mann stöhnte in Folterqualen.
»Blöder Narr, daß ich hingehört habe«, bekannte er. »Aber sehen Sie, lieber Herr, ich würde dann neunhunderttausend anstatt sechshunderttausend Mark bekommen haben. Neunhunderttausend! Kulse hat mir das so in die Ohren getrommelt, bis ich es nicht mehr ertragen konnte, und so schwor ich dann, daß Sie allein für die Siamese Corporation verantwortlich seien und daß nach meinem besten Wissen keiner von uns sie einzusehen hätte, und daß keiner von uns wußte, daß der ganze Barsaldo zur Erwerbung der Nyasa-Aktien zurückgezogen worden war. Sie sehen also, wenn neun Syndikatsmitglieder schworen, nichts von den Abrechnungen gewußt zu haben und ich die Eidesaussage unterschrieb – na – wie die sich die Sache ausgerechnet haben, was konnte da noch Ihre Chance sein?«
»Ganz recht«, pflichtete Channay bei. »Ich wurde zu fünf Jahren Zwangsarbeit verknackt für eine Sache, über die wir uns alle geeinigt hatten. Die Aktien der Gesellschaft hatten jedoch schon damals einen höheren Preis erreicht, als die Leute zahlten, und die Siamese Corporation befand sich sogar in einer besseren finanziellen Lage, als es der Bilanzbogen aufwies.«
»Das ist ja schrecklich«, brachte Levy stotternd heraus.
Gilbert Channay ging zum Fenster hin und blickte auf das lebhafte Straßengetriebe. Er fühlte, daß er unauffällig Zeit gewinnen müsse, ohne während des Nachdenkens von seinem Widersacher studiert zu werden.
»Levy,« sagte er endlich, sich ihm wieder zuwendend, »ich wünsche, daß Sie die Sache mal jetzt von meinem Standpunkt aus betrachten. Also vor etlichen Jahren gründeten unserer elf ein kleines Syndikat, um finanzielle Operationen auszuführen. Ich glaube wohl ohne Überhebung sagen zu dürfen, daß unter Ihnen allen wohl ich der hellste Kopf war, wie ich auch das meiste Kapital besaß. Wir kamen überein, daß der Gewinn in fünfzehn Teile fallen solle, wobei ich fünf und die anderen Mitglieder je einen Teil erhalten würden. Stimmt das?«
»Vollkommen, vollkommen, Mr. Channay. Sie waren weitaus der klügste von uns allen. Wir hätten uns damit zufrieden geben sollen.«
»Eine ziemliche Anzahl unserer Transaktionen«, fuhr Gilbert Channay fort, »waren manchmal fast ›windig‹ zu nennen – denn wir hatten mit Menschen verschiedener Art zu tun, Spekulanten und manchem gefährlichen Gelichter, und ich glaube, auch ein paar ganz Wilde waren darunter. Die Siamese Corporation war unser erstes Risiko. Ich zeichnete Bilanzbogen, die das Vermögen der Gesellschaft in einem rosigen Lichte erscheinen ließen und die das Gericht nachher als betrügerisch befunden haben will. Betrügerisch oder nicht, wenn sich aber meine Schätzungen als korrekt erwiesen, so war ein sehr großer Gewinn das Ergebnis. Wir machten so große Gewinne, daß ihr unzufrieden wurdet. Ihr machtet, oder vielmehr ich machte für euch mehr Geld, als ihr je in eurem Leben hättet zusammenkratzen können, und doch mißgönnte mir jeder einzelne von euch meinen Anteil. So habt ihr denn eine Verschwörung gegen mich eingeleitet.«
»Das war aber nicht meine Idee«, murmelte Levy.
»Ihr hattet ganz vergessen, daß ich es war, dem ihr das nette kleine Vermögen verdanktet. Erst als ihr euch entschloßt, euch auch meines Anteils zu sichern, kam die ganze Siamese Corporation-Affäre ans Licht der Öffentlichkeit, und wenn wir zusammengehalten hätten, würde sich das Gericht nie damit befaßt haben. So aber habt ihr euch miteinander verschworen, mich in ein falsches Licht zu stellen, und euch in dem Glauben gewiegt, das ganze Syndikatvermögen während meiner Abwesenheit an euch zu reißen. Stimmt's, Levy? Sie unterzeichneten dann die falsche Eidesaussage, mit dem Hintergedanken, mich in die Nesseln zu setzen und sich selbst zu meinem Gewinnanteil zu verhelfen. Wahr oder nicht?«
»Sehr wahr, Mr. Channay«, bekannte Levy mit Tränen in den Augen. »Ich war ein Narr, daß ich mich beschwätzen ließ.«
»Ihr wart allesamt Narren,« fuhr Gilbert Channay fort, »daß ihr nur einen Augenblick glauben konntet, ich würde das Geld auch für andere griffbereit hinterlassen, anstatt nur für mich. Wie dem auch sei, Sie haben ja jetzt gestanden, und damit Schluß. Sie haben sich zu einer unglaublich gemeinen Handlung bekannt, und nun will ich Ihnen mal zeigen, wie man Schlechtes mit Gutem vergilt.«
Mr. Levy begann wieder zu zittern. Seine perlschwarzen Augen folgten jeder Bewegung Channays. Dieser entnahm seiner Tasche das Scheckbuch, öffnete es, tauchte seine Feder in die Tinte und schrieb. Als unterliege er einem natürlichen Gesetz der Anziehungskraft, hielt es Levy nicht länger auf seinem Stuhl. Er erhob sich langsam, ging quer durch das Zimmer und blickte über Channays Schulter. Was er zu sehen bekam, glich einer Botschaft aus dem Paradies:
»Zahlen Sie an die Order Mark Levy
die Summe von sechshunderttausend Mark.(gez.) Gilbert Channay.«
Echte Tränen der Dankbarkeit standen in Levys Augen. Sein Hals drohte sich ihm zusammenzuschnüren. Es war ein unbeschreiblicher Augenblick.
»Mr. Channay – mein bester Freund – mein lieber Herr,« rief er aus, als er den Scheck in seine patschigen, zitternden Finger nahm, »was soll ich nur sagen?«
»Nichts sollen Sie sagen«, riet ihm Gilbert Channay ruhig.
»Kann sein, daß ich ein oder zwei von den anderen Syndikatsmitgliedern nach gleicher Methode behandeln werde. Sie sollen wahre Lebenswerte kennenlernen.«
Mr. Levys Augen ruhten wie angeheftet aus dem Scheck.
»Ihre Handschrift, Mr. Channay«, bemerkte er mit Sympathie in der Stimme, »ist nicht mehr was sie war. Sehr unsicher und viel größer.«
»Sie vergessen, wo ich die drei letzten Jahre zugebracht habe«, versetzte Channay trocken.
Levy hustete und ging auf ein anderes Gesprächsthema über.
»Also Norwich und Norfolk Bank«, murmelte er vor sich hin, indem er sich an seinem Schatz kaum sattsehen konnte.
Gilbert Channay zeigte ihm den Weg vom Fenster aus.
»Hier, quer über die Straße«, sagte er. »Sie können jetzt Ihr Geld von der Bank abheben und mit dem nächsten Zug nach London zurückkehren.«
Mr. Levy nahm seinen Hut und hielt Channay die Hand zum Abschied hin, was dieser aber einfach übersah.
»Ich will nicht vorgeben,« schloß letzterer, »daß ich Ihnen verziehen habe. Vielleicht später einmal. Für jetzt will ich Ihnen nur eine kleine Lektion erteilen, und ich hoffe, daß Sie sie sich zu Herzen nehmen werden. Guten Morgen!«
Der aufgeregte Mann befand sich in einem Zustand der Fassungslosigkeit und rannte davon. Er hielt den Scheck fest zwischen den Fingern, stürzte aus dem Haus heraus und jagte der Bank zu. Sein Wohltäter, das Scheckbuch in der Hand, folgte ihm mit mehr Muße. Mr. Levy betrat die Bank, ohne von irgend jemand bemerkt zu werden und stellte sich an einen der Kassenschalter. Gilbert Channay wurde vom livrierten Diener, wie auch den Angestellten, die ihm zulächelten und sich verbeugten, freundlich begrüßt, während er sich, hinter dem Rücken der Kunden, zum Direktionszimmer begab, wo ihn der Direktor mit warmem Händedruck empfing.
»Sehr erfreut. Sie wiederzusehen, Mr. Channay«, sagte er. »Womit kann ich Ihnen dienen?«
Sein Kunde legte ihm das Scheckbuch vor.
»Dummerweise«, setzte er auseinander, »ließ ich dies heut morgen auf ein paar Minuten im Wohnzimmer liegen, und als ich zurückkam, fand ich einen sehr verdächtigen Menschen wartend, einen Mann, dem ich Grund habe zu mißtrauen. Nach seinem Weggehen bemerkte ich, daß ein Scheck aus meinem Buche herausgerissen worden war, und da wollte ich nur herüberkommen, um den Scheck sperren zu lassen, im Falle sich irgendwelche Schwierigkeiten ergeben sollten.«
»Sehr richtig,« stimmte der Direktor zu – »sehr richtig. Wollen Sie mich auf einen Augenblick entschuldigen, ich will gleich selbst meinen Kassierern die nötigen Anweisungen geben.«
Mit diesen Worten eilte er hinaus und Gilbert Channay saß gemütlich im weichen Klubsessel und pfiff leise vor sich hin. Etliche Minuten vergingen, dann öffnete sich die Türe und der Direktor trat ein, von einer kleinen Prozession gefolgt. Voran schritt der Hauptkassierer, ihm zur Seite Mark Levy und hinter ihnen der machtvolle Türhüter, der auf einen Wink des Direktors draußen blieb.
»Dieser Herr hat mir den Scheck gegeben«, erklärte Mark Levy, wobei er auf Channay wies. »Er selbst gab ihn mir, noch keine fünf Minuten her.«
Channay sah ihn mit einem unheilverkündenden Blick an.
»Ich gab Ihnen einen Scheck?« wiederholte er ungläubig. »Was? Hör' einer an! Ich weigerte mich sogar, Ihre Fahrt von London zu bezahlen. Wollen Sie damit sagen,« fuhr er fort, indem er sich an den Direktor wandte, »daß dieser Mann einen Scheck, den ich gezeichnet haben soll, präsentiert hat?«
Der Kassierer händigte ihm stillschweigend den länglichen Papierstreifen ein.
»Wie Sie sehen, Mr. Channay,« hob er hervor, »ist die Handschrift der Ihren so gar nicht ähnlich und die Unterschrift stimmt auch mit der, die wir von Ihnen haben, durchaus nicht überein, ferner vermissen wir unter dem Namen ›Channay‹ das übliche Zeichen. Ich wollte den Scheck zu Mr. Brown bringen, um die nötigen Anweisungen zu erhalten, als er auch gerade aus seinem Bureau herauskam.«
»Dieser Scheck ist eine Fälschung,« verkündete Channay ruhig – »eine ganz dreiste, unglaubliche Fälschung!«
Der Direktor drückte leise auf den Klingelknopf und flüsterte dem Bankdiener etwas zu. Mark Levys Gesicht spiegelte alle Skalen der Bestürzung, Angst und Verwirrung.
»Aber, mein lieber Herr Channay, soll das vielleicht ein Scherz sein? Ich versteh' Sie nicht. Dies ist doch der Scheck, den Sie mir heute morgen als meinen Anteil aus dem Vermögen des Syndikats gegeben haben.«
Channay blickte den verzweifelten Mann mit eisiger Kälte an.
»Levy, Sie werden mit diesen dreisten Kinkerlitzchen die Sache schwerlich fördern«, warnte er ihn. »Sie kamen heute morgen winselnd zu mir, und Sie wissen sehr wohl, was ich darauf erwiderte. Es scheint, daß Sie hier den Versuch gemacht haben zu ›corriger la fortune‹. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Die Angelegenheit geht nur Sie und die Bank an.«
»Sie behaupten also nach wie vor, mir den Scheck nicht gegeben zu haben?« stieß Levy kurzatmig hervor.
Channay wandte sich mit Verachtung von ihm.
»Der Scheck ist,« versicherte er dem Direktor, »wie das ja jedermann sehen kann, einfach eine ganz plumpe Fälschung. Dieser Mann kam heute morgen winselnd zu mir, um eine Zahlung zu erbetteln, die in irgendwelcher Verbindung mit dem Syndikat stand, dem wir beide vor Jahren angehörten. Meine Erwiderung auf seine Aufforderung ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ich sagte ihm, daß er in der menschlichen Natur erst eine ganz neue Eigenschaft entdecken müsse, bevor er einen reichen Mann fände, der einem solchen Zutreiber seiner Klasse ein Geschenk von sage und schreibe sechshunderttausend Mark machen würde.«
Mr. Levys Lippen zuckten nervös. Sein Gesicht war von geisterhafter Blässe und schwere Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Ein Klopfen ließ sich an der Tür vernehmen, und auf ein kurzes »Herein« des Direktors erschien der Bankdiener, von einem Polizeiinspektor gefolgt. Gilbert Channay erhob sich.
»Das dürfte wohl Ihre Angelegenheit sein, Mr. Brown«, sagte er, sich an den Direktor wendend. »Ich bin jeden Augenblick bereit, als Zeuge aufzutreten. Einem unverschämteren und hirnloseren Fälschungsversuch bin ich noch nicht begegnet. Ich rechne so auf fünf Jahre für Sie, Levy«, fuhr er fort, indem er sich ihm zuwendete. »Wir werden dann unsere Erfahrungen vergleichen können.«
Der Direktor flüsterte leise. Der Inspektor legte nun seine Hand auf Levys Schulter. Er fuhr erschreckt auf.
»Ich geh nicht!« schrie er. »Das ist eine Verschwörung. Es bedeutet meinen Ruin! Mr. Channay, sagen Sie doch etwas! Um Gottes willen, sagen Sie doch etwas!«
»Wenn ich wagte, überhaupt etwas zu sagen,« gab Gilbert Channay kaltblütig zurück, »dann könnte ich vielleicht zuviel sagen. Sie haben im Leben einen sehr großen Fehler gemacht, Levy, und so sollen Sie denn auch, wie es andere und bessere Männer vor Ihnen getan haben, dafür zahlen.«
Der Polizeiinspektor verließ mit seinem Häftling das Zimmer. Levy war fast am Zusammenbrechen. Channay schüttelte dem Direktor noch die Hand.
»Fabelhaftes Glück,« bemerkte er dabei, »daß ich gleich zu Ihnen gekommen bin. Ich wollte die Sache noch bis nach dem Lunch lassen, obgleich ich positiv wußte, daß der Scheck gestohlen worden war, als mir noch rechtzeitig einfiel, was für ein Kunde das ist. Ich sehe, daß Ihr Kassierer das Fehlen der zwei kleinen Punkte in der Schleife des ›y‹ bemerkt hat.«
Der Direktor lächelte überlegen.
»Einer der plumpesten Fälschungsversuche, der mir jemals vorgekommen ist«, sagte er.
»Direkt ein Spiel mit der Gefahr!« pflichtete sein Kunde bei, während er sich von ihm verabschiedete.
Ungefähr eine Stunde später füllte Channay seinen gemieteten Wagen mit verschiedenen Einkäufen, verließ die Stadt und wandte sich nach Osten. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen, während er sich bequem in die Kissen des Autos zurücklehnte. Es war ein Lächeln der Erinnerung, keineswegs etwa boshaft, aber das geruhsame Lächeln eines Menschen, dem ein interessantes Vorhaben geglückt war. Er gedachte der Todesangst des Mannes, den er zuletzt auf der Polizeistation zwischen zwei Polizisten gesehen hatte, ohne die leisesten Gewissensbisse zu empfinden. Er rief sich noch einmal seine eigene Zeugenaussage mit Befriedigung ins Gedächtnis zurück. Es war also alles programmäßig verlaufen.
Er war nicht sentimental und konnte daher nicht das leiseste Bedauern über das empfinden, was er getan. Wenn seine Zeugenaussage falsch war, so hatte er sich nur der gleichen Waffe bedient, die der Mann einst gegen ihn angewendet hatte.
Damit war Schlechtes mit Schlechtem, Spitzfindigkeit mit Spitzfindigkeit vergolten. Sein Opfer besaß nicht die mindeste Qualität, die der Berücksichtigung wert gewesen wäre. Das einzig Erstaunliche an der Sache war, daß Mark Levy überhaupt in die Falle gegangen und daß innerhalb weniger Stunden seit seiner Haftentlassung einer seiner zehn Feinde schon zur Strecke gebracht worden war. Natürlich wanderten seine Gedanken auch zu den übrigen. Er nahm eine straffere Haltung an. Die Sonne brannte heiß, aber ein jeder Kilometer brachte ihm eine kräftigere frische Brise aus dem Osten.
Da tauchten in ihm Zug um Zug Erinnerungen an jene Männer auf, mit denen er zusammen gearbeitet, getafelt, in deren Gesellschaft er die verschlungenen Pfade der Finanzwelt durchwandert hatte. Isham ist fett und lasterhaft geworden und Sinclair saturnischer denn je, zweifellos lockerer in seinen Grundsätzen. Mark Levy, der denkbar dümmste Tor, demütig, aber habgierig, unterwürfig und tückisch, stets der Spielball anderer, war für ihn stets ein Gegenstand der Verachtung gewesen. Als Channay nun auch der übrigen gedachte, mit denen noch abgerechnet werden mußte, nahm sein Gesicht einen grimmigeren Ausdruck an. Jeder einzelne von ihnen sollte noch zahlen und müßte er sein Leben dafür einsetzen. Für ihn bestand keine Notwendigkeit, so dachte er, sie erst aufzusuchen. Die magische Macht seines Scheckbuches würde sie schon ködern. Und wenn er den Südpol zu seiner Schanze wählte, ihres Kommens dürfte er sicher sein. Es war nur eine Frage der Zeit, bei der eine Verzögerung von zwei oder drei Tagen, einer Woche oder auch einem Monat keine Rolle spielte. Er besaß einen unfehlbaren Magnet. Kommen würden sie – das wußte er.