E. Phillips Oppenheim
Channay rechnet ab
E. Phillips Oppenheim

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Viertes Kapitel.
Martin Fogg besteht darauf . . .

Edward Sayers' Verhalten war vom ersten Augenblick an drohend. Er war feist, von massigem Bau und trug einen Anzug, der nach Schnitt und Stoff offenbar amerikanisch war. Obwohl er nach einem langen Weg vom Festland her außer Atem gekommen, besaß er doch kräftige Muskeln und eine kerngesunde Lunge. Seine Farbe war ungesund, aber er hatte die Gestalt eines Preisboxers. Gleich zu Anfang zeigte er, daß er sich bei dem Manne, den er besuchen wollte, in Gunst zu setzen versuchte.

»Sagen Sie mal, das ist ja ein verdammt langer Weg, den ich kommen mußte, um mein bißchen zu holen«, beklagte er sich, als Channay ihn zum Sitzen nötigte und Parsons sich leise zurückzog. »Ich habe Ihnen wohl ein Dutzend Briefe geschrieben!«

»Ich hatte nur geringe Möglichkeit zu korrespondieren«, erklärte Channay. »Wie Sie wissen, hatte ich ja stets einen Sekretär. Meine eigene Handschrift ist einfach scheußlich.«

»Eine Zeile hätte genügt«, brummte Sayers. »Ein Scheck wäre ja natürlich noch bester gewesen. Ich brauche Geld, aber es ist ein verteufelt langer Weg, es zu holen.«

»Sie können mir wenigstens nicht den Vorwurf machen, daß ich Sie dazu aufgefordert hätte«, bemerkte Channay kühl.

»Schau einer, Mr. Glattzung,« sagte Sayers grob, »Ihre sarkastischen Anfälle haben mich nie viel gerührt. Aber reden wir ohne Umschweife! Verstehen Sie? Ich will meinen Gewinnanteil vom Syndikat haben, es sind ja beinah sechshunderttausend Mark. Also was ist damit?«

»Nichts!« war die kurze Antwort.

Sayers' Augen schienen jetzt kleiner zu werden und einen grünen Schimmer anzunehmen. Sie verschwanden förmlich in der Schwammigkeit seines massigen Gesichtes.

»Womit Sie also sagen wollen,« bemerkte er hartnäckig, »daß Sie nicht teilen wollen?«

»So ist es«, stimmte Gilbert Channay bei. »Ich denke nicht daran, zu teilen.«

Sein Gast saß nun regungslos. Es war anzunehmen, daß er sich auf eine solche Antwort vorbereitet hatte, und doch lag in seinem Schweigen etwas Unheilverkündendes. Seine rechte Hand, die bisher auf dem Knie geruht hatte, griff nach der hinteren Hosentasche. Channay kam ihm jedoch zuvor. Er entnahm einer offenen Schublade, vor der er gerade stand, einen kleinen Revolver, dessen Anblick Sayers auf seinen Platz zurücksinken ließ.

»Ich kann mich schon verteidigen, wie Sie sehen,« bemerkte Channay, »aber ich schätze diese Art Auseinandersetzungen nicht sehr. Wir befinden uns in einer Gegend mit altmodischen Ideen, wo man für den Gebrauch von Feuerwaffen sehr wenig Verständnis hat. Ich möchte also unsere Meinungsverschiedenheit gern auf eine andere Weise erledigen.«

»Das können Sie, indem Sie mir zahlen, was Sie mir schulden«, erklärte der andere. »Ich habe das Geld zu kriegen – und je eher Sie sich dazu entschließen können, desto besser.«

Gilbert Channay seufzte. Er griff nach seiner Brusttasche, zog ein kleines, in Maroquinleder gebundenes Büchlein hervor, entnahm ihm einen Papierstreifen und hielt ihn Sayers vor die Augen.

»Ihre Unterschrift?« fragte er.

Eine ungesunde Röte flutete über des Mannes Gesicht.

»Zum Teufel, woher haben Sie das?« verlangte er zu wissen.

»Nur keine Aufregung«, war Channays kühle Erwiderung. »Sie sind auch einer von denen, die die Vernichtung meines Lebens angestrebt haben, um das Geld an sich zu reißen, das mein Kopf und Unternehmungsgeist erworben haben. Ein höchst ehrenwerter Versuch! Der erste Teil war in Ordnung. Im zweiten Teil des Programms aber purzeln Sie. Keiner von denen, die dies Dokument unterzeichnet haben, soll einen Pfennig zu sehen bekommen. Das ist mein fester Entschluß! Jetzt können Sie, so rasch es Ihnen beliebt, in die Staaten zurückkehren, oder woher Sie sonst gekommen sind. Sie sind mir ein widerlicher Anblick.«

Sayers erhob sich und hütete sich, seine Hände den hinteren Hosentaschen nahe zu bringen.

»Channay,« sagte er, »das ist ein dreckiger Trick von Ihnen.«

Gilbert Channay ließ den halben Bogen ein paarmal durch die Luft flitzen, bevor er ihn wieder in sein Taschenbuch legte.

»Nicht so dreckig wie das hier«, gab er zurück.

»Da sind aber außer mir noch andere«, fuhr Sayers fort. »Die werden Sie schon erledigen, wie ich es sollte.«

»Zwei haben das schon versucht und sind nicht weit damit gekommen«, erwiderte Channay. »Auch Sie werden nicht weit kommen, und dann, Sayers, vergessen Sie das nicht. Die Männer, die dieses niederträchtige Dokument unterzeichnet haben, sind meine Feinde, aber von der ganzen Bande verachte ich Sie am meisten. Sie waren der Mann, dem ich geholfen hatte, als Sie ruiniert waren. Ich zahlte Ihre Schuldner und bewahrte Sie dadurch vor dem Gefängnis. Später lernte ich Sie als das kennen, was Sie waren und sind. Ich warne Sie. Lassen Sie Ihre Drohungen sein.«

»Und ich werde mein Geld kriegen, und sollte es Ihnen jeden Knochen in Ihrem Leibe kosten«, erklärte er, über das Schreibpult gelehnt.

»Ich warne Sie noch einmal«, gab Channay zurück. »Es gibt niemand, den ich weniger leiden mag und mehr verachte, als Sie. Hören Sie meinen Rat: Sie gehen jetzt durch diese Türe und dorthin zurück, woher Sie gekommen sind. Ich werde Ihnen kein Leid antun, außer in der Selbstverteidigung. Sollte ich mich aber verteidigen müssen, dann überlasse ich es Ihnen, damit fertig zu werden. Sie verstehen mich hoffentlich jetzt.«

Sayers war wirklich kein angenehmer Anblick. Seine Lebensweise und Art stempelten ihn zu einem Manne von brutaler Kraft, den unbezähmbare Leidenschaft durchwühlte. Er befreite sich von ihr, um in eine Flut von gemeinen Worten auszubrechen.

»Sie windiger, britischer Geizhals!« rief er aus. »Sie reden von Hassen! Ich hab' Sie mein Lebtag nicht riechen können; Sie diktierten uns, was wir tun und nicht tun sollten, erteilten Befehle in einer Weise, als seien wir Ihre Knechte, statt Geschäftsteilhaber. Verfluchter Kerl Sie, mit Ihrer hohnlächelnden Art, Ihrer Unverschämtheit. Schreiben Sie den Scheck aus, oder ich gebe Ihnen einen Fußtritt, der Sie in die Hölle bugsiert!«.

Wutentbrannt ergriff er Channay beim Kragen und holte zu einem verderblichen Schlag aus. Channay konnte sich aber rechtzeitig genug losreißen, um dem Schlage auszuweichen und seinen Angreifer am Halse zu packen.

 

Zwanzig Minuten später zündete sich Channay, der inzwischen seinen Kragen gewechselt, eine neue Halsbinde angelegt und sein Haar gebürstet hatte, eine Zigarette an und überlegte sich die Lage der Dinge. Grollender Donner ließ sich vernehmen. Channay schritt zum Fenster. Eine unheimlich dumpfe Stille brütete über den Marschen, und hinter dem düsteren Schleier eines grauschwarzen Gewölkes lauerte die Tragödie des kommenden Sturmes. Die Möwen flogen aufgescheucht hin und her, und die Gischtwogen um die Sandbänke schienen breiter und höher zu werden. Es traf sich gerade schlecht, daß Parsons sich nach dem Städtchen begeben hatte; in einer Stunde würde er zurück sein. Vorher durfte man kaum einen neuen Besuch erwarten. Channay wollte sich aber keiner Gefahr aussetzen. Während er so stand und über die düstere Landschaft blickte, war es ihm, als habe er schon von Anfang an gewußt, daß einer von beiden es mit dem Leben zahlen müßte, wenn er und Edward Sayers sich von Angesicht zu Angesicht sehen sollten. Ihn beherrschte jetzt nur ein Gedanke, erstens, daß er die Welt von einem der schlimmsten Halunken befreit hatte, und ferner, daß er sich nun gegen widrige Konsequenzen zu schützen habe. Viel konnte er vor Parsons Rückkehr nicht unternehmen. Sayers war ein schwerer Mann, und seinen Körper selbst mit fremder Hilfe wegzuschaffen, blieb ein Problem. Parsons konnte vielleicht noch eine halbe Stunde wegbleiben. Channay folgte inzwischen einem plötzlichen Impuls. Er rückte das Sofa vor die auf dem Boden ausgestreckt liegende Leiche und ordnete andere Möbel so, daß ihre unauffällige Umstellung den Körper verdeckte. Dann begab er sich, tief atmend, zu seinem Schreibtisch. Kaum hatte er dem Ständer einen Briefbogen entnommen und zu schreiben begonnen, als plötzlich seine Finger erstarrten, seine Aufmerksamkeit sich spannte. Kein Zweifel, ein schwerer Schatten verdunkelte von außen her das Zimmer. Channay hob den Kopf. Durch das französische Fenster schaute ein Mann herein . . .

Obgleich Channays Nerven von Stahl waren, so war er doch schließlich ein Mensch und saß einen Augenblick wie gebannt. Er fühlte sein Herz gegen die Rippen schlagen. Dann erfaßte er die Notwendigkeit, rasch zu handeln. Er sprang auf, riß das Fenster auf und blickte den Eindringling forschend an, den er im ersten Augenblick nicht erkannte. Er war ohne Hut, wie es bei Touristen und Ferienausflüglern üblich ist. Sein rotgelbes Haar hatte der Wind tüchtig zerzaust, so daß er einen ungekämmten Eindruck machte. Er hatte einen Touristenanzug an, Kragen und Kravatte trug er in der Hand, seine Schuhriemen waren ungebunden, als habe er gepaddelt. Er lächelte freundlich durch das Fenster.

»Ein schöner Platz hier, Mr. Channay«, sagte er. »Man beschrieb mir im Städtchen, wo Sie zu finden wären.«

»Was in aller Welt machen Sie denn hier?« fragte Channay geradeaus.

»Sonntagsausflug, Mr. Channay, nichts weiter«, gab Martin Fogg zur Antwort. »Denken Sie nicht, daß mich etwas Besonderes zu Ihnen führt. Sie hatten ja meine Hilfe abgelehnt, und dabei mußte es wohl bleiben . . . Ist das Ihr Boot?« fügte er noch hinzu, indem er auf die Jolle wies, die hoch auf den Strand gezogen lag und um deren Kiel die ersten Flutwellen zu spielen begannen.

Gilbert Channay nickte.

»Ich möchte nicht ungastlich erscheinen«, sagte er. »Ich kann Sie aber nicht in der Jolle zum Städtchen bringen, und es wird noch Stunden dauern, bis sie wieder flott ist. Sie nehmen also schon besser den Deichpfad, und zwar bald, denn wenn der Sturm kommt, schlagen die Wellen über den Damm.«

Martin Fogg ließ sich nicht beirren. Er zeigte sogar eine beunruhigende Kenntnis der Örtlichkeit.

»Es kann noch anderthalb Stunden dauern, bis die Flut auf die andere Seite übertritt«, bemerkte er. »Ich bin ein bißchen müd', Mr. Channay, eklicher Weg von Widdiscombe her. Könnt' ich mal für ein paar Minuten bei Ihnen ausruhn?«

Channay lud ihn durch eine Handbewegung ein, näher zu treten. Er setzte ihn, mit dem Rücken gegen das Sofa, in einen bequemen Stuhl und schob ihm eine Schachtel Zigaretten hin.

»Was zu trinken?« fragte er.

»Vielleicht ein Tröpfchen Whisky, wenn Sie grad welchen da haben.«

Channay begab sich zum Büfett und mischte einen Whisky und Soda, während der ganzen Zeit von dem unbehaglichen Gefühl beherrscht, daß Martin Foggs Augen im Zimmer herumgingen.

»Sie haben sich inzwischen wohl nicht eines anderen besonnen?« wagte Fogg zu fragen, während er das ihm gereichte Glas entgegennahm.

»Nein – und ich werde es auch schwerlich tun«, war die bestimmte Antwort. »Sie haben mir mal einen Dienst erwiesen, Martin Fogg, den ich Ihnen nicht so leicht vergessen werde, denn nur wenige Menschen würden sich so mutig ins Zeug gelegt haben, aber – ich ziehe es nun einmal vor, meine Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen.«

Martin Fogg blinzelte – ohne etwas zu sagen. Ungeschlacht, wie er dasaß, das Glas in der einen, die Zigarette in der anderen Hand, glich er fast einem menschlichen Frettchen; schlau, ohne die Tiefe der Intelligenz zu besitzen, hartnäckig, ohne von einem ausgleichenden Instinkt geleitet zu werden. Plötzlich lächelte er und schien ein anderer.

»Sie haben recht, Mr. Channay«, sagte er. »Sie stehen einer ganz gemeingefährlichen Bande gegenüber. Diese zwei Amerikaner zum Beispiel sind alle beide ganz gewissenlose Kerle. Warten Sie mal . . . Hieß nicht einer davon Sayers – Edward P. Sayers?«

Channay überlief es eiskalt, sein Gesicht blieb jedoch unbeweglich.

»So hieß der größte dieser Gauner«, erwiderte er.

»Verwegene Gesellen, manche dieser Amerikaner,« fuhr Martin Fogg fort, »ganz die Leute, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. Ein wildes Pack! Bißchen einsam hier für einen Mann wie Sie, Mr. Channay.«

»Ich kann schon auf mich selber acht geben«, erwiderte Channay kurz angebunden.

»Sehen Sie, Mr. Channay,« sprach Fogg weiter, »wenn Sie seinerzeit mein Angebot angenommen hätten, dann wäre jemand dagewesen, der für Sie ein bißchen herumspekuliert hätte, sagen wir z. B. ob Sayers in der Nähe ist, oder der andere Kerl, der auch mit zu der Bande gehört, dieser Drood. Ich hätte Sie fortwährend über ihr Tun und Lassen unterrichten können, besonders was die Gefährlichen treiben. Auch wenn Sie nicht zu den Herrschaften gehen, so lassen sich's die schon nicht nehmen und kommen zu Ihnen.«

»Ich bin Ihnen für den einen Dienst aufrichtig dankbar, für den, den Sie mir bereits erwiesen haben«, bemerkte Gilbert Channay. »Sonst aber kann ich nur das wiederholen, was ich Ihnen bereits gesagt habe – ich – wünsche – keine – Hilfe.«

Martin Fogg setzte sein Glas mit einem Blick des Bedauerns ab.

»Sie mögen ja ganz recht haben, Mr. Channay«, pflichtete er ihm bei. »Sie haben zweifellos einen guten Anfang gemacht. Die Mark Levy-Sache zum Beispiel, direkt genial! Höchst genial! Neulich sah ich Lord und Lady Isham. Ich fürchte, daß er trinkt, sieht sehr krank aus. Und die Lady, mein Gott, sehr verändert! Etwas nagt an ihnen, Mr. Channay, gar nicht abzustreiten.«

Channay beobachtete seinen Besuch mit einem kleinen Schauer. Er fühlte, ungeachtet der freundlichen Empfindungen, die er für ihn hegte, daß er ihm eines Tages in ganz unzweideutiger Weise seinen Standpunkt klarmachen müsse.

»Weshalb sind Sie an meinen Angelegenheiten so stark interessiert?« fragte er ihn kurz.

Martin Fogg lächelte leise.

»Ich bin in einer Beziehung«, erklärte er, »einem Romanschriftsteller nicht unähnlich. Eine Idee fliegt ihn an. Er mag sie vielleicht nicht, versucht sogar, sie loszuwerden, wünscht, daß er sie nie gehabt hätte, solange sie aber da ist, muß er sie früher oder später verarbeiten. Der Gedanke, mit Ihnen zu arbeiten, hat sich nun einmal in mir festgesetzt. Erst vergangene Woche bekam ich ein großartiges Angebot, nach Südamerika zu gehen. Konnt's aber nicht annehmen! Könnt Sie einfach nicht verlassen.

Channay erhob sich kurz angebunden.

»Wenn Sie mit Ihrem Whisky und Soda fertig sind, Mr. Fogg,« schlug er vor, »dann werden Sie sich besser auf den Rückweg zum Städtchen machen.«

»Versteht sich, versteht sich«, erwiderte dieser verbindlich. »Bis jetzt ist ja alles tadellos verlaufen, Mr. Channays. Zwei sind schon von der Liste gestrichen – oder gar drei? Zwei bestimmt, bleiben aber immer noch sieben . . .«

»Halten Sie sich ja in der Mitte des Pfades, Mr. Fogg«, empfahl er ihm, während er ihm die Türe öffnete. »Hören Sie auf meinen Rat und bummeln Sie nicht lang, denn wir können jeden Augenblick den schönsten Sturm haben.«

»Vor einer oder zwei Stunden kaum«, sagte Martin Fogg, während er auf die See hinausblickte, »'s liegt was in der Luft – etwas wird ja kommen, 's ist aber noch nicht hier. Schwerer Donner dort drüben, Mr. Channay. Guten Abend dann . . .«

Channay hatte ihn hinausbegleitet und sah ihm sinnend nach. Sein Gang war so schlotternd und ohne Würde; trotz seiner ungeschliffenen Manieren und seines unbedeutenden Äußeren fühlte Channay, daß er Qualitäten besaß und daß seinem Besuch eine ganz bestimmte Absicht zugrunde lag. Er warf durch die Glastür einen Blick nach dem Inneren des Zimmers und studierte dessen Einrichtung genau, konnte aber nichts finden, was die Aufmerksamkeit eines Besuchers besonders auf sich gelenkt hätte. Junggesellenwohnungen sind in der Regel nicht durch peinliche Ordnung ausgezeichnet. Plötzlich starrte er stirnrunzelnd nach dem Ende des Sofas: dort gewahrte er ein Stück von einem Stiefel. Channay setzte sich in den Stuhl, den Martin Fogg noch vor ein paar Minuten eingenommen hatte. Ein gewöhnlicher Mensch konnte wirklich keinen Verdacht schöpfen – aber Martin Fogg . . .!

 

Es war zehn Uhr abends. Eine für die Jahreszeit ungewöhnliche Dunkelheit hatte sich über das Land gebreitet. Der Sturm raste und das Meer donnerte seine drohende Kanonade. Der erste Teil der Arbeit war beendet. Channay und Parsons kamen in der kleinen Bucht nur langsam vorwärts. Ihre Enge machte das Hissen des Segels unmöglich, und es dauerte fast eine Stunde, bevor sie darüber hinausgelangten und damit die offene See erreichten. Die Wogen brachen sich an den Sandbänken zu tausend Strudeln. Die beiden Männer hißten nun einen Teil des Segels und steuerten nordwärts. Zuckende Blitze allein leuchteten ihnen.

»Draußen tobt ein Orkan«, rief ihm Parsons mit lauter Stimme zu.

»Um so besser«, war die kurze Erwiderung seines Herrn.

Parsons wandte seine Blicke nochmals dem Lande zu, und seine Stimme und sein Gebaren verrieten plötzlich Unruhe.

»Fischerboote sind unterwegs«, verkündete er.

Channay lehnte sich über die Seite des Bootes und sah fünf Lichter in einem mächtigen Halbkreis den Fluß herabgleiten. Der Wind trug ihnen den keuchenden Takt der Petrolmotore zu.

»Wir zeigen doch hoffentlich kein Licht, Parsons?« erkundigte sich Channay.

»Ich habe die Laterne heruntergenommen«, erwiderte Parsons. »Auch werde ich meine Pfeife ausklopfen, damit der Wind nicht Funken herausbläst.«

Sie hatten sich inzwischen aus den Strudeln herausgearbeitet, welche die Küste so berüchtigt machten. Als sie an einer bestimmten Stelle angekommen waren, befestigte Channay das seither in der Hand gehaltene Seil an den Sitz.

»Los«, kommandierte er.

In einem Augenblick war alles vorüber; ein dumpfer Aufschlag, ein kurzes Schwanken des Bootes und das flüchtige Schreckbild eines bleichen, entstellten Gesichtes, das Channay später so schwer vergessen konnte. Bis auf die Knochen durchnäßt, machten sie sich nun auf den gefährlichen Rückweg.

»Wir müssen an der Flußmündung vorbeikommen, ehe die anderen sie erreicht haben.«

Parsons gehorchte Channays Befehlen nach kurzem Zögern. Der Wind heulte weiter und eine zufällige Riesenwelle schlug über das Boot. Channay saß, tief geduckt, das Ruder unter dem Arm und beobachtete gespannt die fünf Lichter, die sich der Flußmündung näherten. Kaum vierzig Meter lagen zwischen ihnen und den anderen, als sie an der Mündung vorbeikamen und von der Dunkelheit der Küste aufgenommen wurden. Keiner der beiden Männer sprach ein Wort, sie lauschten aber desto aufmerksamer. Auf einmal rief sie jemand aus dem nächsten Boot an. Channay fluchte ganz leise. Er hatte gehofft, in dem Sturm unbemerkt zu entkommen.

»Boot ahoi!« Das war der zweite Anruf.

Channay beugte sich über das Ruder und Parsons zog das Seil in seinen Händen fester an. Mit Pfeilgeschwindigkeit flog das Boot dahin, die Wogen schlugen über ihm zusammen, aber nach einer Minute waren sie dem Sehkreis der kleinen Fischerflottille entkommen, ihren erneuten Anruf übertönte das Tosen der Elemente. Heftiger Regen setzte ein. Channay beugte sich vor und nahm das Tau aus Parsons Hand.

»Sitzen Sie fest und seien Sie vorbereitet«, flüsterte er ihm zu. »Die Tiefe des Wassers ist hier sehr verschieden. Vielleicht verfehlen wir das Riff. Halten Sie sich sprungbereit für den Augenblick, wenn ich das Zeichen gebe. Ziehen Sie alle Leinen ein. Wir werden uns mit den Stangen behelfen, wenn wir den Eingang erreichen können. Sobald Sie Licht sehen, rufen Sie.«

Plötzlich tauchte das flackernde Licht des Landhauses auf. Channay sprang auf die Segel zu. Noch ein Augenblick der Ungewißheit, dann befanden sie sich in ruhigerem Wasser. Parsons nahm die Stange heraus. Gischt und Hagel schlug ihnen ins Gesicht, aber jeder Zoll brachte sie dem schützenden Hafen näher.

»Sie können Ihre Pfeife wieder anzünden, wenn Sie Lust dazu haben, Parsons«, sagte er, indem er sich, nach Atem ringend, zurücklehnte. »Wir haben unsere Nachtarbeit geschafft.«

Kaum hatte er dies gesagt, als Raketen von einem großen Passagierdampfer aufstiegen, der an den äußeren Sandbänken gestrandet war.

 

Vierzehn Tage! Nach außen hin ereignisreich, da stündlich Opfer des großen Sturmes an den Strand gespült wurden, ereignislos aber für Channay in seiner meerumbrandeten Einsiedelei. Als er an einem schönen Nachmittag in seinem Musikzimmer spielte, trat Parsons nach leisem Klopfen ein. In solchen Augenblicken haßte Channay jede Störung und blickte ihn ärgerlich an.

»Was zum Teufel ist denn los, Parsons?« fragte er barsch.

»Ein Herr wünscht Sie zu sprechen, hier ist seine Karte«, war die ruhige Antwort.

Channay betrachtete sie; eine billige, lithographierte Besuchskarte, auf die der Name Martin Fogg geschrieben war, mit einer Londoner Adresse.

»Schon wieder der Kerl«, brummte Channay. »Was will er denn?«

»Das wollte er nicht sagen«, erwiderte Parsons. »Ich hielt es für das beste, Ihnen seinen Wunsch zu melden. Aber –« hier senkte Parsons seine Stimme bedeutungsvoll und zögerte fast weiterzusprechen.

»Sie befürchten wohl, daß er was Unangenehmes zu sagen hat?«

»Ja, Sir«, gab er besorgt zu.

Channay schloß das Klavier und begab sich in das Wohnzimmer. Martin Fogg saß auf dem äußersten Ende des Diwans.

Er drehte seinen verregneten Strohhut zwischen den Fingern, das Haar war zerzaust wie immer, seine Augen blickten stumpfsinnig, und sein Anzug paßte ihm nicht. Obgleich Channays Gedanken mit wichtigeren und ernsteren Dingen beschäftigt waren, lächelte er verwundert über ein Hemd und eine Halsbinde von solch ausbündiger Häßlichkeit. Fogg erhob sich von seinem Platz.

»Guten Tag«, sagte er mit einer fast peinlichen Anstrengung, dem Gruß Herzlichkeit zu geben.

Gilbert Channay verschwendete keine Zeit auf Einleitungen. Nach einem flüchtigen Blick auf die Karte sah er den Sprecher an.

»Was wollen Sie diesmal von mir?« fragte er beinahe grob.

Martin Fogg hustete.

»Nun,« sagte er fast entschuldigend, »diese Frage läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, finden Sie nicht auch?«

»Ich habe weder Zeit noch Neigung, mich mit anderen lange abzugeben«, war die kurz angebundene Erwiderung. »Wenn Sie also Geschäfte besprechen wollen, raus damit. Wenn nicht –«

Channay blickte unzweideutig nach der Türe. Martin Fogg blinzelte ein paarmal, ohne sich zu rühren.

»Ja, natürlich, ich hätte was . . .« erklärte er, »in seiner Art sogar etwas sehr Wichtiges . . . Wissen Sie, ich bin, was man so einen Erpresser nennt.«

»Sie machen mich neugierig«, bekannte Channay ehrlich überrascht. »Mindestens bewundere ich Ihre Offenheit. Beabsichtigen Sie gar, an mir Ihre Kunst zu versuchen?«

»Unter Umständen, ja«, erwiderte Fogg trocken.

»Und mein Hauptvergehen?«

Fogg kratzte sich gedankenvoll das Kinn. Seine Augen schienen den Linien des Teppichmusters zu folgen.

»Nach der Meinung eines dummen Bauern,« bemerkte er unvermittelt, »›ertrunken aufgefunden‹! Das war er schon, aber woher kamen die verschiedenen Narben am Hals? Sie konnten ihn weder als einen Passagier noch als einen von der Schiffsmannschaft der ›Dahlia‹ identifizieren . . . Die Meinung eines richtigen, dummen Bauern!«

Er hielt inne und sah heimlich schnell zu Channay hinüber, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. Dessen Gesicht blieb ganz unbeweglich.

»Jedenfalls sind Sie kein Stümper«, fuhr Martin Fogg fort. »Sie haben die Geschichte recht geschickt angestellt, indem Sie die Leiche nach dem ›Höllenmund‹ geschleppt haben, wo die Strömung sich in Strudeln bricht und der Körper eines toten Mannes meilenweit getrieben werden kann, bevor er zur Ruhe kommt. Glück hatten Sie auch, denn gerade in jener Nacht ereignete sich ein Schiffbruch und der Körper wurde mit anderen Leichen angeschwemmt. Aber gleichzeitig diese Narben am Hals! Auffallend, daß nur ein einziger Mann deswegen Fragen darüber gestellt hat . . . Ah, eben sehe ich!«

Der Klang seiner Stimme hatte sich plötzlich verändert. Er sah mit gespanntester Aufmerksamkeit nach Channays Händen hin, ganz in Gedanken versunken nickte er unbewußt, als habe er eine sehr willkommene Entdeckung gemacht.

»Durch das Entgegenkommen des Leichenbeschauers ward auch mir die Möglichkeit gegeben, die Leiche zu besichtigen. Ich halte mich eben im Städtchen auf, und da dachte ich, möglicherweise den Toten identifizieren zu können. Diese Narben verblüfften mich. Jetzt sind sie mir aber vollkommen erklärlich. Wie ich sehe, ist der dritte Finger Ihrer linken Hand verstümmelt. Daher die vier Druckflecke auf der einen und fünf auf der anderen Seite des Halses.«

Endlich brach Gilbert Channay sein Schweigen.

»Daß wir einander verstehen sagte er, »Sie beschuldigen mich also des Mordes an dem Manne, dessen Körper vor ungefähr einer Woche bei Britling an den Strand gespült worden ist?«

Martin Fogg lächelte liebenswürdig.

»Stimmt auffallend«, gab er zu. »Ich folgte nämlich Sayers jenen Nachmittag auf den Fersen. Wie Sie bemerken werden, hatte ich es mit meinem Besuch gar nicht so eilig. Ich wartete also gemütlich, bis er wieder aus Ihrem Haus herauskommen würde, was er aber nicht tat. Sein Körper muß während meiner Anwesenheit in diesem Zimmer hinter dem Sofa gelegen haben. Kühl – sehr kühl! Gilbert Channay, Sie genossen aber schon immer den Ruf eines mutigen Mannes, der ohne Skrupel – – über Leichen geht.«

Nun wußte Channay, daß ihm ernste Dinge bevorstanden. Er näherte sich seinem Schreibtisch und seine Hand tastete vielleicht unbewußt nach der obersten Schublade. Sein Besuch lächelte.

»Hat gar keinen Zweck,« bemerkte er freundlich, »absolut keinen Zweck! Ich war doch hier nicht umsonst zehn Minuten allein, während Sie die Lisztsche Rhapsodie spielten. Die Patronen sind schon in meiner Tasche. Ich selbst bin nicht gerade aufs Kämpfen versessen. Um meine Zwecke zu erreichen, bediene ich mich meistens anderer Methoden. Es ist zum Beispiel nicht unbekannt, daß ich Ihnen heute einen Besuch abstatte.«

Eigentümlicherweise irrten Gilbert Channays Gedanken für einen kurzen Augenblick ab. Die drohende und unerwartete Gefahr trat in den Hintergrund vor der Verwunderung, daß sein merkwürdiger Besuch das Musikstück, das er gespielt hatte, gekannt haben sollte.

»Gut,« sagte er nach einer Pause, »Sie haben es wirklich verstanden, mir Ihren Besuch interessant zu gestalten. Angenommen, daß wir die Wahrheit, so wie Sie sie darzustellen belieben, als erwiesen ansehen . . .«

»Aaah!« sagte Martin Fogg, »das wird uns jetzt schon Zeit sparen.«

Die Gleichgültigkeit, die Channay während dieses höchst ungewöhnlichen Interviews mit Erfolg vorgetäuscht hatte, schien ihn bis zu einem gewissen Grade plötzlich zu verlassen, denn er blickte müßig und ziellos durch die weitgeöffnete Glastür ins Freie und gewahrte plötzlich zu seiner größten Verwunderung ein ihm vollkommen unbekanntes Mädchen; es saß auf seinem umgekippten Boote und hatte die Hände um ein Knie gefaltet, die Augen gedankenvoll auf das langsame Hereinbrechen der Flut gerichtet. Es war schlicht gekleidet und glich daher hundert anderen Ausflüglern, die in weißem Schlüpfer und Rock, weißen Schuhen und Strümpfen das Land durchwandern. Sie verschmähte den Hut, den sie neben sich auf die Seite gelegt hatte. Ihr kastanienbraunes Haar leuchtete seidig in der Sonne. Sie fiel in keiner Weise besonders auf, nur war die Linie ihres Körpers, wie überhaupt die ganze Haltung von einer solchen Reinheit und Schönheit, daß sie das Auge jedes Künstlers entzückt haben würde. Bei Channays erstauntem Ausruf wandte sie ihm den Kopf zu, und er bemerkte zarte Schatten unter ihren Augen, die sie fast unnatürlich groß erscheinen ließen. Erst nach geraumer Weile wandte sich Channay ab.

»Wer ist das?« fragte er Martin Fogg.

»Ach, herrje,« sagte er fast entschuldigend, »meine Tochter! Meine Tochter Catherine, mein einziges Kind! Sehen Sie, die Sache ist nämlich so. Da meine Mission sehr eigentümlich ist, hielt ich es für geraten, einen Zeugen zu haben, falls Sie sich – – na sagen wir mal – unvernünftig benehmen sollten.«

»Ihre Tochter!« wiederholte Channay ungläubig.

Martin Fogg lächelte, während er zu ihr hinüberblickte. Eine Verwandlung schien mit ihm vorgegangen. Sein Gesicht war weich geworden und alle unnatürliche Gespanntheit war gewichen, die Männern seines Berufes eigen ist.

»Ich kann mir gut denken,« bemerkte er, »daß Ihnen dies unglaublich vorkommt. Ihre Mutter war aber eine wunderschöne Frau.«

Die beiden Männer standen nun nebeneinander am Fenster.

»Das ist doch eine seltsame Idee, ein Mädel in dergleichen hineinzuziehen«, bemerkte Channay, und ein Ton von Verachtung klang in seiner Stimme.

»Meinethalben kann ich vielleicht etwas Furcht haben,« versetzte Fogg, »für das Mädelchen dort keine. Sehen Sie,« sagte er, das Kinn gedankenvoll kratzend, »ich habe mir aus Ihrem Charakter ein Studium gemacht, ein richtiges Studium, Mr. Channay, das können Sie mir wohl glauben.«

Gilbert Channay wandte sich nun wieder dem Zimmer zu. »Sie tun vielleicht besser daran,« schlug er sarkastisch vor, »mit Ihrer Erpressung fortzufahren.«

»Gut, gut«, war die bereitwillige Antwort. »Die Lage ist also die: Ein gewisser Jemand wurde unter ganz natürlichen Umständen ertrunken aufgefunden und ausgenommen meiner Wenigkeit schöpft niemand Verdacht, daß Sie bei seinem Tode die Hand im Spiel gehabt haben. Ich hingegen weiß es. Ich folgte ihm bis hierher und stattete Ihnen nachher meinen Besuch ab. Ich hatte die kleine Umstellung der Möbel wohl bemerkt, seinen Hut auf einem Stuhl, das Hervorlugen eines Stiefels unter dem Sofa und noch ein paar Dinge, mit deren Aufzählung ich Sie aber nicht beunruhigen will. Ich bemerkte auch bei der Leichenschau, bei welcher Gelegenheit ich ihn hätte identifizieren können, wenn es mir behagt hätte, die verräterischen Male an seinem Halse. Das Fehlen des fünften Mals ist ja jetzt durch den verstümmelten Finger an Ihrer linken Hand erklärt.«

Eine kurze Stille trat ein. Gilbert Channays Augen wanderten noch einmal zu der ruhevollen Mädchenfigur.

»Kommt noch hinzu,« fuhr Martin Fogg fort, »daß ich, falls es notwendig wäre, dem neugierig forschenden Publikum die Motive für diese scheinbar zwecklose Tat nennen könnte. Ich wüßte zu erklären, weshalb Sie Edward Sayers getötet haben und warum Sie wahrscheinlich noch ein bis zwei seiner Kumpanen um die Ecke bringen werden, es sei denn, daß einer Ihnen zuvor das Handwerk legt. Sie haben sich nun mal in die Vendetta verrannt, Mr. Channay, und andererseits hegen diese Männer aber auch Groll auf Sie. Die Beschlagnahme von sechshunderttausend Mark pro Kopf als Antwort auf gemeinen Verrat – ist allerhand!«

»Ihre Kenntnis meiner Angelegenheiten«, bekannte Channay, »grenzt schon ans Fabelhafte. Ich gebe alles zu, was Sie sagen. Wie hoch ist der Preis Ihres Schweigens, wenn ich fragen darf?«

»Die Erfüllung der einen Bitte, die ich an Sie gerichtet hatte, als ich Sie von Ringley Hall nach Norwich fuhr«, war die schlagfertige Erwiderung. »Ich bat Sie damals, Ihr Verbündeter werden zu dürfen. Ihnen, sei es durch meinen Schutz oder in der Vernichtung Ihrer Feinde beizustehen. Sie lehnten ab. Ich fügte mich drein und ließ Sie in Norwich, ohne jedoch Ihre Erklärung für endgültig zu halten. Sie sehen, ich bin wieder hier!«

Channay war verblüfft.

»Weshalb nehmen Sie nur solches Interesse an mir?« fragte er. »Was erwarten Sie eigentlich?«

»Sehr wenig«, versicherte Martin Fogg. »An Geld habe ich nicht den geringsten Bedarf, ich bin kein armer Mann, aber – nach meinem Äußeren zu urteilen, werden Sie es kaum glauben – ich liebe nun einmal Abenteuer. Ferner war ich vom ersten Augenblick der Syndikatsgründung an über alle Ihre Angelegenheiten unterrichtet. Ich hatte Sie nämlich im Interesse eines Klienten beobachtet. Aber das ist ja schon lang her. Ich war auch bei der Gerichtsverhandlung zugegen. Ich kann Ihnen alles haarklein an den Fingern herzählen. Zum Beispiel das . . . Sie haben sich mit Levy auseinandergesetzt, und soviel ich weiß, haben Sie auch einen Plan gegen Lord Isham ausgeheckt. Dem Edward Sayers haben Sie das gegeben, was er verdient. Aber noch sind die anderen da: zum Beispiel Matthew Baynes, ein Parlamentsmitglied, Aufsichtsratsvorsitzender von vielen bedeutenden Gesellschaften. Dann Giles Anderton, der große Finanzfritze. Da ist auch Nicholas Euphratos, der Grieche, wenn ich nicht irre, augenblicklich auf dem Wege nach Paris, und der gefährlichste von ihnen allen – Malcolm Drood – –«

»Was wissen Sie über Malcolm Drood?« unterbrach ihn Channay.

»Ich weiß so viel,« erwiderte Martin Fogg, indem er seine Stimme etwas senkte und seine schwachen Augen einen Schimmer von Furcht zeigten, »daß, als ich noch bei der Polizei war, Malcolm Drood meinen besten Freund tötete und, den ganzen Scotland Yard hinter sich her, mit der Frau des Mannes, den er ermordet hatte, nach dem Kontinent entkam. Wir hatten nur ungenügende Beweise gegen ihn, als er noch im Savoy Court wohnte, fünfhunderttausend Mark im Jahr verplemperte und wie ein Fürst lebte. Jetzt haben wir aber genügendes Beweismaterial, um ihn ein dutzendmal an den Strang liefern zu können . . . Hören Sie, Sie meinen, daß er England nie wieder betreten wird. Haben Sie eine Ahnung! Wissen Sie, weshalb Sie anderthalb Tage früher entlassen worden sind? Auf Grund der von mir gemachten Entdeckung. Diese Bermondsey ›Schwarze Hand‹ Bande lauerte Ihnen an dem Tage auf, an dem Ihre Entlassung ursprünglich erfolgen sollte. Die hatten sich das wundervoll schön ausgedacht – ein harmloser Taxi, in dem Sie hübsch bis an eine Straßenecke fahren sollten, wo ein Auto Ihrer wartete, und wuppdich, drin war'n Sie. Merken Sie was? Droods Helfershelfer.«

»Weshalb verfolgen sie mich aber nicht bis hierher«, erkundigte sich Channay ein bißchen ungläubig.

»Weil sie niemals aus London herausgehen«, setzte Fogg ihm auseinander. »Sie verfügen nämlich über ein vorzügliches Straßennetz, in dem ihre Verbündeten wie Wespen herumschwärmen. In Bermondsey befinden sich Durchgangsstraßen, wo sich die Gefährte beim Ertönen einer besonderen Autohupe sofort in Reih und Glied richten, als gälte es, die Feuerwehr durchzulassen. Sie hätten nicht die geringste Aussicht zu entkommen gehabt, wenn Sie am festgesetzten Tage entlassen worden wären.«

Channay warf sich in einen bequemen Sessel, zündete eine Zigarette an und schob seinem Gast die Schachtel zu. Foggs Gesicht leuchtete vergnügt auf, als er danach griff, da er in Channays Handlung eine stillschweigende Gewährung seines Lebenswunsches sah.

»Sie haben mein Interesse dermaßen erregt,« bemerkte Channay, »daß ich wirklich begierig bin, Sie näher kennenzulernen. Darf ich also hoffen, Sie und Ihre Tochter morgen abend zum Essen bei mir zu sehen.«

»Mit dem größten Vergnügen«, versicherte Martin Fogg herzlich.

 


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