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Vierzehntes Kapitel. Gefangen

Die Auftritte, die nun folgten, waren zu Zeiten nicht nur so aufregend, sondern auch so ruhig, daß wir vor dem Versuch, sie zu schildern, zurückschrecken. Wenn es noch irgend wessen bedurft hätte, den Entschluß des Herzogs zu befestigen, die Stellung die er den Ereignissen gegenüber eingenommen hatte, zu behaupten, dann war es die Ankunft der Herzogin und der ungeheuerliche Schritt, den er durch Verweigerung des Schlüssels gethan hatte. Danach gab es nichts mehr, was zuviel für ihn gewesen wäre, Er hatte seine Schiffe verbrannt. Als Lord und Lady Germaine am nächsten Morgen kamen, um die Braut abzuholen – die Dame etwas zitternd, aber der Herr voll verachtungsvoller Gewißheit, daß »der alte Grobian«, nachdem er seiner Wut Luft gemacht, kein solcher Narr sein werde, u. s. w. – wurde ihnen der Eintritt aufs bestimmteste verweigert. Nachdem sie einige Zeit mit dem Bedienten an der Hausthür verhandelt hatten – einem Manne, den der Herzog, durch seine Lage zur äußersten Energie aufgestachelt, am vorhergehenden Tage in Dienst genommen hatte, und der allen Ueberredungskünsten unzugänglich war – trat die Herzogin selbst zu ihnen, außerordentlich bleich und mit Mühe ihre Fassung behauptend. Sie war trotz aller traurigen Umstände doch die ganze Nacht dageblieben, und wenn sie es auch nicht mit Worten zugab, fanden ihre scharfsichtigen Besucher doch sehr bald heraus, daß selbst ihr nicht gestattet worden war, ihre Tochter zu sehen.

»Sie werden das für vollkommen mittelalterliche Zustände halten,« sagte sie mit einem schwachen Versuche zu lächeln, »aber der Herzog kann sehr hartnäckig sein, wenn er es für der Mühe wert hält.«

»O,« entgegnete Lady Germaine, ergriffen vom Anblick der leidenden Frau, »das Blut Merlins wird wohl nicht umsonst in seinen Adern fließen.«

»Merlin,« warf Lord Germaine dazwischen, »war der alte Geck, der sich von Miß Viviane verführen ließ. Ich sollte denken, daß es nicht so schwierig gewesen sein kann, mit dem fertig zu werden.«

Die Herzogin stand bleich in der Thür und ertrug es kaum, daß mit so leichtfertigem Tone über die Sache gesprochen wurde, aber doch entschlossen, sich nicht entmutigen zu lassen. »Grüßen Sie Reginald und sagen Sie ihm, daß dies nicht ewig dauern könne,« sprach sie. »Ich bemitleide ihn von Grund meines Herzens, ebenso wie meine Tochter, aber im Augenblick kann ich nicht einmal ihr helfen.«

Lady Germaine trat in die bewachte Thür, um der Herzogin Hand zu ergreifen und sie zu küssen.

»Und wir sind so betrübt, so entrüstet ...«

»Still!« entgegnete die Herzogin. »Es ist meine Schuld, ich hätte den Mut meiner Ueberzeugungen haben und selbst mit meinem Kinde gehen sollen; der Fehler war aus meiner Seite.«

Lady Germaine war halb und halb geneigt, zu antworten: »O, wenn Sie glauben, daß wir irgend eine Vorsichtsmaßregel außer acht gelassen haben –« aber sie hatte nicht das Herz, die Beleidigte zu spielen.

Nach einiger Zeit fuhr das Paar ziemlich kleinlaut von dannen. »Ich hätte nicht geglaubt, daß der alte Grobian so viel Thatkraft besäße,« sagte Lord Germaine mit geheimer Bewunderung. »Du, Nell, wenn du versuchtest, Dolly gegen meinen Willen zu verheiraten, ob ich wohl zu etwas Aehnlichem fähig wäre?«

»Wenn etwas Derartiges im Werke wäre, würde ich dich vorher einsperren,« entgegnete die getreue Gattin.

»Und dicht vor dem Zusammenbruch, dem größten Zusammenbruch, den es je gegeben hat, seit ... Schloß Billings, und alles, was drum und dran hängt, wird verkauft werden müssen,« fügte Lord Germaine nachdenklich hinzu.

Lady Germaine verriet bei dieser Neuigkeit weder Ueberraschung, noch Bedauern. »Was für eine Gelegenheit für Reginald!« sagte sie. »Er kann ihre besten Sachen aufkaufen und Janes Zimmer in Winton wie ihre alten zu Hause einrichten.« Hierauf lachte sie und fügte hinzu: »Er wird die alten Scharteken wohl schwerlich in seinem Hause haben wollen, der Geschmack war noch nicht erfunden, als die durchlauchtigen Herrschaften heirateten.«

In dieser teilweise heiteren Stimmung erreichten sie ihr Haus, wo der arme Winton wartete. Freunde mögen noch so teilnehmend sein, die Art, wie sie unser Mißgeschick betrachten, ist weit verschieden von der, wie wir selbst es ansehen. Obgleich sich Germaines seiner Sache so warm angenommen und keine Mühe gescheut hatten, mußten sie ihren Ausdruck doch ändern, gewissermaßen Trauer anlegen, als sie sich dem wirklichen Leidtragenden näherten. Mit seinem Elend und seinem Grimm wollen wir uns lieber nicht befassen. Er sprach natürlich vielerlei, was besser unausgesprochen geblieben wäre, und eine Zeitlang belagerte er das Haus. Er ging persönlich hin, er schrieb, er trat durch Vermittelung seiner Rechtsanwälte mit denen des Herzogs in Verbindung, denen der Mund über die Bestimmungen, die er zu Gunsten seiner zukünftigen Frau getroffen hatte, und die seine eigenen Berater etwas lächerlich fanden, wässerte, und sie versicherten ihn ihrer Bereitwilligkeit, ihr Möglichstes zu thun, konnten ihm aber keine großen Hoffnungen auf Erfolg machen. »Kein Mann, der bei Verstand ist, würde einen Schwiegersohn, wie Sie ablehnen, Mr. Winton, besonders unter diesen Umständen,« sagte das ältere Glied der Firma, »aber der Herzog ist der Herzog, und damit ist alles gesagt. Wir haben ihn in seinen eigenen Angelegenheiten sehr schwer zu behandeln gesunden, ganz außerordentlich schwierig, und die Verhältnisse sehen sehr trübe für die Familie aus. Lord Hungerford ist ein ganz verständiger Herr. Er hat eine vorzügliche Heirat gemacht; Sie sollten versuchen, ihn auf ihre Seite zu bringen.«

Winton fand es nicht schwierig, Hungerford auf seine Seite zu bringen. Dieser junge Edelmann war so erregt über die Sache, daß er es sogar übernahm, mit seinem Vater zu sprechen und ihm zu zeigen, wie albern er sei.

»Du kannst ein Haus am Grosvenor Square doch nicht zu einem Schloß in den Apenninen machen,« sagte Hungerford. »Um Himmels willen, Vater, mach uns nicht lächerlich!«

Lady Hungerford machte die ganze Geschichte einen ungeheuren Spaß. »Bisher habe ich mir noch gar nicht klar gemacht, daß ich wirklich in ein großes Haus geheiratet habe,« bemerkte sie, es ist ja gerade wie die Geschichten im ›Familienkalender‹. So haben wir von den untern Klassen uns den Adel immer vorgestellt, weißt du, nicht so wie andre Menschen.« Und dann erbot sie sich, bei einem Schlosser Unterricht zu nehmen, damit sie Janes Gefängnis aufbrechen könne.

Wir müssen der Wahrheit gemäß gestehen, daß auch Winton derartige Pläne in Erwägung zog, ehe seine Prüfung vorüber war. Einer seiner Freunde schlug ihm vor, einen an Verschwörungen gewöhnten italienischen Bedienten in das Haus zu schmuggeln, um die Gefangene zu befreien. Ein andrer hielt eine mitternächtliche Flucht aus dem Fenster mittelst einer Strickleiter für ausführbar, aber Strickleitern würden an einem Fenster des zweiten Stocks an Grosvenor Square nicht leicht anzubringen sein, und ein Spaßvogel schlug darum einen Rettungsschlauch vor, wodurch die ganze Geschichte ins Lächerliche gezogen wurde. Das war in der That eine Seite der Angelegenheit, die sie für die Beteiligten sehr erschwerte. Die ganze Sachlage, die für zwei oder drei Leute so überaus ernst und traurig war, hatte für den Rest der Welt eine unwiderstehlich komische Seite. Manche Leute fuhren nur zu dem Zwecke nach Grosvenor Square, die Fenster des zweiten Stocks zu betrachten, und als die Instrumente gestimmt und alles für die Rückkehr der Gesellschaft in stand gesetzt wurde, gewann das befremdliche Ereignis mehr und mehr Wichtigkeit. Ein neuer Minister des Innern und die damit verbundene Ministerkrisis waren nichts im Vergleich. »Habt ihr schon gehört, daß Jane Altamont diesen Winter mit Regy Winton halb getraut und von dem ekligen alten Herzog geradezu vom Altar fortgerissen worden ist, und daß er sie seitdem hinter Schloß und Riegel hält?« Wahrscheinlich war es Lady Germaine, die die Geschichte zuerst in Umlauf gesetzt hatte, aber alle Welt nahm sie mit Interesse und der Aufregung auf, die eine solche Erzählung verdiente. Weitere Einzelheiten, die fast unglaublich klangen, folgten, nämlich, daß selbst die Herzogin, obgleich sie unter demselben Dache lebte, ihre Tochter nicht sehen dürfe, und daß Lady Jane seit zwei Monaten nur am Fenster frische Luft geschöpft und die Zimmer, worauf sie beschränkt sei, nie verlassen habe-, schlimmer, als wenn sie sich in einem wirklichen Gefängnis befände, sagten die Leute. Aber das war nicht einmal der Punkt, der die allgemeine Entrüstung (wenn wir die Entrüstung der Salons allgemein nennen dürfen), am meisten erregte. Halb getraut! Das war der furchtbare Gedanke.

Der Herzog machte vor Eröffnung des Parlaments ein oder zwei Besuche. Selbstverständlich erwies er nur den allervornehmsten Häusern eine solche Ehre, und obgleich er in allgemeinen Angelegenheiten keine sehr scharfe Beobachtungsgabe besaß, war doch das Bewußtsein seiner eigenen Wichtigkeit so entwickelt, daß es, soweit er selbst in Betracht kam, den Scharfblick ersetzte. Er bemerkte, daß ihn die Damen mit einer Art von Scheu betrachteten, und daß selbst die Herren eine Neugier verrieten, die durchaus nichts mit dem ehrfurchtsvollen Interesse zu thun hatte, das er als etwas ihm Gebührendes ansah. Und es dauerte nicht lange, bis die Dame vom Hause, die, wie er nicht leugnen konnte, seinesgleichen und von demselben Rang und tadelloser Herkunft war, ihm die Sache klarmachte. »Herzog,« sagte sie, »Sie wissen, daß ich mich um keinen Preis in Privatangelegenheiten mische, aber man erzählt sich so sonderbare Geschichten. – Die liebe Jane! Wir hatten gehofft, sie sowohl, wie Margaret (Margaret war die Herzogin und eine sehr vertraute Freundin dieser großen, großen Dame) mit Ihnen zu sehen, und nun ist keine von beiden gekommen. Aber es ist nicht möglich – Sie dürfen nicht einen Augenblick denken, daß ich es glaube! – daß diese Geschichte wahr sein kann.«

»Wenn Ihre Durchlaucht mir gütigst erklären wollen, was das für eine Geschichte ist?« Unser Herzog, der eine achtungsvolle Behandlung selbst liebte, gab, der goldenen Regel entsprechend, andern stets die ihnen gebührenden Titel.

»Es wird mir nicht leicht, es in Worte zu fassen – daß Sie die Heirat verhinderten – sogar noch am Altar, so daß das liebe Mädchen nun weder verheiratet, noch ledig ist, daß – aber es ist Ihnen peinlich.«

»Die Erwähnung ist mir allerdings peinlich, aber die Thatsachen sind, wie Ihre Durchlaucht natürlich sehr wohl wissen, vollkommen wahr. Ich kam gerade noch zur rechten Zeit, um meine Tochter zu verhindern, eine Ehe zu schließen, die ich mißbilligte.«

»O, das kann bei uns allen vorkommen,« sagte die große Dame und ließ ihre Augen bedauernd, aber doch mit mütterlichem Stolz auf einer Tochter ruhen, die so verworfen gewesen war, einen Geistlichen zu heiraten, die aber ein Kind geboren, um dessenwillen ihre Eltern dem Vater verziehen hatten. »Wer kann sich gegen ein solches Mißgeschick sichern? Aber Beatrice, das arme Kind, ist sehr glücklich,« fügte sie mit einem Seufzer hinzu.

Der Herzog machte ihr eine kleine Verbeugung, die indes sehr viel ausdrückte. Sie sagte: Wenn Sie so jeden Sinn für das, was schicklich ist, verloren haben, daß Sie die Sache so auffassen – aber ich würde es nie zugegeben haben! Er, der den Gesprächsgegenstand der ganzen Gesellschaft bildete, er konnte etwas Derartiges denken!

»Aber Herzog,« versetzte sie lebhaft, den Gedanken der alten Mordaunt aufgreifend, »wenn nicht einmal der Altar heilig gehalten wird, was soll dann aus uns werden? Man sagt, Sie wären dazwischen getreten, gerade als sie die verhängnisvollen Worte sagte –«

»Der Gegenstand ist mir nicht sehr angenehm,« versetzte der Herzog. »Ich entsinne mich nicht, bis zu welchem Punkt die Trauung gelangt war – aber auf jeden Fall können sich Ihre Durchlaucht versichert halten, daß es nicht zu spät war.«

»O, es muß doch zu spät gewesen sein,« rief die entrüstete Frau. »Wie ich gehört habe, hatte er schon gesagt ›ich will‹, und hatte ihr auch schon den Ring an den Finger gesteckt. Ich hätte es nicht geglaubt, daß es wahr wäre, wenn Sie's nicht selbst gesagt hätten. Aber so kann die Sache doch nicht bleiben. Halb getraut! Das ist ja geradezu sündhaft, wissen Sie,« sagte Ihre Durchlaucht.

Und der andre Herzog, der gnädige Gastgeber, gestattete sich, etwas Aehnliches auszusprechen. »Ich möchte mich nicht um die Welt in Ihre Angelegenheiten mischen,« sagte er, »aber ich hoffe, Billingsgate, Sie haben nicht die Absicht, das liebe Mädchen unter diesem Stigma –«

»Stigma! Meine Tochter! Von einem Stigma kann gar keine Rede sein,« rief das Haupt der Altamonts, dunkelrot werdend.

»Nun, ich will mich nicht einmischen, aber die Frauen sagen das, sie sind alle sehr aufgeregt darüber; wo man auch hingeht, man hört von nichts anderm sprechen. Früher oder später müssen Sie doch nachgeben,« sagte der andre Herzog.

»Niemals!« versetzte der Herzog von Billingsgate, und beeilte sich, seines alten Freundes Haus zu verlassen. Aber im nächsten Hause, das er besuchte, wiederholte sich dieselbe Geschichte. Die Damen steckten die Köpfe zusammen, flüsterten, und Augen, die ihn bisher nur mit scheuer Ehrfurcht betrachtet hatten, richteten sonderbar fragende Blicke auf ihn, und nach einigem Zögern und Auf-den-Buschklopfen folgten dieselben Fragen und Bemerkungen. Halb getraut! Die angesehenste Dame der Gesellschaft nahm ihn sehr ernsthaft vor.

»Was soll aus ihr werden? Das sollten Sie bedenken. Gegenwärtig können Sie ihren Ruf beschützen, aber wenn Ihnen nun etwas zustößt? Wir sind alle sterblich, und denken Sie einmal an die liebe Jane, mit einem solchen Skandal an den Fersen. Die Leute werden sagen, .der Herr sei zurückgetreten; sie werden alles Mögliche sagen, denn es ist ganz unfaßbar, daß der Vater eines Mädchens, sein eigener Vater, derart mit dem Rufe seiner Tochter spielt.«

»Ihrem Ruf!« schrie der Herzog entrüstet. »Meines Kindes Ruf! Wer könnte es wagen –«

»O, niemand wird es wagen, aber jedermann wird sich sein Teil denken. Die Leute werden ganz bestimmt wissen, daß Gründe vorhanden waren. Halb verheiratet! Es gibt nicht eine unter uns, die nicht entsetzt ist,« sagte die Angreiferin. »So etwas ist ja ganz unerhört. O, Sie brauchen sich nicht einzubilden, daß Sie der Sache entrinnen können, wenn Sie sich aus dem Staube machen. Wo Sie auch hinkommen, Sie werden immer dasselbe zu hören kriegen. Die Geschichte ist überall verbreitet. Hat sie nicht ganz ausführlich im ›Univers‹ gestanden? Niemand konnte im Zweifel sein, wer mit dem Herzog von B– G– gemeint sei. Ich hoffe, Sie überlegen sich die Sache ernstlich, ehe es zu spät ist.«

Der Herzog kehrte wütender als je nach Grosvenor Square zurück. Er war entschlossen, der ganzen Welt die Stirn zu bieten, und fing an, so viel in Gesellschaft zu gehen, als im Anfang der Saison möglich war. Sein Heim war sehr langweilig. Lady Jane war in ihren Zimmern eingeschlossen und wurde bewacht, damit sie nicht mit List oder Gewalt entfliehe, ihre Mutter weigerte sich hartnäckig, auszugehen oder ihn zu begleiten, und selbst die Dienstboten sahen ihn vorwurfsvoll an. Der Tafeldecker Jarvis, der dreißig Jahre im Dienst des Herzogs gestanden hatte, kündigte seine Stelle, und seine Frau, die Haushälterin, that dasselbe. »Ich will mit solchen Geschichten nichts zu thun haben,« sagte Mrs. Jarvis. Und als der Herzog einmal beim Führer seiner Partei (die sich in der Opposition befand), speiste, wartete Mrs. Coningsby den Schluß der Mahlzeit gar nicht ab. »Durchlaucht,« rief sie, noch ehe er seine Suppe verzehrt hatte, »das kann doch nicht wahr sein, was man sich über Lady Jane erzählt?« Die Dame hatte offenbar die Absicht, die Sache nur so obenhin zu behandeln, und das war ihm noch widerwärtiger, als das Gegenteil. »O nein, es kann nicht wahr sein, das wissen wir alle,« sagte sie. »Man sagt, Sie hätten sie an den Haaren aus der Kirche gezerrt und ihre Hand weggerissen, als ihr der Bräutigam den Ring ansteckte. Mr. Coningsby war furchtbar aufgeregt. Er meinte, das würde den andern bei den nächsten Wahlen Wasser auf die Mühle sein, aber ich sagte ihm, Unsinn, der Herzog ist ein viel zu seiner Herr, sagte ich.« Dieser Art des Angriffs war viel schwieriger zu begegnen als der andern, und der Herzog wechselte beständig die Farbe, während er zuhörte. »Und die Wahlen stehen so nahe bevor,« fuhr die Dame fort. »Die Regierungspartei kümmert sich natürlich nicht darum, wie falsch die Geschichte ist; sie wird sie mit einem Bild in Lebensgröße an die Mauern anschlagen lassen. Die ganze Geistlichkeit wird sich gegen uns wenden. Natürlich, lieber Herr Herzog, natürlich Leuten, die Sie so genau kennen, wie ich – mir brauchen Sie nicht erst zu versichern, daß es nicht wahr ist.« Der Herzog saß in grimmigem Schweigen der und sagte kein Wort. Als er in das Gesellschaftszimmer trat, entstand dort eine kleine Bewegung; jedermann sah ihn an, als ob er ein wildes Tier gewesen wäre. »Er hat sie am Haar herausgezerrt,« hörte er auf allen Seiten flüstern, und obgleich Mrs. Coningsby immer noch so that, als ob sie es nicht glaube, sah ihn die Frau des Bischofs mit furchtbarem Ernst an.

»O, ich hoffe, Sie sprechen 'mal mit dem Bischof über die Angelegenheit,« sagte sie. »Er macht sich soviel Sorgen darüber. Lady Jane war immer sein Liebling, und ich hoffe, Sie werden des Bischofs Rat befolgen. Soviel ich weiß, ist es Sünde, wenn man sich nach einem gewissen Teil der Zeremonie noch einmischt.« Später am Abend überfiel ihn ein halbes Dutzend Damen und bedrängte ihn mit dem allgemeinen Ruf: »Halb verheiratet! Arme Lady Jane! Liebe Lady Jane!« Sie belagerten ihn förmlich mit ihren lebhaften Einsprachen, so daß ihn ein sanftes, aber doch nachdrückliches babylonisches Stimmengewirr umbrauste. Dem armen Herzog gelang es endlich zu entrinnen, aber wie, das wußte er selbst nicht. Es schien ihm, als ob er einem wütenden Volkshaufen entgangen und als sei ihm in dem Kampf der Rock zerrissen und die Wäsche beschmutzt worden. Er war über alle Maßen erstaunt und entsetzt über die Entdeckung, daß selbst er dem Machtbereich der öffentlichen Meinung nicht entrückt sei, und das beeinflußte ihn wider Willen. Er schämte sich, war unruhig und verwirrt gerade da, wo er sich sonst am sichersten gefühlt hatte.

Als er nach Hause kam, begab er sich nach dem Zimmer seiner Gemahlin, um ihr gute Nacht zu sagen, eine Form, die er stets gewissenhaft beobachtete, obgleich die Ereignisse sie einander vollständig entfremdet hatten. Es war ihr jetzt gestattet, Jane einmal täglich zu besuchen, allein da sie sich geweigert hatte, zu versprechen, daß sie ihrer Tochter nicht zur Flucht behilflich sein wolle, war dies das einzige Zugeständnis, das sie erreichen konnte. Sie saß allein und las, bleich und angegriffen. Als er eintrat, hob sie kaum die Augen, wenn sie auch ihr Buch niederlegte. Das Feuer war halb erloschen und außer der Leselampe brannte kein Licht im Zimmer. Der Herzog konnte nicht umhin, den Unterschied gegen früher zu empfinden, und einen Augenblick kam ihm der Gedanke, sich an ihre Teilnahme zu wenden und ihr zu erzählen, wie er verfolgt worden war, Er würde das auch gethan haben, wenn es irgend eine andre Angelegenheit betroffen hätte, allein es fiel ihm noch zur rechten Zeit ein, daß er in dieser keine Teilnahme von seiner Frau zu erwarten hatte. So stand er also einige Minuten fröstelnd und schweigend vor dem Feuer und hielt sich für einen tief gekränkten Mann. »Nein, ich habe keinen angenehmen Abend verlebt,« antwortete er kurz auf ihre Frage, »wie kann der Abend angenehm sein, wenn alle Welt ihre Bemerkungen über deine Abwesenheit macht; ich werde gefragt, ob du krank seiest, ich werde gefragt ...«

»Andre Fragen, wie ich mir denken kann, die noch schwieriger zu beantworten sind.«

»Und wessen Schuld ist das?« rief er heftig. »Wenn du deine Pflicht gethan und mein väterliches Ansehen unterstützt hättest, dann gäbe es jetzt keine Gelegenheit, solche Fragen zu stellen.«

Die Herzogin wandte sich etwas ungeduldig ab, gab aber keine Antwort. Die Frage war schon zu oft zwischen ihnen verhandelt und nach allen Richtungen besprochen worden. Wenn sie sich ihm jetzt zu Füßen geworfen und um Verzeihung gebeten hätte, welch eine Erleichterung wäre ihm das gewesen! Er würde nachgegeben haben, aber seine Stellung wäre gerettet gewesen und er hätte im Lichte eines großmütig Verzeihenden dagestanden. Die Herzogin hatte aber dazu nicht die geringste Lust. Nachdem er noch eine Weile ins Leere gestarrt hatte, während sie beharrlich ins Feuer blickte, ergriff er seinen Leuchter. »Gute Nacht auch,« sagte er nun seinerseits ungeduldig.

»Gute Nacht,« antwortete sie.


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